Quick viewing(Text Mode)

Gloria Und Leberwurst

Gloria Und Leberwurst

.

KULTUR

Doch anders als bei Mozarts Text- verbreitet gregorianische Monotonie. Musik dichter fährt der Ein Choral kippt um in einen Foxtrott, Draufgänger diesmal nicht ins Fegefeu- der Tod tanzt Tango, Jazz-Bands und er; vielmehr katapultiert er sich mit ei- Sinfoniker fahren sich genüßlich in die nem Schuß in die Schläfe zurück ins po- Parade. Gloria und tente Jünglingsalter – verdammt in alle Der Decca-Premiere von „“, Ewigkeit zu unbefriedigter Gier. dem zweifellos betörendsten Beitrag zur Mit Mozarts himmlischem Klassiker aktuellen Schulhoff-Renaissance, gin- Leberwurst „“, diesem Hohenlied gen in den letzten Jahren vielfache Ver- erotischen Zaubers, hat der surreale suche voraus, für das vergessene Œuvre Er hat Gott so schön wie Stalin be- Reißer „Flammen“ allerdings noch we- des jüdischen Kaufmannssohnes Wie- sungen und mit einer Non- niger gemein: Die einzi- dergutmachung zu lei- ge Oper des Prager sten. ne gepaart – der Komponist Erwin Komponisten Erwin Der stets entdecker- Schulhoff wird wiederentdeckt. Schulhoff (1894 bis freudige Geiger Gidon 1942) ist musikalisch ein Kremer war auch hier polystilistisches Uni- Pionier. Kleinere Plat- chon nach elf Minuten und fünf Se- kum – vulgär und poe- tenlabels bereicherten kunden kommt der erste Heuler. sievoll, handwerklich den Katalog mit Kam- S„Meine Lippen, Hüften, Brust“, sauber und rauschhaft mermusik. Schon sind girrt der Sopran auf dem Lotterbett, lasziv. auch Aufnahmen von „nimm mich, verbrenne mich, saug mir Mehr als ein halbes Schulhoff-Sinfonien in das Blut aus!“ Und ab geht die Brunft. Jahrhundert nach der Umlauf oder in der Ma- Von „Wellen gieriger Weiber“ ent- Uraufführung in Brünn che. kräftet, flieht der umbuhlte ins 1932 ist Schulhoffs In Köln und Düssel- Gotteshaus. Doch auf dem Altar wirft „Tragikomödie“ jetzt – dorf fanden wissen- sich eine lüsterne Nonne über ihn: in der verdienstvollen schaftliche Kolloquien „Alles dein – ha, ha, ha“, kreischt die Decca-Reihe „Entarte- statt. In Berlin wurden fromme Frau, und zur Paarung braust te Musik“ – erstmals auf die „Flammen“ 1994 von der Orgel ein „Gloria“. Platte erschienen und Komponist Schulhoff konzertant gespielt, die Oper Leipzig führte in diesem Frühjahr eine revidierte Büh- nenfassung auf. Der Hamburger von Bockel Verlag hat jüngst Schulhoffs „Schriften“ und die erste Biographie vorgelegt. Hör- und Leseproben decken sich verblüffend: Das tonsetzende Chamäle- on Schulhoff war stets auf der Höhe der Zeit und zugleich ein Stänkerer wider die Trends; der Außenseiter kompo- nierte und kommentierte sich mit zyni- schem Vorwitz und abenteuerlicher Vielfalt um Kopf und Kragen. Seine Laufbahn begann wie im Bil- derbuch. Mit vier klimperte Klein-Er- win daheim in Prag schon geschickt auf dem Klavier; die ehrgeizige Mutter führte ihn vor; Gutachter Antonı´n Dvorˇa´k belohnte den begabten Knirps mit Süßigkeiten und empfahl ihn weiter. Der Knabe studierte zeitweilig bei Max

A. BIRKIGT Reger und Claude Debussy. Doch als Schulhoff-Oper „Flammen“ in Leipzig: Der Tod tanzt Tango gestandener Pianist kam er kaum über die Runden. So geht es, abendfüllend, Nummer erweist sich in der vorzüglichen Produk- Klavierunterricht als Broterwerb für Nummer. Margarethe wirft sich dem tion als Vorzeige-Oper der Weimarer nervte ihn; in Saarbrücken, diesem Verführer an den Hals: „Jetzt bin ich Postmoderne – eine digitale Droge für „Abort von Deutschland“, sei das dein.“ Auf dem Maskenball macht der ausgebuffte Bayreuthianer. „Schülermaterial Scheiße, zum Kot- Unersättliche, dem „die Lust zu höchst Denn hier spielt Schulhoff vor allem zen!“ Er überwarf sich mit seinen Eltern überquillt“, erst Donna Anna an und seinen Über-Wagner aus. Wie beim und wütete im Tagebuch: „Ich klage alle reißt dann sogar La Morte, dem weibli- Weltenende der „Götterdämmerung“ an, die nicht gewillt sind, ,ihre Eltern‘ chen Tod, die Schleier vom Gerippe. schwelgt das Orchester in chromati- zu vernichten.“ Auch mit den Frauen Ein verrücktes Stück, diese schrille schen Räuschen, und zu Don Juans Af- hatte er seine liebe Not. Sie seien ihm Mixtur aus Doktor Freud und Doktor fären schlagen die „Flammen“ noch hö- nur „Studienobjekte“ und „sonst egal“; Faustus, aus Sturm und Drang in Libret- her als die Wogen der Begierde in „Tri- „Gefühllosigkeit“ sei das „Elixier der to und Lenden. Im Zweiakter „Flam- stan und Isolde“. höheren Existenz“. men“ kehrt ein alter Bekannter zurück Zwischendurch wagt sich Schulhoff in Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte ins Musiktheater: Don Juan, der edelste atonale Grauzonen vor, setzt Duftnoten Schulhoff – verletzt – als sarkastischer Lüstling der Oper. von impressionistischer Raffinesse und Pazifist heim: „Hoch, das muß sein! Der

220 DER SPIEGEL 44/1995 .

KULTUR

Kaiser braucht Soldaten. Folglich läßt man außer den Lausejungen die Säug- Film linge exerzieren.“ Verbittert wird der europäische Welt- bürger Kommunist und später Sowjet- bürger, der Komponist vollzieht die Ahnungslos Wende vom traditionshörigen Spätro- mantiker zum abenteuerlustigen Provo- kateur: „Könnt ihr begreifen“, schreibt in Hollywood er 1923, „daß mein Schaffen, angeregt durch diesen europäischen Trümmer- „Clueless“. Spielfilm von Amy haufen und Bevölkerungsmist, nur noch Heckerling. USA 1995. Spott ist?“ Fortan geistert der Spötter durch alle Stile und Sparten. Hatte er als Student noch Chorsätze in Mädchen weiß, daß es Probleme wie „Mein Gott, öffne mir die Pforten“ hat, wenn es morgens vor seinem verfaßt oder am Klavier „Das Bächlein EKleiderschrank steht (der so groß im Walde“ besungen, so verlustiert er wie anderer Leute Wohnzimmer ist), sich jetzt an dadaistischem Klangulk. und unter mehr als hundert Kostümen In seiner Invention op. 36 Nr. 7 läßt findet sich keines, das der Stimmung er alle Taktstriche weg. Die dritte seiner dieses Sommermorgens entspricht. „Fünf Pittoresken“ besteht nur aus Pau- Ein Mädchen ahnt, daß sich etwas än- sen. Für das Klavierkonzert von 1923 dern muß, wenn es im Unterricht seinen schreibt er Autohupe und Lachsack vor; Standpunkt zum Asylproblem erläutern seine „Sonata erotica“ verlangt Lustge- soll. Und es erzählt von dieser Party, zu stöhn nach Noten; seine Groteske der lauter ungeladene Gäste gekommen „Bassnachtigall“ für Kontrafagott solo seien, weshalb es dann richtig lustig verteidigt er mit den Worten: „Der gött- wurde: So ähnlich sei das mit Asylbe- liche Funke kann wie in einer Leber- werbern. Der Lehrer gibt ihr trotzdem wurst auch in einem Kontrafagott vor- keine gute Note. handen sein.“ Ein Mädchen lernt eine Menge dazu, Doch auf einmal ist Schulhoff seine wenn es nachts allein an der Tankstelle Dada-Demos leid, und als er die „Bür- steht, vom Verehrer verlassen, im Nie- ger mit dem wabbelnden Wanst“ auch durch seine Jazzereien nicht mehr schockieren kann, verlegt er sich weitgehend auf vaterländische Hymnen im schmetternden Bom- bast der kommunistischen Weltrevolution. Er notiert die 13stimmi- ge Kantate „Das Mani- fest“ nach Marx und En- gels und huldigt in der „Freiheitssinfonie“ der Roten Armee. Noch auf der bayerischen Festung Wülzburg, wohin ihn die Deutschen nach dem Überfall auf die UdSSR als unerwünschten Ausländer verbracht hatten, arbeitet er an seiner achten Sinfo- nie „unter der Fahne von Marx, Engels und Stalin“. Doch weiter als Takt 28 – ein Marsch setzt ein, Sie- gesfanfaren schmettern – kommt er nicht. Ein hefti- ges Fieber legt seinen Kör- per lahm, am 18. August 1942 stirbt er an Erschöp- fung, Hals- und Lungentu- berkulose. Mithäftlinge stecken die Leiche in einen

Strohsack und beerdigen STILLS / STUDIO X sie. Schulhoff wird verges- „Clueless“-Star Silverstone (M.) sen. Wunschtraum der Jugend von sich selbst

222 DER SPIEGEL 44/1995