FOTOS: F. SCHULTZE / LAIF SCHULTZE F. FOTOS: Bahnhof : Globale Krise und lokaler Kleinkram

AUFBAU OST „Da ist noch soviel Schutt“ In einer vergessenen Ostecke des neuen Deutschlands suchen zwei kleine Orte Anschluß an die Zukunft. In Ducherow lähmen sich alt-neue Honoratioren gegenseitig, das Städtchen erstrahlt in fast schon unwirklichem Glanz. Von Michael Schmidt-Klingenberg

Trauriges Ende, angeklungen / Wie eine samkeit das neue Haus der Freiwilligen als Traktorist der Landwirtschaftlichen Pro- tiefe Saite, / In meinen Erinnerungen / Feuerwehr Ducherow. duktionsgenossenschaft hingeworfen und Schwingt ein Ton ins Weite. Und auch die lokale Politik ist blockiert, sich in der nahen Kreisstadt Hans-Eckardt Wenzel:„Schmuggerower Elegien“ „als wenn es wie eine Krankheit aus Bonn zunächst als Taxifahrer selbständig gemacht. auf uns abgefärbt hat“, sagt Hans-Jürgen Als ihn Kumm, der neue Bürgermeister, chmuggerow, Busow, , Kumm, der Chef der vor Ort führenden fragte, ob er nicht eine Tankstelle aufma- Bargischow, Ducherow: Die „verges- Freien Demokraten. „In den letzten drei chen wolle, überlegte er nicht lange und Ssenen Dörfer Vorpommerns“ nennt Jahren ist überhaupt nichts passiert.“ guckte sich an der holländischen Grenze der Heimatdichter Hans-Eckardt Wenzel Der ganze Schwung ist hin, mit dem sie an, wie das Geschäft so läuft. Er kam mit ei- die Orte mit der düsteren Endung. Du- sich aus der Wende in die neue Zeit gestürzt nem neuen Konzept zurück, das Sparkassen cherow – das kommt vom slawischen „Do- hatten. Lüder hatte über Nacht seine Arbeit wie Ölgesellschaften zu verwegen fanden. gorowo“ und bedeutet „vor dem Berg“. Aber als erster in Deutsch- Nur, aufwärts geht’s hier nicht, im Ge- land, das sagt er in aller Be- genteil. „Es wird erst mal noch abwärts ge- Ostsee scheidenheit, richtete Lüder hen“, sagt Joachim Lüder aus Ducherow. hier eine Tankstelle mit inte- Wie ein prächtiges rotes Raumschiff, das Pommersche Bucht grierter Speisegaststätte und ei- versehentlich hinter den verfallenen Stäl- genem Koch ein. Sein ehemali- len der LPG Tierproduktion gelandet ist, ger LPG-Chef Eckard Schröder verharrt seit vier Jahren seine Esso-Tank- Anklam hatte sich vor Lachen ausge- stelle an der Bundesstraße 109 in Richtung schüttet, als der bullige Ma- Usedom. Bargischow schinist Unternehmer werden Neu Kosenow Busow Stettiner Haff Hier am Ostrand Deutschlands steht al- Ducherow wollte – nun staunte er. les noch etwas stiller als anderswo am 1993 wurde ein großes Jahr Standort D. Die Arbeitslosen sind noch ar- Schmuggerow Torgelow in der 690jährigen Geschichte beitsloser – zu rund 30 Prozent. Die Un- Hinter- POLEN von Ducherow. Lüder eröffne- ternehmer sind noch etwas unterneh- see te seine Speise-Tanke, daneben mungsloser – neben der Tankstelle er- Mecklenburg-Vorpommern errichtete ein Herr Wunderlich strecken sich blühende Landschaften mit Stettin aus dem Westen ein Domitel. eigener Straßenbeleuchtung: Im einst mit Das Hotel hat ein auf Kirchen- DEUTSCHLAND acht Millionen Mark hergerichteten Ge- 10 Kilometer bau spezialisierter Architekt werbegebiet leuchtet in strahlender Ein- mit einer gläsernen Domkup-

104 der spiegel 44/1997 Deutschland pel gekrönt – nun steigen dort Bustouristen Die Plattenbauten der Albert-Einstein- der Titel Dorf-Kommandant zu schäbig ab, die sich eine Nacht auf dem teuren Siedlung sehen dank geschickter Bema- klang. Aber ganz geheuer sind die Fort- Usedom nicht leisten können. Das Diako- lung, neuer Balkone und ein paar modi- schritte dem Realschulmeister auch nicht. nische Werk weihte im selben Jahr ein scher Attrappen wie neu aus. Im Gewer- Wieso läuft dort jetzt soviel, fragt sich menschen- und tierfreundliches Altenpfle- begebiet hat sich, bald nach der Bar „Zur Kumm im stillen Ducherow, „die Torgelo- geheim ein, das auf der angrenzenden Kop- Banane“, die Firma ME-LE angesiedelt, wer sind doch auch nicht die klügsten“. pel zum Beispiel auch dem geliebten Gaul Holding eines kleinen Konglomerats der Unter den Strukturschwächen der Re- eines bisher obdachlosen alten Wolgasters Heizungs- und Regelungstechnik mit über gion leiden Ducherow wie Torgelow glei- das Gnadenbrot gibt. 1000 Mitarbeitern in ganz Deutschland. chermaßen. „Eine kleine DDR“ nennt der Aber jetzt herrscht wieder Ruhe in Du- Diesen Sommer reisten Professoren aus Greifswalder Geograph Helmut Klüter cherow.Kumm macht sich Sorgen, denn „je- Los Angeles, Winnipeg, Palermo, Basel, Vorpommern, weil wie einst im Sozialis- der kramt so vor sich hin“. Der Aufschwung mus die Staatswirtschaft dominiert – es ist irgendwo zwischen globaler Krise und lo- Die Ducherower haben fehlt schlicht an privaten Unternehmen. kalem Kleinkram steckengeblieben. So ist es nicht einmal mehr einen Wessi, Allein die Ausgaben von Land und Ge- überall hier in Pommerland. meinden machen hier mehr als die Hälfte Überall? Nein, da gibt es kaum mehr als der an allem schuld ist des Bruttoinlandsproduktes aus, der höch- 20 Kilometer weiter einen Ort, auf den die ste Anteil in Deutschland. Ducherower neidisch oder bewundernd London, Warschau und auf Einla- Vorpommern liegt seit über 50 Jahren in schauen: „Torgelow“, sagt Kumm, „das dung eines Torgelow-Instituts in die Stadt der Ecke. Die „kleine DDR“ spürt nach mutet wie ein Märchen an.“ am deutschen Rand, um im Ueckersaal des dem Ende der „großen“ ihre Randlage so- Kumm ist in Torgelow geboren und auf- neuen Zentrums über die Zukunft der Re- gar noch stärker. Im Norden saugen die gewachsen, bis er 1963 als Realschullehrer gion „Mare Balticum“ zu debattieren und frisch aufgeputzten Ostseebäder fast jeden nach Ducherow ging. Nun erkennt er sein mit Architektur-Studenten aus Polen und Touristen ab, im Osten holen sich die Po- Heimatstädtchen kaum wieder. Um das re- Deutschland Ideen-Entwürfe für die wei- len die spärliche Kaufkraft der Einheimi- novierte Rathaus ist ein ganz neues, strah- tere Stadtentwicklung zu produzieren. schen. „Der Kreislauf reißt ab mit dem Po- lend weißes Ortszentrum entstanden. Die Noch diesen Herbst soll der Vertrag für ein lengeschäft“, sagt Lüder. Die Ducherower sowjetischen Soldatengräber mitten in Tor- Modellprojekt des Siemens-Konzerns un- fahren über 50 Kilometer bis zum nächsten gelow, ewiges Mahnmal der Befreiung mit terschrieben werden, für „Xenia – die Stadt Grenzübergang, um drüben billiger zu tan- anschließender Unterdrückung, wurden in des Wissens“. Das sind ungeheure Ent- ken. Ihr Geld lassen sie nicht bei „Pick’s einem feierlichen Akt auf den städtischen wicklungen für einen zusammengewürfel- raus“ und im Plus-Markt, sondern bei Friedhof am Ortsrand umgebettet. Nun ist ten Ort mit 12000 Einwohnern, der seine den Textil- und Zigarettenhändlern von an der Stelle des „Russenfriedhofs“ der Erhebung zur Stadt 1945 nur einem ehr- Lubieszyn. „Daß der Staat das zuläßt“, Parkplatz des neuen Zentrums. geizigen russischen Offizier verdankt, dem wundert sich Lüder und wünscht sich „eine Deutschland kontrollierte Marktwirtschaft“. Liberale Kumm nennt, gebietet Als Unternehmer hätte er es über fünfmal mehr Land als die aber lieber so richtig frei, „man einstigen Herren von Ducherow, wird ja vom Staat bestraft, daß die 1945 enteigneten Grafen von man Angestellte hat“. Anderer- Schwerin. seits war es im Sozialismus in Viele im Dorf haben noch im- gewisser Weise besser im Dorf. mer Angst vor Schröder, als wäre „Jetzt fehlt der Zusammenhalt, er der sozialistische Landvogt. der früher da war.“ Doch sein Reich schrumpft. Die Ducherow liegt irgendwo LPG war mal der größte Arbeit- zwischen den Welten: Aus der geber im Bereich des Amtes Du- sozialistischen Vergangenheit cherow mit seinen 5600 Ein- noch nicht ganz gelöst, in der wohnern. Aber allein seit 1993 kapitalistischen Zukunft noch hat er weiter um 15 Leute auf nicht richtig angekommen. Im nur noch 75 Mann abgebaut. Niemandsland dazwischen ist 1993 war auch für Schröder die Zeit stehengeblieben. noch einmal ein großes Jahr ge- Ein Mann zwischen den Zei- Innenstadt von Torgelow: Fast irrationale Aufbruchstimmung wesen. Fast das ganze Dorf hat- ten ist Schröder, der von der te er im Kampf gegen die Rück- alten LPG. Ohne ihn läuft hier nichts, hingenommen. „Aber die Idee des Sozia- kehr der Junker mobilisiert. Die Treuhand- heißt es in Ducherow, und wenn hier nichts lismus ist nicht falsch.“ Bodenverwaltung wollte 300 Hektar aus läuft, heißt es, liegt es natürlich auch an Nun ist Schröder Unternehmer in einem der Pachtfläche der Ducherower Agrar-Ge- ihm. System, von dem er sagt: „Dieser Staat, die- sellschaften einem Herrn Jürgen von Schröders machtvoller Ruf zehrt noch se Ideologie kann es doch nicht sein.“ Die Below überantworten, der nicht einmal von seiner Zeit als SED-Parteisekretär bei Landwirtschaftliche Produktionsgenossen- Alteigentümer aus der Gegend war. „Das Margarete Müller, die im Politbüro des schaft Ducherow hat der bekennende So- gibt Mord und Totschlag“, sagte Schrö- Arbeiter-und-Bauern-Staates Erich Ho- zialist schnell und clever in Privateigentum der damals und holte mit diesem Ver- neckers Vorzeige-Landwirtin war. Damals überführt. Seine Agrar GmbH thront über sprechen Presse und Fernsehen ins Dorf hat Schröder ein bißchen die Agrarpolitik drei Gesellschaften bürgerlichen Rechts, in (SPIEGEL 41/1993). der DDR mitformuliert und bekennt sich denen er sechs ehemalige LPG-Genossen Der große Kampf endete dann ganz still auch jetzt stolz und offen dazu: „Die Land- organisiert hat. Zusammen verfügen sie und friedlich. Der Herr aus dem Westen be- wirtschaft lief.“ Fehler gibt er wohl zu, all- über rund 5000 Hektar gepachtete und ei- kam das Land, aber Schröder schloß mit zuviel Unsinn hätten sie widerspruchslos gene Flächen. „Der rote Baron“, wie ihn der ihm einen Bewirtschaftungsvertrag.Alt-Ad- liger und Alt-Sozialist teilten sich Sargproduktion Vorpommerns, brüderlich den Gewinn. Inzwi- Opfer des westdeutschen Be- schen hat von Below Ländereien stattungskartells. Vielleicht fin- an seinem alten Familiensitz den einige Sargtischler wenig- übernommen und deswegen die stens wieder Arbeit bei dem Hälfte seiner Äcker in Ducherow westdeutschen Klavierfabrikan- an kleine Landwirte abgegeben. ten, der gerade im Gewerbege- Nun haben die Ducherower biet eine Montagehalle für seine nicht einmal mehr einen Wessi, in Rußland gegossenen Instru- der an allem schuld ist. Manche mententeile baut – ob sie den glauben inzwischen sogar, daß Klangkörpern den letzten Schliff es auch etwas an ihnen selber geben oder dem letzten Möbel liegen könnte, wenn in ihrem des Menschen, macht schließlich Dorf nichts vorangeht. Es sind keinen großen Unterschied. noch immer dieselben Leute, die Pastor Martin ist ein begnade- vor wie nach der Wende die tes Unternehmer- und Erfinder- Richtung im Ort bestimmen, talent in Gottes Diensten. Über- sich aber nun dabei oft gegen- Westimport Berger*: Hauch von Größenwahn all im neuen Heim hat er seine seitig blockieren. altengerechten Innovationen ver- „Das Klima lähmt“, sagt Pastor Georg Gleich nach der Wende hat er aus allen wirklicht. Der trickreich gezackte Grundriß Martin. Der Pfarrer des Evangelischen erdenklichen Fördertöpfen 19 Millionen vermeidet bedrückend lange Flure wie im Diakoniewerks in Ducherow ist ebenso Mark für den Bau eines neuen Altenpfle- Krankenhaus. In den Zimmern enden die eine Institution für das Dorf wie Schröder, geheims zusammengekratzt und ins weite Gardinen in halber Höhe über dem nur in Schwarz. Seit über 30 Jahren leitet Feld des Gewerbegebiets eine Behinder- Fensterbrett, damit Bettlägerige untendurch er das Bugenhagenstift, das 1865 als Erzie- tenwerkstatt gesetzt. Nun ist der Pastor hinausschauen können. Der Altar im An- hungsanstalt für verwaiste Lehrerkinder mit 130 Beschäftigten noch vor Schröder dachtsraum hat ausziehbare Platten, auf de- aus Pommern gegründet worden war und der größte Arbeitgeber von Ducherow. nen der Pfarrer Bibelszenen mit kleinen Pla- nach 1945 unter aus Stettin geflohenen Dia- Alle anderen größeren Betriebe aus stikfiguren nachstellt und so auch den schon konieschwestern zum Pflegeheim wurde. DDR-Zeiten gibt es nicht mehr. Eine etwas verwirrten Gläubigen klarmacht. Pastor Martin packt alles mit einer stür- Ruine ist die ehemalige Ziegelei am Ort. Doch der fröhliche Tatendrang des Pa- mischen christlichen Fröhlichkeit an, die Verblichen ist auch die einst führende stors kommt nicht über den Kreis seiner er bei seinen Mitmenschen im Ort oft christlichen Wirkstätte hinaus. Die Leute, vermißt. * Mit Plänen für die Neugestaltung von Torgelow. die gemeinsam etwas für das Dorf bewir- Deutschland ken könnten, wie Schröder und zwischen in der Gegend für ihn, Martin, können nicht miteinan- und manche nennen ihn schon der. Sie kennen sich aus der so- ehrfürchtig, aber auch furcht- zialistischen Vergangenheit zu sam, den „Zar von Torgelow“. gut oder auch schlecht. „Da ist Dennoch sind die harten Da- noch soviel Schutt wegzuräu- ten des Arbeitsmarktes in Torge- men“, sagt der Pastor, „mensch- low – noch immer rund 30 Pro- lich knirscht es.“ zent Arbeitslose – heute nicht Auch in Torgelow gab es nach besser als im verschlafenen Du- der Wende erst mal Knatsch. cherow.Anderswo wäre der Jam- Zusammengebrochen war die mer groß – nicht so in Torgelow. Gießerei, die in den Zeiten Eine fast schon irrationale Auf- Friedrichs des Großen mit min- bruchstimmung ist dieses Jahr derwertigem „Raseneisenerz“ über das Städtchen gekommen. die Metallproduktion mitten in Vielleicht ist es nur die Euphorie dem Bauerndorf begonnen hat- vor dem Ende, vielleicht aber ist te. 2000 Menschen verloren ihre es auch jener Schwung, der sich Arbeit, ein Altkader mit unge- Ducherower Pastor Martin: Fröhlicher Tatendrang selbst zum Aufschwung trägt. brochenen Bonzenallüren rui- nierte inzwischen den kümmerlichen Rest- men durch. Mit Krediten wurde renoviert, Oh Torgelow, oh Torgelow, in deinen betrieb mit 80 Leuten. mit Krediten wurde gebaut, aber die strah- Mauern bin ich froh. / Du Ueckerstadt, Der neue Bürgermeister Ralf Gott- lenden weißen Mauern waren eine hohle ich grüße dich, wenn’s anders kommt – / schalk, ehemals Ingenieur der Gießerei und Hülse. Immerhin, es gab noch Dietrich Leh- erschieß ich mich. Synodaler der Evangelischen Kirche, hol- mann. Der hatte sich schon gleich nach der te den Recyclingbetrieb Irut in seine Ge- Wende mit den 70 besten Technikern aus ei- Vor 50 Jahren blickte der Heimatdichter meinde. Doch die Einwohner hielten das nem Kombinat selbständig gemacht, das die Walter Fimm „über’n Zukunftszaun“ und angebliche High-Tech-Projekt nicht ganz Treuhand später als HGS Hausgeräteservice sah „ganz Torgelow ein Lichtermeer“. Zwi- zu Unrecht für eine bessere Mülldeponie bis an den Rand der Pleite privatisierte. schen den schollenschweren Pommern und stimmten es in der ersten Volksab- Lehmann war aus Torgelow, und in einem ringsum im platten Land waren die Leute stimmung der neuen Länder nieder. ökonomisch abenteuerlichen Akt von Lo- von Torgelow immer etwas Besonderes Im Mai 1993 hatten 60 Prozent der Tor- kalpatriotismus verlegte er die Zentrale sei- gewesen. gelower keinen Job mehr oder brachten sich nes schnell wachsenden Imperiums in das Die Eisenarbeiter in den Gießereien hat- nur noch in Arbeitsbeschaffungsmaßnah- Städtchen. Rund 500 Menschen arbeiten in- ten inmitten der Bauernhöfe so etwas wie eine proletarische Tradition begründet. 1930 Die „Denk-Werk-Stadt“ ist das Projekt Lehrer Kumm und seine Mitstreiter da- demonstrierten „2000 Antifaschisten“, so eines Forschers aus dem Siemens-Konzern, gegen haben einen anderen Fördertopf ent- die eiserne Plakette am derzeit wegen Plei- der im eigenen Unternehmen nur als deckt, das EU-Projekt „Terra“ für touri- te geschlossenen Hotel „Deutsches Haus“, Exot geduldet wird. Helmut Volkmann stisch unterentwickelte Randgebiete. Ihr gegen die Nazis – dort, wo 1945 der „Rus- wirbt seit Jahren für seine wolkige Stadt Plan sah auch eine Reparatur der Deiche vor senfriedhof“ errichtet wurde und 1997 der aus bunten Papptafeln mit dem „Hafen – Schröder und Genossen säßen mit ihrer Parkplatz des Ladenzentrums ist. der Erkenntnis“ oder dem „Massiv der Moor-Förderung auf dem trockenen. Doch Der parteilose Bürgermeister Gott- Wagnis-Ideen“ und ihrer virtuellen Hin- Kumm kam in Brüssel nicht durch – Schrö- schalk, den der liberale Ducherower Kumm terwelt aus Multimediamix und Daten- der aber hatte alles „in Papier und Tüten“. eigentlich zu den Seinen zählt, regiert banken. Gerade hatte der Agrarchef die Wiesen- nun einvernehmlich mit der am Ort stärk- Nun kann der in vier Siemens-Jahr- Eigentümer zu einer Versammlung einbe- sten Partei des Demokratischen Sozialis- zehnten ergraute Direktor, der Wert auf rufen, um die unterschriftsreifen Verträge mus (PDS) und ihrer realistisch-sozialen die Berufsbezeichnung „Spinner vom perfekt zu machen – da kam neue Nach- Stadtvertretervorsteherin Marlies Peeger. Dienst“ legt, in Torgelow womöglich erst- richt aus dem unerforschlichen Rat von Als Helfer in der Not hat sich der dyna- mals unter realen Bedingungen Xenia spie- Brüssel. Ducherow sei plötzlich doch för- mische Bürgermeister einen Mann aus dem len. Geistig anspruchsvolle Arbeitslose gibt derwürdig. Für ein Terra-Projekt im Hin- Westen geholt, der gerade für die Komische es hier genug, meint der Bürgermeister, die terland der griechischen Küste bei Saloni- Oper in Berlin ein Musical über die grüne in der Geistesstadt mitwirken könnten. ki war dringend ein Pendant gesucht, denn Heldin Petra Kelly vorbereitet, die „Ope- Denn „die Probleme von heute“, so eine das viele Geld soll ja auch die Zusammen- ra verde“. Manfred Berger ist ein Multi-Kulti-Talent. Erst Werbe- fachmann und Unternehmens- berater, dann freier Journalist für den WDR und Autor von Büchern über den polnischen General-Ministerpräsidenten Wojciech Jaruzelski und die bayerische SPD-Vorsitzende Re- nate Schmidt, hat der unruhige Geist aus dem Wessiland nun die Zukunft von Torgelow in die Hand genommen. Eher zufällig war Berger nach der Wende für eine Reportage in das vergessene Städtchen gera- ten. Nun läßt er seine Verbin- dungen spielen. In den Beirat des von ihm gegründeten „Torgelow- Instituts“ holte er zum Beispiel den Baseler Judaistik-Professor Ernst Ludwig Ehrlich, von dem Berger sagt, er gehe „mit einem Dienstausweis“ im Bundeskanz- leramt ein und aus. Ein Hauch von Größenwahn schwebt über dem Projekt. Wo Schulleiter Kumm*: „Jeder kramt so vor sich hin“ liegt denn Torgelow? Irgendwo im Nirgendwo zwischen dem Abgrund am Volkmann-Weisheit, „sind die Chancen arbeit in Europa beflügeln. Bauernschlau Rande der ehemaligen DDR und dem von morgen“. schlug Schröder einen, wie er selber in zukünftigen EU-Mitglied Polen. Doch noch „Es ist Wahnsinn, was dort gemacht schöner Offenheit sagt, „hinterhältigen gibt es nur einen Fußgängerübergang in wird“, sagt der Ducherower Realschulleh- Kompromiß“ zwischen den Ducherower Richtung des alten pommerschen Zen- rer Kumm – halb skeptisch, halb be- Trocken- und Feuchtfraktionen vor. Die un- trums Stettin bei einer Ortschaft namens wundernd. Auch hier haben sie ja ihr erwartete Nachricht aus Brüssel sollte erst Hintersee. Auf diese Verbindung aber set- Zukunftsprojekt. Eigentlich sind es sogar mal geheimgehalten werden, bis die Ver- zen die Torgelower ihre Hoffnung, auf eine zwei, aber leider schließen sie sich gegen- träge mit dem Zweckverband über das neue Gemeinschaft gen Osten, die für vie- seitig aus. Feuchtgebiet in trockenen Tüchern waren. le in der Region noch bedrohlich wirkt. Es geht um Wald und Wiesen am Haff, Dann könne man sich in Ruhe an die an- Demnächst wird ein deutsch-polnischer die seit einem Deichbruch im November deren Brüsseler Töpfe machen. Risikofonds für junge Unternehmer aufge- 1995 von Überflutung bedroht sind. Der Nicht einmal für diesen einfältigen Kom- legt, und vom kommenden Jahr an soll sich alt-sozialistische Strippenzieher Schröder plott reichte die Eintracht. Natürlich plau- in einer stillgelegten Gießereihalle „Xenia, will daraus nun ein Feuchtbiotop machen derte doch einer die Brüsseler Neuigkeit die Stadt des Wissens“ ausbreiten. Die – mit Hilfe des Zweckverbandes „Peenetal- vorher aus – und schon waren die Gegner „Gastliche“, so das griechische Wort, macht Landschaft“ und reichlich aus Brüssel der nassen Lösung in Aufruhr. So werden das Problem zum Programm, unter dem fließenden Fördermitteln. Die sollen übri- wohl beide Zukunftsprojekte gemeinsam Torgelow leidet, hofft Bürgermeister Gott- gens auch zwei seiner Agrargenossen zu- im Sumpf-Kampf versinken. Lehrer Kumm schalk – „die Lage der randständigen Ge- gute kommen, die im Überflutungsgebiet publiziert derzeit im lokalen Anzeigenblatt biete“.Aus der eigenen Katastrophe einen ihre Wiesen haben. „-Blitz“ eine Serie mit dem pro- kommerziellen Erfolg zu machen, das ist grammatischen Titel „Das Sterben im schon eine kühne Geschäftsidee. * Mit Schülern der Realschule Ducherow. Moor“. ™

der spiegel 44/1997 109