Alpingeschichte kurz und bündig Vent im Ötztal Hannes Schlosser Gedruckt nach der Richtlinie des Österreichischen Umweltzeichens „Druckerzeugnisse“, Sterndruck GmbH, Nr. UW 1017

Die Initiative „Bergsteigerdörfer” ist ein Projekt des Österreichischen Alpenvereins und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus und des Europäischen Land- wirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert. Seit 16. September 2016 sind die „Bergsteigerdörfer“ zudem ein offizielles Umsetzungsprojekt der Alpenkonvention. Alpingeschichte kurz und bündig Vent im Ötztal

Hannes Schlosser

Österreichischer Alpenverein 2., aktualisierte Auflage, Innsbruck 2020

Inhalt

Vorwort 6 Daten und Fakten 9 Seit 10.000 Jahren über die Jöcher 15 „Die Bettler kemmen olle einerwärts“ 21 Vents berühmtester Ferner 29 Frühe Reisende und erste Gipfelsiege 39 Baumeister für den Alpentourismus 45 Der Weg zum organisierten Bergführerwesen 57 Acht Hütten 63 Die Sektion Mark Brandenburg 77 Bergsteigerinnen 83 Der Tourismus setzt sich durch 91 Vent bleibt Bergsteigerdorf 101

Verwendete Literatur und Quellen 111 Bildnachweis 115 Serie Alpingeschichte kurz und bündig 116 Tagungsbände Bergsteigerdörfer 118 Adressen 119 Bergsteigerdörfer 121 Danksagung 122 Impressum 122 6

Vorwort

Mit der Unterzeichnung des Memo- die im Gebirge lebende Bevölke- randum of Understanding am 16. Sep- rung sollte den Berg für Reisende tember 2016 in Vent, ist die Initiative zugänglicher machen, TouristInnen Bergsteigerdörfer der Alpenvereine Herbergen bereitstellen, sich ihnen als offizielles Umsetzungsprojekt der als Bergführer und Träger anbieten. Alpenkonvention geadelt worden. Die Die Bergwelt in ihrer Schönheit sollte Bergsteigerdörfer sind damit Leucht- nicht Besitz Einzelner sein, sondern turmprojekt für eine nachhaltige Ent- aller, die sie genießen wollen. wicklung im Alpenraum, wie sie das Übereinkommen zum Schutze der Das Vermächtnis des Gletscherpfar- Alpen als Ziel formuliert. rers Senn bleibt bis heute Grundstein Die Orte hinter den Bergsteiger- für den Erfolg der Bergsteigerdörfer. dörfern mit ihren Menschen gab es Dieser frühe Alpintourismus trägt lange bevor die Alpenkonvention auch heute noch zur wirtschaftlichen und ihre Durchführungsprotokol- Existenz entwicklungsschwacher le beschlossen wurden. Auch ihre und abgeschiedener Alpentäler bei, Alpingeschichte reicht weit zurück. denen Bevölkerungsschwund sowie Franz Senn, 1869 einer der Gründer- der Verlust öffentlicher Dienstlei- väter des Deutschen Alpenvereins stungen und Grunddaseinsfunkti- und Kurat in Vent, dem Bergsteiger- onen zusetzen. Die Alpenkonvention dorf im hinteren Ötztal, hatte Mitte unterstützt diese Orte. In dem Be- des 19. Jahrhunderts im alpinen wusstsein, dass das natürliche und Tourismus das Potential erkannt, zur kulturelle Erbe sowie die Landschaf- dauerhaften Besiedelung der Alpen- ten wesentliche Grundlagen für den täler und zu einem Zusatzverdienst Tourismus in den Alpen sind, ver- für die BergbewohnerInnen beizu- pflichtet das Tourismusprotokoll der tragen. Beharrlich organisierte Senn Alpenkonvention zu einer Politik, die das Bergführerwesen, verwandelte die Wettbewerbsfähigkeit des natur- sein Widum in eine Talherberge, ließ nahen Alpentourismus stärkt. Wege bauen und einfache Hütten Die beteiligten Alpenvereine rich- zum Schutz der Bergsteiger. Auch ten ihr besonderes Augenmerk 7

in der Umsetzung der Initiative cherInnen und Gästen bei und bietet Bergsteigerdörfer auf die Deklara- auch der einheimischen Bevölkerung tion Bevölkerung und Kultur. Darin bessere Einblicke in die Alpinhistorie.“ werden der Respekt für die Bedürf- ÖAV, DAV und AVS haben 2013 in nisse, Wünsche und Vorstellungen ihrem Grundsatzprogramm zum der einheimischen Bevölkerung als Naturschutz ihr Bekenntnis erneu- Grundvoraussetzung für die Iden- ert, das von den acht Alpenstaaten tifikation mit der Alpenkonvention und der EU gemeinsam getragene und einen partnerschaftlichen Dia- Vertragswerk der Alpenkonvention log hervorgehoben. zu fördern und umzusetzen. Mit der Peter Haßlacher, der 2019 verstor- Verankerung der Bergsteigerdörfer bene Doyen der Alpinen Raumord- im Grundsatzprogramm bekräftigen nung und gemeinsam mit Roland die Alpenvereine ihre Solidarität mit Kals Ideengeber der Initiative, for- diesen kleinen Berggemeinden ab- mulierte: seits des Massentourismus. „Für den ÖAV stellen der Alpinismus Wir bedanken uns beim Ministerium sowie die Tätigkeit der alpinen Vereine (BMNT, vormals BMLFUW) für die von der Pionierzeit bis herauf zu den jahrelange finanzielle und wertvolle von der einheimischen Bevölkerung ideelle Unterstützung der Bergstei- mitgetragenen Ausprägungen einen gerdörfer. ganz wesentlichen Bestandteil des Ein besonderer Dank gilt dem Autor dörflichen und regionalen Kulturerbes dieses Bandes zur Alpingeschichte und der Identität der Menschen dar. des Bergsteigerdorfes Vent im Ötz- Neben der Darstellung des alpintouris- tal sowie allen, die mit ihrem Wissen tischen Angebots stellt deshalb die Auf- oder ihrer Mitarbeit einen Beitrag arbeitung der Alpingeschichte dieser dazu geleistet haben. Orte in kurzer und bündiger Form ei- nen Meilenstein im Gesamtmosaik des Liliana Dagostin Projektes dar. Das Ergebnis trägt zur Leiterin der Abteilung vertieften Einsicht in die alpinistische Raumplanung und Naturschutz des Entwicklung der Gemeinden bei Besu- Österreichischen Alpenvereins © BEV KM250R 22. 01.2020, Originialmaßstab 1:250.000 9

Daten und Fakten

Seehöhe

Die Kirche von Vent steht auf 1.895 mit 3.774 m nicht nur der höchste m Seehöhe. In Rofen (2.014 m) Venter Gipfel, sondern nach dem befindet sich der am höchsten Großglockner (3.798 m) der zweit- gelegene ständig besiedelte Wei- höchste Berg Österreichs und der ler Österreichs. Die ist höchste Tirols.

Fläche

Vent ist eine Fraktion der Gemeinde grenze (Hintere Schwärze, Similaun, Sölden, eine präzise Flächenangabe Nieder- und Hochjoch, Weißkugel ist daher nicht möglich. Sölden ist und Langtauferer Spitze). Nach mit 467 km² die größte Gemeinde Nordwesten und Norden sind es Österreichs, rund ein Viertel davon die Sölder Gemeindegrenzen zum ist Vent zuordenbar. Kauner- und Pitztal (St. Leonhard) Die Abgrenzung des Venter Gebie- mit der und der tes erfolgt nach Süden hin entlang Wildspitze als prominentesten des Ramolkamms, verläuft dann „Grenzbergen“. Im Venter Tal endet im Uhrzeigersinn am südlichen Al- das Fraktionsgebiet zwischen Vent penhauptkamm entlang der Staats und dem Weiler Winterstall.

EinwohnerInnen

Mitte 2019 hatte Vent 136 Einwoh- 50 Menschen in Vent gelebt, 1935 nerInnen mit Hauptwohnsitz. Zu- deren 70, und 1960 waren es etwa vor war diese Zahl zwei Jahrzehnte 100 gewesen. Mit Beginn des Schul- lang mit geringen Schwankungen jahres 2019/20 wurde die Volks- bei 150 gelegen. 1860 hatten rund schule Vent stillgelegt, nachdem 10

diese zuletzt nur noch zwei Schü- nach Sölden zum Schulbesuch aus- lerInnen besucht hatten. So, wie pendeln, trifft das nun auch die jün- die 10- bis 14-Jährigen schon lange geren Kinder.

Hütten

Auf Venter Gebiet befinden sich Hospiz, Vernagthütte, Breslauer vier Hütten des DAV: Hochjoch- Hütte und Martin-Busch-Hütte.

Vent gegen Nordosten mit den Stubaier Alpen 11

Vier weitere Hütten sind für das al- (Gemeinde Kaunertal) sowie Simi- pintouristische Angebot des Ortes laun- hütte und Schöne Aussicht/ unverzichtbar: die beiden DAV-Hüt- Bella Vista (beide befinden sich in ten Ramolhaus (Gurgl/Gemeinde Privat- besitz und stehen auf italie- Sölden) und Brandenburger Haus nischem Staatsgebiet).

Touristische Betten

An die 900 touristische Betten im den acht Hütten rund um Vent mit Talort Vent – diese Zahl ist seit rund circa 800 nur knapp unter den Ka- vier Jahrzehnten stabil. Im Sommer pazitäten im Talort. liegt die Zahl der Schlafplätze in

Nächtigungen (ohne Hütten)

Seit Mitte der 2000er-Jahre werden Breslauer Hütte und Martin-Busch- auch die Hüttennächtigungen sta- Hütte) 24.898 Nächtigungen (da- tistisch erfasst. 2018 verzeichneten von über 80 Prozent im Sommer- die vier Hütten auf Venter Boden halbjahr). (Hochjoch-Hospiz, Vernagthütte, 12

Geographie

Vent liegt im Zentrum der Ötztaler prägen die Gletscher rund um Vent Alpen. Aus dieser Gebirgsgruppe nach wie vor die Landschaft. ragen sieben der zehn höchsten Das Ötztal ist das längste Seitental freistehenden Gipfel Österreichs des Inntals. Von seinem Ausgangs- auf. Eine Liste der längsten und punkt am Zusammenfluss von Ötz- mächtigsten Gletscher Österreichs taler Ache und Inn sind es 42 Kilo- weist dem kleinen Bergsteigerdorf meter bis Zwieselstein, wo sich kurz eine ähnliche Bedeutung zu: hinter dem Hauptort Sölden das Tal Nirgendwo sonst in den Ostalpen teilt („zwieselt“): liegen so viele Gletscher quasi vor nach Südosten ins Gurgler Tal und der Haustüre. Dem dramatischen nach Südwesten ins 14 Kilometer Rück- gang der Ferner – wie sie lange Venter Tal, an dessen Ende hier genannt werden – zum Trotz sich Vent befindet.

Vent – Wo vieles begonnen hat

Im Widum des Venter Kuraten Franz Initiativen zum Bau von alpinen Senn trafen sich jene Männer, von Wegen und Schutzhütten hat Senn denen 1869 die Gründung des in Vent beispielhaft in die Wege Deutschen Alpenvereins ausging. geleitet, sorgte für die gezielte Aus- Die Initiative war in Abgrenzung bildung von Bergführern, und die zum 1862 gegründeten Oesterrei- erste Bergführerordnung wurde chischen Alpenverein entstanden, entwickelt und niedergeschrieben. der Senn und seinen Mitstreitern Zugleich ist Vent aber auch die Wie- zu wenig touristisch orientiert war. ge der Gletscherforschung in den 1873 erfolgte die Fusion zum Deut- Ostalpen. Für keinen anderen Ort schen und Oesterreichischen Al- gibt es umfassendere und weiter penverein (DuOeAV). zurückreichende Datenreihen. 13

Das betrifft vor allem den Vernagt- mers wie winters mit einer Vielzahl ferner, der bei seinen Vorstößen in an Touren in allen Schwierigkeits- die Rofenschlucht riesige Gletscher- graden, bietet aber auch Bergwan- seen aufstaute. Deren Ausbrüche, derern dank seines hervorragenden mit wiederholt verheerenden Fol- Hütten- und Wegenetzes fantas- gen für das gesamte Ötztal, waren tische Möglichkeiten. es, die Naturwissenschaftler schon Keines der österreichischen Berg- vor über 400 Jahren anregten, das steigerdörfer ist seit bald zwei Jahr- Phänomen Gletscher besser ver- hunderten besser dokumentiert als stehen zu wollen. Heute liefert die Vent. Dieses kleine Buch kann da- Gletscherforschung am Vernagt- her, aus der Fülle des vor-handenen und Hintereisferner wichtige Daten Materials schöpfend, viele Aspekte im Nachweis des Klimawandels. nur skizzieren und muss andere Seit 1981 sind 395 km² der Ötztaler ganz weglassen. Ziel dieser Alpin- Alpen zum Ruhegebiet erklärt – das geschichte ist es, historisches Wis- erste seiner Art in Tirol. Aufgrund sen und Verständnis zu vermitteln seiner Lage ist Vent zum Bergstei- – als Basis und Verpflichtung für gerdorf prädestiniert. Es lockt som- Vents Zukunft als Bergsteigerdorf.

Manchmal genügt ein kleiner Gipfel, um stolz auf sich zu sein – oder einfach glücklich. 14

Relief Ötztaler Alpen, 1878, Holz bemalt, von G. Imkemair (auch M. Imkedemeier): der Ausschnitt zeigt Vent (unten, in der Mitte) und das Pitztal (oben, links der Mitte) 15

Seit 10.000 Jahren über die Jöcher

Am 19. September 1991 stieß das der Staatsgrenze auf italienischem Nürnberger Ehepaar Erika und Gebiet liegt, befindet sich Ötzis Helmut Simon unweit des Tisen- klimatisierte, gläserne (Un-)Ruhe- jochs auf 3.210 m Seehöhe auf stätte im 1998 eigens errichteten eine mumifizierte Leiche. Von der Archäologiemuseum in Bozen und nahen Similaunhütte am Nieder- nicht in Innsbruck. joch (3.019 m) wurde deren Ber- Für viele Wissenschaftszweige ist gung veranlasst. Als das Alter von der Fund deshalb so bedeutungs- „Iceman“ vulgo „Mann vom Haus- voll, weil es weltweit keinen ande- labjoch“ mit rund 5.300 Jahren ren so alten und zugleich so gut feststand, war eine Weltsensation erhaltenen menschlichen Körper geboren. Durchgesetzt hat sich für gibt. Kleidungsreste und Beifunde, die Gletscherleiche der Name „Ötzi“, darunter ein Kupferbeil, erlaubten geprägt von einem Journalisten der weitere Einblicke in prähistorische Wiener „Arbeiter-Zeitung“. Lebensumstände. Ötzi war nach Weil der Fundort 90 Meter jenseits seinem – wie wir inzwischen wis-

Die Ötzi-Fundstelle beim Tisenjoch 16

aufwiesen wie heute. Danach war Ötzi über fünf Jahrtausende unter Eis begraben, an einer der seltenen Stellen eines Gletschers, an dem das Eis sich nicht bewegte. Die Ötzi-For- schung hat bewiesen, dass bereits vor über 5.000 Jahren Menschen über die Jöcher zwischen Schnals- Steinzeitliches Jagdlager nahe Vent und Ötztal hin- und herwanderten. Begünstigt durch den Ötzi-Boom, sen – gewaltsamen Tod quasi ge- wurden im hinteren Ötztal und im friergetrocknet worden, und der Schnalstal die archäologischen For- Zufall wollte es, dass zu seinem To- schungen intensiviert. Inzwischen ist deszeitpunkt die Gletscher in der gewiss, dass im Gebiet des heutigen Region einen ähnlichen Tiefstand Vent schon seit knapp 10.000 Jahren

Der „Hohle Stein“, frühzeitlicher Unterstand und Arbeitsplatz 17

Menschen über den Alpenhaupt- geschichtlichen menschlichen Ak- kamm hinweg agieren. 1994 ist tivitäten. Ganz in der Nähe gibt es man, einige Gehminuten von Vent abseits des Wegs ins Niedertal eine entfernt, auf dem Weg ins Rofental, zweite prähistorische Fundstelle: auf die Spuren eines steinzeitlichen Am „Hohlen Stein“, einem vier Me- Jagdlagers gestoßen. Unter den ter hohen, überhängenden Fels- tausenden gefundenen Bruchstü- block, haben Jäger zwischen dem cken befand sich aus der Garda- achten und vierten Jahrtausend v. seeregion stammendes Feuerstein- Chr. Schutz gesucht – und dabei material. Vor 4.000 Jahren war an Spuren hinterlassen. Sie hatten gleicher Stelle eine Weide für Scha- Feuerstellen zur Verwertung der fe und Ziegen. Heute erinnern die Jagdbeute eingerichtet, es wurden Nachbildung eines Flugdachs im aber auch Werkzeuge und Jagdu- Zentrum des früheren Lagerplatzes tensilien aus Holz, Knochen und und Informationstafeln an die vor- Geweih hergestellt.

Schaftrieb

Vermutlich ist es kein Zufall, dass Rofental sind seit 1357 belegt. Aus der „Hohle Stein“ an der Grenze dem Jahre 1415 stammt die das des Grundeigentums der Schnalser Niedertal betreffende Urkunde, in Schafbauern im Niedertal steht. Bis der die Weidenutzung zwischen heute ist der Schaftrieb über das den Venter und Schnalser Bauern Hoch- und Niederjoch auf die som- geregelt wird. Die Schnalser wurden merlichen Weiden im Rofen- und Grundeigentümer und sind es bis Niedertal ein lebendiger Beweis da- heute geblieben. Der Agrargemein- für, dass Vent vom Süden her besie- schaft Rofenberg (acht Schnalser delt worden ist und nicht über das Bauern) gehören im Rofental 745 ha Ötztal. und der Alminteressentschaft Nie- Die Weiderechte der Schnalser im dertal (21 Schnalser Bauern) im Nie- 18

dertal sogar 2.177 ha. Gegenwärtig werden alljährlich Mit- te Juni rund 2.000 Schafe von Ver- nagt über das Niederjoch (3.019 m) und rund 1.500 Schafe von Kurzras über das Hochjoch (2.810 m)* auf die saftigen Ötztaler Weiden getrie- ben. Mitte September geht es den gleichen Weg zurück, der je nach Witterung um die zwölf Stunden in Anspruch nimmt. Den Abschluss Eine Gruppe von Schafen erreicht das bildet in Vernagt die „Schofschoad“ Niederjoch; im Hintergrund Ortler und (das Trennen der Schafe), die in ein Königsspitze Volksfest übergeht. Für die Scha- fe geht es anschließend mit dem

„Schofschoad“ in Vernagt Mitte September 19

Lkw in die heimatlichen Ställe im fällen. So sollen einmal bei der Schnalstal und mittleren Vinschgau, Rückwanderung über das Gurgler nur mehr wenige legen auch diesen Eisjoch 1.300 Schafe und sämtliche Weg noch zu Fuß zurück. Begleiter bis auf zwei Hirten ums In den letzten Jahrzehnten ist die Leben gekommen sein. Gesichert Zahl der an der „Transhumanz“ (lat. sind die Ereignisse von 1979, als un- trans = hinüber, humus = Erdbo- terhalb des Niederjochs 70 Schafe den, Gegend) beteiligten Schafe im Schneesturm erstickten. kontinuierlich zurückgegangen. Während am Schaftrieb um die 20 Ende der 1970er-Jahre waren es mit Treiber samt Hunden beteiligt sind, rund 7.000 noch doppelt so viele übernimmt die Betreuung im Nie- gewesen wie heute. Aufzeichnun- der- und Rofental den ganzen Som- gen darüber, wann in der Region mer über jeweils ein einsamer Schä- mit dieser uralten Form der Weide- fer. 2011 wurde die abgewohnte wirtschaft begonnen worden ist, Schäferhütte unterhalb der Martin- gibt es nicht. Allerdings reichen Busch-Hütte durch ein geräumiges Spuren nomadisierender Viehhalter neues Haus am 80 Höhenmeter tie- über die Jöcher hinweg 6.000 Jahre fer gelegenen Ochsenleger/Kaser zurück – also über Ötzi hinaus. ersetzt. Es ist ein eindrucksvolles Erlebnis, 2011 ist der Schaftrieb in das Na- die Schafe auf ihrer Wanderung zu tionale UNESCO-Verzeichnis des begleiten, wenn sie sich dicht anei- Immateriellen Kulturerbes in Öster- nandergereiht als Wollfaden über reich aufgenommen worden. den Gletscher oder die Schneefel- der bewegen. Bei Schlechtwetter * Die Bezeichnungen Hoch- und Niederjoch sind kann es allerdings rasch gefährlich älter als genaue Messungen über deren tatsäch- werden. Das galt vor allem für den liche Höhe. Daher konnte es passieren, dass das 1962 eingestellten, besonders spal- „Niederjoch“ deutlich höher als das benachbar- tenreichen Weg über das Gurgler te „Hochjoch“ ist. Eisjoch (3.154 m). Eine Reihe von Legenden berichten von Unglücks- 20

Vent mit Talleitspitze und Similaun; kurz nach 1900 21

„Die Bettler kemmen olle einerwärts“

Vende vallis Snals (Vent im Schnals- grund des Ötztales liegt, gehörte es tal) heißt es in einer Urkunde von der Großpfarre Tschars und der Ge- 1342. Was sich wie ein geographi- meinde Schnals sowie dem Gericht scher Irrtum liest, trifft für die poli- Kastelbell im unteren Vinschgau an. tische und soziale Geschichte von Schon sehr früh werden in Vent vier Vent über Jahrhunderte zu und Höfe erwähnt: der Oberhof, der als wirkt bis in die Gegenwart. Noch einziger rechts der Ache liegt, der heute wird gerne über die Jöcher Weinhof (so benannt wegen seiner hinweg geheiratet, und wenn die Weinschänke, die im Katasteraus- VenterInnen eine Musikkapelle zug von 1728 als „Würthstaferne“ brauchen, reisen die SchnalserIn- genannt wird), der Wieshof (wegen nen an. In Vent gab und gibt es seiner besonders guten Wiesen) weder eine Musikkapelle noch eine und der Kellerhof (wohl so genannt, Schützenkompanie. weil hier Käse und Schmalz für den Die erste urkundliche Erwähnung Grundherrn gesammelt wurden). von Vende stammt aus 1241, eine Grundherren der Venter Höfe wa- Dauerbesiedlung ist ab 1280 nach- ren entweder der Graf von Tirol zuweisen. Die Besiedlung steht oder von diesem belehnte adelige vermutlich in Zusammenhang mit Dienstmannen im Vinschgau. dem Schaftrieb und ist jedenfalls Als fünfter Hof im Venter Gebiet aus dem Süden erfolgt. Wie in ande- kommt der eine halbe Wegstunde ren alpinen Hochtälern wurden so- oberhalb des Ortes gelegene und genannte Schwaighöfe gegründet. 1280 erstmals erwähnte Rofenhof Das waren Höfe oberhalb der Gren- hinzu (siehe S. 24/25). ze des Getreidebaus, wo nur noch Eine Besonderheit von Vent war, Weidewirtschaft und die Haltung dass es lange über keine Kirche und von Kühen und Schafen möglich vor allem keinen eigenen Friedhof war. Der Grundherr vergab diese verfügte. Eine erste Kapelle gab es Höfe gegen Pacht von 200 bis 300 1502, frühestens zu diesem Zeit- kleinen Käse-Laiben jährlich. punkt auch einen Friedhof. Bis da- Obwohl also Vent in einem Quell- hin wurden die Toten in Kastelbell 22

Vent mit Stubaier Alpen; um 1900 bestattet. Starb jemand im Winter, selbstverständliche Umgang mit wurde der Leichnam wochen- und den Toten: Wer am finsteren Spei- monatelang in einem mit einer cher etwas suchte, hat seine Later- Laterne gekennzeichneten Stadel ne ohne Bedenken an einem ausge- bzw. am Speicher aufbewahrt, bis streckten gefrorenen Finger eines der Weg wieder begehbar war. Zu Verstorbenen aufgehängt, um die den Venter Legenden zählt der Hände frei zu haben. 23

Vent kommt zum Ötztal

Das Gericht Petersberg im Inntal nach Silz. Diese Bergbauern gingen hat 1586 die Grenze zum „Vender eben lieber den etwas beschwer- Gemärk“ nördlich von Vent beim lichen, aber kürzeren Weg über das Latschbach bzw. Taufkarbach ge- ihnen sehr vertraute Joch, als den zogen. Mit anderen Worten: Bis durch das langgestreckte (Ötz-)Tal.“ zum Weiler Winterstall ist das Dazu ist anzumerken, dass die gesamte Ötztal bajuwarisch be- Schluchten des Venter Tales und siedelt worden, Vent hingegen des Ötztales lange Zeit über Hö- wurzelt in der ligurisch-illyrischen henwege umgangen werden Geschichte des Vinschgaus. mussten. Eine durchgehende Stra- 1810 ordnete die damalige bay- ße taleinwärts bis Sölden gibt es ri- sche Besetzung Tirols erstmals seit 1903, bis Vent seit 1956. 1849 eine Zuteilung von Vent samt Rofen endete die Existenz als eigenstän- an das Landgericht Silz an. 1817 dige Gemeinde, und Vent wurde stellte Österreich wieder die alte wegen seiner geringen Einwohne- Eintei- lung her, ehe 1826 die end- rInnenzahl (etwa 50) als Fraktion gültige Zuordnung zum Gericht Silz der Gemeinde Sölden zugeordnet. er- folgte. Das Gericht Kastelbell Erst mit der Abtrennung Südtiro- sei im Winter monatelang nicht er- ls 1919 und der Staatsgrenze am reichbar und Vent würde in dieser Nieder- und Hochjoch wurden Zeit den „Schutz der Gesetze ent- auch die Flächen der Schnalser behren“, lautete die Begründung. Bauern Teil der Gemeinde Sölden Im von Richard von Klebelsberg und der österreichischen Gerichts- 1939 herausgegebenen Sammel- barkeit unterstellt, ohne dass band „Das Venter Tal“ schreibt sich dadurch am Grundeigen- der Historiker Otto Stolz, dass die tum der Schnalser etwas änderte. Venter lieber beim alten Gericht Kirchenrechtlich blieb Vent beson- bleiben wollten, „weil der Weg in ders lange ein Sonderfall. Solange den Vintschgau für sie näher sei als es zur Pfarre Tschars gehörte, war 24

es dem Bistum Chur unterstellt. Dekanat Silz die Zuordnung zum Erst 1826 folgte mit dem Wech- Bistum Brixen. Erst seit 1938 ge- sel zum Landgericht sowie dem hört Vent zur Diözese Innsbruck.

Sonderfall Rofen

Schon 1348 waren die Rofenhöfe vilegien erneuert, u.a. 1496 durch unmittelbar dem Burggrafen auf Kaiser Maximilian. Über Jahrhun- Schloss Tirol und damit dem Lan- derte hatte der Rofenhof das Asyl-, desherrn unterstellt. Mehrmals Jagd- und Fischereirecht, Burgfrie- wurden die damit verbundenen Pri- den (das Verbot von Feindeshand-

Rofen 1865 mit Blick ins Rofental; Zeichnung von Andreas Ziegler 25

lungen im Hoheitsbereich) und gere Zeit auf Bauernhöfen und soll Steuerfreiheit. Kein anderer Tiroler auch am Rofenhof Unterschlupf ge- Berghof verfügte über ein derar- funden haben, bis sich die politische tiges Bündel an Sonderrechten, die Situation wieder zu seinen Gunsten für den Rofenhof erst 1810 aufge- drehte. Tatsächlich haben die Son- hoben wurden. Die Steuerfreiheit derrechte des Rofenhofs zu Zeiten endete erst 1849 mit der Einge- des Herzogs bereits bestanden. meindung nach Sölden. Hartnäckig Verdient haben sich die Rofen- hält sich die Legende, wonach die bauern im Laufe der Jahrhun- Rofner ihre Privilegien der Dank- derte dadurch gemacht, dass sie barkeit von Herzog Friedrich von den immer wieder vorrückenden, Tirol („Friedl mit der leeren Tasche“) nahe gelegenen Vernagtfer- zu verdanken hätten. Der Landes- ner beobachteten und mehr- fürst war 1415 beim Konstanzer fach vor drohenden Ausbrüchen Konzil für vogelfrei erklärt worden, des Eissees warnen konnten. nachdem er in einem kirchlichen Von der Rolle der Rofenbauern Ni- Machtkampf auf der Seite eines un- codemus, Leander und Benedict terlegenen Papstes gestanden war. Klotz im frühen Alpinismus und der Friedrich versteckte sich über län- „Geierwally“ wird noch die Rede sein.

Keine armen Bauersleute

Die vier Venter Höfe (Wein-, Zusammenlegungen wieder die Wies-, Keller- und Oberhof) wurden ursprünglichen vier Hofeinheiten. im Laufe der Jahrhunderte geteilt Getreideanbau war in einer Hö- und als selbständige Doppelhöfe henlage jenseits von 1.900 m zu geführt. In Berichten aus 1810 keiner Zeit möglich. Einzig einen heißt es, Vent bestehe aus sieben kleinen Kräutergarten gab es bei bis acht Grashöfen. Im Laufe des jedem Hof, wo ein wenig Gemü- 19. Jahrhunderts entstanden durch se gedieh. Vermutlich ist es diese 26

Kargheit, die dazu beigetragen hat, in Relation zur Mehrzahl der Be- Franz Senn zuzuschreiben, er habe wohnerInnen des Ötztales und „die Venter aus tiefer Armut befreit“. insbesondere gegenüber den an- Derartige Formulierungen sind deren Weilern des Venter Tales. lediglich in der historischen Rück- Johann Jakob Staffler formu- schau entstanden und nicht bloß lierte in seiner 1839 erschienenen idealisierend, sondern falsch. Be- Landesbeschreibung für Tirol: richte aus dem 18. und 19. Jahr- „Indessen sind die Fender und Rof- hundert weisen die Venter als ner sehr fleißige und häusliche Leute wohlhabend aus – zumindest und bei ihrem schönen Viehstan-

Das Venter Tal, Blick taleinwärts; frühes 20. Jahrhundert 27

de und dem Besitze unermeßlicher bauen, aber schöne Alpenweiden Alpenweiden in gesegneten Ver- besitzen und durch Viehzucht einen mögensverhältnissen. Fast jeder ziemlichen Wohlstand unterhalten.“ Bauer verpachtet große Weidestre- Ein Befund, den auch Venter Zeit- cken für mehrere hundert Gulden.“ zeugen bestätigen. Martin Gstrein Ähnlich beschreibt es Ludwig Steub (Jahrgang 1930) hat sich in einem in „Drei Sommer in Tirol“ (1842): Gespräch im Dezember 2011 an „Es finden sich hier fünf Bauernhöfe, eine treffende Formulierung sei- und darin wohnen etliche vierzig ner Großmutter erinnert: „Die Menschen, die keine Felder mehr Bettler kemmen olle einerwärts.“

Der Oberhof befand sich als einziger Venter Hof rechts der Ache. 28

Der vorrückende Vernagtferner 1844 in einer Darstellung von Thomas Ender und ein Foto aus ähnlicher Perspektive 2011; in der Mitte die Schwarzwandspitze, an deren Fuß seit 1901 die Vernagthütte steht; rechts im Hintergrund die Hochvernagtspitze 29

Vents berühmtester Ferner

Über Jahrhunderte waren im ge- Mio. m³ Wasser. Schuf der Druck der samten Ötztal die Ausbrüche des Wassermassen eine kleine Lücke im Rofner Eissees gefürchtet. Mehr- Eisdamm, konnte das Wasser lang- mals rückte die Zunge des Vernagt- sam und schadlos abfließen. Brach ferners über steil abfallendes Gelän- der Damm aber unten und es kam de zwischen Platteiberg und den zu einer plötzlichen Entleerung, Hängen der Guslarspitzen talwärts, waren die Folgen verheerend und schob sich über die Rofenache und betrafen nicht nur das Venter- und am gegenüberliegenden Hang die das Ötztal, sondern auch das Inntal Zwerchwand hinauf. Dadurch konn- bis ins über 100 km entfernte Inns- te ein zerklüfteter, breiter Eisdamm bruck. mit einer Höhe von bis zu 150 m an- Schon vor über 400 Jahren wur- wachsen. Dahinter staute sich die de daher der Vernagtferner genau Rofenache, die den Hintereisferner beobachtet. Eine Abraham Jäger und andere Gletscher entwässert. zugeschriebene Tinten- und Aqua- Mehrfach erreichte der See eine rellzeichnung bildet den Eissee im Länge von 1,2 km bei einer Breite Jahr 1601 ab und ist die älteste be- von 250 m und einer Tiefe von 60 m. kannte bildliche Darstellung eines Sein Volumen stieg auf bis zu zehn alpinen Gletschers.

Der Rofner Eissee 1601; gezeichnet von Abraham Jäger 30

1773 brachte der Wiener Mathema- pen wird so lange und umfassend tiker Joseph Walcher die erste wis- untersucht wie der Vernagtferner. senschaftliche Abhandlung über Vent ist daher die Wiege der Glet- die Ötztaler Gletscher mit dem poe- scherforschung in den Ostalpen, tisch-nüchternen Titel „Nachrichten und es ist über die Jahrhunderte ein von den Eisbergen im Tyrol“ heraus. wichtiges glaziologisches Zentrum Kein anderer Gletscher der Ostal- geblieben.

Vier Vorstoßperioden

Der erste dokumentierte plötzliche versuchte man auch, dem Eis mit Ausbruch des Rofner Eissees datiert der Spitzhacke zu Leibe zu rücken, ins Jahr 1600. Allerdings heißt es in um dem gestauten Wasser einen einem zeitgenössischen Dokument, gefahrlosen Abfluss zu ermögli- „der grosse ferner hinter Rofen“ hätte chen. Erfolge dieser Bemühungen sich „seiner natürlichen gewohn- sind nicht überliefert. Allerdings ko- heit nach im Thal herunter gesetzet“. stete die Flutwelle vom 17. Juli 1678 Nach Berichten aus dem 14. Jahr- ein Menschenleben: hundert wurden Ötztaler Bauern „Ein einziges junges kind in der wie- vom Landesfürsten nach Über- gen zu Unterastlen hat anstatt unser schwemmungen die Ablieferungen das baad austrinken müssen, und als erlassen, es ist aber nicht klar, ob ein unschuldiges versöhnopfer sein der Eissee die Ursache war. unschuldiges leben dargegeben.“ 1601 wuchs der See auf die sechs- Die Nachricht aus dem Längen- fache Größe, und ganz Nordtirol felder Unterastlehn ist insofern be- war alarmiert, ehe es zu einer lang- merkenswert, als dieses Todesopfer samen, schadlosen Entleerung kam. offenbar das einzige nach einem Beim neuerlichen Vorstoß um 1680 Eisseeausbruch blieb. Viele Berichte kam es zu zwei plötzlichen und vier aus den Katastrophenjahren zwi- langsamen Entleerungen. Damals schen 1600 und 1850 enthalten 31

detaillierte Schilderungen über Unglück hinzu: Im Sulztal oberhalb Zerstörungen, aber nirgendwo ist von Längenfeld brach zeitgleich mit von weiteren menschlichen Flut- der Flutwelle aus dem Rofental eine opfern die Rede. Spätestens im 17. Mure los und verwandelte das Län- Jahrhundert standen der Vernagt- genfelder Talbecken in einen See. ferner und die Rofenschlucht unter Eine zeitgenössische Quelle schil- kontinuierlicher Beobachtung. Die dert das so: Ausbrüche konnten plötzlich, aber „Der hof Oberlengenfeld so vorhin nicht überraschend geschehen, ganz mosig war, ist schier völlig un- die Menschen waren gewarnt. Au- ter das wasser gesetzet worden, und ßerdem hat bis ins 20. Jahrhundert wie ein see erschienen, das ferner- niemand am Talboden an der Ache wasser bis an das untere wirthshaus gesiedelt, alle Wohngebäude waren herzugegangen. In die peut hinein an den Hängen errichtet worden. sind eißknollen, auch mobilien, und Am 17. Juli 1678 kam ein zweites varnussen mit vielen holz geschwem-

Ernest Frignet und E. Simon: Carte du Rofenthal; 1846 32

met, und der hof um anderhalb oder durch seine Hexerei den gleichzei- schier zwey ellen mit letten ausgefillet tigen Ausbruch des Ferners und der worden.“ Muhre im Fischbach veranlasste, des- Vermutlich waren warme Gewitter halb hingerichtet hat, ist für das 17. am Vortag die gemeinsame Ursa- Jahrhundert nicht verwunderlich.“ che für die Mure und den Eisdamm- Eine andere Quelle bestätigt das bruch. Unter dem Eindruck der Ka- Todesurteil durch ein Meraner tastrophe suchte man aber einen Gericht. Demnach hätte sich ein Schuldigen und zog schreckliche Wanderbursche über das schlechte Konsequenzen. Denn in einer 1892 Essen in einem Längenfelder Gast- von Eduard Richter veröffentlichten haus beschwert und wurde dann Dokumentation aller Ötztaler Glet- beschuldigt, er habe aus Rache mit scherseeausbrüche heißt es: Hilfe des Teufels das Unheil herauf- „Daß man den ‚gottlosen Buben‘, der beschworen.

1845 und 1848

Die Gletschervorrückungen zwi- folgenden zwei Wochen waren es schen 1770 und 1774 endeten zwölf Meter täglich, bisweilen zwei mit drei langsamen Entleerungen Meter in der Stunde − die Bewe- glimpflich. Überlegungen, den Eis- gung des Gletschers war mit freiem damm mit Kanonen zu beschießen, Auge erkennbar! Am 14. Juni ent- wurden nicht umgesetzt. leerte sich der riesige aufgestaute Noch einmal war es aber beim letz- See innerhalb einer Stunde. Von ten Gletscherhochstand um 1850 den 21 Brücken bis ins rund 40 km soweit: Ab Oktober 1844 rückte entfernte Umhausen im mittleren die Zunge des Vernagtferners den Ötztal blieben nur drei stehen. Die ganzen Winter (!) über kontinuier- Schadenssumme machte 400.000 lich vor und erreichte am 1. Juni Gulden aus. 1845 die Rofenache. Während der 1846/47 kam es zu mehreren lang- 33

samen und einem verheerenden ferners. Ausbruch am 28. Mai 1847. Danach Am 13. Juni 1848 brach der Damm, stauten die nachdrängenden Eis- und die Flutwelle erreichte Inns- massen erneut einen riesigen See bruck in neun Stunden (hatte also auf, der mit seiner Wurzel bis auf eine mittlere Geschwindigkeit von eine Seehöhe von 2.224 m reichte 11 km/h). Die letzten Eisreste in der − gerade noch sechs Höhenmeter Rofenschlucht waren erst 35 Jahre unterhalb der Zunge des Hintereis- später geschmolzen.

„Vorstoß und Rücklauf des Vernagtferners“; Karikatur-Serie von Rudolf Reschreiter aus dem Jahr 1911 34

Nähr- und Zehrgebiet

1889 hat der Münchner Mathemati- stehen dort, wo die Sonnenwär- ker und Geodät (Geodäsie = Erdver- me nicht mehr ausreicht, den als messung) Sebastian Finsterwalder Schnee gefallenen Niederschlag die gesamte Fläche des Vernagtfer- abzuschmelzen. Der Schnee ver- ners in einer sehr genauen Landkar- wandelt sich in Firn und verdichtet te im Maßstab 1:10.000 erfasst. Sei- sich in einem jahrelangen Prozess ne Messungen haben Rückschlüsse zu Eis. Diesen oberen Teil eines Glet- auf die Masse des Gletschers er- schers nennt man sein Nährgebiet. laubt. Es wurden auch Schätzungen Das Eis bewegt sich der Schwer- zurück in die Jahre des Gletscher- kraft folgend abwärts und verhält höchststandes Ende der „kleinen sich wie ein sehr zähes, plastisches Eiszeit“ zwischen 1845 und 1850 Medium. In der Mitte ist die Fließ- möglich, die seither noch präzisiert geschwindigkeit schneller als am werden konnten. Demnach hat die Rand, wo die größere Reibung mit Masse des Vernagtferners 1845 dem Untergrund bremsend wirkt. rund eine Milliarde Tonnen betra- Diese unterschiedlichen Geschwin- gen. Seither ist diese Eismasse kon- digkeiten führen zu Spannungen tinuierlich auf rund 250 Millionen im Eis und ziehen Klüfte und Spal- Tonnen zurückgegangen, beträgt ten nach sich. In der tiefer gele- also gerade noch ein Viertel von genen, wärmeren Region schmilzt 1845. Zugleich hat sich die Fläche der Gletscher ab – das ist das des Ferners von 15 km² 1845 bis Zehrgebiet. Die Grenze zwischen heute etwa halbiert. Nähr- und Zehrgebiet wird Schnee- Finsterwalders Herangehenswei- grenze oder Firnlinie genannt. Ein se war deshalb so wichtig, weil sie Gletscher ist stationär, wenn er im die Gletscher in ihrer Gesamtheit in Gleichgewicht ist, also oben gleich Betrachtung zog. Schritt für Schritt viel an Substanz zuwächst wie un- wurde so das Phänomen Gletscher ten abschmilzt. Man kann es auch nachvollziehbar. Gletscher ent- so sagen: Wachstum und Rückzug 35

sind der permanente Versuch eines Glet- schers, ein neues Gleichgewicht zu fin- den. Ist die Gleichge- wichtslinie am oberen Rand angekommen, ist der Gletscher ver- schwunden. Je stärker ein Glet- scher wächst, desto schneller bewegt er Hintereisferner und Kesselwandferner; um 1900 sich. Um 1850 wurden am Vernagtferner bis zu 300 Meter ter, die schrumpfenden Ferner der jährlich gemessen. Ein „gesunder“ Gegenwart hingegen bewegen sich Alpengletscher, der im Gleichge- gerade noch um zwei bis drei Meter wicht ist, bringt es auf 20 bis 30 Me- jährlich.

Präzise Messdaten

Die Einzigartigkeit der Messreihen ner wird seit 1964 an rund 200 am Vernagtferner besteht darin, Pegelstellen der Höhenverlust dass die Massenbilanz seit Jahr- des Gletschers gemessen, die- zehnten mit drei Methoden erstellt se Daten verfeinern das geo- wird: dätische Messergebnis 1. geodätisch (heute fotogra- 3. hydrologisch (seit 1974 wer- fisch mit Luftaufnahmen) den Abfluss des Gletschers, 2. glaziologisch (dazu wird ein Niederschlagsmengen und Netz von Pegeln in den Glet- Verdunstung gemessen) scher gebohrt; am Vernagtfer- 36

(www.geo.badw.de). Seit 1974 ist die Pegelstation am Vernagtbach unterhalb der Vernagthütte als kleines Labor und Unterkunft für das ForscherInnenteam eingerichtet. Auf eine lange Forschungstradition blickt man auch am Hintereisferner zurück. Hier war und ist die Univer- sität Innsbruck federführend. In sei- ner gleichmäßigen Ausbreitung ist Bohrungen am Hintereisferner; 1903 der Hintereisferner modellhaft für einen Talgletscher. Schon um 1900 Seit Finsterwalders Forschungen wurden hier an die Erdölsuche erin- ist der Vernagtferner quasi ein nernde Bohrtürme aufgestellt. Ziel Münchner Gletscher geblieben. war es, Daten für den Massenhaus- Aktuell heißt die hier tätige Abtei- halt des Gletschers zu gewinnen. Ge- lung der Bayerischen Akademie bohrt wurde, bis man auf Fels stieß. der Wissenschaften „Kommission Die tiefste Bohrung reichte über 200 für Erdmessung und Glaziologie“ Meter unter die Eisoberfläche.

Die Gletscher schwinden

Für Ludwig Braun, der von 1994 bis noch nie war das Tempo der Verän- zu seiner Pensionierung 2017 die derung so hoch. Münchner ForscherInnengruppe Die Messreihen des Vernagtferners leitete, steht der menschliche Anteil stellen ein Klimaarchiv dar, und am Klimawandel außer Zweifel. aktuell dokumentieren die Daten Zwar gab es in der Vergangenheit unverfälscht den Klimawandel. ähnlich niedrige Gletscherstän- Denn während der Boden Sonnen- de (etwa zu Ötzis Lebzeiten), aber einstrahlung absorbiert und sich 37

dadurch erwärmt, wird diese beim und längsten Gletscher des Landes. Gletscher zu hundert Prozent in Dazu gehört auch der Vernagtfer- Schmelze umgesetzt. Für die Klima- ner, mit jährlichen Verlusten zwi- forschung sind daher Gletscherda- schen 30 und 60 Metern. ten eminent wichtig. Aus heutiger Sicht spricht alles da- Die vom ÖAV seit 1891 durchge- für, dass sich diese Tendenzen fort- führten Längenmessungen an setzen. Dann würden bis 2100 in etwa 100 heimischen Gletschern den Ötztaler Alpen alle Gletscher bestätigen die skizzierten Trends. verschwunden sein bzw. sich auf Wiederholt waren seit Mitte der bescheidene Kargletscher in den 1980er-Jahre unter den Gletschern Gipfelregionen zurückgezogen ha- mit dem größten Längenverlusten ben. So sehr sich das Landschafts- die Hälfte und mehr aus den Ötz- bild seit 1850 bereits verändert hat, taler Alpen. Denn hier befindet sich noch prägen die Ferner rund um ein beträchtlicher Teil der größten Vent die Szenerie. Noch.

Messungen am Vernagtferner auf ca. 3.000 m, links Ludwig Braun (Bayerische Akademie der Wissenschaften); 2011 38

Aufstieg zur Wildspitze; undatiert 39

Frühe Reisende und erste Gipfelsiege

Die ersten Touristen, die nach Vent „Nicodemus Klotz von Rofen ist ein kamen, waren kaum Gipfelstürmer, Vierziger, eher klein als groß, ledig, sondern Reisende, die auf den We- ernsthaft und doch kein Feind des gen der Schafe und Säumer (Gü- Scherzes.“ tertransport mit Lasttieren) über Tatsächlich ist Nicodemus Klotz Hoch- oder Niederjoch unterwegs Jahrgang 1810 und bei seiner Be- waren. Einer davon war Ludwig gegnung mit Steub gerade 32 Jahre Steub, der im August 1842, aus dem alt. Steub berichtet auch, dass sich Ötztal kommend, über das Nieder- Klotz „rühmt der einzige Mann der joch nach Schnals wandern wollte. Gemeinde zu sein, der die Gebirge „Das Wirthshaus zu Vent ist eine sehr und die Gletscher rings herum alle ärmliche Anstalt. Frisches Fleisch bestiegen“ hätte. Diese Aussage ist kommt nur bei sehr feierlichen Gele- ein Hinweis darauf, dass die Listen genheiten vor, sonst hält man zum von Erstbesteigungen mit Vorsicht Bedarf der Fremden geräuchertes zu genießen sind. Den Zusatz „tou- Kuhfleisch, mager, dürr und ranzig, ristische Erstbesteigung“ sollte eine höchst unleckere Nahrung. Das man gedanklich hinzufügen. Denn Brod wird alle vierzehn Tage vom äu- neben Hirten und Bauern, die seit ßern Thale hereingeholt und ist also Jahrhunderten die Region durch- dreizehn Tage altbacken“, schrieb streiften, kamen in Vent manche Steub in „Drei Sommer in Tirol“. Ob Beobachter des Vernagtferners als Steubs Wirtshauskritik sich auf den frühe Gipfelbesteiger in Frage − Weinhof oder die Herberge des Ku- und Anfang des 19. Jahrhunderts raten bezieht, bleibt unklar. Mitglieder der österreichischen Ar- Nicodemus von Rofen wurde der mee, die das Habsburgerreich ver- dreiköpfigen Gruppe um den Reise- messungstechnisch und kartogra- schriftsteller Steub „als bester Mann phisch flächendeckend zu erfassen für Gletscherreisen“ empfohlen. hatten. 40

Erzherzog Johann 1846

Nicodemus Klotz brachte Steub Hans von Zwiedineck-Südenhorst“. und seine Mitwanderer wohlbehal- Beschrieben wird, dass der Erzher- ten an ihr Ziel, ebenso wie vier Jahre zog zwischen Huben und Sölden später auf der gleichen Route Erz- seinen Pferdewagen stehen lassen herzog Johann und dessen Beglei- musste, nachdem ein Ausbruch des tung. 1903, also 57 Jahre nach die- Rofner Eissees ein Jahr zuvor Brü- sem Abenteuer, erschien der Text cken und Wege zerstört hatte. Es „Erzherzog Johanns Reise durch das blieb nichts anderes übrig, als den Ötztal 1846. Aus den Tagebüchern ganzen Weg zu Fuß zu gehen. des Erzherzogs. Mitgeteilt von Erzherzog Johann stieg von Rofen

Übergang ins Schnalstal; 1912 41

bis Plattei auf, von wo es einen gu- Verpflegung war er zufrieden: ten Blick in die Rofenschlucht bei „Ein gutes, reichliches Essen − aber der Mündung des Vernagtbaches/ son- derbar! Brennhuhn mit Zwetsch- -ferners in die Rofenache gibt. In ken, ein in der Pfanne gebratenes der Folge beteiligte er sich an Über- Murmelthier, sehr gut, wenn auch legungen, wie ein neuerlicher Aus- etwas fett, ein Schnitzel mit Zucker bruch des Eissees verhindert wer- und Mandeln, ein Melchermus, dann den könnte bzw. dessen Folgen zu ein Gebäck aus Milch und Zimmt. mindern seien. Die Leute gaben, was sie hatten und Der Erzherzog stieg beim Kuraten freundlich, das ist genug.“ Franz Arnold ab. Mit Quartier und

Umstrittene Gipfelsiege

Die Dimension des Tourismus in Tirol“ von Ludwig Steub, und drei diesen Jahren illustrieren Zahlen Jahre später kam der erste Teil von aus dem erstmals 1845 aufgelegten Adolph Schaubachs „Die Deutschen Venter Fremdenbuch. 1845 haben Alpen − Ein Handbuch für Reisen- sich darin acht Touristen eingetra- de“ auf einen offenbar vorhan- gen, ein Jahr später 18. Im gleichen denen Markt. Jahr haben rund 700 Personen den In diese Jahre fallen auch die ersten Rofner Eissee aufgesucht. Meldungen über Erstbesteigungen Die Anfänge des Alpintourismus in im Venter Gebiet. Bemerkenswert der Region spiegeln sich in einer ist, dass es nur wenige überliefer- Reihe von Publikationen wider, die te schriftliche Berichte gibt und so relativ knapp aufeinander folgten. mancher Erfolg von Zeitgenossen 1837 erschien Beda Webers erster und der Nachwelt bezweifelt wor- Band seines Reisehandbuchs „Das den ist. Vermutlich im Zuge der Land Tirol“. 1842 folgten die be- Vermessungsarbeiten des Heeres reits erwähnten „Drei Sommer in hat 1819 der spätere General und 42

bedeutende Kartograph Franz von sein gleichnamiger Vater 62 und Hauslab als Fähnrich den nach ihm offenbar zeitlebens kein Bergstei- benannten Hauslabkogel (3.403 ger. Gesichert sein dürfte hingegen m) bestiegen. Mit Hauslab ist auch die Erstbesteigung des Schalfkoge- ein Beispiel für die Fragwürdig- ls (3.540 m) aus dem Pfelderer Tal keit mancher Quellen verbunden: (heutiges Südtirol) durch den fran- Einem Franz von Hauslab wird die zösischen Reiseschriftsteller Frédé- Besteigung der Talleitspitze (der ric Mercey und einen namentlich Venter Hausberg, 3.406 m) im Jahre nicht überlieferten Bergführer aus 1811 zugeschrieben. Der erwähnte Meran. Hauslab war damals 13 Jahre alt, Vermutlich erfolglos blieben 1833

Die Wildspitze; Ölbild von Josef Preyer, Öl auf Leinwand; um 1890 43

die Versuche des bekannten Alpi- bestiegen. Inzwischen ist aber der nisten und Theologen Peter Karl Nordgipfel durch Abschmelzung Thurwieser, Similaun und Wildspit- niedriger als der Südgipfel (siehe ze zu besteigen. Tabelle S. 61). Daher wird die Erstbesteigung des Similaun (3.606 m) zwei Schnalsern zugeschrieben: Pfarrer Theodor Ka- serer, geführt von Josef Raffeiner. Umkämpft ist die Pole-Position auch bei der Weißkugel (3.739 m). Die beiden Schnalser Gurschler und Weithalm (Vornamen unbekannt) sollen 1845 am Gipfel gewesen sein. Sicher ist die Besteigung 1861 durch den Wiener Joseph Anton Specht, geführt u.a. von Leander Klotz. Zuletzt zum höchsten Gipfel, der Wildspitze (3.774 m): Der Versuch der Münchner Brüder Hermann und Robert Schlaginweit (Alpinisten, Weltreisende und Naturforscher) scheiterte 1847 in rund 3.500 m Höhe. Daher gilt Leander Klotz vom Rofenhof als Erstbesteiger, der ein Jahr später mit einem Bauernbur- schen, dessen Name nicht überlie- fert wurde, am Südgipfel der Wild- spitze gestanden ist. Den höheren Nordgipfel hat 1861 Dem Gipfel der Wildspitze schon sehr ebenfalls Leander Klotz als Erster nahe; undatiert 44

Aufstieg zum Fluchtkogel; undatiert 45

Baumeister für den Alpentourismus

„Ich kam im Spätherbst 1860 als Seel- ich in jenem Sommer durch einige sorger nach Vent. Bis zu dieser Zeit Bergparthien die Schönheit unserer dürfte sich in den dasigen Verhältnis- Gegend zu einem kleinen Theile ken- sen seit dem Jahre 1842 wenig geän- nen und ahnte, daß Vent eine große dert haben: das Wirtshaus war das- touristische Zukunft haben müsse.“ selbe geblieben, nur wurde in folge So beginnt eine Sammlung von des Wachsens des Vernagtferners in überwiegend handschriftlichen den 40ger Jahren der Touristenzuzug Texten Franz Senns unter dem Titel nach Vent usw. viel frequentierter als „Bericht über Vent“. Senn war 29 früher und nehmen dieselben von da Jahre alt, als er die Kuratie (= eige- an fast ausschließlich die Gastfreund- ner Seelsorgebezirk, der aber nicht schaft der Gastwirtschaft des kleinen zur Pfarre erklärt ist) von St. Jakob Widums in Anspruch, weil man hier in Vent übernahm, und er sollte fast noch etwas bessere Unterkunft, Be- zwölf Jahre bleiben. friedigung der Bedürfnisse und ge- Ohne Vorbilder aus anderen Ge- wünschte Rücksprache über lokale meinden entwickelte Senn rasch Verhältnisse fand. (...) Auch lernte Ideen für eine bessere Nutzung des

Die ersten Zeilen von Franz Senns „Bericht über Vent“ 46

alpintouristischen Potenziales von Bergführern sowie die Organisati- Vent: eine Basisstation im Talort, on eines geordneten Bergführer- wo die Touristen ordentlich schla- wesens. Darüber hinaus erkannte fen und essen können, die bessere Senn die Notwendigkeit eines über- Erreichbarkeit von Vent, Schaffung regional agierenden, aber regio- einer alpinen Infrastruktur durch nal verankerten Alpenvereins und Ausbau und Errichtung sicherer entwickelte mit seinen Mitstreitern Wege und den Bau von Schutzhüt- ein Organisationsmodell, das den ten, Aus- und Weiterbildung von Alpenverein bis heute prägt.

Von Zwieselstein bis Kurzras

Das erste Vorhaben, das Senn in gebauprojekt: die 14 km lange Stre- Angriff nahm, war der Ausbau sei- cke von Zwieselstein nach Vent und nes Widums. Bereits am 7. August der Weg durch die Rofenschlucht 1862 wurde das neue Gästehaus (auf der orographisch rechten Sei- eingeweiht, das nun über zwei Stu- te) auf das Hochjoch und hinunter ben, sechs Zimmer mit 18 Betten nach Kurzras im Schnalstal. 1863 und entsprechende Nebenräum- war Senn zu einer Versammlung lichkeiten verfügte. In der zweiten des jungen Oesterreichischen Al- Ausbaustufe kamen noch weitere penvereins gereist, um für sein Pro- 13 Betten hinzu. Unter den Zim- jekt zu werben: merern entdeckte der Tourismus- „Durch den Bau dieses Verbindungs- pionier Cyprian Granbichler, einen weges würde die Bereisung der Oe- kräftigen, jungen Sölder, den er tzthaler Gletscher ungemein erleich- zum Bergführer ausbildete und mit tert (...) und zur Befriedigung der dem er schicksalhaft verbunden Touristenbedürfnisse, diese schönste bleiben sollte. Partie der Oetzthaler Gletscher dem Viel aufwändiger als der Ausbau Publikum jedes Standes, namentlich des Widums gestaltete sich das We- auch Frauen, geöffnet.“ 47

Das erweiterte Venter Widum

Dem Ausschuss des OeAV erläu- 1.000 Gulden erhöht wurde. Eine terte Senn auch, dass der Saumweg Vorsprache beim Kaiserhof brachte dem Handelsaustausch zwischen eine Spende von 120 Gulden ein. dem Vinschgau und dem Ötztal Erfolgreicher war Senn in der Regi- „eine kurze und wohlfeile Bahn eröff- on, wo er 5.000 Gulden aufbrachte. net“. Konkret nannte er als Ötztaler Unter anderem stellte er Spenden- Exportgüter Flachs, Vieh, Schmalz büchsen im Gästezimmer seines und Wolle und „umgekehrt die Er- Widums und sogar am Hochjoch zeugnisse Südtirols und Venetiens auf. Trotzdem blieb Senn schließ- Wein, Getreide und Fabrikaten“. lich auf einem Schuldenberg von Der OeAV lobte das Projekt, erklär- 3.000 Gulden sitzen, den er bis an te sich aber für nicht zuständig und sein Lebensende nicht mehr ab- gab eine bescheidene Unterstüt- bauen konnte. zung von 100 Gulden, die im Zuge Teuer kam es ihn auch, das Gebiet weiterer Ansuchen auf insgesamt durch Panoramabilder bekannt ma- 48

chen zu wollen. 1868 bestieg Senn Werk zu vollenden, gab es Streit. Aus mit dem Münchner Kunstmaler Senns Sicht gab Brizzis Bild das Gip- Charles Brizzi an einem Frühherbst- felrelief nicht genau genug wieder tag die geliebte Kreuzspitze. Er ließ und erteilte einen neuen Auftrag an für den Maler am unteren Kreuz- den Berliner Zeichner J. Engelhardt. spitzgrat eine desolates Hirtenhäus- Dessen berühmt gewordenes ex- chen herrichten − der Unterschlupf aktes Panoramabild wird bis heute ging als Brizzihütte (2.929 m) in die gerne als Vergleichsbild herangezo- Alpingeschichte ein. Brizzi wurde gen, um den Gletscherschwund zu bis zum Wintereinbruch täglich dokumentieren. Engelhardt zeich- von Vent aus verköstigt. Als Brizzi nete im Auftrag Senns noch eini- ein Jahr später wieder kam, um das ge weitere Panoramen. Allerdings

Senns Weg über das Hochjoch kurbelte den Tourismus an. Noch vor der Wende zum 20. Jahrhundert wurden am Hochjochferner Schlittenfahrten angeboten. 49

bestand Brizzi auf seinem Honorar, Engelhardt-Panoramen hinter den zugleich blieb der Erlös für die 800 Erwartungen zurück − Senns Schul- in Auftrag gegebenen gedruckten den wuchsen.

Gipfelsiege und eine Katastrophe

Ablenkung fand der Priester in Tage Erholung in Meran gegönnt. all den Jahren bei ausgedehnten Auf dem Rückweg wanderten die Bergtouren. Meist geführt von Cy- beiden am 7. November über das prian Granbichler, wird Senn als Hochjoch nach Hause. Sie wurden Erstbesteiger u.a. von Finailspitze, von einem stürmischen Winterein- Hochvernagtspitze, Kreuzspitze, bruch überrascht und brauchten Fluchtkogel, Mutmalspitze und für den Weg ab Kurzras 30 statt der Weißseespitze geführt. üblichen sieben Stunden. Mehr- 1866 war der Weg über das Hoch- fach kamen sie vom Weg ab, eini- joch fertiggestellt. Der logische ge Staublawinen brachten sie in nächste Schritt war die Errichtung unmittelbare Gefahr. Beide waren einer Schutzhütte etwa auf hal- unzureichend ausgerüstet. „Cyper“ bem Weg zwischen Vent und dem ging im teilweise hüfthohen Schnee Hochjoch. Auf Anregung Senns ließ voraus, seiner Rolle als Bergführer der Sölder Gastwirt Josef Grüner verpflichtet. Bei der Schäferhütte im ab 1869 das Hochjoch-Hospiz er- Rofental fanden sie einen notdürfti- richten – die erste alpintouristische gen Unterschlupf, setzten ihren Weg Hütte in Vent konnte 1872 eröffnet aber viel zu schnell wieder fort. Kurz werden. vor den Rofenhöfen konnte Gran- Ausgerechnet auf dem Weg über bichler nicht mehr weiter. Senn ließ das Hochjoch ereilte Senn der ihn zurück, erreichte das Ziel und schwerste Schicksalsschlag: Im organisierte Hilfe. Cyprian wurde Oktober 1868 hatte er sich in Be- dann zwar rasch gefunden – aber er gleitung von Granbichler einige war so entkräftet, dass er starb. 50

Bilanz eines Tourismuspioniers

Schon 1866 kam Adolf Schaubach den sind. Auch eine Bibliothek, mit in einer Neuauflage seines Reise- alpinen Werken reich versehen, steht handbuchs „Die Deutschen Alpen“ dem Gast zur Verfügung. zu folgendem Resümee: „Vent ist Ebenso sorgte der Curat für beque- eigentlich der Mittelpunkt für den mere Wege. Jener früher so schmale Fernwanderer Tirols. Man findet die und rauhe, der von Zwieselstein her- beste Unterkunft beim Hrn. Kuraten einführt, ist seitdem auf fünf Fuß er- Senn und gute Führer in Ferd. Platter, weitert worden, so daß sich’s jetzt ge- Schäfer Seppel und der Familie Klotz.“ mächlich gehen und reiten läßt. Seit Fünf Jahre später zog Ludwig Steub 1863 ist auch ein guter, für Katholiken für eine Neuauflage der „Drei Som- und Protestanten gleich gangbarer mer in Tirol“ einen Vergleich zwi- Saumweg von Vent übers Hochjoch schen 1842 und 1871: ins Schnalserthal angelegt worden. „Vent ist seitdem für die Touristen be- Er wird jetzt im Sommer täglich von kanntlich ein klein Paris geworden. Maulthieren begangen und sind Der Herr Curat Franz Senn, der seit schon gar viele gebildete Herren und 1860 dort als Seelsorger waltet, hat Damen hinüber und herüber geritten. alles aufgeboten, um den Reisen- (...) Auch die Erklimmung mancher den, die dieses sein Reich besuchen, Spitzen ist nunmehr wesentlich er- das Leben im Thale so angenehm leichtert. So sind z.B. die Kreuzspitze als möglich zu machen. Im Sommer und das Ramoljoch jetzt ohne Gefahr 1861 hatte er in seinem Häuschen, zu begehen. Ueber diese und die an- das nur zwei leidliche Zimmer auf- deren alle ist die beste Auskunft im wies, bereits über zweihundert Tou- Widum zu erhalten, da der Herr Curat risten zu beherbergen. Aber schon im schon alles bestiegen hat, was in der nächsten Jahr wurde ein Neubau und Nähe nur immer zu besteigen ist.“ seitdem alle Jahre etwas hinzuge- Der Erfolg spiegelt sich auch in Zah- setzt, sodaß jetzt zwei Gaststuben, elf len wider: Wie erwähnt gab es 1845 Zimmer und dreißig Betten vorhan- und 1846 acht bzw. 18 Eintragun- 51

Karte des „Oetzthaler Gletscher-Gebietes“ aus dem Jahr 1861, erstellt nach den Auf- zeichnungen des Militärgeographen und Alpinisten Carl Sonklar gen ins Venter Fremdenbuch, 1867 erfahren mussten: „Ich kann im Som- waren es 392 Touristen, 1868: 513, mer in Vent nichts tun, außer ‚gehor- 1869: 620 und 1871 bereits 750. Als samen Diener‘ zu machen, Schlaf- sein Abschied aus Vent bereits fest- stellen zu verteilen, den Führern ihre stand, drückte Senn in einem Brief Rollen zu geben u.s.w. Ich bedanke am 23. November 1871 an seinen mich für diese Geschäfte! Ich habe sie Freund Johann Stüdl eine Frustra- jetzt 11 Jahre gethan; es kann sie nun tion aus, die inzwischen unzählige ein anderer versuchen. − Bin ich denn Menschen in Tourismusberufen in Vent bloß ein Sklave anderer?“ 52

Mitbegründer des DAV

Senn hat vermutlich schon 1861 vom Wiener Alpinisten Anton von Ruthner in seinem Widum von der bevorstehenden Gründung des OeAV erfahren. Er sympathisier- te sehr mit dieser Idee und sah sie ganz im Sinne seiner Überlegungen zur Popularisierung des Alpentou- rismus. Senn konnte nicht zur Grün- dungsversammlung am 21. Novem- ber 1862 nach Wien reisen, machte aber ein halbes Jahr später die be- Johann Stüdl (1839−1925) reits skizzierten unerquicklichen Er- fahrungen mit der Vereinsführung. dem Tod Granbichlers − skizzierte Im Laufe der Jahre wurde der Ärger Senn in einem Brief die wichtigsten über die mangelnde touristische Positionen für den neuen Verein, Orientierung und die zentralistische darunter den zentralen Punkt: Führung des OeAV immer größer. „Der Verein soll nicht ein spezifisch Das Widum in Vent wurde zu einem Tiroler, sondern ein allgemeiner wichtigen Ort, an dem zuerst eine deutscher Alpenverein sein. Meine Reform des OeAV diskutiert wurde, Gründe sind vorzüglich 2: um mehr ehe sich die Meinung durchsetzte, Teilnehmer heranzulocken und weil nur ein neuer Alpenverein könne die Schönheit der Alpen nicht Eigen- Abhilfe schaffen. Senn spielte dabei tum einzelner, sondern aller ist, die sie eine führende Rolle, die wesent- genießen wollen.“ lichen Mitstreiter waren Johann Er spricht sich auch für die Glie- Stüdl (Prag), Karl Hofmann (Mün- derung in einen Stamm- und chen) und Theodor Trautwein. An- Zweigvereine aus. Nachdem Ei- fang 1869 − wenige Wochen nach nigungsversuche mit dem OeAV 53

scheiterten, wurde am 12. April Bereits im Juli 1874 wurde eine 1869 in München von 36 Teilneh- Sektion Innerötztal des DuOeAV mern der Deutsche Alpenverein in Sölden gegründet. In der Grün- gegründet – als Gründer wurden dungsurkunde sind 25 Namen an- Senn, Stüdl, Hofmann und Traut- geführt, darunter auch „Senn Franz, wein angeführt. Pfarrer in Nauders“. Offensichtlich Vier Jahre später erfolgte die Ver- wurde der Name in das Dokument einigung zum „Deutschen und Oe- nachträglich eingefügt. Franz Senn sterreichischen Alpenverein“ unter und Vent − diese Verbindung war den Prämissen, die Franz Senn fe- im Juli 1874 schon über zwei Jahre derführend entwickelt hatte. Geschichte.

Die erste Seite des von Senn angelegten Venter Fremdenbuchs 54

Der Gletscherpfarrer

Nach vier Semestern Philosophie in Innsbruck und München wech- selte Senn ins Priesterseminar nach Brixen. 1856 wurde er zum Priester geweiht, es folgten Kooperatoren- jahre in Zams, Serfaus und Landeck und 1860 die Übernahme der Kura- tie von Vent. In der kleinen Gemein- de war er fortan nicht nur Priester, sondern auch Lehrer in der einklas- sigen Volksschule. Senns Leistungen beim Aufbau des Tourismus in Vent und seine füh- Franz Senn (1831−1884) rende Rolle bei der Gründung des Deutschen Alpenvereins sprechen Geboren wurde Franz Senn am 19. für sich. Der Tod seines Musterschü- März 1831 als siebentes und letztes lers Cyprian Granbichler hinterließ Kind einer Bauernfamilie in Län- bei ihm tiefe Spuren. Er fühlte sich genfeld im Ötztal. Vier seiner sechs schuldig und war nach diesen grau- Geschwister starben im Kindesalter. samen Stunden im Rofental dauer- Er war ein guter Schüler, und dank haft körperlich und psychisch an- der Unterstützung des lokalen Ko- geschlagen. Vom DAV und seinen operators Christian Falkner konnte Mitstreitern entfremdete er sich Franz Senn die Jesuitenschule (heu- nicht zuletzt auch deshalb, weil sei- tiges Akademisches Gymnasium) in ne Ansuchen um finanzielle Unter- Innsbruck besuchen, wo er 20-jäh- stützung erfolglos blieben. Sein Ab- rig maturierte. Mit dem kleinen gang in Vent 1872 geschah offenbar Erbe nach dem frühen Tod seines in einer Stimmung tiefer Verbitte- Vaters finanzierte er sein Studium. rung, auch wenn Senn das Anstre- 55

ben einer Pfarrerstelle in Neustift nen Schulden von 1.700 Gulden. An im Stubai mit besseren finanziellen Senn erinnern eine Tafel an seinem Bedingungen begründete, um end- früheren Venter Widum (jetziges lich mit seinen Schulden fertigwer- Hotel Kleon), die Franz-Senn-Hütte den zu können. Tatsächlich wurde im Neustifter Oberbergtal und der Senn für neun Jahre als Pfarrer nach im Venter Kreuzkamm. Nauders versetzt und kam erst 1881 Die Entwicklung Vents und des Al- ins Stubaital. Von fortschreitender penvereins hat Senn entscheidend Erkrankung gezeichnet, starb Senn geprägt, und der Ehrentitel „Glet- im 53. Lebensjahr am 31. Jänner scherpfarrer“ ist seit Generationen 1884. Erst nach seinem Tod über- unverwechselbar mit dem Leben nahm der DuOeAV die verbliebe- und Wirken Franz Senns verbunden.

Der Kreuzkamm, fotografiert vom Marzellkamm; von rechts nach links: Kreuzspitze, Kreuzkogel, Sennkogel und Saykogel 56

Das „Gasthaus zum Curaten“ mit der Gedenktafel für Franz Senn 57

Der Weg zum organisierten Bergführerwesen

Die Ausbildung von geeigneten gen Touristen dieser Jahre ihre Füh- Bergführern, eine Regelung ihrer rer aus der Schweiz mit. 1862 wird Aufgaben und der Führertarife so- in Vent auch Ferdinand Platter als wie die Organisierung des Berg- Führer genannt, in Sölden und Gur- führerwesens waren für Franz Senn gl gab es jeweils zwei. zentrale Aspekte seiner touristi- Den Mangel verschärfte, dass die schen Ideen. vier „Klötze“ nicht gerade darauf „Nur unbescholtene, gesunde, kräf- warteten, eine Führungstour zu tige, gewissenhafte Leute wurden übernehmen. In den „Mittheilun- von ihm zugelassen. Sie hatten sich in gen der kaiserlich-königlichen geo- allem seinen Anordnungen zu fügen. Wie Schulbuben ließ er sie im Winter die Heimatkunde ihrer Berge lernen. Er überwachte ihre Ausrüstung, gab ihnen genaue Anweisung, wie sie sich den Fremden gegenüber zu verhalten hatten und hielt peinlich darauf, daß keine Überforderungen vorkamen.“ 1928 hat E.F. Hofmann im Jahrbuch des DuOeAV Senns Leitlinien fest- gehalten, und er zitiert auch die fundamentalste Regel: „Der Führer ist für das Leben seiner Schutzbefohlenen verantwortlich.“ Als Senn nach Vent kam, waren die Brüder Nicodemus, Benedict, Lean- der und Hans Klotz vom Rofenhof die einzigen Bergführer vor Ort. Zum Teil brachten sich die weni- Benedict Klotz graphischen Gesellschaft“ von 1859 eines ausgedehnten Anwesens ver- beschreibt das spätere Gründungs- säumt er an manchen Tagen mehr mitglied des OeAV Anton von Ruth- an der Arbeit, als er an Führerlohn ner, dass sich eher die „Klötze“ einen verdient. Auch ist ihm vielfach durch zu Führenden aussuchten, denn die Fremden selbst das Führen in umgekehrt. Vor allem auf Nicode- mehr als 30 Jahren verleidet worden. mus, den ältesten der Klotz-Brüder, (...) Vor Allem muss er seinen Mann traf das zu: kennen, um zu bestimmen, ob er ihn „Allein unser Held aus Rofen ist kein da- oder dorthin führen könne, und Führer der gewöhnlichen Art, den auf wahrhaft originelle Weise wird man beliebig zu jedwedem Unter- der Reisende, ohne dass er es ahnt, nehmen aufdingen kann. Als Besitzer vorerst einer Prüfung unterzogen.“

„Cyper“, der Musterschüler

Das waren Zustände, die Senn ein Geboren wurde Cyprian Granbich- Dorn im Auge sein mussten, es gab ler 1835 in Sölden, wo er bei seiner weder einheitliche Taxen noch eine Mutter aufwuchs. 20-jährig wurde Festlegung von Führerpflichten. Er er zu den Kaiserjägern einberufen, suchte im ganzen Tal nach geeig- aber wegen seiner Plattfüße für neten jungen Männern und bildete untauglich erklärt. Er wurde Zim- diese im Sinne seiner Philosophie mermann und unternahm ab 1861 aus. einfache Führungstouren nach Vent, Cyprian Granbichler wurde Senns Gurgl und über das Timmelsjoch. Ab Musterschüler, und obwohl dem 1863 hatte Granbichler im Sommer „Cyper“ nur wenige Sommer blie- sein Standquartier im Venter Wi- ben, erreichte er einen legendären dum. In den folgenden Jahren führ- Ruf. Für Johann Stüdl war „Cyper der te er zahlreiche schwierige Touren beste, verläßlichste Führer, den die ös- und bewies in deren dichter Folge terr. Alpen besitzen“. wiederholt eine kaum vorstellba- 59

re Ausdauer. 1869, ein Jahr nach seinem Tod, gaben Bergsteiger zu Granbichlers Würdigung das Heft „Aus dem Leben eines Gletscher- führers“ heraus. Die Rede ist darin von einem „unscheinbaren Mann“, der Achtung abnötigte „durch seine ruhige Kühnheit, seine genaue Orts- kenntniß im Ganzen und im Detail, seine nicht aufdringliche aber stets wachsame Vorsicht“. Zugleich be- gnügte sich Cyper „nicht mit den herkömmlichen Wegen“ und bewies „kaltblütige Ruhe in der Gefahr“. In seiner Persönlichkeit und seinen Fähigkeiten stellte Cyprian Gran- bichler das Ideal eines Bergführers dar, das bis in die Gegenwart wirkt. Seit 2003 heißt der Zustieg zum Hochjoch-Hospiz durch die Rofen- schlucht Cyprian-Granbichler-Weg. Cyprian Granbichler

Amtliche Autorisierung

Als Franz Senn nicht nur die Zahl Für die organisatorische Veran- der Bergführer in Vent (und im kerung des Bergführerwesens er- ganzen Ötztal) erhöhte, sondern wies sich Senns Freundschaft mit auch Tarife für die einzelnen Touren Johann Stüdl nützlich. Der Prager festlegte, waren Spannungen mit Kaufmann war ab der zweiten Hälf- den Klotz-Brüdern unausweichlich. te der 1860er-Jahre treibende Kraft 60

bei der Erschließung des Großglo- ins Gesicht schleudern! Die dümm- ckner- und Venedigergebiets. Im sten Teufel sind der Hölle entronnen jungen Deutschen Alpenverein rie- und sind plötzlich als Statthaltereir- fen Senn und Stüdl eine „Kommis- äthe, Bezirkshauptmänner und Ge- sion zur Organisation des Führer- meindevorsteher in Tirol aufgetreten, wesens“ ins Leben, deren Ziel eine um das Fremdenführerwesen zu or- amtliche Autorisierung war. Tirol ganisieren“, ärgerte sich der streit- und die Bezirkshauptmannschaft bare Kurat 1871 in einem Brief an Imst wurden zur Bühne für die Stüdl. Aber schließlich wurde die Durchsetzung des Konzepts. „Hätte von Senn ausgearbeitete Führer- ich 1000 der ärgsten Schimpfwörter ordnung noch im gleichen Jahr im Munde, ich möchte sie allen die- genehmigt – ein Vorbild für ganz sen Schafsköpfen der Bureaukratie Österreich und ein Meilenstein für

Gründung des Ötztaler Bergführervereins in Sölden; 27. Mai 1907 61

den Alpintourismus. prüfte Berg- und Skiführer für Tou- Dieses Konzept ist im Wesentlichen ren aller Art. Die Tarife sind je nach bis heute gültig. In Vent vermittelt Schwierigkeit und Länge der Tour die Bergführerstelle unter Leitung sowie der Zahl der TeilnehmerInnen von Killian Scheiber staatlich ge- festgelegt.

Erstbesteigungen in den Venter Bergen Jahr Gipfel Führer Teilnehmer 1833 Schalfkogel (3.504 m) unbekannter Meraner Frédéric Mercey Bergführer 1834 Similaun (3.606 m) Josef Raffeiner Theodor Kaser 1848 Wildspitze (3.774 m) Leander Klotz + unbekan- nter Bauernbursch 1853 Talleitspitze (3.406 m) im Zuge der militärischen Vermessung 1858 Hinterer Brochkogel Nicodemus und Leander Albert Wachtler (3.628 m) Klotz 1861 Weißkugel (3.739 m) Leander Klotz u.a. Josef Anton Specht 1865 Finailspitze (3.516 m) Cyprian Granbichler, Franz Senn Peter Paul Gstrein 1865 Hochvernagtspitze Cyprian Granbichler Franz Senn (3.539 m) 1865 Kreuzspitze (3.457 m) Cyprian Granbichler Franz Senn 1867 Hintere Schwärze Benedict Klotz, Ernst Pfeiffer (3.624 m) Josef Scheiber 1869 Fluchtkogel (3.500 m) Alois Ennemoser, Valentin Kaltdorff, Gabriel Spechtenhauser Franz Senn, Julius Scholz 1869 Mutmalspitze (3.528 m) Gabriel Spechtenhauser Franz Senn, Valentin Kaltdorff 1870 Weißseespitze (3.518 m) Johann Schöpf Franz Senn, Victor von Mayerl, J. Wunderer 62

Das Brandenburger Haus wurde rasch zum begehrten Ziel von TouristInnen. Während des Ersten Weltkriegs beschlagnahmte die k.u.k. Armee das Haus und nutzte die einzig- artige Umgebung für Ausbildungszwecke, wie das Foto aus 1916 zeigt. 63

Acht Hütten

Das Wege- und Hüttennetz, wie wir schon von AV-Sektionen geplant es heute kennen und genießen, ist und gebaut. Zentrale Vorausset- in sehr kurzer Zeit entstanden. Die zung für die schnelle Realisierung acht Vent umgebenden Hütten sind des Hüttennetzes waren die frühe innerhalb von 40 Jahren zwischen Hochblüte des Alpinismus und das 1869 und 1909 gebaut worden. schnelle Wachstum des Alpenver- Seither wurden Hütten erweitert, eins. Nach der Gründung des DAV zum Teil auch neu und an anderer 1869 und dem Zusammenschluss Stelle errichtet, aber im Kern ist das zum DuOeAV entstanden rasch vie- Netz seit 100 Jahren unverändert − le Sektionen. und wird es auch bleiben. Dabei waren es vor allem die al- Fünf Hütten wurden auf private Ini- penfernen deutschen Sektionen, tiative aus der Region errichtet, drei die nach einem alpinen Arbeitsge- davon gingen relativ bald ins Eigen- biet suchten und bereit waren, mit tum von AV-Sektionen über, zwei großem Engagement ihren Teil zum sind bis heute privat geblieben. touristischen Aufbauwerk beizutra- Die drei restlichen Hütten wurden gen.

Hochjoch-Hospiz

Baubeginn für die erste alpine der orographisch rechten Talseite, Schutzhütte des Gebiets war 1869 entsprechend wurde auch die Hüt- etwa auf halber Strecke des We- te platziert. Vom heutigen Standort ges von Vent auf das Hochjoch. des Hochjoch-Hospiz sind Spuren Die Anregung dazu kam von Franz des Weges und der einstigen Hüt- Senn. Errichtet wurde das 1872 te noch gut erkennbar. Mit einem fertiggestellte Hochjoch-Hospiz im flachen Pultdach hatte man beim Auftrag von Josef Grüner, dem Wirt ersten Bau darauf abgezielt, dass des „Gasthof zum Alpenverein“ in Lawinen darüber hinweggleiten Sölden. Der Weg verlief damals auf können. Eine Überlegung, die nicht 64

wirklich aufging – das Haus wurde Hütten, um sich besser auf ihr Ar- wiederholt beschädigt. beitsgebiet in der Umgebung von Im November 1907 kaufte die Innsbruck konzentrieren zu kön- AV-Sektion Innsbruck das Hoch- nen. Beide wurden von der Sektion joch-Hospiz (gemeinsam mit der Mark Brandenburg (SMB) erworben, Sammoarhütte im Niedertal). Be- die 1909 am Kesselwandferner das merkenswert ist, dass die Sektion Brandenburger Haus eröffnet hatte. Innsbruck damals bei beiden Hüt- „Da zu dem Hochjochhospiz große ten weitere lawinensichere Grund- Ländereien gehören, sind wir Groß- stücke in der Umgebung zukaufte, grundbesitzer in Tirol geworden“, „um jede Konkurrenz zu beseitigen freute sich die Sektion über die zur und sich selbst die einzigen noch Hütte gehörenden Weideflächen. möglichen Baugründe zu sichern“. 1914 wurde die Hütte wegen ihres Schon 1911 entschloss sich die schlechten Zustands geschlossen Sektion wieder zum Verkauf beider und nie mehr richtig bewirtschaf-

Das frühere Hochjoch-Hospiz mit der Wildspitze; um 1910 65

tet. Die Wände waren vom Hang- druck verbogen, das Dach war ab- gedeckt, Plünderer waren am Werk gewesen − „eine Ruine“, wie es in Tourenberichten nach dem Ersten Weltkrieg heißt. Bis zur Eröffnung des Neubaus auf der anderen Talseite und der Verle- gung des Weges sollte es bis 1927 Das 1927 neu erbaute Hochjoch-Hospiz dauern. Durch die neue Hütte auf mit Hintereisferner, Langtauferer Spitze 2.413 m wurde die Erreichbarkeit und Weißkugel des Brandenburger Hauses wesent- lich verbessert. Seit 1956 gehört 2002 bis 2004 wurde das Haus das Hochjoch-Hospiz ebenso wie grundlegend saniert und mit einer das Brandenburger Haus und die neuen Energieversorgung ausge- Martin-Busch-Hütte der Sektion stattet. Seither ist auch wieder eine Berlin des DAV. Winteröffnung möglich.

Sammoarhütte / Martin-Busch-Hütte

Im Niedertal, auf halbem Weg zwi- Wie erwähnt ging die Sammoar- schen Vent und dem Niederjoch, hütte (manchmal auch Samoar, eröffnete Josef Grüner 1877 die selten Sanmoar, eine Flurbezeich- Sammoarhütte – ein wunderbarer nung) 1907 ins Eigentum der SMB Platz gegenüber der Mutmalspitze über. Nach jahrelangen Problemen und hoch oberhalb jener Stelle, an mit den beengten Verhältnissen in der Schalf-, Marzell- und Nieder- der Hütte und ihrer Baufälligkeit jochferner zusammengeflossenentschied sich die Sektion am 20. sind, die beiden erstgenannten Juni 1938 zu einem Neubau auf noch bis 1923. einem Bauplatz etwas unterhalb 66

der alten Hütte. Entspre- chend der ideologischen Ausrich- tung der Sektion sollte der Neubau nach dem Generalfeldmarschall und führenden NSDAP-Funktionär Hermann Göring benannt werden. Göring sei ein langjähriges Sekti- onsmitglied und begeisterter Berg- steiger, wurde argumentiert. Im ge- samten Deutschen Reich blieb eine derartige Namensgebung für eine Alpenvereinshütte einzigartig. Die Planungen sahen die ständi- ge Stationierung von vier Zollwa- chebeamten und Räumlichkeiten für die Gletscherforscher vor. Die Protokolle der Sektion verdeutli- Alte Sammoarhütte mit Schalf- und Mar- chen, dass „bei der Wahl des unte- zellferner; ca. 1930 ren Bauplatzes auch militärische Ge- sichtspunkte mitgesprochen haben“. Der neue Weg bis zur Hütte sollte tauglich für die Transporte der Ge- birgsartillerie sein. Aus der gewünschten raschen Fer- tigstellung wurde nichts. Arbeits- kräfte- und Materialmangel, bedingt durch den Zweiten Weltkrieg, brach- ten die Bauarbeiten erst ins Stocken und schließlich zum Erliegen. Martin-Busch-Hütte mit Mutmalspitze, 1945 wurde auch diese Hütte ent- kurz nach ihrer Eröffnung; um 1960 eignet. Martin Busch (1896−1958), 67

Mitarbeiter der Tiroler Landesre- fertiggestellt und 1953 als „Neue gierung und führende Kraft beim Sammoarhütte“ eingeweiht. 1956 Aufbau des neugegründeten OeAV, erfolgte die Übergabe an die Sekti- wurde mit der treuhändischen Ver- on Berlin. Die Benennung als „Mar- waltung der 142 deutschen Hütten tin-Busch-Hütte“ erfolgte 1957 im in Österreich beauftragt. Busch Sinne einer Anerkennung für den machte kein Hehl aus seinem Ziel „treuen Freund der deutschen Sek- der Rückgabe an die „rechtmäßi- tionen“. gen Eigentümer“. Die alte Sammoarhütte wurde 1961 Die Hütte im Niedertal wurde 1952 von einer Lawine zerstört.

Ramolhaus

1881 hat Martinus Scheiber auf der Gurgler Seite des Ramolkamms das Ramolhaus (3.006 m) als privat geführte Hütte errichtet. Scheiber (1856−1939) gilt als der Gurgler Tou- rismuspionier. Er zeichnet für weite- re Hütten in der Region verantwort- lich, schuf viele Wege und war ein gefragter Bergführer. In Vent ließ er Ramolhaus mit Gurgler Ferner; um 1900 1906 bis 1908 das Hotel Vent bauen. 1921 hat die Sektion Hamburg des dem Ersten Weltkrieg und der Ab- DuOeAV (gegründet 1875) Scheiber trennung Südtirols waren alle dort das Ramolhaus abgekauft. Zuvor gelegenen Hütten des DuOeAV von hatte die Sektion ihre beiden in Italien beschlagnahmt worden. Die Südtirol gelegenen Hütten (Bergl- wichtigsten Erweiterungs- und Um- hütte im Ortlergebiet, Schaubach- bauten des Ramolhauses datieren hütte im Suldental) verloren. Nach in die Jahre 1898, 1929 und 2005. 68

Breslauer Hütte

1877 hat sich in der schlesischen ten Weltkriegs hatte die Breslauer Hauptstadt Breslau die gleichna- Hütte − wie auch einige andere mige AV-Sektion gegründet. Schon Hütten − eine sehr hohe Auslas- fünf Jahre später, tausend Kilo- tung. Aber nicht BergsteigerInnen meter vom Sektionssitz entfernt, nutzten sie, sondern Wehrmachts- wurde unterhalb der Wildspitze die angehörige und ausgewählte Fa- Breslauer Hütte (2.844 m) eröffnet. milien mit Kindern aus Großstädten Mit zwölf Schlaflagern und einer verbrachten Erholungstage im Ge- Küchenstelle ausgestattet, war sie birge, bevorzugt mit Lebensmittel- anfangs nur eine Unterkunftshütte. zuteilungen bedacht. Spätestens ab 1897 war die Hütte 1945 wurde auch die Breslauer „während der Reisezeit bewirt- Hütte beschlagnahmt und dann schaftet“. Am bis heute unverän- durch Busch verwaltet. Schlesien derten Standort wurde 1896, 1903, wurde polnisches Staatsgebiet, 1913 und 1929 mehrfach umgebaut die deutschsprachige Bevölkerung und erweitert. Während des Zwei- Breslaus, aus der sich auch die Al- penvereinssektion rekrutiert hatte, wurde vertrieben. Zur Neugründung der Sektion Bres- lau durch ehemalige Mitglieder kam es 1955 mit Sitz im badischen Ludwigsburg. Die Sektion blieb aber lange zu schwach, um die Hütte nach 1956 wieder zu über- nehmen. Der DAV-Hauptverein in München sprang ein, 1972 kaufte die Sektion die Hütte um 12.300 Die Breslauer Hütte nach der Erweiterung DM zurück. 1990 hat die Sektion 1913 mit Kreuzkamm und Hochjochferner Breslau ihren Sitz von Ludwigsburg 69

nach Stuttgart verlegt. weiterer Anbau, 1997 wurde der Bereits 1946 hatte der Pächter die alte Winterraum durch ein groß- Versorgung der Hütte durch den zügiges Winterhaus mit 22 Schlaf- Bau einer Materialseilbahn ent- plätzen ersetzt. Danach wurde scheidend verbessert. Seit 1960 das Haupthaus generalsaniert und gibt es elektrisches Licht aus eige- ökologisch auf den Stand der Zeit ner Erzeugung. 1977 erfolgte ein gebracht.

Vernagthütte

Die Sektion Würzburg im DuOeAV für den Standort Vernagt-Hinter- entstand bereits 1876 und führte grasl, nicht zuletzt auf Empfehlung ab 1889 die Edelhütte unterhalb der Gletscherforscher um Sebas- der Ahornspitze im Zillertal. Bei der tian Hinterwalder – ein nicht ganz zweiten Hütte entschied man sich uneigennütziger Rat.

Vernagthütte mit Vernagtferner, bald nach der Hütteneröffnung 1901 70

1901 wurde die in den ersten Jahren 1.650 BesucherInnen, 1912 wurde unbewirtschaftete Hütte auf 2.755 erstmals erweitert. Unterbrochen m eröffnet, am Rande der mäch- durch den Ersten Weltkrieg, wurde tigen Moräne des Vernagtferners, die Hütte ein wichtiger Standort für die an den Gletscherhöchststand SkitourengeherInnen mit wochen- von 1850 erinnert. I langer Bewirtschaftung im Spät- n den ersten Jahren wurde der Zu- winter. stieg nur mit Führer empfohlen, 1932, 1974 und 1985 wurde erwei- weil die Hütte von den Zungen von tert und zugebaut, seit 1966 ist Guslar und Vernagtferner umflos- die Versorgung durch eine Mate- sen wurde. Noch im Eröffnungsjahr rialseilbahn erleichtert, deren Tal- traf sich die in Vent tagende „Inter- station sich unweit der Rofenhöfe nationale Gletschercommission“ befindet. Die Bewirtschaftung der auf der Hütte. Vernagthütte ist seit über 50 Jahren 1911 hatte die Vernagthütte eine Domäne der Familie Scheiber, (= Würzburger Hütte) bereits die in Vent den Wieshof führt.

Brandenburger Haus

1903 schlug der deutsche Tier- tion, einer wissenschaftlichen Glet- zuchtwissenschaftler und Alpinist scherstation und als Standquartier Emil Pott in den Mitteilungen des für Maler vortrefflich geeignet sein.“ DuOeAV den Bau eines „Zentral- Die Sektion Mark Brandenburg schutzhauses“ am Kesselwandfer- (SMB) zeigte Interesse und bekam ner in den Ötztaler Alpen vor: „Ein noch im gleichen Jahr vom Zent- Haus, dessen Lage nicht leicht an ralausschuss des DuOeAV die Ge- Großartigkeit der Gletscherszenerie nehmigung. Gewählt wurde ein zu überbieten sein würde“, schrieb atemberaubender Bauplatz auf Pott. „Das Haus würde auch zur Er- einer Felsnase oberhalb des Kes- richtung einer meteorologischen Sta- selwandfernes, umringt von fas- 71

Einweihung am 18. August 1909, schon das erste Jahr brachte 600 Gäste

Die gemütliche Stube des Brandenburger Hauses

Das Brandenburger Haus am Fuß der Dahmannspitze kurz nach der Eröffnung 72

zinierenden Gipfelgestalten und Innsbrucker Gericht, dass die Hütte einem in einer halben Stunde zu auf dem Gemeindegebiet von Kau- besteigenden Hausberg im Rücken. nertal steht. Eine Venter Hütte ist Der bescheidene Gipfel ist immer- das Brandenburger Haus trotzdem hin 3.401 m hoch und wurde nach geblieben, wie die Herkunft der dem Architekten der Hütte, Richard HüttenpächterInnen über die Jahre Dahmann, benannt. Das Branden- zeigt. burger Haus steht auf 3.277 m. 1956 erhielt die neue Sektion Berlin Errichtet wurde ein dreigeschoßi- die Hütte zugesprochen. Trotz ei- ger Steinbau, der im Kern bis heute ner gründlichen Sanierung in den unverändert ist. Fünf Jahre wur- 1960er-Jahren ist an einem Haus in de jeweils nur wenige Wochen im dieser Höhe und Ausgesetztheit im Sommer unter schwierigsten Be- Prinzip ständig etwas zu tun. Dabei dingungen gebaut. ist jeder Arbeitsschritt aufwändig Von der Sektion Frankfurt a.M. er- und teuer. Trotzdem wurden 2008 warb die SMB die Weißkugelhütte die Kriterien für die Verleihung des am Ende des Langtauferer Tales, Umweltgütesiegels des DAV er- nicht zuletzt um dadurch die Ver- reicht. sorgung des Brandenburger Hau- Seit faktisch keine Träger mehr zu ses zu erleichtern. Nach dem Ersten bekommen sind, gibt es zur Versor- Weltkrieg lag die Weißkugelhütte gung mit dem Hubschrauber kei- plötzlich in Italien, auch sie wurde ne Alternative. Ein Hüttenbetrieb enteignet. ohne Zuschüsse der Sektion wäre Die beiden Weltkriege überstand nicht möglich, obwohl rund 2.000 das Brandenburger Haus relativ Nächtigungen jährlich für die kur- unbeschadet, obwohl im Ersten ze Bewirtschaftungszeit beachtlich die österreichische Armee die sind. Der Zustieg zur höchstgele- Hütte für Ausbildungszwecke be- genen DAV-Hütte ist bis heute eine schlagnahmte. 1930 entschied ein Gletschertour geblieben. 73

Schöne Aussicht / Bellavista

Die Initiative für die beiden bis heu- scherskigebiet, das Seraphins Enkel te privaten Hütten am Hoch- und Leo errichten ließ und das seit 1975 Niederjoch gingen vom Schnalser in Betrieb ist. Tourismuspionier Seraphin Gur- Seraphin Gurschler hatte 1886 eine schler aus. In seinem Tal wurde er erste, nur teilweise bewirtschafte- der „Alte Kurz“ genannt und be- te Hütte am westlichen Rand des wirtschaftete den Kurzhof am nörd- Hochjochferners auf 2.842 m ge- lichen Ende des Schnalstales. Der baut. 1896/97 wurde erweitert und Kurzhof auf 2.011 m bildete 700 danach im Sommer durchgehend Jahre lang die höchste Dauersied- bewirtschaftet. Bereits um die Jahr- lung Südtirols und war mit einer hundertwende bot Gurschler als Fläche von 1.326 ha der größte Hof touristische Attraktion am Hoch- des Tals. Seit 1983 ist der landwirt- jochferner Pferdeschlittenfahrten schaftliche Betrieb eingestellt. Die an. Während des Ersten Weltkriegs einstige Idylle beherrscht das Ho- und den ersten Jahren der Ab- teldorf von Kurzras, Ausgangspunkt trennung Südtirols von Österreich der Seilbahn zum Schnalstaler Glet- blieb die Hütte geschlossen. Sie

Die „Schöne Aussicht“ vor 1900 74

steht rund 300 m von der Grenze rund neunmonatigen Skibetrieb entfernt auf italienischem Staats- am Hochjochferner änderte sich gebiet. 1924 eröffnete Seraphins der Charakter der Hütte. Sie ist nun Sohn Hermann die Schöne-Aus- nicht mehr Menschen vorbehalten, sicht-Hütte / Rifugio Bellavista wie- die gut zu Fuß sind, sondern Teil des der. Die heutige Gestalt erhielt das Skizirkus und Ziel von Seilbahntou- Haus 1933, seit damals gibt es auch ristInnen. Seit 1999 ist die Hütte im einen Winterbetrieb. Mit der Eröff- Eigentum der Hoteliersfamilie Grü- nung der Schnalstaler Gletscher- ner aus Karthaus im Schnalstal. bahn von Kurzras und dem derzeit

Similaunhütte

Die erste Similaunhütte am Nieder- Wasser gefüllte Behälter dienten. joch (3.019 m) eröffnete Gurschler Die Träger hatten ihre Lasten nur 1899 mit zehn Lagerplätzen. Schon noch knapp 1.000 Höhenmeter zu nach dem ersten Sommer wurde er- schleppen, die sie dafür dann oft weitert. 1905 verkaufte er die Hütte zwei Mal täglich bewältigten. seinem aus Naturns stammenden Nach dem Ersten Weltkrieg lag auch Fuhrknecht Alois Platzgummer. Die diese Hütte ein paar Meter jenseits Hütte war stets gut besucht, und der Staatsgrenze. In den 1930ern während der Hauptsaison waren bis gab es bereits eine Winteröffnung zu fünf Träger zu deren Versorgung für SkifahrerInnen, während Platz- beschäftigt. Zur Entlastung der gummers Sohn Luis die Führung „Jochtrager“ wurde bereits 1912 für der Hütte übernahm. Große Grenz- das steilste Stück über die Jochköfel probleme gab es in den 1960er- eine Seilbahn gebaut. Angetrieben Jahren, als Südtirol Schauplatz von wurde diese mit Gegengewichten, Attentaten wurde. Allerdings mit wozu bei der Bergstation am Nieder- einem positiven Nebeneffekt: Als joch herumliegende Steine oder mit sich das italienische Militär und der 75

Zoll unmittelbar unterhalb der Hüt- wieder weiter, bewirtschaftet von te einen trutzigen Bunker bauen Hans Platzgummer. Der verkaufte ließen, wurde von Vernagt herauf 1984 an seine Schwester Adolfine, eine vier Kilometer lange Seilbahn womit die Hütte ins Eigentum der errichtet. Diese konnte von Luis Familie Pirpamer überging. Platzgummer übernommen wer- Als Hüttenwirt fungiert heute Mar- den − seither ist die Versorgung der kus Pirpamer, der das mehrfach um- Hütte einfach geworden. und ausgebaute Haus gemeinsam 1964 wurde wieder einmal über mit seiner im Vinschgau geborenen die Jöcher geheiratet: Adolfine, die Frau Ulli führt. älteste Platzgummertochter, ehe- 2006 hatten die Bemühungen end- lichte Luis Pirpamer, den Sohn des lich Erfolg, das verfallene und die Venter Postwirts. 1966, am Höhe- Landschaft verschandelnde italie- punkt der gewalttätigen Auseinan- nische Zollhaus abzutragen. 2011 dersetzungen in Südtirol, wurde die wurde die Similaunhütte um eine Hütte geschlossen und mit Stachel- verglaste Gaststube mit Ortler-Blick draht abgeriegelt. Erst 1970 ging es erweitert.

Die Similaunhütte und der Similaun mit Skitouristen in den 1920er/1930er-Jahren 76

Das Brandenburger Haus am Kesselwandferner in einer Höhe von 3.277 m ist die höchstgelegene DAV-Hütte. Die Dimensionen in der Gletscherwelt der Ötztaler Alpen verdeutlicht dieses undatierte Foto – die Hütte ist in der Ecke rechts unten. 77

Die Sektion Mark Brandenburg

Erst in den 2000er-Jahren haben schaft auf „christliche deutsche DAV und ÖAV mit einer entschie- Staatsbürger“, später verschärft auf denen Aufarbeitung ihrer national- „deutsche Männer“. Die SMB hat sozialistischen und antisemitischen bis zu ihrer Auflösung 1945 eine Vergangenheit im DuOeAV begon- rege publizistische Tätigkeit entwi- nen. Ein Meilenstein ist das 2011 ckelt. Darunter ein regelmäßiges gemeinsam herausgegebene, um- Mitteilungsblatt, das ab 1923 unter fassende Werk „Berg Heil! Alpenver- dem Namen „Oetzthaler Bergbote“ ein und Bergsteigen 1918−1945“. erschien. In diesen Heften kommt Im Sinne von Aufklärung und Be- die Geisteshaltung der Sektion von wältigung verstehen sich auch die Anfang an unverhohlen zum Aus- 2008 und 2009 von der DAV-Sekti- druck. 1905, als man auf dem Bau- on Berlin herausgegebenen zwei platz am Kesselwandferner in groß- Hefte „Erfolge − Intrigen − Intole- en Schwierigkeiten steckt, heißt es ranz. Die Geschichte der Berliner etwa: „Die Sektion hat eine grosse Bergsteiger bis 1945“ unter der Aufgabe zu erfüllen, denn wenn redaktionellen Verantwortung von ihre Mitglieder auch kämpfen und Warmund Koch und Klaus Kundt. ihre Kräfte körperlich und geistig im Vent ist dabei ein wichtiger Schau- Kampf mit den Naturelementen stäh- platz, weil hier die Sektion Mark len, so dient sie doch vornehmlich Brandenburg (SMB) ihr Arbeitsge- dem Vaterland als Stärkung seiner biet gefunden hat. 1903 hatte sie Volkskraft, und darum auch gewinnt den Mut, das Mammutprojekt am sie immer grössere Bedeutung und Kesselwandferner zu übernehmen, immer mehr Ansehen.“ und dort 1909 das Brandenburger Wie auch andere alpenferne Sekti- Haus eröffnet. onen veranstaltete die SMB alljähr- Die Sektion hatte sich erst 1899 lich in Berlin mit großem Aufwand als Abspaltung der Sektion Berlin gestaltete Alpenfeste, die regen Zu- gegründet. Explizites Motiv dabei spruch fanden und ein gesellschaft- war die Beschränkung der Mitglied- liches Ereignis waren. 78

Gestählte Körper

Spätestens nach dem Ersten Welt- daher auch mehr als Körperübung, krieg hat sich im gesamten Alpen- mehr als Sport, er mißt nicht die verein und darüber hinaus eine Kräfte der Menschen untereinander, Sichtweise des Alpinismus durch- sondern gegenüber den Gewalten gesetzt, der sich mit der Betonung u. Gefahren der Hochgebirgsnatur.“ von Ertüchtigung und Willensstärke Noch unmittelbarer ist das Berg- als paramilitärische Handlung be- steigen als Kriegsvorbereitung zu greift. 1933 hat es der Innsbrucker interpretieren, wenn Stolz schreibt: Historiker Otto Stolz so formuliert: „Andererseits rückt der Alpinismus, „Vom nationalen Standpunkt aus ist die Hochlandsfreude, die Alpen, in de- der Alpinismus in doppeltem Sinn nen der Südrand des geschlossenen von großer Bedeutung. Einerseits bil- dt. Siedlungsgebietes liegt, in die be- det er für weite Kreise des dt. Volkes, sondere Beachtung des dt. Gesamt- besonders für die Jugend u. Jung- volkes, bringt alljährlich Scharen sei- mannschaft, eine vortreffliche Gele- ner Angehörigen in die Alpen u. stärkt genheit zur Abhärtung u. Stählung so die geistige u. wirtsch. Stellung des Körpers u. Willens u. zur Erhebung des Deutschtums in diesem Gebiet, des Geistes an der Erhabenheit der das vielfach dem Andringen des süd- Hochalpenwelt. Der Alpinismus ist lichen Nachbarn ausgesetzt ist.“

Waldemar Titzenthaler

Die SMB wuchs rasch, 1908 waren DuOeAV aufgestiegen war. Ende es 875 Mitglieder und bis zum Be- der 1920er-Jahre wurden mehr als ginn des Ersten Weltkriegs an die 3.000 Mitglieder gezählt, und die 2.000, womit die SMB hinter den Sektion Berlin überflügelt. Nach Sektionen München, Austria, Berlin dem Ersten Weltkrieg war die SMB und Dresden zur fünftstärksten im gemeinsam mit Eduard Pichls Sekti- 79

on Austria die radikalste Vertreterin einer antisemitischen und deutsch- nationalen Linie im DuOeAV, die 1924 im Ausschluss der von jü- dischen BergsteigerInnen gegrün- deten Sektion Donauland münde- te. Seitens der SMB war dabei der Fotograf Waldemar Titzenthaler (1869−1937) federführend, welcher der Sektion 1922−1930 vorstand. Nach der Übergabe des Sektions- vorsitzes an Otto Prietsch wurde Titzenthaler zum Ehrenvorsitzen- Waldemar Titzenthaler den gewählt: „Wo es einzutreten galt für deutsche Art, wo das deutsche der Ruf „Heim ins Reich!“, denn „die Wesen im D.u.Ö.A.V. bedroht schien, deutschen Stämme wollen zueinan- da stand er wie ein altgermanischer der!“ Titzenthaler gehörte auch zu Recke im Vorkampfe, am liebsten den jenen, die besonders lautstark und Angriff der Gegner auf sich lenkend“, emotional die Revision der Ab- hieß es in der Begründung. trennung Südtirols forderten. Sein Der in Laibach geborene Titzentha- Nachfolger als „Führer der Sektion ler war ein brillanter und aggres- Mark Brandenburg“, Otto Prietsch, siver Redner. 1934 erklärte er, der schrieb in der Todesanzeige für den DuOeAV sei 60 Jahre eine „breite Ehrenvorsitzenden Titzenthaler: neutrale Brücke zwischen der deut- „Kampf für deutsches Wesen war sein schen Ostmark und dem Reich“ Element. In Anerkennung und in un- gewesen, nach Hitlers Machtüber- eingeschränktem Vertrauen danken nahme werde diese Verbindung ein ihm dreitausend deutsche Männer. „sichtbares Band“. Die Sektion Mark Brandenburg hat Im „von slawischen Bestandteilen ihren getreuen Eckart verloren.“ 1918 befreiten Österreich“ erklinge 80

Schwieriges Erbe

Titzenthalers Spuren sind in Vent demar Titzenthaler im Hüttengebiet bis heute sichtbar. Als Titzenthaler der Sektion auf dem nach ihm be- 1937 starb, wurde seine Urne in ei- nannten Weg in Vent kein Hindernis ner Felsnische inmitten der Rofen- obwaltet.“ Die Eile und Willfährigkeit schlucht beigesetzt. Drei Monate mit der eine Behörde des austro- nach dessen Tod hatte die Bezirks- faschistischen Ständestaates dem hauptmannschaft Imst innerhalb Wunsch einer offen nationalsozialis- von drei Tagen einer „Eingabe“ tisch agierenden Alpenvereinssek- der Sektion entsprochen und er- tion entsprach, ist bemerkenswert. klärt, „daß gegen die Beisetzung der Über der Felsnische brachte die Aschenurne des verstorbenen Ehren- SMB 1937 eine Bronzetafel an: „Ein vorsitzenden der Sektion Herrn Wal- Kämpfer für das Deutschtum“, heißt es da unter anderem in Würdigung von Titzenthalers Aktivitäten. Mehr als 80 Jahre später hängt diese Tafel noch immer an ihrem Platz. Zeitgleich mit der Eröffnung des neuen Hochjoch-Hospizes, die 1927 in Titzenthalers Amtszeit als Sektionsvorsitzender fiel, war der Weg von den Rofenhöfen bis zum Hochjoch-Hospiz seitens der Sekti- on nach ihm benannt worden. Erst 2003 distanzierte sich die Sektion Berlin von dieser Namensgebung. Seither führt der Cyprian-Granbich- ler-Weg durch das Rofental und er- Gedenktafel für Waldemar Titzenthaler an innert an Franz Senns legendären seinem Urnengrab in der Rofenschlucht Bergführer. Aber noch immer findet 81

sich der „Titzenthalerweg” in Land- karten und Broschüren, mehr als 15 Jahre nach der Umbenennung. Die nach der Katastrophe des Natio- nalsozialismus neugegründete Sek- tion Berlin hat in Vent das Erbe der Sektion Mark Brandenburg ange- treten und 1956 deren drei früheren Hütten übernommen. Zu diesem Erbe zählen neben dem Umgang mit dem Titzenthaler-Gedenken auch jener mit den seitens der SMB vorgenommenen Benennungen von Gipfeln und Wegen im Umfeld des Brandenburger Hauses. Delorette-, Richter- und Oscar- Reuther-Weg, Dahmann- und Eh- richspitze verweisen auf führen- de Exponenten der Sektion Mark Brandenburg. In der Erstausgabe dieses Büchleins 2012 hieß es zu Aufruf der Sektion Mark Brandenburg an diesem Thema u.a.: „Organisationen ihre Mitglieder im Ötztaler Boten 1933 wie die Sektion Mark Brandenburg haben dem Nationalsozialismus mit en Verdiensten zu erfolgen, welche allen seinen Konsequenzen den Weg sich Reuther & Co. mit dem Bau des geebnet. Aus heutiger Sicht ist es da- Brandenburger Hauses und der tou- her fragwürdig, die fünf genannten ristischen Entwicklung in Vent insge- Männer weiterhin durch Gipfel- und samt erworben haben. Dafür wiegen Wegbezeichnungen zu ehren. Die die Verbrechen, die eine Organisation Auseinandersetzung mit dieser Frage wie die Sektion Mark Brandenburg hat völlig unabhängig von den groß- mit zu verantworten hat, zu schwer.“ 82

Eine Zwischenbilanz

Auf Initiative der Sektion Berlin ha- Bergsteiger, sie sollen und dürfen ben DAV und ÖAV am 1. September nicht durch Gedenktafeln, oder durch 2014 eine von den beiden Vereinen eine andere Würdigung wie die Be- unterzeichnete Ergänzung unter nennung von Gipfeln, zu einem Vor- der alten Bronzetafel angebracht. bild hochstilisiert werden. Sie waren Neben führenden Vertretern der und sind keine würdigen Vorbilder, beiden Vereine, der lokalen Politik weder für Bergsteiger noch für die und des Tourismus begründete der Jugend!" vormalige Vorsitzende der Sektion Bemerkenswert ist auch Kundts Berlin Klaus Kundt als Hauptredner Hinweis, dass die SMB sich bereits den überfälligen Schritt so: „Die Hin- zu Antisemitismus und Deutschna- weistafel hier, an diesem Ort, stellt tionalismus bekannt hatte, als Adolf eindeutig klar: Intolerante Geister Hitler noch in die Volksschule ging. sind keine Symbolfiguren für uns Die marmorne Zusatztafel blieb nur wenige Wochen an ihrem Platz. Noch vor dem Winter war sie (offen- sichtlich) mit Hammer und Meißel von Unbekannten heruntergeschla- gen worden – von einem politisch motivierten Akt ist auszugehen. In der Folge konnten sich DAV und ÖAV nicht zu einer Erneuerung der Zusatztafel entschließen. Haupt- grund für diesen Rückzieher waren die Wortmeldung eines Enkels von Waldemar Titzenthaler, wonach er jede Veränderung an der Grabstät- o. und re.: Klarstellungen zur Rolle Titzen- te ablehne. 2016 installierten DAV thalers und der Sektion Mark Brandenburg und ÖAV deshalb ein Statement an 83

der Außenmauer des eine Stunde Gehzeit entfernten Hochjoch- Hospizes. Trotzdem befindet sich seit dem Sommer 2018 eine Klar- stellung zur Rolle Tit- zenthalers und der Sek- tion Mark Brandenburg unterhalb der Bronzeta- fel in der Rofenschlucht. Im September 2019 wurde diese Tafel durch Vandalenakte beschä- digt, erst zerkratzt und dann braun (!) übermalt. Zu den umstrittenen Benennungen von We- gen und Gipfel nach führenden SMB-Mit- gliedern hat die Sektion Berlin 2014 erklärt, die Wegbezeichnungen aus ihren Karten ge- strichen zu haben. Al- lerdings tauchen Delo- rette-, Richter- und Reuther-Weg bereich der betroffenen Gemeinden in Routenbeschreibungen vielfach Sölden und Feichten im Kaunertal weiter auf. Bei der Dahmann- und – Initiativen zu einer Namensände- Ehrichspitze verwies die Sektion rung bei den beiden Gipfeln sind bis ebenfalls 2014 auf den Kompetenz- Herbst 2019 ausgeblieben. Eine Frau und ein Mann am Grat des Spiegelkogels im Ramolkamm.

Das Foto ist vielleicht noch vor 1900 entstanden, jedenfalls nicht wesentlich später. Die Frau hat sich im langen Rock auf diese nicht einfache Tour begeben – ein Outfit, das bis weit ins 20. Jahrhundert für Frauen am Berg und sogar im Fels üblich war. Während Männer am Berg selbstverständlich auf die Vorteile festen Schuhwerks setzten, zeigen Darstellungen von Frauen aus den ersten Jahrzehnten des Alpinismus diese meist mit schmal geschnittenen Stiefeln samt erhöhtem Absatz. Konvention ging offensichtlich vor Zweckmäßigkeit und spiegelt geschlechtliche Realitäten wider. 85

Bergsteigerinnen

Die Alpingeschichte ist männlich die Erstbesteigung am 4. Septem- geprägt. Auch jene von Vent. Berg- ber 1886 durch Theodor Petersen steigerinnen kommen bestenfalls und Anna Voigt aus Erfurt in Beglei- am Rande vor, und dann oft nur, um tung von drei Führern vermerkt. Zur eine Tour als leicht zu charakterisie- zweiten Besteigung kam es erst elf ren, etwa bei der Kreuzspitze: Jahre später − Spaziergang wird der „Daß die Besteigung keine große Gipfel also keiner gewesen sein. Schwierigkeiten hat, kann man von Über Vent kursiert eine nicht da- dem abnehmen, daß zugleich die tierte und unbelegte Geschichte: Als Widumhäuserin von Vent u. die zwei sich herumsprach, dass eine Englän- unterzeichneten Stickerinnen von derin mit zwei auswärtigen Führern Kronburg mithinaufgingen“, schrieb eine Erstbegehung vorhabe, sollen ein Herr Josef Alois Sailer aus Kron- ein paar einheimische Burschen sich burg am 17. September 1866 ins blitzschnell auf den Weg gemacht Venter Fremdenbuch. haben, um besagte Route keiner Tatsächlich finden sich in den lan- Frau zu überlassen. gen Listen von Erstbesteigungen Es ist nebensächlich, ob die Ge- und Erstbegehungen in Vent keine schichte stimmt oder nicht, sie illus- Namen von Frauen. In der Nähe gibt triert Haltungen, die es gegeben hat es eine Ausnahme: Bei der Verpeil- und immer noch gibt. spitze (3.425 m) im Kaunergrat ist

Keine weiblichen Mitglieder

Der Alpenverein war von Anfang Sektion Mark Brandenburg gehörte an als exklusiver Männerzirkel an- zu jenen, die am längsten als reiner gelegt. Viele Sektionen (unter den Männerbund existierte. Ankündi- deutschen fast alle) haben Frauen gungen zu Vereinsversammlungen jahrzehntelang die Mitgliedschaft enthielten den Satz: „Damen und verwehrt. Die in Vent dominierende Gäste haben zu dieser Versammlung 86

Frauen in bevorzugten Rollen: als namenlose Bedienstete im „Gasthaus zum Curaten“ ... keinen Zutritt.“ Bei Vorträgen hieß ger Beitrag über eine Wintertour in es etwa: „Die Plätze im Saal sind für den Venter Bergen so: die Mitglieder bestimmt. Die Damen „Glücklich und zufrieden geht es heim werden gebeten auf der Empore Platz zur Pflicht. Nur eines möchte ich zum zu nehmen, die ausschließlich für sie Schlusse noch wissen: Lebt die Frau freizuhalten ist.“ nur, um weich und schmiegsam zu sein? Nein, tausendmal nein, die Ber- Zeitgleich forderten Frauen den ge machen fest für jeden Kampf und ihnen gebührenden Platz im Alpi- kämpfen müssen auch wir. Dem Man- nismus ein. 1921 endet in den Mit- ne sollen wir Kamerad sein; wenn‘s teilungen des DuOeAV ein mit Anni schief geht, das Gleichgewicht nicht Vogl, München, gezeichneter, lan- verlieren wie am schmalen Grat. Nicht 87

... und fesch angezogen als Spaziergängerinnen am Hochjochferner (beides kurz nach 1900)

Last, sondern Mitstreiter im Leben, am „Heute hat sich die Frau einen sehr Berge, das wollen wir sein!“ guten Platz in den meisten Sportarten Vogl gibt eine zeitgeistige Haltung erobert. Manchmal steht ihre Leistung über die Funktion des Bergsteigens der des Mannes kaum nach. Beim Al- wieder, die heute hoffentlich über- pinismus ist das anders. Wohl gehen wunden ist. Zugleich fordert sie viele Frauen und Mädchen in die Ber- ein Stück Gleichberechtigung ein. ge, doch nie können sie männlichen Gegenpositionen gibt es zahlreich Bergsteigern ebenbürtig werden. (...) in einschlägigen Publikationen. Kurt Es ist gar nicht die Aufgabe einer Frau, Mair hat 1935 ein Buch mit dem Ti- zu führen. Das ist Sache des Mannes. tel „Der Mensch am Berg“ veröffent- Dagegen sind Frauen oft ausgezeich- licht: nete, aufopferungsvolle Gefährten.“ 88

Frauen-Boom in der Sektion Innerötztal

Ausgerechnet in der Hauptver- rum ist es zum Beispiel unmöglich, sammlung der SMB am 21. März daß die Sektion Mark Brandenburg 1938, also wenige Tage nach dem fast als einzige Sektion innerhalb des Anschluss Österreichs an Hitler- großen Deutschen Alpenvereins auch Deutschland, verkündete Sektions- weiterhin Bergsteigerinnen zurück- führer Otto Prietsch eine Kehrtwen- weist. ... werde ich von heute an auch de bei der Frauenmitgliedschaft: Bergsteigerinnen als Mitglieder in die „Wir wollen und dürfen das Vertrau- Sektion aufnehmen.“ en, das uns der Führer entgegenge- In diesem Zusammenhang erlau- bracht hat, nicht enttäuschen. Da- ben die Mitgliederzahlen der klei- nen Sektion Innerötztal interessan- te Schlussfolgerungen. 1936 weisen die jährlichen Berichte der Sektion 22 weibliche Mitglieder aus, zwei Jahre später sind es plötzlich 162. Nach der Rede von Prietsch finden sich im Ötztaler Boten rasch Auf- nahmeanträge von Frauen in die SMB. Zugleich geht die Zahl der weiblichen Mitglieder in der Sekti- on Innerötztal bis März 1941 wieder auf 22 zurück, exakt die gleiche Zahl wie vor dem Frauen-Boom. Dieser ist offenbar auf Berliner Bergsteigerinnen zurückzuführen, die trotz des Verbots in der SMB Szenenfoto aus der berühmtesten dem Alpenverein angehören woll- Geierwally-Verfilmung mit Heidemarie ten und dann in die SMB übertra- Hatheyer ten, sobald dies möglich war. 89

Ein Modell für diese Vorgangsweise kleinen Gebirgssektionen beizutre- gab es schon drei Jahrzehnte zuvor: ten. So kam etwa die Sektion Ziller- Die Sektion Berlin, die Frauen bis tal zu einer Art Berliner Ortsgruppe, 1929 die Aufnahme verweigerte, die aus Frauen bestand und sogar empfahl 1905 darüber verärgerten eine eigene Vorsitzende hatte. Frauen in ihrer Sektionszeitschrift,

Alltags- und andere Heldinnen

In der Venter Alpingeschichte blei- tive Wally bei den realen Brüdern ben Bergsteigerinnen namenlos. Nicodemus und Leander Klotz Un- Nicht viel besser ergeht es den terschlupf finden. Der Stoff wurde Frauen, die als Wirtinnen und Kö- vielfach adaptiert, für Oper, Bühne chinnen ihren unverzichtbaren An- und Film. Alfredo Catalanis lyrische teil an der Erfolgsgeschichte des Oper „La Wally“ wurde bereits 1892 Ortes haben. uraufgeführt. Die bekannteste Ver- Die berühmteste Venterin aller filmung, ein nationalsozialistisches Zeiten ist eine Romanfigur: die Blut- und Boden-Epos mit Heidema- Geierwally. Wilhelmine von Hillern rie Hatheyer in der Titelrolle, ist 1939 (1836–1916) hat in dem 1875 er- in Sölden gedreht worden. schienenen Roman „Die Geierwal- Heute erinnert in Rofen der Gast- ly“ ihrer Zeitgenossin, der Malerin hof Geierwalli an diese so vielfältig Anna Stainer-Knittel (1841–1915), interpretierte Frauenfigur. 1956 ent- ein literarisches Denkmal gesetzt. stand eine Verfilmung mit Barbara Während die mutige und emanzi- Rütting in der Hauptrolle. Die für die pierte Malerin im Lechtal zuhause Dreharbeiten eigens errichtete Gei- war, verlegt Hillern das Geschehen erwalli-Hütte steht bis heute ober- ins Venter Gebiet, insbesondere halb der Bergstation der Seilbahn nach Rofen. Dabei lässt sie die fik- aufs Hafelekar hoch über Innsbruck. 90

Vent mit den Stubaiern kurz nach 1900 (o.) und das Hochjoch mit Wild- und Kreuzspitze. Wie auf vielen seiner Fotos hat der Venter Kurat Johann Georg Thöni auch auf diesen beiden seinen Bernhardiner Cato ins Bild gerückt, Cato ist auch auf den Seiten 20, 47 und 86 zu sehen. 91

Der Tourismus setzt sich durch

Der Strom der Fremden ins Ötztal hintersten Talwinkel musste Vent und speziell nach Vent wuchs auch in seiner touristischen Entwicklung nach Franz Senns Abschied stetig tendenziell ins Hintertreffen gera- an. Rund 1.000 TouristInnen berei- ten. Auf eine Straße musste man sten 1875 das Ötztal, 1877 verzeich- hier noch einige Jahrzehnte war- nete Vent als damals wichtigstes ten. Ziel 449 eingetragene Gäste. 1884 1904 gab es im Ötztal 25 Gasthäu- kamen in den Ortschaften des Ötz- ser mit 1.012 Betten, dazu 172 Pri- tales 3.000 Gäste zur Anmeldung, vatzimmervermieter und 59 auto- um die Jahrhundertwende bereits risierte Bergführer. Ein ganzes Tal mehr als 10.000. hatte sich auf den Weg von einer Eine Voraussetzung für die Ent- rein bäuerlichen Gesellschaft in wicklung im Ötztal war seine ver- Richtung Tourismushochburg ge- besserte Erreichbarkeit. Mit der macht. Zu diesem Zeitpunkt ver- Eröffnung der Arlbergbahn 1884 fügte Vent mit dem „Gasthof zum hatte das Ötztal Anschluss an das Curaten“ über 20 Zimmer und 34 internationale Eisenbahnnetz ge- Betten, der „Gasthof Post“ der Fa- funden, und 1903 reichte die Straße milie Tappeiner bot 36 Zimmer mit durch das Tal bis Sölden. Als Ort im 80 Betten an.

Noch ein streitbarer Priester

Anfang des 20. Jahrhunderts rückte hochwertiger und auch origineller abermals ein Geistlicher ins Blick- Fotos hinterlassen. Seine Ansichts- feld des Geschehens. Johann Georg karten und Panoramen weisen den Thöni, 1871 in Serfaus geboren und „Photoverlag J.G. Thöni in Vent“ als 1936 als Pfarrer von Wenns gestor- Vertriebsquelle aus. In seinem Ver- ben, war von 1899 bis 1909 Kurat lag gab er auch „Tiroler Wege- und von Vent. Thöni war Bergsteiger und Distanzkarten“ heraus – fantastische Fotograf und hat eine große Zahl Kartenwerke im Maßstab 1:100.000 92

Johann Georg Thöni (1871−1936) und ein Ausschnitt aus seiner Wegdistanzkarte „Stubaier Gruppe“ die für gängige Wegstrecken die Ehrenmitglied der Sektion ernannt, durchschnittlich benötigte Gehzeit das er bis zu seinem Tod blieb. An- angeben. An die 20 solcher Karten haltspunkte für eine ideologische hat Thöni herausgebracht, u.a. für Nähe Thönis zur SMB gibt es nicht, Ötztaler und Zillertaler Alpen, Groß- auch wenn er „der lieben Sektion“ glockner, Venediger, Ortler und 1934 in einem Brief „treudeutsche Dolomiten. Auch als Autor von Wan- Grüße“ sandte. derführern hat er sich profiliert. Thöni gilt auch als Pionier des Ski- Während der Errichtung des Bran- laufs in Vent, brachte 1901 ein Post- denburger Hauses war Thöni für amt in den Ort und erkämpfte 1905 die Sektion Mark Brandenburg der den ersten Telefonanschluss. wichtigste Ansprechpartner. In Ab- In seinen ersten Jahren führte Thö- wesenheit von Sektionsmitgliedern ni auch noch das „Gasthaus zum hatte er eine Art Bauaufsicht inne, Curaten“ in der Tradition Senns, nahm Lieferungen entgegen und ehe er es 1904 verpachtete. 1908 verwaltete Schlüssel. „Infolge seiner verkaufte er schließlich das Widum, überaus eifrigen Mitarbeit am Bau woraus sich das heutige Hotel Kle- des Hauses“ wurde Thöni 1909 zum on entwickelte. 93

Aufschwung und Einbruch

1906 war aus dem benachbarten den Sommertourismus orientiert, Gurgl der Tourismuspionier Marti- eröffnete der Siegeszug des Ski- nus Scheiber nach Vent gekommen laufs eine zweite, immer bedeu- und baute abseits des Ortskerns tender werdende Saison. In den das „Hotel Vent“. Nach zwei Jahren 1920er-Jahren ging es in den Ski- wurde mit 60 Zimmern und 100 tourenparadiesen von Gurgl und Betten eröffnet. Scheiber führte Vent steil aufwärt, und im Ötztal das Haus selbst bis zum Ersten wurden die ersten Skischulen ge- Weltkrieg. Danach musste es in der gründet. ökonomischen Krise 1919 an den Die Ötztalstraße hatte 1913 Zwie- Telfer Fabrikanten Rudolf Pischl selstein erreicht, der geplante Wei- verkauft werden, aber schon 1927 terbau nach Vent scheiterte aber erwarb die Familie das Haus zurück. am Ersten Weltkrieg. In der Zwi- Die heute das Hotel betreibende schenkriegszeit fehlte dem Land Ti- Familie Scheiber ist eine Verbin- rol oft das Geld, dann verzögerten dung der Gurgler Scheiber-Linie mit nicht verwandten VenterInnen glei- chen Namens. 1909 eröffnete der „Gast- hof Wildspitze“ mit 24 Zimmern und 48 Betten, womit es Vent bereits auf 270 touristische Betten brachte. War man zu Senns Zeiten Vent um 1920; im Vordergrund der Gasthof Post, rechts ausschließlich auf hinten das Gasthaus zum Curaten 94

wiederum technische Probleme den Bau. Auf den vorhandenen We- gen erreichte 1927 das erste Auto Vent, an einen Linienverkehr war aber weiter nicht zu denken. Trotz- dem kamen in den frühen 1930er- Jahren schon tausende Gäste nach Vent, überwiegend aus Deutsch- land. Ein Boom, der 1933 mit der Hotel Vent; ca. 1908 „1000-Mark-Sperre“ jäh endete. Zur Schwächung der österreichischen Wirtschaft hatte Hitler-Deutsch- land verfügt, dass Deutsche bei der Ausreise nach Österreich 1000 Mark zu zahlen hatten. Drei Jahre blieb diese Schikane aufrecht. 1935 wurde in Nachbarschaft zum Hotel Vent die Pension Gstrein eröffnet. Das von Hans Gasthof Wildspitze; 1930er-Jahre Feßler (1896−1973) geplante Haus ist ein wichtiger Beitrag aus der Blütezeit der Tiroler Tourismusar- chitektur. Ein Anbau aus dem Jahr 1952 mindert leider ein wenig das ursprüngliche architektonische Konzept. Ungleich dramatischer als die Ab- geschiedenheit von Vent muss man sich jene von Rofen vorstel- len. Hier war man es bis weit ins 20. Pension Gstrein; vor 1952 Jahrhundert gewohnt, im Winter 95

fünf Monate von der Umwelt ab- zucht, der Gasthof Rofen und der geschlossen zu sein. Eine Straßen- Gasthof Geierwallihof. Die heu- verbindung von Vent herauf wurde tigen BewohnerInnen Rofens tra- erst 1981 gebaut. In der Gegenwart gen den Familiennamen Klotz, sind befinden sich in Rofen ein bäuer- aber mit den berühmten gleichna- licher Betrieb mit einer Haflinger- migen Brüdern nicht verwandt.

Lawinen und Feuer

Das Venter Tal ist beiderseits von gezählt. Für den Zeitraum 1986 bis 67 Lawinenstrichen bedroht. In 2004 sind auch die Straßensperren den 30 Wintern ab 1973/74 wurden erfasst: 173 zwischen Bodenegg insgesamt 243 Lawinenabgänge und Winterstall, 241 zwischen Win-

Die Rofenhöfe in der Gegenwart 96

terstall und Vent, wobei der Monat starb in einem Haus im Ortszen- März am häufigsten von Sperren trum unter den eingedrungenen betroffen war. Schneemassen. Das schlimmste Lawinenunglück „Vom Hotel ‚Post‘ wurde der Speise- der beiden letzten Jahrhunderte saal eingedrückt und Stall und Stadel ereignete sich 1817 im Weiler Neder weggerissen. Im Hotel ‚Kleon‘ wurde bei Heiligkreuz: sechs Tote, darun- eine Hausseite und das Bäckereige- ter der Bürgermeister von Vent bäude eingedrückt. Das Feuerwehr- (damals noch eine eigenständige haus wurde mit dem gesamten In- Gemeinde) Michael Tappeiner. Das ventar zerstört, nur die Motospritze zerstörte Haus „Untere Neder“ wur- konnte gerettet werden“, berichtete de nicht wiederaufgebaut. die lokale Presse. Nur ein halbes 1945 starben zwei Menschen durch Jahr später, am 4. August 1951 wur- eine Lawine in Bodenegg, und am de die „Post“ (damals schon von 21. Jänner 1951 kam es zur einzigen der Familie Pirpamer betrieben) überlieferten Lawine mit Todesfol- bei einem nächtlichen Brand völlig gen, die den Ort Vent unmittelbar zerstört, bei dem aber keine Men- betraf – der 20-jährige Karl Plörer schen zu Schaden kamen.

Fragile Straßenverbindung

Während des Zweiten Weltkriegs bis Zwieselstein einzurichten. 1954 kam der Tourismus im gesamten berichtete ein Journalist von dieser Ötztal gegen Kriegsende mehr abenteuerlichen Fahrt: oder weniger zum Erliegen und „Zweimal stiegen wir aus, um Ver- auch danach nur langsam wieder kehrshindernisse, die in der Nacht in Schwung. Die Straße nach Vent in Gestalt schwerer Felsblöcke vom war noch immer ein Torso, immer- Hang herabgeflogen waren, aus der hin reichte es dazu, ab 1948 mit Fahrbahn zu wälzen.“ 1956 konnte einem Jeep einen Linienverkehr die Straße endlich durchgehend als 97

solche bezeichnet werden, wenn ter Gefahren für die Venter Landes- auch nur einspurig. Im Stundentakt straße darstellt. Rund 20 Kubikme- wechselte die Einbahnregelung ter Gestein donnerte auf und über talein- bzw. talauswärts. Seit 1976 die Straße hinweg in die Venter ist die Straße zweispurig, lawinen- Ache, glücklicherweise kamen kei- sicher verbaut ist sie erst seit weni- ne Menschen zu Schaden. Zwei gen Jahren – wobei lawinensicher Wochen blieb Vent aus Sicherheits- heißt, dass Straßensperren nur gründen auf dem Straßenweg von noch stunden-, aber nicht mehr ta- der sogenannten Außenwelt abge- gelang erlassen werden. schnitten, es folgten Wochen mit Im Mai 2019 erinnerte ein großer Einbahn- und Ampelregelungen Felssturz zwischen Winterstall und untertags und nächtlichen Total- Vent daran, dass nicht nur der Win- sperren.

Der legendäre Wildspitzexpress; ca. 1950 98

Ausgeglichene Saisonen

Die touristischen Kapazitäten Wintersaison deutlich länger ist, wuchsen ab den 1950ern kontinu- sind die Auslastungen der Hotels ierlich. 1955 gab es in Vent sechs und Pensionen im Sommer und Hotels und Gasthöfe sowie sieben Winter annähernd gleich und die Privatvermieter mit insgesamt 429 beiden Saisonen als ausgeglichen Betten. Damit wurden rund 25.000 zu betrachten. Dazu tragen auch Nächtigungen erreicht. Zehn Jahre die Nächtigungen auf den Hütten später waren es 700 und ab den bei, die zu 80 Prozent im Sommer 1980ern 900 Betten. stattfinden. Im Sommer haben sich die Nächti- 1951 nahm in Vent der erste gungen auf rund 40.000 eingepen- Schlepplift seinen Betrieb auf, delt und sind im Winter auf über der 1961 vom leistungsfähigeren 60.000 gestiegen. Nachdem die Ochsenkopflift abgelöst wurde. Für AnfängerInnen entstand der kleine Gampenschlepp- lift. Das Herzstück des Venter Skigebiets mit einer Höhen- differenz von 750 Metern er- schließen ein 1970 errichteter 2er-Sessellift vom Ort bis Sta- blein und die anschließende 6er-Sesselbahn „Wildes Mann- le”. Die 6er-Sesselbahn er- setzte Anfang 2019 den schon lange nicht mehr zeitge- mäßen Schlepplift, wobei die Sesselbahn zuvor 15 Jahre in Leogang (Salzburg) in Betrieb Ortsprospekt 1939 gewesen war. 99

Bergstation des erneuerten Lifts „Wildes Mannle" im Venter Skigebiet

Im Unterschied zu Vent haben zwei Millionen Nächtigungen nach Sölden und Gurgl ab den 1950ern Wien zur tourismusstärksten Desti- massiv in die Wintersaison inve- nation Österreichs geworden. stiert. Sölden wirbt gegenwärtig Zwei Drittel davon entfallen auf mit 31 Liftanlagen und 144 Pisten- den Ort Sölden, knapp unter 30 kilometern, in Ober- und Hoch- Prozent auf Ober-/Hochgurgl und gurgl lauten die Vergleichszahlen fünf Prozent auf Vent. Sölden (Ort) 25 und 112. und Gurgl erzielen mehr als drei Beide Orte repräsentieren ein Tou- Viertel der Nächtigungen im Win- rismusmodell, das mit jenem von ter. In der Gemeinde Sölden befin- Vent längst unvergleichbar ist. Die den sich rund 17.000 touristische Gemeinde Sölden ist mit mehr als Betten. 100

Winteridylle in Vent mit Blick ins Niedertal, rechts die Talleitspitze 101

Vent bleibt Bergsteigerdorf

In den 1960er- und 1970er-Jahren Schon 1975 wurde am Hochjoch träumten viele Talschaften in Ös- eröffnet, mit der Hoffnung, den terreich vom großen Geld durch schwächelnden Tourismus im Tal Ganzjahresskigebiete. Die Stunde zu beleben. Aus dem Schnalstal der Gletschererschließungen hat- kam dann der Vorschlag, die Ven- te geschlagen. Dem Kitzsteinhorn terInnen könnten mit einer Stra- (Salzburg, eröffnet 1966) folgten ße durch die Rofenschlucht an Hintertux (Tirol, 1967), Dachstein das Gletscherskigebiet andocken. (Steiermark, 1969) und der Stubaier Eine aberwitzige Idee, durch die Gletscher (1973). Am Sölder Retten- Schlucht und den extrem lawinen- bachferner (Skibetrieb seit 1975) gefährdeten Graben eine Straße zu wurde schon gebaut, als Luis Pirpa- bauen – aber was hielt man in die- mer 1972 als Vertreter Vents mit Be- sen Jahren nicht alles für technisch amten der Tiroler Landesregierung machbar. ins Schnalstal fuhr, um die Mög- In Vent wurde das Projekt intensiv lichkeiten einer Erschließung von diskutiert, am Ende kam ein ein- Nieder- und/oder Hochjochferner stimmiges Nein heraus. zu besprechen. Im Protokoll der Sit- „Obwohl sich die Venter bewusst sind, zung vom 13. Juni 1972 steht, dass dass ihnen durch den Beschluss der „das Gletschergebiet am Niederjoch allseits gewünschte ‚Herbstschifah- besser und wesentlich weiträumiger rer‘ als touristische Geldquelle ent- als jenes am Hochjoch“ wäre. Im Ge- geht, sind sie der festen Überzeugung, spräch war auch eine Straße durch dass der künftige Gast das Wandern das Niedertal. in der Natur als Urlaubsmotiv in ei- Allerdings wurde eine Erschließung ner stressgeplagten Zeit immer mehr des Niederjochs von Südtiroler Sei- zu schätzen wissen wird. Vent in den te für„kaum möglich“ erklärt. Des- Ötztaler Alpen wird also das Berg- halb entschieden sich die Schnalser steigerdorf Tirols bleiben − sehr zur mit Leo Gurschler an der Spitze für Freude der naturliebhabenden Berg- einen Alleingang am Hochjochfer- freunde“, hieß es in einer Aussen- ner von Kurzras aus. dung vom 12. Juli 1980. 102

Ruhegebiet und Naturpark

Zu dieser Zeit war die politische km² am 27. Oktober 1981 beschlos- Entscheidung für das Ruhegebiet sen wurde, war das ein großer Er- Ötztaler Alpen bereits gefallen, al- folg, zu dem der ÖAV maßgeblich lerdings wurde noch heftig über beigetragen hat. Allerdings blieben dessen Abgrenzung diskutiert. einige wichtige Flächen vom Schutz 1975 waren Ruhegebiete im Tiroler ausgenommen – genau jene, die es Naturschutzgesetz verankert wor- ermöglichten, die Gletscherskige- den − ein Meilenstein der alpinen biete Kaunertal (1980) und Pitztal Raumordnung. ExpertInnen wa- (1983) zu errichten und 2006 den ren sich einig, nur auf diese Weise Grundsatzbeschluss über den Zu- könnten dem harten Tourismus sammenschluss des Sölder und Grenzen gesetzt werden. Als das des Pitztaler Gletscherskigebiets Ruhegebiet Ötztaler Alpen mit 395 zu fassen. 2019 haben die Betrei-

Marzell Spitzen, Hintere Schwärze, Mutmal Spitze und Marzellferner 103

ber der beiden Gletscherskigebiete großen „Naturpark Ötztal“ erklärt. ein Projekt vorgelegt, das u.a. drei Damit konnte endlich die Arbeit der neue Seilbahnen, einen 600 Meter Schutzgebietsbetreuung aufge- langen Verbindungstunnel und 64 nommen werden, die seither Tho- ha neu erschlossene Pistenflächen mas Schmarda leitet, der zugleich vorsieht. als Geschäftsführer des Vereins 1983 wurde das Sölder Gletscher- Naturpark Ötztal fungiert. Inzwi- skigebiet am Rettenbachferner schen wurden in den Naturpark alle noch um jenes am Tiefenbachfer- Schutzgebiete im Ötztal integriert, ner mit Blick ins Venter Tal erwei- seine Fläche umfasst nun 508 km² tert und trägt seit einigen Jahren in den Gemeinden Sölden, Län- den Namen „Ötztaler Gletscher“. genfeld, Umhausen, Sautens und 2006 hat die Tiroler Landesregie- Haiming. Im Verein arbeiten diese rung Teile der Ruhegebiete Ötztaler Gemeinden, die Bundesforste, der bzw. Stubaier Alpen zum 380 km² Ötztal Tourismus, der ÖAV und die

Winterlicher Anstieg auf die Hochvernagtspitze; in der Bildmitte die Wildspitze 104

Abteilung Umweltschutz des Lan- ausstellungen, Seminare, eine Bibli- des zusammen. othek etc. 67 Gletscher werden im Naturpark Herzstück ist eine naturkundliche gezählt, 152 Gipfel jenseits von Ausstellung auf 300 m², die vor 3.000 m und zahlreiche Naturschät- allem das Interesse von Kindern ze, darunter das höchstgelegene und Jugendlichen wecken soll, die Moor der Ostalpen auf 2.760 m am Naturschätze des Tals auch outdoor Rofenberg. zu entdecken. Eine Außenstelle des International verankert ist das Ru- Naturparkhauses besteht bereits hegebiet Ötztaler Alpen, seit es die seit 2015 im renovierten Venter Wi- Tiroler Landesregierung als Natura- dum. Die kleine, feine Ausstellung 2000-Gebiet (das von der EU-Kom- bietet einen Überblick zu den wich- mission ins Leben gerufene Schutz- tigsten Venter Themen: Franz Senn, gebietsnetzwerk) gemeldet hat. die Gletscherwelt der Umgebung, Im Juni 2019 konnte in Längenfeld Klimawandel, Archäologie, Flora endlich das Naturparkhaus eröffnet und Fauna, die Flurnamen und der werden. Neben der Naturparkver- Schaftrieb. Auch das Tourismusbüro waltung gibt es Platz für Wechsel- hat in dem Gebäude Platz gefunden.

Sanfte Wege

Mit dem Beschluss von 1980 hat- ein Anschluss an das Pitztaler Glet- ten die VenterInnen Weitblick ge- scherskigebiet diskutiert. Eine Tal- zeigt und bewiesen, dass ihnen station mit Tiefgaragen hätte dort der nachhaltige Tourismus ein Her- entstehen sollen, wo am Ortsrand zensanliegen ist. Trotzdem ist diese im Sommer die Pkw in der Wiese Orientierung kein Selbstläufer, und parken. Mit einer Seilbahn wollte 900 Betten müssen ausreichend man ins Taufkar hinauf und am ausgelastet sein. Daher wurde in Pitztaler Seilbahn- und Pistennetz Vent um die Jahrtausendwende anknüpfen. Die Pitztaler Gletscher- 105

Panoramaweg nach Vent mit Talleitspitze und Similaun bahnen zeigten sich interessiert. − ohne die Nachteile des extensiven Der ÖAV wandte sich gegen den Skitourismus in Kauf nehmen zu Eingriff ins Ruhegebiet. Als auch müssen das Land Tirol Ablehnung signali- • weiteren Landschaftsverbrauch und sierte, wurden die Pläne in Vent ad kulturelle Uniformisierung zu vermei- acta gelegt. den In dieser schwierigen Situation, in • die historische, kulturelle und soziale der die künftige Orientierung Vents Ursprünglichkeit zu bewahren in Frage gestellt war, ergriffen DAV • die Interessen von Bevölkerung, Na- und ÖAV die Initiative, und es wur- tur, Tourismusindustrie und Bergstei- de 2003 „Pro Vent“ ins Leben geru- gerInnen zu vereinbaren en. • und schließlich, Vent als „Bergstei- Fünf Ziele wurden formuliert: gerdorf“ zu etablieren. • eine gute, regional verträgliche Diesen Zielen verpflichteten sich touristische Infrastruktur zu schaffen neben DAV und ÖAV auch deren 106

Am Gipfel des Similaun, Blick in die Texelgruppe

Sektionen Innerötztal, Berlin, Bres- eine Winteröffnung gibt. lau, Hamburg, Hildesheim, Re- Aus Pro Vent ist auch die beispiel- gensburg und Würzburg sowie die hafte Wegegemeinschaft Innerötz- Gemeinde Sölden und der Touris- tal hervorgegangen. Anfangs nur musverband Sölden-Innerötztal (in- auf das Gebiet um Vent beschränkt, zwischen Ötztal Tourismus). ist sie inzwischen im gesamten Zu den ersten Maßnahmen zählten Gemeindegebiet Sölden tätig. Das eine Sanierung wichtiger Wander- jährliche Budget von 50.000 Euro wege und die Wiederbelebung der bringen die neun Hütten besitzen- Venter Skirunde durch die Adap- den DAV Sektionen, der ÖAV Inne- tierung von Winterräumen bei ei- rötztal, der DAV Hauptverein und nigen Hütten. Seit 2004 ist dieser der Tourismusverband auf. fünftägige Skitourenklassiker rund Jeden Sommer werden vier Arbeiter um Vent wieder möglich, weil es über den Bauhof Sölden angestellt inzwischen auf den meisten Venter und halten alle Verbindungswege Hütten von Mitte März bis Mitte Mai und Zustiege in Schuss. Zusätzlich 107

werden bei den jährlichen Ver- Luis das schönste Denkmal selbst sammlungen beschlossene Sonder- gesetzt. Als Postwirt, Skilehrer und projekte umgesetzt. Bergführer prägte Pirpamer Vent Den Sektionen bleibt in Erfüllung entscheidend mit. Zahlreiche Funk- ihres Arbeitsgebietsauftrages die tionen hat er in der kleinen Dorf- Instandhaltung der Gipfelwege. gemeinschaft eingenommen, und Das größte Areal hat dabei die er war über Jahrzehnte Vents mar- Sektion Berlin zu betreuen. Ihre kantes Gesicht nach außen. Arbeitsgebiete in Vent haben au- Den hochalpinen Panoramaweg ßerdem die Sektionen Würzburg nutzen an schönen Sommer- und und Breslau. Der hervorragende Frühherbsttagen zahlreiche Tourist- Zustand der Wege ist sicher ein Innen, die sich von Sölden mit dem Grund für den Boom im Bergwan- Bus zum Tiefenbachferner bringen dertourismus. Dazu trägt auch die lassen, 3½ bis 4 Stunden hinunter „Via Alpina“ bei − ebenso wie das nach Vent wandern, sich dort stär- ÖAV-Projekt „Bergsteigerdörfer“, ken und mit dem Bus wieder nach ein Umsetzungsprojekt der Alpen- Sölden fahren. konvention. Fünf Routen mit 341 Etappen umfasst das Wegenetz der Via Alpina, die ihren höchsten Punkt am Niederjoch erreicht. Eine stetig steigende Zahl am Menschen bringt eine Variante des Weitwan- derweges E5 nach Vent. Sie nutzen vom Parkplatz am Tiefenbachfer- ner auf Initiative von Luis Pirpamer in den 1990ern gebauten Panor- maweg nach Vent und wandern über das Niederjoch ins Schnalstal weiter. Mit diesem Weg hat sich der 2011 mit 74 Jahren verstorbene Luis Pirpamer (1937−2011) 108

Staumauer im Rofental

Eine massive Bedrohung des Venter eines Kraftwerksystems zur ener- Tourismuskonzeptes bedeuteten gietechnischen Nutzung des seit 2004 die Pläne des landeseigenen Jahrzehnten begehrten Ötztaler Stromkonzerns Tiroler Wasserkraft Wassers entstehen. In den 1920er- (TIWAG), im Rofental einen rie- Jahren und 1939 war noch daran sigen Speichersee zu bauen. Mit gedacht worden, das Längenfelder einem Volumen von 120 Millionen Becken samt dem Ort zu fluten, in m³ und einer 190 Meter hohen den 1950ern gab es Pläne, Zwie- Staumauer sollte die Oberstufe selstein unter Wasser zu setzen.

Gegen die Staumauer im Rofental demonstrierten 2005 sogar die Schafe am Niederjoch 109

Jenseits des Niederjochs ist genau jekt zu Fall gebracht, wozu u.a. die das passiert: 1956 ist der frucht- Schnalser Schafbauern, die Akti- barste und schönste Talboden des onsgemeinschaft Ötztal, DAV-Sek- Schnalstals und mit ihm der Ort Ver- tionen, Vents Bevölkerung und der nagt in einem Speichersee versun- ÖAV beigetragen haben. Seit 2008 ken. Nur wenige Wochen im Jahr sehen die TIWAG-Planungen Was- täuscht dieser die Idylle eines Berg- serfassungen unterhalb von Vent sees vor, die restliche Zeit ist der See und Gurgl vor, um das Wasser in ei- halb voll oder leer und eine Wunde nen Speicher in der Region Kauner- in der Landschaft. tal zu leiten. Dabei soll das Ötztaler Die Staumauer im Rofental wollte Wasser nur das Medium sein, mit die TIWAG ausgerechnet an der dem in Pumpspeicheranlagen billi- Stelle errichten, wo über Jahrhun- ger Atomstrom zu teurem Spitzen- derte der Eisdamm des Vernagt- strom veredelt wird. Mit „sauberer ferners die Menschen bedroht hat. Wasserkraft“ hat dieses Geschäfts- Breiter Widerstand hat dieses Pro- modell nichts zu tun.

Das Bergsteigerdorf

Wer sich heute mit Venterinnen und in kleinen Schritten, immer mit und Ventern unterhält, wird kaum dem Blick aufs Ganze und im Aus- auf Zweifel am eingeschlagenen tausch zwischen jenen, die in Vent touristischen Weg stoßen: „Wir sind leben und wirtschaften, und jenen, ein Bergsteigerdorf geblieben, weil die zur Erholung kommen. es uns die Natur vorgegeben hat“, Im Sommer passt in Vent alles zu- bekommt man zu hören. Aber wie sammen. Die Landschaft, die Infra- schon einmal gesagt: Selbstläufer struktur an Hütten und Wegen, die ist das keiner. „Bergsteigerdorf“ darf Gastfreundschaft und das touri- nicht Stillstand bedeuten, sondern stische Angebot im Ort, verlässliche braucht Entwicklung – behutsam Bergführer, das Engagement der 110

AV-Sektionen. Der Sommer dauert Runden, weil Gäste die Ruhe Vents hier allerdings nur drei Monate. Es am Abend genießen, untertags ist der Winter, der den VenterInnen aber den Skizirkus von Sölden und Sorgen macht. Das Liftangebot im Gurgl aufsuchen. Ort ist überschaubbar, die Mög- Sicher, der sanfte Weg trifft einen lichkeiten im hochalpinen Gelän- Aspekt des Zeitgeists. Heraus aus de sind im Winter beschränkt. Die der Hektik des Alltags, eingetauscht Venter Skirunde ist fantastisch, aber gegen die Stille und Weite. Das anspruchsvoll und damit ein Min- Bergsteigerdorf, wie es im Buche derheitenprogramm. Die Hotellerie steht. Es wird so bleiben, wenn es und Gastronomie kommt über die genügend Menschen wollen.

Das Bergsteigerdorf Vent 111

Verwendete Literatur und Quellen

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Bildnachweis

Alpenverein-Museum: S. 14 (Foto: Norbert Freudenthaler), 18, 31, 33, 42, 51, 52, 53, 65 Archiv Peter SCHEIBER: S. 36, 66, 70, 71 (u.), 73, 84, 87, 92 (r.), 94 (o., u.), 97 Archiv Markus WILHELM: S. 20, 28 (o.), 40, 48, 54, 60, 86, 88, 90, 98 Ferdinandeum Innsbruck: S. 29, 45 Kaunertalarchiv Martin FREY: S. 13, 22, 26, 27, 35, 38, 43, 44, 47, 56, 59, 62, 64, 67, 68, 71 (o., m.), 75, 76, 79, 92 (l.), 93, 94 (m.) Ötztal Tourismus, Bernd RITSCHEL: S. 100, 103, 106 Hannes SCHLOSSER: S. 10, 15, 16, 18, 28 (u.), 37, 55, 80, 82, 83, 95, 99,102, 105, 107, 108, 110, 115, 117, 120, Rückseite Turmmuseum Ötz: Titel, S. 24

Gletschertor des Vernagtferners 2011, dahinter die Hochvernagtspitze 116

Serie Alpingeschichte kurz und bündig

Amort, Alois; Komposch, Karl; Graßl, Toni; Fent, Rudi; Rasp, Fritz und Stöckl, Uli: Alpingeschichte kurz und bündig - Ramsau bei Berchtesgaden; Hrsg. Deutscher Alpenverein; 92 Seiten; München 2019 Beermeister, Helga: Alpingeschichte kurz und bündig – St. Jodok, Schmirn- und Valsertal; Hrsg. Österreichischer Alpenverein; 118 Seiten; Innsbruck 2016 Glantschnig, Erich: Alpingeschichte kurz und bündig – Mallnitz; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 118 Seiten; Innsbruck 2011 Hasitschka, Josef: Alpingeschichte kurz und bündig – Johnsbach im Gesäuse; Hrsg. Österreichischer Alpenverein; 122 Seiten; 2. Auflage, Innsbruck 2016 Heidinger, Hartmut: Alpingeschichte kurz und bündig – Die Steirische Krakau; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 118 Seiten; Innsbruck 2013 Jäger, Georg: Alpingeschichte kurz und bündig – Region Sellraintal; Hrsg. Österreichischer Alpenverein; 122 Seiten; Innsbruck 2014 Jury, Hans und Rüscher, Klaus: Alpingeschichte kurz und bündig – Malta; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 122 Seiten; Innsbruck 2014 Kendler, Sepp: Alpingeschichte kurz und bündig – Hüttschlag im Großarltal; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 118 Seiten; Innsbruck 2014 Klenovec, Christine und Haitzmann, Christine: Alpingeschichte kurz und bündig − Weißbach bei Lofer; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 118 Seiten; Innsbruck 2014 Maca, Willi: Alpingeschichte kurz und bündig – Reichenau an der Rax; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 126 Seiten; Innsbruck 2013 Mair, Walter: Alpingeschichte kurz und bündig – Das Lesachtal; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 122 Seiten; Innsbruck 2011 Peters, Robert und Lederer, Sepp: Alpingeschichte kurz und bündig – Mauthen im Gailtal; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 110 Seiten; Innsbruck 2013 Sauer, Benedikt: Alpingeschichte kurz und bündig – Das Villgratental; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 118 Seiten; Innsbruck 2011 Schlosser, Hannes: Alpingeschichte kurz und bündig – Vent im Ötztal; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 122 Seiten; 2., aktualisierte Auflage, Innsbruck 2020 117

Schmid-Mummert, Ingeborg: Alpingeschichte kurz und bündig – Das Große Walsertal; Hrsg. Österreichischer Alpenverein; 102 Seiten; 3. aktualisierte Auflage, Innsbruck 2018 Steger, Gudrun: Alpingeschichte kurz und bündig – Ginzling im Zillertal; Hrsg. Österreichischer Alpenverein; 114 Seiten; 2. aktualisierte Auflage, Innsbruck 2018 Tippelt, Werner: Alpingeschichte kurz und bündig – Lunz am See; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 118 Seiten; Innsbruck 2013 Tuschar, Hans. M.: Alpingeschichte kurz und bündig – Zell/Sele; Hrsg. Österreichischer Alpenverein; 122 Seiten; Innsbruck 2016 Trautwein, Ferdinand: Alpingeschichte kurz und bündig – Grünau im Almtal; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 110 Seiten; Innsbruck 2010 Wallentin, Gudrun und Herta: Alpingeschichte kurz und bündig – Steinbach am Attersee; Hrsg. Österreichischer Alpenverein; 106 Seiten; 2., aktualisierte Auflage, Innsbruck 2020 Wiedemayr, Ludwig: Alpingeschichte kurz und bündig – Das Tiroler Gailtal − Kartitsch, Obertil- liach, Untertilliach; Hrsg. Oesterreichischer Alpenverein; 110 Seiten; 2. Auflage, Innsbruck 2014

Das Rofental beim Zusammenfluss von Vernagtbach und Rofenache 118

Tagungsbände Bergsteigerdörfer

Hrsg.: Österreichischer Alpenverein

Startkonferenz Bergsteigerdörfer im Bergsteigerdorf Ginzling, 10.–11. Juli 2008, Tagungsband; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr.1; 34 Seiten; Innsbruck 2008 Bergsteigerdörfer – Ein Modell für die Umsetzung der Alpenkonvention; Tagung Mallnitz/Kärnten, 26.–27. November 2008; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 2; 54 Seiten; Innsbruck 2009 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Öffentlicher Verkehr in peripheren Räumen; Grünau im Almtal; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 3; 70 Seiten; Innsbruck 2010 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Berglandwirtschaft und zukunftsfähiger Bergtourismus – eine untrennbare Einheit; Sonntag im Gr. Walsertal; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 4; 78 Seiten; Innsbruck 2011 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Nachhaltiger Bergtourismus – Kernkompetenz der Bergsteigerdörfer; Johnsbach im Gesäuse; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 5; 50 Seiten; Innsbruck 2012 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Raumplanung und nachhaltige Entwicklung; Lesachtal; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 6; 46 Seiten; Innsbruck 2013 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Protokoll „Energie“ der Alpenkonvention; Lunz am See; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 7; 46 Seiten; Innsbruck 2014 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Bergsport und Gesundheit; Hüttschlag im Großarltal; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 8; 74 Seiten; Innsbruck 2015 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Gedenkjahr Gebirgskrieg 1915/2015; Mauthen im Gailtal; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 9; 58 Seiten; Innsbruck 2016 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Klimawandel – Risiken und Chancen für die Bergsteigerdör- fer; Vent im Ötztal; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 10; 82 Seiten; Innsbruck 2016 Jahrestagung Bergsteigerdörfer – Gemeinschaft - Lebensqualität - Kreativität: Die Kultur der Bergsteigerdörfer; Steinbach am Attersee; Serie Ideen – Taten – Fakten Nr. 11; Innsbruck 2018 119

Adressen

Brandenburger Haus (3.277 m) Martin-Busch-Hütte (2.501 m) DAV-Sektion Berlin DAV-Sektion Berlin Schlafplätze: 25 Betten, 70 Lager Schlafplätze: 49 Betten, 72 Lager, 40 Notlager Winterraum: 12 Plätze, offen Winterraum: 15 Plätze, offen bewirtschaftet Anfang Juli bis Mitte/Ende bewirtschaftet Ende Juni bis Ende September September und Anfang März bis Mitte Mai Satellitentel.: +43 720 9203 04 T Hütte: +43 664 3043 151 [email protected] [email protected] www.brandenburgerhaus.com www.hotel-vent.at

Breslauer Hütte (2.844 m) Ramolhaus (3.006 m) DAV-Sektion Breslau DAV-Sektion Hamburg und Niederelbe Schlafplätze: 52 Betten, 70 Lager Schlafplätze: 30 Betten, 35 Lager Winterraum: 22 Plätze, offen Winterraum: 4 Plätze, offen bewirtschaftet Mitte Juni bis Ende September bewirtschaftet Ende Juni bis Ende September T: +43 676 9634 596 T: +43 5256 6223 [email protected] [email protected] www.breslauerhuette.at www.edelweiss-gurgl.com

Hochjoch-Hospiz (2.413 m) Vernagthütte (2.755 m) DAV-Sektion Berlin DAV-Sektion Würzburg Schlafplätze: 29 Betten, 32 Lager Schlafplätze: 50 Betten, 72 Lager Winterraum: 10 Plätze, offen Winterraum: 15 Plätze, offen bewirtschaftet Ende Juni bis Ende September bewirtschaftet Anfang Juli bis Mitte Septem- und Mitte März bis Mitte Mai ber und Anfang März bis Mitte Mai Satellitentel.: +43 720 9203 11 T Hütte: +43 664 1412 119 [email protected] Satellitentel.: +43 720 3472 18 www.hochjoch-hospiz.at [email protected] www.vernagthuette.de 120

Similaunhütte (3.019 m) Ötztal Tourismus – Information Vent und privat Infopoint Vent des Naturpark Ötztal Schlafplätze: 40 Betten, 30 Lager Venterstraße 35, 6458 Vent kein Winterraum T.: +43 5720 0260 bewirtschaftet Mitte Juni bis Anfang Oktober [email protected] und Ende Februar bis Ende Mai www.vent.at T Hütte: +39 0473 6697 11 Satellitentel-: +43 720 9204 39 Naturpark Ötztal [email protected] Naturpark Haus www.similaunhuette.com Oberlängenfeld 142 6444 Längenfeld Schöne Aussicht / Bella Vista (2.845 m) T: +43 5253 2020 1 privat [email protected] Schlafplätze: 55 Betten, 18 Lager www.naturpark-oetztal.at kein Winterraum bewirtschaftet Mitte Juni bis Mitte Oktober Bergführerstelle Vent und Mitte November bis Anfang Mai T: +43 5254 8106 T Hütte: +39 0473 6621 40 [email protected] [email protected] www.bergfuehrer-vent.at www.schoeneaussicht.it

Steil fallen die nördlichen Wände des Kreuzkamms ins Rofental 121

Bergsteigerdörfer – www.bergsteigerdoerfer.org

Das Projekt „Bergsteigerdörfer“ ist eine Initiative des Österreichischen Alpenvereins. Es handelt sich dabei um kleine Gemeinden und Talschaften, die nach einem strengen Kriterienkatalog ausgewählt werden und für ein reichhaltiges Alpinangebot in unverbrauchter Naturlandschaft stehen. „Bewegung aus eigener Kraft“ lautet das Motto der Bergsteigerdörfer. Damit sind Aktivitäten wie Wandern, Bergsteigen, Klettern, Schneeschuhwandern, Skitourengehen und Langlaufen gemeint. Die Initiative steht unter der Schirmherrschaft der Alpenkonvention, und es ist Aufgabe der Bergsteigerdörfer, nicht nur selbst nachhaltig zu wirtschaften, sondern auch eine starke Vorbildfunktion für andere Gemeinden auszuüben. Folgende Gemeinden bzw. Talschaften zählen zu den Bergsteigerdörfern: Das Große Walsertal, Ginzling im Zillertal, Grünau im Almtal, das Gschnitztal, Hüttschlag im Groß- arltal, Johnsbach im Gesäuse, Lesachtal, Lunz am See, Mallnitz, Malta, Mauthen, Region Sellraintal, Steinbach am Attersee, Steirische Krakau, St. Jodok, Schmirn- und Valsertal, Tiroler Gailtal, Vent im Ötztal, Weißach bei Lofer und Zell-Sele. Das große Interesse aus den benachbarten Ländern führte 2015 zur Kooperation mit den be- freundeten Alpinen Vereinen, welche nun die Philosohpie der Bergsteigerdörfer in Bayern (Deut- scher Alpenverein), Südtirol (Alpenverein Südtirol), Slowenien (Planinska zveza Slovenije) und Italien (Club Alpino Italiano) umsetzen. So dürfen sich mittlerweile auch Ramsau bei Berchtesga- den (D), Sachrang und Schleching (D), Kreuth (D), Jezersko (SI), Luče (Sl), sowie Lungiarü (Südti- rol), Matsch (Südtirol) und Val di Zoldo (I) Bergsteigerdörfer nennen.

Kontakt: Österreichischer Alpenverein, Abteilung Raumplanung und Naturschutz Initiative Bergsteigerdörfer Email: [email protected]

Die Alpingeschichte-Bücher können in den jeweiligen Bergsteigerdörfer-Gemeinden für einen kleinen Unkostenbeitrag erworben werden. Vertriebsadressen: www.bergsteigerdoerfer.org/1410-0-Broschueren-Alpingeschichte.html Die Neuauflagen und Neuerscheinungen ab 2016 sind ebenso im Alpenvereinsshop erhältlich. www.alpenverein.at/shop/ 122

Danksagung

2006 war ich für die Recherchen zum Naturkundlichen Führer „Via Alpina − Ötztaler Alpen, Pitztal − Ötztal − Vent − Schnalstal“ viele Wochen in der Region und habe Vent mit seiner Bergwelt näher kennen gelernt. Viele der damals geknüpften Kontakte sind seither nicht mehr abgerissen, und ich konnte für die Recherchen zur Alpingeschichte Vent, die sich in Etappen über mehrere Jahre erstreckt haben, darauf zurückgreifen. Dabei erfuhr ich Gastfreundschaft, fand Unterstützung und erhielt wertvolle Informationen. Hilfreich waren auch die Kontakte zu den im Gebiet tätigen Alpenvereinssektionen und den GletscherforscherInnen am Vernagtferner. Gleiches gilt für Sölden mit den Stationen Gemeinde, Tourismusverband und Ortschronist. Die Erstausgabe diese Buches 2012 und die vorliegende Überarbeitung 2020 wären nicht zustande gekommen ohne die großzügige Öffnung privater Fotoarchive, den Zugang zu privat gesammelter Literatur und Hinweisen auf wichtige Spuren. In Innsbruck schließlich finden sich die UnterstützerInnen im Alpenverein-Museum, im Projektteam Bergsteigerdörfer, im Lektorat und ganz privat.

Bedanken möchte ich mich bei all jenen, die mich bei der Arbeit an diesem Buch begleitet haben: Martin Achrainer, Ludwig Braun, Franz Josef Ennemoser, Martin Frey, Monika Gärtner, Armin und Martin Gstrein, Hans Haid, Barbara Hundegger, Hans Jäger, Bianca und Konrad Klotz, Warmund Koch, Angelika Krismer, Kurt Mächtle, Gerhard Moser, Christian Nösig, Adolfine, Karoline, Markus und Ulli Pirpamer, Stefan Prantl, Veronika Raich, Achim Schäfer, Alexander, Franz und Peter Scheiber, Thomas Schmarda, Ewald Schöpf, Christina Schwann, Andrea Sommerauer, Markus Wilhelm.

Danke! Hannes Schlosser

Impressum Herausgeber: Österreichischer Alpenverein, Olympiastr. 37, 6020 Innsbruck Redaktion: Hannes Schlosser Grafik: SuessDesign.de Layout: Marion Hetzenauer Druck: Sterndruck, Fügen im Zillertal Hannes Schlosser, geb. 1951 in Wien, lebt seit 1975 in Innsbruck; Journalist und Fotograf – die Entwicklung des Alpenraums mit ihren ökologischen, ökono- mischen, sozialen und politischen Aspekten zählt dabei zu seinen Arbeitsschwerpunkten; 1996 bis 2008 Tirol-Korrespondent für die Tageszeitung „Der Standard“; 2006 bis 2017 Redaktion der Vierteljahreszeitschrift von CIPRA-Österreich „Die Alpenkonvention − Nachhaltige Entwicklung für die Alpen“; seit 2007 Lektor für Öffentlichkeitsar- beit an der Tiroler Fachhochschule MCI Manage- ment Center Innsbruck; seit 2008 Redaktion der Buchreihe „Alpingeschichte kurz und bündig“ im Alpenvereinsprojekt Bergsteigerdörfer.

Publikationen (Auswahl): • Naturkundlicher Führer „Via Alpina − Ötztaler Alpen, Pitztal − Ötztal − Vent − Schnalstal“, herausgegeben vom ÖAV 2007 • „Die Alpen. Acht Staaten − Ein Gebiet“, he- rausgegeben vom Ständigen Sekretariat der Alpenkonvention 2009 • Naturkundlicher Führer „Gletscherweg Inner- gschlöß“, herausgegeben vom ÖAV 2006, Neuauflage 2018

Umschlagbilder Titelbild: Vent 1865, Zeichnung von Andreas Ziegler Foto Rückseite: Aufstieg zum Wilden Mannele www.bergsteigerdoerfer.org