LWL-Einrichtungen Marsberg

Chronik – 200 Jahre Psychiatrie Marsberg trie Marsberg 200 Jahre Psychia – 200 Chronik LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen

Stark für die seelische Gesundheit

Der LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen ist der gemeinnützige Gesundheitsdienstleister des LWL, des Kommunalverbandes der 18 Kreise und 9 kreisfreien Städte in Westfalen-Lippe. Der LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen leistet einen entscheidenden Beitrag zur seelischen Gesundheit der Menschen in Westfalen-Lippe. ■ über 100 Einrichtungen im Verbund: Krankenhäuser, Tageskliniken und Institutsambulanzen, Rehabilitationseinrichtungen, Wohnverbünde und Pflegezentren, Akademien für Gesundheitsberufe, Institute für Forschung und Lehre ■ ca. 9.250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Berufen des Gesundheitswesens ■ ca. 180.000 behandelte und betreute Menschen im Jahr Wir arbeiten für Sie in den Kreisen Borken, Coesfeld, Gütersloh, Höxter, Lippe, , Recklinghausen, Soest, Steinfurt, Unna, dem und dem Märkischen Kreis sowie in den kreisfreien Städten Bochum, Dortmund, Hamm, Herne und Münster.

www.lwl-psychiatrieverbund.de Chronik 200 Jahre Psychiatrie Marsberg Impressum

LWL-Einrichtungen Marsberg Weist 45 / Bredelarer Straße 33 / Mühlenstraße 26 34431 Marsberg Telefon: 02992 601 1000 Telefax: 02992 601 1399 www.lwl-klinik-marsberg.de www.lwl-jugendpsychiatrie-marsberg.de www.lwl-therapiezentrum-marsberg.de www.lwl-wohnverbund-marsberg.de www.lwl-pflegezentrum-marsberg.de

Recherche und Texte Stefan Kummer und LWL-Einrichtungen Marsberg GeSamtherstellung DruckVerlag Kettler GmbH, Bönen

© 2014 LWL-Einrichtungen Marsberg

Nachdruck / Vervielfältigung gleich welcher Art, auch auszugs- weise, nur mit vorheriger Genehmigung der Herausgeber. Die Rechte der Beiträge liegen ausschließlich bei den Autoren.

Wenn im Text nur die männliche Schreibweise verwendet wird, so ist bei Entsprechung auch die weibliche Form eingeschlossen. Auf eine durchgehend geschlechtergerechte oder geschlechtsneutra- le Schreibweise wurde zu Gunsten der Lesbarkeit verzichtet. Inhaltsverzeichnis

4 32 Grußwort des LWL-Direktors Psychiatriereform

5 34 Grußwort der Betriebsleitungen Die Entwicklung bis in das neue Jahrtausend

8 36 Gründung des Landeshospitals Marsberg 1814 LWL-Klinik Marsberg Von den Ketten befreit. Der Umgang mit Psychiatrie ∙ Psychotherapie ∙ Psychosomatik psychisch Kranken bis zum 19. Jahrhundert 45 13 LWL-Klinik Marsberg Entwicklung bis zum ersten Weltkrieg Kinder- und Jugendpsychiatrie ∙ Eine Anstalt entsteht – Psychotherapie ∙ Psychosomatik Ein Jahrhundert des Wachstums 50 21 LWL-Therapiezentrum für Erster Weltkrieg – Rationiertes Leben Forensische Psychiatrie Marsberg hinter Anstaltsmauern 54 24 LWL-Pflegezentrum Marsberg Eugenik – Neue Theorien werfen „Haus Stadtberge“ ihre Schatten voraus 58 25 LWL-Wohnverbund Marsberg Zwangssterilisation im Nationalsozialismus 63 27 Enge Verbindung der LWL-Einrichtungen „Euthanasie“ – Mord an psychisch mit der Stadt Marsberg kranken und geistig behinderten Menschen 64 30 Die Betriebsleitungen der LWL-Einrichtungen Nachkriegszeit Marsberg GRUSSWORT DES LWL-DIREKTORS

Die LWL-Klinik Marsberg wurde 1814 als ers- Vieles konnte in der Vergangenheit für die te psychiatrische Klinik Westfalens gegründet Verbesserung der Behandlung und Lebens- und war zum damaligen Zeitpunkt eine der situation psychisch kranker Menschen erreicht, ersten „Heil- und Pflegeanstalten“ Deutsch- Hindernisse und Schwierigkeiten konnten lands überhaupt. Heute, 200 Jahre später, überwunden werden. Anlässlich des 200-jäh- kann sie auf eine bedeutsame Geschichte rigen Bestehens spreche ich der Klinikleitung zurückblicken – eine Geschichte geprägt von und allen Beschäftigten meinen Dank und Verantwortung für die Menschen in der Regi- meine Anerkennung für diese Leistung aus. on, therapeutischem und pflegerischem Fort- Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so- schritt, aber auch von schweren Zeiten und wie den Patientinnen und Patienten und Be- dem menschenverachtenden Umgang mit wohnerinnen und Bewohnern wünsche ich psychisch Kranken im Nationalsozialismus. ein gelingendes Jubiläumsjahr 2014. Ich bin zuversichtlich, dass es in Marsberg gelingt, Aus dem Landeshospital der Anfangszeit die zahlreichen zukünftigen Herausforderun- hat sich inzwischen ein modernes Kompe- gen in Form von veränderten gesellschaftli- tenzzentrum für seelische Gesundheit mit chen, strukturellen und finanziellenR ahmen- seinen heute 5 Einrichtungen entwickelt, bedingungen ebenso erfolgreich wie in der der erwachsenenpsychiatrischen LWL-Klinik Vergangenheit zu bewältigen. als Kern sowie der kinder- und jugendpsy- chiatrischen LWL-Klinik, dem LWL-Wohn- Matthias Löb verbund, dem LWL-Pflegezentrum und dem LWL-Direktor LWL-Therapiezentrum für Forensische Psy- chiatrie. Dies eingebettet in den LWL-Psychia- trieVerbund Westfalen, der mit seinen rund 100 Einrichtungen und Außenstellen, die gut 6.500 Plätze und Betten umfassen, die zent- rale Säule in der psychiatrischen Versorgung der Einwohnerinnen und Einwohner in Westfalen-Lippe ist. Die LWL-Einrichtungen in Marsberg sind ein wichtiger Teil dieses Netzwerkes. Sie stehen nicht nur für moder- ne Psychiatrie und Psychotherapie und – aus der langen Tradition heraus – für einen be- sonders empathischen und wertschätzenden Umgang mit psychisch kranken Menschen, sondern sind darüber hinaus ein bemerkens- wertes Beispiel für die Umsetzung der im Rahmen der Psychiatrie-Enquête entstande- nen Idee der gemeindenah orientierten Ver- sorgung.

4 GRUSSWORT DER BETRIEBSLEITUNGEN

Im Jahr 2014 blicken wir auf die 200-jährige Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Geschichte der LWL-Klinik Marsberg zurück. Leser, viel Freude beim Lesen der Chronik und Das damalige Landeshospital Marsberg war hoffen, Sie auch auf den verschiedenen Ver- eine der ersten Einrichtungen für psychisch anstaltungen, welche die LWL-Einrichtungen kranke Menschen in Deutschland. Bereits in Marsberg anlässlich des Jubiläumsjahres aus- der Gründungszeit gab es dort das Bestreben, richten, begrüßen zu können. eine möglichst optimale Behandlung und Ver- sorgung von Patientinnen und Patienten zu Im Namen aller Betriebsleitungsmitglieder der gewährleisten. LWL-­Einrichtungen Marsberg

Seit den 1970er-Jahren kam es zu einschnei- Josef Spiertz denden positiven Veränderungen in der Be- Kaufmännischer Direktor der handlung der Patientinnen und Patienten: LWL-Einrichtungen Marsberg Die Psychiatrie-Enquête und die Einführung der Psychiatrie-Personalverordnung aus dem Jahr 1992 führten im Verlauf der Jahre zu ei- ner zunehmenden Professionalisierung und Individualisierung in der Behandlung, Pflege und Betreuung sowohl der Patientinnen und Patienten der LWL-Kliniken und des LWL-The- rapiezentrums als auch der Bewohnerinnen und Bewohner des LWL-Pflegezentrums und des LWL-Wohnverbundes.

All die Entwicklungsschritte vom Landeshos- pital Marsberg im Jahr 1814 zum heutigen Kompetenzzentrum für seelische Gesund- heit der LWL-Einrichtungen Marsberg wer- den in der Chronik detailliert dargestellt, so dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, ei- nen guten Eindruck über die geschichtli- che Entwicklung und die Veränderungen im Verlauf von 2 Jahrhunderten erhalten.

Bedanken möchten sich die Betriebsleitun- gen an dieser Stelle auch bei allen derzeiti- gen und allen ehemaligen Beschäftigten für ihren Einsatz. Ohne engagierte Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter wären das Bestehen und die positive Entwicklung der LWL-Einrichtun- gen Marsberg über einen so langen Zeitraum nicht möglich gewesen.

5 Diätküche 1932 Kaffeetafel um 1930

Festsaal um 1930 Mattenflechterei 1930

Prozession 1931 Schützenfest 1935

6 Knüpferei 1930

Neuer Kessel 1934

Waschküche 1930

7 die grÜndung des LandeshosPitaLs Marsberg 1814 Von den ketten beFreit. der uMgang Mit PsyChisCh kranken bis zuM 19. Jahrhundert

das zeitalter der aufklärung und die errun- genschaften der Französischen revolution brachten entscheidende Verbesserungen für die psychisch erkrankten, da die einführung des Code napoléon samt der Menschenrech- te auch für sie galt.

der französische Psychiater und Leibarzt napoleons, Philippe Pinel (1745-1826), war der Überzeugung: „die irren sind keine schuldigen, die man bestrafen muss, son- dern kranke, bei denen man versuchen muss, Kapuzinerkloster 1811 ihre gestörte Vernunft wieder herzustellen.“ Pinel empfahl die seelische behandlung und die LWL-klinik Marsberg ist die älteste psychi- forderte eine Verteilung der Patienten nach atrische einrichtung in Westfalen. ihre grün- krankheitsgrad auf getrennte abteilungen. dung fällt in eine zeit großer politischer und auch für den deutschen raum wirkten diese sozialer Änderungen in europa. aus Frankreich stammenden ideen richtungs- weisend. als „deutscher Pinel“ führte Johann bis zum ende des 18. Jahrhunderts verfolgte Christian reil (1759-1813) 1808 den begriff die Versorgung der sogenannten Geisteskran- Psychiatrie ein. er gilt bis heute als begründer ken keine besserung oder heilung durch the- der modernen neurologie und Psychiatrie. rapie. Vielmehr sollte ihre Verwahrung – zum beispiel in arbeitshäusern oder gesonderten abteilungen in Zuchthäusern – vorrangig die öffentliche sicherheit gewährleisten.

die damals beispielsweise in Paris bestehen- den sogenannten Irrenhäuser, in denen die kranken regelrecht weggeschlossen wur- den, waren menschenunwürdig. in oftmals kerkerähnlichen, kalten und feuchten zellen wurden die Irren – nicht anders als straftä- ter zur damaligen zeit – in ketten gehalten und mit zwangsmitteln zu härtester arbeit bei gleichzeitig geringer ernährung und ka- tastrophalen hygienischen bedingungen ge- zwungen.

Johann Christian Reil (1759-1813)

8 Lage des Herzogtums Westfalen in der Landgrafschaft Hessen um 1802 zur situation im herzogtum Westfalen: die aufmerksam. 1811 regte das großherzog- stadt Marsberg, bestehend aus ober- und lich-hessische kirchen- und schulamt zu niedermarsberg, lag im damaligen herzog- die umgestaltung des Marsber- tum Westfalen. um 1800 zählte Marsberg ger kapuzinerklosters in eine irren- und mit etwas mehr als 400 Wohnhäusern zu- krankenanstalt an. der zuständige regie- sammen mit geseke, und Werl zu rungs- und Medizinalrat dr. Johannes stoll den größten städten Westfalens. infolge der zu arnsberg unterstützte diese Forderung. napoleonischen kriege geriet das herzogtum der reichsdeputationshauptschluss, durch Westfalen in den blickpunkt verschiedener den 1803 auch die inbesitznahme des her- Fürsten, die den Verlust ihrer linksrheinischen zogtums Westfalens legitimiert worden war, gebiete ausgleichen wollten. die Landgraf- ermöglichte es, stifte, abteien und klöster schaft hessen-darmstadt nahm das herzog- zu säkularisieren und somit u.a. zur unter- tum Westfalen im Jahr 1802 ein. bringung von geisteskranken nutzbar zu ma- chen. durch dekret des großherzogtums hes- Während es im hessen-darmstädtischen sen vom 27. dezember 1812 wurde das ka- kernland in hofheim bei darmstadt bereits puzinerkloster zu Marsberg, das erst 67 Jahre ein Landeshospital zur Geisteskrankenfürsor- vorher, im Jahr 1744, gegründet worden war, ge (heute: Vitos Philippshospital riedstadt) säkularisiert. die anfallenden umbaukosten gab, befand sich im früheren herzogtum sollten aus Wohltätigkeits- und Lokalarmen- Westfalen keine Versorgungsmöglichkeit fonds, beiträgen hiesiger amtskassen sowie für psychisch kranke. die hessen-darmstäd- vermögender kranker, freiwilliger stiftun- tische Verwaltung wurde auf die nicht vor- gen und Vermächtnissen bezahlt werden. handene Irrenfürsorge im neuen Landesteil am 10. november 1814 wurde das Landes-

9 der großherzogliche amtsarzt dr. Julius Wilhelm ruer wurde als direktor und zu- nächst einziger arzt eingestellt.

die anfängliche Dienstordnung für die Offi- cianten der Irren- und Kranken-Anstalt zu Marsberg war für die damalige zeit außer- ordentlich fortschrittlich und weitsichtig, wie folgende Punkte zeigen:

a) es wurde zwischen somatischen und psy- chischen erkrankungen unterschieden. die unterbringung der Patienten erfolgte nach art des psychischen zustandes in kleinen abteilungen. die unterscheidung erfolg- te in: Epileptisch-Verrückte, Blödsinnige, Stupide oder an Verstande Schwache, Me- lancholische oder Schwermüthige, Wahn- sinnige und Verrückte und schließlich Tob- süchtige bzw. Wüthende (Manicaci).

Grundriss Kapuzinerkloster b) die dienstanweisung sah vor, den Men- schen, die an Krankheiten der Seele lei- hospital offiziell eröffnet. ursprünglich war den, durch liebevolle behandlung den Rest die einrichtung laut regierungsverfügung als an Vernunft zu erhalten und Ausbrüchen heil- und Versorgungsanstalt für körperlich ihres verkehrten Denkvermögens mit Ge- und seelisch erkrankte Menschen bestimmt. lassenheit, Geduld, Sanftmuth und Aufop- nach der eröffnung wurden zunächst 17 vor ferung zu begegnen. allem psychisch und an epilepsie erkrankte Patienten aufgenommen. c) der direktor hatte täglich Visite und ein kli- nisches tagebuch zu führen.

Landeshospital um 1850

10 dr. JuLius WiLheLM ruer

ruer studierte Medizin und wurde im Jahr 1806 zum dr. med. promoviert. in den folgenden Jahren prakti- zierte er in neheim und ab 1812 in . er war gründungsdirektor des Landeshospitals Marsberg. Mit dr. ruer berief man einen arzt und Psychiater als direktor und erfüllte damit den anspruch der neuen disziplin der Psychiatrie. ruer, der bei seinem dienst- antritt 30 Jahre alt war, gilt bis heute als besonders engagierter und überregional anerkannter direk- tor. besonders in erinnerung blieb die väterliche art, mit der ruer sich um das Wohl seiner Patienten be- mühte. ganz im sinne reils war ruer befürworter eines individualisierten umgangs mit den Patienten. er blieb 36 Jahre in Marsberg tätig. später leitete ruer private anstalten in düsseldorf und hamm. (* 30. Mai 1784 in Meschede; † 17. Dezember 1864 in Hamm) zusammen mit Joseph ennemoser (bonn) rief er in ei- ner 1827 herausgegebenen denkschrift zur gründung eines Vereins zur Verbesserung der praktischen seelenheilkunde auf. dies gilt als wesentlicher impuls zur gründung der deutschen gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und nerven- heilkunde (dgPPn).

er war maßgeblich an der herausgabe von „nasse’s zeitschrift für psychische Ärzte“ betei- ligt. auch an den „Vaterländischen blättern für das herzogtum Westfalen“ wirkte er mit. in seinen klinischen tagebüchern führte er akribisch statistiken. aus ihnen ist überliefert, dass von 196 kranken, die zwischen 1814 und 1831 aufgenommen wurden, ein drittel als geheilt oder gebessert entlassen wurde. d) eine heilung sollte bei heilbaren Seelen- arbeit in Werkstätten und Landwirtschaft kranken durch Erholung, Zerstreuung, Be- vornehmlich zu therapeutischen und nicht wegung, Gartenarbeit und andere, dem – wie bisher üblich – ökonomischen zwe- Stande, der gewöhnten Lebensart und dem cken vorgesehen. ein garten (sogenannter individuellen Zustande eines jeden Kran- Irrengarten) zum spazierengehen wurde ken angemessene unschädliche Lieblings- ebenso wie ein vielfältiges angebot an be- beschäftigungen, die vorzüglichste Bedin- schäftigungsmöglichkeiten zur Freizeitge- gungen der psychischen Heilung und der staltung als teil der therapie angeboten. Wiedergenesung sind, ermöglicht werden. es galt die allgemeine devise, die Patienten e) arzneimittel sollten, ebenso wie straf- und möglichst zu schonen. deshalb wählte man zähmungsmittel, nur mit bedacht gewählt auch die offizielle bezeichnung Landeshos- und eingesetzt werden. pital und nicht Irrenanstalt. außerdem durf- ten die Patienten individuelle statt der bis f) krankenwärter und -innen (zeitgenössisch dahin üblichen uniformen, an häftlinge für gesundheits- und krankenpfleger) soll- erinnernden kleidung tragen. die schaffung ten speziell geschult werden und sich einer harmonischer Lebensbedingungen sollte zur abschließenden Prüfung unterziehen. der genesung beitragen. Für die Patienten war direktor persönlich schulte die Wärter zu

11 Menschenfreundlichkeit und beruhigen- dem Verhalten den Patienten gegenüber.

g) Ärzte auf Durchreise sollten durch eine Führung Einblick nehmen. Eine Tafel am Eingang forderte dazu auf, Mängel zu melden.

h) Geistliche waren nicht mehr in der adminis- trativen Mitverantwortung. Auch aus dem täglichen Leben wurde der religiöse Aspekt weitgehend zurückgehalten. Die Patienten waren an keine Konfession gebunden.

i) Es war Aufgabe des Anstaltsdirektors, da- für Sorge zu tragen, dass die Patienten von allen liebreich behandelt werden. Er sollte alle seine psychologischen Kenntnisse auf- bieten, um ein auf Liebe und Zutrauen ge- gründetes Verhältnis zwischen den Seelen- kranken und ihren Wärtern zu bewirken. Dienstordnung von 1814 j) Schließlich gab es eine Pflicht zur Fortbil- dung. Es gehörte zur angelegentlichsten einflusst waren. Allerdings erwies sich das Berufspflicht des Arztes, seine psychologi- eher raue Klima bald als ungünstig, zumal die schen Kenntnisse durch fortgesetztes Stu- unteren Räume des alten Klosters kalt, feucht dium der Erfahrungs-Seelenlehre und der und dunkel waren. Der Genesung der Patien- Gemüthskrankheiten zu erweitern. Dafür ten war dies nicht zuträglich. Es bestand die sollten die besten Schriften hierüber aus Notwendigkeit der baulichen Veränderung. der Hospitalscasse angeschafft werden.

Die Dienstordnung von 1814 versuchte die Forderungen der zum damaligen Zeitpunkt „modernen“ Psychiatrie zu erfüllen. Das Landeshospital Marsberg im frühen 19. Jahr- hundert kann als anerkennenswerte und in vielerlei Hinsicht für andere Einrichtungen vorbildhafte psychiatrische Anstalt beurteilt werden. Es hatte nur noch wenig mit älteren psychiatrischen Einrichtungen gemein und war richtungsweisend für folgende psychia- trische Krankenhäuser.

Auch die Lage in Niedermarsberg an „von anmuthigen Höhen umgebenen Orte“, die der Heilung besonders zuträglich sein soll- te, entspricht der Vorstellung der ersten Psy- chiater, die von den Ideen der Romantik be-

12 Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg Eine Anstalt entsteht – Ein Jahrhundert des Wachstums

Patientengeschichte Thomas Buddenkott

In den ersten Jahren führte Dr. Ruer ausführlich Statistiken und berichtete in medizi- nischen Fachzeitschriften auch von einzelnen Patienten. Im Folgenden soll eine solche Patientengeschichte Einblick in die damalige Art und Weise der Behandlung geben.1

Im Oktober 1816 nahm Dr. Ruer den Patienten Thomas Buddenkott auf. Buddenkott stammte aus dem Münsterland und war ein körperlich starker Bauerssohn. Er zeigte jedoch Geistes- und Gemütsstörungen, die sich darin äußerten, dass der Patient kein geordnetes Gespräch führen konnte, allgemein abwesend und träge, zeitweise jedoch aufgebracht wirkte.

In den ersten Tagen und Wochen beobachtete Dr. Ruer den Patienten und informierte sich ausführlich über dessen Krankheitsgenese. Zeitgleich verordnete Ruer das Brech- mittel Brechweinstein – ein damals übliches Mittel gegen „fieberhafte Aufregung“ und „Wahnsinn“ – und später auch den Aderlass. Tatsächlich beobachtete Ruer nach dieser Behandlung eine Besserung des Zustandes. Er konnte nun mit Buddenkott Gespräche führen, in denen er den Patienten über seine zunehmende Genesung informierte und ihm auch die baldige Entlassung in Aussicht stellte. Entsprechend des Grundsatzes, möglichst weitgehend auf Zwangsmittel zu verzichten, war das Wartepersonal ange- wiesen, den Patienten besonders freundlich zu behandeln, da dies, verbunden mit mehr Freiheiten, seinem Zustand offensichtlich zuträglich war. In den nächsten Monaten ver- ordnete Ruer seinem Patienten das Schröpfen und gab ihm in steigenden Dosen Roten Fingerhut, was zu einer weiteren Genesung führte. Nach 14 Monaten wurde Budden- kott als geheilt entlassen.

Als am 1. Juni 1816 das Herzogtum Westfa- den durch Industrialisierung und Urbanisie- len zu einer Provinz des Königreichs Preußen rung sowie den neuen medizinischen und wurde, erfolgte eine Umbenennung des Lan- psychiatrischen Konzepten und Angeboten, deshospitals in Provinzial-Irrenanstalt. Sie war beispielsweise der umgehenden Anstaltsbe- damit die erste ihrer Art in der neuen preußi- handlung. Aber auch ein zunehmendes Ver- schen Provinz Westfalen. trauen der Menschen in die neuen Behand- lungsformen dürfte dazu beigetragen haben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es zu ei- Dies führte dazu, dass es bereits seit 1818 nem rapiden Anwachsen der Krankenzahlen. Planungen gab, die Anstalt in Marsberg zu Die Gründe dafür sind vielfältig. Es handelte erweitern und in 2 Bereiche, eine Heil- und sich – vereinfacht gesagt – um eine Mischung eine Pflegeanstalt, zu trennen, um den Erfor- aus allgemeinem Bevölkerungswachstum, dernissen gerecht werden zu können. Dazu veränderten Lebens- und Arbeitsumstän- wurden im Laufe der Jahre 3 Möglichkeiten

1 Die Patientengeschichte Thomas Buddenkott folgt den Angaben von Ruer in seinem Artikel: Nachrichten über die Irrenanstalt zu Marsberg. In: Zeitschrift für psychische Ärzte: mit besonderer Berücksichtigung des Magnetismus, 1819, 2/1, Seite 72-104, hier: S. 95-104. 13 Die Westfälischen Provinzialstände (ein poli- tisches Gremium, durch das Westfalen erst- mals über eine Gesamtvertretung verfügte) sprachen sich dagegen für eine Trennung von Heil- und Pflegeanstalt aus.E nde 1828 kam man zu der Einigung, beide Ideen zu vereinen und in Marsberg 2 Anstalten zu führen. Da- bei sollten beide Anstalten so gelegen sein, dass keine die andere stört und jede ihren Zweck erfüllen kann.

Die neue Anstalt wurde am 1. Juni 1835 er- öffnet und erweiterte die bisherige Betten- zahl auf 220. Marsberg war im damaligen Deutschland die zweite, in Preußen sogar die erste sogenannte relativ verbundene Heil- und Pflegeanstalt. Der Name verrät viel über das fortschrittliche Prinzip: Der Anstaltsbau in Form eines „H“ war in Ober- und Unter- Stadtplan Marsberg 1830 geschoss mit je 4 Abteilungen gebaut. Die Männer bewohnten den östlichen Teil des in Betracht gezogen: 1. Vergrößerung der Gebäudes, die Frauen den westlichen. Ge- bestehenden Anstalt; 2. Bau einer neuen An- trennt waren die Geschlechter durch einen stalt anderenorts; 3. eine Zusammenarbeit breiten Flur. Das Entscheidende war jedoch, mit der 1825 im rheinischen Siegburg ge- dass eine Verbindung zwischen Heil- und gründeten Anstalt. Pflegeanstalt bestand.D urch eine gemeinsa- me direktoriale Leitung und ärztliche Betreu- Regierungsrat Dr. Stoll, der bereits maßgeb- ung war es möglich, in heilbare (Heilanstalt) lich zur Gründung beigetragen hatte, setzte und unheilbare (Pflegeanstalt) Patienten zu sich für eine Erweiterung Marsbergs ein. unterscheiden und sie gegebenenfalls zu ver- legen, wenn sich deren Zustand änderte.

Wochen-Speisezettel aus dem Jahr 1845 – Zuordnung je nach sozialer Stellung

14 Behandlung um 1850

Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte die Behandlung in Marsberg weitgehend personen- bezogen (Individualtherapie). Die psychische Behandlung stand zunehmend im Vorder- grund. Wichtigster Teil der Behandlung war jedoch eine zweckmäßige Beschäftigung, um die Aufmerksamkeit auf Dinge abseits der Krankheit zu lenken.

Dazu waren den Patienten nützliche Tätigkeiten nach Fähigkeiten und Neigungen an frischer Luft mit körperlicher Bewegung zugeteilt. Während die Männer vorwiegend in Land- und Viehwirtschaft arbeiteten, übernahmen die Frauen eher häusliche Arbeiten. Die Patienten führten aber auch andere Tätigkeiten und Arbeiten durch, zum Beispiel in der Bäckerei, der Brauerei oder der Schneiderei. Zum Ausgleich wurden regelmäßig Vergnügungen wie Schützenfeste, Karneval oder jahreszeitliche Feste angeboten.

Neben der äußerlichen Erweiterung gab es stand vorrangig aus Einzelzellen. Auch wenn auch intern wichtige Änderungen: Es wurde die Bezeichnung Tobabteilung erschreckend ein Inspektor zur ökonomischen Verwaltung klingen mag, war sie doch das damals mo- und ein Hausverwalter angestellt. Dr. Ruer dernste Mittel, Ruhe und Ordnung zu ge- bekam einen Assistenzarzt zur Seite gestellt. währleisten. Eine medikamentöse Ruhigstel- Außerdem erhielten die männlichen und lung (Sedierung) gab es noch nicht. weiblichen Pfleger je einenO beraufseher bzw. eine -aufseherin. Der Andrang an Patienten nahm weiter zu. 1850 waren bereits 450 Kranke aufgenom- Um der Flut an Aufnahmeanträgen nachzu- men, obwohl es eigentlich nur 270 Plätze kommen, erließ man für den Heilbereich Auf- gab. Um dieser starken Überbelegung Herr nahmebedingungen. Danach waren gewisse zu werden, beschloss der Provinziallandtag Kranke, beispielsweise aus Altersschwäche 1854 den Bau einer zweiten westfälischen Blöd- und Schwachsinnige, von der Aufnah- Anstalt und gleichzeitig die Trennung der Pa- me ausgeschlossen. Wer aufgenommen wor- tienten nach Konfessionen. den war, aber innerhalb eines Jahres keinen Heilerfolg zeigte, wurde zurück zu den Ange- In Lengerich wurde ab 1862 ein Neubau er- hörigen oder in den Pflegebereich überwiesen. richtet. 1864 wurden die ersten 72 protestan- tischen Patienten von Marsberg nach Lenge- Wie groß das Interesse an einer Behandlung rich verlegt, bis 1867 waren es insgesamt 224. in Marsberg war, zeigt, dass 1839 die Zahl der Patienten bereits wieder die Kapazitäts- In Marsberg, wo die katholischen Patienten grenze erreichte. Man entschied, das Ge- verblieben, besserte sich zunächst die Platzsi- bäude des ehemaligen Benediktinerstifts in tuation. Das Stiftsgebäude in Obermarsberg zu pachten und dort eine Re- wurde daraufhin aufgegeben. konvaleszenten-Station einzurichten, die 15 Plätze für ruhige, männliche Patienten bot. Doch es gab ein weiteres Problem: Aufgrund Was jedoch weiterhin dringend fehlte, war der Baufälligkeit und schlechten Einrichtung eine neue Abteilung für sogenannte unruhi- war das alte Klostergebäude ungeeignet ge- ge Kranke. Sie waren bisher im Erdgeschoss worden, die übrigen rund 300 Kranken zu des alten Klosters untergebracht. Dieses war versorgen. Dem neuerlichen Wunsch nach jedoch feucht und unhygienisch. 1843 wur- baulicher Modernisierung wurde Rechnung de die neue Abteilung für unruhige Kranke getragen. Parallel zum Neubau von Lengerich eröffnet. Die sogenannte Tobabteilung be- wurde die Anstalt Marsberg zu einem dop-

15 Plan von 1866 Das H-Gebäude 1863 mit Marktplatz

pelten „h“ ausgebaut und ein Wirtschaftsge- bäude mit Festsaal neu errichtet. im Frühjahr 1869 wurden die arbeiten abgeschlossen.

zum Jahresbeginn 1871 wurde die Pflege der weiblichen kranken den ordensschwes- tern (Vinzentinerinnen) aus dem Mutterhaus zu Paderborn übertragen. es kann von einer Professionalisierung des krankenschwestern- dienstes gesprochen werden. dr. koster, seit dem 22. Juli 1859 anstaltsdirektor, beteuer- te, wie schwer es gewesen sei, „geeignetes Pflegepersonal zu finden, das da Milde,ge - duld, opferwilligkeit, selbstlosigkeit und in- telligenz genug besitze“. in den Vinzentiner- innen fand man all dies; ihre positive haltung färbte auch auf das restliche Personal ab.

das grundlegende Problem, der rasante an- stieg der Patientenzahl, bestand jedoch wei- Dr. Koster terhin. 1878 befanden sich fast 500 Patien- ten in Marsberg. da die Provinzialverbände gung zu stellen, verschärfte sich die situation seit 1891 zudem verpflichtet waren, hilfsbe- zusätzlich. deshalb wurde der bau weiterer dürftigen armen anstaltsplätze zur Verfü- anstalten in Westfalen beschlossen.

„der irrenFreund“

durch dr. koster wurde 1859 erstmals die Fachzeitschrift „der irrenfreund - eine Volksschrift über irre und irren- anstalten, sowie zur Pflege der geistigen gesundheit“ herausgegeben. sie erschien monatlich bis in das Jahr 1902. Marsberg war damit ein wichtiger impulsgeber für das, was wir heute Öffentlichkeitsarbeit nennen wür- den. denn diese sogenannte Volksschrift wandte sich nicht nur an Fachpublikum, sondern an alle interessierten bürgerinnen und bürger mit dem ziel, über psychische krankheit zu informieren und die Fürsorge für psychisch kranke Menschen zu verbessern.

16 hausordnung Von 1863

im Jahr 1863 wurde vom damaligen anstaltsdirektor, dr. Friedrich koster, eine hausordnung für die Provinzial-irren- anstalt zu Marsberg erlassen. neben allgemeinen bestim- mungen zum zusammenleben in der anstalt regelte die hausordnung die „allgemeine zeiteinteilung des tages“, „reinigung“, „Feuerung“ sowie „erholungen, erheiterun- gen, Festlichkeiten“.

besonders interessant sind die regelungen zur „erholung“ und den „Festlichkeiten“: so sollten beispielsweise die männlichen kranken, die aufgrund ihres zustands nicht arbeitsfähig waren, morgens und nachmittags an jeweils zweistündigen spaziergängen teilnehmen; an den tagen, an denen das Wetter nicht mitspielte, stand den „geeigneten kranken (…) das billard zur disposition“ (§26). damit der alltag nicht zu eintönig wurde, fand im sommer mindestens zweimal eine Landparthie, also ein ausflug in die umgebung, statt, an der „geeignete kranke beider geschlechter“ teilnahmen (§31). an Feiertagen, z.b. auch am „königs geburtstage“, fanden nachmittags kaffeegesellschaften statt, und am Weih- nachtsabend fand eine „Fest-bescheerung statt, wobei jeder kranke ohne ausnahme in geeigneter Weise mehr oder weniger bedacht werden“ sollte (§33).

Schützenfest damals Schützenfest heute

auch zum schützenfest lässt sich in der hausordnung von 1863 etwas finden; so heißt es dort im §32: „am tage des hiesigen städtischen schützenfestes findet in den anla- gen der anstalt ein ähnliches Volksfest statt“. dieser Paragraph ist heute immer noch gültig! diese tradition ist bis heute nicht unterbrochen worden; in diesem Jahr wurde sogar ein besonderes Jubiläumsschützenfest einschließlich kaiserschießen veranstaltet. in recht enger zeitlicher Folge eröffneten in Marsberg erfolgte 1872 die einweihung Münster, eickelborn, dortmund-aplerbeck der neuen anstaltskirche, nachdem es bereits und Warstein.2 zu den genannten staatlichen seit 1843 einen anstaltseigenen seelsorger anstalten kamen zahlreiche kleinere private gab. somit war das alte klostergebäude nun anstalten, die am ende des 19. Jahrhunderts vollständig abgetragen und überbaut worden. knapp ein drittel der westfälischen Patienten versorgten.

2 die eröffnung von gütersloh 1919 scheint auf den ersten blick nicht in diese reihe zu passen, doch der 1. Weltkrieg verzögerte den bau, die Planung fiel auch in die orkriegszeit.V 17 tienten zusammen behandelt wurden. 1903 wurden vor allem kriminelle, psychisch kran- ke Männer, aber auch vereinzelt unruhige kranke nach eickelborn in das Bewahrhaus verlegt.

zwischenzeitlich war 1881 in Marsberg an anderer stelle die sogenannte Idiotenanstalt (die heutige kinder- und Jugendpsychiatrie) des st.-Johannes-Vereins eröffnet worden.3

Laut den aufnahmebedingungen (§1) war die „idiotenanstalt zur aufnahme der bil- dungsfähigen sowie der hülfs- und aufsichts- losen blödsinnig geborenen resp. in den kinderjahren geistig erkrankten … im alter von 5 bis 15 Jahren aus der Provinz Westfa- len bestimmt“. dabei ging es nicht um eine reine Verwahrung, sondern die einrichtung bezweckte, „die ihr anvertrauten kinder zu möglichst brauchbaren, wenigstens men- schenwürdigen Mitgliedern der menschlichen gesellschaft zu erziehen resp. zu pflegen“.

Neubau der Kirche 1872 in den folgenden Jahren standen der innere ausbau und die Fertigstellung der gebäude sowie die ergänzung der bis dahin üblichen therapeutischen hilfsmittel im Mittelpunkt. Weitgehend individuelle arbeitstherapie, aufnahme bewährter beruhigungsmittel in den heilplan und die einrichtung passender Volksfeste zur ablenkung vom anstaltsalltag standen im Vordergrund der zwanglosen be- handlungsmethoden.

zu dieser zeit, dem ausgehenden 19. Jahr- hundert, vollzogen sich auch vielerlei tech- nische neuerungen, die das Leben von Pati- enten und angestellten erleichterten. dazu Erstes Gebäude der sogenannten Idiotenanstalt zählt, dass die bisherige Wasserversorgung mittels brunnen 1890/91 durch anschluss an insgesamt änderten sich die therapiekon- die Wasserleitung der stadt niedermarsberg zepte am ende des 19. Jahrhunderts. die Psy- ersetzt wurde. gleichzeitig wurden blitzablei- chiatrie versuchte eine annäherung an die ter an den anstaltsgebäuden installiert. 1892 hospitäler beziehungsweise andere heilstät- konnte ein erweiterungsbau mit 2 Wachab- ten. zeitgleich erfolgte die gesonderte un- teilungen in betrieb genommen werden. da terbringung vermeintlich gemeingefährlicher der neubau der Tobabteilung nötig wurde, Geisteskranker, die bis dahin mit anderen Pa- kaufte man 3 angrenzende grundstücke.

3 zum 125-jährigen Jubiläum erschien 2006 eine umfangreiche Chronik: 125 Jahre St. Johannes-Stift 1881 – 2006.

18 Lageplan des gesamten Anstaltskomplexes aus dem Jahr 1912

1894 feierte man die Einweihung des Männer- bestehen. Gerade bei den Frauen bestand Isoliergebäudes für 84 Kranke. Das Gebäude um die Jahrhundertwende eine solche Über- war hufeisenförmig, zweistöckig, hatte 4 belegung, dass Neuanträge gar nicht mehr Abteilungen und eine Warmluftheizung. Das berücksichtigt werden konnten. 1902 wur- alte Gebäude wurde zu Werkstätten und de eine neue Frauen-Wachabteilung in Be- Kesselhaus umgebaut. Außerdem verfügte trieb genommen. Im gleichen Jahr erfolgte man nun über einen Gutshof mit Stallungen. eine Umbenennung in Provinzial-Heilanstalt 1895 folgte ein neues Leichenhaus mit Sekti- Marsberg. onsabteilung. 1908 konnte ein neuerlicher Fortschritt im 1894/95 wurden die Aborte (Toiletten), wel- Bereich der Hygiene verzeichnet werden. In che traditionell in Form von Senkgruben an- sämtlichen Gebäuden wurden nun Toiletten- gelegt waren, nun nach dem Tonnensystem spülungen eingerichtet. Außerdem erhielten umgebaut und verfügten über Heizkörper fast alle Anstaltsteile Anschluss an die Zent- und Abluftschacht. 1897 wurden eine Nie- ralheizung. derdruck-Dampfheizung im Hauptgebäude zur Erwärmung der Flure sowie 2 Warmwas- 1912 erfolgte der vorerst letzte Bau: Eine serbereiter in Betrieb genommen und der neue Männer-Wachabteilung wurde errichtet. maschinelle Betrieb in der Waschküche für Dann zog der Erste Weltkrieg herauf. Dr. Trommel, Zentrifuge und Spülung eingeführt. Ferdinand Schulte, seit April 1912 Direktor, 1900 erfolgte die Umstellung der Beleuch- schrieb anlässlich des hundertjährigen Beste- tung von Petroleum zu elektrischem Licht. hens noch folgende warm anmutende Wor- Doch das Problem der Überbelegung blieb te: „[D]ie Anstalt mit ihren schönen Anlagen

19 Dr. Schulte mit Familie

und gärten [liegt] vor uns als ein anheimeln- neuen bauten völlig rechnung tragend, steht des und mächtiges Wahrzeichen fortschrei- die Jubilarin jugendfrisch vor uns, bereit und tender humanität und sozialer Fürsorge, dem erfüllt von dem streben, auch im kommen- kundigen schon durch ihr Äußeres die Fort- den Jahrhundert Frieden und heilung denen schritte zeigend, welche die Psychiatrie im zu gewähren, die sich ihrem schutze anver- Laufe der Jahrzehnte gemacht hat. Moder- trauen“. nisiert in ihren älteren teilen, den heutigen wissenschaftlichen anschauungen in ihren es sollte ganz anders kommen…

20 erster WeLtkrieg – rationiertes Leben hinter anstaLtsMauern

am 28. Juni 1914 begann die „urkatastrophe dass der krieg alle wirtschaftlichen und ge- des 20. Jahrhunderts“: der erste Weltkrieg. sellschaftlichen kräfte band, bekamen ins- besondere auch die Patienten der heil- und Mit ihm kamen gesellschaftliche und soziale Pflegeanstalten zu spüren, was die sterbe- Folgen, die für die anstaltspatienten lebens- raten deutlich zeigen. Während in Marsberg bedrohend werden sollten. Während auf im Jahr 1914 5,3% der Patienten verstar- den schlachtfeldern europas der technische ben, stieg der Prozentsatz 1916 bereits auf Fortschritt zu Materialschlachten und jahre- 10,8% und erreichte 1917 den höchstsatz langen grabenkämpfen führte, die Millionen von 21,4%. 1918 verstarben noch 16,4% von soldaten das Leben kosteten, hungerte der Patienten in Marsberg infolge der Man- die deutsche bevölkerung im sogenannten gelernährung und unterversorgung.5 erst um steckrüben- bzw. kohlrübenwinter 1916/17. 1921 sank die sterblichkeit wieder auf Vor- insgesamt starben in deutschland von 1914 kriegsniveau. bis 1918 etwa 800.000 Menschen an den Folgen der unterernährung.4

notgeLd

bereits kurz nach ausbruch des ersten Welt- krieges herrschte ein zum teil erheblicher zahlungsmittelmangel, da rohstoffe, wie zum beispiel kupfer, Messing oder nickel, die zur herstellung von Münzen erforderlich waren, in der kriegsproduktion dringender benötigt wurden. städten und gemein- den, teilweise aber auch Firmen oder Ver- einen, wurde daher die erlaubnis erteilt, eigene zahlungsmittel als sogenanntes „ersatz-“ oder „notgeld“ auszugeben. auch die stadt niedermarsberg erhielt eine solche erlaubnis und ließ bei der Firma schulte diverse notgeldscheine in verschiedenen Werten drucken.

bemerkenswert ist insbesondere der 75-Pfennig-schein, der auf der rückseite neben der angabe zum geldwert eine zeichnung der damaligen Marsberger heilanstalt aufweist. darüber hinaus lässt sich folgender reim auf dem schein finden:„Bei uns sperrt man die Irren ein, das ist fürwahr ein Segen, an andern Orten laufen sie herum auf allen Wegen“.

dies mag aus heutiger sicht skurril erscheinen, zeigt jedoch deutlich die Verbindung der damaligen „heilanstalt“ zum alltag der Marsberger bevölkerung.

4 Corni, gustavo: hunger. in: gerhard hirschfeld, gerd krumeich und irina renz (hrsg.): enzyklopädie erster Weltkrieg. schöningh (utb), Paderborn 2009, s. 565. 5 alle zahlen nach: Walter, bernd, Psychiatrie und gesellschaft in der Moderne. geisterkrankenfürsorge in der Provinz Westfalen zwi- schen kaiserreich und ns-regime, Paderborn 1996, s. 805f. 21 ursächlich für das „hungersterben“ war, perschwächung. Fehlende beheizung der dass aus kriegswirtschaftlichen gründen die anstaltsräume, da auch die kohle rationiert grundnahrungsmittel eingeteilt und begrenzt war, oder mangelnde hygiene begünstigten wurden. eine einfache ration, die „hunger- die ausbreitung von krankheiten zusätzlich. ration“, bestand hauptsächlich aus schwer verdaulicher und zunehmend fleischloser ein weiterer aspekt war, dass mehr als die nahrung und bot gerade einmal 1344 ka- hälfte der Ärzte sowie Pfleger und Pflegerin- lorien, also nur die hälfte des nährstoffbe- nen zum kriegsdienst eingezogen wurden. darfs.6 den restbedarf sollten die Menschen die verbliebenen Ärzte konnten die Folgen mit selbst angebauten oder zusätzlich ge- der Mangelernährung nur notdürftig behan- kauften Lebensmitteln decken. Für die an- deln. den Mangel an Pflegekräften versuchte staltspatienten bedeutete dies, dass sie auf man durch anstellung von hilfskräften aus- die anstaltsleitung angewiesen waren, da zugleichen. außerdem sollten Pflegerinnen ihnen eine eigenständige ergänzung unmög- nun auch männliche Patienten pflegen. aber lich war. die anstalten bauten daher soweit auch diese Maßnahmen halfen nur begrenzt, möglich landwirtschaftliche Produkte an. da die not zu lindern. dies jedoch auch nicht ausreichend war, um den bedarf vollwertig zu decken, wurden die den heil- und Pflegeanstalten war im ersten Patienten zunehmend in ihrer Widerstands- Weltkrieg weitgehend die personelle und kraft geschwächt. so handelte es sich bei materielle basis entzogen worden. die direk- den meisten todesfällen nicht um ein direk- te Folge war das „hungersterben“ hinter den tes Verhungern, sondern eine Folge der kör- anstaltsmauern.

Hauptgebäude um 1910

6 Walter, s. 158f.

22 ERSTER WELTKRIEG: PATIENTENSCHICKSAL

W.K., der 1887 zur Welt kam, zeigte schon im Kindes- und Jugendalter wiederholt Auffälligkeiten. Zuhause stieß seine „Andersartigkeit“ immer wieder auf Ablehnung, weshalb es häufig zuS treitigkeiten und Auseinandersetzungen mit seinem Vater kam.

Im Jahr 1916 wurde W.K. zum Militär einberufen. Bereits nach nur wenigen Monaten im Dienst klagte ihn das Kriegsgericht wegen mehrfacher Befehlsverweigerung an. Da er sich jedoch im Vorfeld der Gerichtsverhandlung verhaltensauffällig zeigte, erließ das Gericht die Anordnung zu klären, ob W.K. zur Zeit seiner Taten „geistig gesund“ gewe- sen sei.

Das Gericht beauftragte den damaligen Ärztlichen Direktor der Marsberger Klinik, Dr. Köster, W.K. auf seine Zurechnungsfähigkeit zu untersuchen. Nach umfangreichen Un- tersuchungen schloss Köster bei ihm auf „Jugendirrsein“ (heute: Schizophrenie).

Köster attestierte W.K. eine so „schwere Geisteskrankheit“, dass er zur Tatzeit unter kei- nen Umständen willensbestimmt gewesen sein konnte. Aufgrund des Attestes wurde das Verfahren vor dem Kriegsgericht eingestellt und W.K. aus dem Militärdienst entlas- sen. Für ihn bedeutete dies aber einen dauerhaften stationären Aufenthalt in Marsberg. Dieser endete bereits 18 Monate nach seiner Einweisung: Er verstarb im Frühjahr 1918 an einer Lungenentzündung.

Seine Geschichte ist bezeichnend dafür, wie die Rationalisierung von Ernährung und Pflege in den Anstalten zu Kriegszeiten einen Menschen in kurzer Zeit lebensbedrohlich schwächte. Bei seiner Aufnahme im August 1916 war W.K. 29 Jahre alt, von „starker Statur“ und in körperlich guter Verfassung. Doch die katastrophalen Lebensbedingun- gen in der Klinik führten bei ihm – ebenso wie bei sehr vielen anderen Patienten – zu ei- ner Schwächung und begünstigten mitunter lebensbedrohliche Erkrankungen wie z.B. Lungenentzündungen.

23 Eugenik – Neue Theorien werfen ihre Schatten voraus

Bereits 1859 war das Buch „Die Entstehung rung der „natürlichen Auslese“. Sie gingen der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder von einer Überlegenheit einer „nordischen die begünstigten Rassen im Kampf um das Rasse“ („Arier“) gegenüber anderen, „min- Dasein“ des Naturforschers Charles Darwin derwertigen Rassen“ aus. Diese angebliche erschienen. Darin entwickelte Darwin die Überlegenheit sei mit den Mitteln der Ras- Theorie, dass sich in der Tier- und Pflanzen- senhygiene zu schützen und zu entwickeln: welt der besser Angepasste in der Ressour- Die Träger guten „Erbguts“ seien durch eine cenkonkurrenz gegen den weniger gut An- umfassende Sozialpolitik zu privilegieren ge- gepassten durchsetze, was eine „natürliche genüber den Trägern schädlichen „Erbguts“, Selektion“ zur Folge habe, das „Überleben denen Abtreibung und Sterilisation, kurz des Stärkeren“. „Ausmerze“, zugedacht war.

Aufbauend auf die Theorie Darwins entwi- Die Vertreter dieses Konzepts bereiteten den ckelte sich der Sozialdarwinismus. Sozial- Weg für die spätere nationalsozialistische ras- darwinisten gingen davon aus, dass unter senhygienisch fundierte Vernichtungspolitik. menschlichen Individuen ebenso ein natürli- cher Konkurrenzkampf herrsche. Die schwa- 1920 war das Buch „Die Freigabe der Ver- chen Individuen galten nach dieser Theorie nichtung lebensunwerten Lebens: Ihr Maß als schädlich für das Allgemeinwohl der „Völ- und ihre Form“ erschienen. Die Autoren Karl ker“ oder „Rassen“. Bindung, ein Jurist, und Alfred Hoche, ein Psy- chiater, forderten dazu auf, die Gesellschaft Der Anthropologe Francis Galton war es, der von „Ballastexistenzen“ und „leeren Men- 1869 in seinem Buch „Genie und Geist“ den schenhülsen“, die den Staat nur Geld kosten Begriff Eugenik (von altgriechisch eu ‚gut‘ würden, zu befreien. Erstmalig proklamierten und genos ‚Geschlecht‘) prägte. Er ging von damit anerkannte Wissenschaftler, den volks- einer Vererbbarkeit der menschlichen Eigen- wirtschaftlichen Nutzen eines Menschen mit schaften aus. Er forderte, der Staat solle die seinem Recht auf Leben aufzurechnen. „Voll- Fortpflanzung „hervorragender Individuen“ idioten“, die den Staat belasten würden, gal- fördern und die der „minderwertigen“ unter- ten als nutzlos und damit als „lebensunwert“. binden. Durch die gezielte Weitergabe bzw. Unterbindung von Erbgut könnten „Volk“ In der Weimarer Republik war die Ansicht und „Rasse“ erbbiologisch optimiert werden. verbreitet, der Wert eines Menschen für die Gesellschaft bestehe in seiner Arbeitskraft. Diese Ideen waren Ende des 19. Jahrhunderts Oberste Priorität musste also sein, Arbeits- weltweit verbreitet und durchaus populär. In unfähigkeit zu verhindern beziehungswei- vielen Ländern wurden daher Zwangssterili- se Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Dies sationen vorgenommen. Im deutschen Raum konnte auf 2 Arten umgesetzt werden: jedoch zunächst noch nicht. Dort etablier- 1. durch Besserung und Heilung und Rehabi- te sich die Eugenik seit dem ausgehenden litation des Erkrankten und 2. durch Vermei- 19. Jahrhundert als Rassenhygiene. Die Ras- dung der Verbreitung von (nach damaligen senhygieniker sahen in der modernen Medi- Kenntnisstand) Erbkrankheiten durch eugeni- zin und in der Sozialfürsorge eine Behinde- sche Maßnahmen.

24 zWangssteriLisation iM nationaLsoziaLisMus

die idee, sogenannte „Erbkranke“ müssten rung die sogenannten asozialen, die sinti und an der Fortpflanzung gehindert werden, da roma, politische gegner, homosexuelle und sie dem staat und somit jedem einzelnen Menschen mit geistiger und körperlicher be- bürger geld kosten würden, war anfang der hinderung oder psychischer erkrankung. be- 30er-Jahre in der gesellschaft weit verbrei- reits im Juli 1933 erließen die nationalsozia- tet und akzeptiert. allerding beruhten die listen das „gesetz zur Verhütung erbkranken eugenischen Maßnahmen, die bis 1933 auf nachwuchses“, das zum 1. Januar 1934 in deutschem gebiet angewandt wurden, auf kraft trat. dieses gesetz ermöglichte die steri- Freiwilligkeit. lisation von Menschen mit – nach damaligem kenntnisstand geltenden – erbkrankheiten die Machtübernahme der nationalsozialis- auch gegen ihren Willen. als „erbkrank“ galt, ten änderte dies schlagartig. ausgehend von wer an einer der folgenden „krankheiten“ der nationalsozialistischen rassenideologie, litt: „angeborener schwachsinn“, schizo- wonach es verschiedene rassen gebe, die phrenie, „zirkulärem (manisch-depressivem) miteinander im „Lebenskampf“ stünden, irresein“ (heute bipolare störung), „erbli- wurde versucht, die eigene, als überlegen cher Fallsucht“ (heute epilepsie), „erblicher ausgemachte „arische rasse“ zu stärken. die Veitstanz“ (heute Chorea huntington), erbli- als „rassenschädlinge“ geltenden gruppen cher blindheit oder taubheit sowie schwerer sollten aus der gesellschaft entfernt werden. körperlicher Missbildung. dazu zählten neben der jüdischen bevölke-

Verwaltungsgebäude um 1935

25 Die Direktoren, Ärzte, Schwestern und Pfle- Auch die Bedingungen innerhalb der Anstal- ger der Heil- und Pflegeanstalten waren ten verschärften die Nationalsozialisten. Trotz verpflichtet, Patienten mit den genannten weiterhin steigender Patientenzahlen wurde Erbkrankheiten anzuzeigen. Die national- der Etat, der dem Provinzialverband zur Ver- sozialistische Gesundheitspolitik zur biolo- fügung stand, eingefroren. Überdies wurde gisch-rassischen „Reinigung“ des „Volkskör- strenger zwischen „heilbaren“ Patienten, pers“ traf dabei kaum auf Widerspruch. Das denen die besten Therapien bereitgestellt Gesetz wurde in den nächsten Jahren noch wurden, damit sie möglichst schnell wieder ausgedehnt und verschärft. dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, und den „unproduktiven“, dauerhaft Kran- Über die Anträge auf Unfruchtbarmachung ken unterschieden. Letztgenannte erhielten wurde an den in den Städten und Kreisen einfachste Versorgung und sollten durch Ar- neu eingerichteten Erbgesundheitsgerichten beit in der Anstalt der „Volksgemeinschaft“ entschieden. Besonders Patienten, die vor Kosten zurückzahlen. Noch dramatischer einer Entlassung standen, denen ein Urlaub entwickelte sich die Situation jedoch für die gewährt oder die in die Familienpflege über- arbeitsunfähigen Patienten, die nach gel- geben werden sollten, mussten sich einer tendem Gesetz zwar noch versorgt werden Sterilisation unterziehen, wenn sie als „erb- mussten, über deren weiteres Schicksal aber krank“ und „fortpflanzungsgefährlich“ gal- bereits beraten wurde. ten.

Insgesamt wurden an den 9 westfälischen Erbgesundheitsgerichten zwischen 1934 und 1944 rund 31.000 Personen zur Sterilisation verurteilt. Über 300 von ihnen waren Patien- ten der Provinzialheilanstalt Marsberg.7

Die Betroffenen hatten vor den Erbgesund- heitsgerichten kaum die Möglichkeit der Ver- teidigung. Die Beweislast wurde umgekehrt: Der Angeklagte musste beweisen, dass er nicht erbkrank war. Gleichzeitig galt, dass im Zweifelsfall für eine Sterilisation zu ent- scheiden sei. Im Laufe der Verfahren wurden „Erbkarteien“ angelegt, die umfangreiche Informationen zu den Patienten, aber auch deren Familien, beispielsweise Stammbäu- me, enthielten. So wurden zum Teil Verfah- ren gegen ganze Familien, die sogenannten „Sippen“, eröffnet. Zu den Personen, die sich sterilisieren lassen mussten, zählten vorran- gig „Ballastexistenzen“, die teilweise nicht arbeiteten oder straffällig geworden waren, aber – im Gegensatz zu dauerhaft pflegebe- dürftigen Anstaltspatienten – noch die Mög- lichkeit zur Fortpflanzung hatten.

7 Walter, Tabelle A59, S. 877.

26 „Euthanasie“ – Mord an psychisch kranken und geistig behinderten Menschen

Ihre Ansichten über die angeblichen Ballast- „Kindereuthanasie“ existenzen haben die Nationalsozialisten nie verborgen. Adolf Hitler hatte bereits 1935 auf Der „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen dem Reichsparteitag seine Absicht angekün- Erfassung von erb- und anlagebedingten digt, die „unheilbar Geisteskranken zu be- schweren Leiden“ erfasste geistig und kör- seitigen“. In den folgenden Jahren versuchte perlich behinderte Säuglinge und Kleinkinder das Regime, dies mittels Propaganda auch und teilte sie den „Kinderfachabteilungen“ der Gesellschaft verständlich zu machen. im Reich zu. Nach einer Beobachtungszeit von 3 bis 4 Monaten wurden die Kinder Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden durch Medikamente getötet, wenn sich kei- die Sterilisationen auf Ausnahmefälle be- ne gesundheitliche Verbesserung einstellte. schränkt. Das medizinische Personal wurde In Westfalen ermordeten die Nationalsozialis- nun an anderer Stelle gebraucht. Es begann ten die Kinder zunächst im St. Johannes-Stift der planmäßige Mord an psychisch kranken in Marsberg. Dort war Ende 1940 eine ge- und geistig behinderten Menschen, der mit sonderte „Kinderfachabteilung“ eingerich- dem Begriff Euthanasie (dt. „guter, leichter tet worden. Obwohl die Aktion strengster Tod“) bewusst euphemistisch beschrieben Geheimhaltung unterlag und die Eltern im und somit verharmlost wurde. Unklaren gelassen wurden, kamen Gerüchte über die Ermordung der Kinder bald an die Es wurde jedoch nie ein Gesetz erlassen, das Öffentlichkeit und sorgten in der Marsber- die Morde als Sterbehilfe legalisiert hätte. ger Bevölkerung für Unruhe. Deshalb wur- Das sogenannte Ermächtigungsschreiben de Ende 1941 die „Kinderfachabteilung“ Hitlers, das auf den 1. September 1939, den von Marsberg an die Provinzialanstalt Dort- Beginn des Zweiten Weltkrieges, zurückda- mund-Aplerbeck verlegt, wo die Morde bes- tiert wurde, ist das einzige uns überlieferte ser getarnt werden konnten. Dokument, das Auskunft über den Beginn der Krankenmorde gibt. Darin wurden Hitlers Während in Marsberg mindestens 50 Kinder Leibarzt Dr. Brandt und Reichsleiter Bouhler getötet wurden, waren es in Dortmund-Ap- ermächtigt, „nach menschlichem Ermessen lerbeck mehr als 160.8 unheilbar Kranken bei kritischster Beurtei- lung ihres Krankheitszustandes de[n] Gna- dentod“ zu gewähren. Das Schreiben sollte Spezieller Umgang mit den Anschein einer rechtlichen Legitimation jüdischen Patienten erwecken. Die jüdischen Patienten wurden bereits 1938 Die „Euthanasie“-Morde wurden in verschie- von den arischen Patienten getrennt. Im denen Phasen und Aktionen durchgeführt. Sommer 1940 wurden 59 jüdische Patien- ten, davon 2 Frauen und 4 Männer aus der Provinzialheilanstalt Marsberg, aufgrund ih- rer Religion aus den westfälischen Anstalten

8 Walter, S. 701f.

27 mit 2 sammeltransporten nach Wunstorf und gießen verlegt.9 Von dort wurden sie dann in die tötungsanstalt brandenburg an der havel transportiert und in der gaskammer ermordet.

„aktion t4“

Parallel begann die planmäßige ermordung der erwachsenen Psychiatriepatienten. Von der zentrale in der tiergartenstraße 4 in berlin aus wurde alles koordiniert. daher stammt die bezeichnung „aktion t4“. ab Juni 1940 wurden die Patienten der westfäli- schen heil- und Pflegeanstalten systematisch mittels Meldebögen, welche die anstalten erhielten und die von den Ärzten auszufüllen waren, erfasst. abgefragt wurden unter an- derem krankheitsgeschichte, aufenthaltszeit und arbeitsfähigkeit. Karte der Euthanasie-Transporte aus dem Buch: Bernd Walter „Psychiatrie und Gesellschaft in der Moderne“ die ausgefüllten Meldebögen wurden an- schließend in berlin begutachtet. die gut- nach deren Verlegung nicht mehr besuchen achter entschieden vor allem anhand der konnten und schließlich über deren plötzli- heilungsaussicht und arbeitsfähigkeit über chen tod informiert wurden. das weitere schicksal der Patienten. Men- schen, die für nicht länger „lebenswert“ Öffentlicher Protest wurde auch von befunden wurden, bekamen ein rotes Plus einzelnen Mitgliedern der kirchen laut. am auf den Meldebogen, womit sie quasi zum bekanntesten ist die Predigt des Münsteraner tode verurteilt waren. transportlisten, auf bischof Clemens august graf von galen denen die zur tötung bestimmten Patienten vom 3. august 1941. in der Forschung namentlich aufgelistet waren, gingen zurück besteht inzwischen einigkeit darüber, dass an die jeweilige anstalt. zwischen Juni und die unruhe in der bevölkerung sowie die august 1941 wurden aus den westfälischen öffentlichen Proteste von kirchenvertretern heil- und Pflegeanstalten fast 2.900 Patien- dazu beigetragen haben, dass hitler am ten in verschiedene hessische zwischenan- 24. august 1941 die Fortführung der stalten, die ringförmig um die tötungsanstalt krankenmorde für beendet erklärte. hadamar lagen, verlegt. Von dort wurden 1.334 Patienten, davon 213 aus Marsberg, allerdings gibt es noch einen anderen, wohl innerhalb weniger Wochen in die tötungs- entscheidenderen aspekt, der dazu führte anstalt hadamar gebracht und dort am sel- und mehr mit einer Verschiebung der na- ben tage ermordet.10 insgesamt wurden über tionalsozialistischen ziele zusammenhing: 70 000 Patienten im gesamten deutschen der „euthanasie“-stopp fällt zeitlich mit der reich vergast.11 „endlösung der Judenfrage“ zusammen, gemäß der die europäischen Juden ermor- obwohl auch diese aktion streng geheim war det werden sollten. zahlreiche an der „ak- und die sterbeurkunden gefälscht waren, tion-t4“ beteiligte Personen übernahmen begannen vor allem angehörige Verdacht Posten in Vernichtungslagern wie treblinka, zu schöpfen, nachdem sie ihre Verwandten sobibór und auschwitz-birkenau. 09 Walter, s. 708f. 10 Walter, tabelle a101, s. 922. 28 11 Walter, tabelle a98, s. 919. „AKTION T4“: PATIENTENSCHICKSAL

A.F. wurde in den 1920er Jahren als junger Mann nach einem missglückten Selbsttö- tungsversuch und aggressivem Verhalten in die Marsberger Anstalt eingewiesen. Sei- nen psychischen Zustand beschrieben die Ärzte als ängstlich, weinerlich und von einem großen Todeswunsch bestimmt, da er meinte, es gebe keine Gerechtigkeit. Er gab an, misshandelt worden zu sein. Dies deuteten die Ärzte jedoch als Wahnvorstellung. Sie entschieden, A.F. sei wegen Geisteskrankheit anstaltspflegebedürftig.

In den nächsten Jahren wurden immer wieder Eintragungen in seine Patientenakte vor- genommen. So sei er verwirrt gewesen, habe unverständliche Antworten gegeben, und es wurden ihm Schlafmittel verabreicht. In einem späteren Akteneintrag bescheinigte man ihm, dass es bei der Arbeit im Gartentrupp besser klappe; jedoch müsse er zwi- schendurch zur Arbeit angehalten werden und sei weiterhin ein „traumhaftes Wesen und zum Teil orientierungslos“.

In den folgenden Jahren änderte sich der Ton der Eintragungen zunächst nicht. Im Jahr 1940 jedoch erfolgte ein Eintrag, der sein weiteres Schicksal bestimmen sollte: A.F. sei „völlig stumpf und teilnahmslos. Greift hin und wieder plötzlich an und schlägt dann brutal zu. Hält sich unordentlich und unsauber. Gänzlich verblödet.“ Zusätzlich zu diesen abwertenden Worten war der Text unterstrichen. Dieser Eintrag war im Meldebogenver- fahren ausschlaggebend dafür, dass A.F. von den Nationalsozialisten für lebensunwert befunden wurde. Im Sommer 1941 wurde er in die Zwischenanstalt Weilmünster ver- legt. Von dort ging es in die Tötungsanstalt Hadamar, wo er durch Gas ermordet wurde.

Dezentrale Phase Patienten, davon 817 aus Marsberg, wurden in großen Sammeltransporten unter katastro- Auch nach dem offiziellenS topp der „Akti- phalen Bedingungen in Anstalten nach Hes- on T4“ waren die Psychiatriepatienten kei- sen, Süd-, Mittel- und Ostdeutschland, Öster- nesfalls sicher. Ein großer Teil der noch in reich sowie Polen gebracht. hessischen Anstalten befindlichen Patien- ten wurde durch gezielt überdosierte Medi­ Zu den bereits genannten Todesursachen ka- kamentengaben getötet oder starb an den men nun noch die teilweise extreme Über- Folgen massiver Unterernährung und Unter- belegung der (Verlege-)Anstalten und die kühlung. zunehmende Verwahrlosung. Die Ernährung und Versorgung wurde bis unter das Exis- Auch in den westfälischen Heil- und Pfle- tenzminimum abgesenkt. Eine medizinische geanstalten hatten sich die Verhältnisse Betreuung und Pflege fand kaum noch statt. hinsichtlich Versorgung und Betreuung der Am Ende des Zweiten Weltkriegs lebten von verbliebenen Patienten seit 1939 – ähnlich den insgesamt 817 verlegten Patienten aus wie im Ersten Weltkrieg – zunehmend Marsberg noch 27. Bei 146 weiteren ist de- verschlechtert. Der seit 1942 über Deutsch- ren Schicksal unbekannt.12 land tobende Luftkrieg führte zu Planungen, Ausweichkrankenhäuser in entlegenen Gebieten für städtische Krankenhäuser zu schaffen. Dafür mussten die Psychiatrie- patienten Platz machen. 2.800 westfälische 12 Walter, Tabelle A101, S. 922.

29 Nachkriegszeit

Auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges Verwaltungsbedienstete wurde nicht zur Re- blieben die katastrophalen und menschenun- chenschaft gezogen. Im Gegenteil: Viele der würdigen Lebensbedingungen in Marsberg Beteiligten wurden lediglich an Stellen ver- ebenso wie in anderen Heil- und Pflegean- setzt, wo sie und ihre Taten nicht bekannt stalten zunächst bestehen. waren, oder gar befördert. Gerade im Bereich der Anstaltspsychiatrie finden sich personelle Zwar endeten die Zwangssterilisationen und Kontinuitäten, die als skandalös zu bezeich- Morde, doch auch nach Kriegsende starben nen sind. noch Patienten an den Folgen von jahrelan- gem Hungerleiden und unterlassener Ver- Ebenso unverständlich erscheint es, dass die sorgung. Kaum ein Patient war nicht unter- Opfer der nationalsozialistischen Psychiatrie- ernährt. Diese ohnehin lebensbedrohliche verbrechen in der Regel gesetzlich nicht als Schwächung der Patienten wurde durch solche anerkannt und entsprechend nicht den generellen Mangel an Nahrungsmitteln, entschädigt wurden. Die Gutachter, die nach Brennstoffen und sonstigen Versorgungs- dem Krieg über Wiedergutmachungsanträge gütern in den ersten Nachkriegsjahren ver- entschieden, waren nicht selten während des schärft. Bis 1949 starben deshalb weitere Nationalsozialismus als Gutachter über Steri- Patienten infolge der Unterversorgung, ka- lisationsanträge tätig gewesen. tastrophaler Hygiene und Krankheiten. Der generelle Mangel an Nahrungsmitteln und In den 1950er-Jahren kam es schließlich zu Versorgungsgütern in der Nachkriegszeit traf ersten Bemühungen, die Lebensverhältnisse die Psychiatriepatienten – ähnlich wie im Ers- in den psychiatrischen Einrichtungen zu ver- ten Weltkrieg – im Vergleich zur Gesamtge- bessern. Neben der Wiederherstellung der sellschaft besonders schwer. Gebäude und der Versorgungsstrukturen wurden beispielsweise die alten Bettensäle Der Wiederaufbau der beschädigten Ge- verkleinert und die vorher darin befindlichen bäude und die Wiederherstellung der Ver- offenen Toiletten räumlich abgetrennt. sorgungsstrukturen verliefen in der „Trüm- Die Patienten erhielten erstmals Raum für merzeit“ äußerst langsam. Eine dauerhafte Privatsphäre, denn sie durften eigene Nacht- Überbelegung der noch nutzbaren Gebäude schränkchen belegen. Für erbrachte Arbei- war die Folge. Gleichzeitig war aufgrund von ten wurden sie nun, wenn auch geringfügig, Personalknappheit kaum eine gezielte Be- entlohnt. Die Professionalisierung der Pfle- handlung möglich. gekräfte seit 1957, die den Personalmangel ausgleichen sollte, brachte ebenso eine Ver- Die bundesrepublikanische Psychiatrie stand besserung der Zustände wie die ersten spezi- jedoch nicht nur vor den materiellen Trüm- alisierten Abteilungen. mern der nationalsozialistischen Herrschaft. Auch der Vertrauensverlust der Bevölkerung Zudem ermöglichte die Einführung bezie- wog schwer. Doch statt sich der Verantwor- hungsweise die Verbesserung von Psycho- tung für die Verbrechen zu stellen, herrschte therapie und Psychopharmaka erste Ansätze zunächst in weiten Teilen Verdrängung. Die neuer, heilender Behandlungsmethoden an- Mehrzahl der an den nationalsozialistischen stelle der zuvor üblichen Elektroschocks und Verbrechen beteiligten Ärzte, Pfleger und der Ruhigstellung durch Fixierung. 30 Jugendliche vor dem St. Johannes-Stift Marsberg St. Johannes-Stift Marsberg um 1950 Unterricht um 1950

die ersten Modernisierungen dürfen nicht MisshandLungen in der kinder- und darüber hinwegtäuschen, dass anstalts- JugendPsyChiatrie in den 1950er-, patienten um 1960 weiterhin mehr verwahrt 1960er- und 1970er-Jahren als behandelt wurden und weiterhin abseits der gesellschaft standen. die situation ehemaliger Patienten der heu- tigen LWL-klinik für kinder- und Jugendpsy- seit 1953 gehört die klinik Marsberg ebenso chiatrie Marsberg war im März 2013 ge- wie die anderen ehemaligen anstalten des genstand von 2 Wdr-Fernsehberichten, in Provinzialverbandes zum damals gebildeten denen betroffene z.t. massive Missbrauchser- Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) fahrungen im damaligen st. Johannes-stift als öffentlich-rechtliche körperschaft mit sitz Marsberg in den 1950er- bis 1970er-Jahren in Münster. schildern. neben häufigem und zu langem Fixieren, schlägen, eisbädern und kalten du- neben den bereits genannten Problemen, die schen wurde auch von sexuellen Übergriffen mit dem Wiederaufbau zusammenhingen, durch ältere Jugendliche und klinikpersonal musste der LWL eine Lösung für die steigen- berichtet. de Patientenzahl finden. Man geht davon aus, dass infolge der kriegs- und nachkriegs- gerade vor dem hintergrund, dass die deut- erlebnisse der ausbruch und Verlauf psychi- sche Psychiatrie zu lange zu den gräueltaten scher erkrankungen beschleunigt wurde. im nationalsozialismus geschwiegen und die der zuzug von Vertriebenen nach Westfalen ereignisse verharmlost und verdrängt hat, erhöhte die zahl behandlungsbedürftiger zu- war es für den LWL sehr wichtig, schnell zu sätzlich. eine stetige Überbelegung war die reagieren: es erfolgte die einrichtung einer Folge. der LWL erreichte durch Verlegung kontaktstelle für betroffene, bei der sich in älterer Patienten in alters- und Pflegehei- kurzer zeit zahlreiche ehemalige Patienten me, die teilweise neu eingerichtet wurden, meldeten (stand august 2014: 74) und eine und durch die erweiterung der bestehenden öffentliche entschuldigung seitens des LWL einrichtungen, dass neuaufnahmen möglich im Fernsehen. auch für die wissenschaftliche wurden. aufarbeitung der Vorfälle stellte die Land- schaftsversammlung kurzfristig geldmittel in deutschland kamen die entscheidenden zur Verfügung. darüber hinaus formulierte impulse zu einer Psychiatriereform ende der der LWL einen appell an die bundesregierung 60er-Jahre auf; sie fallen nicht zufällig mit der zur einrichtung eines Fonds zur entschädi- „68er-bewegung“ zusammen. Willy brandt, gung der ehemaligen Patientinnen und Pa- der bei seiner regierungserklärung, die durch tienten analog zum bereits bestehenden ent- ihre Forderung „Mehr demokratie wagen!“ sprechenden heimerziehungsfonds. berühmt wurde, erwähnte erstmals auch die „körperlich und geistig behinderten“ direkt.

31 Psychiatriereform

Die Psychiatriereform, ein im Grunde bis heu- werden müssten. Die grundlegende Forde- te andauernder Prozess der Umstrukturierung rung der Sachverständigenkommission war der deutschen Psychiatrie, geht zurück auf schließlich die nach „Sofortmaßnahmen zur eine Generation von reformorientierten Psy- Befriedigung humaner Grundbedürfnisse“. chiatern und anderen Ärzten, die sich kritisch mit der bundesdeutschen Psychiatrie aus- Parallel dazu trugen Bücher wie „Wahnsinn einandersetzten. Sie prangerten zum einen und Gesellschaft“ von Michel Foucault oder die nach wie vor schlechten Bedingungen in „Bürger und Irre“ von Klaus Dörner dazu bei, psychiatrischen Einrichtungen zum anderen dass die Problematik um die gegenwärtige aber auch die unterlassene Aufarbeitung der Psychiatrie immer mehr Beachtung in der Ge- NS-Verbrechen an. sellschaft fand.

Die Notwendigkeit von Veränderungen war Eine Psychiatriereform war also überfällig. Gegenstand der öffentlichen Debatte und Die Ziele waren die sofortige Behebung der allgemein anerkannt. Dies führte dazu, dass katastrophalen Zustände in der stationären der Bundestag 1971 eine Sachverständigen- Versorgung in den großen Anstalten, die Be- kommission mit Experten aus allen Berei- seitigung der rechtlichen und sozialen Dis- chen der Psychiatrie einsetzte. 1973 urteilte kriminierung der Menschen mit psychischer diese Kommission in ihrem Zwischenbericht Erkrankung oder geistiger Behinderung ge- „zur Lage der Psychiatrie in der Bundesre- genüber den körperlich erkrankten Patienten publik“, die sogenannte Psychiatrie-Enquê- und der Wechsel von der bloßen Verwahrung te, dass „eine sehr große Anzahl psychisch zu Therapie und Rehabilitation auf dem Plan. Kranker und Behinderter in den stationären Das Krankenhausgesetz des Landes Nord- Einrichtungen unter elenden, zum Teil als rhein-Westfalen von 1975 veränderte die menschenunwürdig zu bezeichnenden Um- Strukturen nachhaltig, erhöhte den Wert der ständen“ leben musste. Der Abschlussbericht Verwaltung und übertrug die Verantwortung wurde 1975 fertiggestellt und stellte den be- auf 3 Säulen. Fortan bestand die Betriebslei- stehenden Versorgungsstrukturen ein katas- tung aus einem leitenden Arzt, einem Leiter trophales Zeugnis aus. Insbesondere die Größe des Wirtschafts- und Verwaltungsdienstes der bestehenden psychiatrischen Anstalten, und einer leitenden Pflegekraft. Der Pflege ihre abgeschiedenen Lagen und die zu weit- gab der Gesetzgeber insgesamt einen höhe- räumigen Einzugsgebiete wurden scharf kriti- ren Stellenwert. siert. Darüber hinaus wurden die überfüllten Bettensäle, die lange Aufenthaltsdauer der Die folgenden Jahre führten rasch zu Ver- Patienten, die Personalknappheit sowie die besserungen in den bestehenden Einrich- geringe Qualifikation des vorhandenen Per- tungen. Sie wurden räumlich und personell sonals kritisch angemerkt. Zudem stellte die besser ausgestattet und um therapeutische Kommission fest, dass viele Patienten, bei- Angebote ergänzt. Da in Westfalen-Lippe spielsweise Suchtkranke und chronisch Kran- 4 weitere Landeskrankenhäuser eingerich- ke, nicht nur psychiatrischer Behandlung be- tet wurden, verbesserte sich die gemeinde- durften sondern auch anderweitig behandelt nahe Versorgung und gleichzeitig wurden die

32 bestehenden 7 Einrichtungen des LWL ent- Der Mangel an Ärzten und Pflegepersonal lastet, die ihrerseits durch Umbauten moder- konnte erst später behoben werden. Nun nisiert wurden. Spezielle Einrichtungen, zum arbeiteten auch Psychologen, Pädagogen Beispiel für Suchtkranke und Menschen mit und Sozialarbeiter in den psychiatrischen altersbedingten Beeinträchtigungen, wur- Einrichtungen. Die gezielte Förderung der den geschaffen und ermöglichten gezielte Aus-, Weiter- und Fortbildung verbesserte die Behandlungen. Außerdem erhielten eini- Qualifikation des Personals.G rundsätzlich ge Allgemeinkrankenhäuser psychiatrische wandelte sich mit der Zeit auch der Umgang Fachabteilungen für eine patienten- und an- der Ärzte und Pfleger mit den Patienten, die gehörigennahe Versorgung. Die stationären zunehmend an therapeutischen Maßnahmen Einrichtungen konnten um teilstationäre und beteiligt waren, zu einem menschlicheren ambulante Angebote, wie etwa Tageskliniken Miteinander. Die Förderung der Eigenständig- bzw. Tagesstätten und betreute Wohnheime keit der Patienten rückte in den Mittelpunkt. ergänzt werden. Spezielle Werkstätten und Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Erfolg Betriebe, Rehabilitationseinrichtungen und der Psychiatriereform ist die begonnene Ver- psychosoziale Zentren wurden ebenfalls ge- gangenheitsaufarbeitung. Auch der Land- baut. Darüber hinaus bekamen Patienten die schaftsverband Westfalen-Lippe befasste sich Möglichkeit zur ambulanten Weiterbehand- mit der Beteiligung seines Rechtsvorgängers, lung am Wohnort. Ziel dieser flankierenden des Provinzialverbands Westfalen, an den na- Vorsorge- und Nachbehandlung sowie Re- tionalsozialistischen Verbrechen. Das LWL-In- habilitationsmaßnahmen war es, stationäre stitut für Westfälische Regionalgeschichte Aufenthalte zu vermeiden oder zu verkürzen, begann in den 80er-Jahren, die Geschichte Rückfallquoten zu reduzieren und eine Rück- der westfälischen Provinzialheilanstalten im kehr in die Gesellschaft zu erleichtern. Dritten Reich aufzuarbeiten.

Gegen das Vergessen der Verbrechen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft

33 die entWiCkLung bis in das neue Jahrtausend

die Psychiatrie-reform führte in Marsberg am 1. Juli 1996 wurde das Westfälische Pfle- ebenso wie anderenorts in den folgenden gezentrum „haus stadtberge“, eine einrich- Jahrzehnten zu umfangreichen umstruktu- tung der stationären altenhilfe, eröffnet. am rierungen und baumaßnahmen. 1. Januar 1997 nahm das Westfälische Pflege- und Förderzentrum als einrichtung der behin- am 1. Juli 1983 eröffnete in der Mühlenstra- dertenhilfe seinen betrieb auf. somit hatten ße das Westfälische therapiezentrum „bil- sich inzwischen aus der ursprünglichen klinik stein“, eine klinik zur behandlung suchtkran- 5 einrichtungen zur differenzierten behand- ker straftäter, mit 38 behandlungsplätzen. lung, betreuung und Pflege psychisch kranker 1989 wurde das therapiezentrum um eine Menschen entwickelt. regelschule ergänzt. die Fertigstellung eines erweiterungsbaus erfolgte im herbst 2002. am 22. Februar 2007 wurde die bis heute gül- tige namensänderung für alle einrichtungen nach der einrichtung der nervenärztlichen des LWL beschlossen. die Westfälische kli- ambulanz 1985 folgte 1986 mit der eröff- nik Marsberg wurde in LWL-klinik Marsberg nung des sozialzentrums direkt ein weiterer (Psychiatrie ∙ Psychotherapie ∙ Psychosomatik) Meilenstein auf dem Weg zur „schlanken“ umbenannt. aus der Westfälischen kinder- klinik nach dem Prinzip der gemeindenähe. und Jugendklinik, anfangs st. Johannes-stift genannt, wurde die LWL-klinik Marsberg 1989 konnte – angesichts der erfolgreich um- (kinder- und Jugendpsychiatrie ∙ Psycho- gesetzten umstrukturierung – mit großem therapie ∙ Psychosomatik). das Westfälische stolz das 175-jährige bestehen der klinik ge- therapiezentrum Marsberg „bilstein“ wird feiert werden. rechtzeitig zu den Feierlichkei- seitdem als LWL-therapiezentrum für Foren- ten errichtete man ein Mahnmal, das an die sische Psychiatrie Marsberg bezeichnet. das nationalsozialistischen „euthanasie“-Verbre- Westfälische Pflegezentrum Marsberg heißt chen und damit an das dunkelste kapitel der seither LWL-Pflegezentrum Marsberg und Psychiatrie erinnert. der Westfälische Wohnverbund erhielt die bezeichnung LWL-Wohnverbund Marsberg.

34 A

B

08 C 23 D A

21 B P

07 B

10 A 24 P P 05 19 04 A 20 B

105 B 11 C 16 03

02 A D 27 P 14 26 01 LWL-Akademie für Gesunheits- 12 Gebäude 12 P und Pflegeberufe 15 13 Wohnhaus 01 P 25 02 Arbeitsförderstätte 14 Technische Zentrale P 12 13 03 Tagesförderstätte 15 Garagen P P 04 Gärtnerei 16 Klinikgebäude, Schule am Bomberg 05 Festsaal 19 Sozialzentrum B 7 07 Klinikgebäude 20 Wohngruppen 08 Wohngruppen A, B, C, D, 21 Klinikgebäude A und B, Tagesförderstätte Ärztliche Leitung und 10 Wäscherei, Näherei Pflegedienstleitung, Sekretariat 11 Wohngruppen A, B, C, D, 23 Turnhalle Café Olé, Kapelle, Konferenz- 24 Klinikgebäude, räume, Kasse, Kasino, LWL-Institutsambulanz Leitung WV, Sekretariat stellvertretende Leitung WV, 25 Wohnanlage 1 Leitung Tagesförderstätte, 26 Wohnanlage 2 Leitung Arbeitsförderstätte, 27 Wohnanlage 33a Personalrat, Fachdienste 105 Klinikgebäude

100

33 17 103 20 12

21 18 19 26 22 15 41

42 23 14 13 16 43 44 07 08 06 P P 45 P P

01 17 09 Klinikleitung, Personalmanagement Mehrzweckhalle, Sporttherapie/ P 01 P Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, EDV Arbeitstherapie 10 02 Pforte/Telefonzentrale, kath. Seelsorge 18 Wohngruppen 03 03 Patientenverwaltung, 19 Medizinische Rehabilitation 05 04 Finanzbuchhaltung, Kasse 20 Wohngruppe 02 04 EDV-Schulung, Ambulante 21 Technik/Maurerei Psychiatrische Behandlungspflege, 22 Technik Zentrale QM, IBF, stellv. Leitung WV u. Fach- 108 dienste, Suchtambulanz, ev. Seelsorge 23 Wohngruppe 05 Kirche 24 Tagesklinik, Weist 44 25 24 06 Klinikgebäude, Physikalische Therapie 25 Tagesstätte, ABW (niederschwellige 07 Küche, Wirtschaftslager, Sozial- Betreuungsleistung), Weist 55 P zentrum, Festsaal, Café, Poststelle, 26 Klinikgebäude, Med.-Technische-Zentrale Wirtschaft u. interne Dienste 30 Ambulant Betreutes Wohnen (Haus Kleffner) 30 08 AT/BT (Holz, Metall), Personalrat, 33 Wohngruppe Arbeitssicherheit 41 LWL-Therapiezentrum - Silberhütte 09 LWL-Pflegezentrum 42 LWL-Therapiezentrum - Bilstein 10 Wohngruppe 43 LWL-Therapiezentrum - Glinde 12 Wohngruppe 44 LWL-Therapiezentrum - Mühlenstraße 30 13 Ergotherapie der LWL-Klinik 45 LWL-Therapiezentrum - Mühlenstraße 28 14 Wohngruppe 100 Wohnhaus - Bülberg 40 15 Wohngruppen, Arbeitsförderstätte 103 Wohnhaus - Bülberg 28/30 16 Haus Wickenhof 108 LWL-Instituts- u.Traumaambulanz, Weist 42

35 LWL-kLinik Marsberg

PsyChiatrie ∙ PsyChotheraPie ∙ PsyChosoMatik

nach der Psychiatrie-enquête von 1975 folg- struktureLLe und bauLiChe te mit dem erlass der Psychiatrie-Personalver- VerÄnderungen ordnung (Psych-PV) im Jahr 1992 ein weiterer Meilenstein der entwicklung der Psychiatrie im Jahr 1993 hielt die LWL-klinik Marsberg, in deutschland. die Psych-PV, die „Verord- das damalige Landeskrankenhaus Marsberg, nungen, Maßstäbe und grundsätze für den 27 stationen vor, in denen etwa 500 Men- Personalbedarf in der stationären Psychia- schen stationär behandelt wurden. es han- trie“ festlegte, führte zu erheblichen Verände- delte sich bei den Patienten aus heutiger sicht rungen. ihr kerninhalt war die Verbesserung um sogenannte krankenhausbehandlungs- der personellen ressourcen, die von nun an den patienten und nicht-krankenhausbehand- psychiatrischen krankenhäusern per gesetz lungspatienten, also Menschen mit behinde- zur behandlung ihrer Patienten zur Verfü- rungen. in den meisten stationen gab es eine gung standen. Vor diesem hintergrund kam durchmischung beider Patientengruppen. es in den letzten 20 Jahren zu wesentlichen Fortschritten, die zu strukturellen und bau- durch den erlass des sgb xi 1994 ergaben lichen Veränderungen sowie zu einer maß- sich neue Möglichkeiten der von der Pfle- geblichen Verbesserung der behandlungsan- geversicherung getragenen unterbringung, gebote führten. sodass am 1. Juli 1996 das Pflegezentrum mit 60 betten eröffnet werden konnte. die einrichtung des Westfälischen Pflege- und

36 Förderzentrums, heute LWL-Wohnverbund, zusammengeschlossen. Außerdem wurden nahm am 1. Januar 1997 ihre Arbeit auf. die Betriebsleitungen der Kliniken für Er- Diese Entwicklungen führten zu einer Tren- wachsenenpsychiatrie und Kinder- und Ju- nung und Verteilung der Behandlungs- und gendpsychiatrie zusammengefasst und die Nicht-Behandlungspatienten auf die ein- ärztliche und pflegerische Leitung beider zelnen Einrichtungen. Ab diesem Zeitpunkt Einrichtungen dem Ärztlichen Direktor und behandelte die Westfälische Klinik Marsberg der Pflegedirektorin der erwachsenenpsychi- nur noch 150 Behandlungspatienten, 11 Pa- atrischen Klinik übertragen. Zur gleichen Zeit tienten in der medizinischen Rehabilitation wurden die Personalräte beider Einrichtun- Sucht und 18 Patienten nach dem Maßregel- gen zu einem zusammengeführt. vollzugsgesetz. Diese 18 Patienten wurden am 1. Oktober 2000 organisatorisch dem Im Jahr 2002 wurden eine Station zur Be- LWL-Therapiezentrum für Forensische Psy- handlung posttraumatischer Belastungsstö- chiatrie Marsberg überstellt. Die Stationen rungen sowie eine Substitutionsambulanz blieben jedoch im Stationsgefüge des Hauses und ein spezieller Raum zur Behandlung mit 06. Inzwischen konnte hier ein neuer Bereich Lichttherapie eröffnet. 2005 konnten wei- zur integrierten Maßregelvollzugsbehandlung tere Baumaßnahmen umgesetzt werden; so (18 Plätze) implementiert werden. wurde der Ostflügel desH auses 06 renoviert einschließlich des Einbaus von Nasszellen in Die Trennung von Behandlungs- und Nicht-Be- alle Patientenzimmer. Im Haus 07 wurde eine handlungspatienten und die damit einher- kleine offene Teilstation für Maßregelvoll- gehende Reduktion der Bettenzahlen betraf zugspatienten errichtet. 2006 begann der auch die beiden am Standort vorhandenen Komplettumbau des Hauses 26 im laufenden Krankenpflegeschulen. Um auch weiterhin Betrieb. Es entstanden 3 Stationen mit 20, 22 wirtschaftlich, effektiv und fachlich optimal und 24 Betten. arbeiten zu können, kam es am 1. Oktober 1996 zu einer Fusion beider Schulen. Ab Anfang 2006 wurde im Bereich der Me- dizinischen Rehabilitation suchtkranker Men- In diese Zeit fällt auch die Organisationsun- schen die Zahl der Behandlungsplätze von tersuchung des Wirtschafts- und Verwal- 18 auf 30 erhöht, und das LWL-Rehabilita- tungsdienstes für die psychiatrischen Kliniken tionszentrum bezog ein eigenes speziell für in Marsberg. Sowohl die Westfälische Klinik diesen Zweck renoviertes Gebäude. (Erwachsenenpsychiatrie) als auch das St. Jo- hannes-Stift (Kinder- und Jugendpsychiatrie) Seit dem Jahr 2009 liefen die ersten Vorberei- hielten bis 1996 identische Abteilungsglie- tungen auf das bevorstehende neue Entgelt- derungen in Verwaltungs-, Wirtschafts- und system (Pauschalierende Entgelte Psychiatrie Technikbetriebsstellen vor. Aufgrund knapper und Psychotherapie, PEPP) an. 2010 wurde werdender Finanzmittel waren die beiden eigens hierfür eine Arbeitsgruppe gegründet; Kliniken gehalten, enger zu kooperieren. Als man entschied sich im weiteren Verlauf zur Resultat erfolgte 1996 die Fusion des Wirt- Teilnahme an der Optionsphase und wurde schafts- und Verwaltungsdienstes beider Kli- sogenanntes Optionshaus. niken. 2010 wurde in den Räumlichkeiten der Sta- Ein trägerweites Gutachten untersuchte die tion 06/4 eine weitere offene Teilstation zur Optimierung des psychiatrischen Verbund- Behandlung von Maßregelvollzugspatienten systems des Landschaftsverbandes Westfa- geschaffen, und man begann mit der Einrich- len-Lippe. Es entstand die Empfehlung zur tung von Wahlleistungskomfortzimmern auf Bildung von regionalen Netzen. Das regio- den Stationen 06/5, 06/6 und 26/3, die 2011 nale Netz Marsberg wurde 2001 aus den 5 abgeschlossen werden konnte. Im selben LWL-Einrichtungen am Standort Marsberg Jahr wurde die Funktion der Pflegedirektorin

37 wieder zwischen Erwachsenen- und Kinder- Im Bereich „Suchtmedizin“ werden qualifi- und Jugendpsychiatrie auf 2 separate Stellen zierte Entzugsbehandlungen für Patienten aufgeteilt. 2012 wurden die Stationen 06/2 mit Alkohol-, Medikamenten- und Drogen- und 06/8 mit in den Zimmern integrierten abhängigkeit durchgeführt. Im Rahmen der Nasszellen nachgerüstet. qualifizierten Drogenentzugsbehandlung sind – als Marsberger Besonderheiten – Paar- Die Klinik ist heute – 200 Jahre nach ihrer behandlungen, die Behandlung von Schwan- Gründung – ein modernes psychiatrisch-psy- geren und die Mitaufnahme von Kindern chotherapeutisches Behandlungszentrum für möglich. die Behandlung erwachsener Patienten. Sie umfasst 145 vollstationäre und tagesklini- In der Entwöhnungsbehandlung wurde im sche Behandlungsplätze, 18 Behandlungs- Rahmen eines deutschlandweit erstmalig plätze für den integrierten Maßregelvollzug durchgeführten Modellprojektes ein neuer und weitere 30 Plätze für die medizinische Weg beschritten, indem – entgegen der Tra- Rehabilitation alkohol-, medikamenten- und dition einer nach Suchtstoffen getrennten drogenabhängiger Menschen. Daneben gibt Behandlung – alkohol-, medikamenten- und es eine große Institutsambulanz sowie das drogenabhängige Patienten suchtstoffüber- Angebot der ambulanten psychiatrischen Be- greifend gemeinsam behandelt werden. handlungspflege. Die große Institutsambulanz bietet zahlreiche Spezialangebote wie beispielsweise Behand- Differenzierung und Spezialisierung lung psychisch traumatisierter Menschen (Traumaambulanz), Behandlung schwerst In der Klinik werden alle Formen psychischer und chronisch erkrankter Patienten, Früher- Erkrankungen behandelt. Gemäß den Stan- kennung und Behandlung von Demenzer- dards der modernen Psychiatrie und Psycho- krankungen oder anderen kognitiven Stö- therapie erfolgt diese Behandlung je nach rungen (Gedächtnisambulanz, „Memo-Fit“), Krankheitsbild in unterschiedlichen Berei- Behandlung von Menschen mit Angster- chen. Darüber hinaus ermöglichen die Größe krankungen (Angstambulanz) oder Behand- der Klinik und die auch auf der langen Tra- lung von Menschen mit Suchterkrankungen dition basierende hohe Kompetenz der Mit- (Suchtambulanz). arbeiter zahlreiche Spezialangebote, die das besondere Profil der MarsbergerK linik aus- Neben dem bereits seit vielen Jahren gut machen. etablierten Angebot von Gesprächskreisen für Angehörige Demenzkranker nicht nur in Im Bereich „Allgemeine Psychiatrie und Psy- Marsberg, sondern auch in anderen Städten chotherapie“ bilden Depressionen, bipola- des Hochsauerlandkreises, wurden im Jahr re Störungen, schizophrene Psychosen und 2009 mit dem Präventionsangebot zur Stress- psychische Störungen infolge psycho-sozialer bewältigung für Angehörige Demenzkranker Belastungen besondere Schwerpunkte des (LEISA) und im Jahr 2013 mit der „Familialen Behandlungsangebots. Pflege“ weitere Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige implementiert. Auch Der Bereich „Gerontoneuropsychiatrie“ ist beteiligt sich die Klinik seit Langem an einem vor allem spezialisiert auf die Früherkennung Gesprächskreis für Menschen mit psychi- von Demenzerkrankungen, auf die Therapie schen Erkrankungen, Angehörige und Mitar- von Verhaltensstörungen im Alter und auf beiter psychiatrischer Institutionen (Trialog). die Diagnostik und Therapie neurologischer Störungen wie z.B. Bewegungsstörungen.

38 Teilstationäre und Im Bereich der Pflege erfolgte 1993 die Ein- ambulante Behandlung führung des Pflegeprozesses, der Bezugspfle- ge, der Pflegeplanung und der Pflegedoku- Entsprechend den Erfordernissen einer mo- mentation. Es entstanden Stationskonzepte dernen psychiatrischen und psychothera- zur Beschreibung des Leistungsspektrums der peutischen Therapie erfolgt heutzutage eine multiprofessionellen Arbeit. stationäre Behandlung nur noch dann, wenn eine ambulante Behandlung oder eine teil- Die Führungsstrukturen im Bereich der Pfle- stationäre Behandlung in einer Tagesklinik ge wurden auf den Prüfstand gestellt. Die in nicht ausreichen. Darüber hinaus ist es das Stellenbeschreibungen formulierten Kompe- Ziel, psychiatrische Behandlung möglichst in tenzen gaben den pflegerischen Stationslei- Wohnortnähe anzubieten. Dieses neue Vor- tungen Sicherheit und Handlungsspielräume gehen („ambulant vor stationär“, gemein- für die Gestaltung von psychiatrischer Arbeit. denahe Behandlung) hat dazu geführt, dass neue ambulante und teilstationäre Behand- Eine mit der Behandlungsqualität verbun- lungsangebote auf- und ausgebaut wurden. dene Maßnahme war die Entwicklung einer multiprofessionellen Dokumentation. 1993 Bereits im Jahr 1985 wurde die Institutsam- wurden in einer Dokumentationsgruppe die bulanz eröffnet, 1996 wurde das ambulante Vorgaben für eine Fachdokumentation aller Angebot durch den Aufbau der ambulanten Berufsgruppen erstellt. Die Dokumentation psychiatrischen Behandlungspflege ergänzt. sollte nachvollziehbar und für die Beteilig- Seit Gründung der Institutsambulanz kam ten am Behandlungsprozess transparent und es zu einer stetigen Zunahme der Zahl der übersichtlich handhabbar sein. Mit der ge- ambulant behandelten Patienten. Dadurch meinsamen multiprofessionellen Dokumen- wurden ein Erweiterungsbau der Ambulanz tation wurden Dokumentationsstandards im Jahr 2006 sowie weitere bauliche Anpas- festgelegt, die für alle beteiligten Berufsgrup- sungen im Jahr 2014 erforderlich. pen verbindlich sind.

Im Jahr 1996 ging mit der Tagesklinik Ab 1995 konnte das neue Dokumentations- Marsberg die erste Tagesklinik an den Start. system eingeführt werden. Unter einem fest- Am 1. Oktober 2004 wurde zusätzlich eine gelegten Ordnungssystem ist die gesamte Tagesklinik in -Bad Fredeburg Behandlung des Patienten dargestellt und eröffnet. Inzwischen ist der Bau einer weite- zeigt somit einen guten Überblick zum Stand ren Tagesklinik in Brilon geplant. der Behandlung und Pflege. Die Dokumenta- tion entwickelte sich im Laufe der Zeit weiter.

Professionalisierung Heute verfügt die Klinik über eine elektroni- sche Patientendokumentation im KIS (Kran- Die vorgenannten Entwicklungen waren nur kenhaus-Informationssystem). aufgrund einer umfassenden Professionalisie- rung der Arbeit möglich. Im Jahr 2003 wurde im Pflegedienst die Pfle- gevisite implementiert, und im Jahr 2007 die Die großen thematischen Veränderungen be- POK-Visite als Controlling- und Beratungsin- deuteten für die psychiatrische Pflege eine strument zur Unterstützung der Stationen. Herausforderung, die neue Entwicklungen und Konzepte initiierte. Der patientenzen- Im Bereich des ärztlich-therapeutischen trierte Ansatz der Psych-PV erforderte eine Dienstes zielt eine umfassende Aus-, Fort- hohe Individualisierung der Planung von pfle- und Weiterbildung darauf ab, den Patienten gerischen und therapeutischen Maßnahmen. eine moderne und an den aktuellen Leitlinien

39 und für die behandlungsteams der kliniken das instrument einer ethischen Fallbespre- chung eingeführt.

um den belangen von Patienten mit Migra- tionshintergrund besser gerecht zu werden, werden Patienteninformationen in verschie- denen sprachen sowie Übersetzungshilfen vorgehalten. darüber hinaus wurde im Jahr 2009 die Funktion einer integrationsberate- rin eingerichtet. diese dient sowohl Patienten als auch Mitarbeitern als ansprechpartnerin. der Fachgesellschaften orientierte psychia- trische und psychotherapeutische behandlung anzubieten. Wesentliche bausteine sind ne- Mitarbeiterorientierung und ben der ausbildung und supervision im rah- PersonaLentWiCkLung men der täglichen arbeit und im rahmen von teamsupervisionen ein regelmäßiges die Weiterentwicklung persönlicher und wöchentliches klinikinternes Fort- und Wei- fachlicher kompetenzen sowie die gesund- terbildungsprogramm, die durchführung von heit der Mitarbeiter spielen seit jeher eine Fortbildungsveranstaltungen mit auswärti- wichtige rolle in der LWL-klinik Marsberg, gen referenten und schließlich das angebot denn nur in einem gut funktionierenden und an die Mitarbeiter, externe Fortbildungsver- gesunden krankenhaus können Menschen anstaltungen zu besuchen. auch im rahmen wieder gesund werden. intensiver inhouse-schulungen erlernen die Mitarbeiter neue therapiekonzepte, in letz- bereits 1995 wurde eine stabsstelle zur in- ter zeit vor allem so genannte störungsspezi- nerbetrieblichen Fortbildung und Personal- fische kognitiv-bevariorale therapieverfahren entwicklung im Pflegedienst geschaffen. im wie z.b. narrative expositionstherapie (net), Laufe der zeit nahm die zahl der angebote traumatherapie nach Pieper, Motivational im bereich der Personalentwicklung aller be- interviewing (Mi), Metakognitives training reiche und des betrieblichen gesundheitsma- (Mkt) oder reasoning and rehabilitation nagements stetig zu. 2003 wurde mit den (r&r). Mitarbeitergesprächen ein instrument eta- bliert, das die faire, offene und vertrauensvolle die ärztliche Weiterbildung erfolgt im rah- zusammenarbeit der Mitarbeiter und Füh- men eines Weiterbildungsverbunds (akade- rungskräfte fördern und den weiteren Fort- mie-oWL). dadurch und durch die volle Wei- bildungsbedarf der Mitarbeiter ermitteln soll, terbildungsbefugnis ist eine profunde und um gemeinsam entsprechende weitere Qua- umfassende Weiterbildung gewährleistet, lifizierungsperspektiven zu entwickeln. im die auch ein wichtiges element der Personal- Jahr 2007 wurde ein örtlicher Lenkungskreis akquise darstellt. im rahmen der aus- und gesundheit gegründet, der zentral für alle Weiterbildung der Psychologen kooperiert einrichtungen am LWL-standort Marsberg die klinik mit mehreren psychologischen aus- Maßnahmen der betrieblichen gesundheits- bildungsinstituten. förderung initiiert und koordiniert.

im Jahr 2009 hat eine gemeinsame ethik- seit dem Jahr 2008 bietet der LWL-Psychia- kommission der erwachsenen- und der kin- trieVerbund Westfalen für alle Führungskräfte der- und jugendpsychiatrischen klinik ihre seiner einrichtungen ein umfassendes und arbeit aufgenommen. in der Folge wurden verbindliches Programm zur Führungskräfte- Mitarbeiter in der ethikberatung geschult qualifizierung (FkQ) an.

40 2010 wurde das Personalentwicklungskon- Qualitätsmanagement zept noch einmal überarbeitet und erweitert. Darüber hinaus wurde für beide Kliniken das Gute und jederzeit gesicherte Qualität spielt Angebot einer kollegialen Nachsorge nach heute im Krankenhaus eine sehr wichtige Patientenübergriffen eingeführt. Rolle. Um allen Patienten ein gleichbleibend hohes Behandlungsniveau bieten zu können, Heute steht allen Mitarbeitern der LWL-Klinik ist in der LWL-Klinik Marsberg seit vielen Jah- Marsberg ein differenziertes und vielseitiges ren ein strukturiertes Qualitätsmanagement innerbetriebliches Fortbildungsprogramm zur etabliert. Verfügung. Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Förderung Im Jahr 2002 wurde eine Qualitätsmanage- von Beruf und Familie sind fest etabliert (2010 rin für den LWL-Standort Marsberg einge- Verleihung des Zertifikats zur erV einbarkeit stellt. Seitdem arbeiten die LWL-Einrichtun- von Beruf und Familie für den LWL-Standort gen nach dem EFQM-Management-Modell Marsberg). Gesundheit, Beteiligung und Kar- (EFQM = European Foundation for Quality rieremanagement für Mitarbeiter sowie Ent- Management). Es finden egelmäßigr EFQM- lastung durch Supervision und Coaching sind Selbstbewertungen bzw. EFQM-Management- feste Bestandteile der modernen Kranken- Reviews statt, um ein konstant hohes Maß an hausführung. Regelmäßig werden Fachta- Qualität sicherzustellen. gungen, Symposien und Forschungstage zu den neuesten Entwicklungen psychiatrischer 2006 wurde in einem umfassenden, alle Be- Behandlung und Versorgung ausgerichtet. rufsgruppen beteiligenden Prozess ein ge- Wissensmanagement und Organisationsent- meinsames Leitbild für beide Kliniken erstellt. wicklung sind eng miteinander verknüpft. Fachkräfte aus allen Bereichen der Klinik 2009 konnte erstmalig (gemeinsam mit der arbeiten in regionalen und überregionalen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie) das Netzwerken. Die LWL-Einrichtungen bieten KTQ-Qualitätssiegel (Kooperation für Trans- Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten, för- parenz und Qualität im Gesundheitswesen) dern die persönliche und fachliche Entwick- erlangt werden, nachdem im Jahr zuvor ei- lung und bieten vielfältige Möglichkeiten der gens hierfür eine Qualitätslenkungsgruppe Aus- und Weiterbildung, von grundständigen gegründet worden war. 2012 gelang es, die pflegerischen und kaufmännischen Ausbil- Zertifizierung erfolgreich zu wiederholen, dungen bis hin zum Hochschulstudium. eine erneute Rezertifizierung wird im Jahr 2015 angestrebt. Im Jahr 2010 feierte die LWL-Akademie für Pflegeberufe ihr 50-jährigesB estehen als Alle Qualitätssicherungsmaßnahmen werden Ausbildungsstätte für Gesundheits- und ständig optimiert und an die wachsenden Krankenpfleger. Einige Auszubildende, die Anforderungen des Gesundheitswesens an- als FOS-11-Praktikanten oder im Freiwilligen gepasst. Ein hohes Maß an Behandlungs- und Sozialen Jahr (FSJ) die Klinik kennengelernt Betreuungsqualität erzielen die LWL-Kliniken haben, nutzen die Gelegenheit, um anschlie- durch hinterlegte Standards, Verfahrens- ßend die Ausbildung zum Gesundheits- und anweisungen und eingeführte Evaluations- Krankenpfleger zu absolvieren. Viele von den prozesse. LWL-PsychiatrieVerbundsweite examinierten Krankenpflegekräften bleiben Benchmarkprozesse, der transparente Um- nach der Ausbildung in Marsberg tätig und gang mit qualitätsrelevanten Messdaten sind ein Garant für den hohen Standard der sowie ein 2012 etabliertes klinisches Risiko- psychiatrischen Pflege in den WL-L Einrichtun- management (MERKE – Meldung relevanter gen. kritischer Ereignisse) tragen zusätzlich hierzu bei.

41 In regelmäßigen Patientenbefragungen wird punkte des therapeutischen Angebots sind: ihre Zufriedenheit mit der Behandlung erho- Einzel- und Gruppenpsychotherapie, Mili- ben. Ein fest etabliertes Beschwerdemanage- eu- und Soziotherapie, Bezugspflege diffe- ment sowie eine speziell geschulte Ansprech- renzielle Psychopharmakotherapie, Entspan- person vor Ort sorgen für die Umsetzung von nungsverfahren, Ergo- und Arbeitstherapie, Verbesserungen. Im Rahmen des Vorschlag- kognitives (Gedächtnis-) Training, Musikthe- wesens (Ideenmanagement) können Mitar- rapie, Sport- und Bewegungstherapie, physi- beiter Optimierungsvorschläge einbringen. kalische Therapie und Lichttherapie (bei De- pressionen). Die Zufriedenheit der Mitarbeiter und ihre Er- wartungen und Wünsche wurden in mehre- Dabei sind viele verschiedene Berufsgruppen ren Mitarbeiterbefragungen erhoben. an der Behandlung der Patienten beteiligt. Sie arbeiten eng zusammen, tauschen regel- mäßig ihre Erfahrungen aus und verstehen Integratives Behandlungskonzept sich als multiprofessionelles Team. Neben Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie In einem ganzheitlichen Behandlungskon- sowie Neurologie gehören dem Team auch zept werden die vielfältigen Einflüsse auf Psychologische Psychotherapeuten, Dipl.-Psy- psychische Erkrankungen berücksichtigt: kör- chologen, Dipl.-Pädagogen, Dipl.-Sozialar- perliche Ursachen, die seelische Entwicklung beiter und Dipl.-Sozialpädagogen, Gesund- und Bedingungen im sozialen Umfeld der heits- und Krankenpfleger für Psychiatrie, Patienten; hierzu gehören auch geschlechts- Ergotherapeuten, Musiktherapeuten sowie oder altersspezifische Aspekte. Bewegungstherapeuten und Physiothera- peuten an. Ihre unterschiedlichen methodi- Deshalb hat sich in der LWL-Klinik Marsberg schen Ansätze und ihre verschiedenen fach- ein Behandlungskonzept bewährt, das alle spezifischen Erfahrungen mit den Patienten diese Faktoren berücksichtigt. Therapie be- werden gemeinsam reflektiert und im Team deutet demnach, dass sich Behandler und wie Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zu- Patient auf einen gemeinsamen Prozess ein- sammengefügt. Die Mitglieder der therapeu- lassen, in dessen Verlauf die oben genannten tischen und pflegerischenT eams behandeln Aspekte in ihrem Zusammenwirken berück- Patienten kontinuierlich und sind jederzeit sichtigt werden. Nur so ist es möglich, den ansprechbar. Durch regelmäßige Teamtage unterschiedlichen Facetten der Persönlichkeit der einzelnen Stationen und Bereiche wird aller Patienten gerecht zu werden. Einem die multiprofessionelle Zusammenarbeit im- ganzheitlichen Denkansatz entsprechend er- mer wieder überprüft und verbessert. folgt keine Beschränkung auf einige wenige Therapiemethoden, sondern alle Möglichkei- ten der modernen psychiatrischen bzw. psy- Vernetzung chotherapeutischen Behandlung werden in einem integrativen Therapiekonzept mitein- Traditionsgemäß gibt es eine enge Koopera- ander verbunden. Dabei geht es nicht nur um tion der Klinik mit den anderen LWL-Einrich- die Beseitigung von Krankheitssymptomen tungen am Standort Marsberg: So werden (krankheitsorientiert), sondern auch um die zum Beispiel die Bewohner des Wohnver- Förderung von bereits bestehenden Stärken bunds und des Pflegezentrums durch die In- und Ressourcen (gesundheitsorientiert). stitutsambulanz behandelt, und mit der kin- der- und jugendpsychiatrischen Klinik wurde Die LWL-Klinik Marsberg hat den Anspruch, ein Projekt zur integrierten Behandlung von den Patienten in einem integrativen Thera- psychisch kranken Adoleszenten durchge- piekonzept alle Möglichkeiten der modernen führt und ein gemeinsames familienpsychi- Behandlung anzubieten. Besondere Schwer- atrisches Angebot geschaffen. Im Rahmen

42 des LWL-PsychiatrieVerbunds ist die klinik FÜr die zukunFt gut gerÜstet federführend tätig im aufbau verbundweiter behandlungs- und Präventionsangebote wie Für die zukunft ist die klinik gut gerüstet. zum beispiel der Psychotherapeutischen not- dabei kann nicht nur auf eine hohe state- fallversorgung (PnV-LWL). of-the-art-kompetenz, sondern auch auf ein in 200-jähriger tradition kumuliertes er- die klinik bildet ein wichtiges glied im psy- fahrungswissen und eine sehr hohe Motiva- chosozialen Versorgungsnetz des hochsau- tion der Mitarbeiter zurückgegriffen werden. erlandkreises und der anderen benachbarten die momentane entwicklung der Psychiatrie regionen. das beinhaltet auch eine immer und Psychotherapie und nicht zuletzt auch schon sehr enge kooperation mit der Psy- die bevorstehende einführung des neuen chosozialen arbeitsgemeinschaft (Psag) entgeltsystems machen es immer wichtiger, und dem sozialpsychiatrischen dienst des ambulante, teilstationäre und stationäre hochsauerlandkreises. es ist ein wesentliches therapie miteinander zu verbinden im sin- anliegen, mit niedergelassenen Ärzten und ne einer so genannten sektorübergreifenden Psychotherapeuten sowie ambulanten und behandlung. dabei besteht schon heute ein komplementären diensten der umgebung alle sektoren umfassendes therapieangebot eng zusammenzuarbeiten. darüber hinaus aus einer hand, wobei besonders die ambu- hat sich in den letzten Jahren in verschiede- lante möglichst wohnortnahe behandlung nen bereichen eine enge zusammenarbeit noch weiter ausgebaut werden soll. als so- mit den somatischen krankenhäusern der genanntes optionshaus ist die klinik auf die region entwickelt. dabei dienen auch die re- einführung des neuen entgeltsystems bereits gelmäßig von der klinik veranstalteten wis- jetzt gut vorbereitet. im rahmen des kran- senschaftlichen und versorgungsorientierten kenhausplans nrW 2015 wird angestrebt, Fachtagungen der Vernetzung mit Fachkol- das stationäre behandlungsangebot noch um legen anderer einrichtungen. beim kürzlich weitere psychosomatisch ausgerichtete bet- gegründeten bündnis gegen depression im ten zu erweitern. die gut ausgebaute vielfälti- hochsauerlandkreis ist die klinik federfüh- ge Vernetzung der klinik und die kommunale rend beteiligt. trägerschaft im rahmen des LWL-Psychiatrie- Verbunds Westfalen tragen ebenso dazu bei, den herausforderungen der zukunft sehr zu- ÖFFentLiChkeitsarbeit versichtlich begegnen zu können. insbesondere vor dem hintergrund einer al- lenthalben noch verbreiteten stigmatisierung psychisch kranker Menschen bzw. der Psy- chiatrie wurde vor allem in den letzten 10 Jah- ren großer Wert auf eine umfassende und intensive Öffentlichkeitsarbeit gelegt. dazu hat auch die gründung eines Fördervereins der klinik im Jahr 2006 beigetragen, der sich neben der unterstützung mittelloser Patien- ten und therapeutischer angebote zum ziel gesetzt hat, den kontakt zwischen klinik und Öffentlichkeit durch das angebot vielfältiger kultureller Veranstaltungen zu fördern.

43 LWL-Klinik Marsberg - Psychiatrie ∙ Psychotherapie ∙ Psychosomatik

44 LWL-kLinik Marsberg kinder- und JugendPsyChiatrie · PsyChotheraPie · PsyChosoMatik

bis 1997 wurden im st. Johannes-stift 3 so arbeitete der damalige ärztliche direktor gruppen von kindern und Jugendlichen anfang der 90er-Jahre in der bundesweiten betreut bzw. behandelt: geistig und auch arbeitsgruppe zur erstellung der Psychiatrie- körperlich behinderte kinder und Jugendli- personalverordnung mit. die therapeutischen che, verhaltensauffällige kinder und Jugend- angebote der klinik erfuhren eine starke dif- liche sowie psychiatrisch erkrankte kinder ferenzierung. es entstand eine station für und Jugendliche im engeren sinne. den qualifizierten drogenentzug, eine station für Psychotherapie mit schwerpunkt dialek- in der Folge der Psychiatrie-enquête der tisch behaviorale therapie, eine damals noch 70er-Jahre hatten die ordensschwestern weithin unbekannte, mittlerweile jedoch der Vinzentinerinnen anfang der 80er-Jahre etablierte therapie für Patienten mit border- das st. Johannes stift verlassen. Mit der ein- line-störung und selbstverletzendem Verhal- stellung einer neuen ärztlichen Leitung und ten. die einrichtung scheute sich nicht, sich orientierung an modernen wissenschaftli- dem schwierigen thema Maßregelvollzug für chen erkenntnissen wandelten sich die the- Jugendliche zu stellen. rapeutischen konzepte der einrichtung stark und es hielt eine eher wissenschaftlich orien- in den 90er-Jahren befanden sich immer tierte, verhaltenstherapeutische grundaus- noch behinderte und verhaltensauffällige richtung einzug in behandlung und Pädago- kinder und Jugendliche zum teil über Jah- gik. re im st. Johannes-stift. die krankenkassen zogen sich zunehmend aus der Finanzierung

45 langjähriger Aufenthalte von schwer vermit- Hälfte der Bevölkerung Westfalens, also ins- telbaren Kindern und Jugendlichen zurück. gesamt etwa 4 Millionen Einwohner, so redu- Es etablierte sich eine Mischbelegung mit ei- zierte sich das Einzugsgebiet der Klinik 1997 nerseits krankenkassenfinanzierten Kranken- durch einige Entwicklungen im externen Um- hauspatienten und andererseits im Rahmen feld (z.B. Übernahme von Pflichtversorgung des BSHG (Bundessozialhilfegesetz) durch durch LWL-Klinik Hamm, Elisabethklinik Dort- den LWL finanzierten behindertenK indern mund, Übernahme des Landkreises Olpe durch und Jugendlichen. die Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik in Lüdenscheid) von 4 Millionen Einwohnern auf Die unterschiedlichen Patienten- und Bewoh- 2,3 Millionen Einwohner, was immer noch ein nergruppen wurden zunächst noch gemischt sehr großes Einzugsgebiet war. auf den gleichen Stationen betreut. Danach kam es zu Schwerpunktbildungen einzelner Die Versorgungsstrukturen in Westfalen wa- Behandlungseinheiten, bis 1997 eine grund- ren in den 80er- und 90er-Jahren zunächst legende Neuaufstellung der Einrichtungen noch zweigeteilt. Zum einen gab es Kliniken, erfolgte. die für die Pflichtversorgung zuständig wa- ren, so das St. Johannes-Stift und die Haardt Es fand eine endgültige Trennung zwischen Klinik in Marl-Sinsen, andererseits gab es dem Krankenhausbereich, der heutigen LWL- Kliniken, die sich an der Pflichtversorgung Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und nicht beteiligten und überregional Patien- Psychotherapie und dem LWL-Wohnverbund ten aufnahmen, die sich diese Kliniken nach statt. Hier wurden nun die Patienten betreut, eigenen Kriterien aussuchten. die bereits seit längerem über die Behinder- tenhilfe untergebracht waren. Diese Struktur hatte dazu geführt, dass die Pflichtversorgung eher zu einer „Entsor- Gleichzeitig kam es zu einer Zusammenle- gungsstruktur“ missliebiger Jugendlicher de- gung aller Marsberger Einrichtungen unter generiert war. Erst in den 90er-Jahren kam es einem organisatorischen „Dach“. 2001 wur- zu einer Entwicklung der Regionalisierung der den die Betriebsleitungen der Westfälischen Psychiatrie/Kinder- und Jugendpsychiatrie, Klinik und der Kinder- u. Jugendpsychiatrie zusammen mit der Entstigmatisierungsthe- zusammengefasst und die Leitung beider matik. Entwicklungen, die immer noch aus Einrichtungen dem Ärztlichen Direktor und den Folgen der Psychiatrie-Enquête stamm- der Pflegedirektorin der erwachsenenpsychi- ten und in Westfalen eher spät ankamen. atrischen Klinik übertragen. Zur gleichen Zeit wurden die Personalräte beider Einrichtun- Gleichzeitig reduzierte sich in einem weite- gen zu einem zusammengeführt. ren Schritt das Einzugsgebiet der Klinik be- trächtlich von 2,3 Millionen Einwohner auf Die Zusammenlegung der Einrichtungen in 750.000 Einwohner, da das Klinikum Lip- 2 Schritten (1997, 2001) brachte positive fi- pe in Bad Salzuflen mit Landesmitteln eine nanzielle Synergieeffekte. So konnten in der neue Klinik für Kinder- und Jugendpsychia- Kinder- und Jugendpsychiatrie gemeinsam trie mit zunächst 36 stationären Plätzen und mit dem Land finanzierte Sanierungen durch- 48 tagesklinischen Plätzen an verschiedenen geführt werden. Auf diese Weise konnten Standorten in Ostwestfalen-Lippe neu eröff- Verluste aufgefangen werden, die durch ein nete und dafür seine kleine, psychotherapeu- seit 1996 gedeckeltes Krankenhausbudget tisch ausgerichtete Klinik in Detmold aufgab. entstanden waren. Die LWL-Klinik Marsberg, Kinder- und Ju- Auch bezüglich des Einzugsgebietes der Klinik gendpsychiatrie, musste nun durch die dras- änderte sich 1997 erstmals etwas Wesentli- tische Verkleinerung des Einzugsgebietes in ches. Versorgte die Klinik bis 1997 etwa die kürzester Zeit von einer „Entsorgungsklinik“

46 mit einer abschiebestruktur zu einer Ver- durch die eröffnung zweier weiterer tageskli- sorgungsklinik mit einer kommstruktur um- niken, 2004 in Meschede und 2005 in höx- strukturiert werden. ter, ebenfalls mit integrierten ermächtigungs- ambulanzen, konnte das angebot der klinik dies erforderte eine deutliche Veränderung in der Versorgungsregion dezentralisiert und im selbstverständnis vieler Mitarbeiter. rela- deutlich erweitert werden. tiv feste und wenig flexibleregelwerke und strukturen mussten auf ihre tatsächliche not- hiermit verbunden war allerdings auch, dass wendigkeit hin überprüft, zwangskontexte die krankenhausbetten im krankenhausplan überdacht, regeln geändert werden. 1:1 hatten umgewandelt werden müssen, da ursprünglich davon ausgegangen wor- so hatte beispielsweise die drogenstation den war, dass durch tagesklinikplätze stati- bis 2002 nur Patienten geschlossen mit un- onäre behandlungsplätze eingespart werden terbringungsgenehmigungen behandelt. die könnten. dass dies in keiner Weise der Fall Patienten konnten zunächst freiwillig auf der war, zeigte sich besonders deutlich nach dem station behandelt werden, was natürlich an- start der tagesklinik in Meschede. aus dem fänglich zu vermehrten behandlungsabbrü- bisher völlig unversorgten hochsauerland- chen führte. Jedoch war es gut für die aus- kreis drängten mehr als 50% Patienten auch bildung von Motivation und zur entwicklung in die stationäre behandlung. von kompetenzen von Mitarbeitern, Patien- ten zum durchhalten zu motivieren, anstatt nach der drastischen reduzierung des ein- lediglich den zwang der geschlossenen tür zugsgebietes, inbetriebnahme der klinik in wirksam werden zu lassen. Mittlerweile wird bad salzuflen undz uschlag des Landkreises diese station ganz überwiegend offen und nur gütersloh zur LWL-klinik hamm waren be- noch selten fakultativ geschlossen geführt. reits 20 betten aus dem krankenhausplan ge- strichen und die klinik stand nach errichtung eine wichtige etappe bei der Modernisierung der letzten tagesklinik plötzlich nur noch mit und arrondierung der klinik waren neue 53 stationären und 30 teilstationären betten baumaßnahmen. zum einen die komplett- im krankenhausplan. dem gegenüber belief sanierung und Modernisierung des großen sich die tatsächliche belegung auf 67 betten, bettenhauses 21 und zum anderen die Verle- mit zunehmenden Wartezeiten. gung der krankenhausschule in das haus 16 sowie der ausbau des hauses 19 zum sozial- zentrum und des hauses 10 als therapiehaus für die Mototherapie und die Musiktherapie. durch den umbau des hauses 21 in 2 bauab- schnitten war der bedarf entstanden, 2 stati- onen auszulagern. hierfür war das eigentlich schon zum abriss freigegebene haus 105, ehemaliges Personalwohnheim, geeignet und konnte mit begrenzten Mitteln als provi- sorisches bettenhaus der beiden kinderstati- onen renoviert werden. die seitens der klinik beantragten zusätzli- chen 24 krankenhausbetten wurden seitens bereits seit anfang der 90er-Jahre gab es in des Landes über mehrere Jahre nicht als tat- Paderborn eine ambulanz als ableger der sächlicher bedarf wahrgenommen, so dass Marsberger institutsambulanz; 1996 wurde sich das antragsverfahren über Jahre hinzog. zusätzlich eine tagesklinik errichtet. nach intensiver Überzeugungsarbeit stellte das Land einen zusätzlichen bettenbedarf

47 von 30 betten fest. hiermit war jedoch die an jeder tagesklinik und in Marsberg gibt es Vorgabe verbunden diese in Paderborn zu re- heute umfängliche ambulante angebote. die alisieren. ambulanzen stehen sowohl als anlaufstel- le für die verschiedenartigsten psychischen seit 2010 laufen nun die Planungen für die Probleme von kindern und Jugendlichen zur errichtung einer 30-betten-klinik in Pader- Verfügung, sie versorgen aber auch, und das born auf dem gelände der dortigen LWL-kli- ist ein anderer besonderer schwerpunkt des nik. die kinder- und jugendpsychiatrische kli- „Marsberger ambulanzsystems“, länger- nik soll als teil der kinder- und Jugendklinik in fristig erkrankte Patienten kontinuierlich be- Marsberg geführt werden. darfsgerecht.

Mit dieser entscheidung wurde die ist-bet- dadurch kann ein adäquater einsatz von be- tenzahl für die klinik Marsberg um 30 Plät- handlungsmitteln (wann ambulant, wann ze erhöht und 2012 wurde die station 16 iii teilstationär, wann stationär), optimal sicher- eröffnet. sie gilt als stabilisierungsstation für gestellt werden. die zukunft wird mit dem längerfristig zu stabilisierende Patienten mit neuen entgeltsystem, das uns noch kürzere eher chronifizierten störungen, die auf grund behandlungsdauern bereiten und weniger Fi- ihres störungsbildes noch nicht so weit sind, nanzierungsmittel lassen wird, und mit einer in einer komplementären einrichtung leben zu erwartenden weiteren Verschlechterung zu können. der komplementären staatlichen hilfesyste- me, eine hohe herausforderung an unsere in den vergangenen Jahren wurde ein beson- Leistungsfähigkeit stellen. hier zeitgemäß aus- derer schwerpunkt auf den ausbau der am- gerichtet zu sein, ist aktuell unser bestreben. bulanten Versorgung gelegt. bisher sind im einzugsgebiet der klinik nicht in ausreichen- dem Maße Ärzte für kinder- und Jugendpsy- chiatrie bzw. kinder- und Jugendlichenpsy- chotherapeuten niedergelassen. da vor allem die ambulante notfallversorgung defizitär war, mussten viele Patienten, die auch inten- siv ambulant hätten betreut werden können, stationär eingewiesen werden.

48 LWL-Klinik Marsberg - Kinder- und Jugendpsychiatrie ∙ Psychotherapie ∙ Psychosomatik

49 LWL-theraPiezentruM FÜr ForensisChe PsyChiatrie Marsberg

zum 6. oktober 1980 erfolgte die geneh- im vergangenen Jahr feierte das LWL-thera- migung des baubeschlusses zur einrichtung piezentrum Marsberg sein 30-jähriges beste- einer Maßregelvollzugsanstalt in Marsberg hen. seit der inbetriebnahme 1983 werden und bereits am 1. Juli 1983 konnte das west- dort schwerpunktmäßig suchtkranke männli- fälische therapiezentrum „bilstein“ in betrieb che straftäter aus dem bereich Westfalen-Lip- genommen werden. 2 Jahre später standen pe gemäß §64 stgb behandelt. grundlage bauliche nachrüstungen an: die rehabilita- der arbeit ist das Maßregelvollzugsgesetz des tionsstation in der Mühlenstraße wurde er- Landes nrW. öffnet und die Platzzahl für Patienten von ursprünglich 38 auf 46 erhöht. die behandlung erfolgt nach der durchfüh- rung einer umfangreichen diagnostik nach 1998 beschließen LWL und Landesregierung einem integrativen überwiegend tiefenpsy- die erweiterung des therapiezentrums um chologischen und soziomilieutherapeuti- einen neubau mit 32 Plätzen, der 2002 fer- schen therapiekonzept. Parallel dazu besteht tiggestellt worden ist. einen weiteren neu- ein differenzierter bereich spezieller behand- bau genehmigte die Landesregierung im Jahr lungsformen, z.b. traumatherapie, Familien- 2005. durch die neubauten und raumnut- rekonstruktion, kunsttherapie, entspan- zungsänderung im innenbereich im Laufe der nungsverfahren und sport. darüber hinaus Jahre ist es heute möglich, 111 Patienten sta- gibt es für die rehabilitationsmaßnahmen be- tionär zu behandeln. handlungsplätze im außenbereich der klinik.

50 um den Patienten soziales Lernen und den kennen und entsprechende Maßnahmen ein- erwerb von alltagskompetenzen, die zur sta- zuleiten, um der gefahr erneuter straftaten bilisierung von gesundheit notwendig sind, entgegenzuwirken. dies geschieht in enger zu ermöglichen, wird ein dafür geeignetes zusammenarbeit mit allen am Prozess betei- Lern- und Übungsfeld im klinikalltag gestal- ligten, insbesondere mit der Führungsauf- tet. die soziale Wirklichkeit, also der alltag sicht und der bewährungshilfe. innerhalb der Wohngruppen mit all seinen im rahmen von helferkonferenzen werden herausforderungen, wird bewusst für Verän- alle relevanten informationen zusammenge- derungsprozesse genutzt. tragen, notwendige interventionen veran- lasst und verbindliche absprachen auch mit Patienten bis 25 Jahre, die ohne bildungsab- den klienten/Probanden getroffen. schluss sind, haben die Möglichkeit, einen schulabschluss nachzuholen. in der holz- seit 2009 besteht eine kooperation mit dem und in der Metall-arbeitstherapie können die LWL-Wohnverbund Marsberg in der betreu- Patienten nach einem mehrmonatigen aus- ung von psychisch kranken straftätern, die bildungsmodul ein ihk-zertifikat erwerben. gemäß §63 stgb untergebracht sind und sich in der Langzeitbeurlaubung befinden. 2004 wurde sukzessiv eine Forensische nachsorge-ambulanz (Fna) aufgebaut. entsprechend den regelungen des Maßre- gelvollzuges wird eine therapie unter ge- in der behandlung von Maßregelvollzugspati- sicherten bedingungen durchgeführt. die enten kommt der nachsorge im anschluss an aufgaben der sicherung betreffen sowohl die stationäre behandlungsphase eine zen- die sicherung der untergebrachten Patien- trale, rückfallpräventive bedeutung zu. die ten vor rückfälligkeit, suchtverlagerung oder hauptaufgaben der forensischen nachsorge therapieabbruch, als auch die sicherung der bestehen darin, die entlassenen bei ihrer wei- bevölkerung durch sekundäre und tertiäre teren Verselbstst ändigung zu unterstützen, psychiatrisch-psychotherapeutische Präventi- krisenhafte entwicklungen frühzeitig zu er- onsmaßnahmen.

51 LWL-THerapiezentrum für Forensische Psychiatrie Marsberg

52 Kunst in den LWL-Einrichtungen

53 LWL-PFLegezentruM Marsberg „haus stadtberge“

Neubau „Haus Stadtberge“

das LWL-Pflegezentrum Marsberg „haus und doppelzimmern mit eigenem duschbad stadtberge“ ist eine teilweise offen geführte zur Verfügung. Jedes zimmer kann individuell Wohn- und Pflegeeinrichtung mit einem erV - ausgestattet werden und verfügt über einen sorgungsvertrag nach sgb xi. es wurde am kabel-tV- und einen telefonanschluss. 1. Juli 1996 eröffnet. Wir bieten ein zuhause für alle Pflegebedürf- der LWL handelt aus der sozialpolitischen tigen und insbesondere für Menschen mit Verpflichtung heraus, psychisch und geistig demenziellen erkrankungen, Menschen mit behinderten Menschen ein neues zuhause zu psychiatrischen erkrankungen, Menschen mit schaffen, um ggf. hier ihren Lebensabend zu neurologischen erkrankungen, Menschen im verbringen. Wachkoma, Menschen mit psychosomati- schen erkrankungen und Menschen mit einer bis heute wurden 7 LWL-Pflegezentren ein- geistigen beeinträchtigung. gerichtet, die in der jeweiligen region durch ihre sehr gute psychiatrisch-pflegerische Fach- die 3 Wohnebenen werden unterteilt in ins- kompetenz ein erweitertes und überzeugen- gesamt 6 hausgemeinschaften, in denen bis des Leistungsspektrum anbieten. insbeson- zu 14 bewohner in einer gemeinschaft zu- dere stellt sich die Frage nach der adäquaten sammenleben, deren Mittelpunkt die haus- abdeckung von zunehmenden Pflegebedar- gemeinschaftsküche bildet. fen, die mit dem demographischen Wandel bei Menschen mit behinderungen strukturell Pflegebedürftige Menschen finden imWL- L ebenso einhergehen wie in der gesamtbevöl- Pflegezentrum Marsberg haus„ stadtberge“ kerung. ein zuhause, in dem sie rund um die uhr be- treut und umsorgt werden. eingebunden in in der im Mittelpunkt von Marsberg gelege- der gemeinschaft und frei in seiner persön- nen barrierefrei zu erreichenden einrichtung lichen entfaltung kann jeder bewohner die stehen 80 Plätze in hochmodernen einzel- eigenständigkeit sowie die ruhe und Privat-

54 sphäre in Anspruch nehmen, die er für sich umgesetzt. Die Altenpflegeschule trägt die benötigt. Klienten mit einem breiten Alters- Gesamtverantwortung für die Ausbildung. spektrum von 20 bis 95 Jahren, spiegeln die Diese dauert unabhängig vom Zeitpunkt der derzeitige Altersstruktur des LWL-Pflegezent- staatlichen Prüfung 3 Jahre, dies gilt auch für rums „Haus Stadtberge“ wieder. Umschulungen. Die Ausbildung kann auch als Teilzeitausbildung durchgeführt werden. Die ganzheitlich aktivierende Pflege ist dar- In diesem Fall kann die Dauer der Ausbildung auf ausgerichtet, körperliche, geistige und auf bis zu 5 Jahre verlängert werden. seelische Fähigkeiten zu erhalten und sogar wiederzugewinnen. Besonders wichtig ist Der Träger der praktischen Ausbildung dabei der ständige persönliche Bezug zu den schließt einen Ausbildungsvertrag mit dem erfahrenen Mitarbeitern. Außerdem arbeiten Auszubildenden. Der Träger der Ausbildung wir eng mit dem Hausarzt und spezialisierten ist verpflichtet, dem Auszubildenden eine an- Fachärzten zusammen, die selbstverständlich gemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen. auch zu Hausbesuchen kommen. Bei Bedarf können jederzeit diagnostische und thera- In Kooperation mit dem ESTA-Bildungs- peutische Leistungen der LWL-Klinik genutzt werk Olsberg bildet das LWL-Pflegezentrum werden. Marsberg derzeit insgesamt 15 Auszubilden- de im Berufsbild zum staatlich anerkannten Die nahegelegene und barrierefrei erreichbare Altenpfleger aus. Der Beruf des staatlich an- Innenstadt von Marsberg ermöglicht mit ih- erkannten Altenpflegers bietet nach der Aus- ren Geschäften, der Gastronomie, den Ärzten bildung ein breites Spektrum an zukunfts- und Apotheken die Teilhabe am öffentlichen weisenden Berufsperspektiven, denn durch Leben. Das direkte Umfeld bietet zahlreiche das steigende Alter in der Bevölkerung steigt Optionen einer aktiven Freizeitgestaltung. auch die Nachfrage nach qualifizierten Pfle- gefachpersonen. Zusätzlich bieten wir eine fundierte und ab- wechslungsreiche Ausbildung inklusive Be- Die Bewohnerstruktur stationärer Pflegeein- ratung in allen Fragen rund um das Thema richtungen hat sich in den letzten Jahren ins- Altenpflege. Die kontinuierliche Begleitung gesamt bedeutend verändert. Es sind zuneh- der Auszubildenden in der Einrichtung ist ge- mend sowohl schwerst-pflegebedürftige als sichert. auch gerontopsychiatrisch Erkrankte zu ver- sorgen. Menschen mit Demenz haben eine Das Ausbildungskonzept ist praxisorientiert andere innere Welt und benötigen deshalb nach dem Altenpflegegesetz: D„ ie Ausbil- eine andere äußere Welt. Wie diese Welt dung in der Altenpflege soll Kenntnisse, Fä- auszusehen hat ist zwar beschrieben worden, higkeiten und Fertigkeiten vermitteln, die zur wird in der Praxis aber kaum diskutiert. Die selbstständigen und eigenverantwortlichen Gestaltung ist bunt, nostalgisch und thema- Pflege einschließlich der Beratung, Beglei- tisch. Jeder Bewohner wird entsprechend der tung und Betreuung alter Menschen erfor- Philosophie des Hauses als einzigartige Per- derlich sind.“ (§3 Abs. 1 Altenpflegegesetz) sönlichkeit erkannt und genießt individuell abgestimmte Betreuungsangebote. Die Ausbildung besteht aus theoretischem und praktischem Unterricht und einer prakti- Gemeinschaftliche Aktivitäten stärken das schen Ausbildung. Die praktische Ausbildung körperliche und seelische Wohlbefinden; der hat einen Umfang von mindestens 2.500 Kontakt mit anderen Menschen macht Freu- Stunden. Der Unterricht umfasst mindes- de und gibt dem Leben eine ganz besondere tens 2.100 Stunden und wird in Altenpflege- Qualität. Die Angebote werden auf die un- schulen erteilt. Die betriebliche Ausbildung terschiedlichen Wünsche und Bedürfnisse der wird mit kooperierenden Altenpflegeschulen Bewohner abgestimmt.

55 neben spaziergängen und ausflügen, stadt- geschulte Mitarbeiter aus den bereichen bummeln mit einkauf, dem besuch von se- altenpflege, gesundheits- und kranken- niorentreffs innerhalb und außerhalb unseres pflege, gerontopsychiatrie sowie hauswirt- hauses, regelmäßigen kirchgängen, kulturel- schaftliche Präsenzkräfte haben sich zum ziel len angeboten und dem gemeinsamen Vor- gesetzt, vorhandene Fähigkeiten und ent- bereiten von Festen und Feiern, bieten wir ein wicklungspotentiale zu erkennen, zu fördern umfassendes Programm mit speziellen akti- und zu stabilisieren. vitäten, das den Wünschen und neigungen der einzelnen immer wieder angepasst wird. das individuelle Wohlbefinden der uns anver- dabei berücksichtigen wir auch, dass nicht trauten Menschen hat dabei auch in zukunft jeder einzelne bewohner an den gruppenan- oberste Priorität. geboten teilnehmen kann oder möchte. Für diese Menschen bieten wir zusätzlich auch einzelbetreuung an. die einzelbetreuung er- hält und fördert die identität und autonomie eines jeden einzelnen.

hierzu ist ein weitreichender trend mit einer Fusion von pflegerischen und pädagogischen betreuungsleistungen erforderlich, um die bestmögliche gestaltung der Lebensqualität unterstützen zu können. eine umfassende begleitung, Pflege undbetr euung wird in die- sem zusammenhang mit den besonderen und komplexen anforderungen im bereich der psychischen, kognitiven und körperlichen as- pekte der Pflege in kombination angestrebt.

unser auftrag orientiert sich an der betreu- ung und Pflege der Menschen für die wir un- sere angebote unterbreiten.

Wir entwickeln dabei unsere angebote kon- tinuierlich weiter.

die transparenz- und Qualitätssicherung wird durch eine regelmäßige externe Qualitäts- überprüfung garantiert. die ktQ-rezertifizie- rung und die erfolgreichen Überprüfungen des Medizinischen dienstes der Pflegekassen belegen eine hohe Pflegequalität und eine sehr gute bewohnerorientierung.

56 LWL-Pflegezentrum Marsberg „Haus Stadtberge“

57 LWL-WohnVerbund Marsberg

der LWL-Wohnverbund Marsberg ist eine Förderzentrum (WPFz), heute LWL-Wohnver- einrichtung der behindertenhilfe mit statio- bund Marsberg, ein. das WPFz setzte sich nären, teilstationären und ambulanten ange- zusammen aus dem Pflegezentrum (Weist boten in den bereichen Wohnen, beschäfti- 45) und aus den beiden Förderzentren. somit gung und arbeit, sowie therapie und Freizeit. vollzog man die trennung von behandlung in an 2 standorten (bredelarer straße und einem psychiatrischen krankenhaus und be- Weist) werden bewohnerinnen und bewoh- treuung und Förderung in einem heim für die ner, klientinnen und klienten im rahmen der ehemaligen Patientinnen und Patienten der eingliederungshilfe für Menschen mit behin- nicht-behandlungsbereiche des st. Johan- derungen nach sgb xii sowie nach sgb Viii nes-stifts und der Westfälischen klinik. in den unterschiedlichsten Wohnformen be- treut und gefördert. 1999 wurde karl-Josef Feischen die fachliche Leitung des Förderbereichs i übertragen. er die gründung des Wohnverbundes begann entwickelte das konzept für eine sozialthe- im Jahr 1996. am 14. november beschließt rapeutische Wohngruppe für jüngere Men- der Landschaftsverband Westfalen-Lippe schen im alter von 16 bis 30 Jahren mit kom- (LWL) die satzung für die Westfälischen Pfle- plexen störungsbildern. im Förderbereich ii ge- und Förderzentren. zum 1. Januar 1997 plante man eine tagesstätte für Menschen richtete der LWL das Westfälische Pflege- und mit psychischer erkrankung mit 15 Plätzen

58 als teilstationäres Angebot. Beide Projekte gebote des Vereins Aktion Rehabilitationshil- und ein stationäres Betreuungsangebot mit fe Marsberg e.V.: „Ambulant Betreutes Woh- 10 Plätzen für Menschen mit Abhängig- nen für psychisch kranke Menschen sowie keitserkrankungen wurden im Jahr 2000 ver- chronisch mehrfach beeinträchtigte abhän- wirklicht. gigkeitskranke Menschen (CMA)“ und die „Kontakt- und Beratungsstelle für psychisch 2002 wird Herr Feischen verabschiedet. Die kranke Menschen“. Hiermit verbunden ist bisher stellvertretende Fachbereichsleite- die Übernahme des kompletten Mitarbeiter/ rin, Gabriele Wacker, führt kommissarisch Mitarbeiterinnen-Teams sowie aller Betreu- die Dienstgeschäfte im Förderbereich I. Im ungsverträge der Klientinnen und Klienten gleichen Jahr wird das tagesstrukturierende des Vereins. Angebot der Grußkartenproduktion einge- richtet. Bis heute werden die Produkte zum Im stationären Bereich werden eine Wohn- Verkauf angeboten. gruppe und eine Tagesförderstätte für Men- schen mit autistischer Störung in Betrieb ge- 2003 erfolgt die Zusammenfassung der bei- nommen. Aufgrund steigender Nachfrage den Förderbereiche I und II. Andrea Engel- bietet der Wohnverbund das Betreuungsan- mann wird als Fachliche Leiterin für beide gebot „Kurzzeitwohnen“ an. Standorte eingesetzt. Beatrice Maciejczyk und Gabriele Wacker werden als stellvertre- 2006 wird mit dem Kostenträger der Abbau tende Fachliche Leiterinnen benannt. von 25 stationären Plätzen zu Gunsten des Ambulant Betreuten Wohnens vereinbart Im selben Jahr wird das Betreuungsangebot und umgesetzt. Seither wird auch im Kreis „Ambulant Betreutes Wohnen in Familien/ Fa- Höxter Ambulant Betreutes Wohnen ange- milienpflege“ konzipiert, umgesetzt und um boten. den Bereich „chronisch mehrfachgeschädigte abhängigkeitskranke Menschen“ erweitert. 2007 erfolgt zur Markenbildung des LWL erneut eine Namensänderung von Westfäli- Als ein Instrument zur Qualitätssicherung scher Wohnverbund Marsberg in LWL-Wohn- findet im Jahr 2003 die erste EFQM-Selbst- verbund Marsberg. bewertung statt (European Foundation for Quality Management). Seither wird sie regel- 2008 entsteht eine Wohngruppe für Men- mäßig alle 2 Jahre durchgeführt. Zur weite- schen mit chronisch psychischer Erkrankung, ren Qualitätssicherung entwickelte man in die aus dem Maßregelvollzug langzeitbeur- Kooperation mit allen LWL-Wohnverbünden laubt sind. ein umfangreiches Qualitätshandbuch. Im Dezember 2008 wird das Gesetz über das Gemäß der Namensänderung der LWL-Klini- Wohnen mit Assistenz und Pflege inE inrich- ken und Wohnverbünde wird aus dem WPFZ tungen (Wohn- und Teilhabegesetz – WTG) der Westfälische Wohnverbund Marsberg. eingeführt, das in Nordrhein-Westfalen das In den kommenden Jahren führte man die bisherige Heimgesetz ersetzt. Insbesondere beiden Standorte zusammen. Die Betreu- die Auflagen des WTG zur räumlichen Aus- ungsangebote werden ganz unter dem Mot- stattung machen im Wohnverbund Neu- und to „ambulant vor stationär“ differenziert. Es Umbauten notwendig. entstehen öffentlich wirksame Projekte zur Integration und Inklusion von Menschen mit 2009 tritt in Deutschland die UN-Behinder- Behinderung. tenrechtskonvention mit dem zentralen The- ma Inklusion in Kraft. Jeder Mensch soll die Am 1. Januar 2005 übernimmt der damalige Möglichkeit haben, sich gleichberechtigt an Westfälische Wohnverbund die Leistungsan- allen gesellschaftlichen Prozessen zu betei-

59 ligen und das völlig unabhängig von seinen Bürgerinnen und Bürger über aktuelle psy- individuellen Fähigkeiten, Geschlecht, Alter, chiatrische Themen informieren. sozialer oder ethnischer Herkunft. Öffentliche Auftritte der vielen Gruppen des Durch die Neufassung der Betriebssatzung Wohnverbundes tragen dazu bei, Barrieren und Dienstanweisung zur Geschäftsvertei- zwischen Menschen mit und ohne Behinde- lung erhält der Wohnverbund – analog zu rung abzubauen. den Kliniken – gemeinsam mit dem Pflege- zentrum eine eigene Betriebsleitung. Der Seit Gründung des Bewohner/innen-Chores Kaufmännische Direktor, die Leiterin des im Jahr 2003 finden egelmäßigr Konzerte Wohnverbundes sowie Leiter des Pflegezen- statt. Ein Höhepunkt stellt dabei das im Som- trums sind nun gleichberechtigte Mitglieder mer 2010 aufgeführte Musical-Event „I have der Betriebsleitung. a dream“ dar. Die „Shanti Singer“ nehmen mittlerweile an vielen Veranstaltungen auch 2009 wird die Arbeitsförderstätte „Schäfer- außerhalb des Wohnverbundes teil (z.B. „Day hof Drude“ in -Welda eröffnet. 2 of Song“). Jahre später werden in Warburg ein Apart- menthaus für Menschen mit psychischer Er- Der „TraumCircus“ des Wohnverbundes tritt krankung sowie eine Beratungsstelle in Be- erstmalig 2006 anlässlich des Besuchs des trieb genommen. WM-Trucks in Marsberg auf. In den kom- menden Jahren wird die Formation, die sich 2012 wird ein Kooperationsvertrag zwischen zusammensetzt aus Menschen mit und ohne dem LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Behinderung, zu vielen öffentlichen Ver- Stiftung Kloster Dalheim, und dem Wohnver- anstaltungen eingeladen u.a. zur Grünen bund geschlossen. Dadurch ist eine weitere Woche nach Berlin, zur Landesgartenschau strukturierende Tätigkeit – „Gartenpflegear- nach Hemer und zur bisher einzigartigen beiten im Kloster Dalheim“ – außerhalb des Gala „Bühne für Helden“ in Bremen mit aus- Wohnverbundes möglich. schließlich integrativen Künstlergruppen.

Im gleichen Jahr erhält der Wohnverbund Der LWL-Wohnverbund Marsberg ist heute vom HSK eine Förderung für das einjährige eine moderne Einrichtung für Menschen mit Projekt „Ambulant vor stationär – selbststän- geistiger Behinderung, psychischer Erkran- diges Leben in der eigenen Wohnung“. Auch kung und/oder Abhängigkeitserkrankung Menschen mit einem geringen Hilfebedarf und hat ein eigenes Profil entwickelt.D ie Ein- und ohne psychische Erkrankung können richtung gliedert sich in stationäre und teilsta- nun vom Team Betreutes Wohnen (BeWo) tionäre Angebote sowie ambulante Dienste. betreut werden. In den Wohngruppen an beiden Standorten 2013 wird die Wohngruppe für Bewohnerin- Bredelarer Straße und Weist sowie den vielen nen und Bewohner, die aus dem Maßregel- Außenwohngruppen werden zurzeit im Rah- vollzug langzeitbeurlaubt sind, um ein offen men der Eingliederungshilfe 372 Menschen geführtes Angebot erweitert. betreut und gefördert. Grundlage unseres Handelns ist die Überzeugung, dass Men- Die LWL-Tagesstätte für Menschen mit psy- schen mit Behinderung die Fähigkeit und die chischer Erkrankung wird um 5 Plätze erwei- Chance zu einem möglichst normalen und tert. weitgehend selbstbestimmten Leben haben.

Gemeinsam mit der Kontakt- und Bera- Seit Bestehen des Ambulant Betreuten Woh- tungsstelle Marsberg werden regelmäßige nens hat sich diese Form der Betreuung zu Vortragsreihen organisiert, die interessierte einem entscheidenden und wichtigen Be-

60 standteil der gemeindenahen psychiatri- in Familien/Familienpflege ist mit aktuell 16 schen Versorgung entwickelt. das beWo gastbewohnerinnen und -bewohnern ein des LWL-Wohnverbundes Marsberg betreut wesentlicher baustein zur betreuung von – im hochsauerlandkreis und kreis höxter Menschen mit behinderung. entsprechend – derzeit 160 klientinnen und klienten mit der Vorgaben „ambulant vor stationär“ wird einer psychischen erkrankung, einer ab- der bereich beWo – sowohl im hsk als auch hängigkeitserkrankung oder einer geistigen im kreis höxter – zunehmend an bedeutung behinderung. auch das betreute Wohnen gewinnen.

61 LWL-Wohnverbund Marsberg

62 enge Verbindung der LWL-einriChtungen Mit der stadt Marsberg

seit 200 Jahren gibt es eine sehr enge Ver- stadtbild und schon früh gab es in Marsberg knüpfung zwischen der psychiatrischen klinik das angebot der Familienpflege. orV diesem bzw. den heutigen psychiatrischen LWL-ein- hintergrund ist es in Marsberg insgesamt zu richtungen und der stadt Marsberg: die ein- einer besonderen empathie, Wertschätzung richtungen liegen mitten in der stadt und und toleranz für psychisch kranke Menschen sind mit ihren heute fast 1.700 Mitarbeitern gekommen. heute engagieren sich viele der größte arbeitgeber am ort. Viele Mitar- Marsberger bürgerinnen und bürger ehren- beiter leben in Marsberg und arbeiten zum amtlich für Patienten und bewohner. so ge- teil schon seit generationen „beim LWL“. sehen ist die ganze stadt Marsberg seit 200 schon früh gehörten die Patienten zum Jahren „gelebte inklusion“.

Blick auf die Stadt Marsberg 2014

63 die betriebsLeitungen der LWL-einriChtungen Marsberg iM Jahr 2014

hildegard bartmann-Friese Pd dr. stefan bender Jörg dondalski andrea engelmann eyk schröder dr. Mareike schüler-springorum Josef spiertz Michaela Vornholt

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