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Stirling Magazin 1 Magazin

Wem gehört das Museum? Liebe Besucherinnen und Besucher, 3 wem gehört das Museum? Eine Frage, die in den vergangenen Jahren immer offensiver gestellt wird und die sich in der Staatsgalerie zugespitzt hat, als wir das Schredderbild des Künstlers Banksy in unserer Sammlung gezeigt haben. So provozie- rend die Frage ist, so vermeintlich einfach und plakativ ist unsere Antwort: Das Museum gehört der Kunst und der Öffentlichkeit. Wie vielschichtig das Einfache ist, das können Sie auf den folgenden Seiten lesen. Sie halten die erste Ausgabe des neuen Magazins der Staats- galerie in der Hand und werden sehr schnell merken, dass seine Beiträge vor der Covid-19-Pan- demie geschrieben wurden. Als wir unser Haus schließen mussten, war das Magazin eigentlich schon in der Druckerei. Die Covid-19-Pandemie hat uns in eine „neue Normalität“ versetzt, und dennoch bleiben die Themen des Magazins aktuell und relevant. Sehen Sie es uns bitte nach, dass sich die Erfahrungen und Konsequenzen der aktuellen Situation in den Beiträgen noch nicht wiederfinden. Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln – jede dieser musealen Kernaufgaben verändert sich momentan in rasender Geschwindigkeit, was durch die Covid-19-Pandemie noch verstärkt wird. Die Anforderungen an ein Haus wie die Staats- galerie und sein Mitarbeiterteam sind immens. Was aber bleibt, ist die Kunst aus acht Jahrhunderten. Sie erzählt uns jeden Tag von Neuem, dass der Wandel ein Kontinuum ist.

Viel Freude bei der Lektüre wünscht Ihnen

Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie 4 Inhalt Magazin der Staatsgalerie 5 S. 36 S. 6 Schule des Drucksache S. 50 Du lebst nur S. 72 Ein Labyrinth S. 90 Wir bringen Sehens Bauhaus 12.5. – keinmal 18.6. – für Kontemplation Mensch und Kunst

Fotoessay von 13.9.2020 18.10.2020 In der Sammlung zusammen Oliver Kröning Von Stuttgart nach Inszenierung, mit Thomas Milz Der Freundeskreis Weimar Provokation, Tabu- der Staatsgalerie brüche mit Markus Benz S. 38 21 Grad und 50 Prozent S. 52 Art Sharing ist S. 92 Und nun Sie! Luftfeuchtigkeit zeitgemäß! S. 94 Energie- und Um- Einblicke in Impressum weltmanagement das Museum der mit Dirk Rieker Zukunft mit Christiane Lange

S. 62 Ein neuer Lebenszyklus für S. 76 Carte Blanche S. 14 Wem gehört Nam June Paik 16.10.2020 – 17.3.2021 das Museum? Zur Zukunft Zur Restaurierung S. 78 S. 46 Das virtuelle Lobbyisten eines öffentlichen von Medienkunst Museum für Publikum und Raumes Mehr als nur ein Wissenschaft digitaler Mehr Raum für S. 22 Ask A Curator Offene Räume Informationsraum Kommunikation mit Charakter und Vermittlung mit Ina Conzen mit Helga Huskamp und Steffen Egle S. 32 Geschichte verstehen, um Gegenwart zu gestalten Provenienz- forschung an der Staatsgalerie 6 Fotoessay von Oliver Kröning 7

Schule des Sehens 8 Fotoessay Schule des Sehens 9 12 Fotoessay Schule des Sehens 13 14 Leitartikel von Nicolas Flessa 15 300.000 Besucherinnen und Besu- Als im Januar 2020 die Staats- cher zählte die Staatsgalerie im Jahr galerie zum großen Symposium 2019, rund ein Drittel davon schreibt »Von der Straße ins Museum. sie Banksy zu. Der Verdacht liegt nahe: Ein Jahr Banksy in der Ging es den Verantwortlichen am Ende WEM um Effekthascherei zur Steigerung Staatsgalerie« lud, titelten die der Besucherzahlen? Zum Abschluss Medien nur wenige Stunden der Präsentation von »Love is in the später: „Streit über Banksy“ Bin« im Kontext großer Werke – von (SWR) und „Vernichtende Rembrandt über Duchamp bis zu Zur Zukunft eines Broodthaers – lud die Direktorin öffentlichen Raumes Kritiken am Schredderbild“ Christiane Lange eine Auswahl ihrer (Esslinger Zeitung). Was war schärfsten Kritikerinnen und Kritiker geschehen? Mit »Love is zur öffentlichen Diskussion in die in the Bin« hatte sich das ehr- Staatsgalerie. würdige Landesmuseum „Wie verzweifelt kann ein Museum sein?“ — KOLJA REICHERT, rund zehn Monate zuvor nicht REDAKTEUR FÜR KUNST IM nur eine Ikone der zeitgenös- FEUILLETON DER FAS sischen Kunst- und Medien- Die Stuttgarter Zeitung fasste die Haltung des hochkarätig besetzten welt ins Haus geholt – sondern Podiums wie folgt zusammen: „Man GEHÖRT auch jede Menge Kritik. dürfe sich nicht vom Interesse des Im Kern ging es dabei um die Publikums leiten lassen, so das Fazit Debatte: Wen möchte man der Gäste, die von ‚Kernkompetenz‘, ‚Seriosität‘ und ‚wissenschaftlicher im Museum eigentlich sehen? Rigidität‘ sprachen und gar von ‚Ver- antwortung‘“, der die Staatsgalerie „nicht nachgekommen sei“. Die rund 500 Bürgerinnen und Bürger, die für die Abschlussdiskus- sion angereist waren, verfolgten die lebhafte Debatte mit großer Leiden- schaft. Meist zeigten sie offen Empö- DAS rung gegenüber der harschen Kritik der Fachleute und unterstützten mit großem Beifall die Argumentation der Staatsgaleriedirektorin, Museen müssten nun mal für mehr als drei Prozent der Gesellschaft relevant sein. MUSEUM? „Mit Banksy ist es uns gelungen, viele Menschen ins Museum zu führen, die normalerweise nicht kommen würden. 16 Leitartikel Wem gehört das Museum? 17 Viele von ihnen haben sich im An- eröffneten Alten Pinakothek oder Tag oder einige Stunden hierfür frei- schluss auch noch ausführlich durch der 1843 als „Museum der Bildenden zugeben, wo nur Juden die Museen die Sammlung bewegt – was will man Künste“ gegründeten Staatsgalerie besuchen könnten.“ 2 Alfred Arndts mehr?“ Stuttgart. Dennoch bezog ihr öffentli- Anfrage blieb unbeantwortet, wohl „Direkt rebellisch, arrogant und cher Charakter in der Frage, wem nicht zuletzt auch deshalb, weil es Mu- unglaublich smart.“ — BESUCHER- das Museum nun eigentlich gehört(e), seumsmitarbeitern seit 1941 untersagt STATEMENT ZU »LOVE IS IN THE von Anfang an Stellung – unabhängig war, Kontakt mit Juden zu pflegen. BIN« IN DEN SOZIALEN MEDIEN von schnöden Eigentumsverhältnissen. Kunst war zu einem Mittel rassistischer Die Aufregung um »Love is in the „Die erste und letzte Verantwort- Kulturpolitik geworden, die der ver- Bin« konfrontiert uns mit der unbe- lichkeit des Museums gilt nicht meintlichen arischen Rasse zu dienen quemen Frage, wem das Museum mehr den Werken, sondern einer hatte. Nur sie sei in der Lage, so das eigentlich gehört: Kunsthistorikerinnen heterogenen Öffentlichkeit.“ 1 — Regime, die richtige Kunst auch rich- und Kunsthistorikern oder Besucher- WOLFGANG ULLRICH, KULTUR- tig zu verstehen. innen und Besuchern? Die Antwort ist WISSENSCHAFTLER UND „Um an dieser Kunst alle Volksge- eigentlich klar, und das nicht erst seit PUBLIZIST nossen lebendigen Anteil nehmen Banksy. Das heißt, sie stellt sich nur Das Museum der Zukunft wird sich zu lassen, sind keine schwierigen dann, wenn etwas Essentielles bereits nicht weniger als die Stiftungen von Worte der Erläuterung notwendig.“ 3 — verloren gegangen ist: das Museum als Monarchen daran messen lassen müs- ALBERT SPEER, NS-ARCHITEKT einen Ort zu begreifen, „wo man zu- sen, ob es wirklich dazu einlädt, sich UND RÜSTUNGSMINISTER sammenkommt, um sich der Lectüre mit Kunst auseinanderzusetzen – und Die Erfahrung des Ausschlusses oder den Betrachtungen von Kunst- das weit über den Kreis des vertrauten ganzer Bevölkerungsgruppen aus Ein- werken zu widmen“. So jedenfalls Bildungsbürgertums hinaus. Die noch richtungen des öffentlichen Lebens sieht es bereits der erste Brockhaus heute gültige Definition des Interna- war es wohl auch, die den Besuch von aus dem Jahre 1809 – nur drei Jahre tionalen Museumsrats, das Museum Museen nach dem Ende des Zweiten nach dem Ende jenes Heiligen Römi- sei eine „non-profit, permanent insti- Weltkriegs zu einem verbrieften Men- schen Reichs Deutscher Nation, in tution in the service of society and its schenrecht machte. So heißt es in dessen Hauptstadt Wien 1558 mit der development, open to the public“, die Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung „erpauung ainer Khunst Chamer“ genau 450 Jahre nach der Eröffnung der Menschenrechte, die auf den Tag der erste eigenständige Museumsbau der kaiserlichen Kunstkammer just in genau sieben Jahre nach dem Eingang nördlich der Alpen errichtet wurde. Wien verabschiedet wurde, weist den von Arndts Brief im Museum für Ham- Dieser 20 mal 6 Meter messende Weg: hin zu einem Ort, der die Gesell- burgische Geschichte verabschiedet Raum, dessen Reste erst 2013 identi- schaft, die er spiegelt, zu entwickeln wurde: „Jeder hat das Recht, am kul- fiziert werden konnten, war bereits hilft. turellen Leben der Gemeinschaft frei nicht mehr (wie im Falle der „Wun- Dass die Frage, wer ein Recht auf teilzunehmen, sich an den Künsten zu derkammern“) mit den Zeremonial- das Museum hat, auch im düstersten erfreuen und am wissenschaftlichen räumen seines kaiserlichen Erbauers Kapitel unserer Geschichte eine Rolle Fortschritt und dessen Errungen- verbunden. Dreihundert Jahre später spielte, belegt der Brief eines jüdischen schaften teilzuhaben.“ 4 waren es noch immer gekrönte Häup- Hamburgers an das Museum für Ham- Bis diese „Freude an den Künsten“ ter, die die Entwicklung der Kunst- burgische Geschichte aus dem Jahr auch Bürgerinnen und Bürgern aus sammlung zu einer eigenständigen 1941: „Da mir bekannt ist, dass Juden schwächeren sozioökonomischen Ver- Institution vorantrieben: Ob mit dem der Besuch von Museen verboten ist, hältnissen gegönnt sein sollte (die in Alten Museum in Berlin (1830), der frage ich hiermit an, ob sich nicht puncto Museumsbesuche bis heute nur sechs Jahre später in München eine Möglichkeit finden dürfte, einen statistisch unterrepräsentiert sind), 18 Leitartikel Wem gehört das Museum? 19 sollten freilich noch einige Jahre ver- politische, sondern auch kulturelle In- Phänomen, man habe es meist mit gehen. Erst unter dem Schlagwort stitutionen des sogenannten Westens überdurchschnittlich gebildeten, „Bildung für alle“ erhielten in den in den letzten Jahrzehnten ergriffen mittelalten und älteren Menschen aus 1970er-Jahren jene Reformimpulse, hat. Ihr Ziel ist es, Museen in „demo- der Mehrheitsgesellschaft zu tun, ist die das Museum schon im Kaiserreich cratising, inclusive and polyphonic schwerlich dazu geeignet, die Motiva- als „Volksbildungsstätte“ 5 ausgemacht spaces“ zu verwandeln, die einen tion von Museumsbesucherinnen und hatten, die nötige politische Spreng- „critical dialogue about the pasts and -besuchern im Kern zu verstehen. kraft. Plötzlich wurde kulturelle Bil- the futures“ ermöglichen, wie es in Differenzierte Betrachtungen, wie sie dung, auch im Museum, zum kultur- der Neufassung des Museumsbegriffs in den letzten Jahren unternommen politischen Auftrag.6 des ICOM (International Council of worden sind, legen nahe, dass wir es „Das Museum ist ein gigantischer Museums) heißt, die derzeit noch dis- mit ganz unterschiedlichen Typen von 8 Spiegel, der es dem Menschen kutiert wird. Menschen zu tun haben, die dement- ermöglicht, sich endlich von allen „Most art and heritage in mu- sprechend unterschiedliche Bedürf- Seiten zu betrachten.“ 7 — GEORGES seums never gets noticed by most nisse befriedigt wissen wollen. BATAILLE, SCHRIFTSTELLER UND of the people.“ 9 — ERIK SCHILP, „The ways in which individuals talk PHILOSOPH STRATEGISCHER BERATER UND about why they went to the museum Diese Öffnung der Museen hin zu MUSEUMSEXPERTE as well as the ways they talk about einem breiten Publikum spiegelte auch Natürlich steht und fällt das Mu- what they remember from their ex- die Rolle der Kunst infolge der 68er- seum als Ort der Teilhabe mit der perience invariably seem to have a Bewegung wider, wie das Wirken von Attraktivität seines Angebots. Ein lot to do with what they were seeking Künstlerinnen und Künstlern wie Uwe Staat, der seine Bürgerinnen und Inszenierung, Provokation, Tabubrüche, to personally accomplish through S. 50 ← Lausen oder Heide Stolz belegt. Kunst Bürger nicht zum Besuch von Museen their visit.“ 11 — JOHN H. FALK, SEA galt nicht länger als Distinktionsmerk- verpflichten möchte, wird sich der GRANT PROFESSOR FÜR FREI- mal, sondern als Medium der Reflexion Logik von Angebot und Nachfrage WILLIGES LERNEN AN DER politischer Zusammenhänge. Wer also nicht ganz entziehen können – jedem OREGON STATE UNIVERSITY 50 Jahre später davon spricht, ein aufklärerischen Impetus zum Trotz. John H. Falk etwa, einer der führen- Museum, das Streetart zeige, habe Doch wie bewegt er die Menschen den Forscher zur Motivation von Mu- seine Verantwortung dem Publikum dazu, freiwillig ein Museum zu besu- seumsrezeption, teilt Besucherinnen gegenüber vernachlässigt, argumen- chen? Ist es die Erkenntnis, dass und Besucher in fünf Kategorien ein: tiert gleichermaßen im Fahrwasser Menschen, die regelmäßig ins Muse- die Entdecker, die Vermittler, die (be- wie im Widerspruch zu diesem Bilder- um gehen, ihr Risiko, im darauffolgen- ruflichen oder privaten) Experten, die sturm auf das Bildungsbürgertum, den Jahr zu sterben, um 31 Prozent Erfahrungssucher und die „Wiederauf- das die Rolle der Museen für immer verringern, wie eine britische Studie10 lader“. Während die einen durch den verändern sollte. im Jahr 2019 ergab? Sicher nicht. Um Besuch im Museum ihren Wissens- Das „Museum für alle“, wie es sich zu verstehen, warum Menschen in ein hunger stillen, möchten andere eben in den 1970er- und 1980er-Jahren Museum gehen, lohnt es sich, zu ver- diesen bei ihren Begleitern auslösen. herauskristallisiert hat, ist demnach stehen, was sie von einem solchen Be- Und während die einen ins Museum weniger eine kunsthistorische denn such erwarten. gehen, weil es gerade angesagt ist, eine gesellschaftliche Größe. Wer die Die schlechte Nachricht zuerst: Die suchen andere im Gegenteil einen Ort Steigerung des Ticketverkaufs für ein typische Museumsbesucherin bzw. der Stille, der ihnen einen Ausweg aus Hauptmotiv seiner Verfechterinnen den typischen Museumsbesucher gibt dem Stress des Alltags bieten kann.12 und Verfechter hält, verkennt den es nicht. Das über Jahre hinweg mit Das Angebot, das ein Museum machen tiefgreifenden Wandel, der nicht nur zahlreichen Statistiken beschworene muss, um ein Ort zu bleiben, „wo man 20 Leitartikel Wem gehört das Museum? 21 zusammenkommt“, geht folglich über wonnen: Neben „Wem gehört die Kunst das einheitliche Präsentieren und aus dem nicht westlichen Ausland, die Erklären von Kunst hinaus. Es geht wir in westlichen Museen ausstellen?“ vielmehr darum, Erfahrungen zu gehört dazu vor allem auch die Frage, ermöglichen, die den individuellen auf welche Kunst wir uns beziehen Bedürfnissen der einzelnen Besucher- wollen, wenn in Zukunft von „Kunst- innen und Besucher entsprechen, geschichte“ die Rede ist. Oder über- um nachhaltig als Bereicherung spitzt formuliert: Was macht Marcel empfunden zu werden – nicht nur, Breuers „Afrikanischen Stuhl“ (1921) aber auch mit Hilfe neuer Technolo- zum kulturellen Welterbe – und Sul- gien, wie das bundesweite Projekt tan Njoyas Perlenthron (1912) zur 13 „museum4punkt0“ erforscht. Die „Kameruner Volkskunst“? → Das virtuelle Museum, S. 46 Folge ist eine zunehmende Facettie- Wir sehen: Die Unruhe, die Veran- rung des Museumsangebots, das staltungen wie das Banksy-Symposium neben der Expertise für die Vielfalt bei Publikum und Diskutanten zu ent- der Kunst auch eine Expertise für die fachen vermag, ist mehr als nur das Vielfalt der Menschen mit sich bringt – Aufeinandertreffen von Kritik und eine Vielfalt, die angesichts einer immer Verehrung, Hochkultur und Straßen- 1 7 pluralistischeren Gesellschaft ein kunst. Sie entspringt einer Unruhe, Wolfgang Ullrich: Leicht gesagt, Georges Bataille, Museum. In: immer größeres politisches Bewusst- wie sie charakteristisch ist für Orte, aber schwer getan. In: Kunst Kritisches Wörterbuch, Berlin sein erforderlich macht. an denen alte Gewissheiten für das weiter denken. Das Magazin von 2005, S. 64. Kultur Management Network 141, Verständnis des Neuen in Zahlung „Museums … work in active part- 2019, S. 5 – 9, hier S. 9. 8 nership with and for diverse com- gegeben werden. „Das Museum muss Neudefinition des Museums, eine Stadt in der Stadt sein, ein Cam- 2 diskutiert auf der 25. ICOM-Ge- munities … to enhance understan- Quelle: juedische-geschichte- neralkonferenz 2019 in Kyoto. pus“ – so definierte es Chris Dercon, dings of the world, aiming to online.net. contribute to human dignity and heute Präsident der Vereinigung der 9 Französischen Nationalmuseen, im 3 TEDx Talk Leiden 2015 (Quelle: social justice, global equality and Karl Lothar Tank, Deutsche youtube.com). 8 vergangenen Jahr.14 planetary wellbeing.” — NEU- Mit dem Versuch, Plastik unserer Zeit, München DEFINITION DES MUSEUMS, unterschiedliche Haltungen in einen 1942, S. 5. 10 Dialog zu bringen, der Widersprüche BMJ 2019;367:l6377 (Quelle: DISKUTIERT AUF DER 25. ICOM 4 bmj.com). GENERAL-KONFERENZ 2019 dennoch sichtbar bleiben lässt, ist die Quelle: menschenrechtserklae- Dass Vielfalt nicht bei individuellen Staatsgalerie Stuttgart diesem Ideal rung.de. 11 Bedürfnissen von Besucherinnen und des Museums als demokratischem John H. Falk, Understanding 5 Museum Visitors’ Motivations and Besuchern aufhört, sondern auch deren Raum ein gutes Stück näher gekommen. Andreas Kuntz, Das Museum als Learning (2006), S. 106 – 127, hier kulturelle, historische und religiöse NICOLAS FLESSA Volksbildungsstätte, Museums- S. 112. Perspektiven zu berücksichtigen hat, ist Journalist und Experte für Kul- konzeptionen in der deutschen turkommunikation. Der studierte Volksbildungsbewegung 12 ist nicht zuletzt durch Initiativen wie Ägyptologe und Religionswissen- 1871 - 1918, Marburg 1976. John H. Falk, Identity and the „Museum Global“ der Kulturstiftung schaftler leitete von 2016 bis 2020 Museum Visitor Experience, des Bundes auch in der Museumsland- die Redaktion von „100 jahre 6 Abingdon 2012. bauhaus”. Neben eigenen Texten Eva Reussner, Wissensver- schaft angekommen. Die Frage „Wem zu Kultur, Politik und Gesellschaft mittlung im Museum – ein über- 13 gehört das Museum?“ hat durch die zeichnet er auch für diverse Spiel- holtes Konzept? In: Kultur und Siehe museum4punkt0.de. Debatte um das postkolonialistische und Dokumentarfilme verantwort- Management im Dialog, 5, lich, u. a. zur Rolle der Kunst im 2007, S. 20 – 23. 14 Museum weitere Facetten hinzuge- Arabischen Frühling. Quelle: welt.de (28.04.2019). 22 Ask A Curator mit Ina Conzen 23 Schlagwort Digitalisierung: Ina Conzen, stellvertretende wissen- Welchen Vorzug besitzt ein schaftliche Direktorin der Staats- Original in Zeiten des Inter- nets? galerie, ist Kuratorin und Hauptkon- Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass digitale servatorin für Kunst des 20. und Medien der Tod der analogen Kunst seien. Ich teile diese 21. Jahrhunderts. In den vergangenen Einschätzung nicht. Im Gegen- drei Jahrzehnten hat sie an die teil. Man sieht ja im Rahmen unserer vergangenen Banksy- zwei Dutzend Ausstellungen kuratiert Präsentation: Ein Werk, das man tausendfach im Netz ge- und den Wandel der Museums- sehen hat, ist trotzdem in der OFFENE Lage, Tausende von Menschen landschaft hautnah mitbekommen. in unser Haus zu locken. Das In der Tradition von #AskACurator „I’ve seen it all“ weicht einem spürbaren Erlebnis, das nur haben wir Frau Conzen zu sieben von einem Original ausgeht, Schlagworten befragt, die uns egal wie oft man eine Repro- duktion davon auf seinem Besucherinnen und Besucher der Smartphone betrachtet hat. Staatsgalerie im Vorfeld genannt Schlagwort Gesellschaft- licher Wandel: Wie beeinflusst haben. das Ende alter Privilegien auch das Kunstverständnis der Staatsgalerie? Das Sammeln von Kunst, aber auch das Nachdenken über Kunst hat sich in den letz- ten Jahren deutlich verändert. Ein gutes Beispiel ist der Ein- bezug weiblicher Positionen. Viele Jahrhunderte hindurch wurden fast ausschließlich Werke männlicher Künstler gesammelt. Auch wenn Frauen RÄUME schon zu Beginn des 20. Jahr- hunderts allmählich als selbst- bewusste Künstlerinnen her- vortraten, blieben Museen doch bis heute männlich dominierte Orte. Das ändert sich zum Glück, doch das erfordert nicht nur umfangreiche Forschungen, MIT sondern auch viele neue An- käufe. Schlagwort Identität(en): Wie würden Sie als profunde Kennerin der Sammlung den unverwechselbaren Charakter der Kunst an der Staatsgale- rie formulieren? CHARAKTER Wie viele Museen sind wir aus landesfürstlichem Engage- ment hervorgegangen. Das führ- te dazu, dass immer wieder 24 Ask A Curator Offene Räume mit Charakter 25 ganze Werkkomplexe in die einen klaren Grundsatz: Ge- Sammlung kamen, so im 18. kauft wird nicht fürs Depot! Jahrhundert niederländische Schlagwort Partizipation: Kunst mit dem wirklich her- Wie verändert sich die Arbeit ausragenden Werk von Hans einer Kuratorin durch die Memling, Bathseba im Bade, Möglichkeiten der Digitalisie- das aus dem späten 15. Jahr- rung? hundert stammt. Im 19. Jahr- Die Räume öffnen sich – hundert kamen dann neben und zwar in die Virtualität. einem umfangreichen Kom- Daran kommt man als Museum plex italienischer Kunst auch nicht vorbei, und das ist auch die Werke zahlreicher schwäbi- gut so. Je mehr technische scher Künstler hinzu. Weltweit Möglichkeiten wir zur Verfü- einzigartig ist unser Bestand gung haben, umso mehr an Werken und Archivalien Menschen können auf der gan- Von Stuttgart nach Weimar, S. 36 ← zu , einem zen Welt von unserer Arbeit Stuttgarter; ganz prominent profitieren. Derzeit bieten wir hier natürlich die Figurinen noch keinen Rundgang durch des Triadischen Balletts. Und unser Haus via App an, aber Das virtuelle Museum, S. 46 ← was selbst Gäste aus Paris in unsere »Sammlung Digital« Staunen versetzt, ist unser ermöglicht schon jetzt einen fantastisches Picasso-Ensemble. ständig wachsenden Überblick Zu nennen wären etwa auch über unsere Bestände. Gleich- mit seinen bei- zeitig versuchen wir, etwa im den Auferstehungsbildern von Rahmen unserer sozialen 1909 und 1916 oder die größ- Kanäle, auch in den Dialog mit tenteils schon in den 1960er- unseren Onlinebesucherinnen Jahren zusammengetragene und -besuchern zu kommen – Amerikanersammlung. Und indem wir Einblicke in unseren natürlich der Beuys-Raum, der Alltag ermöglichen, Kolleginnen hatte, erfuhr ich, dass es sich der weltweit wichtigsten Samm- seit der Einrichtung durch den und Kollegen vorstellen oder inzwischen in einem Lager lungen. Das hängt stark mit Künstler nie verändert wurde. live von Veranstaltungen in der Schweiz befand. Nach der Förderung durch das Land Wir bringen Mensch Obwohl wir also ein Museum berichten. Dazu kommen For- einer Besichtigung war mir Baden-Württemberg und den und Kunst zusammen, S. 90 ← sind, das acht Jahrhunderte schungsaufträge, die wir mit klar: Dieses Werk soll der End- Freundeskreis des Museums Kunstgeschichte abdeckt, dem Ziel ins Netz stellen, punkt unserer Ausstellung zusammen. Nach den typischen haben wir durchaus einen ganz Transparenz über unsere ge- werden, gilt es doch als das Verlusten von Werken soge- eigenen Charakter. genwärtige Arbeit zu ermögli- letzte von ihm ausgeführte nannter „entarteter Kunst“ Schlagwort Neuerwerbung: chen. Diese von uns allen sehr Wandgemälde überhaupt. durch die Nationalsozialisten Gibt es kuratorische Tricks, um geschätzte Öffnung in den Nach einer komplizierten In- bemühte man sich nach dem im Vorfeld eines möglichen digitalen Raum möchten wir stallation hier vor Ort erfuhr Zweiten Weltkrieg intensiv Ankaufs sicherzugehen, dass natürlich auch im Sinne einer ich, dass es grundsätzlich zum darum, die Moderne zurück das neue Werk auch wirklich Einladung unserer Follower Verkauf stand. Also riefen wir nach Stuttgart zu holen. Ein in die Staatsgalerie passt? in den realen Raum der Staats- zu Spenden auf und bekamen wichtiger Meilenstein war die Ein probates Mittel ist die galerie verstanden wissen. auch tatsächlich den notwen- Verabschiedung des Lottoge- Probehängung. Dazu setzen Schlagwort Stuttgart: Gibt digen Betrag zusammen, um setzes im Jahr 1958, das den wir das Werk in den themati- es einen Ankauf mit lokalem den letzten großen Schlemmer Landesmuseen damals rund schen oder zeitlichen Kontext, Bezug, der Ihnen in beson- hier in seiner Geburtstadt be- 10 Millionen Mark pro Jahr in dem es nach dem Ankauf derer Weise in Erinnerung halten und dauerhaft präsen- zur Verfügung stellte, um zum tatsächlich präsentiert werden geblieben ist? tieren zu können. ersten Mal nach kunsthistori- könnte. So sieht man recht O ja. Als ich mich im Rah- Schlagwort Weltklasse: schen Kriterien systematisch gut, ob es die Qualität der rest- men unserer großen Oskar- Wie sieht es mit den Bestän- und vor allem hochkarätig lichen Sammlung auch halten Schlemmer-Ausstellung 2014 den der Staatsgalerie im sammeln zu können. Das Er- kann. Das ist letztlich wichti- auf die Suche nach einem internationalen Vergleich aus? gebnis dieser Investitionen ger als die Aussicht, mit dem Wandgemälde dieses bedeu- Gerade was die Kunst der kann sich sehen lassen – und Ankauf eines zweitklassigen tenden Bauhausmeisters klassischen Moderne und der das täglich bis auf Montag von Werks eine inhaltliche Lücke begab, das er einst für eine Nachkriegsmoderne angeht, 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis zu schließen. Wir vertreten Stuttgarter Villa angefertigt besitzt die Staatsgalerie eine 20 Uhr. 26 Fotoessay Schule des Sehens 27 28 Fotoessay Schule des Sehens 29 32 Beitrag von Johanna Poltermann 33 Seit 2009 forscht die Staatsgalerie Ob Bild, Skulptur oder Grafik: gezielt zur Provenienz ihrer Samm- Jedes künstlerische Werk hat lung. Auch werden sämtliche Kunst- eine eigene Geschichte zu werke auf ihre Herkunft untersucht, Besitz und Herkunft zu erzäh- die als Ankäufe oder Schenkungen GESCHICHTE neu in die Sammlung aufgenommen len. Wer hat die Arbeit beauf- werden, sowie alle jene, die im Rah- tragt oder gekauft? In welchen men einer Ausstellung ins Ausland Museen oder Ausstellungen verliehen werden. Im Fokus stehen wurde sie präsentiert? Und vor dabei vor allem Kunstwerke, die vor 1945 entstanden sind und nach 1933 VERSTEHEN, allem: Was geschah mit dem in die Sammlung kamen. Werk in der Zeit des National- Grundlage für diese Forschung ist sozialismus? die Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998. Sie ist das Ergebnis einer internationalen Konferenz zum Um- gang mit geraubten oder beschlag- UM nahmten Vermögenswerten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Deutschland hat als einer von 44 Staa- ten eine moralisch-ethische Selbst- verpflichtung zur Identifizierung und Rückgabe dieser Vermögenswerte GEGENWART unterschrieben. Nach aktuellem For- schungsstand sind aus der Sammlung der Staatsgalerie etwa 6.500 Werke auf ihre Provenienz hin zu untersuchen. Sie könnten zur Zeit des National- sozialismus unrechtmäßig enteignet ZU worden sein. Bedingt durch die be- wegten Biografien der Vorbesitzer- innen und Vorbesitzer, führt die Re- cherche nicht selten in internationale Archive. Sollte sich der Verdacht auf einen NS-verfolgungsbedingten GESTALTEN Entzug erhärten, handelt die Staats- galerie gemäß der Washingtoner Erklärung. In dieser ist vorgegeben, Provenienzforschung dass in jedem einzelnen Fall in enger Zusammenarbeit mit den rechtmäßi- an der Staatsgalerie gen Erbinnen und Erben transparent eine „faire und gerechte Lösung“ aus- gehandelt wird. Wie aber kann die 34 Beitrag Geschichte verstehen, Gegenwart gestalten 35 Herkunft eines Kunstwerkes verläss- ßer Forschungserfolg. Leider lassen lich erforscht werden? Das ist eine sich dabei die Überlieferungslücken aufwändige und zumeist sehr klein- nach über 75 Jahren viel zu oft nicht teilige Forschungsarbeit, die für jedes schließen. Werk zunächst auf der Rückseite bzw. Die Erforschung der Provenienz ist bei Skulpturen auf der Unterseite be- weit mehr als nur das Identifizieren ginnt. Hier finden sich oft Provenienz- von Kunst, die von den Nationalsozia- merkmale: Sammlerstempel, Beschrif- listen beschlagnahmt oder geraubt tungen oder historische Aufkleber wurde. Sie ist auch eine große Chance, und Etiketten von Ausstellungen oder unserer Gesellschaft und Kultur Ver- Galerien, in denen die Arbeit zuvor gangenheiten zurückzugeben und gezeigt wurde. neue Verbindungen aufzubauen. Nicht selten ergibt die genaue Be- gutachtung der Rück- oder Unterseite neue Belege zu früheren Besitzerinnen und Besitzern, die sich manchmal auch erst im späteren Verlauf der Recherche zuordnen lassen. Ebenso wichtig wie die Dokumentation der Provenienzmerkmale ist das Studium HINTERGRUND von hauseigenen und externen Archiv- Aus der Sammlung der Staats- unterlagen: Inventarbüchern, Bild- galerie wurden in den vergan- akten, Rechnungen rund um die Er- genen Jahren 14 Gemälde und Zeichnungen an die recht- werbungen sowie dem Schriftwechsel mäßigen Erbinnen und Erben zwischen Direktoren, Händlerinnen restituiert. Auch wurden drei und Händlern, Vorbesitzerinnen und Dauerleihgaben seitens des SWR und der Freunde der Vorbesitzern und weiteren Personen Staatsgalerie e. V. zurückgege- aus dem Umfeld des Kunstwerkes. ben. Im Einvernehmen mit den Hinzu kommen kunst(historische) Erbinnen und Erben wurden sieben Arbeiten für die Samm- Publikationen, Ausstellungskataloge lung zurückerworben. und allgemeine Literatur der damali- Seit dem Jahr 2013 ist die gen Zeit. Staatsgalerie eines der wenigen Museen in Deutschland, die Gleich einem Puzzle ergibt sich aus eine unbefristete und fest in- der Summe der einzelnen Informatio- JOHANNA POLTERMANN tegrierte Forschungsstelle zur nen ein großes Ganzes. Dabei ist das ist Provenienzforscherin der Provenienz haben, finanziert durch das Land Baden-Würt- Kunstwerk selbst nur ein kleiner Teil Staatsgalerie. Schon im Rahmen ihres Studiums und als wissen- temberg. dieses Puzzles, denn jede Arbeit ist schaftliche Mitarbeiterin der Neben der möglichst lücken- untrennbar mit den Biografien ihrer Forschungsstelle „Entartete losen Dokumentation aller Pro- venienzen der Sammlungsob- ehemaligen Besitzerinnen und Besit- Kunst“ an der FU Berlin spezia- lisierte sie sich auf national- jekte und der Kunstwerke aus zer verbunden. Diesen Biografien nach- sozialistische Kunst- und Kultur- Leihverkehr und Ankäufen ist zuspüren und sie in vielen Fällen zum politik, bevor sie von 2015 bis die Provenienzforschung auch eng mit der Aufarbeitung der ersten Mal überhaupt zu erfassen und 2018 als Provenienzforscherin in den Bayerischen Staatsgemälde- Institutions- und Sammlungs- lebendig werden zu lassen, ist ein gro- sammlungen München tätig war. geschichte verbunden. 36 Ausstellung Drucksache Bauhaus 37 Von Stuttgart nach Weimar Was das Bauhaus vom Südwesten lernte

Schlemmer ans Bauhaus migriert, weil Lothar Schreyer als Lei- Frau Höper, die von Ihnen kuratierte Ausstellung trägt den ter der Bauhausbühne untragbar geworden war. Bei den Recher- Titel »Drucksache Bauhaus«: Heißt das, die Staatsgalerie chen habe ich Quellen gefunden, die berichten, dass eine der widmet sich dieses Jahr der Reklameabteilung der Dessauer Darstellerinnen nach der Aufführung von Schreyers Mondspiel Hochschule? O nein. Unsere Ausstellung gilt ganz der Druckwerkstatt des einen Nervenzusammenbruch erlitt. Wenn man das Skript kennt, Bauhauses. Diese ist, ähnlich wie die Töpferei, beim Umzug der das keinerlei Handlung verfolgt und in schwer zu koordinieren- Hochschule von Weimar nach Dessau gar nicht mitgenommen den Lautmalereien schwelgt, wundert mich das nicht. worden. An ihre Stelle traten dort tatsächlich Buchdruck und Was wird in dieser Bauhaus-Schau zu sehen sein? Oder Typografie, auch zu Werbezwecken. Mit der Gestaltung des Pla- sollte man besser von zwei Ausstellungen sprechen? kats erinnern wir ein wenig an diese spätere Entwicklung, aber Gleich zu Beginn zeigen wir zur Einstimmung Einzelblätter in unserer Ausstellung konzentrieren wir uns bewusst auf die der ersten sechs Bauhausmeister Feininger, Klee, Marcks, Mu- Ursprünge des Drucks am Bauhaus – und das anhand der künst- che, Schlemmer und Schreyer. Dann folgt ein Blick zurück auf lerischen Grafik bis 1925. die Vorzeit des Bauhauses in Stuttgart mit Werken von Hölzel, Drucksache Bauhaus 12. 5. – 13. 9. 2020 2019 feierte ganz Deutschland „100 jahre bauhaus“. Schlemmer, Itten und Kerkovius. Anschließend folgen die her- Weshalb jetzt, sozusagen mit einem Jahr Verspätung, ausragenden Mappenwerke von Feininger („12 Holzschnitte“), eine Schau zum Bauhaus? Schlemmer („Spiel mit Köpfen“), Kandinsky („Kleine Welten“) Für diese Entscheidung gibt es zwei Gründe: Zum einen wollten und Moholy-Nagy („Konstruktionen“). Das Herzstück der Aus- wir unsere Grafiken nicht parallel zur lange geplanten Tiepolo- stellung bilden dann unsere einzigartigen Bauhausmappen, die Schau präsentieren, um keine künstliche Konkurrenz aufzu- wir im vollen Umfang präsentieren werden. Die zweite Schau, bauen. Zum anderen gab es eine Anfrage unseres ehemaligen von der Sie sprechen, zeigt zeitgleich zur »Drucksache Bauhaus« Direktors, Sean Rainbird, der unsere Bauhausmappen anlässlich Werke von Ida Kerkovius, die wir Stuttgarter ja gerne „die Kerko“ des Jubiläums in Dublin zeigen wollte. Im Sinne des europäischen nennen. Sie hat dieses Jahr ihren fünfzigsten Todestag. Geistes sagten wir zu, auch weil es sich um die erste Bauhaus- »Drucksache Bauhaus« widmet sich ja ausschließlich dem Ausstellung in Irland überhaupt handeln sollte. „100 jahre Weimarer Bauhaus. Was ist für Sie typisch an dieser Epoche? bauhaus“ fand bei uns am Ende dann trotzdem statt – im Rahmen Die Druckwerkstatt versinnbildlicht am deutlichsten, was unserer Ausstellung zur »Weissenhof City«. eigentlich die Grundidee des Bauhauses gewesen ist: die Verbin- Wie lautet Ihr kuratorischer Ansatz für die aktuelle dung von Kunst und Handwerk, das Zusammentreffen der Idee Ausstellung? mit dem Schöpferischen. Ich habe bemerkt, dass die druckgrafische Werkstatt, die ja Warum endet die Druckwerkstatt mit dem Umzug gerade am Anfang in Weimar das meiste Geld einbrachte, selbst nach Dessau? im Bauhaus-Jahr sträflich vernachlässigt wurde. Dies wollen Das kommt durch das Umdenken innerhalb der Bauhaus- Kuratorin Corinna Höper ist sich wir ändern. Zum anderen möchten wir auf die besondere Ver- DR. CORINNA HÖPER Führung: weg von der Romantik hin zur Industrialisierung. sicher: Ohne die Grundlagen bindung des Bauhauses zu Stuttgart hinweisen: Schlemmer und studierte Kunstgeschichte, Klas- Daraufhin wurden auch die neuen Werkstätten im Bauhaus aus- seines Lehrers Adolf Hölzel wäre Itten waren Schüler von Adolf Hölzel, ebenso Ludwig Hirschfeld- sische Archäologie und Ägypto- gerichtet – für eine Druckwerkstatt traditioneller Art war da kein Johan­nes Ittens Bauhaus-Vor- Mack, Vincent Weber, Robert Lutz. Und natürlich Ida Kerkovius, logie. Nach einem Volontariat war Bedarf mehr. kurs wohl kaum so legendär der wir zeitgleich eine eigene Ausstellung widmen. sie vier Jahre lang für die Bremer Was planen Sie an Rahmenveranstaltungen? geworden. Doch auch die Kunst Alles Stuttgarter, die bei Hölzel gelernt haben und dann ans Gemäldegalerie tätig. Ihre Liebe Es wird zum Beispiel eine Druckwerkstatt geben. Hier werden der Moderne verdankt dem Bauhaus gekommen sind. Gerade Itten ist von dieser Lehre doch zur Kunst auf Papier brachte sie die Besucherinnen und Besucher selbst drucken können – leider Hölzel-Kreis aus Stuttgart ge- sehr geprägt worden. schließlich an die Staatsgalerie, nicht anhand einer alten Druckerpresse, denn diese wiegen um wichtige Impulse, wie die erste Bei Stuttgart und Bauhaus denkt man ja sonst immer wo sie als Kuratorin für Zeichnun- die 1,8 Tonnen, das wäre für uns in mehrfacher Hinsicht Anlass Ausstellung der Staatsgalerie gleich an Oskar Schlemmer… gen und Druckgrafik (Italien und zur Sorge gewesen. Dafür wird ein großformatiges Foto an die zu Beginn der neuen Zwanziger Und das „Triadische Ballett“, ich weiß! Dabei ist dieses ja eine Frankreich vor 1800, 20. Jahrhun- drei historischen Druckmaschinen im Bauhaus erinnern. belegt. genuin Stuttgarter Uraufführung gewesen und nur später mit dert) zuständig ist. Vielen Dank für das Gespräch! 38 Interview mit Dirk Rieker 39 Herr Rieker, die Staats- „Es zählt zum Wesen der Kunst, Denk- galerie folgt als deutschland- anstöße zu geben. Warum also nicht weit erstes Museum schon seit Jahren den ISO-Normen auch im Bereich des Umweltschutzes“, im Qualitäts-, Energie- und Umweltmanagement. Warum fragt Dirk Rieker, kaufmännischer haben Sie diese Entwicklung so früh angestoßen? Geschäftsführer der Staatsgalerie Als ich Ende 2011 als kauf- Stuttgart, gleich zu Beginn des männischer Geschäftsführer in der Staatsgalerie anfing, waren Gespräches. Den hohen Energiever- die Strukturen in vielen Berei- chen sehr verbesserungsbe- brauch der Staatsgalerie zu drosseln, dürftig. Ein Museum wie die hat er schon vor einigen Jahren zu Staatsgalerie ist ja nicht nur Sammlung, Ausstellungen und seinem persönlichen Anliegen Forschung, sondern hinter den Kulissen ein großer Apparat mit gemacht. Seit 2016 lässt er sein Mu- vielen Aufgabenfeldern und 21 GRAD seum über den TÜV Süd im Energie- Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern. Um die Prozesse zu ver- und Umweltmanagement zertifizieren bessern, haben wir uns 2012 für die Einführung eines ISO- und ist damit einer der Vorreiter in zertifizierten Qualitätsmanage- der deutschen Museumslandschaft. ments entschieden. Das System kam aus der Industrie, in der Kulturlandschaft gab es das UND damals noch nicht. Aber ich war mir sicher, dass man es gut adaptieren kann. Nach gut vier Jahren haben wir es 2016 dann um die Normen für Ener- gie- und Umweltmanagement erweitert. Inzwischen hatte ich beobachtet, wie relevant die 50 PROZENT Aspekte Energie und Umwelt in einem so großen Museum sind. Die Ausstellungsräume müssen konstant bei 21 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit gehal- ten werden, denn nur so kann die Kunst optimal aufbewahrt und ausgestellt werden. Um das LUF T- zu gewährleisten, benötigen wir sehr viel Energie für Klimatisie- rung und Entfeuchtung, egal ob es draußen sehr kalt oder auch sehr heiß ist. Wärmen und Kühlen sind bei uns täglich ein Thema – entweder das eine oder das andere. Das Thema FEUCHTIG- Klimawandel ist einfach so wichtig, dass ich es unbedingt mit einbeziehen wollte. Agieren Sie als Umwelt- Energie- und Umweltmanagement schützer oder als Betriebs- KEIT in der Staatsgalerie wirt, um Kosten zu sparen? 40 Interview 21 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit 41 Vielleicht ein bisschen von bei- selbst schon vor einigen Jahren egal, wo man sich aufhält. schutz vorantreiben möchten. dem. In meinem Studium der von Halogen- auf LED-Beleuch- Gleichzeitig reduziert sich der Die Kultur steht ja von jeher Wirtschaftswissenschaften tung umgestellt. Das hat nicht Energieverbrauch nachhaltig. für ein neues, offenes Denken. hatte ich mich bereits mit dem nur den Stromverbrauch ge- Das ist für uns als Museum ideal. Warum also nicht auch im Be- Thema Umweltmanagement senkt, denn LED-Lampen ent- Sie sind derjenige, der reich Umweltschutz? Hier kann auseinandergesetzt und gemerkt, wickeln weniger Wärme als diese Umbauten sowohl lo- jedes Haus mitmachen und dass ein Bewusstsein für Um- Halogenleuchten und heizen gistisch als auch wirtschaft- versuchen, das Thema gründ- weltschutz in der deutschen daher die Ausstellungsräume lich möglich machen muss. lich und auch gemeinschaftlich Wirtschaft kaum vorhanden war. weniger auf. Wir sparen dadurch Wie gehen Sie dabei vor? anzugehen. Wir Museen sollten Wir haben aber gerade als Füh- jährlich circa 35 Tonnen CO2. Das bin nicht ich allein, son- da zusammenarbeiten. Ich bin rungskräfte eine Verantwortung Wir lassen heutzutage auch die dern das sind alle Mitarbeiter- sehr überzeugt davon, dass für zukünftige Generationen. Leuchtstoffröhren außerhalb innen und Mitarbeiter im Haus viele Museen dem Umwelt- Umweltfreundliches Manage- der Öffnungs- und Arbeitszeiten und die Fachleute der Baube- schutz in den nächsten Jahren ment ist also ein wichtiges nicht mehr weiterbrennen. hörde. Die Installation des eine neue Bedeutung einräu- Thema. Persönlich glaube ich, Und wir versuchen, unsere Mit- neuen Kälte-Wärme-Systems men und Verbesserungen im ein tatsächliches Umdenken arbeiter für die Themen Um- bedeutet einen extrem hohen Energieverbrauch umsetzen kann nur stattfinden, indem welt und Energie zu sensibili- planerischen Aufwand, denn werden. Das betrifft nicht nur jeder konkret auf Verbesserun- sieren, unter anderem, indem es geht um insgesamt 15 große Energiesparmaßnahmen in den gen in seinem Wirkbereich wir regelmäßig E-Mails mit und offene Räume, die alle die Häusern selbst. hinarbeitet. Dass wir mit der Umwelttipps versenden. gleichen klimatischen Bedin- Ich glaube, dass wir noch ganz- Optimierung der Energieeffi- Aktuell sorgt die Baubehörde gungen haben müssen. Da müs- heitlicher denken und uns in zienz der Staatsgalerie noch für den Ausbau der Stromzähler, sen viele Fachingenieurinnen den nächsten Jahren auch mit Kosten senken konnten, ist sodass wir hier auch individuell und Fachingenieure sehr viel der Energiebilanz von Kunst- natürlich auch nicht zu miss- Strom einsparen können. rechnen, damit alles funktionie- transporten befassen sollten. achten. Schließlich agieren wir Die Baubehörde kümmert sich ren kann, denn das Klima der Und auch die Anreise der Be- hier mit öffentlichen Geldern. außerdem um die Leuchten Räume verändert sich ständig. sucherinnen und Besucher mit Welche Maßnahmen in den Zwischendecken. Dort Viele Besucherinnen und Be- öffentlichen Verkehrsmitteln haben Sie denn konkret in der befinden sich sehr viele Leucht- sucher erzeugen mehr Wärme könnte noch attraktiver und Staatsgalerie umgesetzt? stoffröhren, die nun sukzessive oder bringen Feuchtigkeit in damit klimafreundlicher ge- Die Gebäude gehören nicht ausgetauscht werden. Dabei die Räume, zum Beispiel dann, macht werden. Es gibt so viele uns, sondern dem Land Baden- muss beachtet werden, dass die wenn es draußen regnet und Möglichkeiten, den Umwelt- Württemberg und werden somit Farbtemperatur individuell den die Menschen mit nasser Klei- schutz in der Kultur weiterhin von der Oberen Baubehörde gezeigten Kunstwerken ange- dung durch das Museum gehen. zu verbessern, und wir sollten verwaltet. Dies betrifft vor allem passt wird. Das gilt für Leucht- Entsprechend muss die Wärme sie alle nutzen. Baumaßnahmen und Sanierun- stoffröhren und LED-Lampen oder Feuchtigkeit so reguliert Vielen Dank für das gen. So unterscheiden wir bei in den Ausstellungsräumen werden, dass wir wieder den Gespräch! den Maßnahmen, was wir selbst gleichermaßen. Zu Hause fühlt für die Kunst optimalen Zu- tun können und was über die man sich mit ungefähr 3.000 stand haben. Baubehörde bereits erreicht Kelvin wohl, diese Werte sind Ist die Klimadebatte worden ist. aber nicht unbedingt für ein inzwischen in den Museen Fangen wir bei den Dächern Museum geeignet, wo wir auf angekommen? an: Die Dächer des Altbaus sehr unterschiedliche Raum- Die Staatsgalerie ist bisher sind bereits energetisch saniert situationen mit und ohne das einzige Museum, das Ener- worden. Die Dämmung wurde Tageslicht eingehen müssen. gie- und Umweltmanagement verbessert, wodurch wir weiter Ab 2021 wird ein neues konkret umsetzt. Ich halte da- Heizkosten einsparen können. Kälte-Wärme-System installiert her den offenen Brief, den ein Auch die großen Dachflächen werden: Die Kältemaschinen Zusammenschluss kleinerer des Stirling-Baus werden ab werden ersetzt, zusätzlich wird Museen im Herbst letzten DIRK RIEKER circa 2025 energiegerecht um- eine sogenannte „BaOpt-Lüftung“ Jahres mit der Bitte um einen ist seit 2011 kaufmännischer gebaut. Das Schöne daran: Die eingebaut. Laut Gutachten ist „Green Deal“ an Staatsministe- Geschäftsführer der Staats- Dachsanierung hilft nicht nur dieses Lüftungssystem für die rin Monika Grütters geschickt galerie Stuttgart. Der studierte der Umwelt, sondern ist auch Architektur und Technik des hat, für einen enorm wichtigen Wirtschaftswissenschaftler wirtschaftlich sinnvoll, denn Stirling-Baus wie geschaffen, Schritt in die richtige Richtung. verantwortet sämtliche Finanzen die Baukosten sind nach ein denn es arbeitet mit Unterdruck, Die Kolleginnen und Kollegen der Staatsgalerie und ist Lehr- paar Jahren durch die Strom- der dafür sorgt, dass in den signalisieren damit ganz deut- beauftragter an der Hochschule ersparnis schon gedeckt. In den Räumen überall das gleiche an- lich, dass sie wie wir Energie für Verwaltung und Finanzen in Ausstellungsräumen haben wir genehme Raumklima herrscht, einsparen und den Umwelt- Ludwigsburg. 42 Fotoessay Schule des Sehens 43 44 Fotoessay Schule des Sehens 45 46 Essay von Werner Schweibenz 47 Die Durchdringung von Virtualisierung begegnet uns in der Museen mit digitaler Technik, wie sie bereits seit einigen heutigen Informationsgesellschaft­ Jahren voranschreitet, läuft auf Schritt und Tritt: Bankgeschäfte gegenwärtig auf zwei Ebenen ab: nach innen durch die Digi- werden online abgewickelt, Arzt- talisierung von Sammlungsbe- ständen und Arbeitsabläufen konsultationen finden in virtuellen sowie nach außen mit einer Sprech­zimmern statt, Geschäfte publikumsorientierten Außen- wirkung.1 Das „virtuelle Mu- haben virtuelle Schaufenster. seum“ vereint dabei zwei Orte, die auf den ersten Blick gegen- Erfahrungen werden nicht mehr im sätzlich erscheinen: einen direkten Kontakt gemacht, son- traditionellen Raum für reale Objekte – und das Virtuelle als dern über Medien vermittelt. Von etwas nicht Fassbares, das der Möglichkeit nach vorhanden dieser Entwicklung profitiert längst ist, sich aber nicht zwangsläufig auch das Museum. realisieren muss. Wegen seiner breiten Spanne (noch) nicht realisierter Mög- lichkeiten wird das Virtuelle manchmal für das Gegenteil des Realen gehalten. Gerade das Museum zeigt, dass diese Annahme auf falschen Vor- stellungen beruht. Nehmen wir eine griechische Vase als Museumsobjekt: Diese kann in verschiedenen Museumskon- texten ganz unterschiedliche Aspekte veranschaulichen – in einem Kunstmuseum die künstlerischen Fertigkeiten der Töpfer und Figurenmaler, in einem kulturgeschichtlichen Museum den Kulturaustausch, in einem archäologischen Museum die Besiedlungsge- schichte, in einem Technikmu- seum die Praxis der Gefäßher- stellung etc. Dies zeigt, dass DAS auch das traditionelle Museum grundsätzlich immer eine vir- tuelle Komponente hat.2 Mehr als nur ein Als digitale Erweiterung des physischen Raums in den digitaler Informationsraum virtuellen Raum des Internets 3 kombiniert das virtuelle Muse- um verschiedene Medien (Bild, VIRTUELLE Text, Ton, Film, dreidimensio- nale Repräsentationen etc.) und Technologien (Suchma- schinen, Lernumgebungen, Assistenten, Datenanalyse MUSEUM und -visualisierung, Partizipa- 48 Essay Das virtuelle Museum 49 tionswerkzeuge, Augmented online weit größere Bestände „Tick Tack Trick – Schwarz- wahrnehmen und darauf rea- nahtlose Übergänge zwischen und Virtual Reality etc.), um als die aktuell ausgestellte walduhren mit Figuren“, gieren. Hinzu kommt die Kom- analogem und digitalem Besuch Museumsinformationen im Kunst, wobei sich einzelne kuratiert vom Deutschen munikation der Onlinebesu- bzw. umgekehrt zu schaffen. Internet zu präsentieren und Sammlungsbereiche ebenso Uhrenmuseum Furtwangen, cher untereinander, die neue Bei einer solch engen Verbin- zu vermitteln. Gerade das über Filter auswählen lassen durch eine Kombination von Bezüge zum Museum und zu dung von analog und digital Publikum profitiert von dieser wie Künstlerinnen und Künst- Bild, Text und Animationen seinen Objekten schafft, bzw. werden Technologien wie Aug- Digitalisierung und Virtuali- ler. Neben einer Suchmöglich- die Bandbreite mechanischer in Chats mit Kuratoren oder in mented und Virtual Reality sierung. Untersuchungen zeigen, keit gibt es auch thematisch Automaten, die früher auf Einblicken hinter die Kulissen, voraussichtlich eine wichtige dass die Zahl der Onlinebesu- aufbereitete Einstiegsmöglich- Volksfesten, Jahrmärkten oder zum Beispiel wie Ausstellungen Rolle spielen.4 cher diejenige der physischen keiten wie Neuzugänge in der im Kuriositätenkabinett dem entstehen, mit entsprechenden Wichtig ist dabei, dass sich die Besucher deutlich übertrifft. Sammlung, Plakate oder aus- staunenden Publikum vorge- Frage-Antwort- und Kommen- traditionelle und die digitale So hat das Haus der Geschichte gewählte Lieblingsstücke. führt wurden. taroptionen. Dabei sind Kom- Umgebung sinnvoll ergänzen, der Bundesrepublik Deutsch- Die multimedialen Digi- Die Europeana, das Kul- munikation und Austausch denn jede funktioniert auf ihre land 1,5 Millionen digitale Be- torials des Städelmuseums turportal der Europäischen zentrale Aspekte, denn das eigene Art und Weise.5 sucher pro Monat – ein in der bzw. der Skulpturensammlung Union, präsentiert über 58 Museum, sei es traditionell analogen Sphäre unerreich- Liebieghaus in Frankfurt am Millionen Objekte (Artefakte, oder virtuell, ist nicht nur ein barer Wert. Main dienen als Medium zur Bücher, Audios und Videos), Ort der Kultur, sondern auch Ergänzung und Vertiefung Vorbereitung des Ausstellungs- die von Kultureinrichtungen ein sozialer Ort, den man ge- statt Ersatz besuchs. Sie geben vorab einen aus ganz Europa digitalisiert meinsam besucht und erfährt. Was aber suchen digitale facettenreichen Einblick in die wurden. Thematische Zugänge Was kann ein virtuelles Nutzer in virtuellen Museen? Ausstellung, und das kostenlos. zu den Onlinesammlungen bie- Museum sein? Ein Ausblick Neben bebilderten Objekt- Dabei können Onlinebesucher ten die Europeana Collections, Prognosen sind schwierig, informationen, wie sie auch gezielt Teile der Informationen die es erlauben, die Sammlun- vor allem, wenn sie die (digitale) in Katalogen zur Verfügung ein- und ausblenden, um sie gen nach Thema oder Genre zu Zukunft betreffen. Dies gilt stehen, nutzen sie dort häufig nach ihren Bedürfnissen zu entdecken. insbesondere für Vorhersagen, hochauflösende Fotos mit nutzen. Im Digitorial „Bunte Von der Einwegkommuni- welche technischen Plattfor- Zoomfunktionen für Details, Götter – Die Farben der Antike“ kation zu Dialog und Aus- men sich durchsetzen werden. Kontextinformationen wie wird mit multimedialen Mitteln tausch Um viele gibt es einen Hype, 1 Personen- und Objektbiogra- erzählt, wie Forschung ent- Für Museen und Besucher manche werden bleiben, einige Dennis Niewerth, Virtuelle fien, Objektgeschichten und deckte, dass die vermeintlich sind die Angebote im Internet werden verschwinden. Ein Bei- Museen. In: Dawid Kasprowicz; -analysen sowie Links zu weißen Marmorstatuen ur- nicht nur eine Informations- spiel für eine extrem gehypte Stefan Rieger (Hrsg.), Handbuch objektbezogenen Inhalten wie sprünglich bunt bemalt waren. quelle oder Wissensbasis. Technologie, die dann von Virtualität, Wiesbaden 2019, Videos, Texten, Lehrmateria- LeMO – Lebendiges Museum Vielmehr bietet das Netz die der Bildfläche verschwand, ist S. 1 – 12, hier S. 5. lien, aber auch Verweise wie Online ist das Onlineportal zur Möglichkeit, die traditionelle Second Life, eine Online-3-D- „Siehe-auch-Links“, die zu ver- deutschen Geschichte mit 2,6 Einwegkommunikation ab- Infrastruktur, in der Menschen 2 wandten oder kontrastierenden Millionen digitalen Besuchern zulösen, in der das Museum durch Avatare als Stellvertre- Ebenda, S. 3f. Objekten führen. Damit ent- jährlich. Es lädt ein, Objekte, den Sender und die Besucher terfiguren interagieren. Dort steht ein Online-Informations- Texte, Medien, Zeitzeugen- die Empfänger bildeten – oft zeigte die Gemäldegalerie Alte 3 raum, der es Benutzern erlaubt, berichte und Dokumente zu sogar ohne die Möglichkeit, Meister der Staatlichen Kunst- Regina Franken-Wendelstorf; Informationen zu Objekten entdecken, zu recherchieren einen Rückmeldekanal an das sammlungen Dresden von Mai Sybille Greisinger; Christian ihres Interesses nach Lust, und zu vertiefen. Dazu nutzt Museum zu nutzen. 2007 bis Dezember 2011 in Gries; Astrid Pellengahr (Hrsg.), Laune und Zeitbudget zu ver- es multimediale Zugänge über Das Internet bietet eine virtuellen Repräsentationen Das erweiterte Museum. Medien, tiefen, und zwar sowohl wäh- einen Zeitstrahl, nach ausge- Plattform für einen Dialog zwi- der 54 zugänglichen Räume Technologien und Internet, Berlin rend des Museumsbesuchs mit wählten Themen, über Zeit- schen Museum und Besuchern, der Galerie alle 750 Kunstwerke 2019. eBook: degruyter.com/ Mobilgeräten als auch von zu zeugen oder mittels Recherche indem diese die Möglichkeit der ständigen Ausstellung. viewbooktoc/product/504361. Hause aus oder von unterwegs. im Bestand und zu Lernmate- erhalten, an der Interpretation Beispiele wie dieses zeigen, Wie begegnen deutsche Mu- rialien. der Museumsobjekte und ihren dass Museen ein breites Spek- 4 seen schon jetzt dem ständig Die Onlineausstellungen Bedeutungen mitzuwirken. trum von Plattformen bedienen Ebenda, S. 127 – 141. wachsenden Interesse ihrer der Deutschen Digitalen Bi- Dies schafft neue Perspektiven müssen, um online relevant zu (Online-)Besucherinnen und bliothek, des Kulturportals auf Objekte und Sammlungen, bleiben. 5 Besucher? Ein Blick ins Inter- für Deutschland, bietet eine von denen Museum und Be- Eines scheint sicher: Das Werner Schweibenz, Das virtuelle net verrät zahlreiche, sich teil- ständig wachsende Zahl vir- sucher gleichermaßen profi- Museum des 21. Jahrhunderts Museum im Internet. In: Claudia weise ergänzende Angebote, tueller Ausstellungen, die tieren. Parallel dazu agieren wird eine physische Basis DR. WERNER SCHWEIBENZ Emmert; Ina Neddermeyer von denen hier einige exempla- Geschichten erzählen, und Museen in den Kanälen der haben und eine gleichberech- ist Experte für Museen, Archive (Hrsg.), Schöne neue Welten. risch vorgestellt werden sollen. dies ausschließlich im virtu- sozialen Medien und können tigte digitale Erweiterung im und Repositorien am Bibliotheks- Virtuelle Realitäten in der zeit- Die »Sammlung Digital« der ellen Raum des Internets. So mit den Benutzern ins Ge- virtuellen Raum des Internets. service-Zentrum Baden-Württem- genössischen Kunst, Friedrichs- Staatsgalerie Stuttgart zeigt zeigt die virtuelle Ausstellung spräch kommen, Meinungen Das Ziel muss sein, möglichst berg (BSZ). hafen 2019, S. 232 – 243. 50 Ausstellung Du lebst nur keinmal 51 Inszenierung, Provokation,

Tabubrüche Die gemeinsame Schaffensperiode von Uwe Lausen und Heide Das Künstlerpaar Stolz ist eng verknüpft mit der gesellschaftlichen und politischen Uwe Lausen und Heide Stolz Landschaft Deutschlands in den 1960er-Jahren. Die für die Aus- stellung gewählten Arbeiten der beiden Künstler entstanden in einem politischen Umfeld, das sich die Befreiung von Ungleich- Lausen begann schon früh, gegen seine Familie zu rebellieren, heiten und die Denunzierung von überholten Rollenmustern auf und wandte sich später gegen die in den 1960ern vorherrschende die Fahnen geschrieben hatte. Lausen wie Stolz versuchen in gesellschaftliche und politische Situation Deutschlands. Nach ihren jeweiligen Werken die Widersprüche und Spannungen in einem abgebrochenen Philosophie- und Jurastudium in Tübingen der deutschen Nachkriegsgesellschaft und der Generation ihrer folgte er 1961 dem Aktivisten Frank Böckelmann nach München. Eltern aufzudecken und künstlerisch zu bearbeiten. Sie thema- Dort begann er seine kurze künstlerische Laufbahn im Umfeld tisieren soziale Ungleichheiten, das bewusste Negieren der jün- der avantgardistischen Künstlergruppe SPUR, die Kunst und geren deutschen Vergangenheit und die Lähmung der freien gesellschaftspolitische Rebellion gleichermaßen inszenierte. Persönlichkeitsentfaltung im Wohlstands-Deutschland. Auch die Situationistische Internationale, eine politisch links Die beiden Künstler erzählen in ihren Werken aber nicht nur agierende europäische Künstlergruppe, beeinflusste seine Werke eine Geschichte des gesellschaftlichen Umbruchs, ihre Arbeiten Du lebst nur keinmal 18. 6. – 18. 10. 2020 in den ersten Jahren. Uwe Lausen war Autodidakt. Seine Fähig- spiegeln auch ihren engen künstlerischen Austausch und die keit, politische Fragen und gesellschaftliche Umbrüche in Kunst gegenseitige Beeinflussung. 1964 gründeten sie gemeinsam ein zu übersetzen, machte ihn schon bald zum Ausnahmekünstler; „Zentrum der Reaktion“ in Aschhofen bei Feldkirchen. Dort ar- dabei wechselten sich intensive Schaffensphasen mit Drogen- beiteten sie gemeinsam an Publikationen und entwarfen ein von Die Werke des Künstlerpaares exzessen ab. 1962 heiratete er Heide Stolz. Tochter Lea wurde der Situationistischen Internationale beeinflusstes Programm, Uwe Lausen und Heide Stolz ein Jahr später geboren, seine Tochter Jana 1966. Lausen schuf in dem ihr gemeinsamer Lebensraum als Kunstraum definiert sind in den 1960er-Jahren ohne in seinem kurzen Leben neben 200 Gemälden und rund 2.000 wird – ein Konzept, das sie auch bildnerisch umsetzten. So in- Entsprechung. Jahrelang waren Arbeiten auf Papier auch zahlreiche Texte, außerdem beteiligte szeniert Heide Stolz die Gemälde Lausens fotografisch in den es vor allem die kraftvollen Bilder er sich an der Produktion von Zeitschriften und machte Musik. Raum hinein, indem er selbst und andere Familienmitglieder Uwe Lausens, die künstlerisch 1970 nahm er sich im Alter von nur 29 Jahren in seinem Eltern- und Freunde im häuslichen Umfeld vor beziehungsweise in den in der Öffentlichkeit wahrgenom- haus das Leben. Bildern agieren. men wurden; die Werke seiner Lange war Heide Stolz als eigenständige Künstlerin aus dem Beide Künstler inszenieren in diesen wenigen Jahren Gewalt- Frau blieben nach ihrem Tod für öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Wiederentdeckt wurde und Unterdrückungsmechanismen auf erstaunlich ähnliche Weise, viele Jahre unbeachtet. sie erst 2013 durch eine Ausstellung in der Städtischen Galerie doch Heide Stolz widmet sich der Rolle der handlungsaktiven Die Staatsgalerie zeigt anlässlich in Traunstein. Die 1939 in Kupferzell geborene Fotografin stu- DR. INA CONZEN Frau noch pointierter als ihr Ehemann: Bei ihm hat der Mann des 50. Todestages von Uwe dierte von 1957 bis 1959 Bildhauerei an der Staatlichen Akade- ist stellvertretende Wissenschaft- das Gewehr in der Hand, bei ihr ist es nicht selten die Frau. Lausen eine repräsentative Werk- mie der Bildenden Künste in Stuttgart, bevor sie sich in München liche Direktorin der Staatsgalerie Beide zeigen in ihren Werken Gewalt als künstlerische Zeitdia- auswahl des in Stuttgart gebor- am Institut für Bildjournalismus einschrieb, über SPUR Uwe und Leiterin der Abteilung I gnose – als Vorhut innerdeutscher Entwicklungen wie der RAF. enen Malers und beleuchtet erst- Lausen kennenlernte und kurz darauf heiratete. Bereits 1969 (Wissenschaftlicher Bereich). Heide Stolz fordert zudem in ihren Fotografien mit Vehemenz mals seine enge künstlerische war die Ehe mit dem rastlosen und psychisch instabilen Maler Als Kuratorin befasst sie sich eine Gleichberechtigung der Geschlechter ein, die erst 1968 mit Zusammenarbeit mit seiner Ehe- gescheitert. Ein Jahr später, im Todesjahr ihres Mannes, gab sie besonders mit Skulpturen und der Gründung des Aktionsrats zur Befreiung von Frauen ihre frau, der Fotografin Heide Stolz. die Fotografie auf. Heide Stolz wurde 46 Jahre alt. Gemälden von 1900 bis 1980. Entsprechung in der bundesdeutschen Gesellschaft fand. 52 Interview mit Christiane Lange 53 Frau Lange, wie schaffen Seit sieben Jahren leitet sie die Sie es, eine kuratorische Staatsgalerie Stuttgart: Christiane Klammer für acht Jahrhun- derte zu entwickeln? Wie ver- Lange, promovierte Kunsthistori- hilft man so vielfältiger Kunst zu ihrem Recht? kerin und leidenschaftliche Streiterin Genau diese Herausforde- rung war für mich der Reiz, für eine zeitgemäße Schule des die Leitung der Staatsgalerie Sehens. Für Lange ist das Museum zu übernehmen. Ganz altmo- disch und konservativ gedacht, ein idealer Ort des Dialogs der war es das große Vergnügen, all diesen Kunstwerken den eigenen Fragen mit außergewöhn- ihnen angemessenen Raum zu ART licher Kunst. Wir haben mit ihr geben. Es wird oft diskreditiert, wenn ein Museum das, was über den digitalen Wandel im Museum, durch Museen überhaupt erst erfunden wurde, auch wirklich veränderte Sehgewohnheiten lebt: sichtbar werden zu lassen, und Kunst als Live-Gig gesprochen. dass Kunst aus Kunst kommt. Dass Künstler voneinander hemmungslos kopieren und SHARING dass Kunst immer auf Kunst antwortet. Kunst ist eine der kulturel- len Sprachen, die Menschen erfunden haben, um sich über Dinge auszutauschen, die sie bewegen: Wie gehen wir mit- einander um, wie gehen wir als Gesellschaft miteinander um, wie beantworten wir die Herausforderung, dass nicht Einblicke in das Museum alle Menschen gleich sind, wie gewährleisten wir als arbeits- der Zukunft teilige Wesen ein gerechtes, funktionierendes System, um das zu schaffen, was wir Zivili- IST sation nennen? Deswegen ist Kunst immer so gegenwärtig, darum ist sie nie verstaubt und von gestern: Wenn wir uns auf Kunst ein- lassen, ist immer jetzt. Ich kann die Fragen, die uns be- wegen, in zwei Stunden Theater verdichten, ich kann sie in Be- wegung im Raum umsetzen, kann sie singen oder in Sprache übersetzen: All diese Kunst- formen spiegeln doch immer den gleichen Versuch, sich und seine eigene Vorstellung davon, wie es sein könnte, zu ZEITGEMÄSS! fassen und zu kommunizieren. Im Gegensatz zur Sprache ist bildende Kunst nicht nur über 54 Interview Art Sharing ist zeitgemäß! 55 alle Zeiten, sondern auch über war es für mich ein unglaub- brach Nay, inspiriert durch die bleibt? Wenn sich ein Künstler Wenn wir uns alle Grenzen hinweg versteh- liches Erlebnis, die Werke in abstrakten Impressionisten, eine gewisse Zeit gehalten hat, Bilder lesen bar. Natürlich vertieft es mein die Hand nehmen zu dürfen, noch einmal radikal mit seinem ist auch der richtige Zeitpunkt auf Kunst Verständnis von Kunst noch, sie ein- und auszurahmen und bisherigen Stil und schuf neben für uns, ein Werk von ihm zu lerne ich wenn ich lerne, mich mit allen bei der Hängung festzustellen, Tausenden von Zeichnungen erwerben. Ein Beispiel ist einlassen, ist Sinnen auf sie einzulassen. So dass dieselben Bilder völlig auch ein paar wirklich klare, „Shake Rattle and Roll“, 2004 im Museum. wie man anspruchsvolle Musik anders wirken, je nachdem wo große Bilder aus kombinierten von Christian Marclay (*1955), immer jetzt. verpasst, wenn man sie nur im und in welcher Nachbarschaft Farbflächen. Eines von ihnen das exzellent zu unserer - Denn wie Hintergrund hört, wird jede sie platziert werden. Die Auf- konnten wir letztes Jahr an- Sammlung passt, der bedeu- Kunst noch besser, wenn ich gabe von Museen sollte es sein, kaufen – damit gelang es uns, tendsten ihrer Art in Europa: lerne ich am ihr mit voller Aufmerksamkeit bei der Besucherin und beim eine Lücke im Bestand zu 16 Bildschirme, die gemeinsam begegne. Besucher das Gefühl auszu- füllen und zugleich unseren eine Klanginstallation bilden. besten? Wenn die Kunst nicht lösen: Wow, was für ein Werk! Sammlungsschwerpunkt zum Als einzelne Arbeit hätte ich Immer von von gestern ist, dann ist das Kunst hat die unschätzbare Werk von Nay zu verstärken. es dennoch nicht angekauft, ­Museum doch auch der rich- Fähigkeit, ein Einstiegspunkt Daneben wollen wir natürlich, wenn mich nicht zugleich den Besten. tige Ort für junge Menschen. zu sein, sich mit dem Werk, wie alle Häuser, die Lücke Marclay als Künstler mit Absolut. Bilder lesen lerne mit seinem Urheber und seiner weiblicher Positionen schließen. seinem gesamten Werk seit ich im Museum. Denn wie ler- Zeit auseinanderzusetzen. Aber das ist verdammt schwer. Jahren überzeugt hätte. Bei ne ich am besten? Immer von Wie entstehen bei Ihnen Ich kann nicht einfach Kunst Ankäufen geht es schon um den Besten. Von denen kann Ausstellungen in der Zu- kaufen, weil sie von einer Frau beides: ob das Werk die Samm- ich mir etwas abgucken. Für sammenarbeit mit der Vielfalt ist, es sollte immer ein Werk lung bereichert und ob die junge Menschen ist es in der Ihrer Kuratorinnen und Kura- sein, das qualitativ mit den Künstlerin oder der Künstler Medienwelt eine wesentliche toren? anderen Werken auf einem mit ihrem bzw. seinem Gesamt- Kompetenz, Bilder lesen zu Es gibt Ausstellungen, da Niveau ist, und das ist in der werk eine nachhaltige Position können. Genau das können sie gebe ich als Direktorin das Staatsgalerie nicht leicht. Ein besetzt. bei uns lernen. Thema vor, weil es mir sehr Beispiel hierfür ist ein Werk Von der Sammlung zu Und um Ihre Frage auch am Herzen liegt. Da bin ich von Maria Lassnig (1919 – ihren Besucherinnen und Be- noch in anderer Hinsicht zu dann fast die Hauptkuratorin 2014), das wir letztes Jahr an- suchern: Museen sind zuneh- beantworten: Ich glaube, jeder oder erarbeite die Ausstellung kaufen konnten. Hier war es mend gefordert, junge Ziel- Mensch ist für Kultur empfäng- zusammen mit einem externen mir wichtig, ein frühes Werk gruppen zu erreichen. Wie lich. Musik, Theater, Literatur Kurator. Dann gibt es wieder von ihr zu erwerben, damit schätzen Sie die Situation ein? oder bildende Kunst – nicht Themen, die kommen von den wir es als weibliche Position Unsere Institution ist ja his- alle Menschen sind für alles er- Kuratorinnen und Kuratoren. der Kunst der 1960er- Jahre torisch betrachtet selbst noch reichbar, aber jeder findet doch Das ist ja das Schöne: In der zusammen mit den frühen relativ jung. In den vergange- seinen eigenen Zugang in die Staatsgalerie gibt es sehr viel Werken von Gerhard Richter, nen 200 Jahren seines Besteh- Kultur. Daher bin ich sehr da- Wissen, da viele Mitarbeiterin- Sigmar Polke und Anselm ens hat sich das Museum schon Lobbyisten für Publikum für, Kindern möglichst vielfäl- nen und Mitarbeiter mit unse- Kiefer zeigen können. an die fünf Mal gehäutet. So und Wissenschaft, S. 78 ← tige Angebote zu machen, da- rer Sammlung zum Teil schon Wie sieht es mit dem gesehen sind die anstehenden mit sie für sich ganz persönlich seit Jahrzehnten arbeiten. Ankauf „junger Kunst“ aus? Veränderungen eigentlich ganz herausfinden können, was sie Dabei hat jede und jeder ihre Generell gilt: Ein Museum normal. Um mit Lampedusa zu anspricht. Eine meiner ersten oder seine eigene Perspektive wie die Staatsgalerie Stuttgart sprechen: „Es muss sich alles Amtshandlungen war es, die auf die Bestände. ist kein Kunstverein. Wir kaufen ändern, damit es bleibt, wie es L-Bank um eine Förderung zu Nach welchen Kriterien keine Werke von Akademieab- ist.“ Zugleich dürfen wir aber bitten, damit wir Jugendliche gehen Sie bei der Erweite- solventen. Ein Kunstwerk, das auch die demografische Ent- nicht nur bis zu 14, sondern bis rung Ihrer Sammlung vor? uns interessiert, muss von einer wicklung nicht vergessen – wir zu 20 Jahren kostenlos in die Zunächst einmal geht es Künstlerin oder einem Künst- alle werden immer älter. Das Staatsgalerie lassen können mir darum, die Sammlung ler sein, der über einen längeren heißt, unser Haus muss für und ich bin dankbar über diese zu vertiefen. Dies kann auch Zeitraum mit Qualität über- die gleichen Menschen länger nun schon im acht Jahre wäh- das Schließen von Lücken zeugt hat. Natürlich hat man attraktiv bleiben. Doch bleiben rende Partnerschaft. beinhalten. Nehmen wir ein als jemand, der das Privileg wir bei der „Generation digital“: Wie muss Kunst im Muse- Beispiel: Von Ernst Wilhelm hat, seit Jahren hauptberuf- Hier stellt sich die Frage, ob um präsentiert werden, damit Nay (1902–1968) hatten wir lich mit Kunst zu arbeiten, diese auch im Museum wirk- sie die Menschen erreicht? Werke aus fast jeder Phase manchmal das Gefühl: Das ist lich mehr Digitalisierung er- Im Zentrum steht für mich seines Schaffens in der Samm- wirklich ein außergewöhnlich- wartet. Ähnlich, wie man in der sinnliche Umgang mit lung – ausgenommen seine es Stück. Aber niemand ist ein Zeiten, in denen man alles Kunst. Als ich das erste Mal in Spätphase. In den letzten ein- Prophet. Wer sagt mir, ob dies streamen kann, wieder Vinyl- einer Galerie gearbeitet habe, einhalb Jahren vor seinem Tod nicht ein One-Hit-Wonder platten zu sammeln beginnt 56 Interview Art Sharing ist zeitgemäß! 57 und weiter zu Live-Gigs geht, konnte man sonntags hier im ist die Begegnung mit dem Haus die Gottesdienste hören – Es stellt sich Das Museum Original etwas sehr Wertvolles, und der Herrenberger Altar nach dem sich viele sehnen. war nach über 100 Jahren doch die der Zukunft Mit Banksy ist uns das ge- wieder in der Stiftskirche zu glückt: indem wir ein Original, sehen – zwei Erfahrungen von Frage, ob die muss die das viele bislang nur aus den Kunst, die so nur aufgrund digitalen Medien kannten, in der digitalen Technik möglich Generation Qualität der unser Haus geholt haben. Ein wurden. ­ anderes Beispiel aus dem Auch zur Veranschauli- digital auch Kontemplation Louvre: Nachdem Beyoncé chung unserer Provenienzfor- im Museum bewahren, 2018 hier ein Musikvideo schung eignet sich der Einsatz → Geschichte verstehen, gedreht hatte, stiegen die Be- von Digitalisaten sehr. Auf diese wirklich mehr um Gegenwart zu gestalten, aber auch neue sucherzahlen um eine Million Weise kann der Besucher Werke S. 32 Menschen. Ganz nach dem selbst umdrehen, natürlich Prinzip der „Verschiebung der ohne sie zu berühren, um die Digitalisierung Impulse setzen. Götter“ möchten alle wohl Besitzervermerke auf der auch am Platz des Märtyrers Rückseite mit eigenen Augen erwartet. oder der Heiligen sein. zu sehen. So eine Erfahrung Den Banksy haben Sie könnte man einer Besucherin durch die Sammlung wan- und einem Besucher ohne dern lassen. Nach welchen digitale Techniken kaum bie- Verfügung, die wir in unseren um sie zu testen. Dazu kommen realisieren seit der Erweiterung aber gleichzeitig auch offensiv Kriterien? ten. Und auf unserer Website digitalen Katalogen dazu be- die Kosten für die Erfassung des Kunstbegriffs ja längst neue Impulse setzen. Diese Ba- Immer nach ganz konkreten finden Sie unter Sammlung sitzen. Und dann suche ich mir unserer rund 300.000 Werke, solch intensive Erlebnisse in lance zu ermöglichen, ist die Fragestellungen: Was macht Digital einen großen Bestand- als Besucherin oder Besucher von denen bislang nur 14.000 Installationen und performati- große Herausforderung. den Künstler zur Marke? War- teil unserer Werke. selbst aus: Will ich nur den in digitalisierter Form mit ent- ven Arbeiten. Die Frage muss Vielen Dank für das um zerschneidet der Künstler Was geben Sie Erstbesu- Titel oder will ich auch weiter- sprechenden Daten vorliegen. also konkreter lauten, wie kön- Gespräch!­ die Leinwand? Warum wird chern der Staatsgalerie mit gehende Informationen zu Ein Haus unserer Größe benö- nen Mittel digitaler Immersion ein Bild zu einem Skandal? Im auf den Weg? diesem Werk? Dadurch hätten tigt für eine umfassende Digi- herkömmliche Medien wie Ma- Prinzip wollten wir sehen, ob Ganz wichtig: Niemand wir auch verlässliche Daten, talisierung mehrere Millionen lerei und Plastik begleiten oder sich Banksy neben diesen gro- muss, um Kunst zu genießen, welche Informationen über- Euro. Eine Digitalisierung aus gar ergänzen? Das wollen wir ßen Kunstwerken behaupten wissen, welche Attribute der haupt abgerufen werden – und unseren laufenden Bordmitteln bei unserer Herbstausstellung kann oder ob er doch absackt. heilige Bartholomäus hat oder welche Bilder für bestimmte wäre ein Generationenprojekt. »Mit allen Sinnen!« versuchen. → Carte Blanche, S. 76 Das haben wir dann zu Beginn wer wen vom Olymp gestoßen Besuchergruppen besonders Nicht nur uns, auch den Be- Dafür werden wir Räume in- dieses Jahres beim Banksy- hat. Solche heilige Scheu will relevant sind. Darauf aufbau- sucherinnen und Besuchern szenieren, in denen die Besu- Symposium diskutiert – mit ich unbedingt abbauen. Ich end könnte man dann ganz ginge da vermutlich deutlich cherinnen und Besucher über zum Teil kontroversen Haltun- rate jedem: Lasst euch ganz auf den Geschmack der Be- früher die Luft aus. Es gibt das Sehen hinaus auch tasten, gen. und gar auf die Kunst ein! sucherin und des Besuchers zwar immer wieder Förderun- riechen, hören und schmecken Können Digitalisierung Kunst ist eine visuelle Sprache, zugeschnittene Führungen gen für die Digitalisierung von sollen, um die französischen und die Aura des Originals die jedem etwas zu sagen hat – vorschlagen. Wären das Geld Museen, aber diese betreffen Impressionisten ganz anders nicht auch versöhnt werden? ganz direkt. Daher habe ich und der politische Wille vor- nicht die konsequente Erfas- als üblich auf sich wirken zu Ja, auf jeden Fall. Ein Bei- auch die Beschilderung der handen, könnten wir den Mu- sung einer Sammlung, sondern lassen. Wichtig ist, dass diese spiel: Beim 500. Geburtstag Sammlung sehr reduziert: Name seumsbesuch revolutionieren, einzelne Leuchtturmprojekte sinnliche Komponente nicht des Herrenberger Altars be- des Künstlers, Jahr, Bildtitel, ohne überall in den Räumen im Bereich der Vermittlung. einfach „on top“ dazukommt, kamen wir von der Gemeinde Inventarnummer. Stelen oder Touchscreens oder Baden-Württemberg ist ohne- sondern das Erlebnis der Herrenberg die Anfrage, ob wir Wie sieht die Beschriftung sonstige, manche Besucherin- hin eines der Länder, die hier Kunst wirklich verstärkt. ihnen das Original als Leih- im Museum der Zukunft aus? nen und Besucher sicherlich noch am meisten Geld inves- Welche Funktion hat das gabe zur Verfügung stellen Am Ende gibt es möglicher- störende Installationen anbrin- tieren. Museum der Zukunft für Sie? könnten. Das ist aufgrund der weise gar keine Texte mehr gen zu müssen. Welche internationalen Verkürzt gesagt: Art Shar- Größe des Objekts und seiner neben den Bildern, aber eine Warum gehen Sie nicht Entwicklungen finden Sie ing ist nicht nur zeitgemäß, PROF. DR. CHRISTIANE LANGE Fragilität leider nicht möglich. funktionierende Indoornavi- den ersten Schritt? interessant für die Staats- sondern bietet auch eine außer- ist seit 2013 Direktorin der Staats- Da sie aber nicht lockerließen, gation. Ich laufe mit meinem Leider ist eine solche Navi- galerie? gewöhnlich gute Möglichkeit, galerie. Zuvor war die Kunsthisto- haben wir uns um Mittel ge- mobilen Endgerät durch die gation bislang nur über techni- Gegenwärtig ist viel von über aktuelle Fragestellungen rikerin Leiterin der Kunsthalle der kümmert, um für einige Monate Sammlung und dieses erkennt sche Krücken machbar. Solche Immersion im Museum die Rede. zeitübergreifend zu reflektie- Hypo-Kulturstiftung in München. eine digitale Liveschaltung automatisch das Objekt, vor wenig nachhaltigen Techno- Aber dieses Eintauchen in ein ren. Das Museum der Zukunft Seit 2003 unterrichtet sie an der zwischen unseren zwei Häusern dem ich stehe, und stellt mir logien sind bei 12.000 Quadrat- Werk ist nicht erst in der digi- muss seine bisherige Qualität Akademie der Bildenden Künste, zu ermöglichen. Auf diese Weise dann alle Informationen zur metern einfach zu kostspielig, talen Welt möglich. Künstler- der Kontemplation erhalten, seit 2011 als Honorarprofessorin. 58 Fotoessay Schule des Sehens 59 62 Gesprächsnotizen von Jochen Saueracker und Christian Draheim 63 Jochen Saueracker und Christian Draheim sind aus Leverkusen nach Stuttgart gekommen, um 60 Fernseher mit ins Rheinland zu nehmen – Fernseher, deren Bildröhren in der Werkstatt von EIN NEUER Christian Draheim erneuert werden, um der Arbeit »Beuys Video Wall (Beuys Hat)« von Nam June Paik aus dem Jahr 1990 neues Leben zu geben. LEBENS- Paik (1932 – 2006) gilt weltweit als „Vater der Videokunst“. Im Schauatelier Wüstenrot Stif- tung der Staatsgalerie erzäh- len die beiden Experten in der ZYKLUS für die rheinländische Kunst- szene typischen Unaufgeregt- heit über den Künstler, seine Arbeit und immer wieder über die Technik der Bildröhre. Da- bei geht es nur am Rande um Kunst. „Unlängst dampfte es aus unserem Beuys’ Hat.“ So schrieb Gudrun Inboden, Kustodin an der Staatsgalerie, an Jochen Saueracker im Jahr 1995. Es war offensichtlich: Einige der Bildröh- ren waren kaputt, und so wanderte die monu- mentale Videowall von Nam June Paik mit ihren 60 Fernsehern aus der Sammlungspräsentation Zur Restaurierung ins Depot. Ein Fehler, wie Christian Draheim im Gespräch lapidar konstatiert. Bildröhren müssen von regelmäßig in Betrieb genommen werden, um am Leben zu bleiben. Dass der Fernseher auch Videokunst als Kulturgut eine Historie hat, mit der sorgfäl- tig umgegangen werden muss, ist für beide eine FÜR Frage der Authentizität. Medienkunst ist Hand- werk, das sich nicht in ihrer Herstellung er- schöpft. Gemeinsam engagieren sie sich für die Weitergabe des Wissens zu Elektronik, Technik und Bildröhren für den Erhalt der Medienkunst NAM JUNE PAIK des 20. Jahrhunderts. 64 Gesprächsnotizen Ein neuer Lebenszyklus für Nam June Paik 65

JOCHEN SAUERACKER CHRISTIAN DRAHEIM Zum Nutzen von Technik Zum Wiederaufbau in der Kunst, von Wissen, zu Freiheit und Ästhetik zu Faszination und Mission

„Paik war offen für technische Entwicklung. „Ich habe damals 80 Prozent meiner Arbeits- „Das Wichtigste in der Bildröhre ist das „Seitdem ich zwölf Jahre alt bin, fasziniert Er mochte es, das Neue zu erleben und heraus- zeit mit dem Aufbau seiner Werke verbracht. Hochvakuum und das Elektronenstrahlsystem. mich die Bildröhre. Wir fertigen jede Röhre neu. zufordern. Dabei wollte er die Technik nicht Allein die Verkabelung! Paik agierte wie ein Das ist es, was wirklich kaputtgeht und was Zwar altert das Glas der Kolben nicht, aber ihr verstehen, sondern einfach nutzen. Als Künstler Komponist und nicht wie ein Bildhauer. Er skiz- wir neu bauen.“ Elektronenstrahlsystem verbraucht sich. Die war er nicht ökonomisch interessiert, sondern zierte uns seine Idee – und wir realisierten sie. Katoden verschleißen und das Vakuum schwin- hat mit dem gearbeitet, was zur Verfügung Nehmen wir die „Beuys Video Wall“: Er wollte „Wir sind weltweit die einzige Werkstatt für det. Ich erneuere Röhre für Röhre, Bildschirm stand.“ 60 Fernseher und Beuys’ Hut. Also legten wir Bildröhren von Farbfernsehern.“ für Bildschirm. Wir arbeiten sehr spezialisiert, los, kauften Filz, besorgten Regale und fügten prüfen auch die Wirkung von Klima- und Tem- „Am Anfang meiner Arbeit für Paik ging es alles zu einer riesigen Skulptur zusammen. Wir arbeiten in unserer Werkstatt hoch spe- peraturwechsel oder die Auswirkungen unter- darum Fernseher zu tragen – als Objekte, das Paik dachte nicht in Details oder Maßeinheiten. zialisiert. Die industrielle Fertigung der großen schiedlicher Hängepositionen. Ich gebe keinen passte zu einem Studenten aus der Bildhauer- Seine Maßeinheit war die Anzahl der Fernseher Fernsehhersteller formen wir auf Manufaktur- restaurierten Fernseher zur Auslieferung frei, klasse. Dazu war es praktisch, dass der, der und die Größe des Inhalts.“ niveau nach. Schon mein Vater war darauf der nicht umfassend geprüft worden ist.“ sie trägt, auch weiß, was damit zu tun ist. Paik spezialisiert, Bildröhren einzeln zu fertigen. hat zu nutzen gewusst, was ich konnte.“ „Es ist nicht 5 Minuten vor 12, sondern 5 Die Bildröhre hat sich über die Jahre ja verän- „Durch die Auflösung der großen Fern- Sekunden vor 12, um das Wissen zur analogen dert, so wurde sie z. B. immer flacher. sehhersteller wie Telefunken, Philips oder „Paik hat uns Assistenten keine Freiheit Technik und ihren Materialien zu erhalten.“ Auch gab es eine große Bandbreite an unter- Panasonic ist das Wissen um die Bildröhre und gelassen, auch wenn es vermeintlich so aussah. schiedlichen Ausführungen. In meinem väter- die Elektronik verloren gegangen. Das wieder Er übermittelte uns seine Ideen, damit wir sie „Die Bildröhre hat eine ganz eigene Ästhetik. lichen Betrieb wurden alle Arten von Bildröhren zusammenzuführen, war das Ziel beim Wieder- umsetzten. Freiheit aber war das nicht, denn Paiks Videobilder ziehen den Besucher in den einzeln angefertigt, denn damals wurde ein Fern- aufbau der Werkstatt. Unsere Mission ist, dieses er wusste sehr genau, wer von uns was machte. Bann, weil das Bild in Zeilen aufgebaut wird und seher nicht weggeworfen, nur weil nach sieben Wissen jetzt auch weiterzugeben. An Medien- Je nach Idee wählte er unter uns Mitarbeitern nicht in Punkten, wie das heute bei LCDs oder Jahren vielleicht die Bildröhre kaputtging.“ restauratoren und Kunstzentren, die an dem aus, wer diese nach seinen Vorstellungen um- digitalen Flächen der Fall ist. Thema arbeiten, sowie an Studierende der setzt.“ Das technische Equipment ist eng mit seiner „Ein analoges Bild ist aus Zeilen aufgebaut, Restaurierung mit dem Schwerpunkt Medien.“ Zeit verbunden – und damit ein echter Bedeu- die vom Elektronenstrahl nacheinander auf die „Es war ein großer Paradigmenwechsel, für tungsträger für die Zeit und die Kunst. Wollen Mattscheibe geschrieben werden. Das ist was einen lebenden Künstler zu arbeiten und nach wir das wirklich aufgeben? Umso schöner, dass ganz anderes als die Pixel von digitalen Bildern. 2006 für einen toten Künstler. In der frühen Zeit sich die Staatsgalerie dazu entschlossen hat, Kunst mit Röhrenmonitoren ist eine analoge mit Paik gab es keine Notizen. Er wollte es nicht. die originalen Bildschirme Röhre für Röhre zu Kunst, die darf man nicht auf moderne Bild- Wichtig war das Verständnis, ein Kunstwerk überholen und der Arbeit von Paik so einen neu- schirme übertragen. Das wäre eine Verfremdung aufzubauen. Nicht Geräte zu verkabeln, sondern en Lebenszyklus zu ermöglichen. Diese Sensi- der Ästhetik.“ das Denken eines Künstlers zu repräsentieren. bilität für die originalen Materialien ist bei vielen Allein schon, wenn man das Material anfasst.“ Museen und Kunstsammlern noch nicht ange- kommen – gerade in den USA sieht man da noch „Ich wehre mich gegen den Begriff Medien- große Defizite. Aber das Umdenken setzt ein. kunst, was Arbeiten wie die von Nam June Paik Das technische Equipment ist eng mit dem Werk angeht. Videokunst ist der genauere Begriff, verwoben, es ist ein wichtiger Bedeutungsträger es handelt sich schließlich um analoge Videos. für die Zeit und die Kunst.“ Wer ein analoges Kunstwerk wie dieses restau- JOCHEN SAUERACKER CHRISTIAN DRAHEIM riert, versteht, dass unser Umgang mit digitalen studierte Physik und danach Bild- ist Spezialist für die Erhaltung Medien unseren Zeitbegriff verändert hat. Bei hauerei an der Kunstakademie in von Bildschirmsystemen. Nach analoger Videokunst gibt es keinen Cursor, Zeit Düsseldorf bei Günther Uecker. einer Ausbildung im kaufmän- ist eine gesetzte Größe und das Fundament der Von 1984 bis 2006 war er Mitar- nischen und elektronischen filmischen Bewegung – wie bei unserer Arbeit. beiter im Atelier von Nam June Bereich war er in verschiedenen Die digitale Revolution hat einen ganz anderen Paik und übernahm 1984 die Pro- Unterneh-men der Radio- und Zeitbegriff. Im Schnitt arbeitet man mit Time- jektleitung bei Ausstellungs- Fernsehtechnik tätig. Im Jahr lines und agiert mit dem Cursor vor und zurück. einrichtungen. Seit 2000 berät er 2015 begann seine Auseinander- Im Analogen hingegen ging alles in Echtzeit. 30 Projekte zur Restaurierung von setzung mit Medienkunst und Minuten sind 30 Minuten.“ Video- und Medienkunst. Nam June Paik. 68 Fotoessay Schule des Sehens 69 72 Interview mit Thomas Milz 73 Wir sind im Foyer verabredet, diesem Raum „Muss man vor Bildern immer mit dem legendären grünen Noppenboden. Thomas Milz wirkt fast ein wenig fremd in die- nur flüstern?“ Das fragt sich sem Ambiente – ausgewaschene Jeans, in die Thomas Milz, langjährige Auf- Jahre gekommene schwarze Lederjacke und wilde Haare – ein Mann, dessen Intellekt ebenso sicht in den Räumen der offensichtlich ist wie seine Verortung in den 1968er-Jahren des 20. Jahrhunderts, die er bio- Staatsgalerie und so etwas grafisch aber knapp verfehlt hat. wie ein Stuttgarter Original. Seit 17 Jahren arbeitet der studierte Religi- ons- und Literaturwissenschaftler in der Staats- Die Frage nach dem Weg zur galerie als Aufsicht – zwei Tage die Woche, die übrigen Tage ist er Journalist für eine Regional- Toilette gehört für ihn genauso zeitung. Gleich zu Beginn erzählt Milz, dass die EIN Staatsgalerie eines der wenigen Museen ist, in zum Alltag wie die Lust gerade denen Aufsichten teilweise noch fest angestellt der jüngsten Besucherinnen sind. Zusammen mit den Kolleginnen und Kol- legen externer Sicherheitsfirmen, erkennbar an und Besucher, sich großer ihren Anzügen und Krawatten, haben sie Kunst Kunst am liebsten über kleine auf einer Fläche von 12.000 m2 in ihrer Verant- wortung, deren Wert in die Millionen geht. Bildschirme zu nähern. Ein Ge- LABYRINTH Wie beginnt der Tag für die Aufsichten in der Staatsgalerie? spräch über Kids im Museum Morgens trifft man in den Umkleideräumen und Lehren gegen Langeweile. auf die Kolleginnen und Kollegen. Jeder weiß, der Tag wird lang. Es wird sich also in den Dienstbeginn hereingealbert, ein bisschen zum lockerwerden. Schon im Foyer der Alten Staats- galerie sind uns zuvor von der Teamleitung unsere Räume zugewiesen worden, in denen wir Aufsicht haben. Meist sind wir zwei Wochen in denselben Räumen; danach wird gewechselt. Vor Dienstbeginn sollen wir die Bildersäle prü- fen, ob alles in Ordnung ist. Oft werden Bilder ab- oder umgehängt. Das sollten wir wissen, wenn uns Besucherinnen und Besucher nach dem Ort eines bestimmten Werkes fragen. Dann FÜR können sie kommen, unsere Gäste. Gibt es einen Rhythmus bei den Besucherströmen? Vormittags bis etwa 13 oder 14 Uhr sind es in erster Linie Schulklassen, die ins Haus kom- men. Das ist meist eher anstrengend für uns. Sind die Lehrerinnen und Lehrer gut vorberei- tet, dann nehmen sie ihre Schülerinnen und Schüler mit, widmen sich gemeinsam den KONTEM- Werken. Sind die Lehrerinnen und Lehrer lust- los, dann sind es auch ihre Schülerinnen und Schüler, die dann Wandertag durchs Museum machen und auf irgendwelchen Bänken lieber Bilder auf ihren Smartphones gucken. Sonn- tags ist Familientag. Da kommen dann schon auch Paare mit ihren entweder schlafenden oder quengelnden Kleinkindern, für die es im PLATION Museum eigentlich nichts zu sehen gibt. Herz- In der Sammlung mit rasen bei uns, wenn die Eltern sie frei rumlau- Thomas Milz fen lassen. Wir schauen natürlich, dass sich alle 74 Interview Ein Labyrinth für Kontemplation 75 wohlfühlen, aber es kommt oft genug vor, dass sich in parodistischen oder mimetischen Po- so: Da ist allemal Passion im Spiel. Ich denke, ein Kind ins Bild fassen will und wir gerade sitionen vor manchen Werken. Sie nähern sich dass wir unsere Gegenwart besser verstehen, Wir brauchen den noch eingreifen können. Das sind so etwa die spielerisch und aktiv der Kunst. Und man be- wenn wir sie fortwährend geschichtlich einem anstrengendsten Momente. Ansonsten sind die greift: Denen geht es nicht nur ums passive Re-Visions-Prozess aussetzen. Der dafür ge- Konflikten beliebtesten Fragen: Wo ist der Ausgang? Denn Schauen, sie wollen sich sozusagen selbst in die dachte kontemplative Ort ist das Museum. unserer Gegenwart die Staatsgalerie ist mit ihren drei Gebäude- Bilder einschreiben. Es geht um Inszenierun- Diese Betrachtungsweise ist Ihnen als teilen ein Labyrinth. Und dann natürlich: Wo ist gen des Alltags – und das im Museum. Darüber kunsthistorisch interessiertem Menschen ja gegenüber die Toilette? Das sind die Klassiker. Du zeigst freut man sich dann, wenn die dadurch Spaß sehr nahe. Wenn wir nun aber die Schülerin- dann in eine bestimmte Richtung und die mit sich und den Bildern haben. Das Selfie ist nen und Schüler nehmen, die hier durchge- Bündnispartner Hälfte der Leute geht mit Elan in die entgegen- davon nur eine Schwundstufe. Aber ansonsten: hen. Was haben Sie denn da vielleicht noch gesetzte. The Kids Are Alright. Interessant waren natür- beobachtet, wo Kinder ganz aufmerksam aus unserer Also braucht man vermutlich viel Geduld lich im vergangenen Jahr die Erfahrungen mit werden und sich in eine Beziehung zur Kunst in ihrem Job? dem sogenannten „Schredderbild“ von Banksy, stellen? Man braucht vor allem Humor. Wir sind zwar das ein teilweise ganz neues Publikum in die Als ich 1962 in die Schule kam, haben die Vergangenheit. dafür da, die Bilder zu sichern und Auskunft zu Staatsgalerie brachte. Mein persönlicher Ein- Lehrer Ausschau gehalten nach begabten geben, aber viele Besucherinnen und Besucher druck war, das sich mit Banksy das Museum Kindern unter „bildungsfernen“ Schichten, die sprechen uns natürlich auch an, wenn sie Infor- wohltuend für breitere Schichten – wenn man vor der Angst einer zukünftigen deutschen mationen zu den Bildern haben wollen oder weil so will: zur Straße hin – öffnete! Eine tolle Er- Bildungskatastrophe aufs Gymnasium sollten es einfach angenehm ist, in unseren weiten fahrung. und denen der Zugang auf die (dann rasch Hallen eine Ansprechpartnerin oder einen An- Wie würden Sie jemandem erklären, wofür überfüllten) Universitäten ermöglicht werden sprechpartner vorzufinden. Das tut manchen ein Museum gut ist und warum er hineingehen sollte. Für diese Generation – meine – war ein Besucherinnen und Besuchern sichtbar gut. Ich sollte? Museumsbesuch tatsächlich die Eroberung habe unsere Aufgabe in dieser Hinsicht einmal Ich bin da ja eher auf der konservativen Sei- einer anderen Welt. Wenn wir uns den Kindern mit der der mythischen Penaten verglichen. te. Ein Museum wie unseres, das sind 700 Jahre und Jugendlichen von heute zuwenden: Für die Wir sind sozusagen Schwellenhüter, die unsere Geschichte. Man steht hier vor einem Bild, und ist das inzwischen selbstverständlich geworden. Gäste sicher und wohlwollend ins Innere des vor vielleicht 300 Jahren stand der Maler auch Die sind von ihren kunstbegeisterten Eltern in Hauses geleiten. Wir sind keine Kunsthistoriker, davor. Er hats gemacht. Danach hat er es an- die Museen geschleppt worden, eher wider- aber wir begegnen den Anliegen der Besucher- geschaut. Kann es sein, dass sein Blick auf das willig und gelangweilt – mit uninteressierter innen und Besucher mit der professionellen Bild nun uns aus dem Bild heraus anschaut? Abwehr. Aufmerksamkeit, die bei einer kulturellen Ein- Natürlich nicht. Obwohl ... ein irgendwie wär- Ich denke, es ist wichtig, dass wir es schaffen, richtung wesentlich dazugehören sollte. Ja, wir mender Gedanke. Ich wüsste nicht, wie man dass jede neue Generation das Gefühl bekommt: bewachen die Bilder, das heißt, wir beobachten diese Nähe zum Original durch einen Katalog Die Kunst hier in der Staatsgalerie oder auch in die Besucherinnen und Besucher, aber doch oder noch weniger durch eine Abbildung im anderen Museen, sie hat etwas mit mir zu tun! möglichst so, dass sie nicht das Gefühl haben, Internet ersetzen könnte. Das Bild hat eine Das muss man vermitteln, und das gelingt, wenn von unseren Blicken verfolgt zu werden. Aura – und sei es die Aura, wie John Berger bis- die Kunstwerke nichts Fremdes und Fernes Seit wann sind Sie hier im Besucherservice? sig meinte, dass man endlich das Original zur bleiben, sondern mit ihren Erfahrungspoten- Inzwischen schon seit 17 Jahren, mit einer zuvor gesehenen Abbildung sieht. Jedenfalls zialen an die Lebenswelten heutiger Generatio- halben Stelle. scheinen mir Kunstwerke Zeugen der Ausein- nen angeschlossen werden. Das war eigentlich Und in diese Zeit haben Sie das Museum andersetzung des Menschen mit sich und seiner schon immer so. Aber das war es eben auch im- von vorn bis hinten kennengelernt? Welt in jeweils konkreten historischen Konstel- mer wieder auf eine neue Weise. Diesen Punkt O ja. Wahrscheinlich haben viele von uns lationen zu sein, konservierte Geschichte, die gilt es zu finden. Da hilft nur der Blick aus dem Aufsichten die einzelnen Bilder der Sammlung sich der Betrachterin und dem Betrachter öff- Museum hinaus! Also: Wie mache ich die Künste weitaus länger als die meisten anderen Mit- net. Und dafür sind Museen da! existenziell für die Gegenwart einer jungen Gene- arbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsgalerie Bilder hätten also eine Aura? Wie meinen ration bedeutsam? betrachtet. Man entdeckt über die Jahre hin- Sie das? weg immer wieder etwas Neues. Es ist wie ein Das Museum als Geschichtsspeicher ist, wie Dauergespräch, das man mit den Bildern führt. ich es mir wünsche, natürlich auch ein Auf- Ob die Bilder uns Aufsichten gegenüber mit der klärungsunternehmen, weil wir gegenüber den THOMAS MILZ Zeit besonders zutraulich werden? Vielleicht Konflikten unserer Gegenwart Bündnispartner studierte Germanistik und Religions- stellt sich da mit der Zeit etwas Verschworenes aus unserer Vergangenheit brauchen. Das kön- wissenschaft. Nach Tätigkeiten in ein. nen Kunstwerke auch wirklich sein. Bilder sind den unterschiedlichsten Berufs- Gibt es Besonderheiten bei Besucherinnen visuelle Verdichtungen von gesellschaftlichen feldern – vom Konditoreigehilfen und Besuchern? Spannungen. Vielleicht entsteht besonders dar- über den Dramaturgen bis hin zum Ja, nehmen wir die Kids. Die laufen mit dem aus auch so etwas wie der Funkenschlag von Redakteur – arbeitet er seit 2002 Smartphone durchs Museum. Das nervt. Dann Vergangenheit in Gegenwart (und zurück), den in der Staatsgalerie. Nebenbei ent- wieder sind sie manchmal ganz erfinderisch wir dann vielleicht nicht unproblematisch reli- stehen weiterhin eigene Texte und und werden aktiv. Das heißt, sie inszenieren giös als „Aura“ bezeichnen könnte. Sagen wir es Radiosendungen. 76 Ausstellung Carte Blanche 77

Carte Blanche! Hier stand ursprünglich ein Text der Vorfreude auf die für den Herbst geplante, große Publikumsausstellung »Mit allen Sinnen! Französische Malerei«. Es ist jetzt keine schöne Aufgabe, diesen in sich so wunderbar stimmigen Text zur Malerei des Impressionismus und zu Künstlern wie Claude Monet, Camille Pissarro und Auguste Renoir zu durch- brechen, um die Covid-19-Pandemie einzufügen. Nein, das ist wahrlich nichts, was Freude bereitet.

„Die Aufgabe des Künstlers besteht darin, das darzustellen, was sich zwischen dem Objekt und dem Künstler befindet, nämlich die Schönheit der Atmosphäre.“ Claude Monet Carte Blanche! Wir haben der Ausstellung den ursprünglichen Keine detailgetreue Abbildung der Natur, sondern Luft, Licht Titel »Mit Allen Sinnen!« genommen, um ihr und uns alle Mög- und Schatten, die Sattheit einer Wiese, die Flüchtigkeit einer lichkeiten offen zu halten. Geplant war, die großartigen Werke Wolke, die kühle Erhabenheit einer Kathedrale, intuitiv mit der französischen Impressionisten in eine taktile, allen Sinnen Farbe auf die Leinwand gebracht, das galt diesem Kreis neuer gewidmete Ausstellungserzählung einzubetten. Projektionen von impressionistischer Maler als wahre Kunst. Schließlich wollten Licht, Farben und sogar Düften sollten die Besucherinnen und sie nichts Geringeres als dem Wesen der Dinge hinter dem vor- Besucher einladen, in die Welt des Impressionismus einzutauchen, dergründig Sichtbaren Raum geben – und revolutionierten damit die Malerei. „Die Farbe ist der Ort, wo unser Gehirn und das Weltall 16. 10. 2020 – 17. 3. 2021 sich begegnen. Darum erscheint sie den wahren Malern Teil eines Bilds zu werden und Texturen der Farbe nicht nur zu durchaus dramatisch.“ Paul Cézanne sehen, sondern regelrecht zu fühlen. Ein Parcours, der Kunst „Wie duftet der Impressionismus?“, unter dieser Überschrift durch Bewegung und nicht durch stille Betrachtung zur vollen erzählte uns der Text davon, wie die französischen Maler in der Entfaltung kommen lässt. 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts dazu übergingen, ihre Staffeleien „Ich liebe Bilder, die in mir den Wunsch erwecken, in ihnen ins Freie zu tragen, und die Kunst von der Muffigkeit des Ateliers DR. CHRISTOFER CONRAD herumzuspazieren, wenn es Landschaften sind, oder sie zu befreiten. Was sie dem staunenden Publikum von ihren Ausflügen ist Kurator der Ausstellung »Mit liebkosen, wenn es Frauen sind.“ Auguste Renoir in die Natur mitbrachten, glich einer Feier des Augenblicks, die allen Sinnen! Französische Male- Sinnliche Nähe – genau dies dürfen wir im Jahr 2020 nicht das so unkonventionell Porträtierte von jener Gleichgültigkeit rei«. Der als Leiter der Abteilung leben. So sehr wir uns danach auch von Tag zu Tag mehr sehnen. emanzipierte, die die Kunst bis dahin so oft umgeben hatte. Alles III (Kunstdienstleistungen) der Somit ist es im Moment noch ungewiss, ob wir die Ausstellung war Augenblick, alles pulsierte im Licht eines Sehens, das weit Staatsgalerie tätige Kunsthistori- in ihrer ursprünglichen Konzeption umsetzen können. Als Carte über die Wahrheit der Augen hinaus zu schauen vermochte. Beim ker ist ein bekennender Liebha- Blanche bleibt uns aber die Möglichkeit, Ihnen diese Meisterwerke Zusammenweben des ursprünglichen Textes mit der Ungewiss- ber der „Spur des Pinsels“ (oder von Claude Monet, Camille Pissarro, Éduard Manet, Auguste heit der Zukunft dieser Ausstellung kommt mir der Gedanke, des Stiftes oder Grabstichels), Renoir, Alfred Sisley und doch noch zu zeigen – dass nichts aktueller ist als eine große Inszenierung dieser frei- die den Umgang mit Originalen wenn auch anders als wir uns das zum jetzigen Zeitpunkt über- heitlichen Malerei, die dem Augenblick huldigt. so einzigartig macht. haupt vorstellen können. 78 Gespräch zwischen Helga Huskamp und Steffen Egle 79 Alle plappern wild durchei- Vermittlung und Kommunikation sind nander und zeigen ihre kleinen Finger: „Ich bin sechs, ich fünf, längst von Stiefkindern zu Kernkom- ich sechs …“ Stolz sind sie auf petenzen des modernen Museums- die bunten Eintrittskarten und hungrig sind sie auch. Gleich betriebs geworden. Hand in Hand mit geht es zurück in ­die­ Kita. Es ist Freitagmorgen, gegen 11.30 kunsthistorischer Expertise verwan- Uhr im Foyer der Staatsgalerie. deln sie traditionsreiche Gemäldega- Helga Huskamp und Steffen Egle sind aus ihren Büros ­her- LOBBYISTEN lerien in Räume vielfältiger Erlebnisse untergekommen, um die Abend- veranstaltungen noch mal in für die ganze Gesellschaft. den Details zu besprechen. Da- Denn eines steht fest: Besucherinnen zwischen ein kurzes Zugehen ­auf die jüngsten Gäste des und Besucher kommen nicht einfach Museums am heutigen Tag. Am frühen Abend ist dann von allein; sie wollen eingeladen sein – die Staatsoper mit einem FÜR und etwas erleben. Wandel-konzert zu Gast und ab 20.30 Uhr gehört das Mu- seum denen, die bei unserem »Weekend Warm-up. Schlem- mer Beats« Kunst und Tanz in einem erleben wollen – eine Großveranstaltung, für die man an die 1.000 Gäste erwar- PUBLIKUM tet, aus denen im Verlauf des Abends 1.750 werden. Frau Huskamp, Herr Egle, Kindergartenkinder, Opern- publikum und Clubszene, das alles an einem Tag. Ist diese Vielfalt bei Ihnen Alltag? Helga Huskamp (HH): Der UND Tag heute ist schon wirklich ein wenig verrückt. Aber Tage wie diese machen uns allen Mehr Raum für Kommunikation besonders viel Spaß. Selbst die Kolleginnen und Kollegen und Vermittlung der Sicherheit freuen sich über die besonderen Herausforde- rungen. Überhaupt waren die ganzen letzten Wochen voll- gepackt mit sehr erfolgreichen Veranstaltungen für die unter- schiedlichsten Zielgruppen, ob Wissenschaftler, Familien, Banksy-Fans, Opernliebhaber oder Weingenießer. Gemeinsam ist allem, dass WISSEN- der thematische Ausgangs- punkt die Kunst ist. Alles, was wir anbieten, hat eine inhalt- liche Verbindung entweder zur Sammlung oder zu einer der SCHAFT Ausstellungen. So hatten wir 80 Gespräch Lobbyisten für Publikum und Wissenschaft 81 im Januar allein drei wissen- Musiker neuer Musik zu Hans mit unseren Fokusgruppen im schaftliche Themenveranstal- Holbeins Passionszyklus sein, Austausch. Es ist uns wichtig, Auf jeden Fall tungen für das Publikum – ein Podium mit Dramaturgen zu verstehen, welche Fragen zweimal zu Tiepolo, einmal der Oper und Kuratorinnen die unterschiedlichen Akteure müssen wir zum Herrenberger Altar und aus unserem Wissenschafts- der Stadtgesellschaft an uns dann noch ein öffentliches team zu Judith als Heldin oder haben. Im Idealfall beziehen mitdenken, dass Podium zu Banksy. Dazu noch eben ein Abend zu Oskar wir die Fokusgruppen in die einen Abend mit der Sopranis- Schlemmer mit DJs aus der Programmplanung mit ein. sich durch die tin Diana Haller, die mit dem Stadtgesellschaft. Wichtig ist Alle sprechen von Digita- Digitalisierung Ensemble Diderot unter Johan- uns dabei, dass wir diese Pro- lisierung in der Vermittlung. nes Pramsohler in Kooperation gramme vor allem auch aus Wie sehen Sie die Entwick- unser Verständnis mit dem SWR 2 Barockmusik einer gegenwärtigen Perspek- lung? zu Tiepolo eingesungen hat. tive gestalten. Wir fragen uns: SE: Ich glaube, der analoge Und dann das schon mehrfach Was ist die besondere Relevanz Ausstellungsraum wird immer vom Medium veranstaltete Familienkonzert einzelner Kunstwerke oder eine Rolle spielen – vielleicht mit Mitgliedern des SWR- Künstlerinnen und Künstler in Zukunft sogar wieder mehr. Bild verändert. Orchesters, bei dem Kinder für Themen, die Menschen Die Herausforderung besteht Steffen Egle mit Eltern und Großeltern heute umtreiben. darin, diesen Raum so zu nach dem Konzert zu Beet- Ganz persönlich liegt mir gestalten, dass er Relevanz hoven unsere Sammlung ent- auch unsere Arbeit mit Unter- besitzt, und dafür müssen wir deckt haben. nehmen am Herzen. Hier sind Museen die Möglichkeiten Steffen Egle (SE): Kunst zu wir Gastgeber für Manager- offensiv nutzen, die uns die vermitteln ist in der Tat eine Workshops, in denen wir Kunst neuen Technologien bieten. Es tige Werke in einem geradezu jekt „Digitale Wege 2“ verschie- schuldig. Konkret bedeutet das, sehr vielfältige Aufgabenstel- betrachten, um über neues muss ein Zusammenspiel sein kontemplativen Ansatz lang- dene digitale Ansätze für die dass wir in Führungen und lung. Wir haben den Auftrag, Denken und das Wechseln von zwischen analog und digital. sam zu erschließen. Genau Vermittlung. Dazu kooperieren Veranstaltungen auf die Be- möglichst viele Menschen für Perspektiven zu diskutieren. Die Grenzen sind doch schon deswegen könnte der analoge wir mit der Hochschule der dürfnisse reagieren, die das das Museum und die Kunst zu Wie entsteht Ihr Programm jetzt fließend. Jeder Ausstel- Raum noch einmal sehr span- Medien, wenn es um Gaming Alter mit sich bringt. Aber die begeistern. Die Basis unserer eigentlich ganz konkret? lungsbesuch findet zeitgleich nend werden – als ein wichtiger und VR-Anwendungen geht, Herausforderung der Vermitt- Arbeit sind dabei die täglichen HH: Aus einer guten Misch- im analogen Museum und im Gegenraum, den wir als solchen sowie mit dem Forschungs- lung liegt heute doch eher Führungen und Workshops, ung von stringenter Planung, digitalen Raum statt. Nicht nur aber auch deutlich vermitteln zentrum Informatik (FZI) aus darin, die Gesellschaft in der in denen wir Besucherinnen spontanen Ideen und schönen informieren wir digital, wir er- müssen. Sich dem auszusetzen, Karlsruhe zur Anwendung von Summe ihrer Teile zu verste- und Besuchern aller Altersstu- Zufällen. Was mir in der Staats- leben, dass unsere Arbeit dort braucht eine gewisse Anleitung. künstlicher Intelligenz. Das hen und zu denken und auch fen und mit sehr verschiedenen galerie besonders gut gefällt, kommentiert und diskutiert Das trifft auch auf die Sehn- sind sehr aufwändige Projekte, die Generationen zusammen- sozialen Hintergründen an die ist die enge und engagierte wird. Das ist toll. Ich habe mir sucht nach Achtsamkeit und deren Ergebnisse offen sind. zuführen. Wir alle spüren die Kunst und Kunstgeschichte Zusammenarbeit zwischen inzwischen einen Instagram- Entschleunigung zu, die uns Noch gibt es nicht den Königs- zunehmende Spaltung unserer heranführen. Das Themen- Wissenschaft, Vermittlung und Account zugelegt. Zum einen in den letzten Jahren immer weg, wenn es um die Digitali- Gesellschaft. Das können und spektrum, aus dem heraus wir Direktorin. Es gibt einen kon- lerne ich dort sehr viel über mehr gegenübertritt. Dazu sierung in der Vermittlung geht. wollen wir als Kunstmuseum unsere Programme gestalten tinuierlichen Austausch von unsere Besucherinnen und Be- haben wir ein eigenes Format Klassische Museumsbe- aber nicht akzeptieren. Unsere können, ist dabei sehr groß. Ideen, Themen und Vorhaben, sucher und zum anderen trete aufgelegt: Kunst und Achtsam- sucher sind vermehrt ältere Direktorin, Frau Lange, ver- Wir zeigen im Haus 700 Jahre aus dem sich das Programm ich dort in einen ganz unmit- keit. Diese Workshops dauern Menschen. Wie begegnen Sie steht es als wesentliche Auf- Kunstgeschichte und können in vielen einzelnen Schritten telbaren Kontakt mit ihnen. länger als normal, und gleich- diesem Publikum? gabe des Museums, die Kunst auf die wissenschaftliche formt. Neben dem Austausch Auf jeden Fall müssen wir zeitig sind die Stationen redu- SE: Die Staatsgalerie ist in in ihrer Qualität für alle Men- Arbeit des Museums von der im Haus ist auch die Zusam- mitdenken, dass sich durch zierter. Das Feedback zeigt Deutschland nach der Ham- schen erlebbar zu machen. Bestandserforschung über die menarbeit mit Partnern wie die Digitalisierung unser Ver- uns: In so einer Sammlung burger Kunsthalle traditionell Welche Projekte liegen Provenienzforschung bis hin dem SWR 2,dem SWR-Orches- ständnis vom Medium Bild zwei Minuten völlig ruhig zu das Museum mit dem größten Ihnen dieses Jahr besonders zur Restaurierung zurück- ter, der Bachakademie, der verändert. Da sehe ich eine sein, mal nur wahrzunehmen, Freundeskreis. Die Freunde am Herzen? greifen. Staatsoper, der Hugo-Wolf- große Herausforderung für nicht zu reden, mal nicht zu der Staatsgalerie e. V. haben SE: Aktuell laufen bei uns Führungen und Workshops Akademie, dem Schloss uns als Museen. Die Aura und kommunizieren, ist für viele etwa 9.500 Mitglieder, die wir zwei große Projekte, in denen sind aber nur ein Teil unserer Solitude, der Hochschule der Sinnlichkeit des Originals und Menschen etwas unglaublich stolz als „Stammgäste“ bezei- wir neue Möglichkeiten in der Vermittlung. Mindestens so Medien und anderen sehr des physisch gemalten Bildes, Befriedigendes. Wir sind als chnen können. Richtig aktiv Vermittlung erproben, um wichtig ist es für uns, die wichtig. Wir verstehen uns als auf die wir immer noch bauen, Ort aber nicht so codiert, da werden die Mitglieder – so un- dann aus den Erfahrungen Kunstwerke unserer Sammlung Teil der kulturellen Stadtge- muss möglicherweise selbst liegt eine große Aufgabe vor ser Eindruck – wenn sie in den nachhaltige Angebote zu ent- und die Themen der Sonder- sellschaft und sind somit auch irgendwann vermittelt werden. uns, das ins Bewusstsein der Ruhestand eingetreten sind. wickeln. Das Projekt »Jugend ausstellungen über ein Begleit- immer wieder gerne Gastgeber Wir sind es gewohnt, kleine Menschen zu tragen. Es ist uns ein großes Anliegen, braucht Kunst«, gefördert vom programm zu kontextualisieren. und Kooperationspartner. Bildformate schnell zu rezipie- HH: Zurzeit erarbeiten wir diesen Stammgästen möglichst Förderverein der Freunde der Das kann zum Beispiel ein SE: Und darüber hinaus ren, aber darüber haben wir mit Unterstützung des Landes bis ins hohe Alter ein Angebot Staatsgalerie e. V., gibt uns Künstlergespräch mit einem sind wir natürlich fortlaufend völlig verlernt, uns großforma- Baden-Württemberg im Pro- zu machen. Das sind wir ihnen Spielraum, um den Bereich 82 Gespräch Lobbyisten für Publikum und Wissenschaft 83 Als Kommunikations- Ich bin überzeugt managerin sehe ich davon, dass die mich als Lobbyistin Besucherin und der für das Publikum Besucher immer und die Wissenschaft mehr als Co-Kreative zugleich. einbezogen werden Helga Huskamp müssen. Steffen Egle

Schulen neu zu denken. Insbe- dass Museen wie die Staats- werten und in unser Denken dass die Kunst auch mal in saßen junge Leute gemeinsam sondere wollen wir in diesem galerie in ihrem Kern wissen- und Handeln einfließen lassen. den Hintergrund tritt? vor der Kunst und haben sich Format Kunst in ihrer gesell- schaftliche Institutionen mit Wir sind da schon alle zusam- HH: Die Idee, bei »Schlem- ausgetauscht über das, was sie schaftlichen und politischen den Aufgabenfeldern des Sam- men auf einem sehr guten Weg, mer Beats« die Staatsgalerie sehen. Relevanz für die Gegenwart melns, Bewahrens, Forschens gerade auch weil bei uns Kom- in einen interaktiven Club zu Herr Egle, wie sieht die stark machen. Dazu möchten und Vermittelns sind – vier munikation und Vermittlung verwandeln, kam von Studie- Vermittlung der Zukunft aus? wir in Museumscamps Schüler- Feldern, von denen drei ganz in einer Abteilung zusammen- renden der Hochschule der SE: Wir werden es mit ei- innen und Schülern ein zwei- ohne Publikum auskommen. arbeiten. Medien. Hintergrund war eine ner Mischung aus technischen tägiges Erlebnis bieten, in dem Darin liegt die Grundfrage der Mit »Schlemmer Beats« Neuinterpretation des Triadi- und inhaltlichen Perspektiv- sie sich über Kunst selbst aus- gesamten Debatte: Inwieweit haben Sie bewusst ein Event schen Balletts: eine Überset- wechseln zu tun bekommen, drücken können. Sie sollen die werden Museen zu Ausstel- für junge Erwachsene ge- zung in die digitale Rezeption. werden den Museumsraum Erfahrung machen, dass Kunst lungshäusern, in denen ein launcht, das völlig neue Wege Schlemmer wäre begeistert neu denken müssen – als öf- DR. HELGA HUSKAMP und ein demokratischer Raum der ständiger Programmwechsel der Kunstvermittlung geht. gewesen. Aber dies war nur ein fentlichen und zugänglichen STEFFEN EGLE sind Kunsthisto- Meinungsäußerung ist. Eben- zum Alltag wird, wie es die Welche Erfahrungen haben Baustein des Formates, denn Ort. Ich bin überzeugt davon, rikerin und Kunsthistoriker, aller- falls ein besonderes Projekt ist Theater seit Jahren praktizie- Sie damit gemacht? es ist für uns ganz wichtig, dass der Besucher immer dings mit sehr unterschiedlichen dieses Jahr die Publikumsaus- ren? Und inwieweit verlässt HH: Mit dem richtigen For- nicht Event als Event anzubie- mehr als Co-Kreativer einbe- Werdegängen. Steffen Egle ab- stellung »Mit allen Sinnen!« Im ein Museum sein Selbstver- mat bekommen wir ein sicht- ten, sondern einen Abend mit zogen werden muss. Wir spüren solvierte nach dem Studienab- Umfeld dieser Ausstellung, die ständnis als hermetische lich anderes Publikum in Kunst und Erlebnis. Wir haben es heute schon: die junge schluss ein Museumsvolontariat wörtlich alle Sinne anspricht, Wissenschaftsinstitution, um unsere Räume. Das sind junge für den Abend noch die Gruppe Generation, das sind keine und leitet innerhalb der Abteilung möchten wir einen Fokus auf ein offener Ort für die gesamte Leute mit einem großen Sinn Play Bauhaus mit Torsten Blu- Konsumenten, das sind Pro- Kommunikation und Vermittlung Menschen mit Sehbehinderun- Breite der Stadtgesellschaft zu für Ästhetik, für Mode, für me von der Stiftung Bauhaus duzenten. Das müssen wir seit 2014 den Bereich Vermitt- gen legen. werden (wie es die Bibliothe- gute Musik, aber, und das ist Dessau eingeladen. Sie haben ernst nehmen. Ein erster lung. Dr. Helga Huskamp ging Und wo sehen Sie die ken längst umgesetzt haben)? das wirkliche Spannende, Kunst einen Tanzworkshop und das Schritt dorthin werden sicht- nach ihrer Promotion in die Herausforderungen für die Die Transformation des Mu- ist auch in ihrem „Mindset“. »Schlemmer Fotoatelier« an- bare Räume sein, in denen der Agenturszene und arbeitete als Vermittlungsarbeit in der Zu- seums, neu zu denken, sich Viele Museen unterschätzen geboten. Aber, und das begeis- Besucher der Akteur ist, in strategische Beraterin im Bereich kunft? vielleicht sogar neu zu erfin- diese Generation diesbezüglich tert uns wirklich, das junge dem er Wissen und Erkennt- von Marke und Marketingkom- HH: Wer sind unsere Besu- den – die hat erst zaghaft be- völlig. Ich glaube im Gegenteil, Publikum hat vor allem auch nis erwirbt und nicht erzählt munikation für internationale cherinnen und Besucher – gonnen. Als Kommunikations- dass dieses Publikum sehr an- an dem Abend unsere Samm- bekommt. Konzerne und mittelständische jetzt und heute sowie in der managerin sehe ich mich als spruchsvoll ist und nach be- lung gestürmt. Um 23.00 Uhr Unternehmen. Über das Münch- Zukunft? Diese Frage ist für Lobbyistin für das Publikum stimmten Dingen sucht, die es haben bei der Kurzführung ner Dokumentarfilmfestival und fast alle Museen von dring- und die Wissenschaft zugleich. auch im Museum findet – wenn zu Schlemmer noch etwa 200 das Bauhaus Dessau kehrte sie licher Aktualität und beschäf- Gemeinsam müssen wir als wir unsererseits spannend Leute gestanden und wir nun ins Museum zurück. Seit tigt auch uns in der Staatsga- Staatsgalerie die vielfältigen genug sind. mussten die Sammlung bis September 2019 leitet sie die lerie sehr. Vielfach wird in der Bedürfnisse, Erwartungen Besteht bei solchen Ver- 0.30 Uhr offen lassen, weil Abteilung Kommunikation und öffentlichen Debatte übersehen, und Veränderungen sehen, be- anstaltungen nicht die Gefahr, das Interesse so groß war. Da Vermittlung. 84 Fotoessay Schule des Sehens 85 86 Fotoessay 88 Fotoessay Schule des Sehens 89 90 Fünf Fragen an Markus Benz 91 Herr Benz, Sie sind Vorsit- herrschaft von König Wilhelm I. Sie selbst sind Unter- zender des Freundeskreises gegründet. Gründungsmit- nehmer. Wie sehen Sie das der Staatsgalerie. Was war glieder waren 140 Stuttgarter Verhältnis von Kunst und Ihre ganz persönliche Motiva- Bürger, die sich fanden, um Wirtschaft? Welchen Stellen- tion, dieses Amt zu überneh- Ausstellungen und Vorträge wert haben Museen im 21. men? zu veranstalten sowie die Jahrhundert in der globalen Interesse und die Lust, mich königliche Sammlung zu er- Digitalgesellschaft? WIR zu engagieren. Ich interessiere weitern. Der erste Ankauf war Oha. Wirtschaft, global, mich persönlich sehr für Kunst. „Felder im Frühling” von Clau- digital. Geht das auch eine Und ich wollte mich schon de Monet aus dem Jahr 1887. Nummer kleiner? Im Ernst: lange für das Museum einset- Sind Freundeskreise heute Ich glaube an die Kreativität zen, das ich als Ort sehr schät- noch aktuell? des Menschen, häufig gepaart ze. Mein Ehrenamt gibt mir Mehr denn je! Wir sind die mit ganz besonderen hand- nun die wunderbare Möglich- Brücke zwischen dem Haus werklichen Fähigkeiten, die keit, beides miteinander zu und den Menschen, zwischen ein Kunstwerk ausmachen. BRINGEN verbinden. Ich komme der Museum und Gesellschaft, in- Neben den vielen Möglichkei- Kunst noch näher – lerne, ent- dem wir Plattformen für Aus- ten des digitalen Museums decke und vernetze mich mit tausch und Begegnung schaf- und neuen Feldern der Ver- Gleichgesinnten. Gleichzeitig fen. Nehmen Sie unser Projekt mittlung wird das Museum als kann ich etwas zurückgeben, »Jugend macht Kunst« oder Ort der persönlichen Begeg- an das Haus und somit an die die Gala im Frühjahr 2019. nung noch lange lebendig Gesellschaft. Das bedeutet na- Bürger eines Landes tun sich bleiben. Alle Erfahrungen, alle MENSCH türlich auch viel Arbeit. Aber zusammen, um im Ehrenamt Zahlen bestätigen diese Ein- diese Arbeit erfüllt mich. Relevanz und Strahlkraft ei- schätzung. Der Freundeskreis ist mit nes Ortes zu verstärken, dem Zum Schluss: Was sagen seinen über 9.000 Mitglie- sie sich verbunden fühlen: Das Sie jemandem, den Sie für dern einer der größten war vor hundert Jahren ehren- den Förderverein gewinnen Fördervereine für die bilden- haft und das wird auch noch möchten? Warum soll sie de Kunst in Deutschland. lange so bleiben. Der Trend ist oder er Mitglied werden? Was zeichnet Ihre Arbeit im ja sogar positiv. Kunst steigt Komm, gemeinsam sehen Besonderen aus? seit Jahren in der öffentlichen wir mehr. Und wir tun sogar „Gemeinsam mehr sehen“ Wahrnehmung. Ebenso steigt Gutes dabei. Der Freundeskreis der lautet unser Motto. Darin die Bereitschaft, sich gesell- steckt der Gedanke, dass man schaftlich im Bereich der Staatsgalerie Stuttgart zusammen mit anderen Men- Kunstförderung zu engagieren. schen mehr entdeckt, tiefere Die Staatsgalerie ist eines Lernerfahrungen macht als der großen Kunstmuseen UND allein. Über allem steht natür- in Deutschland mit einer sehr lich der Fördergedanke. Und renommierten Sammlung. selbst das klassische Mäzena- Was fasziniert Sie persönlich tentum macht mehr Spaß, am meisten an dem Haus? bringt mehr Inspiration, wenn Mich fasziniert die Viel- man seine Leidenschaft im falt. Die Staatsgalerie ist für Austausch mit anderen Kunst- mich ein lebendiger Ort der begeisterten auslebt. Dies sind Überraschung und Inspiration. unsere Aufgaben: Kunstwerke Ich mache hier Erfahrungen für die Staatsgalerie zu kaufen, jenseits des Kanons, erweitere Ausstellungen zu fördern und hier kontinuierlich meinen Ho- gezielte Projekte zu unterstüt- rizont – zuletzt geschehen bei zen, aber neben den ja bereits den Aktionen zu Jerg Rathgeb MARKUS BENZ tollen Programmen der Staats- und dem Herrenberger Altar. ist seit 2017 Vorsitzender des galerie immer wieder auch An- Von allein hätte ich mich da- Freundeskreises der Staats- KUNST gebote zu machen, die Mensch mit niemals auseinanderge- galerie. Der leidenschaftliche und Kunst zusammenbringen. setzt, schon gar nicht in dieser Unternehmer und Jurist ist Vor- Der Freundeskreis hat sich Tiefe. So aber bin um diese standsvorsitzender der Walter im Jahr 1906 als Stuttgarter Geschichte, diese Erfahrung Knoll AG & Co. Er verantwortet ZUSAMMEN Galerieverein unter der Schirm- reicher! die Artdirection. 92 Die Staatsgalerie Stuttgart Und nun Sie! 93 Und jetzt Sie, liebe Welche Kunst interessiert Sie Besucherinnen besonders? und Besucher! Was ist es, das für Sie Kunst so Sie haben unseren „Stirling“ mit der Vielfalt an Gedanken und Ideen zum Museum gelesen? Und dabei mehr als einmal besonders sein lässt? gedacht, dass wir einen wichtigen Aspekt übersehen haben, dass Sie ein ganz anderes Grundverständnis vom Museum besitzen oder dass …? Mit welchen Erwartungen kommen Was immer Sie denken: Wir freuen uns, wenn Sie Ihre Meinung und Ihre Ideen mit uns teilen. Schicken Sie uns doch Ihre Sie in die Staatsgalerie? Antworten auf folgende fünf Fragen bis zum 31. Juli 2020 an [email protected]! Welche Themen würden Sie setzen, wären Sie für einen Tag die Direktorin oder der Direktor?

Was wünschen Sie sich von der Staatsgalerie für die Zukunft?

Auf ein Glas Wein mit unserer Direktorin: Unter allen Teilnehmern verlosen wir einen sommerlichen Weinabend mit unserer Direktorin Christiane Lange auf der Dachterrasse des Stirling-Baus am 28. August 2020 (bei schlechtem Wetter wird ein Ersatztermin benannt). 94 Impressum Stirling 95

Herausgeber Lektorat Staatsgalerie Stuttgart Dr. Hans Theissen, Berlin Abteilung Kommunikation und Vermittlung Konrad-Adenauer-Straße 30–32 Layout 70173 Stuttgart Konrad Koppenborg, Stuttgart

V.i.S.d.P. Projektmanagement Prof. Dr. Christiane Lange, Kristina Buckel, Direktorin Staatsgalerie Abteilung Kommunikation und Vermittlung Staatsgalerie

Idee und Konzept Druck und Verarbeitung Dr. Helga Huskamp, BLUEPRINT AG, München Leitung Kommunikation und Vermittlung Staatsgalerie

Chefredaktion Nicolas Flessa, Berlin

Fotoessay Oliver Kröning, Stuttgart

Gestaltungskonzept Stan Hema, Berlin

Bildnachweise Autoren S. 5 und 62: Nam June Paik, Beuys Video Wall (Beuys Hat) / Beuys Video Wand (Beuys Hut), 1990, Nicolas Flessa © Nam June Paik Estate S. 10 / 11: Ludwig Mies van der Rohe, Barcelona Chair / Barcelona-Sessel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Dr. Helga Huskamp S. 12 und 86: Giovanni Battista Tiepolo, Der heilige Jakobus der Ältere, 1749-50, Szépművészeti Múzeum/ Museum of Fine Arts, Budapest, 2020 Johanna Poltermann S. 30: Le Corbusier, Cassina LC2, © F.L.C. / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Michelle Schopen S. 61: , La Fenêtre Ouverte 22-11-1929 / Das Atelier des Künstlers (Das offene Fenster), 1929, © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Dr. Werner Schweibenz S. 67: Mark Rothko, Ohne Titel, 1962, © Kate Rothko-Prizel & Christopher Rothko / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 S. 67: Barnett Newman, Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue II / Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau II, 1967, © Barnett Newman Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 S. 71: Lawrence Weiner, One Potato Two Potato Three Potato & (More) / Ein Kartoffel Zwei Kartoffel Drei Redaktion Kartoffel & (Mehr), 1992, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Dr. Helga Huskamp S. 85: Ellsworth Kelly, Yellow on Black, 2001, © Ellsworth Kelly Foundation