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Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik Von Dr. Albert Kuntzemüller

«Da rauscht das grüne Wogenband Des Rheines Wald und Au entlang, Jenseits mein liebes Badnerland,

(Und hier schon Schweizer Felsenhang.» Gottfried Keller Am 5. Juni 1862 ging es in und der Nachbarschaft des badischen Wiesetales hoch her. Feierte doch die Bevölkerung dies- und jenseits der Grenzpfähle die Einweihung der Eisenbahn Basel-Lörrach-Schopfheim, in der man nach mancherlei unvermeidlichen Hemmungen den Beginn einer engeren Verknüpfung beider Rheinufer miteinander erblickte. Der von der festlich geschmückten Lokomotive «Hebel» geführte Einweihungszug brachte die beiden benachbarten Staatschefs, Bundespräsident Jakob Stämpfli (1820—1879) und Grossherzog Friedrich von (1826—1907), mit ihrem Gefolge nach Schopfheim, wo die Bedeutung der neuen Bahn gebührend gefeiert wurde. Oberst Wilhelm Geigy (1800—1866), der Präsident des Verwaltungsrates der Wiesetalbahn, toastete auf den «edlen, freisinnigen Fürsten, der die Wahrheit Hebt und den Männerstolz vor Königsthronen achtet», und Grossherzog Friedrich führte, auf die Internationalität der Wiesetalbahn anspielend, aus: «Jede erneute Verbindung der Schweiz mit Baden begrüsse ich als ein freudiges Ereignis; segensreiche Folgen müssen daraus entspringen, wenn zwei stamm­ verwandte Völker, deren Interessen nach aussen sich vielfach berühren und deren innere Bestrebungen gleich hohen Aufgaben des staatlichen Lebens zugewandt sind, immer mehr danach trachten, das Band inniger Beziehungen fester zu schlingen 1).» Die schweizerisch-badischen «Beziehungen fester zu schlingen» war in der Tat das Bestreben der beiden Länder, insbesondere seit dem Beginn des Eisenbahnzeit alters, aber die geographischen und territorialen Gegebenheiten erschwerten dies löbliche Beginnen in hohem Masse. Ja, wenn der Rhein auf seinem Laufe zwischen Bodensee und Basel mit der Grenzlinie zusammenfiele, dann wären klare Verhältnisse vorgelegen und die länderverbindenden Brücken­ bauten da, wo es die beidseitigen Verkehrsbedürfnisse erfordert hätten, bald erstellt worden. Da aber an fünf Stellen die Grenze in teilweise recht will­ kürlicher und eigensinniger Linienführung mehr oder minder weit auf das andere Ufer übergreift — in auf das linke, in Stein, Schaffhausen,

1) Grossherzog Friedrich von Baden, Reden und Kundgebungen 1852—1896, Freiburg i. Br. 1901, S. 56 ff. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 399

Eglisau und Basel auf das rechte Ufer (wozu, um das Durcheinander voll zu machen, noch die Exklave Büsingen kommt) —, so' ergaben sich vielfach Schwierigkeiten politischer und wirtschaftlicher Art, die nicht nur der freund­ nachbarlichen Zusammenarbeit hemmend im Wege standen, sondern darüber hinaus unnötige, sicherlich von keiner Seite gewollte Unstimmigkeiten hervor­ riefen. Nicht weniger als fünf Schweizerkantone teilen sich in die schweizerisch- badische Grenze. Von ihnen fühlte sich der Thurgau (Grenzlänge mit Untersee, aber ohne Bodensee, 35,5 km) mit dem Nachbarn um so verbundener, als seine kulturelle und wirtschaftliche Hauptstadt — wenigstens bis 1914 — in Baden lag. Wenn man Basel immer wieder als die Hauptstadt des badischen Wiese­ tales bezeichnet hat, so mit dem gleichen Recht Konstanz als jene des Thurgaus, was gewiss keinerlei Respektlosigkeit gegenüber Frauenfeld bedeuten, sondern lediglich die Feststellung einer unleugbaren Tatsache sein sollte. Das thur- gauische Strassen- und Eisenbahnnetz tendierte bis 1914 unzweideutig nach Konstanz, und in der Gesamtwirtschaft blieb Konstanz mit seinem thur- gauischen Hinterlande jahrzehntelang hindurch in gegenseitigem Geben und Nehmen eng verflochten. So wurde Konstanz mit thurgauischer Milch versorgt, der Thurgau wieder mit Konstanzer Gas. Seit 1914 hat diese Verbundenheit freilich aus Gründen, die männiglich bekannt sind, schwer notgelitten. Der westlich anschliessende Kanton Schaffhausen ist infolge seiner ausschliesslich rechtsrheinischen Lage wie kein anderer auf gute Nachbarschaft angewiesen. Seine Grenze, nicht weniger als 154,1 km lang, ist das Nonplusultra an Verzahnung und Kompliziertheit. «Hier wird die Grenze durch volle 1612 Steine markiert, d. h. durch mehr Steine, als längs der gesamten Grenze gegen Frankreich notwendig geworden sind x).» Als 1840 die Errichtung des badischen Zollausschlussgebietes um Jestetten zur Debatte stand, spielte sogar die Frage eines Eintrittes Schaffhausens in den deutschen Zollverein hinein, die dann — von staatspolitischen Bedenken ganz abgesehen — durch den genannten Zollanschluss wieder völlig in den Hintergrund gerückt wurde. Der Kanton Zürich (Grenzlänge 42,0 km), der mit dem kleinen Gebiet von Eglisau-Rafz auf das rechtsrheinische Gebiet übergreift, sollte in der schweizerisch-badischen Eisenbahnpolitik vor hundert Jahren eine über Gebühr wichtige Rolle spielen, die letzten Endes aus dem alten Antagonismus Zürichs gegen Basel resultierte. Eine in jeder Hinsicht bevorzugte Stellung nahm und nimmt weiterhin der Kanton Aargau ein, nicht nur weil er den längsten unkomplizierten Grenzabschnitt gegen den nördlichen Nachbarn aufweist (72,4 km «Talweg» des Rheines), sondern auch weil er, von der Rhone abgesehen, die wichtigsten schweizerischen Flussläufe mit drei Flussmündungen beherrscht — eine Stellung im schweizerischen Verkehr, die er denn auch nach Möglichkeit auszunützen verstanden hat. Bleiben schliesslich noch die beiden Halbkantone Basel (Grenzlänge 29,7 km) zu erwähnen, von denen die Landschaft in der Kindheitszeit der

1) Geographisches Lexikon der Schweiz 1906, Band IV, S. 638. 400 Albert Kuntzemüller

Eisenbahnen eine ausgesprochen eisenbahnfeindliche Haltung eingenommen hat, während der Stadtkanton * sich seiner trotz der Kleinheit ausschlaggebenden Rolle am Rheinknie stets bewusst geblieben ist. Die beiden Eisen, die er links und rechts des Rheines im Feuer hielt, hat er immer wieder zur rechten Zeit geschmiedet. Man sieht, die Voraussetzungen einer gleichzeitig nationalen wie inter­ nationalen Wirtschafts- und Verkehrspolitik sind zwischen Konstanz und Basel so mannigfach günstig und wieder ungünstig, dass es sich schon lohnen dürfte, einige besonders interessierende Einzelheiten herauszugreifen, zumal im heurigen Winter hundert Jahre seit Eröffnung der ersten badischen Staatsbahn Mann­ heim- (-Basel) und damit auch seit Aufnahme engerer verkehrs­ politischer Beziehungen zwischen dem Grossherzogtum Baden und der Eid­ genossenschaft vergangen sind. * * * Schon im ersten badischen Eisenbahngesetz vom 29. März 1838, Artikel 1, war «die Schweizergrenze bei Basel» als Endpunkt der projektierten Staatsbahn angegeben worden. Der Bau geschah auf Staatskosten, und der Staat übernahm vom ersten Tage an auch den Betrieb 1). Nach anfänglichem Zögern schritt der Bau so schnell vorwärts, dass die Eisenbahn 1845 in Freiburg und 1847 in Schliengen, nördlich des Isteiner Klotzes, angelangt war. Ihre Einführung in Basel erheischte langwierige Verhandlungen, die wohl glatter verlaufen wären, wenn nicht störende Opposition von aussen her gegen Basel eingegriffen hätte. Diese Basel wenig geneigte Opposition nahm nicht nur im badischen Wiesetal ihren Ursprung, sondern kämpfte auch aus den Nachbarkantonen Aargau und Zürich gegen Basel an, das man gerne beiseite geschoben hätte und durch den Anschluss an die Strassburg-Basler Eisenbahn (1844) zunächst saturiert glaubte. Im Wiesetal hoffte man auf eine direkte Führung der Staatsbahn um Basel herum nach Lörrach, ohne sich über die technische Möglichkeit einer solchen Trasse ernsthaft Rechenschaft abzulegen. Dem benachbarten Basel konzedierte man allenfalls eine Seitenbahn von Lörrach aus, weil die Hauptbahn als solche unbedingt über badisches Territorium geführt werden sollte. Ein wertvoller und gewichtiger Bundesgenosse erstand den Wiesetälern wie schon angedeutet alsbald im Kanton Zürich, der hier seinen Eisenbahn- anschluss nach Norden gefunden zu haben schien. Nachdem seine Verhand­ lungen mit Basel über den Bau einer direkten Zürich-Basler Eisenbahn, eines Vorläufers der erst Jahrzehnte später gebauten Bötzbergbahn, an der ab­ lehnenden Haltung der Landschaft wie auch an der für Basel massgeblichen Priorität der Elsässerbahn gescheitert waren, suchte Zürich im Verein mit dem dazwischenliegenden Aargau, dessen es sich auf alle Fälle versichern musste, Anschluss im benachbarten Baden. Mindestens seit 1844, vielleicht sogar schon früher, gingen Verhandlungen zwischen Zürich und über eine Weiter-

1) Abgedruckt bei Dr. Edwin Kech, Die Gründung der grossherzoglich-badischen Staats­ eisenbahnen (Diss. Basel), Karlsruhe 1904, S. 123 ff. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 401

führung der Nordbahn auf badischem Gebiet hin und her, und die Aufnahme der Zürcher Unterhändler in Karlsruhe war eine um so herzlichere, als Baden in Basel zunächst nicht viel Entgegenkommen gefunden hatte und nun wohl meinte, auf dem Umwege über Zürich zum mindesten einen Druck auf das angeblich oder tatsächlich nicht gefügige Basel ausüben zu können. Trotzdem schien es beiden Partnern dabei nicht ganz wohl zu sein: in Zürich hatte man Bedenken, die projektierte Nordbahn allzuweit über ausländisches Hoheits­ gebiet zu führen, und in Karlsruhe, wo man soeben in vorbildlicher Weise den Staatsbahngedanken gesetzlich fundiert hatte, bangte man vor der Inkonsequenz einer solchen Eisenbahnpolitik, die im Begriffe stand, die Fortsetzung der Staatsbahn rheinaufwärt s einer ausländischen Privatgesellschaft zu überlassen. Aber Zürich und Karlsruhe zogen dessenungeachtet einstweilen unentwegt weiter am gemeinsamen Strang — gegen Basel. Als im Frühling 1845 die ersten Projekte einer Hauensteinbahn, die Basel über Ölten mit der übrigen Schweiz verbinden sollte, auftauchten, wurde für Zürich und Baden die Sache dringlich. Eile war geboten. Im Juni weilte eine Zürcher Eisenbahnkommission in Karlsruhe,. und die badischen Zeitungen verfolgten, die Entwicklung der Angelegenheit mit grösster Aufmerksamkeit. «Die von Basel nach Zürich beabsichtigte Bahn — so schrieb die Freiburger Zeitung vom 14. Juni 1845 — wird sich streckenweise durch badische Landes­ teile ziehen; Baden wird und muss unmittelbaren Anteil haben an der grossen Eisenstrasse, die sich von China, Indien und dem ganzen Orient durch Europa nach dem Norden und England ziehen wird.» Wie anderwärts, so knüpfte man auch hier die abenteuerlichsten Erwartungen an die kommende internationale «Eisenstrasse». Tatsächlich sollten die zürcherisch-badischen Verhandlungen bald zu einem scheinbar guten Abschluss kommen. Die am 16. März 1846 gegründete Schwei­ zerische Nordbahngesellschaft erhielt die von Baden erbetene Konzession zum Bau einer Eisenbahn Zürich-Koblenz-Waldshut-Säckingen bis zu einem End­ punkt «in der Gegend des Grenzacher Horns» zum Anschluss an die badische Staatsbahn bei Haltingen. «Demnach schien Basel einfach umgangen zu werden 1).» Noch bevor die Zürich-Badener Eisenbahn dem Verkehr über­ geben worden war (7. August 1847), erfolgte der Abschluss des zürcherisch- badischen Vertrages vom 18. Juni 1846, worin sich die Nordbahngesellschaft zum Bau der genannten Linie über Waldshut-Säckingen innert drei Jahren verpflichtete, wenn sie nicht eine Konventionalstrafe von Fr. 300,000 riskieren wollte. Basel war völlig in den Hintergrund gedrängt worden, und Zürich hatte die Parole. Noch viele Jahre später, in den Verhandlungen der Zweiten Badischen Kammer 1851/52, wurde offen einer «Kopfstation Haltingen» bei Basel das Wort geredet und die Regierung ersucht, « die Bahn von Haltingen bis Waldshut fortzubauen, um dieser Bahn durch Verträge eine ununterbrochene Verbindung

1) Paul Burckhardt, Die Geschichte der Stadt Basel von der Trennung des Kantons bis zur neuen Bundesverfassung 1833—1848, I. Teil, 90. Neujahrsblatt, herausgegeben von der Gesellschaft zur Förderung des Guten und Gemeinnützigen, 1912, Basel, S. 96. 27 402 Albert Kuntzemüller mit Zürich zu vermitteln» 1). Ob nun als badische Staatsbahnlinie oder als Linie der schweizerischen Nordbahngesellschaft — die Umfahrung Basels und Richtung gegen Zürich schien beschlossene Sache. Der Stadtkanton hatte damals, wie es scheint, wenig Freunde. Was von Baden im Verein mit der Nordbahngesellschaft in Haltingen geplant wurde, wiederholte sich linksrheinisch von landschaftlicher Seite nicht minder un­ freundlich gegenüber Basel-Stadt. Wenn schon eine Eisenbahn von Zürich oder Ölten her durchs Baselbiet führte — so argumentierte man hier —, dann sollte sie auf dem Birsfeld haltmachen und die Stadt selbst meiden. «Hier auf freiem landschaftlichen Boden solle eine Stadt erstehen, die im Handel und im Wohl­ stand mit dem verhassten Basel wetteifere 2).» Der Beschluss des Landrates vom 22. April 1846 sanktionierte diese, kuriose Eisenbahnpolitik noch aus­ drücklich. Indes, die Verhältnisse waren stärker als solche abenteuerliche Projekte. Der basellandschaftliche Plan einer Meidung Basels misslang, und der zürcherisch- badische Vertrag vom 18. Juni 1846 blieb gleichfalls unausgeführt. Glücklicher­ weise, so kann man nur sagen. Schon der Umstand, dass der Nordbahngesell­ schaft ein Bahnbau von ca. 60 km Länge im Ausland übertragen wurde, mochte Bedenken erregen, zumal der Gesellschaft doch im Inland ein weites noch ungenütztes Betätigungsfeld offen zu stehen schien. «Durch eine badische Rheintalbahn wird Zürich gleichsam aus der Schweiz herausgerissen», meinte ein Flugblatt der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. Juni 1845 nicht zu Unrecht. Auch der badische Partner fand bald keinen Gefallen mehr an dem Vertrage, wenn er sich seine Folgen näher überlegte. So kann man es verstehen, dass die Landstände, denen der Vertrag zur Genehmigung vorgelegt werden musste, sich ablehnend verhielten, weil sie, von prinzipiellen Bedenken abgesehen, eine Fortsetzung der badischen Staatsbahn gegen den Bodensee dadurch auf lange Zeit vereitelt glaubten. Wenn die Nordbahngesellschaft von Waldshut links­ rheinisch gegen Romanshorn weit erbaute, wovon bereits ganz offen die Rede war, dann war es um Konstanz und seine Verbindung mit dem übrigen Baden geschehen. So fiel der Vertrag schliesslich unter den Tisch. Es entbehrt nicht des Reizes, sich zu überlegen, was wohl geschehen wäre, wenn die beiden Vertragspartner ihren ursprünglichen Willen durchgesetzt hätten. Zweifellos wäre die schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik der kommenden Jahrzehnte wesentlich andere Wege gegangen und mancher An­ schluss anders gestaltet worden. Sicherlich hätte aber Basel die «Umfahrung» irgendwie wettzumachen gesucht und wohl auch wettgemacht, weil die badische Staatsbahn letzten Endes eben doch auf die Stadt am Rheinknie angewiesen war und sie auf die Dauer nicht ungestraft beiseite liegen lassen konnte. Dazu

1) Verhandlungen der Stände Versammlung des Grossherzogtums Baden 1851/52, Zweite Kammer, 6. Beilagenheft, S. 233 und 274; ferner Archiv für Eisenbahnwesen (Berlin) 1940, Zur Säkularfeier der badischen Staatsbahn, S. 676; ferner Albert Kuntzemüller, Die badischen Eisenbahnen, Freiburg i. Br. 1940, S. 29. 2) 90. Neujahrsblatt, herausgegeben von der Gesellschaft zur Förderung des Guten und Gemeinnützigen, Basel 1912, S. 97. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 403

kam die unsichere Haltung des Kantons Aargau, der mit der Nordbahn von Anfang an wenig zufrieden schien. Es kostete diese «ziemliche Mühe und lange Unterhandlungen, mit einem Kanton sich auseinanderzusetzen, der, seine günstige geographische Lage ausnützend, den längsten Parcours auf eigenem Boden zu verbinden trachtete, mit dem geringstmöglichen finanziellen Engage­ ment, es sei denn, dass es sich um den Lieblingswunsch einer Bötzbergbahn handelte» 1). Tatsächlich verhielten sich die Aargauer den zürcherisch-badischen Plänen gegenüber ziemlich reserviert. Ihre ablehnende Haltung gegenüber Baden «begründeten sie mit der etwas gewagten Behauptung, dass der Anschluss nicht populär sei, da die grossherzoglich-badische Regierung sich stets in ihren nachbarlichen Verhältnissen zur Schweiz wenig wohlwollend, ja geradezu feindselig gezeigt habe» 2), ein Vorwurf, der den Tatsachen kaum entsprach. Für die zögernde Haltung des Aargaus war es bezeichnend, dass Zürich erst mit einer Glattalbahn drohen musste, «wodurch der Kanton Aargau in die Gefahr kam, abgefahren zu werden», um VOD ihm Konzessionen zu erhalten. Wenn Brugger auf Grund solcher Geschehnisse darüber Klage führt, «welche Hindernisse die souveränen Kantone grösseren internationalen Werken be­ reiteten» 3), so mochte in diesem einen Spezialfall das Zögern Aargaus bis zu einem gewissen Grade berechtigt sein. Jedenfalls trug es am Scheitern der zürcherisch-badischen Pläne von 1846 mit Schuld, und insofern hatte es seine Berechtigung. Der badischen Staatsbahn blieb danach nichts übrig, als sich nun doch mit Basel zu verständigen. «Wenn Basel damals — es war dies wohl der gefähr­ lichste Abschnitt in seiner ganzen Eisenbahngeschichte — nicht doch um­ fahren worden ist, so dankte es das durchaus nicht seiner Tätigkeit, sondern einzig und allein seiner zu keiner Zeit durch keine Regierungs- und Volks­ dummheiten zu verwüstenden geographischen Lage, es dankt es dem Um­ stände nur, dass man es einfach in die Rheintalbahn als eine der für diese unentbehrlichsten Stationen aufnehmen musste », so schreibt Paul Siegfried nicht zu Unrecht im Basler Neujahrsblatt von 1925 (S. 50). Die Zeitläufte schienen zu Verhandlungen freilich wenig angetan. In Baden gärte es wie in Basel, die Fackel der Revolution loderte. Hüben wie drüben wurde scharf geschossen. Missernte, Hungersjäh r und Revolution lähmten auch den Eisenbahnbau, so dass die letzten paar Kilometer der badischen Hauptbahn vom Isteiner Klotz bis zur Grenze nur bruchstückweise voranschritten. Immerhin, neue Verhand­ lungen — teils direkt, teils über Bern, das sich auf Grund der Bundesverfassung von 1848 und des in Vorbereitung befindlichen Eisenbahngesetzes von 1852 eingeschaltet hatte — mit Basel führten zum Abschluss des auf lange Zeit richtunggebenden schweizerisch-badischen Staatsvertrages vom 27. Juli 1852 (am 17./21. März 1853 von den eidgenössischen Räten ratifiziert) und der basel-badischen Übereinkunft vom 19. Februar 1853. Beide Partner hatten

*) Alfred Luz, Die Anfänge der schweizerischen Nordostbahn bis zur Vollendung des Stammnetzes 1852—1859 (Diss. Univ.), Zürich 1932, S. 96. 2) Max Brugger, Zürcherische Eisenbahnpolitik (Diss. Freiburg), Freiburg 1909, S. 35. 3) Brugger, a. a. O., S. 39. 404 Albert Kuntzemüller

schliesslich Konzessionen machen müssen, um zu einem für beide Teile er- spriesslichen Ziele zu kommen. Der noch heute rechts- und man möchte fast sagen mustergültige Staats­ vertrag vom 27. Juli 1852 mit der «nachträglichen Erklärung» vom 11. August 1852 trägt schweizerischerseits die Unterschrift des Basler Nationalrats Achilles Bischoff, badischerseits vom grossherzoglichen Ministerresidenten bei der Eid­ genossenschaft Freiherrn Christian von Berckheim. Danach überliess die Eid­ genossenschaft «unter ausdrücklicher Wahrung ihrer Hoheitsrechte sowie der­ jenigen der Kantone Basel-Stadt und Schaff hausen» Baden den Bau seiner Staatsbahn durch die genannten Kantone «in der Weise, dass dieselbe in ihrer Gesamtheit zwischen und dem Bodensee als eine einzige ununter­ brochene Hauptbahn fortgeführt werde». (Art. 1). Gleichzeitig garantierte die Eidgenossenschaft Baden «den ungestörten und unbehinderten Betrieb» (Art. 9) auf ihrem Gebiet. Demgegenüber verpflichtete sich Baden, «auf den Bahnstrecken schweizerischen Gebietes den Betrieb ununterbrochen wie auf den zunächst gelegenen Strecken badischen Gebietes auf ihre Kosten ausüben zu lassen» (Art. 10). Weitere Artikel regelten die Steuerfreiheit (11), die sechzig Jahre später abgelöst wurde, die Transitgebühren (12), Rechte und Pflichten der beidseitigen Zoll- und Postverwaltungen (17 ff.), die Handhabung der Polizei (23 ff.) und schliesslich die schwierige Materie der eventuellen Militär­ transporte (32), die mit ganz besonderer Sorgfalt behandelt wurde. Ein Rück­ kauf war «nach vorausgegangener fünfjähriger Kündigung, jedoch keinesfalls vor Ablauf eines 25jährigen Betriebes», möglich (38). Im ganzen genommen konnte der Vertrag beide Teile befriedigen; die Unterhändler hatten sich ihrer schwie­ rigen Aufgabe gewachsen gezeigt. Vielleicht ist es deshalb auch kein Zufall, dass manche seiner Bestimmungen späteren ähnlichen Verträgen zum Vorbild dienten, so z. B. der «convention ferroviaire entre FArgentine et la Bolivie» vom 11. Dezember 1902 *). Am 20. Februar 1855 wurde der «badische Hauptbahnhof» in Kleinbasel eröffnet. Ein Anschluss an das Schweizer Eisenbahnnetz, etwa an die Schweizer Centralbahn (S. C. B.), war damit indessen noch nicht hergestellt, da eine Schienenverbindung über den Rhein fehlte. Der erste schweizerisch-badische Anschluss kam überhaupt nicht in Basel zustande, sondern wenige Jahre später inWaldshut — eine verkehrsgeographische Kuriosität, von der man sich auf beiden Seiten viel versprach, in der Folgezeit jedoch in gleicher Weise sich enttäuscht sah. Auf Grund eines am 26. August 1857 abgeschlossenen weiteren Staatsvertrages sollte eine Eisenbahn von Waldshut nach Turgi, mit festem Rheinübergang Waldshut-Koblenz, erbaut werden, nachdem die badische Staatsbahn 1856 bis Waldshut und die schweizerische Nordostbahn in gleicher Zeit bis Turgi-Brugg gelangt war.

x) Société des Nations (Organisation des communications et du transit), Régime juridique et administratif des tronçons frontaliers de lignes de chemin de fer et des gares de raccorde­ ment, Genève 1935, S. 10, 19 und 34; ferner Placid Weissenbach, Das Eisenbahnwesen der Schweiz, IL Teil, Zürich 1914, S. 112 ff. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 405

Die Eile, mit der beide Partner abschlössen, mochte verdächtig sein. Tat­ sächlich hatte Baden nicht ohne Grund seinen Bahnbau von Basel rhein- aufwärts beschleunigt und die Nordostbahn nach anfänglichem Zögern gleich­ falls von Baden aareabwärts weitergebaut. Eine Erinnerung an die alten zürcherisch-badischen Beziehungen klang allenthalben leise hindurch. Hatte man Basel zwar nicht umfahren können, so wollte man es doch nicht zur schweizerisch-badischen Transitstation erheben, sondern das kleine Waldshut an seine Stelle setzen. So wurde der Aargau zum Schweizer Torwächter, hinter dem das mächtige Zürich sekundierend stand. Basel hatte zwar links und rechts des Rheines seine Eisenbahn, aber die beiden Königskinder konnten zueinander nicht kommen, das Wasser (des Rheines) war viel zu tief. Am 18. August 1859 wurde die erste schweizerisch-badische Eisen­ bahn Waldshut-Koblenz eröffnet. Eine unmittelbare Schienenverbindung reichte nunmehr von der badischen Staatsbahn über die Waldshuter Rhein­ brücke bis Zürich, Chur, Romanshorn und Bern. Ideal war diese Verbindung gerade nicht, auch wenn Waldshut von badischer Seite noch nach Jahren immer wieder als «die Pforte des deutsch-italienischen Verkehrs» gepriesen wurde 1). Der Seitenhieb auf Basel war zu offensichtlich, als dass man nicht hätte stutzig werden müssen. Hatte somit Waldshut Basel zwar zunächst den Rang abgelaufen, so stand doch von Anfang an fest, dass der grosse Nordsüd­ verkehr durch die Schweiz sich auf die Dauer eine andere «Pforte» suchen musste als ausgerechnet Waldshut, für das alle verkehrsgeographischen Voraus­ setzungen hierfür fehlten. Eine Kleinstadt von vielleicht 2000 Seelen, ohne wesentliche Siedelung auf dem Gegenufer, am Steilhang eines wenig verkehrs­ freundlichen Gebirges gelegen, konnte niemals eine internationale Wechsel­ station mit den dazugehörigen ausgedehnten Anlagen wefden. Hätte man nun aber glauben wollen, dass nach Waldshut wenigstens als zweites schweizerisch-badisches Eingangstor Basel folgen werde, so sollte man sich abermals täuschen. Dieser zweite Anschluss erfolgte nämlich in Seh aff­ li au s en (13. Juni 1863), wohin schweizerischerseits die sogenannte Rheinfall­ bahn Winterthur-Schaffhausen 1857 gelangt war und badischerseits die Hoch- rheinbahn Basel-Waldshut nunmehr hinstrebte. Verhältnismässig schnell hatte die badische Staatsbahn von Basel aufwärts ihre Fortsetzung gefunden: am 4. Februar 1856 war Säckingen, am 30. November des gleichen Jahres Waldshut erreicht; es ging wirklich im Schnellzugstempo. Mit dem Weiterbau durch den Kanton Schaffhausen nach Singen-Konstanz verlangsamte sich das Tempo freilich zusehends, da hier eine grössere, nicht weniger als 29 km lange Strecke über ausländisches Territorium gebaut werden musste — bis heute die weitaus längste Auslandstrecke einer Eisenbahn 2).

a) Verhandlungen der Ständeversammlung des Grossherzogtums Baden 1869/70, Zweite Kammer, 6. Beilagenheft, S. 542. 2) Albert Steinegger, Entstehungsgeschichte des schaffhausischen Eisenbahnnetzes, Schaff­ hausen 1934, S. 38 ff. und 113; ferner Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen (Berlin) vom 8. April 1914. 406 Albert Kuntzemüller

Über die politischen und technischen Einzelheiten dieses. Baues sei auf frühere Darstellungen verwiesenx). Schon Art. 38 des Staat s Vertrages vom 27. Juli 1852 hatte die für Baden peinliche Tatsache unterstellt, dass «es als unausführbar erscheint, die Bahnstrecke ober- und unterhalb Schaffhausens auf ausschliesslich badischem Gebiet in Verbindung zu setzen». Trotzdem wurde auch nach Vertragsabschluss von den badischen Gemeinden der Nachbar­ schaft immer wieder versucht, eine den Kanton umgehende Trasse ausfindig zu machen, ein Versuch, der juristisch wie technisch zum Scheitern verurteilt war, juristisch, weil sich Baden zum Bau durch den Kanton bereits verpflichtet hatte, technisch, weil die Oberflächengestaltung der Wutachgegend einem Eisenbahnbau mehr als abhold war. Bekanntlich ist die sogenannte strategische Umgehungsbahn Waldshut-Immendingen viel später (1890) nur mit un­ geheurem Kostenaufwand und im Widerspruch zu jeder verkehrsgeographischen Überlegung schliesslich doch gebaut worden. Für eine Hauptbahn aber kam nur die Route über Schaff hausen in Frage. Nachdem der Bau trotz ungünstigen Terrains kaum drei, die Verhandlungen zuvor aber mehr als vier Jahre gedauert hatten, konnte am 13. Juni 1863 die Linie Waldshut-Schaffhausen-Konstanz dem Verkehr übergeben werden. Auch diesmal war es schweizerischerseits die Nordostbahn, die den internationalen Anschluss vermittelte. Fast ein volles Jahrzehnt, von 1863 bis 1871, verstrich ohne irgendwelchen weiteren Konnex. Kurz zuvor, im Sommer 1862, war noch die Wiesetalbahn Basel-Schopfheim , von deren Einweihungsfeier eingangs die Rede gewesen, eröffnet worden; doch bedeutete sie trotz ihres internationalen Charakters so lange keine schweizerisch-badische Eisenbahnverbindung, als der badische Bahn­ hof in Kleinbasel des Anschlusses an das linksrheinische Bahnnetz entbehrte. In Waldshut und Schaffhausen funktionierten die Anschlüsse während­ dessen nicht übel; von einem intensiven direkten Verkehr war freilich auch hier nirgends die Rede. Lediglich je ein schweizerisches und badisches Schnellzugs­ paar schlössen in S chaff hausen aneinander an, aber ohne Wagendurchlauf. In Basel klaffte indes die Eisenbahnlücke zwischen den beiden Hauptbahnhöfen nach wie vor. Bevor man endlich daran ging, diesen sozusagen in der Luft liegenden, weil naturgegebenen Anschluss herzustellen, sollte Konstanz zur dritten schweizerisch-badischen Transitstation ausgebaut werden. Die Lücke hier war bescheiden genug, nur 1200 Meter betrug die Entfernung zwischen der badischen Station Konstanz und der Nordostbahnstation Kreuzungen. Auf Grund des Staatsvertrages vom 10. Dezember 1870 — am 23. Dezember von den Räten ratifiziert — wurde die Nordostbahn ermächtigt, ihre Seetalbahn über die nur 490 Meter lange Strecke auf badischem Territorium in den Bahnhof Konstanz einzuführen. Schon am 1. Juli 1871 fand die Eröffnung statt. Auf Waldshut und Schaff hausen war somit Konstanz gefolgt. Ein schwieriges Problem ergab sich nicht zuletzt aus der Verwirklichung dieses Anschlusses für Konstanz und Baden. Schon zuvor waren dank der willkürlichen Grenzziehung die Raumverhältnisse des Bahnhofs Konstanz sehr

x) Steinegger, a. a. O., S. 38 ff., und Kuntzemüller, a. a. O., S. 54 ff. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 407

beengt gewesen; sie wurden unhaltbar in dem Augenblick, wo diese neue Linie eingeführt werden sollte. Mitten durch seine Geleiseanlagen zog die Grenze. Es bedurfte jahrelanger Verhandlungen zwischen der Schweiz und Baden sowie indirekt mit dem Reiche, bis dieser territoriale Schönheitsfehler einigermassen ausgemerzt war. Im schweizerisch-badischen Staatsvertrag vom 28. April 1878 erfolgte der dringend nötige Geländeaustausch, der wenigstens die störendsten Hemmungen beseitigte. Wie unbefriedigend und für Wirtschaft wie Verkehr gleich lästig die Verhältnisse hier liegen, mag der Tatsache entnommen werden, dass von alters her bis in die neueste Zeit hinein immer wieder Grenzberichti­ gungen vorgenommen werden mussten. So existieren Verträge darüber zwischen Konstanz und dem Thurgau aus dem Jahre 1685 und 1786, vom 28. März 1831, der hier genannte vom 28. April 1878 und ein letzter vom 21. September 1938. Dabei beträgt die ganze Grenzlänge von Ufer zu Ufer nur 2,6 km. Es war gut, dass sich unterdessen auch in Basel die «feindlichen Brüder» langsam einander näherten. Sonst hätte es tatsächlich geschehen können, dass das weitaus wichtigste schweizerisch-badische Eingangstor ausgerechnet als letztes eröffnet worden wäre, da hinsichtlich Singen auch schon hin und her verhandelt ^ wurde. Über der sogenannten Basler Verbindungsbahn waltete allerdings von Anfang an ein widriges Geschick. Erst hatte Baden nach Ein­ führung seiner Staatsbahn in Basel (1855) auf einen direkten Anschluss hin­ gearbeitet, zumal es reichlich spät, volle zehn Jahre nach der Elsässerbahn, den Stadtkanton erreicht hatte, während Basel weniger darauf bedacht schien. Dann wieder glaubte Baden, in Waldshut den ersehnten Anschluss gefunden zu haben (1859), während Basel sich nunmehr der Möglichkeit des Abgefahren­ werdens gegenübersah und daher auf den badischen Anschluss drängte. «Die badische Verwaltung war in der Lage, zuwarten zu können, und benützte diesen Vorteil in vollem Masse 1).» Die Rollen waren also gerade vertauscht und das Interesse umgekehrt. Üble, im Kriege 1870/71 von beiden Seiten gemachte Erfahrungen hinsichtlich der bestehenden Lücke führten glücklicherweise dazu, dass Basel und Baden die Unhaltbarkeit des derzeitigen Zustandes einsahen und seine Beseitigung beschleunigten. Bereits am 23. November 1869 war eine «Über­ einkunft zwischen der Verwaltung der grossherzoglich-badischen Eisenbahnen und der Verwaltung der S. C. B. betreffend den Bau und Betrieb einer Ver­ bindungsbahn zwischen dem badischen Bahnhof in Kleinbasel und dem Bahnhof der S. C. B. in Grossbasel» zustande gekommen, auf Grund deren dann die nur 4,9 km lange Verbindungsbahn gebaut werden konnte 2). Der Bau einschliesslich der festen Rheinbrücke wurde unter finanzieller Beteiligung der badischen Staatsbahn von der S. C. B. ausgeführt und am 3. November 1873 die Ver­ bindungsbahn alsdann eröffnet. Sie wird seither von beiden Verwaltungen, damals der S. C. B. und der badischen Staatsbahn, heute von den S. B. B. und der D. R. B., gemeinsam betrieben.

1) Ratschlag betreffend die Konzession für eine Verbindungsbahn zwischen beiden Bahn­ höfen, dem Grossen Rat vorgelegt den 21. Februar 1870, S. 6. 2) Archiv für Eisenbahnwesen 1939, S. 103 ff., Die Basler Verbindungsbahn. 408 Albert Kuntzemüller

Diese Basler Verbindungsbahn gehört zu den merkwürdigsten Strecken des europäischen Eisenbahnnetzes. «Eine Gemeinschaftsstrecke im landläufigen Begriffe des Wortes ist sie nicht, da sie nicht zu gleichen Rechten gemeinsam erbaut wurde, im Betriebe ihre Besonderheiten aufweist und im Grunde ge­ nommen trotz ihres internationalen Charakters lediglich eine innerstädtische Eisenbahnlinie darstellt, die jedoch für den Stadtverkehr selbst gar nicht in Frage kommt; noch heute muss sie im Haushalt und Geschäftsbericht von zwei Verwaltungen geführt werden x).» Sogar bis in die amtlichen Kursbücher von heute spielt ihre Zwitterstellung hinein: im schweizerischen Kursbuch wird sie verwaltungstechnisch im Bezirk der S. B. B., Kreis II Luzern, geführt, im deutschen im Bezirk der R. B. D. Karlsruhe. Zu alledem ist sie eine der dichtest- belegten einspurigen Strecken (1937 wurde sie täglich von rund 30 Schnell­ zügen und 66 Güterzügen befahren, Personenzüge gibt es keine), so dass ihr Ausbau auf Doppelspur längst beschlossene Sache ist. Nur der Krieg hat ihn bisher verhindert. Als ein Zeichen der Zeit, aber kein schönes, mag es angesehen werden, dass die zweite Spur mehr kostet als die erste Bahnanlage vor bald zwei Menschenaltern, rund Fr. 2 675 000 gegenüber Fr. 2 220 000 im Jahre 1873. Als letzte schweizerisch-badische Transitstation folgte nach Waldshut, Schaffhausen, Konstanz und Basel nun noch das schon kurz erwähnte Singen am 17. Juli 1875, nachdem der diesbezügliche Staatsvertrag vom 24. Mai 1873 (von den eidgenössischen Räten schon am 17. Juli 1873 ratifiziert) die Linie Etzwilen-Singen gesetzlich festgelegt hatte. Von allen fünf Übergängen ist Singen bis heute der am wenigsten bedeutende geblieben, obwohl es einmal eine Zeit gegeben hatte, die gerade in der Linie Etzwilen-Singen als Glied der neuen schweizerischen Nationalbahn eine wichtige Zubringerstrecke zur Trans­ versale Bodensee-Genfersee erblicken wollte. Über die Bedeutung einer be­ scheidenen Lokalbahn mit leidlichem Verkehr ist sie aber niemals hinaus­ gekommen.

Damit waren sämtliche fünf schweizerisch-badischen Eingangstore geöffnet, fc durch die nunmehr — dem wirtschaftlichen Aufschwung Mitteleuropas gegen die Jahrhundertwende entsprechend — ein mehr oder minder starker Personen­ verkehr und Warenaustausch fluten konnte. Basel stand und steht unbestritten an der Spitze, es folgen Schaff hausen und Konstanz mit je einer internationalen Schnellzugslinie, während das einst so protegierte Waldshut nebst Singen mit nur zweitrangigen Zugs Verbindungen vorlieb nehmen muss. Der Vollständigkeit halber seien hier noch die weiteren ergänzenden Bahn- bauten in Konstanz und Schaffhausen in Kürze dargestellt. In Konstanz war schon 1875 gleichzeitig mit der erwähnten Seetalbahn die Linie Etzwilen- Kreuzlingen-Konstanz eingeführt worden. Als Privatbahn kam dann 1911 die Mittel-Thurgau-Bahn Wil-Weinfelden-Konstanz hinzu, doch beschränkte sich der Verkehr beider Linien auf einen bis 1914 ziemlich regen Lokal- und Regional-

i) Ebenda, S. 118. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 409

verkehr. Für den schweizerisch-deutschen Durchgangsverkehr kommen sie heute kaum in Frage. In um so höherem Masse ist das jedoch bei der 1897 in Schaffhausen ein­ geführten Linie Eglisau-Schaffhausen der Fall, während die 1895 eröffnete Linie Etzwilen-Schaffhausen wiederum nur eine personenzugbefahrene Strecke geblieben ist. Die Eglisau-Schaffhauser Linie hat freilich ein höchst merk­ würdiges Schicksal gehabt. Einst von einem prominenten sachverständigen Magistraten, Bundesrat Welti, als Durchgangslinie Goldau-Zug-Zürich-Eglisau- Schaffhausen eine «nationalökonomische Verschwendung» geheissen1), hatten die massgebenden schweizerischen Kreise endlich doch ihre Bedeutung als nördliche Zufahrt zum Gotthard erkannt und den Bau gegen vielerlei Wider­ stände durchgesetzt. Diese letzteren spiegeln sich schon in den Eröffnungsdaten der Linie, deren Einheitlichkeit damals völlig illusorisch war, wider: Zürich-Oerlikon : 26. Juni 1856 6 km Oerlikon-Bülach: 1. Mai 1865 15 » Bülach-Eglisau : 1. August 1876. 6 » Eglisau-Neuhausen: 1. Juni 1897 = 18 » Neuhausen"-Schaff hausen : 16. April 1857 3 » Zürich-Schaffhausen : 1. Juni 1897 48 km

Da Eglisau-Schaffhausen zu den unglückseligen sogenannten «Mora­ toriumslinien» der Nordostbahn gehörte — eines der bedenklichsten Kapitel der gesamten schweizerischen Eisenbahngeschichte —, nimmt es nicht wunder, dass ihr Bau dermassen verzögert wurde 2). Dass die Strecke auf über 8 km das ehemalige badische Zollausschlussgebiet, also deutsches Territorium, durchquert, gestaltete ihren Bau und gestaltet ihren Betrieb bis auf den heutigen Tag besonders schwierig. In unruhigen Zeitläufen, wie wir sie leider zu durchleben verurteilt sind, kommen immer wieder Zwischen­ fälle vor, zum mindesten werden besondere Massnahmen fahrplantechnischer oder polizeilicher Natur nötig, die die an sich innerschweizerische Reise zwischen den beiden Kantonshauptstädten unter Umständen mit internationalen Kom­ plikationen belasten. Im amtlichen schweizerischen Kursbuch befindet sich deshalb bei den Stationen Lottstetten, Jestetten und Altenburg-Rheinau seither der Zusatz «Deutsches Gebiet», und die Personenzüge bestehen aus drei Zugteilen: 1. Schaffhausen-Zürich, 2. für Reisende von der Schweiz nach Lottstetten, Jestetten und Altenburg- Rheinau und von diesen drei Stationen nach der Schweiz bestimmt, 3. ausschliesslich für den Verkehr der Stationen Lottstetten, Jestetten und Altenburg-Rheinau bestimmt.

*) Brugger, a. a. O., S. 155. 2) Bulletin des Arbeitgeberverbandes schweizerischer Transportanstalten (Aarau), Nr. 73 vom Juli 1936, S. 1237 ff., Zürich-Eglisau-Schaffhausen, ein merkwürdiges Kapitel schwei­ zerischer Eisenbahnpolitik. 410 Albert Kuntzemüller

Trotz alledem lässt sich die Eglisau-Schaffhauser Linie aus dem schweizerisch­ deutschen Transitverkehr "schlechterdings nicht mehr hinwegdenken. Ja, ihr dürfte darin sogar neben Basel die grösste Bedeutung zukommen — normale friedliche Zeiten natürlich vorausgesetzt. Der Vollständigkeit halber sei als «internationale Linie» noch die Strassen- bahn Basel-Lörrach erwähnt, die zwar keinen Transitverkehr zu bedienen hat, wohl aber die wirtschaftliche und kulturelle Ausstrahlung der Stadt an der Dreiländerecke sichtbar unter Beweis stellt. Sie wurde bis Rieh en-Grenze 1914, bis Lörrach 1919 eröffnet und weist auf badischem Gebiet eine Länge von 2,4 km, wovon 1,8 km doppelspurig, auf1). Damit sind sämtliche Schienen Verbindungen über die schweizerisch- badische Grenze aufgezählt, eine wie man sieht nicht unbeträchtliche Zahl, in ihrem Werte für den grossen Durchgangsverkehr freilich sehr verschieden. Immerhin legen sie für ein rege pulsierendes Leben über die trennenden Grenz­ pfähle hinweg beredtes Zeugnis ab. * *

Angesichts der bereits kritisierten komplizierten Grenzziehung möchte man die seither ausgebauten, vorstehend beschriebenen Eisenbahnlinien als ein im ganzen durchaus befriedigendes Verkehrsinstrument ansprechen, den Bedürf­ nissen des Lokal- wie des Transitverkehrs zu dienen. Und das sind sie auch in der Tat. Wenn man damit andere Landesgrenzen in Mitteleuropa vergleicht, die aus den verschiedensten Gründen nicht entfernt so aufgeschlossen sind wie die schweizerisch-badische am Hochrhein, dann wird man den Unterschied so recht gewahr. Gibt es doch da oder dort Grenzen, die absichtlich von beiden Seiten als Verkehrsschranken angesehen werden und daher keine oder nur unzulängliche Eisenbahnverbindungen aufweisen. So kommt es auch, dass unerfüllte Eisenbahnwünsche an der schweizerisch- badischen Grenze eigentlich kaum übriggeblieben sind. Wohl war gelegentlich nach der Eröffnung der Bötzbergbahn (1875) von einem direkten Anschluss an das badische Eisenbahnnetz bei Säckingen die Rede gewesen; aber die hier projektierte Eisenbahnbrücke ist niemals ernsthaft geplant, geschweige denn realisiert worden. Auch die Bahnlinie Schaffhausen-Beringen-Stühlingen stand in den siebziger Jahren im Mittelpunkt der Debatte, als man, besonders in Baden, in ihr eine neue Zufahrt zum Gotthard wähnte. Die 1905 eröffnete Strassenbahn, die zudem in Schieitheim vor den Grenzpfählen haltmacht, kann kaum als Ersatz gelten. Nur ein einziges schweizerisch-badisches Eisenbahnprojekt ist bis heute auf dem Papier stehen geblieben, dessen Verwirklichung die beidseitigen Verkehrs­ und Wirtschaftsbeziehungen tatsächlich stark hätte beeinflussen können: die sogenannte Randenbahn Schaffhausen-Donaueschingen mit ihren

*) Schweizerische Eisenbahnstatistik 1938, Bern 1940, S. 20. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 411

mehrfachen Varianten der Bibertal- und Hegaubahn. Ihre Geschichte geht auf mindestens ein halbes Jahrhundert zurück. Am intensivsten wurde das Projekt nach Eröffnung der Linie Eglisau-Schaffhausen (1897) um die Jahrhundert­ wende bis gegen den Weltkrieg hin betrieben. Nach Kriegsende flackerte die Bewegung zu ihren Gunsten nochmals auf, ohne indes ein greifbares Resultat zu zeitigen. Heute, wo ein neuer Krieg neue Armut über das unglückliche Europa zu bringen sich anschickt, darf die Randenbahn wohl endgültig als erledigt betrachtet werden. Das ist eigentlich schade, denn es sind im Laufe der Zeit so manche Eisenbahnprojekte verwirklicht worden, über deren Wert sich weit mehr streiten liesse als über jenen der Randenbahn, der an sich kaum bestritten schien, wenn nicht die hohen Kosten gewesen wären. Zweifellos hätte die Randenbahn in ihrer direkten Nordsüdrichtung eine neue ausgezeichnete internationale Verbindung abgegeben. Es fragt sich nur, ob nach dem kostspieligen Bau der Teilstrecke Donaueschingen-Singen der Schwarzwaldbahn die Abkürzung mittels der Randenbahn ihre hohen Kosten gerechtfertigt hätte. Diese Frage wurde von Baden aus begreiflichen Gründen verneint, von Schaffhausen und Zürich aus ebenso begreiflichen Gründen bejaht. Baden fürchtete nicht nur, einen guten Teil seines Parcours zu ver­ lieren, und berechnete die jährliche Mindereinnahme auf zwei Millionen Mark, was zweifellos stark übertrieben war, sondern auch einen unverhältnismässig hohen Kostenaufwand «schmählich zu vertun», während die benachbarte Schweiz, der der Umweg des Nordsüdverkehrs über Engen-Singen allmählich lästig wurde, an dem teuren Bau finanziell weniger beteiligt, an seiner Aus­ führung dafür aber wirtschaftlich um so stärker interessiert war. So wurden denn nach 1900 mehrere Detailprojekte ausgearbeitet, denen allen ein längerer Durchstich des Hohen Randen gemeinsam war. Die Länge der Neubaustrecke schwankte zwischen 34 und 39 km, jene des grossen Tunnels zwischen 5 und 6 km. Was speziell die Schaff hauser Kreise gerade in jenen Jahren immer wieder auf das Projekt zurückkommen Hess, war die Befürchtung, dass einige andere, damals vollendete oder im Bau begriffene direkte und in­ direkte Zufahrten zum Gotthard, wie die Bodenseegürtelbahn, der Ricken, der Hauensteinbasistunnel, der Weissenstein und Moutier-Grenchen die Schaff- hauser Zufahrt vollends lahmlegen würden. Da zudem die badische Staatsbahn im Begriffe stand, den Bahnhof Singen in weitestgehendem Masse auszubauen, glaubte man sie um so eher für das Randenbahnprojekt gewinnen zu können, als ihr dadurch dieser kostspielige Bahnhofumbau erspart bleiben würde. Aber Baden zeigte nach wie vor die kalte Schulter, und auch ein Appell der Schaff- hauser Regierung an den Bundesrat vom 22. November 1909, dass «vom Standpunkte der Gleichberechtigung aller Bundesglieder» neben der Ver­ besserung der Basler Zufahrt durch den Hauensteinbasistunnel und jener der Simplonzufahrt Frasne-Vallorbe auch die Randenbahn aus «Billigkeit und Gerechtigkeit» unterstützt werden sollte, zeitigte keinen positiven Erfolg. Nach dem verlorenen Weltkriege fehlte Baden und dem Reiche, das die Staatsbahnen 1920 übernommen hatte, vollends das Geld. Durch die hinzu­ tretenden Projekte einer Hegau- oder Bibertalbahn wurde die Randenbahn 412 Albert Kuntzemüller

selber nichts weniger als gefördert. Sie ist bis heute Projekt geblieben und wird es, so sehr man es auch bedauern mag, wohl in alle Zukunft bleiben 1). * * * Wie im schweizerisch-badischen Eisenbahnbau, so ergaben sich auch im Betrieb und Verkehr Komplikationen und Hemmungen der verschiedensten Art, wie sie im internationalen Eisenbahnbetrieb und -verkehr nun einmal nicht zu vermeiden sind. In gegenseitigem Einvernehmen, das glücklicherweise an der schweizerisch-badischen Grenze von jeher rechtens war, lassen sie sich freilich fast alle wieder beheben, weil schliesslich jeder Partner ein Interesse an ihrer Beseitigung hat. So hat allein schon der Betrieb über die Grenze wieder­ holt neue Verträge oder Übereinkünfte nötig gemacht, weil die Bahnanlagen erneuert, verlegt oder sonstwie den Bedürfnissen entsprechend umgestaltet werden mussten, wobei manche Frage der Klärung bedurfte, an die man beim erstmaligen Bau gar nicht gedacht hatte. In dieser Hinsicht hat das weitaus umfangreichste Bauobjekt des schwei­ zerisch-badischen Eisenbahnverkehrs, der Badische Bahnhof in Basel, beiden Beteiligten wiederholt schwere Sorge bereitet. Schon bevor die Ver­ bindungsbahn zum Bahnhof der S. C. B. hergestellt war (1873), erwies sich der «badische Hauptbahnhof» als zu klein, und eine am 10. März 1870 zwischen der Kantonsregierung und der badischen Staatsbahn abgeschlossene «Über­ einkunft betreffend die Erweiterung des badischen Hauptbahnhofes und die Erstellung eines Rangier- und Werkstättenbahnhofes auf dem Gebiete des Kantons Basel-Stadt» regelte alle Einzelheiten des Umbaues2). Schon im Jahre 1873 konnte der neue Rangier- und Werkstättenbahnhof eröffnet werden. Anfang der neunziger Jahre begannen dann Verhandlungen zwischen Basel und Karlsruhe über den Umbau des Personenbahnhofes, die sich anderthalb Jahrzehnte hinziehen sollten, weil die Frage seiner Verlegung oder eventuellen Höherlegung scharfe Kontroversen hervorrief. Aus den 1892 auf 7% Millionen Mark geschätzten Kosten wurde bald das Doppelte, dann das Dreifache, und da Rangier- und Güterbahnhof unterdes schon wieder unzulänglich geworden waren, auch das Gesamtprojekt der Verwaltung sozusagen unter der Hand wuchs und wuchs, schliesslich das Fünf-, Sechs- und Siebenfache. Der grund­ legende Vertrag wurde am 15. September 1900 abgeschlossen, nachdem beide Partner über die Notwendigkeit einer Verlegung des Personenbahnhofes in die langen Erlen einig geworden waren. Ein zehn Jahre später (!) abgeschlossener «Nachtragsvertrag» vom 24. Dezember 1910/20. November 1910 regelte die letzten Einzelheiten, nachdem der Bundesrat den Vertrag von 1900 erst nach längerem Zögern und nur «mit Vorbehalten» ratifiziert hatte.

x) Robert Bernhardt, Das Eisenbahnprojekt Donaueschingen-Schaff hausen, Bern 1908, ferner Dr. Carl Spahn, Die Randenbahn, Wirtschaftliche Publikationen der Zürcher Handels­ kammer, Heft 12, Zürich 1913; ferner Steinegger, a.a.O., S. 149 ff. 2) Ratschlag betreffend die Erweiterung des badischen Hauptbahnhofes und die Erstellung eines Rangier- und Werkstättenbahnhofes auf dem Gebiet des Kantons Basel-Stadt, vom 2. Mai 1870. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 413

Die neuen Anlagen, einschliesslich Güter- und Rangierbahnhof, sollten bis Frühling 1905 beendet sein, woraus freilich nichts wurde. Immer noch traf man, selbst während des Baues, weitere Änderungen und Verbesserungen, vor­ nehmlich im Rangierbahnhof, weil das Projekt nicht befriedigen wollte. Nur der neue Güterbahnhof wurde einigermassen pünktlich fertig und am 15. De­ zember 1905 dem Verkehr übergeben, während der neue Personenbahnhof mit einem der schönsten je erstellten Aufnahmegebäude erst am 13. September 1913, der Rangierbahnhof erst am 15. September, 1. und 16. Oktober 1913 in Betrieb genommen werden konnte. Ein Unikum im wahren Sinne des Wortes ist der neue badische Rangier­ bahnhof, der allen Bemühungen zum Trotz weder ausschliesslich auf badischem noch ausschliesslich auf schweizerischem Gebiet erstellt werden konnte, ein Mangel, der sich bis in die technischen Einzelheiten, wie Placierung der Signale, auswirkte. So konnten bestimmte Einfahrsignale nicht nach den sonst selbst­ verständlichen Betriebsrücksichten aufgestellt werden, sondern mussten, um einen Halt vor geschlossenem Signal auf ausländischem Territorium à tout prix zu vermeiden, dementsprechend verschoben werden. Von dem Gesamt­ areal des neuen badischen Bahnhofes im Betrage von 235 ha entfallen 137 ha, ausschliesslich dem Rangierbahnhof dienend, auf reichsdeutsches Gebiet. Die Lage des neuen Personenbahnhofes auf Schweizergebiet zeitigte gleich­ falls manche schwierigen Probleme, meist staatsrechtlicher Natur, auf die wegen Raummangel hier allerdings nicht näher eingegangen werden kann. Es sei nur an die Handhabung der Polizei einschliesslich Bahnpolizei, das gesamte Personalwesen, das Postregal, die Durchführung der komplizierten deutschen Devisengesetze auf Schweizerboden u. a. m. erinnert. Ohne gegenseitigen Takt und gegenseitige Konzessionen ist ein reibungsloser Betrieb in all diesen Be­ ziehungen überhaupt nicht möglich 1). Lange Debatten rief beispielsweise die Einführung der Perronsperre am 1. Mai 1904 hervor, für die man schweizerischerseits in dem Staatsvertrag von 1852 keine rechtliche Handhabe zu finden glaubte. Unglücklicherweise erregte gerade in jenen Wochen und Monaten die jahrelange Verzögerung der badischen Bahnhofumbauten die Basler Öffentlichkeit, so dass angesichts der hinzu­ kommenden «vexatorischen Massregel» der Perronsperre sogar von einer Kündigung des Staatsvertrages gesprochen wurde 2). Nach Eingreifen des eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartements glätteten sich aber die Wogen wieder, und man fand sich mit der neuen Massnahme notgedrungen ab. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so erregte Auseinandersetzungen gab es bei Einführung der deutschen Fahrkartensteuer auf 1. August 1906. Auf schweizerischen Protest hin wurde dann allerdings der auf die schweizerischen Strecken der badischen Staatsbahn entfallende Taxanteil nicht erhoben.

x) Bulletin des Arbeitgeberverbandes schweizerischer Transportanstalten (Aarau), Nr. 89 vom September-Oktober 1938, S. 1548 ff., Die staatsrechtlichen Verhältnisse am Badischen Bahnhof in Basel. 2) Ebenda, Nr. 79 vom Januar-Februar 1937, S. 1337 ff., Aus der Geschichte der Perron­ sperre. 414 Albert Kuntzemüller

Aus der Verschiedenheit der Schweizer und badischen bzw. deutschen Zeit resultierten wiederholte «Unstimmigkeiten», die freilich harmloser als die vor­ genannten Differenzen waren. Vom ersten Tage an, als der badische Bahnhof 1855 eröffnet worden war, stimmte die Bahnhofuhr nicht mit der Basler Ortszeit überein. Sie ging nämlich — entsprechend der Karlsruher gegenüber der Berner Zeit — gegenüber allen andern Basler Uhren jahrzehntelang um vier Minuten vor. Wie mancher Basler Reisende mag damals seinen Zug versäumt haben, wie manche Verwünschung seinen Lippen daraufhin entflohen sein! Und doch war der Bahnbetrieb in jenen Zeiten gemütlicher, obwohl es noch keine mittel­ europäische Zeit (M. E. Z.) gab. Man möchte sich heute fast wundern, dass er bei der Verschiedenheit der Zeiten, die damals alle paar hundert Kilometer wechselten, überhaupt leidlich geklappt, hat. Aber das Tempo war eben doch geruhsamer als in unserer hastenden Zeit. Mit der Einführung der M. E. Z. am 1. April 1893 kam diese unliebsame Zeitdifferenz in Wegfall. Aber der Weltkrieg und auch der gegenwärtige Krieg riefen eine neue hervor, als in Deutschland die sogenannte Sommerzeit monate­ weise eingeführt wurde und in der Schweiz nicht. Man behalf sich seit 1916, wo sie zum erstenmal in Kraft trat, auf den Übergangsbahnhöfen Konstanz, Singen, Schaffhausen, Waldshut und Basel Rbhf. mit einem zweiten (roten) kleinen Zeiger (Stundenzeiger), der die Sommerzeit angab, während im badischen Personen- und Güterbahnhof Basel sowie auf den Stationen Riehen, Thayngen, Herblingen, Neuhausen, In der Enge, Beringen, Neunkirch und Wilchingen- Hallau die M. E. Z. beibehalten wurde. Für die Strecke Erzingen-Gottma­ dingen musste hauptsächlich zur Bedienung des Schul- und Berufsverkehrs jeweils ein neuer Fahrplan erscheinen. Ebenso hat die 24-Stundenzählung, die in der Schweiz schon auf 1. Juni 1920, also viele Jahre vor Deutschland, zur Einführung kam, die Uhren der Bahnhöfe Basel, Waldshut, Singen, Konstanz, Lottstetten, Jestetten, Alten- burg-Rheinau und Arlen-Rielasingen, die von Zügen der S. B. B. befahren werden, vorzeitig mit dem inneren roten Zahlenkreise versehen lassen, während die Uhren der übrigen auf Schweizergebiet liegenden badischen Bahnhöfe mit Ausnahme von Schaffhausen, die nur von badischen Zügen berührt werden, nicht mit der neuen Stundenzählung versehen zu werden brauchten. Als nach 1900 der Badische Bahnhof Basel völlig umgebaut und verlegt wurde, setzte die badisene Staatsbahn unter Berufung auf Art. 13 des Staats­ vertrages von 1852 die zollfreie Einfuhr des dazu benötigten Materials voraus. Der angezogene Artikel wollte aber eine solche nur «für die Herstellung der Bahn sowie für deren Unterhalt und Betrieb» gestatten, so dass die Frage, ob darunter auch der an andere Stelle verlegte Bahnhofneubau falle, zunächst zweifelhaft war und von der Schweiz verneint wurde. Nach langen Verhand­ lungen gelang es aber der badischen Staatsbahn, ihren Standpunkt und damit die zollfreie Materialeinfuhr durchzusetzen. Während des Weltkrieges, vom 31. Juli 1914 bis 13. September 1919, blieb der Badische Bahnhof bekanntlich für jeglichen Verkehr geschlossen. Seine Wiedereröffnung machte zuvor langwierige Unterhandlungen nötig und Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 415 geschah zunächst nur in beschränktem Masse *). Die,Züge der Wiesetalbahn Basel-Zeil mussten danach noch bis zum Winter 1925/26 die Station Riehen in beiden Richtungen aufenthaltslos durchfahren, so dass die Riehener zunächst nur auf die Strassenbahn angewiesen waren, bis die Reichsbahn einzelne Pendel­ züge Basel-Riehen-Basel einlegte. Als am 15. Mai 1935 der traditionelle Name «Badischer Bahnhof» offiziell von der Reichsbahn in «Basel Reichsbahn» abgeändert wurde, stiess die neue Bezeichnung in Basel auf heftigsten Widerstand, nicht nur, weil sie mit einer liebgewordenen Tradition brach, sondern auch weil der Zusatz «Deutsche» vor «Reichsbahn» fehlte, der bei einem unter schweizerischer Hoheit und Polizei­ gewalt stehenden Bahnhofe nicht zu entbehren war. Auf eine kleine Anfrage von Nationalrat Dr. Oprecht erwiderte der Bundesrat u. a., dass «das eid­ genössische Post- und Eisenbahndepartement bei den deutschen Bahnbehörden vorstellig geworden sei, nachdem die Bezeichnung „Basel Reichsbahn" mit den Gewohnheiten der baslerischen Bevölkerung unvermittelt gebrochen und Un­ behagen ausgelöst hat». Der Schritt hatte zur Folge, dass die Reichsbahn An­ fang Dezember 1935 sich bereit erklärte, den seit Mai üblichen Namen «Basel Reichsbahn» in «Basel Deutsche Reichsbahn» umzuändern, was auf dem Bahnhof alsbald und auf den zahlreichen Kurswagen der Schnellzüge auf 15. Mai 1936 geschah. Nach stillschweigender Vereinbarung mit den lokalen Reichsbahnbehörden lauten aber die Wegweiser und Schilder der Basler Strassen­ bahn nach wie vor auf «Badischer Bahnhof»2) und berücksichtigen damit lokale Gewohnheit. Bei dieser Gelegenheit darf darauf hingewiesen werden, dass die da oder dort, z. B. in schweizerischen und deutschen Zeitungen, gelegentlich zu findende Bezeichnung «Reichsbahnhof» sachlich falsch ist. So hat der Bahnhof nie geheissen. Dass diese Bezeichnung sogar in deutschen amtlichen Publikationen ab und zu auftaucht, ändert an der Sachlage nichts. Die offizielle «Statistik der Eisenbahnen im Deutschen Reiche» schreibt z.B. einmal falsch «Reichs­ bahnhof», ein andermal richtig «Basel D. R. B.» 3). Dass viele Reisende noch heute glauben, der Bahnhof liege — seinem ehemaligen und heutigen Namen «Badischer Bahnhof» und «D. R. B.» ent­ sprechend — auf badischem bzw. deutschem Hoheitsgebiet, sei lediglich als Kuriosum und als Beweis für die bedauerliche Tatsache verzeichnet, dass es mit den wirtschafts- und verkehrsgeographischen Kenntnissen der Allgemeinheit gerade nicht zum besten bestellt ist. Wenn freilich sogar in einer angesehenen Fachzeitschrift wie der «Verkehrstechnischen Woche» (Berlin) in einem Aufsatz über «Eisenbahndurchzugsstrecken an Grossdeutschlands Grenzen» die Basler

1) Schweizerisch-deutsches Abkommen d. d. Bern, den 2. September 1919, ferner Noten­ wechsel über die Regelung der Zoll- und Pas9kontrolle in den Zügen der Verbindungsbahn Basel Bundesbahnhof-Badischer Bahnhof vom 7. Januar 1928. 2) Bulletin des Arbeitgeberverbandes schweizerischer Transportanstalten (Aarau), Nr. 70 vom April 1936, S. 1175 ff., Um die Benennung eines Bahnhofes (Basel Badischer Bahnhof). 3) Statistik der Eisenbahnen im Deutschen Reiche, Band 58 A, Geschäftsjahr 1937, Berlin 1938, S. 137 und 39 ff. 416 Albert Kuntzemüller

«Durchzugsstrecke» Weil-Grenzach überhaupt vergessen wird und bei Er­ zingen-Gottmadingen dem Verfasser der Irrtum unterläuft, Kanton und Stadt Schaff hausen miteinander zu verwechseln x), dann mögen wir mit Klagen über mangelndes geographisches Allgemeinwissen vielleicht Heber zurückhalten. Die letztgenannte Strecke Erzingen-Schaffhausen-Thayngen-Gottmadingen hat in Fahrplanfragen, wie schon angedeutet, der badischen Staats- und deutschen Reichsbahn fast noch mehr Kummer bereitet als die kurze Basler Strecke. Als nach Kriegsende im Herbst 1919 wegen Lokomotiv- und Wagenmangel erst der Sonn- und Feiertagsverkehr, dann zehn Tage lang der gesamte Personen­ verkehr auf der badischen Staatsbahn eingestellt werden musste, blieb dieser auf der Strecke im Kanton Schaffhausen und auf der Wiesetalbahn Basel-Zeil un­ verändert bestehen. Ebenso nehmen diese «Auslandstrecken» an innerdeutschen Feiertagen wie am schweizerischen Bundesfeiertag von jeher eine Ausnahmestel­ lung ein. Immer wieder muss die Eisenbahnverwaltung sie gesondert behandeln. In tarifarischer Hinsicht blieb man der Notwendigkeit einer solchen Sonder­ behandlung auf beiden Seiten allerdings so lange enthoben, als die internationalen Währungsverhältnisse stabil waren. Mit dem Abgleiten der deutschen Valuta während und nach dem Weltkriege wurde das anders. Für die badische Staats­ bahn ergab sich daraus die unliebsame Tatsache, dass sie das zahlreiche, in Basel und Schaffhausen stationierte Eisenbahnpersonal in der immer teurer werdenden Schweizer Valuta ausbezahlen musste, während ihre Einnahmen dort grossenteils, namentlich aus dem Personenverkehr, in deutscher Währung eingingen. Dieses Miss Verhältnis hatte die Einführung des sogenanten Franken- zwanges auf dem badischen Personen- und Güterbahnhof in Basel am 1. Fe­ bruar 1920 zur Folge, abermals eine Massnahme, die mancherlei Debatten hervorrief. Die badische bzw. Reichsbahnverwaltung empfand und erlebte gewiss keine reine Freude an ihr, musste sie aber notgedrungen einführen, und die Basler Bevölkerung wieder erblickte in ihr gar eine Schikane. Beide Stand­ punkte hatten ihre subjektive Berechtigung. Auf die Dauer war es natürlich untragbar, dass die Aufwendungen für das Personal zum Parikurs geleistet werden mussten, während die Einnahmen zum jeweiligen, immer weiter sinkenden Tageskurs eingingen. Infolgedessen sah sich die badische Staatsbahn Anfang 1920 einem jährlichen Valutaverlust von 250 bis 300 Millionen Mark gegenüber, also ungefähr gerade so viel, wie sie im Jahre 1919 überhaupt vereinnahmt hatte ! Diese Fehlbeträge sollten nun durch den Frankenzwang ausgeglichen werden. Ideal war die Lösung des Problems gerade nicht, aber niemand wusste eine bessere zu nennen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass bei dem bisherigen Zustand eine Fahrkarte II. Klasse Basel-Frankfurt im Preise von Mark 50, 70 nur Fr. 7, 65 kostete, gegenüber Fr. 29, 65 für die um 100 km kürzere Strecke Basel-Genf, und eine Sendung Basel-Königsberg Fr. 71 gegenüber Fr. 136 für eine solche Basel-Luzern, so waren das in der Tat «Ausverkaufspreise», die nicht aufrechterhalten werden

x) Verkehrstechnische Woche (Berlin), Heft 19 vom 10. Mai 1939, S. 217 ff., Eisenbahn­ durchzugsstrecken an Grossdeutschlands Grenzen, von Dr. iur. utr. Hans Joachim Marschner, Heichsbahnassessor. Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 417

konnten. Auf einer im September 1920 in Karlsruhe stattgehabten Tagung des Bundes deutscher Verkehrsvereine Hess man diese krassen Beispiele nur bedingt gelten und führte als Gegenbeispiel an, dass beim Frankenzwang die Fahrt III. Klasse Basel-Frankfurt rund 250 Mark koste, eine solche II. Klasse Konstanz-Berlin aber nur 220 Mark. Mit der Schaffung der Rentenmark im November 1923 wurde der Franken­ zwang wieder hinfällig, da die beiden Valuten nunmehr stabil blieben. Viele Jahre hindurch konnte nach Belieben in beiden Währungen bezahlt werden, bis nach der Schweizer Abwertung vom September 1936 der Frankenzwang von neuem dekretiert wurde, wobei geringfügige Ausnahmen für Sonntags- und Ausflugsbillette konzediert wurden, soweit diese nicht mehr als 10 Reichsmark kosteten und in deutschem Hart-, nicht Papiergeld bezahlt wurden. Da indes der schweizerisch-deutsche Reiseverkehr nach wie vor nur von bescheidenem Umfange blieb, blieb auch die Massregel praktisch nur von sekundärer Bedeutung. Unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges sollte schliesslich noch eine von Basel nie gern gesehene Bestimmung des Staatsvertrages von 1852 in gegen­ seitigem Einverständnis aufgehoben werden; die Steuerfreiheit des in Basel stationierten badischen Eisenbahnpersonals. Artikel 11 des genannten Vertrages hatte darüber wie folgt verordnet: «Die grossherzoglich-badische Bahnverwaltung hat weder von der Erwerbung der Liegenschaften für die Bahn und ihre Zubehörden noch von deren Eigentum noch von dem Bahn­ betriebe, und ebensowenig haben die Bahnangestellten irgendeine Abgabe,an die schweizerische Bundesregierung zu entrichten.» In gleicher Weise hatte sowohl Artikel IV der basel-badischen Übereinkunft vom 19. Februar 1853 als auch Artikel 5, Absatz 4, der Übereinkunft vom 26. Juni 1860 über den Bau der Wiesetalbahn die Steuerfreiheit ausdrücklich bestätigt. In all diesen Abmachungen war also vom Kanton Basel-Stadt auf seine Steuerhoheit gegen­ über dem zahlreichen badischen Eisenbahnpersonal verzichtet worden, ein Verzicht, der verständlich sein mochte, da es sich zur Zeit des Abschlusses dieser Verträge höchstfalls um etwa 50 bis 100 Beamte gehandelt hatte. Unter­ beamte und Arbeiter kamen voraussichtlich schon gar nicht in Frage, nachdem die badische Staatsbahn im Artikel 28 des genannten Staatsvertrages sich verpflichtet hatte, «auch auf Anstellung schweizerischer Angehöriger Bedacht zu nehmen und die Bahnwärter sowie die übrigen niederen Bediensteten auf schweizerischem Gebiete vorzugsweise aus Schweizern zu bestellen». Im Laufe der Jahrzehnte verschoben sich die Verhältnisse freilich in einem für beide Teile unerwarteten Mass. Einerseits meldeten sich nur relativ wenige Schweizer zum Eintritt in den badischen Eisenbahndienst, so dass ihre Zahl die ganze Zeit über eine bescheidene blieb, andrerseits steigerte sich darüber hinaus die Zahl der badischen Beamten und Angestellten um ein Vielfaches. Im Jahre 1900 zählte man in Basel 374 badische Eisenbahner, 1910 schon 700. Wenn man hierzu die Familienangehörigen rechnet, so ergibt sich eine stattliche vierstellige Zahl von Einwohnern Basels, die der Steuerhoheit des Kantons entzogen blieben. Sein Wunsch auf Ablösung der alten Vertragsbestimmung war also gewiss verständlich. 28 418 Albert Kuntzemüller

Unterdes entrichteten die badischen Beamten und Arbeiter ihre Landes­ steuer, vornehmlich die Einkommensteuer, an den badischen Staat, der sie wie Inländer behandelte und jährlich rund 25 000 Mark Einkommensteuer von ihnen erhob bzw. bei der Gehaltszahlung einbehielt. Dagegen blieben sie von den städtischen Steuern in Baden, der sogenannten Umlage, befreit und ge­ nossen insofern gegenüber allen andern badischen Beamten wie gegenüber allen andern Einwohnern Basels eine gewisse Vorzugsstellung — ein Zustand, der ihnen von mancher Seite begreiflicherweise geneidet wurde und wohl auf die Dauer auch nicht aufrechterhalten werden konnte. So trat die Regierung des Kantons erstmals schon im Jahre 1880 an die grossherzogliche Regierung mit dem Ansuchen heran, entsprechende Ver­ handlungen aufzunehmen. Man konnte sich indes über die zu zahlende Ab­ findungssumme nicht einigen und ging also wieder auseinander. Erst zwanzig Jahre später, im Jahre 1901, folgte ein neuer Annäherungsversuch, der auch beinahe zu einem Resultat geführt hätte. Man war nämlich «nur» noch um 100 000 Mark voneinander entfernt: Basel bot 550 000 Mark, Baden verlangte aber 650 000 Mark. Da beide Partner unnachgiebig blieben, wurden die Ver­ handlungen abermals abgebrochen. Im Jahre 1913 erfolgte ein dritter und letzter Versuch, und dieser sollte endlich gelingen. Das Resultat war die «Übereinkunft zwischen dem badischen Finanzministerium, vertreten durch die grossherzogliche Generaldirektion der Staatseisenbahnen, und der Regierung des Kantons Basel-Stadt wegen Ab­ lösung der Steuerfreiheit der badischen Eisenbahnbeamten mit badischer Staatsangehörigkeit im Kanton Basel-Stadt, d. d. Karlsruhe, den 23. August 1913, und Basel, den 6. September. 1913». Darin verpflichtete sich der Kanton — entsprechend der weiter angestiegenen Zahl der badischen Beamten — zup: Zahlung einer einmaligen Ablösungssumme von 700 000 Mark. Fünf Jahre nach dieser Zahlung, die alsbald nach Abschluss der Übereinkunft erfolgte, trat die Steuerfreiheit der badischen Beamten ausser Kraft (Artikel IV). Der Kanton verpflichtete sich, «sie stets auf gleichem Fusse wie die in Basel steuerpflichtigen Schweizer oder Basler Bürger zu behandeln». Eine Belastung mit Steuern oder steuerähnlichen Abgaben jeder Art als Folge ihrer nichtschweizerischen oder nichtbaslerischen Staatsangehörigkeit sollte für alle Zeiten ausgeschlossen sein. Als steuerlicher Mietwert der zahlreichen Dienstwohnungen in Kleinbasel galt der Betrag der badischen Wohnungsgelder. Artikel VI endlich unterband die Möglichkeit einer Doppelbesteuerung der Beamten und Angestellten. Das badische Finanzministerium verzichtete somit ausdrücklich auf die Einkommen­ steuer. Was andere Abgaben an öffentlich-rechtliche Körperschaften von Kanton und Stadt Basel betrifft, wie z. B. die Kirchensteuer, so sollte hier die Steuer­ hoheit sofort, also nicht erst nach fünf Jahren, in Kraft treten. Die Übereinkunft war für Baden insofern vorteilhafter als für Basel, als sie eine Weiterentwicklung der badischen Personalverhältnisse wie bisher voraussetzte, die dann aber infolge des bald darauf ausbrechenden Weltkrieges ganz andere Wege ging. Dieser Vorteil vergrösserte sich in den späteren Jahren noch in dem Masse, wie Baden seine Beamten und Angestellten aus valut arischen Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 419

Gründen von Kleinbasel nach Weil und Haltingen umsiedelte. Alle Vor­ stellungen von Basler Seite hiergegen blieben fruchtlos, weil aus dem Staats­ vertrag keine Verpflichtung für Baden hinsichtlich der Anzahl der in Basel selbst stationierten Eisenbahner herausgelesen werden konnte. Als nach Ablauf der vereinbarten fünf Jahre die Basler Steuerhoheit endlich in Kraft trat, war nicht nur die Welt eine andere geworden, sondern auch der Personalstand der badischen Beamtenschaft im Abnehmen begriffen. Nach 1933 erfolgten aber­ mals umfangreiche Aussiedelungen insbesondere nach Weil, das seine Ein­ wohnerzahl innert weniger Jahre verdoppelte (1933 4565 Seelen, 1937 bereits 8254) 1). Doch wer hätte das voraussehen können? Nachträglich irgend­ welchen Vorwurf nach irgendeiner Seite darob zu erheben, geht also nicht an. * * * Aus der schweizerisch-badischen Eisenbahnpolitik der vergangenen hundert Jahre wäre vielleicht noch diese oder jene weitere Einzelheit aufzuführen, doch sind wohl die wichtigsten hier alle besprochen worden. Die Darstellung wäre aber unvollständig, wenn nicht des Verhältnisses Badens zur Gotthardbahn wenigstens kurz gedacht würde. Dass die badisene Staatsbahn im Jahre 1872 ihren fähigsten Eisenbahnbauer nach Zürich beurlaubte, um die technische Leitung des Gotthardbahnbaues zu übernehmen, mag vielleicht für die schwei­ zerisch-badische Eisenbahnpolitik nicht von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein; doch hat sich das Wirken des Erbauers der Schwarzwaldbahn, Robert Gerwig, als bauleitenden Oberingenieurs der Gotthardbahn, so tief in die Geschichte dieser Bahn eingegraben, dass hier immerhin darauf verwiesen werden darf2). Andrerseits muss aber die materielle Unterstützung, die Baden dsm Gotthardbahnunternehmen in Gestalt einer à fonds perdu bezahlten Subvention von 3 000 000 Franken angedeihen liess, in einer Darstellung der beidseitigen Eisenbahnpolitik als Zeichen nachbarlicher Verbundenheit und wirtschaftlicher Gemeininteressen sehr wohl rühmend hervorgehoben werden. Beide Hilfeleistungen Badens an die Gotthardbahn, die personelle wie die materielle, bedeuteten eine Tat, deren man hüben wie drüben gerne gedenkt.

Aus dieser «guten alten Zeit», da nachbarliche Hilfe eine Selbstverständlich­ keit war, sei zum Schlüsse noch eine kleine Episode aus der schweizerisch- badischen Wirtschafts- und Verkehrspolitik der letzten hundert Jahre heraus­ gegriffen, wobei der Ausdruck der «guten alten Zeit» ohne jede herabsetzende oder gar verächtliche Nebenbedeutung gemeint ist. Diese Episode zeigt zudem, wie (für die heutige Generation unvorstellbar) eng damals die politisch-wirt­ schaftlichen Beziehungen von Nachbar zu Nachbar gestaltet waren. Von der Eröffnung der badischen Staatsbahn Basel-Waldshut (1856) bis zur Eröffnung der Bötzbergbahn (1875) stand der eidgenössischen Postverwaltung

x) Kuntzemüller, a. a. O., S. 200. 2) Archiv für Eisenbahnwesen 1924, S. 745 ff., Robert Gerwig und die Gotthardbahn. 420 Albert Kuntzemüller für ihren wichtigen inländischen Verkehr Basel-Rheinfelden-Laufenburg im Inlande selbst, keine Bahnverbindung zur Verfügung. Sie war also auf die ausländische, d. h. die badische Eisenbahn angewiesen. Hatte diese doch sogar auf dem rechten Rheinufer «bei Rheinfelden» eigens einen Bahnhof für den gegenüberliegenden schweizerischen Nachbarort angelegt, obwohl auf badischer Seite noch jede Siedelung fehlte. Bis zum 1. Juni 1901, also fast ein halbes Jahrhundert, hiess dieser Bahnhof der badischen Staatsbahn «bei Rheinfelden», eine sonst nicht übliche Stationsbezeichnung. In Voraussicht solcher postalischen Möglichkeiten hatte Artikel 17, Absatz 2 und 3, des Staatsvertrages von 1852 bereits wie folgt stipuliert: «Die gross­ herzogliche Bahnverwaltung hat an die schweizerische Postverwaltung für den dem schweizerischen Postregale unterworfenen regelmässigen Personentransport keine Entschädigung zu entrichten. Nach Herstellung und begonnenem Be­ triebe der Eisenbahn von Basel bis nach Waldshut bzw. Schaffhausen ist sie jedoch verpflichtet, ein schweizerisches Brief-Felleisen von Basel nach Waldshut, von Waldshut nach Schaffhausen und umgekehrt im Gesamtgewichte von einem Zollzentner des Tages nebst einem Kondukteur auf einem Platze dritter Klasse unentgeltlich zu transportieren, auch auf Verlangen der schweizerischen Post­ verwaltung gegen Vergütung von 35 Kreuzer per Meile einen ganzen oder gegen Vergütung von 20 Kreuzer per Meile einen halben vierräderigen Pack­ wagen anzuweisen.» Blättern wir die alten Betriebsrechnungen der badischen Staatsbahn durch, so finden wir vom Berichtsjahr 1856 an in einer Tabelle «Personentransport, getrennt nach den verschiedenen Verkehrsrichtungen», Rubrik «Durchgangs­ verkehr», ein Kapitel betitelt: «Von schweizerischen Postanstalten über die badische Bahn nach der Schweiz.» Darin wird für die Teilstrecken Basel- Rheinfelden und Säckingen-Waldshut in beiden Richtungen die Anzahl der abgegangenen und angekommenen Personen statistisch erfasst, wobei sich für jede der beiden Richtungen naturgemäss eine ungefähr gleich grosse Zahl ergibt. Überwältigend hoch ist diese Ziffer und die daraus erzielte Einnahme zwar nicht, sie kann sich aber unter den «Durchgangsverkehren» wohl sehen lassen. Hier figurieren u. a. die württembergische, bayerische und Main- Neckar-Bahn, die französische Ostbahn, Rundreisebillette und — last not least — also die «schweizerischen Postanstalten». War das nicht wirklich eine «gute alte Zeit» ? Der Basler, Rheinfelder und Laufenburger Postkondukteur stieg mit seinen Postsäcken voll Wertpapieren, Devisen und Banknoten unkontrolliert im Badischen Bahnhof zu Basel ein und aus, fuhr ungeschoren über die Grenze hinüber und herüber und stieg am ba­ dischen Bahnhof «bei Rheinfelden» oder am badischen Bahnhof «Laufenburg», ebenfalls rechtsrheinisch, ein und aus, um sich über die Brücke und Grenze an seinen Bestimmungsort zu begeben, als wenn das alles eine Selbstverständlichkeit wäre. Wahrscheinlich musste er öfter den vertraglich bedungenen halben oder ganzen «vierrädrigen Packwagen» in Anspruch nehmen, weil seine Lasten, etwa zur Festzeit, umfangreicher waren. Immer aber liess man ihn ungehindert passieren, denn Begriffe wie Ein- und Ausreisevisum, Passprüfung, Leibes- Hundert Jahre schweizerisch-badische Eisenbahnpolitik 421

visitation, Devisenkontrolle und ähnliche zweifelhafte «Kriegserrungenschaften» waren damals noch unbekannt. Man kannte sie vielleicht bei Reisen «weit hinten in der Türkei»; im (angeblich) gesitteteren Mitteleuropa sie einzuführen, blieb unserer unglücklichen Generation vorbehalten. Hundert Jahre schweizerisch-badischer Eisenbahnpolitik haben, wie in dieser Darstellung gezeigt wurde, zwar manche unvermeidlichen Hemmungen und Schwierigkeiten mit sich gebracht, aber noch viel mehr positive Gemein­ schaftsleistungen und erfreuliche Verkehrsbeziehungen ins Leben gerufen. Die badische Staatsbahn als schweizerischer Briefbote zwischen schweizerischen Städten jedoch, das war freilich ein Idyll, wert von einem Bodmer oder Voss besungen zu werden — einmal und nicht wieder...

Verzeichnis der badischen Eisenbahnen in der Schweiz und der schweizerischen in Baden (Längen in Metern) a) Badische Staatsbahn bzw. deutsche Reichsbahn in der Schweiz: Weil-Basel-Grenzach 4 495 m Basel-Lörrach-Stetten 5 902 » Erzingen-Schaffhausen-Thayngen 28 961 » Konstanz-Etzwilen 58 » Konstanz-Romanshorn 203 » Zusammen 39 619 m

Dazu folgende Strecken in Basel-Rangierbahnhof: Grenzacherhorn-Rbhf. Gruppe A 3 780 m Basel Güterbahnhof-Rbhf. Gruppe A 1 440 » Basel Rbhf. Gruppe F-Weil Personenbahnhof ...... 2 400 » Basel Rbhf. Gruppe F-Weil 2 400 » Basel Rbhf. Gruppe F-Grenzacherhorn 5 590 » Basel Rbhf. Ausland-Einmündung Verbindungsbahn .... 2 450 » Zusammen 18 060 m x) b) Schweizer Bahnen in Baden bzw. Deutschland: S. B. B. : Kreuzungen Ost-Konstanz 495 m Kreuzungen Bhf.-Konstanz 506 » Ramsen-Singen 6 830 » Lottstetten-Altenburg-Rheinau 8 183 » Koblenz-Waldshut 1 743 » Zusammen 17 757 m

1) Jahresbericht über die Staatseisenbahnen und die Bodensee-Dampfschiffahrt im Gross­ herzogtum Baden fur das Jahr 1913, Tabelle 1, S. 65. 422 Albert Kuntzemüller

Zusammen 17 757 m Mittel-Thurgau-Bahn : Kreuzungen Bhf.-Konstanz 506 » Basler Strassenbahn : Riehen-Lörrach 2 416 » Zusammen Schweizer Bahnen 20 679 m *) c) Basler Verbindungsbahn Basel D. R. B.-Basel S. B. B., von beiden Verwaltungen gemeinsam betrieben 4 453 m 2)

x) Schweizerische Eisenbahnstatistik 1938, S. 27 und 28 in Tabelle 3. 2) Ebenda, S. 11.