20 Jahre "Moments musicaux "

Autor(en): Ehrismann, Sibylle

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Aarauer Neujahrsblätter

Band (Jahr): 76 (2002)

PDF erstellt am: 11.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-559098

Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber.

Haftungsausschluss Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot zugänglich sind.

Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch

http://www.e-periodica.ch Sibylle Ehrismann

20 Jahre «Moments musicaux Aarau»

D/V pzo/z/znär Ko/zzcrf/riV/c «Mon/fii/s /zz/is/'- Der Gründer der Konzertreihe wurde 1948 fiiii.v» srfzf seif 2ojrt/froi iccT/i'c/Vatze/ye /'// in Aarau geboren und machte seine Ausbil- (//V a.ïra/u'r A/i/s(X-/// Ko/zipo/z/Vf, /zzfczpzrf zz/zd Ko//- rock- und Renaissancemusik. Diinki, der zerf/'ero/zsfo/fer, rf/V szV/z /zcz rfe// «Mo/«en/s" heute in der Schweiz und im Ausland ein /izz/s/ViZZZ.Y» yry(7zs(7'/iy' //cfnir/zfczz. vielgefragter Kenner und Interpret der Musik des frühen 20. Jahrhunderts ist, hat Tradition der Innovation - so Hesse sich auch hier in der Region immer wieder die in ihrer Konsequenz kompromisslose originelle Programme mit älterer Musik und doch wechselvolle Geschichte der auf Hammerflügeln gespielt. «Moments musicaux Aarau» auf einen Die Gründungsidee von Diinki für die Nenner bringen. Was vor zwanzig Jahren «Moments musicaux» war, unkonventio- auf Initiative des engagierten Pianisten nelle Programme ausserhalb der gewohn- Jean-Jacques Diinki in Unterentfelden sei- teil Pfade zu präsentieren. Dabei stand für nen Anfang nahm, ist unter der Aegide des ihn im Vordergrund, alte Musik mit dem Aarauer Klarinettisten Jiirg Frey zu einem zeitgenössischen Musikschaffen in einen weitherum beachteten Forum für die mu- fruchtbaren Dialog zu bringen. Daraus hat sikalische Avantgarde geworden. sich ein Kammermusikzyklus entwickelt, der an Farbigkeit und künstlerischem Niveau immer mehr gewonnen hat. Die Gründung der «Moments musicaux» Umzug von Unterentfelden Als Jean-Jacques Diinki 1980 die «Mo- nach Aarau ments musicaux» in Unterentfelden ins Leben rief, war die programmatische Aus- Was in Unterentfelden im kleineren Kreis richtung der Konzertreihe seinen person- begonnen hatte, erlebte nach fünf Jahren liehen Interessen entsprechend noch eine eine erste grössere Zäsur. Jiirg Frey über- etwas andere als heute. nahm die künstlerische Leitung, und die

101 102 i Jeiï»-Jiia;ncs rfer GnWfr rfir «Morne»» 2 D/e Schweiber /Compomsfm Re^zzzo /rman iV»

Konzertreihe wurde fortan in Aarau durch- pomsten seiner Generation angeregt und geführt. Eine grössere Resonanz beim Pu- hat sie nicht nur, aber immer wieder auch blikum und eine stabilere finanzielle Basis im Rahmen der «Moments musicaux» in waren die Folge dieses Ortswechsels. Die Aarau uraufgeführt. Auf diese Weise kamen Programmierung brachte zehn Jahre lang in Aarau Komponisten, die heute in der Neues im Umfeld von klassischen und Schweizer Szene einen beachteten Namen romantischen Werken, verlagerte sich aber haben, durch die «Moments musicaux» zunehmend ins rein aktuelle Schaffen. schon in jungen Jahren zu für ihre Ent- Jiirg Frey wurde 1953 111 Aarau geboren Wicklung wichtigen Aufträgen und Urauf- und studierte Klarinette, Komposition und fuhrungen. Und das Aarauer Publikum Alexandertechnik 111 Zürich, Bern und kam und kommt über diese Konzertreihe Basel. Er schloss seine Studien mit dem zu spannenden Begegnungen mit Kompo- «examen de virtuosité» 111 der Klasse von nisten und ihrer Musik. Gleichzeitig hat Thomas Friedli am Konservatorium in diese ganz auf den Kompositionsstil und Genf ab. Frey blickt auf eine ausgedehnte den musikalischen Geschmack von Frey Konzerttätigkeit als Klarinettist zurück. Er ausgerichtete Programmation auch eine hat sich als hochkarätiger Interpret auch gewisse Eindimensionalität des Konzert- 1111 klassischen Bereich, aber besonders angebots zur Folge. für zeitgenössische Musik in der ganzen Schweizer Musikszene schnell einen Na- men gemacht. «Die Klarinette war für mich Der engere Komponistenkreis immer ein Instrument, um mit Kompo- um Jürg Frey nistinnen und Komponisten in Kontakt zu kommen, die mich interessierten», erzählt Zum engeren und gleichaltrigen Kreis um Jiirg Frey in unserem Gespräch. «Ich spiel Jiirg Frey gehören der Zürcher Mischa ein Stück von Dir und hätte da noch eine Käser (*1959), einer der originellsten Text- Frage, - das bringt Kontakt, so lernt man vertoner der Szene, und der heute 111 einander über die Musik kennen. Wenn Zürich lebende Aargauer Musiker und ich mir das so überlege, dann habe ich nie Kritiker Alfred Zimmerlin (*1955), der einfach solistisch virtuos Klarinette ge- als eigenwilliger Cello-Improvisator inter- spielt, da war immer der Hintergedanke an national tätig ist und auch als Komponist mein eigenes Komponieren. Ich spielte die mit schlichten und sehr präzisen Aussagen Stücke, die mich als Komponist interessier- besticht. Da ist aber auch Regina Irman ten.» So hat Jiirg Frey zahlreiche Werke (*1957) aus Wmterthur, eine gefragte von Schweizer Komponistinnen und Koni- Schlagzeugerin, die sehr konzentriert ex-

103 perimentiert und zu strukturell wie klang- immer wieder in überzeugenden Resul- lieh immer wieder überraschenden Re- taten festigt, also in fertigen Stücken zum sultaten ßndet. Dazu kommt der hoch sen- Ausdruck kommt. Stille und Zeit, aus der sible Gitarrist und Komponist Dieter Jordi die Musik heraus entsteht, spielt eine (*1958), ebenfalls aus Winterthur, und die wichtige Rolle, aber auch die Arbeit mit zurückgezogen in Gontenschwil lebende Kleinstmotiven und musikalischen Grund- Esther Roth (*1953), die sich intensiv und satzfragen. Allen ist auch eine gewisse auch im grossen Stil mit der Minimal mu- Sperrigkeit gegenüber Hörerwartungen sie und mit Musikperformance auseinan- und gegenüber den zur Zeit führenden dersetzt. Interessant ist auch der heute im stilistischen Strömungen eigen. Jürg Frey, Tessin lebende Basler Mathias Steinauer der Konzertveranstalter der «Moments (*1959), der sich früher auch als Rockmu- musicaux», gehört als Komponist mitten in siker betätigt hat. Er schreibt eine magisch- diesen Kreis hinein. Man darf diese regio- mythische Musik von ruhiger archaischer nale Zelle ruhig mit so berühmten Künst- Ausstrahlung. lerzirkeln wie der «Groupe des Six» in Paris oder dem «Mächtigen Häuflein» in Es zieht sich wie ein roter Faden durch St. Petersburg vergleichen, auch wenn sie den Komponistenkreis um Jürg Frey und von der Ausstrahlung her in keiner Weise die Konzerte der «Moments musicaux»: verglichen werden kann. Aber auch in die- das Experimentieren mit strukturellen und sen Künstlerzirkeln wurde nicht einfach klanglichen Phänomenen, das sich aber ein einziger Avantgarde-Stil propagiert,

104 wie bei Schönberg und seinem Kreis. Es und der weiteren Umgebung ist dadurch kam in ihnen vielmehr der Austausch von längst zum festen Stammpublikum gewor- künstlerisch und kulturpolitisch Gleich- den. Das gelingt beim Werkstattcharakter gesinnten zum Tragen, der die beteiligten dieser Konzertreihe nur, weil die Leute Komponisten immer wieder zu neuen nicht einfach als notwendiges Übel be- eigenwilligen Lösungen inspirierte. handelt werden, um die eigenen Stücke aufführen zu können, sondern als gleich- wertige Dialog-Partner. Das Publikum der Heikle Balance «Moments musicaux» wird sachkundig und zwischen Komponistenwerkstatt sensibel an Experimente herangeführt. Es und Publikumsnähe werden Einführungen und Gespräche vor dem Konzert angeboten, und die neuen Als Konzertveranstalter darf man aber nicht Stücke werden so programmiert, dass sie nur Komponistenwerkstatt betreiben, man in einem einleuchtenden Kontext auch will ja auch dem interessierten Publikum von einem interessierten Laien verstanden etwas bieten. Mit den «Moments musicaux» werden können. Zudem finden die Kon- ist es Frey immer wieder gelungen, diese zerte immer auch an einem speziell dafür heikle Balance zu finden. Im Raum Aarau, ausgewählten Ort statt: im Laurenzen- wo er nicht gerade mit einem Heer von keller, im Galerieraum des Theaters Tuch- Musikspezialisten rechnen kann, ist das laube, im Didaktikum Blumenhalde, im umso schwieriger. Das grundsätzlich am Saal 2 des Saalbaus oder im Kunsthaus Neuen interessierte Publikum in Aarau Aarau.

106 3 X'o/uTrr/>H/)iTOji)H mir r/er Gc/gen« Joanna BeRer im Mil 1997 im D/rinfen'/mm ß/iimeti/iu/i/c. Foto: S/Vo/o /Ctom/z-Co/wf/m/er (Snto 705,)

4 Cm/9 .S'/ip/iiirr/ iim / .Wäre 2001 111 rfer Storff- fr/W/W/jf/?. Foto: S/Vo/Vi fGwwi-Gobdf/m/er

Es lohnt sich deshalb, an einem konkreten «Cheap Imitations» von , den Beispiel genauer darzustellen, wie Frey das «Rational Melodies» von Ton Johnson 111 den «Moments musicaux» macht. Neh- und dem «Hanns Eisler-Ensemble-Piece» men wir zum Beispiel die Jubiläumssaison von Christian Wolff. Alfred Zimmerlins 1990/1991 zum 10jährigen Bestehen der Klarmettenquintett wurde mit originellen «Moments musicaux», die weit über die Mozart-Fragmenten präsentiert, und Istvän Kantonsgrenzen hinaus beachtet wurde. Zelenka schrieb ein Septett in der glei- Frey vergab für jedes der fünf Konzerte, chen Besetzung wie Beethovens Opus 20. die er veranstaltete, einen Kompositums- Mischa Käser schliesslich befasste sich mit auttrag. Die Aufträge gingen an Jean-Jaqucs Texten aus der Wunderhorn-Liedersamm- Diinki (1948), Regina Irman 1957), Alfred lung, über die er ein Stück für Sopran, Zimmerlin (1955), Istvän Zelenka (1936) Flöte, Klarinette und Streichtrio schrieb, und Mischa Käser (1959). Aber anders als und programmierte es mit Hanns Eislers üblich wurde nicht einfach eine Besetzung «Palmström» in gleicher Besetzung und angegeben und auf die neuen Werke ge- mit den «Wunderhornliedern» seines ehe- wartet, um sie dann zu programmieren. maligen Kompositionslehrers Roland Mo- Frey organisierte das vielmehr umgekehrt ser. Auf diese Art und Weise entstand ein und machte jedem Komponisten und der einerseits die Künstler inspirierendes, an- Komponistin zuerst einen Programnrvor- dererseits aber auch für das Publikum gut schlag mit klassischen und romantischen nachvollziehbares programmatisches Be- Werken, in den das neue Stück passen sollte. ziehungsnetz. Dass dies auf diesem klinst- Natürlich waren schon diese Programm- lerischen und mterpretatorischen Niveau vorschlüge so, dass die Komponisten sich möglich war, obwohl für die Jubiläums- darin wohlfühlen konnten. In ausgiebigen saison nur bescheidene Mittel zur Ver- Gesprächen wurden diese Vorschläge dann fügung standen, ist dem Goodwill der diskutiert, zum Teil direkt übernommen Künstler zu verdanken, auch unter ihrem oder neue Lösungen gesucht. üblichen Tarif mitzumachen.

Die Programme mit den Uraufführungen, die dabei herauskamen, waren faszinierend Anerkennung am Schweizerischen und für das Publikum interessant. So Tonkünstlerfest 1993 stellte Jean-Jacques Diinki sein Trio vier Werken von Robert Schumann gegen- Aber nicht nur die jüngeren, auch ältere über. Im Konzert für Regina Irman wurde bereits führende Komponisten der Schwei- ihr Klarinettenstück kombiniert mit den zer Szene tauchen immer wieder m den

07 Programmen der «Moments musicaux» auf. eben kompositorischen Interessen heraus So zum Beispiel Roland Moser (*1943). für die «Moments musicaux» immer wie- einer der sperrigsten und interessantesten der auch Programmideen entwickelt, die Schweizer Komponisten unserer Zeit, der gesamtschweizerischen Pioniertaten gleich 111 Winterthur und Basel lehrt. Oder dann kamen. In Aarau konnte man die Musik Jacques Wildberger (*1922), bis heute zu von Komponistinnen und Komponisten wenig anerkannt mit seiner geistreichen kennen lernen, lange bevor diese weltweit und sozialpolitisch kompromisslosen Mu- zu Kultfiguren geworden sind. sik. Dazu kommt Klaus Huber (*1924), der Eine zentrale Figur ist der aus dem New musikalische und politische Prophet auf Yorker Umfeld von John Gage kommende internationalem Parkett, und die beiden Morton Feldman, der eine extrem leise, ungarischen Flüchtlinge Istvàn Zelenka meditative Musik an der Grenze des Hör- (*1936) und JanosTamas (1936-1993). Aber baren schreibt. Oder dann die Russin Ga- auch der zeitlebens in Lenzburg wohnhaft 1 i 11 a Ustvolskaya mit ihrer archaisch herben gewesene Peter Mieg (1906-1990),der wohl und kraftvoll wuchtigen Musiksprache. profilierteste Aargauer Komponist semer Aber auch Giacmto Scelsi wurde schon Generation, wurde von den «Moments früh 111 den «Moments musicaux» gespielt. Musicaux» aufgeführt. Welche Wertschiit- Scelis subtiles und analytisch geniales zung die «Moments musicaux» dank ihrem Aushorchen des Innenlebens eines Tones Leiter gesamtschweizerisch gemessen, zeigt machte ihn erst nach seinem Tod zur ge- allein schon die Tatsache, dass am Schwei- feierten Kultfigur der Avantgarde. Einen zer Tonkünstlerfest 1993 111 Luzern zahl- entscheidenden Beitrag leisteten die «Mo- reiche Werke von Aargauer Komponistin- ments musicaux» auch bei der Wiederent- neu und Komponisten vorgestellt wurden, deckung des französischen Komponisten die zuvor in den «Moments musicaux»- Charles Koechlin (1867-1950), einem Schii- Konzerten zu hören gewesen waren. 1er von Jules Massenet und Gabriel Faure. Koechlin war stilistisch sehr offen, griff In diesem sich gegenseitig inspirierenden den Neoklassizismus von Erik Satie auf, Künstlerkreis erschöpfen sich die «Mo- experimentierte gleichzeitig 1111t dichten merits musicaux» aber nicht. Das alleine bitonalen Akkorden, verwendete als einer würde einer Konzertreihe noch kein Pro- der ersten Franzosen die Zwölftontechnik fil mit Ausstrahlung verleihen. Künstler und nahm bereits die Klangflächenkompo- stehen ja immer inmitten einer weltweiten sition der 1960er Jahre voraus. geistigen Strömung, Musik kennt keine Grenzen. So hat Frey aus seinen persönh-

108 5 B/tftezei'i des /îôMset^ewe« FwsemMes m/7 Marûmne /4esc/ifcac/ier (Hj, Mare/fee W^miskäc/ifer (V!), Rap/iac/ Refcer fHaj, 7ob'«s Mosfer (Vç) twdJörg Frey (MarJ. Foto: S/7m7i j

Die Gründung eines hauseigenen wuchs allmählich ein festeres Ensemble Ensembles heran, aus dem schliesslich zu Beginn der 1990er Jahre das hauseigene «Ensemble Die künstlerischen Erfolge festigten in Moments musicaux» mit acht bis zehn den ersten zehn Jahren das Profil der Musikerinnen gegründet wurde. Das «Moments musicaux» markant, und das brachte der Konzertreihe in Aarau einen trotz des eher bescheidenen Budgets. Die entscheidenden Aufschwung. Nun plötz- Anziehungskraft stieg damit natürlich auch lieh bekamen die innovativen Programme für gute Musikerinnen und Musiker aus mehr Gewicht, schon rein besetzungs- der Avantgarde-Szene, die plötzlich nach massig. Und wenn mehr Musiker auf der Aarau kamen, um hier ihre originellen Bühne versammelt sind, kommt automa- Programme zu verwirklichen. Daraus tisch auch mehr Publikum.

109 6 Der Mnfrft/ueme /md /V/r/oedf/V? /CoMzerft/era/ttfrt/fer, M//.s/7?er ////rf Ko/tipomsf ///Frey Fe/ emer /pptf. Fofo: S/'/wd Krt/ww-Gdfoif/iH/er

Das wichtigste bei dieser Ensemblegrün- gramm und in die Musiker zu investieren. dung aber war, dass nun die Konzerte der Und weil auch die Subvention von Stadt «Moments musicaux Aarau» auch expor- und Kanton nicht erhöht wurde, um ein tient werden konnten und so den Namen solches Ensemble zu finanzieren, hätten der Stadt Aarau über die Kantonsgrenzen Sponsoren gesucht werden müssen. Diese hinaus trugen. Es folgten Einladungen überhaupt für ein Avantgarde-Ensemble zu an interessante Avantgarde-Festivals, 1996 finden ist grundsätzlich sehr schwierig. an dasjenige des Deutschlandfunks «Nov Antiqua - Avantgardemusik gestern und heute» 111 Köln, und 1997 an das Festival Grenzerfahrung mit Konsequenzen «Musik des 20. Jahrhunderts» vom Saar- ländischen Rundfunk in Saarbrücken und An eine administrativ und finanziell an die Hochschule des Saarlandes für äusserst kritische Grenze stiessen die «Mo- Musik und Theater. Damit trug das pro- ments musicaux» 1993 mit einem mehr- filierte Ensemble «Moments musicaux» tägigen und sehr aufwändigen Porträt- den Namen der Stadt Aarau an wichtige konzert «Christian Wolff», bei dem der Treffpunkte der Avantgarde hinaus. Komponist selbst im Ensemble mitspielte. Christian Wolff stammt ebenfalls aus dem Für Jürg Frey persönlich bedeutete diese amerikanischen Umkreis von John Cage Ensemblegründung, dass er nicht mehr nur und hat insofern Neuland betreten, als er als Klarinettist, Komponist und Organisa- die für die musikalische Struktur grundle- tor tätig war, sondern nun zusätzlich noch genden Aspekte den Interpreten iiberlässt. als Ensembleleiter, als Dirigent. Solche Was Wolff daran interessiert, ist nicht der Ensemblegründungen für Neue Musik Aspekt des Zufalls wie bei Cage, sondern konnte man aber nicht nur in Aarau beob- die Bedingtheit, mit der die einzelnen auf achten. Zwischen 19 S s und 1990 wurden die Entscheidungen der anderen reagieren: rundherum solche spezialisierten Ensem- die Erzeugung einer Art psychologischer bles gegründet, in Zürich, Basel und an- Kettenreaktion, die Wolff mit dem Be- dernorts. Speziell für Aarau mit semer griff «cueing» benannt hat. Demokratische künstlerischen Nischenpolitik war dieses Strukturen 111 der Formbildung, der Stel- Ensemble «Moments musicaux» eine sehr leuwert der Entscheidung des Interpreten sinnvolle und wertvolle Sache. Doch mit sowie die Versuche, mit nicht professionel- einem Ensemble steigt auch die admi- len Ausführenden zu arbeiten gehen bei mstrative Arbeit, die Frey bis heute gratis Wolff zusammen mit zunehmend politisch leistet, um möglichst viele Mittel ins Pro- ausgerichteten Texten. Es war toll, im

I 10 111 Didaktikum Aarau und im Kunsthaus mit- viel gebracht,» so Jürg Frey. Er wollte und zuerleben, welche Ausdruckskraft und In- niusste sich als Konzertveranstalter neu tensitiit die Wolff-lnterpreten an den Tag orientieren. Zuerst einmal hat er sich stark legten. Zudem hat Wolff für die «Moments auf seine kompositorische Arbeit konzent- musicaux» ein Auftragswerk komponiert, riert, nachdem er 1991 Preisträger am mit dem sprechenden Titel «Aarau Songs». Internationalen Komponistenseminar in Boswil geworden war. Das Thema war da- Es war ein Anlass, der weitherum von sich mais «Stille Musik». Reden machte, die Leute kamen sogar von «In Boswil haben sich für mich viele Kon- den umhegenden Städten nach Aarau, um takte ergeben, aus denen sich nach etwa diesen «Wolff»-Event zu erleben. Für die zwei Jahren die < Wandelweiser Konipom- Konzertreihe war jedoch ein Endpunkt er- sten Gruppe» mit Sitz in formiert reicht. Zwar hatten die Subventionsgeber hat», erzählt Frey. Die «Edition Wandelwei- das Ereignis finanziell etwas stärker unter- ser» ist mittlerweile als Verlag und als CD- stützt, bei weitem aber nicht kosten- Reihe zu einem Begriff geworden. Jürg deckend. Die Geldsuche dauerte fast drei Frey erhielt u.a. Kompositionsaufträge von viertel Jahre, und die ganze Organisation der Stadt Zürich, der «Jeunesses musicales überstieg Freys Kapazität. «Wie weiter?», Suisse» und dem «Rheinischen Musikfest fragte sich der innovative Konzertveran- Köln». Und wichtige Werke von ihm wur- stalter damals. Und: «Entweder hätte ich den oft als Uraufführungen gespielt in eine administrative Teilzeitkraft für ca. 20% Genf. Zürich, Berlin. Bremen, Düsseldorf, einstellen müssen und auch finanziell auf Wien, Oslo, New York, Washington und eine etwas höhere Grundsubvention zählen Ghicago. Dabei erhielt er als Komponist können müssen, um nicht derart viel Zeit gezielte Förderung durch das Kuratorium für die Geldsuche zu verlieren. So konnte des Kantons Aargau mit je einem Werkjahr es jedenfalls nicht weitergehen.» 19N6 und 1996 und einem Aufenthalt in Berlin 1997. Trotz seiner Erfolge mit dein Ensemble «Moments musicaux» erhielt Jürg Frey von Stadt und Kanton die nötigen Mittel nicht, Die «-Gruppe» um sich weiter entwickeln und administra- mit Jürg Frey tiv entlasten zu können. «Ich habe damals wirklich resigniert, ich war auch sehr eut- I )as «Wandelweiser-Komponisten-Ensem- täuscht, denn das Ensemble hat den (Mo- ble» ist auf Installationen ausgerichtet: ments musicaux» und auch der Stadt Aarau Klang, Raum und Stille spielen für ihre

I I 2 Projekte eine zentrale Rolle. Sie umfasst flihlsamen Werkstattgespräch dem Aarauer rund 12 Leute, u.a. auch aus Brasilien, Publikum vorstellte. Und auch von den Japan, Korea und den USA. Sie treffen sich grösseren «Events» rückte er nicht einfach zu Fach-Diskussionen, veranstalten mehr- ab. Er organisiert jetzt regelmässig ganztä- tägige Gesprächskonzerte in Düsseldorf, gige Porträt-Veranstaltungen in Anwesen- Trier, und eben kam eine Anfrage vom heit des Komponisten. Dabei finden an Siidwestfunk, wo auch ein Stück für Bass- einem Sonntag mehrere Konzerte und Ge- Klarinette und Elektronik von Jiirg Frey sprächsrunden statt. So hat Aarau mit dem aufgenommen wird. Zudem schicken die «Moments musicaux» eine neue, spannende Wandelweiser-Komponisten sich gegen- und die Komponistenbegegnung geschickt seitig ihre neuen Partituren zu. Die vertiefende musikalische Plattform erhal- «Wandelweiser» sind ein Geflecht von teil. Freundschaften, weit verzweigt und lose zusammengehalten, dann aber wieder sehr Besonders eindrücklich war die Begeg- nahe beisammen, wenn es um Fragen der nung mit dem deutschen Komponisten Kunst, des Komponierens und des Verste- Walter Zimmermann, der bereits über Jahr- hens geht. «Die Komponisten der Wandel- zehnte einen eigenwilligen avantgardisti- weisergruppe beweisen, dass ein Weiter- sehen Volksmusikstil entwickelt hatte und denken über Feldmann, Wolff, ja selbst der jetzt, wo das Einbeziehen von Volks- Cage hinaus möglich ist. Sie stehen am musik wieder «Mode» ist, interessante Rand, nicht um diesen zu manifestieren Aspekte und analytische Möglichkeiten und festzuschreiben, sondern um über vorstellen konnte. Formen des Überschreitens nachzuden- Oder dann das Gesprächskonzert «Der ken.» (Süddeutsche Zeitung) Untergrund der Zeit» mit dem Ameri- kaner Michael Pisaro, der während seines Es war dieser neue Kreis des Komponisten Stipendienjahres in Deutschland für zwei Frey, der auch seine Auswirkungen auf Tage nach Aarau kam. «Musik geht an der den Konzertveranstalter und seine «Mo- Grenze zwischen Klang und Stille nach, ments musicaux» hatte. Man konnte zum sie wischt die Grenze aus und zeichnet Beispiel im Rahmen des Festivals «Klang- sie wieder ein, mit einer ganz feinen november Aarau» zum Thema «Komponi- Linie ,..»,so Pisaro über sein musikalisches stinnen» die Japanerin Makiko Nishikaze Denken. aus der «Wandelweiser-Gruppe» kennen- lernen, deren ganz anderer exotisch-kul- tureller Hintergrund Frey m einem ein-

113 114 7 .s'/wimcm/f />e/ 2w/ Gespractaktwis-erte« /«/ OÂ.7O6ÉT i99c^ m/ D/7/dkF/?Mw B/t/meu/ifl/f/e. Fo/o: S/P/rt Kdfww-G

Inspirierende Zusammenarbeit Neuerdmgs interessiert sich Jiirg Frey für mit anderen Aarauer avantgardistische Musikfilme, für Klang- Kulturveranstaltern kunst, Elektronik und Performance. Das sind Musiksparten, die vielerorts aus dem Immer wieder wurden in Aarau auch gros- etwas gar eng geworden Zirkel der Avant- sere Kulturprojekt realisiert, weil sich die garde herausführen. Es bleibt nur zu hoffen, «Moments musicaux» ab und zu mit an- dass Jiirg Freys nach wie vor innovativen deren Kulturveranstaltern zusammengetan Projekte auch bei einem etwas grösseren haben. Die Zusammenarbeit vor Ort ist Aufwand in Aarau möglich gemacht wer- kulturpolitisch besonders wichtig, verleihen den. Die «Moments musicaux» sind das doch vereinte Kräfte einer Veranstaltung ideale Forum, welches solche Auseinander- grössere Ausstrahlung und Resonanz. Setzungen und Innovationen ermöglicht. Jiirg Frey hat mit dem Aargauer Kunsthaus oder mit der Tuchlaube Aarau mehrtägige Festivals zum Thema «Musik macht Thea- ter» oder «The New York School» lanciert. Die «Moments musicaux» sind aber auch im alljährlichen Festival «Klangnovember Aarau» integriert. Dabei handelt es sich um einen freiwilligen Zusammenschluss der lokalen Konzertveranstalter, die jeweils ihre November-Konzerte einem gemein- sam ausgeheckten Thema widmen, wie zum Beispiel «Filmmusik», «Oper einmal anders» oder «Komponistinnen».

Zum 20-Jahr-Jubiläum stand das Motto «Musik und Film» mit dem Komponisten Vassilios Kokkas und die vertonte Fotogra- tie im Zentrum des Saisonprogramms. Eine Fotos Silvia die Ausstellung mit von Kamm, Sibylle Ehrismann ist freischaffende Musik- musicaux»-Konzerte über die «Moments Publizistin. Sie hat sich zudem mit grossen die Jahre hinweg dokumentiert hat, war Musikausstellungen zu Arthur Honegger, Paul Anlass für fünfVertonungen ausgewählter Hindemith u.a. einen Namen gemacht. Sic lebt Musik-Bilder. und arbeitet in Ronibach bei Aarau.

' l 5