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Der Blaue Reiter

Der Blaue Reiter

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Sybille Engels Cornelia Trischberger

Der Blaue Reiter

Prestel München . Berlin . London . New York 11_5001_Pr_Rückbl_RZ 23.11.2010 12:26 Uhr Seite 2 11_5001_Pr_Rückbl_RZ 23.11.2010 12:26 Uhr Seite 3

Inhalt

S. 4 Rückblende Die »Schlawiner von Schwabing«

S. 18 Ruhm und Ehre Die unheimlichen Kräfte des Herrn K.

S. 30 Die Kunst Die Wirklichkeit ist überflüssig!

S. 40 Die Künstler Von Freunden und Feinden

S. 96 Die Liebe »Der Marc hat nur mit mir getanzt ...«

S. 118 Heute Alle unter einem Dach 11_5001_Pr_Rückbl_RZ 23.11.2010 12:26 Uhr Seite 4

Rückblende 11_5001_Pr_Rückbl_RZ 23.11.2010 12:26 Uhr Seite 5

»Ich möchte etwas, aber was? Ich habe Sehnsucht, aber wonach?«

Auf der Suche nach einem neuen Weg in der Malerei: der russische Künstler und leidenschaftliche Radfahrer 11_5001_Pr_Rückbl_RZ 23.11.2010 12:26 Uhr Seite 6

München um die Jahrhundertwende … … hier herrscht ein kreatives und inspirierendes Neben- spots einander von verschiedenen Kunstrichtungen, Altherge- brachtem wie Neuem. Deshalb ist die bayerische Metropole neben Paris Anziehungspunkt für viele junge Künstler – unter ihnen auch die Protagonisten der späteren Künstlergruppe »Blauer Reiter«.

»Sklavische Übungen« damals ... Die Münchner Künstlerausbildung ist all- 1900 seits respektiert. Sie basiert auf traditio- nellen Grundsätzen wie der akademi- > Zum ersten Mal im schen Wahrheitstreue und der Atelier- deutschen Kaiserreich: arbeit. So mussten die Schüler gedul- Seit 1900 dürfen Frauen dig handwerkliche Fähigkeiten üben, ein Studium an der Uni- »sklavisch« mit Modellen arbeiten, versität aufnehmen. um »durch Überschneidung der Linien den Zusammenhang der > An den Kunstakade- Muskeln zu markieren, durch eine mien werden aber nach besondere Flächen- und Strich- wie vor nur Männer unter- behandlung die Modellierung richtet! eines Nasenflügels, der Lippen zu zeigen. [Sie dachten], wie es mir schien, keinen Augenblick an die Kunst.« (Wassily Kandinsky)

Zeitgenössisches Aktmodell für eine Bildnis- studie zu »Sisyphus«

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Rückblende GANZ NEU UND EN VOGUE Malen in der Natur: Im reizvollen Umland werden detailgetreue Stu- dien im Freien angefertigt, in den Ateliers folgt dann die naturalistische Aus- Kennzeichnend für den impressionistischen arbeitung. Auch die Stil: eine die Kontur auflösende Tupftechnik »Exzentrisch, selbst- Künstler der bewusst – und etwas Münchner Gruppe »Die Scholle« verlegen ihre Ate- komisch« liers nach draußen. Sie bevorzugen Aktdarstellungen 1900: Schwabing wird zum Künstler-Viertel im Grünen, wollen die Ideale der Impressionisten Kandinsky erinnert sich später an »das weiterentwickeln: Körper, Raum und Stofflichkeit etwas komische, ziemlich exzentrische haben immer noch Bedeutung – aber man spürt und selbstbewusste Schwabing, in des- schon den Weg zur Abstraktion, den die Künstler sen Straßen ein Mensch – sei es ein des »Blauen Reiters« später noch viel weiter gehen Mann oder eine Frau – ohne Palette werden. oder ohne Leinwand oder mindestens ohne eine Mappe sofort auffiel … Alles malte … oder dichtete oder musizierte oder fing zu tanzen an«.

Fürstliche Malerei Sein Stil prägt den Kunstgeschmack der Zeit: In München residiert der »«

»Malerfürst« Franz von Lenbach. Er porträtiert alle Größen des deutschen Noch vor Berlin und Wien wird Kaiserreichs, darunter auch den »Eisernen Kanzler« Bismarck. Er lässt 1892 in München der Jugend- stil geboren. Durch die alle sich – damals noch vor den Toren der Stadt – eine luxuriöse Villa im italie- Lebensbereiche einbezie- hende, revolutionäre nischen Stil errichten: das heutige Lenbach-Haus (Abb. unten). Architektur, künstlerische Jugend- und Mobiliar, alte und Reformbewegung entsteht bereits früh ein Gegengewicht neue Kunst hat er hier zur historisierenden Altmalerei Lenbach’scher nach seinem Willen Prägung. Das ist auch für zu einem Gesamt- Kandinsky und seine Maler- freunde ein entscheidender kunstwerk arrangiert. Impuls. Regelmäßig wird die »höhere Gesell- schaft« in Villa und Atelier eingeladen.

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Wassily Kandinsky (vorne rechts) im Frühjahr 1902 mit Schülern seiner »Phalanx«-Malklasse, unter ihnen auch seine spätere Geliebte und Lebensgefährtin Gabriele Münter (Mitte)

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Rückblende

Noch ganz in Anlehnung an Jugendstil und Symbolismus gestaltet Kandinsky 1901 den Plakatentwurf zu seiner ersten »Phalanx«-Ausstellung

Die »Schlawiner von Schwabing«

So werden die jungen Russen, die zum Malen nach München kommen, spöttisch genannt. Egal, ob Maler, Musiker oder Dichter: Wer modern sein will, schlägt hier sein Quartier auf, um zur »Schwabinger Bohème« zu gehören.

Auf ins Künstler-Mekka! Der Münchner Stadtteil Schwabing hat sich um die Jahrhundert- »Bedenkt man, dass man von niemandem ein einziges wende fast unbemerkt zum progressiven Künstlerviertel frisches Wort hört, wird schlechthin entwickelt. Hier, inmitten der brodelnden Gesell- einem das Herz schwer.« schaft der »Schwabinger Bohème«, mit Atelierfesten, erotischer Wassily Kandinsky Freizügigkeit, Anarchistenzirkeln, esoterischen Geheimlehren und kabarettistischen Höhenflügen, bietet sich avantgardisti- schen Künstlern der ideale Nährboden, um neue Wege zu gehen. Kein Wunder also, dass es viele junge, ambitionierte Maler, Dichter, Denker und Tänzer aus ganz Europa nach München zieht, unter ihnen auch viele Russen. Sie haben der rigiden politischen Macht ihrer zaristischen Heimat den Rücken gekehrt – und wünschen sich nichts mehr als eine freie, weltoffene Kunstausbildung.

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So kommen 1896 auch Marianne Werefkin, Alexej Jaw- lensky und – vor allem – Wassily Kandinsky von Moskau nach München. Er ist der Visionär, der nur wenige Jahre später als geistiger Vater und treibende Kraft die Künst- lervereinigung »« zum Leben erweckt. Der Malerfürst Franz von Lenbach auf seinem letzten Selbstporträt: Und er wird der Maler des ersten abstrakten Gemäldes In seiner Villa kann man heute die Bilder des »Blauen Reiters« be- wundern der Welt werden. Natürlich bemerkt auch niemand, welche inneren Aber der Weg dorthin führt erst einmal zurück in das Kämpfe der tiefe Wunsch nach neuen Ausdrucksmög- Jahr 1901: Kandinsky lebt jetzt schon seit fünf Jahren in lichkeiten in ihm auslöst: »Ich fühlte … mich im Reiche München. Hat – nach anfänglichen Schwierigkeiten – der Farben … viel heimischer … als in dem der Zeich- die Malklasse von Franz von Stuck durchlaufen, hat die nung. Und ich wusste nicht, wie ich mir diesem drohen- damals angesehene private Malschule des sloweni- den Übel gegenüber helfen sollte.« Kandinsky arbeitet schen Künstlers Azbé besucht, Werefkin und Jawlensky experimentell, meist unter Missachtung der akademi- dort kennen gelernt. Bis jetzt ahnt niemand, dass dieser schen Lehren: »Oft beherrschte mich ein klingender, »Schlawiner« (so werden Schwabings Russen spöttisch duftig blauer Fleck so stark, dass ich eine ganze Land- genannt) dabei ist, die Welt der Malerei zu revolutionie- schaft malte, nur um den Fleck zu fixieren.« Für ihn ren. Der wenig gesprächige, introvertierte Außenseiter haben seine Arbeiten »alle nur einen Zweck – ich muss erscheint seinen Mitstudenten als »kein brillantes sie machen, weil ich auf andere Weise mich vom Gedan- «. ken ... nicht freimachen kann«.

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Rückblende

Kunstgeschmack am Ende des 19. Jahrhunderts: Althergebrachte Porträtmalerei in Lenbachs Atelier

So oft er kann, zieht er mit Malkasten und Studienblock ins Freie, ist mit seinem Tagwerk aber meist unglück- lich und unzufrieden: »Nachher, besonders zu Hause, immer eine tiefe Enttäuschung. Meine Farben scheinen mir schwach, flach, die ganze Studie – eine erfolglose Anstrengung, die Kraft der Natur zu fangen.« Und ihm fehlt der Austausch, die Kommunikation und vor allem die Anerkennung: »Bedenkt man aber, dass man von niemandem ein einziges frisches Wort hört, wird einem das Herz schwer.«

Auf dem Weg zur Neuen Kunst Wie sieht die »Kunst-Szene« aus, die Kandinsky er-

obern will? Noch herrscht hier ein anderer: Das künst- Der impressionistische Aufbruch in die Moderne: Paul Cezannes lerische München ist fest in der Hand von Malerfürst Brücke über den Teich, 1890 Franz von Lenbach (Abb. links oben), dem Liebling von Kaiser und Reichskanzler. Aber der Siegeszug von Im- pressionisten und Jugendstil-Künstlern in den Salons ist nicht mehr aufzuhalten. Trotz starker konservativer Kräfte gilt die bayerische Residenzstadt neben Paris auf dem Gebiet der Kunst als Schmelztiegel der Moderne.

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Oben: Musiksalon in der Villa des Münchner Jugendstil-»Papstes« Franz von Stuck Rechts: Sein berühmtes Gemälde Der Wäch- ter des Paradieses, 1889

Die Impressionisten (Abb. S.11), anfangs ignoriert und mit abfälligen Kommentaren bedacht, werden inzwi- schen auch von der offiziellen Kunstkritik anerkannt. Mit ihrer Abkehr von der konventionellen Ateliermalerei und den starren Lehren der Akademie sind sie erste Wegbereiter der modernen Malerei. Ihre Kennzeichen sind helle, freundliche Farben, eine die Konturen auflö- sende Tupftechnik, die Arbeit im Freien mit nuancierter Darstellung von Licht und Schatten. Sie wollen den lerischen Disziplinen, das Interesse nach internationa- flüchtigen Augenblick in gemalten »Schnappschüssen« lem Austausch in der Kunst und den Wunsch nach einer erfassen – insgesamt eine Abkehr von den düsteren anspruchsvollen, intellektuellen Auseinandersetzung Bildmotiven des Symbolismus. mit künstlerischen Themen. Franz von Stuck, seit 1895 Professor an der Akademie der Bildenden Künste, trägt Gleichzeitig entsteht in München, noch vor Wien und maßgeblich dazu bei, den Jugendstil mit seiner floral- Paris, eine völlig neue Kunstbewegung: der Jugendstil, grafischen Linienführung salonfähig zu machen. Bald nicht umsonst international als »Art Nouveau«, »Neue schon gilt er als neuer »Malerfürst« in München. Kunst«, bekannt. Hier wird das Handwerk zur Kunst- form erhoben, Kunst und Leben sollen eins werden. Neue Zeitschriften wie die 1896 in München erstmals erscheinende »Jugend« transportieren revolutionäre Ideen: die unvoreingenommene Begegnung aller künst-

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Rückblende

Kandinsky (links) mit seiner »Phalanx«-Klasse auf einem Malausflug nach Kochel im Sommer 1902

Auch Frauen dürfen malen Die Außenwirkungen der »Phalanx«-Ausstellungen Die etablierte Münchner Kunstszene bietet progressi- bleiben allerdings gering. Mal nehmen die Kritiker ven Künstlern allerdings kaum eine Möglichkeit, ihre überhaupt keine Notiz, mal kommen keine Zuschauer. Werke einem breiten Publikum zu präsentieren – mit diesem Problem steht Kandinsky nicht alleine da. Doch Bei der zweiten Ausstellung 1902 wird Kandinsky von er empfindet diese Abhängigkeit besonders stark, fühlt der Presse als »origineller russischer Kolorist« einge- sich zeitweise hilflos wie ein »Käfer, den man am Rü- stuft, der »um der Farbe und nur um der Farbe willen cken hält«. Aber er findet eine kreative Lösung aus die- malt«. Entnervt löst Kandinsky die »Phalanx« 1904 wie- ser Misere: Die Gründung einer eigenen Kunstschule, der auf, um sich selbst wieder intensiver der Malerei der »Phalanx« (Abb. oben), mit angeschlossenen Aus- widmen zu können: »Es jucken mir die Hände, und das stellungsräumen. Nur als selbstständiger Galerist kann Herz stolpert.« er zeigen, was und wen er will – natürlich auch seine ei- genen Werke. Und in seiner Malschule – ein Novum – haben Frauen die Möglichkeit, gleichberechtigt am Unterricht teilzunehmen. Hier wird auch 1902 seine spätere Geliebte und Lebensgefährtin Gabriele Münter Schülerin.

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Im Park von St.Cloud malt Kandinsky 1906 während eines längeren, gemeinsamen Frankreichaufenthaltes mit seiner Geliebten »Ella« Münter. Es ist eines seiner letzten Bilder, die er mit der spätimpressionistischen Spachteltechnik gestaltet. Bereits hier wird deutlich, dass es ihm weniger auf die Gegenständlichkeit der Naturstudien, sondern vielmehr auf die Eigenmächtigkeit der Farbe ankommt. »Das ›Licht- und Luftproblem‹ interessierte mich sehr wenig ... wichtiger erschien mir die Theorie der Neoimpressionisten, die im letzten Grunde von der Far- benwirkung sprach und die Luft in Ruhe ließ.«

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Allee im Park von St. Cloud malt Gabriele Münter zur selben Zeit. Die Parkanlage zählt in den Pariser Tagen zu den Lieblingsmotiven beider Künstler. Münter bleibt in ihrer Darstellung allerdings noch wesentlich mehr dem Gegenstand verpflichtet, während die herbstlich- bunte Allee bei Kandinsky nur noch an der Grundstruktur der Bäume und des Bodens zu erkennen ist

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»Die kräftige, farbensatte, in den Schatten tief donnernde Skala der Münchner Lichtatmosphäre« fasziniert Kandinsky. So entstehen verschiedene Stadtansichten, zum Beispiel auch 1908 das Bild Vor der Stadt

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Kandinskys Frühwerk ist bevölkert von märchenhaften Gestalten, die sich in surrealen Szenerien bewegen. Seine Inspirationsquellen sind die altrussischen Erzählungen, aber auch mittelalterliche Rittersagen, formal lässt er sich außerdem von zeitgenössischen russischen Märchen- illustrationen und dem Jugendstil anregen. Das wohl bekannteste dieser Werke ist das 1907 entstandene Bild Das Reitende Paar

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Ruhm und Ehre 09_5001_Pr_Ruhm_RZ 23.11.2010 12:55 Uhr Seite 19

»Ohne zu übertreiben, kann ich behaupten, dass ich, falls ich die Aufgabe löse, einen neuen, schönen, zur unendlichen Entwicklung geeigneten Weg der Malerei zeige.«

Charismatisch führt Wassily Kandinsky seine Malerfreunde in die Abstraktion 09_5001_Pr_Ruhm_RZ 23.11.2010 12:55 Uhr Seite 20

Der Verein der »Bluffer« Der Vorläufer des »Blauen Reiters«: Die »Neue Künstler- spots vereinigung München« oder kurz »NKVM«. Mit ihrer Hilfe wollen Kandinsky und seine progressiven Maler- kollegen endlich auch in München radikal moderne Kunst zeigen, stoßen damit allerdings bei Publikum und Presse auf wenig Gegenliebe – man hält sie für »schamlose Bluffer«.

1909 Dezember: > Die Ausstellung der angesehenen > Gegenmaßnahme: Die Gründung der > Die erste Ausstellung der »NKVM« in »Münchner « findet wieder »Neuen Künstlervereinigung München« der Galerie Thannhauser. Die Kritik der ohne die Bilder von Kandinsky, Jawlen- – kurz »NKVM«. Münchner Neuesten Nachrichten: »Wie sky und ihren Malerfreunden statt. »Zu > Gründungsmitglieder: Münter, We- eine wilde Parodie, wie ein grotesker revolutionär«, lautet das Urteil. Kandin- refkin, Kandinsky, Jawlensky, Kubin Karnevalsscherz mutet das Ganze an ... sky: »Ich gebe gern zu, dass unsere und die Jawlensky-Schüler Kanoldt und Für die, die nichts können, aber etwas Bilder im Gegensatz zur offiziellen Erbslöh. vorstellen wollen, gibt’s hier wundervolle ›Secession‹ … wie eine Bombe wirken > Ziele des Vereins: Organisation von Rezepte.« mussten und dass die Erregung eine na- Kunstausstellungen im In- und Ausland, ...... türliche war.« Öffentlichkeitsarbeit, Kunstverkauf. > Vorsitz: Wassily Kandinsky. Dazu Gabriele Münter: »Kandinsky entschloss 1910 September: sich, den Vorsitz zu übernehmen, da es > Die zweite Ausstellung der »NKVM« sonst niemand konnte.« – diesmal auch mit Werken von Picasso > Kandinsky bringt die Bestimmung in und Braque. Die öffentliche Reaktion: die Satzung ein, dass jedes ordentliche »Diese absurde Ausstellung zu erklären, Mitglied das Recht habe, zwei juryfreie gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Werke auszustellen, die zusammen eine man nimmt an, dass die Mehrzahl der Fläche von vier Quadratmetern (Achtung, Mitglieder und Gäste der Vereinigung un- folgenreiches Detail!) nicht überschrei- heilbar irrsinnig ist oder aber, dass man ten dürfen. es mit schamlosen Bluffern zu tun hat.«

Jawlenskys Malschüler Kanoldt und Erbslöh

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Ruhm und Ehre

> Kandinsky ist ihnen zu fortschrittlich – sie glauben, dass es seine Gemälde sind, die den Verkaufserfolg der Ausstel- lungen behindern. > Mobbing-Anlass: Das Bild Kompositi- on V. Weil es etwas größer als vier Qua- dratmeter ist, soll es in der für Dezember geplanten Ausstellung keinen Platz fin- den. Das Argument: Schließlich habe Kandinsky dieses Statut bei der Grün- dung ja selbst aufgestellt … Komposition V, Kandinsky 1910

Dezember: > Dazu Kandinsky: »Der Galeriebesit- Kandinsky malt das erste in der Kunst- > Am 2. Dezember treten Münter, Marc zer beklagte sich, dass er nach jeder täg- geschichte bekannte abstrakte Gemälde: und Kandinsky aus der »NKVM« aus. lichen Schließung die Bilder abtrocknen Komposition II – ein abstraktes Aquarell > Jawlensky und Werefkin bleiben – müsste, weil das Publikum sie ange- (in der Abb. unten eine Vorstudie). trotz plagender Zweifel. Werefkin: »So, spuckt hätte.« meine Herren, jetzt verlieren wir die bei- > Der Münchner Maler den würdigsten Mitglieder, dazu ein wun- sieht die Ausstellung, ist beeindruckt, dervolles Bild, und wir selbst werden schreibt eine Gegendarstellung zu den bald Schlafmützen auf dem Kopf haben!« hämischen Kritiken, ohne auch nur einen > Bereits am 18. Dezember findet di- der Künstler persönlich zu kennen. Kurz rekt neben den »NKVM«-Räumen die danach wird er Mitglied der »NKVM«. »Erste Ausstellung der Redaktion ›Der > Für ein russisches Lexikon verfasst Blaue Reiter‹« statt. Kandinsky später eine Selbstdarstellung...... Er schreibt über seine eigene Person: »Die Jahre 1908 bis 1911 steht er bei- nahe ganz einsam und wird von Spott 1911 und Hass umgeben … Der Erste, der ihm > Interne Streitigkeiten in der die Hand reicht, ist Franz Marc.« »NKVM«: Kandinskys Austritt soll er- zwungen werden. Rädelsführer des Auf- standes: die ehemaligen Jawlensky- Schüler Erbslöh und Kanoldt.

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Einer von insgesamt elf Aquarell-Entwürfen, die Kandinsky 1911 für den Umschlag des Almanachs »Der Blaue Reiter« anfertigte

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Ruhm und Ehre

Schon 1903 malt Kandinsky das Bild Der Blaue Reiter

Die unheimlichen Kräfte des Herrn K.

Dezember 1911: »Der Blaue Reiter« ist geboren! Leider wird in München von der Geburt dieser neuen Künstlervereinigung und ihrer avantgardistischen Ausstellung kaum Notiz genom- men: Nicht eine Rezension in der Presse … Und nur mündlich überliefert sind die Reaktionen einzelner Besucher: »Plunder!«, »Schwindel!«

»Blauer Reiter« auf schwarzer Wand Nach »wirklich schauderhaften und aufregenden Szenen« haben Kandinsky, Marc und Münter die »NKVM« Anfang Dezember 1911 verlassen. Jetzt wollen sie ihre eigene Aus- stellung! Natürlich nicht unabsichtlich mieten sie in der Galerie Thannhauser Ausstel- lungsräume, die direkt neben denen der »NKVM« liegen. Und schaffen es, noch vor Weih- nachten mit über 40 schnell zusammengestellten Kunstwerken die so genannte »Erste Ausstellung der Redaktion ›Der Blaue Reiter‹« zu eröffnen. Auf tiefschwarz bespannten Wänden werden neben Bildern von Kandinsky, Münter und Marc auch Werke von Delau- nay, Campendonk, Macke und den Brüdern Burljuk gezeigt – leider mit nur minimaler Resonanz bei Publikum und Kunstkritik.

23 UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Cornelia Trischberger living_art: Der Blaue Reiter

Paperback, Klappenbroschur, 128 Seiten, 19,6x23,3 80 farbige Abbildungen, 20 s/w Abbildungen ISBN: 978-3-7913-3190-4

Prestel

Erscheinungstermin: August 2005

Als Wassily Kandinsky, Fanz Marc, Gabriele Münter, Alexej Jawlensky und sich 1911 zur Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" formierten, haben sie Großes im Sinn: Sie wollen die Grenzen des künstlerischen Ausdrucksvermögens sprengen, Formen auflösen, die Malerei neu definieren! Genauso spannend wie die ästhetischen Neuerungen sind die legendären Liebesgeschichten, die sich hinter den Kulissen abspielen. Der vorliegende Band wirft ein neues Licht auf die Künstervereinigung: Es wird erklärt, warum die Bilder für Furore sorgten, wer welche Rolle innerhalb der Gruppe hatte und wer wem das Herz brach. Ein lustvoll-informatives Kunsterlebnis!