Summary by Michael Negele: Our friendly member from Brno, Jan Kalendovský, was not able to attend our meeting in . However, he contributed this nice historical article about a living demonstration at the Vienna horse race track in the afternoon June 6th, 1928. The actors on the 64 squares of a giant chess board wore historical costumes of the second Turk siege (1683) resp. the Thirty Years´ War. The chessmasters themselves took the role of Duke Starhemberg (army commander of Vienna) = Rudolf Spielmann against Kara Mustafa Pascha = Sandor Takács. In the second game Wallenstein, Duke of Friedland = Bernhard Lichtenstein played against King Gustav Adolf of = Ernst Grünfeld. Both games ended in a , but the more than 2000 spectators were delighted by the colourful scenery and the music.

Vienna ± Living Chess 1928 ± Wien Lebendes Schach 1928 Das Bild des Wiener Trabrennplatzes am Nachmittag des 6. Juni unterschied sich eigenartig vom gewohnten Anblick. Auf vierundsechzig weiß-schwarzen Feldern eines riesigen Schachbrettes traten die prächtigsten, längst versunkenen Gestalten der altösterreichischen Geschichte zu neuerlichem Kampfe an, diesmal aber ein unblutiger Streit in Form zweier lebender Schachpartien. Da kommandierte Graf Starhemberg seine tapferen Wiener aus der Zeit der zweiten Türkenbelagerung gegen die wilden Scharen Kara Mustaphas, dort fand der Dreißigjährige Krieg noch ein einstündiges Nachspiel, weil Wallenstein, Herzog von Friedland, mit dem Schwedenkönig Gustav Adolf nochmals die Klinge kreuzen wollte.

(Wiener Bilder 17.06.1928; ein weiteres Bild findet sich in der WSZ 1928, S. 168)

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Durch diesen ausgezeichneten Gedanken einer lebenden Schachpartie mit historischen Kostümen wurde der Schachkampf auch für solche Leute interessant, die es ansonsten nicht zu würdigen wissen, wenn die Schachmeister Takács (Kara Mustapha) und Spielmann (Graf Starhemberg), ferner Grünfeld (Gustav Adolf) und Lichtenstein (Wallenstein) zusammentreffen. Fanfaren kündigten jeden Zug an, der der betreffenden Figur, die zu marschieren hatte, als Befehl des Führers von einem gleichfalls in historische Kostüme gekleideten Herold übermittelt wurde. Die Bauern, das Fußvolk, eröffneten die Feindseligkeiten, wie gewohnt, auf kaschierten Rossen ritt die Reiterei los, die schnellen Läufer, die massiven Türme durchquerten das Feld. Die wichtigste Rolle spielten, wie überall so auch hier, die Damen (Frau v. Sulima, Magda Bernard, List Spinelli und Dorry Hermann), als stolze, schöne Königinnen, waren sie in ihrer graziosen Kraft allen anderen Akteuren am Schachbrett überlegen . ± Manchmal, wenn ein interessanter Zug geschah ± und deren gab es etliche ± erhob sich im sachverständigen Teil der zweitausendköpfigen Zuschauerschaft ein Ruf des (UVWDXQHQVXQGGHU%HZXQGHUXQJZHQQÄ6FKDFKGHP.|QLJ³WURPSHWHWZXUGHJLQJ es besonders hoch her. Am Schlusse der beiden Partien, die beide mit friedlichem Remis endeten, reichten die Könige einander die Hände zum Zeichen der Volkerversöhnung, auch die Damen trugen einander nichts nach. (Wiener Schachzeitung 1928, Nr. 11, Seite 167-168)

Spielmann, Rudolf ± Takács, Sandor [C84] Wien /live game/, 06.06.1928 1.e4 e5 2.Sc3 Sc6 3.Sf3 Sf6 4.Lb5 (Auf ungefährlichen Umwegen ist aus der "Wienerin" eine spanische Donna entstanden. Der Kampf nimmt dementsprechend bald einen südländischen Charakter an.) 4...a6 5.La4 Le7 6.0±0 b5 7.Lb3 d6 (Dies ist bekanntlich besser als die Rochade, worauf für Schwarz sehr unangenehm der Fesselungszug 8.Ld5 folgen könnte.) 8.Sd5 (Der Beginn des Handgemenges! Wird nun Bauer e4 geschlagen, so erhält der Anziehende mit 9.d4 usw. ein erfolgversprechendes Angriffsspiel. Schwarz will aber selbst angreifen. Der folgende Texzug bildet die Einleitung zu einem weit und scharf berechneten Qualitätsopfer.) 8...Lg4 9.Sxf6+ gxf6! (Er schlägt mit dem Bauern, um auf Grund der nun offenen g-Linie die feindliche Königsstellung im Sturm zu nehmen.) 10.Ld5 Sd4! (Schwarz opfert vorübergehend einen ganzen Turm, erhält aber dafür einen außerordentlich gefährlichen Mattangriff.) 11.Lxa8 Lxf3! (Verführerisch, aber schlecht wäre die plausible Folge 11...Sxf3+, denn nach den Zügen 12.gxf3 Lh3 13.Lc6+ Kf8 14.Kh1! kann Schwarz aufgeben.) 12.gxf3 XIIIIIIIIY 9L+ wqk+ tr0 9+ zp vlp+p0 9p+ zp zp +0 9+p+ zp + 0 9 + snP+ +0 9+ + +P+ 0 9PzPPzP zP zP0 9tR vLQ+RmK 0 xiiiiiiiiy

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12...Dc8!! (Die einzige wirkungsvolle Fortsetzung des Angriffes! Schwarz droht Vernichtung durch Dh3 nebst eventuell Tg8 usw.) 13.Kh1 Dh3 14.Tg1 Sxf3 15.Sc6+ Kd8 16.Tg2 Lf8! (Da auf sofortiges Tg8 der Turm mit Schach verloren geht, werden durch diesen feinen Sicherungszug nur Gefahren für den Anziehenden wiederhergestellt.) 17.d3 Tg8 (In dieser furchtbaren Situation findet Spielmann den einzigen Zug, der das anscheinend rettungslos verlorene Treffen wiederherstellt.) 18.Dg1! (Schlägt der Feind die Dame, dann gewinnt Weiß mit leichter Mühe durch 19.Txg8 [droht matt in zwei Zügen] Ke7 20.Kxg1 usw., somit hat Schwarz nichts besseres, als mit) 18...Th8! (den geordneten Rückzug anzutreten. Um Zeit zu gewinnen, folgen einige Zugwiederholungen.) 19.Dd1 Tg8 20.Dg1 Th8 21.Tg3! (Weiß gibt den Mehrwert zurück, um berechtigterweise sein Glück im Endspiel zu versuchen. Vorteile: Läuferpaar und bessere Bauernstellung.) 21...Sxg1 22.Txh3 Sxh3 23.Kg2 Sg5 24.a4! (Das Blatt hat sich gewendet! Nun ist es Schwarz, der um Remis kämpfen muss.) 24...b4 25.a5 Tg8 26.Lxg5 Txg5+ 27.Kh3 Th5+ (Da die Schachgebote durch Fanfarengeschmetter angezeigt wurden, das musikalische Publikum aber die hörbare Manifestation geistiger Ereignisse mit großem Wohlgefallen entgegennahm, entschlossen sich die entgegenkommenden Matadore zu einigen akustischen Zugwiederholungen.) 28.Kg2 Tg5+ 29.Kh1 Kc8 30.c3 (Nach den Aufregungen des Mittelspielsgefechtes verebbt der interessante Kampf allmählich zu einem friedlichen Remisfinale. Nebenbei bemerkt bringt auch die Fortsetzung 30.Ta4 keinen Vorteil für Weiß, da der Nachziehende mit dem Bauernopfer 30...d5 ein befriedigendes Gegenspiel erlangt: 31.Lxd5 Lc5 32.Lxf7 Lxf2 usw.) 30...d5 31.Lxd5 f5! 32.Lxf7 fxe4 33.Le6+ Kb8 34.dxe4 Lc5 35.f3 bxc3 36.bxc3 c6 37.Td1 Tg7 38.Td8+ Kc7 (Remis gegeben. Weiß hat keine Aussicht, seinen Plusbauern zur Geltung zu bringen. Hans Müller - Reichspost 17.6.1928)

Lichtenstein, Bernhard ± Grünfeld, Ernst [C41] Wien /live game/, 06.06.1928 (Gespielt mit lebenden Figuren am 6. Juni 1928 am Wiener Trabrennplatz bei Anwesenheit von über 2000 Zuschauern.) 1.e4 Sf6 2.Sc3 e5 3.Sf3 d6 (Üblicher ist 3...Sc6 oder 3...Lb4. Der Textzug führt zur Philidor-Verteidigung, einer seinerzeit von Nimzowitsch bevorzugten Spielweise.) 4.d4 Sbd7 5.g3 (Sehr beachtenswert und energischer erscheint die Behandlung 5.Lc4! Le7 6.0-0 0-0 7.De2 c6 8.a4 h6 9.La2! Sh7 10.Le3 oder 8...exd4 9.Sxd4 Te8 10.La2! Lf8 11.Df3 Se5 12.Dg3 usw. mit freierem Spiel für Weiß.) 5...g6 (Sieht besser aus als 5... Le7 6.Lg2 0-0 7.0-0 c6, was gewöhnlich geschieht.) 6.Lg2 Lg7 7.h3 c6 8.Le3 Da5 9.dxe5 (Weiß könnte natürlich auch mit 9.0-0 ruhiger fortsetzen. Der Textzug führt zu einem lebhaften Spiele, das schließlich in einem korrekten Damenopfer seinen Höhepunkt erreicht. 9...Sxe4 10.0±0 Sxc3 11.bxc3 dxe5 12.Dd6 Dd5 13.Db4 De6 14.Tae1 De7 15.Sxe5! (Der Auftakt zu einer interessanten Verwicklung, welche die Partie sehr spannend gestaltet.) 15...Lxe5 16.Ld4 c5! 17.Lxe5 cxb4 18.Lxh8 Le5 19.Lxe5 Le6 20.cxb4 Dxb4 21.Tb1 Dc5 22.Lxb7 Td8 23.Lf6 Td6 24.Lg2 Df5 25.Tb8+ Kd7 26.Tb7+ Kc8 27.Tfb1 Ld5 28.Tb8+ Kc7 29.Le7 Tb6 (In dem wilden Gewoge des Mittelspiels hat sich die schwarze Majestät mit großer Mühe behauptet. Mit dem Textzuge erzielt Schwarz die notwendige Vereinfachung.) 30.T8xb6 axb6 31.Lxd5 Dxd5 32.Te1 Dd2 33.Te3 Dxc2 34.a3 Dd1+ 35.Kg2 f5 36.Lg5 Dh5 37.h4 Kd6 38.Lf4+ Kd5 39.Tb3 Kc6 40.Le3 b5 41.Tc3+ Kb7 42.f3 g5 (Remis gegeben. Eine kombinationsreiche Partie, die allgemeinen Beifall erweckte. Anmerkungen von Ernst Grünfeld für die Deutsche Schachzeitung 1928, S. 210)

(Eine kleine Recherche von Jan Kalendovský ± Brno ± Czechia) 4