Shary Reeves und die Frauen-Nationalmannschaft

EINE FÜR ALLE ALLE FÜR EINE

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1 001.04.111.04.11 14:2814:28 220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 2 001.04.111.04.11 14:2814:28 Shary Reeves und die Frauen-Nationalmannschaft

EINE FÜR ALLE ALLE FÜR EINE

Das Leben ist ein Mannschaftssport

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 3 001.04.111.04.11 14:2814:28 Ich möchte mich an dieser Stelle bei ein paar Menschen bedanken, die dieses Pro- jekt inhaltlich begleitet haben. Bei Anja Kunick, die mich mit ihrer Erfahrung als FIFA-Schiedsrichterin und Medienschaffende journalistisch unterstützt hat, so wie auch Sandra Linde, die dieses Projekt redaktionell betreut hat. Ein besonderer Dank geht auch an die Spielerinnnen, die sich die Zeit genommen haben, auf all die per- sönlichen Fragen ebenso persönlich zu antworten.

Asante sana Shary Reeves

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100 Das FSC®-zertifi zierte Papier Munken Premium für dieses Buch liefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.

Bibliografi sche Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Bildnachweis: Alle Bilder im Innenteil mit freundlicher Genehmigung des DFB. © 2011 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH Alle Rechte vorbehalten

Unter Mitarbeit von Anja Kunick Umschlaggestaltung: Büro Überland, Schober & Höntzsch unter Verwendung eines Motivs von Thomas Eisenhuth, picture alliance/dpa Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany

ISBN 978-3-424-20057-7

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 4 001.04.111.04.11 14:2814:28 Inhalt

Vorwort: Frauenfußball – ein beispielloser Teamerfolg! 7

Sommermärchen – Der Traum geht weiter Es war einmal … 9 Geschichte der Frauen-Weltmeisterschaft 11 FIFA Frauen-WM 2003 – Erinnerungen mit TTM 19 Das Tor zum Glück 27 Der Schlüssel zum Erfolg 34

Ganz oben Erfolgstheorien 37 Internationaler Erfolg 40 Traumfi nale: Deutschland vs. USA 43 Hoch hinaus 48 Über den Wolken 52 Die jungen Wilden 66

Ganz am Anfang Eine bunte Mischung 71 Der Kreis der Auserwählten 76 Ziel: Nationalmannschaft 113

Weg und Ziel Motivatoren 117 Pionierarbeit 121 Gute Vorsätze vs. Realität 126 Standbeine 128 Zielvariationen 130 Öffentliche Wahrnehmung 133

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 5 001.04.111.04.11 14:2814:28 6 Inhalt

Niederlagen Des einen Freud ist des anderen Leid 141 Harte Prüfungen 150 Höhen und Tiefen 155 Säulen in der Krise 158 Die Kraft positiven Denkens 161 Die Chance einer Niederlage 167

Auf dem Platz Das magische Viereck 171 Andere Länder, andere Spielmentalitäten 176 Moderne Spielertypen 180 Das Alphatier 185 Team-Ordnung ist der halbe Sieg 189 Eine muss entscheiden 195 Edeljoker 201

Eine für Alle – Alle für Eine Die Erste und Einzige 203 Das Freundschafts-Gen 205 Offensives Pressing 209 Sollt ihr wirklich elf Freundinnen sein? 212 Seite an Seite 218 Zusammen ist man weniger allein 221 Die Kunst des Miteinanders 227

Über das Mutterland des Fußballs von Steffi Jones 233

Nachwort von Theo Zwanziger 237

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 6 001.04.111.04.11 14:2814:28 Vorwort: Frauenfußball – ein beispielloser Teamerfolg!

Gemeinsam zum Erfolg! Alles ist möglich, wenn alle zusammen- halten und sich gegenseitig unterstützen. Das scheint die Formel zu sein, mit der die Nationalmannschaft von einem Erfolg zum nächsten eilt. Hierzulande ist der Frauenfußball ein Markenzei- chen der ganz besonderen Art, eine Teamsportart, die in ihrer Ein- zigartigkeit zu recht einen großen Fan-Zulauf hat, für die ein Sta- dionbesuch bei Länderspielen Pfl icht ist. Was einst in der Gesellschaft als ein Eingriff in die Männer-Domäne Fußball be- trachtet wurde, wird von erfolgreicheren Frauen in der modernen Fußballära mit unzähligen Titelansammlungen bis heute deut- lich widerlegt. Steigende Mitgliederzahlen weltweit im Frauen- und Mädchenfußballbereich schreiben ihre ganz eigene Erfolgs- geschichte. Ehrgeizigen, tapferen, mutigen und leidenschaftlichen Pionierinnen und aktuellen Akteurinnen ist es zu verdanken, dass man wohl kaum noch von einer Entwicklungsphase spre- chen kann. Technisch fi ligraner und taktisch hoch versierter Fuß- ball »deluxe« stehen für Weiblichkeit, Souveränität und Erfolg. Und dennoch polarisiert Frauenfußball. Es gibt die einen, die sich von der Leichtfüßigkeit und dem authentischen Umgang mit dem Erfolg regelrecht angezogen fühlen und die anderen, die kaum eine Kritik auslassen, in dem sie einen Geschlechterkampf provozieren, in dem es heißt ›Frau vs. Mann‹. Gilt also nur noch zu klären, weshalb wir Frauen uns in der Öffentlichkeit stets dem direkten Vergleich mit den Männern stellen müssen? Wir selbst lassen uns seit jeher, gemessen an unserer Leistung, ungern zu einer solchen Diskussion hinreißen. Warum man diesen Vergleich immer wieder in den Vordergrund rückt, bleibt uns Fußballe-

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 7 001.04.111.04.11 14:2814:28 8 Vorwort: Frauenfußball – ein beispielloser Teamerfolg!

rinnen völlig verborgen. Denn wenn man es sich recht überlegt, könnte man meinen, dass der Frauenfußball fast eine Sportart für sich ist. Es mag sein, dass Männer in der Regel höher springen, schneller laufen und körperlich überlegen sind, aber ein Ver- gleich gewinnt doch erst dann an realer Gültigkeit, wenn man sich in einer Wettbewerbsform aktiv gegenüber steht. Doch weit mehr als die zahlreichen Titel und »zählbaren« Er- folge ist es die Ausstrahlung der Mannschaft, die so überzeugt: Ihr Teamgeist, die Motivation und die Souveränität scheinen der Schlüssel zu sein, mit denen sie ihre Spiele und auch die Herzen der Fans gewinnen. Jede Spielerin lebt den Erfolgsgedanken und sie alle wirken auf dem Platz für den Beobachter immer wie eine stabile, erfolgreiche und teamorientierte soziale Einheit. Sie ge- winnen und sie verlieren im Team. Jede Einzelne beweist Team- geist, Moral, Leidenschaft und Fairness – alles Attribute, die als Wegweiser für einen erneuten Titel richtungsweisend sind. Sie sind eine Gemeinschaft, die keine Einzelkämpfer kennt, ein Team, das im homogenen Miteinander respektvoll und rücksichtsvoll zugleich auf die eigenen Stärken und die der Mitspielerinnen vertraut. Sieht man genauer hin, sind all dies Siegstrategien, die nicht nur im Fußball funktionieren, sondern jedes Team zum Er- folg führen kann – sportlich, berufl ich und privat. Mit ihren ganz persönlichen Geschichten und Erfahrungen zeigen uns die Spie- lerinnen, wie wir alle Großes erreichen können, ganz nach dem Motto: Was wir können, das könnt ihr auch!

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 8 001.04.111.04.11 14:2814:28 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

Es war einmal …

2006 erlebten wir in Deutschland ein Sommermärchen der ganz besonderen Art. Nach den eher weniger gelungenen Vorberei- tungsspielen rechnete hier kaum einer damit, dass Deutschland bei der Weltmeisterschaft gut abschneiden würde. Allein der Glaube und die Hoffnung knüpften sich an die Tatsache, dass man vor heimischer Kulisse in der Lage sein würde, Berge zu ver- setzen. Eigentlich war alles wie immer. Mit der Qualifi kation des Gastgebers in der Tasche, zeigte sich das Team im Vorfeld in eher mäßiger WM-Form. Doch hin und wieder blitzte auch das spiele- rische Können einer doch recht jungen und nicht gerade sehr erfahrenen Mannschaft auf. Jedenfalls gab das Anlass zu glau- ben, man könne sich eines alten Erfolgskonzeptes bedienen: 22 Spieler rennen hinter einem Ball her, und am Ende gewinnt … natürlich Deutschland! Klinsmann stellte ein Rundum- und »all inclusive«-Nationalmannschaftspaket vor, welches in den Augen und Ohren vieler Kritiker als äußerst umstritten galt. Nach deren Meinung verdienten die Klinsmann’schen Methoden lediglich deshalb das Prädikat »Innovation«, weil es bis dato fußballerisch in Deutschland kaum umgesetzt wurde. Jürgen Klinsmann agierte als moderner Motivator. Mit der Euphorie der Fans und mit ausreichend spielerischen Mitteln ka- tapultierte sich die deutsche Mannschaft im Endspurt auf den dritten Platz. Fußball-Deutschland, das Überraschungsei der Su- perlative, ein Event, das von der ganzen Welt mit großer Span- nung erwartet wurde. Auch hier zu Lande waren die Prognosen

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 9 001.04.111.04.11 14:2814:28 10 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

für den Ausgang sehr unterschiedlich. Man bereitete sich auf ein ungewisses Abenteuer vor und sollte am Ende mit unvergess- lichen atmosphärischen Impressionen belohnt werden. Das hat die ganze Welt nachhaltig beeindruckt. Von Anfang an spürte man eine Welle der Harmonie, die eingebettet war in Freundlichkeit, Toleranz und einer ganz be- sonderen Offenherzigkeit der Menschen. Man wollte sich von der besten Seite zeigen und nutzte diese Gelegenheit, um Gast- freundschaft, kulturelle Offenheit und sportliche Begeisterung miteinander zu teilen. Auf allen moralischen Ebenen begeg- neten sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und feierten gemeinsam ein Fußballfest. Was zurückblieb, war Völkerverstän- digung pur. Und einmal mehr hatte der Fußball keinen Halt vor Sitten, Kultur, Hautfarbe und sozialen Eingliederungen ge- macht. »Die Welt zu Gast bei Freunden«, so hieß das Motto der WM 2006. Schrill aufl euchtend orangefarbene Innenstädte, so als ob sich deutschlandweit sämtliche Straßenreinigungskräfte getrof- fen hätten. Ein wahres Oranje-Fanmeer, das sich in Feierstim- mung durch die Städte wälzte, wenn sich das holländische Nati- onalteam in den hiesigen WM-Arenen ankündigte. Tanzende Mexikaner mit Sombrero-Hüten auf dem Kopf. Argentinier, die für jedes nur denkbare WM-Souvenir ein Vermögen ausgaben, aber für kein Geld der Welt jemals ihr weiß-hellblau gestreiftes Trikot ausgezogen hätten. Und natürlich die deutschen Fans, die endlich den Mut fanden, Flagge zu zeigen. Ein neuer, zuvor nie denkbarer schwarz-rot-goldener Ruck ging durchs Land, der die Menschen mit Stolz, Freude und einem neuen Zusammengehö- rigkeitsgefühl erfüllte. Gefeiert wurde überall und mit jedem. Ob in oder neben den Stadien, mit tausenden Fans beim Public Viewing, im Biergarten nebenan, im Vereinsheim oder einfach nur mit Freunden daheim. Die Euphorie, die das Fußballereignis

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1010 001.04.111.04.11 14:2814:28 Geschichte der Frauen-Weltmeisterschaft 11

bis in den letzten Winkel der Republik und noch viel weiter über die Grenzen Europas hinaus versprühte, war überwältigend. Auch wenn Deutschland letztlich nur Dritter wurde, feierte das ganze Land am Ende dieses Weltmeister-Marathons voller Stolz eine leidenschaftliche, kämpferische und spielerisch überzeu- gende deutsche Mannschaft. Mit den Erlebnissen und Eindrü- cken von 2006 sind sie bis heute in unseren Herzen die wahren Weltmeister.

Geschichte der Frauen-Weltmeisterschaft

Von ihrer schönsten Seite wird sich auch die deutsche Frauen- Nationalmannschaft im eigenen Land zeigen. Denn das Motto für die Endrunde lautet: »20Elf von seiner schönsten Seite«. Die Geschichte des Frauenfußballs begann am 23. März 1895 mit der Begegnung England-Nord gegen England-Süd. Für damalige Verhältnisse unfassbare 10.000 Zuschauer verfolgten dieses Spiel live im Stadion. Während sich der europäische Frauenfußball gut 20 Jahre später bereits ziemlich großer Beliebtheit erfreute, konze- nerte sich das weibliche Geschlecht hier zu Lande eher auf die gern gesehenen femininen Tugenden, über die sich eine Frau da- mals defi nierte. Sie war einfach nur Frau, zuständig für den Haus- halt und für die Erziehung der Kinder. Fußball passte alles andere als in das damals klassische und heute klischeehafte Frauenbild und galt in Deutschland sogar als moralisch verwerfl ich. Die FIFA sprach 1921 den Frauen in England, dort, wo der Frau- enfußball mittlerweile eine große Publikumsattraktion war, ein Stadionverbot aus. Ein kaum vorstellbarer Akt, da zum Spitzen- spiel im englischen Everton ein Jahr zuvor bereits 53.000 zah- lende Fußballfans ins Stadion gepilgert waren. Diese enorme

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1111 001.04.111.04.11 14:2814:28 12 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

Begeisterung und die wachsenden Zuschauerzahlen ließen schon damals erahnen, in welche Erfolgsspur es mit dieser Sport- art einmal gehen sollte. Auch wenn der DFB lange an diesem Verbot festhielt, hob er es doch unter einigen Aufl agen am 31. Oktober 1970 auf seinem Verbandstag in Travemünde auf. Zu groß war der Druck der Öffentlichkeit und zu deutlich die stei- genden Zahlen der aktiven Spielerinnen, die bis dahin in eige- nen Vereinen spielten, die nicht dem DFB unterstanden. So war es also nur eine Frage der Zeit, bis die UEFA im Jahre 1971 seinen Mitgliedsverbänden die Empfehlung aussprach, den Frauenfuß- ball wieder aufzunehmen. Vielleicht war dies sogar ein erstes Si- gnal dafür, wie lukrativ der weibliche Fußball sein könnte, denn die Resonanz war schon sehr früh und deutlich spürbar. Vermutlich wollte man sich dieses Türchen für einen stetig wachsenden Markt gerne offen halten. Als man Mitte der 70er das Amt der Referentin für Frauenfußball deklarierte und Han- nelore Ratzeburg dazu ernannte, sorgte diese in den 80er-Jahren für die Einführung des Länder- und DFB-Pokals für Frauen. Das sollte natürlich nicht ohne Folgen bleiben. Die Tatsache, dass es fortan nationale Wettbewerbe gab, führte zu einer immer größer werdenden Leistungsdichte. Weil das Leistungsgefälle enorm groß war und das Niveau der deutlich besser spielenden Teams in ei- ner Liga vereint werden sollte, beschloss der DFB 1986 die Einfüh- rung einer Frauen-Bundesliga. Diese ließ allerdings noch etwas auf sich warten. Erst nachdem die Nationalmannschaft 1989 erst- mals die Europameisterschaft im eigenen Land gewonnen hatte, war der Impuls für eine eigene Liga gegeben. Daraufhin nahm in der Saison 1990/91 eine zweigleisige Frauen-Bundesliga, in Nord- und Südstaffel unterteilt, erstmals den Spielbetrieb auf. Scheinbar musste erst ein solches sportliches Großereignis im eigenen Land erfolgreich gespielt werden, um tief greifende Ver- änderungen in Gang zu setzen.

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1212 001.04.111.04.11 14:2814:28 Geschichte der Frauen-Weltmeisterschaft 13

Im EM-Finale bezwang das Team von die damals hoch favorisierten Norwegerinnen mit einem deutlichen 4:1-Er- folg. »Mit dem Erfolg ändert sich vieles«, erzählt mir Tina Theune. »Wir wurden sogar auf der Autobahn von den anderen Autofah- rern aus lauter Freude angehupt.« Als Siegesprämie wartete auf die Europameisterinnen ein Kaffeeservice. Ich bin mir sicher, da mag dem einen oder anderen nun be- stimmt ein müdes Lächeln über die Lippen huschen. Auch wenn der Preis eher denkwürdig und klischeehaft daherkam, war er doch aus echtem Villeroy & Boch-Porzellan und hatte seinerzeit einen nicht zu unterschätzenden hohen Marktwert. Trotz allem blieb der fade Beigeschmack, dass man zwar auf dem Papier ver- suchte, den weiblichen Fußball zu modernisieren und strukturel- ler zu gestalten, in der Realität blieb man jedoch weit hinter die- ser schriftlichen Forderung zurück. Aber wer weiß, vielleicht war es auch nur die Unbeholfenheit derer, die mit einer solchen Ent- scheidung völlig überfordert alleingelassen worden sind. Die An- erkennung für die künftigen Erfolge blieb zunächst einmal in den Augen der Fußballfans die gleiche, obgleich die Prämien sich in der Art und Weise nach und nach sinnvoller gestalteten. In den 90er-Jahren sammelten die Frauen weiter fl eißig Titel um Titel, was FIFA-Präsidenten Sepp Blatter 1995 zu der heute noch viel zitierten Aussage bewegte: »Die Zukunft des Fußballs ist weiblich!« Seine These von damals hat sich durch die rasante Entwicklung des Frauenfußballs bis heute als richtig erwiesen. »Fußball«, so Blatter, »hat die Kraft, kulturelle und soziale Barrie- ren zu beseitigen und hilft dabei, die Akzeptanz von Mädchen und Frauen in der Gesellschaft zu fördern.« Das war der Grund- stein für die Reise in eine noch ungewisse und dennoch aben- teuerliche Zukunft, begleitet von einer wachsenden treuen, fuß- ballbegeisterten Anhängerschaft. Die sorgte mittlerweile nicht nur für das eine oder andere volle Stadion, sondern verhalf dem

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1313 001.04.111.04.11 14:2814:28 14 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

Frauenfußball zu einem ganz eigenen und persönlichen Gesicht. Es sind insbesondere Familien mit Kindern, Schüler, Studenten und auch ältere Menschen, die es in die Stadien treibt. Sie alle kommen, weil sie einen fröhlichen Event- und Partycharakter ge- boten bekommen und es die manchmal recht kompromisslose Begeisterung unter den Fans noch nicht gibt. Auch wenn das En- tertainmentprogramm für die Kids etwa 20 Minuten nach Anpfi ff keinen Miley-Cyrus- oder Justin-Bieber-Charakter aufweist und die Aufmerksamkeit schnell nachlässt, sind sie doch mit die treu- esten Fans, die der Frauenfußball inzwischen aufzubieten hat. Nach Ansicht der Älteren ist der moderne Männerfußball zu schnell geworden. Die Spiele werden zu oft von Fouls unterbro- chen, sodass man sie kaum genießen kann. Anders ist das beim Frauenfußball. Dort wird zwar auch auf einem sehr hohen athle- tischen Leistungsniveau gespielt, das Tempo und die Taktik sind jedoch mit bloßem Auge einfacher zu verfolgen. Und genau das ist der Grund, weshalb es die Menschen in die Stadien zieht. Der Spaß am Zuschauen. Zugegeben, das ist natürlich nicht der einzige Grund. Es gibt beim Frauenfußball immerhin in den Halbzeitpausen genauso gute Bratwürste wie bei den Männern. Und die Bratwurst gehört ja bekanntlich zum traditionellen Stadionbesuchsritual dazu. Heutzutage spielen die Frauen auch schon vor Rekordkulissen von 45.000 Zuschauern, wie zum Beispiel bei der Begegnung des Weltmeisters Deutschland gegen den Vize-Weltmeister Brasilien im Frankfurter Stadion. Das war nicht immer so. Ich erinnere mich, dass, als ich noch ein Kind war, Fußball, zu- mindest in den Köpfen der Eltern, nur was für Jungs war. Puppen und Ballett, das war das Richtige für Mädchen. Dieses Bild spie- gelte vornehmlich klassische Vorstellungen einer deutschen Durchschnittsfamilie wider. Man folgte einfach nur den stereo- typischen, gesellschaftlichen Regeln, ohne Rücksicht darauf zu

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1414 001.04.111.04.11 14:2814:28 Geschichte der Frauen-Weltmeisterschaft 15

nehmen, was Jungs und vor allem Mädchen wirklich wollten. Aber es gab natürlich auch diejenigen, die versuchten, diese star- ren Muster irgendwie zu durchbrechen, um ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Ich war fünf, als mich meine Großeltern zu Weihnachten mit einer Carrera-Bahn überraschten. Hatte ich in den Jahren zuvor doch ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass ich den selbst gebauten Kaufl aden von meinem Opa zwar sehr schätzte und zu seiner Freude auch unzählige Male in meinen kindlich fantasie- vollen Alltag mit einbezog, aber dennoch nicht gewillt war, ihn bis zum Beginn meiner Schulzeit als spielerischen Dauerbeglei- ter zu werten. Das wird wohl auch meinen Großeltern aufgefal- len sein und so war die Freude an Heiligabend natürlich umso größer, als unter dem Weihnachtsbaum zum ersten Mal kein »ge- schlechtsspezifi sches« Spielzeug lag. Fortan war für mich und auch für den Rest der Familie ziemlich klar, dass mich mein wei- terer Weg nicht nur durch Ballettsäle führen würde. Denn immer interessanter wurden sämtliche Fußball- und Bolzplätze in der Umgebung, die ich möglichst mit dem Fahrrad erreichen konnte. Nach und nach machte sich bei den Kindern und Jugend- lichen meiner Generation eine deutliche Trendwende bemerkbar. Mädchen wollen natürlich Mädchen sein! Dennoch haben sie ihre ganz eigenen Wünsche, Träume und Vorstellungen, wie sie ihre Freizeit gestalten wollen. Die meisten Kinder versuchen, um sich abzugrenzen, ihren eigenen Kopf durchzusetzen. Am liebsten wollen sie all die Dinge tun, die ihnen die Eltern nicht erlauben. Früher war es ganz normal, dass sowohl zuhause als auch im Freundeskreis in Bezug auf Fußball nur von Männern gesprochen wurde. Das Thema Frauenfußball war tabu. Ich kann mich noch genau an das schier endlose Gespräch erinnern, dass meine Trai- ner damals mit meiner Mutter geführt haben. Ein Gespräch, des- sen Strategie bei meiner Mutter ohnehin zu keinem Zeitpunkt

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1515 001.04.111.04.11 14:2814:28 16 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

eine Zustimmung fand. Denn meine Eltern waren der Meinung, ich sollte mich als künftige Gymnasiastin auf die Schule konzen- trieren. Da war für einen Sport, der in ihren Augen nicht in die Welt eines achtjährigen Mädchens passte, einfach kein Platz. So ließ ich meinem Frust freien Lauf und schaffte Wege und Möglich- keiten, doch noch meine Dienstag- und Donnerstagabende auf dem Fußballplatz zu verbringen. Die Frage nach der Leidenschaft für diesen Sport? Ganz einfach. Ich war leidenschaftlich damit be- schäftigt, meinen Traum zu leben. Das bedeutete leider auch, die sehr einfach nachzuahmende Unterschrift meiner Mutter zu fäl- schen. Ich war besessen vom Fußballspielen und wollte in einem Verein unter einem Trainer spielen, der mir nicht nur das Fußball- spielen beibringen konnte, sondern mir auch zeigte, wie sehr er an mich glaubte. Das hatte er mir bereits bewiesen, indem er den Weg zu uns nach Hause angetreten hatte, um mit meinen Eltern zu sprechen. Leider ohne Erfolg. Nun musste ich also regelmäßig mit einer nicht gerade unauffälligen, großen Sporttasche die Woh- nung zum Training verlassen und wieder betreten. Ich täuschte meine Mutter, indem ich die Tasche stets im Keller versteckte, wo ich mich jedes Mal fürs Training umzog. Den Beitrag bezahlte ich von meinem Taschengeld und die schmutzigen Trainingsklamot- ten mischte ich geschickt unter die restliche Wäsche. Erst Jahre später klärte sich diese Heimlichkeit auf, die zu meiner Enttäu- schung allerdings nie eine gewesen ist. Denn meine Mutter wuss- te wohl von Anfang an Bescheid. Hatte ich mir doch so viel Mühe gegeben, einen ausgeklügelten Plan zu entwerfen, der mir meine ganze kindliche Raffi nesse abverlangte. Mitnichten, denn eigent- lich hätte ich wissen müssen, dass Eltern einem immer einen Schritt voraus sind, schließlich waren sie auch mal Kinder. Man tolerierte meine Vorliebe für den Fußball nur, weil ich in der Schu- le ordentlich mitarbeitete und trotzdem straften sie mich, indem sie in all den Jahren nur ein einziges Spiel von mir sahen.

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1616 001.04.111.04.11 14:2814:28 Geschichte der Frauen-Weltmeisterschaft 17

Das ist nicht unbedingt die Art von Geschichte, die man gerne erzählt, aber sicherlich keine einmalige in ihrem Verlauf. So oder so ähnlich erging es damals vielen Mädchen, bis die Fußballe- rinnen damit anfi ngen, Titel um Titel zu holen. Spätestens nach dem Erfolg der Nationalmannschaft beim EM-Finale 2001, das nicht nur 18.000 Zuschauer im Stadion, sondern auch über fünf Millionen Menschen zuhause vor den Bildschirmen verfolgten, war auch dem größten Kritiker klar: Hier rollt langsam, aber un- aufhaltsam eine Welle von begeisterten Fans auf uns zu. Endlich konnte man nicht nur im Freundes- und Familienkreis über Frau- enfußball reden, ach, was rede ich da – prahlen! Auch die Medien spürten diese Veränderung, die vorerst allerdings nur für eine kur- ze Zeit spürbar war. Schnell ebbte die öffentliche Euphorie um den soeben noch groß gefeierten Erfolg ab. Und in den Augen so mancher Konsu- menten war der Fußball zwar erfolgreich, aber nicht weiblich ge- nug: Keine langen Haare, keine lackierten Fingernägel, keine ty- pischen Kabinengespräche über Jungs und Kosmetika. Nur weil die Ladys nicht über Designerjeans sprachen, sondern vielmehr über die neuesten Fußballschuhe, die aufgrund ihrer Machart die Besonderheit besaßen, den Ball mit einem ganz präzisen Ef- fet in die richtige Flugbahn zu lenken, konnten sie doch den kli- scheehaften Vorstellungen der Gesellschaft nicht entkommen. Auch wenn Trikots und Hosen damals an den Spielerinnen noch aussahen wie Kleiderschränke aus feinstem Polyesterschick, tru- gen die meisten ihre Weiblichkeit unter der Kleidung stolz und selbstbewusst in Form eines pinken Tangas. Zur WM 1999 in den USA bekamen die Frauen erstmals einen eigenen Spielball. Dieser bestand zwar, wie der der Männer, aus zwölf Fünfecken und zwanzig Sechsecken, allerdings war er im Wesentlichen etwas leichter und farblich dem vermeintlich weib- lichen Geschmack angepasst. Bunt, abstrakt und quasi im Look

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1717 001.04.111.04.11 14:2814:28 18 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

einer Alice-Schwarzer-Designerhandtasche für emanzipierte Frauen gestylt, sollte dieser symbolische Akt krampfhaft ein Stück weibliche Unabhängigkeit demonstrieren. Bei der offi ziellen Ein- führung der Frauenabteilung dauerte ein Spiel zu Beginn damals nur 70 Minuten, und die Frauen durften auch keine Stollenschuhe tragen. Da fi ng der Kampf gegen die Vorurteile, was Frauen im Fußball können und was nicht, ganz leise an. Frau widersetzte sich und antwortete mit Trainingsfl eiß, Leistung und insbesonde- re mit Titeln. So gab Anfang der 90er-Jahre nicht nur das moderne Bild der Frau in der Gesellschaft den Ausschlag dafür, das Spiel auf zweimal 45 Minuten dem der Männer anzupassen. Da war noch die Übergröße beim Trikot, die es in den Griff zu kriegen galt. Und so entwarf der deutsche Sportartikelhersteller adidas anlässlich der WM 2003 erstmalig ein offi zielles Trikot für Frauen. Mittlerweile ist das, genauso wie bei den Männern, zur Tradition geworden. Ob das nun das erste Frauentrikot überhaupt war, lässt sich nach all der Zeit leider nicht mehr nachvollziehen. Fakt ist: Inzwischen boomt der Frauenfußball und liegt seit Jahren voll im Trend. Das belegen nicht zuletzt die stetig stei- genden Mitgliederzahlen in den Vereinen. Der Deutsche Fußball- Bund verzeichnete im Jahr 2010 einen Rekordwert. Nach der neuesten Statistik stieg die Mitgliederzahl auf über sechseinhalb Millionen und mehr als eine Million davon sind Mädchen und Frauen. Damit ist und bleibt Fußball in Deutschland die Sportart Num- mer eins und der DFB der größte Sportverband im Olympischen Sportbund. Dass immer mehr Mädchen und Frauen Fußball spielen wollen, ist sicherlich auch auf die Erfolge der Frauen zurückzuführen. Ich kann mich noch genau an das Jahr 2001 erinnern, als Deutschland als Gastgeber und Titelverteidiger in die EM-Endrunde ging. An- ders als heute gab es damals zwei Gruppen mit jeweils acht Teams.

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1818 001.04.111.04.11 14:2814:28 FIFA Frauen-WM 2003 – Erinnerungen mit TTM 19

Deutschland nutzte seinen Heimvorteil und eröffnete in Erfurt am 23. Juni 2001, mit einem 3:1-Sieg über die ebenfalls favorisierten Schwedinnen – das Turnier. Sie blieben alle Spiele ungeschlagen und bezwangen am 7. Juli 2001 im Finale erneut die Schwedinnen mit einem knappen 1:0. Den Siegtreffer und somit das erste Gol- den Goal in der Geschichte des Frauenfußballs schoss Claudia Müller, die seinerzeit für den VfL Wolfsburg spielte. Ein erster leiser Vermerk, ein erstes sanftes Raunen ging durch die Medienwelt. Eine Einschaltquote von fünf Millionen sprach für sich und zwang die Medien dazu, die Übertragung der Spiele fortan regelmäßig in das Programmangebot mit einzubinden.

FIFA Frauen-WM 2003 – Erinnerungen mit TTM

Als Gastgeberland für die WM 2003 war ursprünglich China vor- gesehen. Aber nach Ausbruch der Krankheit SARS entschied sich die FIFA kurzfristig für die Verlegung in die USA. Der plötzliche Aufstieg neuer Herausforderer, in der Mehrzahl europäische Mannschaften, und die traditionellen Favoriten wie China und USA ließen das Medieninteresse am Wettbewerb mehr und mehr steigen. Das Finale zwischen Deutschland und Schwe- den im kalifornischen Carson entwickelte sich zu einem wahren Krimi. Da das Spiel während der regulären Zeit keine Entschei- dung brachte, ging man mit der »Golden-Goal«-Regel in die Ver- längerung. Das bedeutete, dass die Mannschaft, die zuerst ein Tor erzielte, Sieger des Spiels und in diesem Fall auch Weltmeister war. Ein Freistoß von segelte in der 98. Minute in den Sechzehnmeterraum. Nia Künzer stieg am höchsten in die Luft und nickte den Ball mit einem exorbitanten und lehrbuch- reifen Kopfball zum 2:1-Endstand ein. Mit diesem Kopfball-

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 1919 001.04.111.04.11 14:2814:28 20 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

»Golden-Goal« ging sie in die Geschichte des Frauenfußballs ein. Denn dieses Tor bescherte ihr nicht nur mehrere Sponsoren- verträge, sondern wurde am Ende auch noch mit dem Tor des Jahres ausgezeichnet. Ein Tor, das heute noch berührt und unter die Haut geht und seinerzeit eine Welle der Begeisterung und auch Bewunderung lostrat. Nia Künzers Kopfballtor sorgte nicht nur dafür, dass die Frauen mit ihrer überzeugenden Leistung erstmals bei allen Fußballfans wahrgenommen wurden, sondern auch dafür, dass sie noch Jah- re danach an dem Spitznamen »Golden Girl« gemessen wurde. Das war der Schlüssel für eine Marketingstrategie, wie sie im Männerfußball seit Jahrzehnten praktiziert wird. Man nehme ei- nen besonderen Augenblick, eine attraktive Spielerin, die Weib- lichkeit und einen Hauch Erotik versprüht, und steigert mithilfe der notwendigen Medienwirksamkeit das öffentliche Interesse. Ein immer währender Kreislauf, der stets dafür sorgt, dass die Auf- merksamkeit durch kluge, nette und sympathische Gesichter ge- weckt wird. Aushängeschilder, die zudem auch noch in der Lage sind, zusammenhängende Sätze vor der Kamera zu präsentieren, ohne einen Teleprompter zu benötigen. Frauen spielen leistungs- orientierten, guten und anschaulichen Fußball, das steht außer Frage. Aber in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ist es leider immer noch so, dass vielen Leuten Namen wie oder zwar geläufi g sind, jedoch können die wenigsten ad hoc sagen, welchen Vereinen die Spielerinnen aktuell angehören. Manchmal geraten der Sport und seine Erfolge in den Hinter- grund, weil gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen Vor- rang haben. Sogar bei unseren Jungs ist es oftmals so, dass die breite Masse nicht genau weiß, wann und wo die deutsche Nati- onalmannschaft einen Titel geholt hat. Allerdings können sich die meisten dann doch an die denkwürdigsten Tore und ihre Schützen erinnern und einige Namen aus dem aktuellen Kader

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 2020 001.04.111.04.11 14:2814:28 FIFA Frauen-WM 2003 – Erinnerungen mit TTM 21

nennen. Das ist sicher der effektiven Werbe- und PR-Maschinerie zu verdanken: Man sucht die High Potentials raus, sie bekommen ein Medientraining, dann baut man sie auf und schickt sie in die vorderste Aktionsreihe. Schade, dass man diesen Weg gehen muss, nur weil dieser Erfolg versprechender für die Vermarktung ist. Denn gerade wir Frauen sind doch immer darauf bedacht, uns so authentisch wie möglich zu verkaufen. Wir alle wollen lieber an Leistung und Glaubwürdigkeit gemessen werden. Aber wenn man in diesem Fall einen Realitätscheck machen würde, bliebe am Ende doch nur diese Option. Frauen in High Heels mit Ball am Fuß, das kann sich zu einem Aufl agen bringenden Medienhy- pe entwickeln. Nur reicht dies alleine nicht mehr aus. Eine Einla- dung in die Sportschau, ein Besuch bei einer Talkshow, in der man gerne auch mal was Privates ausplaudert, verhilft dazu, dem Gesicht ein kommerzielles Profi l zu geben, das sich in die aktiven Gehirnzwischenräume der Konsumenten wie ein bewährtes Markenprodukt einpfl anzt.

Im Frühjahr 2007 begleitete ich die ehemalige Bundestrainerin Tina Theune, damals noch Theune-Meyer, auch »TTM« genannt, zum Algarve Cup nach Portugal. Dort spielte die Mannschaft das alljährliche traditionelle Nationenturnier, das neben den olym- pischen Spielen sowie der Welt- und Europameisterschaft einen sehr hohen Stellenwert im internationalen Frauenfußball ge- nießt. Ich lernte Tina in meiner Jugend kennen, als sie mich erstmals zu einer U16-Mittelrheinauswahl einlud. Aufgrund meiner guten körperlichen Verfassung, für die ich wirklich hart trainierte, gab sie mir immer wieder die Chance, mein Talent unter Beweis zu stellen. Zweifelsohne gehört sie zu meinen wichtigsten Förde- rern. Die enge Freundschaft zwischen uns, die sich in den letzten Jahren immer mehr gefestigt hat, ist auch deshalb so besonders,

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 2121 001.04.111.04.11 14:2814:28 22 Sommermärchen – Der Traum geht weiter

weil Tina ein großer Fan des afrikanischen Fußballs und Konti- nents ist. Dies führte letztlich dazu, dass wir ein gemeinsames Projekt anstrebten. Ursprünglich wollten wir die Reise an die Al- garve nutzen, um eine Fotostrecke über die Nationalmannschaft zur WM 2007 zu machen. Aber leider scheiterte die Umsetzung dieser Idee an meiner genetisch bedingten afrikanischen Einstel- lung zur europäischen Zeit: Morgen ist auch noch ein Tag. Tja, was soll ich sagen? Die Europäer haben die Uhr erfunden, wir Afrika- ner die Zeit. Dennoch blieben uns auf unserer Reise genügend Gelegenheiten, in Erinnerungen aus Tinas Zeit mit der National- mannschaft zu schwelgen. Sie erzählte mir von ihren Erlebnissen mit dem Team, das sie als Trainerin zum ersten WM-Titel begleite- te. Sie verstand es hervorragend, dafür zu sorgen, dass die Spiele- rinnen immer auf dem Punkt fi t waren, und zwar nicht nur über 90 Minuten, sondern das gesamte Turnier lang. Dies verlieh ihr eine gewisse Gelassenheit, die sie auch stets nach außen hin ver- körperte. Als der WM-Kader für 2003 schon feststand, entschied sich die Bundestrainerin kurzfristig, dann doch noch Steffi Jones und Ma- ren Meinert zu rekrutieren. Das kam überraschend, da beide Spielerinnen zuvor aus dem Team zurückgetreten waren. Aber Tina und ihre Co-Trainerin hatten dieses besondere Gespür. Sie zögerten nicht lange und nahmen die beiden mit in die USA zur WM. Anfangs sorgte das für einen ziemlichen Wirbel innerhalb des Teams, da die lange Vorbereitungsphase zunächst einmal ohne sie absolviert worden war. Aber sind wir doch mal ehrlich: Jeder, der schon mal einen Mannschaftssport betrieben hat, weiß ganz genau, am Ende der Woche ist Sonntag. Und wenn es auf den Platz geht, sind eben nur elf Plätze zu vergeben. So zumindest hat es mir Monika Staab, die ehemalige Trainerin vom 1. FFC Frankfurt, einmal beschrieben, als sie mir das Phänomen Frauenfreundschaften innerhalb der Mannschaft in Bezug auf

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 2222 001.04.111.04.11 14:2814:28 FIFA Frauen-WM 2003 – Erinnerungen mit TTM 23

sportliche Ambitionen erklären wollte. Jedenfalls stellten sich die Nationalspielerinnen auf die neue Situation ein, und die Kar- ten wurden neu gemischt. Nun galt es, unter größerem Konkur- renzdruck noch härter, aber mit ehrlichen sportlichen Mitteln um seinen Stammplatz zu kämpfen. Jede mit der gleichen Chance. Der Unterschied zwischen Frauen, die im Alltag berufl ich oder privat miteinander interagieren, und Frauen, die sich sportlich auseinandersetzen müssen, besteht darin, dass man innerhalb einer funktionierenden Einheit nicht viele Optionen geboten be- kommt. Privat folgt man eher seinen eigenen Interessen. Im Team hingegen ist das Ziel klar defi niert, und zwar für alle gleicherma- ßen. Es kann nur in eine Richtung gehen! Am Ende wollen alle gemeinsam den Pokal in die Luft heben und das bedeutet, dass es nur miteinander geht: »Eine für Alle. Alle für Eine.« Das ver- stand auch die Mannschaft. Bevor es in die Vorrunde ging, hatten es die Verantwortlichen mit viel Fingerspitzengefühl geschafft, den Teamgeist zu Höchstform aufl aufen zu lassen. Tina erzählte mir, dass sie diesen positiven Wandel regelrecht spüren und bewusst miterleben konnte, wie die Spielerinnen im- mer stärker zusammenhielten und sich gegenseitig motivierten. Auch die, die zunächst einmal »nur« auf der Reservebank Platz nehmen durften. Man war Teil des magischen Zaubers, Teil des- sen, was auf dem heiligen Stadionrasen passierte. So überstand man die Vorrunde souverän mit spielerischer Überlegenheit. Und der Traum vom großen Erfolg, den WM-Titel zu holen, setzte sich nach und nach immer mehr in den Herzen und Köpfen fest. Nicht zu unterschätzen war vor allem die Funktion derer, die während des Spiels auf der Bank saßen, aber dennoch wie stüt- zende Säulen zu jeder Zeit mental ins Teamgeschehen eingriffen. Gerade was den Umgang von uns Frauen untereinander anbe- langt, kennen wir – wenn wir mal ehrlich sind – doch alle das klassische Beispiel aus unserer Kindheit. Die Zeit, in der auch wir

220057-Reeves.indd0057-Reeves.indd 2323 001.04.111.04.11 14:2814:28 UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Shary Reeves Eine für alle, alle für eine Das Leben ist ein Mannschaftssport

ORIGINALAUSGABE

Paperback, Klappenbroschur, 240 Seiten, 13,5 x 20,6 cm ISBN: 978-3-424-20057-7

Ariston

Erscheinungstermin: Mai 2011

Wie machen die das bloß? Zweimal Weltmeister, siebenmal Europameister – ein beispielloser Teamerfolg

Gemeinsam zum Erfolg! Alles ist möglich, wenn alle zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen. Diese Erfahrung hat die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen gemacht, deren Teamgeist ihr bereits sieben EM-Titel und zwei WM-Titel in Folge eingebracht hat. WM-Botschafterin und TV-Moderatorin Shary Reeves zeigt zusammen mit den Spielerinnen, wie auch wir Großes erreichen und über uns selbst hinauswachsen können.

Beim Fußball zeigen die Frauen, was in ihnen steckt. Ihr Geheimnis: gegenseitige Motivation und gemeinsame Ziele. Keine Egotrips. Das gilt auf dem Platz ebenso wie im Leben. Der Zusammenhalt und die große Sympathie, die die Fußballerinnen auszeichnen, stehen im Mittelpunkt dieses Buches, das von Teamgeist erzählt und von den persönlichen Geschichten der großartigen Fußballspielerinnen. Ihre Botschaft: Was wir können, das könnt ihr auch!