Sicherheitskultur und Strategiefähigkeit

-

Die ressortgemeinsame Kooperation der Bundesrepublik Deutschland

für Afghanistan

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines

Doktors der Sozialwissenschaften (Dr. rer. soc.)

vorgelegt von

Martin Zapfe

an der

Universität Konstanz

Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftliche Sektion

Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft

Tag der mündlichen Prüfung: 18. November 2011

1. Referent: Prof. Dr. Wolfgang Seibel 2. Referent: Dr. Thomas Rid 3. Referent: Prof. Dr. Christoph Knill

Den deutschen Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfern und Diplomaten

in Afghanistan.

2

Danksagung

Diese Arbeit ist im Rahmen des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz entstanden. Die Forschungsbedingungen waren exzellent. Ich danke den Angestellten des Clusters und der Universität, von der Geschäftsführung bis zur Bibliothek, für die großzügige Unterstützung.

Als langjähriger Leiter der Cluster‐Nachwuchsgruppe „Konfliktgeneratoren“ war Herr Dr. Timo Noetzel eng mit der Konzeption und dem Entstehen der Arbeit verbunden. Innerhalb der Nachwuchsgruppe führte zudem ein fruchtbarer professioneller und persönlicher Austausch im wohl schönsten Büro der Universität zu wichtigen Fortschritten – danke für die Kritik und die Unterstützung! Ich danke selbstverständlich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Seibel, Universität Konstanz, und Herrn Dr. Thomas Rid, King’s College London, für die hervorragende und intensive Betreuung. Zudem gilt Herrn Prof. Dr. Christoph Knill mein Dank für die Übernahme der Drittbegutachtung.

Die vorliegende Dissertation hätte nicht geschrieben werden können ohne die Unterstützung zahlreicher Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bzw. der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit sowie des Bundesministeriums der Verteidigung. Sie haben mir vertrauensvoll und offen Einblicke in ihre wichtige und schwierige Arbeit in und für Afghanistan gegeben. Ich danke für die vielen beeindruckenden Begegnungen und hoffe, dass ich das Vertrauen rechtfertigen kann.

Mein größter Dank gilt meiner Familie, meinen Freunden und meiner Frau Christiane.

Konstanz, im Juli 2011

M.Z.

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Inhaltsverzeichnis

Tabellen­ und Abbildungsverzeichnis ...... 7

Zusammenfassung ...... 8

Einleitung: Sicherheitskultur und Strategiefähigkeit ...... 10

i. Das Problem ...... 10 ii. Die Fragestellung ...... 12 iii. Struktur ...... 15 iv. Literatur ...... 18 v. Empirie ...... 22 1. Theoretische Grundlagen ...... 25

1.1 Strategiefähigkeit ...... 25 1.2 Kooperation und Koordination ...... 27 1.3 Sicherheitskultur ...... 30 1.3.1 Die erste Generation ...... 31 1.3.2 Die zweite Generation ...... 36 1.3.3 Die dritte Generation ...... 37 1.3.4 Sicherheitskultur – Kontext oder Kausalität? ...... 38 1.4 Zivil‐militärische Beziehungen als Sicherheitskultur ...... 44 1.4.1 Samuel P. Huntington – Theoretiker demokratischer Kontrolle ...... 47 1.4.2 Subjektive und objektive zivile Kontrolle ...... 50 1.4.3 Peter Feaver, Agency und Stewardship ...... 53 1.4.3.1 Das Agency‐Paradigma ...... 54 1.4.3.2 Das Stewardship‐Paradigma ...... 58 1.5 „Mythos und Zeremonie“ – Organisationswandel und politische Kultur ...... 63 1.6 Vernetzte Sicherheit ...... 73 1.7 Was wird vernetzt? – Das interorganisationale Netzwerk der Sicherheit ...... 81

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2. Zivil­militärische Beziehungen in Deutschland ...... 85

2.1 „Kontrolle, Integration und Zivilität“ ‐ zivil‐militärische Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland ...... 86 2.1.1 Verfassungsmäßige und formalrechtliche Vorgaben ...... 86 2.1.2 Zivilisierung und Politisierung der Bundeswehr ...... 93 2.1.3 Uneinheitlichkeit der militärischen Führung ...... 98 2.1.4 Uneinheitliches Nebeneinander der zivilen Kontrollinstanzen ...... 102 2.1.5 Agency‐Paradigma & Erziehung zum Steward ...... 105 2.2 Zivil‐militärische Beziehungen in Deutschland – historische Genese ...... 112 2.2.1 Die stille Diktatur – Ludendorff, Hindenburg und Wilhelm II...... 113 2.2.2 Die „widernatürliche Allianz“ – die und Weimar ...... 120 2.2.3 „Machtergreifung“ – Reichswehr und Wehrmacht nach 1930 ...... 135 2.2.4 Zusammenfassung: historische Paradoxie, uneinheitliche Lehren ...... 147 3. Deutsche Vernetzte Sicherheit in Afghanistan ...... 155

3.1 Grundlagen ...... 155 3.1.1 Nationale rechtliche und konzeptionelle Grundlagen ...... 155 3.1.2 Das PRT‐Konzept der Bundesregierung ...... 159 3.2 Nationale Führungsstrukturen und ‐prozesse der Ressorts ...... 162 3.2.1 Strukturen ...... 162 3.2.2 Prozesse auf strategischer Ebene ...... 167 3.2.3 Prozesse auf operativer Ebene ...... 177 3.2.3.1 Prozesse im Regionalkommando Nord ...... 177 3.2.3.2 Prozesse in den PRT ...... 182 3.3 Interne Bewertung der ressortgemeinsamen Kooperation ...... 188 3.4 Kooperation in einem strategischen Vakuum ...... 190 3.5 Zentrale Problemfelder der Kooperation ...... 198 3.5.1 Kein gemeinsames Verständnis von Vernetzter Sicherheit ...... 198 3.5.2 Ungeklärte Zuständigkeiten der Ministerien ...... 204 3.5.3 Spannungsfeld zwischen AA und BMZ ...... 205 3.5.4 Selbstzensur des Militärs – Steward‐Ethos der Bundeswehroffiziere ...... 209 3.5.5 Mangelhafter strategischer Prozess ...... 216 3.5.6 Fazit: Persistente formale Strukturen – informelle Kooperation ...... 220 5

4. Schlussbetrachtung ...... 228

4.1 Die Kernprobleme der ressortgemeinsamen Kooperation… ...... 228 4.2 …gerade in der Umsetzung einer zivil‐militärischen Strategie ...... 231 4.3 Ineffizienter militärischer Beratungsmarkt ...... 233 4.4 Jenseits der Sicherheitskultur: forschungstheoretische caveats ...... 238 4.5 Ausblick: Die weitere Forschung ...... 239

5. Literaturverzeichnis ...... 241

5.1 Monographien und Sammelbände ...... 241 5.2 Aufsätze aus Zeitschriften ...... 256 5.3 Artikel aus Zeitungen...... 262 5.4 Internetdokumente ...... 264 6. Abkürzungsverzeichnis ...... 269

7. Grundlagen der Interviews ...... 273

7.1 Leitfaden für die Interviews ...... 273 7.2 Fragebogen für die Interviews ...... 275

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Tabellen­ und Abbildungsverzeichnis

Tabellen:

Tabelle 1 Kooperation und Koordination ...... 29

Tabelle 2 Subjektive und objektive zivile Kontrolle ...... 62

Tabelle 3 Zivil‐Militärische Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland ...... 111

Tabelle 4 Zivil‐Militärische Beziehungen in Deutschland, 1916‐1945...... 152

Tabelle 5 Gremien der strategischen ressortgemeinsamen Kooperation ...... 174

Abbildungen:

Abbildung 1: Nationale Führungsorganisationen der Ressorts ...... 166

Abbildung 2: Bewertung ressortgemeinsamer Kooperation ...... 189

Abbildung 3: Zentrale Probleme des Einsatzes ...... 191

Abbildung 4: Zentrale Probleme des Einsatzes – BMVg ...... 194

Abbildung 5: Zentrale Probleme des Einsatzes – AA ...... 196

Abbildung 6: Zentrale Probleme des Einsatzes – EZ ...... 197

Abbildung 7: Zustimmung zu einem größeren Einfluss des Militärs – BMVg ...... 216

Abbildung 8: Verfolgt die Bundesrepublik in Afghanistan eine kohärente Strategie? ... 219

Abbildung 9: Bedeutung von persönlichen Beziehungen ...... 221

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Zusammenfassung

Vernetzte Sicherheit, so lautet offiziell der Ansatz des deutschen Engagements in Afghanistan. Diese Arbeit untersucht die Umsetzung dieses Konzeptes durch die relevanten deutschen Ministerien: das Auswärtige Amt (AA), das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg). Die Analyse der ressortgemeinsamen Kooperation folgt dabei zwei Leitfragen: Erstens, was sind die Kernprobleme dieser ressortgemeinsamen Kooperation? Und, zweitens, wieso treten diese Probleme vor allem in der Umsetzung einer zivil‐militärischen Strategie auf?

Aufbauend auf einem institutionalistischen Ansatz untersucht die Arbeit den Einfluss von kulturellen Überzeugungen und Wertvorstellungen auf politische und organisationale Prozesse. Organisationen – also auch Ministerien – tendieren in einem stark normativ geprägten Umfeld dazu, ihre Strukturen und Prozesse an den für sie relevanten Werten zu orientieren. Diese Strukturen werden institutionalisiert und stellen somit „gefrorene Kultur“ dar. Das gilt in der Bundesrepublik vor allem für die zivil‐militärischen Beziehungen: Sie sind in verfassungs‐ und einfachgesetzlichen Normen sowie in Prozessen und Handlungsgewohnheiten institutionalisiert. Das Handeln des BMVg sowie das der politischen Sphäre und der Kooperationspartner des BMVg orientieren sich daher nicht notwendigerweise an zweckrationalen Anforderungen, sondern an institutionalisierten Ritualen. Um die Angemessenheit dieser Institutionen zu prüfen, eignen sich die Stewardship‐ und die Principal­Agent‐ Paradigmen. Sie fragen nach dem Rollenverständnis von Akteuren ebenso wie nach den optimalen, we il adäquaten Org anisationsstrukturen und ‐prozessen.

Die Arbeit argumentiert, dass sich die zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik in einer institutionalisierten Schieflage befinden. Eine Analyse mit Hilfe der Theorie Samuel P. Huntingtons zeigt, dass sie eine ausgeprägte Form der subjektiven zivilen Kontrolle aufweisen, also der Kontrolle des Militärs durch dessen Zivilisierung. Dieser konsequenten Zivilisierung zugrunde liegt eine einseitige Wahrnehmung historischer Lehren – das zeigt eine analoge Analyse der deutschen zivil‐ militärischen Beziehungen des zwanzigsten Jahrhunderts. Die heutige Ausformung des 8

Verhältnisses von Bundesrepublik und Bundeswehr ist nicht zwingend, allerdings lässt sie sich nur schwer ändern. Das hat negative Auswirkungen auf die außenpolitische Strategiefähigkeit des Gesamtstaates.

Auf der Basis von 34 ausführlichen Interviews mit Führungspersonal der genannten Ministerien können die ressortgemeinsame Kooperation untersucht und ihre zentralen Problemfelder identifiziert werden. Dies sind ein fehlendes gemeinsames Verständnis von Vernetzter Sicherheit, ungeklärte Zuständigkeiten der Ministerien in einem defizitären strategischen Prozess sowie ein Spannungsfeld zwischen dem AA und dem BMZ. Handelnde Personen müssen in Afghanistan die institutionalisierten, formellen Strukturen durch informelle, personengebundene Kooperation umgehen. Diese findet in einem strategischen Vakuum statt und ist notwendigerweise nur örtlich und zeitlich begrenzt möglich. Ändert sich die personelle Konstellation, ändern sich auch die Voraussetzungen für Kooperation fundamental.

Vor diesem Hintergrund führt eine Selbstzensur des Militärs gegenüber der zivilen Leitung des BMVg, dem Parlament sowie der Öffentlichkeit dazu, dass die Bundesrepublik in Afghanistan im Untersuchungszeitraum (Juni 2003 bis Juni 2010) in einem hohen Maße strategieunfähig war. Diese Selbstzensur entspringt einem Stewardship‐Ethos, einer Überinternalisierung der einseitigen historischen Lehren. Die nach dem Agency‐Prinzip geformten zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik bauen somit auf Voraussetzungen auf, die nicht mehr gegeben sind. Deutschland nutzt sein demokratisches Potenzial auf dem Gebiet der Außen‐ und Sicherheitspolitik nicht aus. Die deutsche Sicherheitskultur trägt somit wesentlich zur Strategieunfähigkeit der Bundesrepublik in und für Afghanistan bei.

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Einleitung: Sicherheitskultur und Strategiefähigkeit

“The principal purpose of effective civil–military relations is national security; its output is strategy. Democracies tend to forget that.”1 i. Das Problem Kunduz galt lange als ruhige Provinz im Norden Afghanistans.2 Spätestens der Sprengstoffanschlag auf dem Markt der Stadt Kunduz, der im Mai 2007 drei deutschen Soldaten das Leben kostete, machte jedoch deutlich, dass das dortige Regionale Wiederaufbauteam (Provincial Reconstruction Team, PRT) vor neue Herausforderungen gestellt war. Offensichtlich hatten sich in Kunduz Strukturen der Aufständischen verfestigt, die große Teile der Provinz kontrollierten und eine zunehmende Bedrohung für afghanische Regierungsvertreter, Teile der Bevölkerung und deutsche Soldaten vor Ort darstellten.3 Die kontinuierlich zunehmende Präsenz der Aufständischen in einigen Distrikten war den militärischen Verantwortlichen vor Ort und dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) zwar bekannt, entscheidende Schritte wurden jedoch nicht unternommen; Informationen wurden entweder nicht an die höchste Führungsebene weitergegeben, oder auf diese Informationen wurde nicht reagiert. Zu oft waren zudem Akteure vor Ort über dir Abstimmung der Ressorts in Berlin und Bonn unzufrieden:4 Projekte liefen nebeneinander, und Zusagen der einen Vertreter gegenüber den afghanischen Partnern wurden regelmäßig von den anderen Vertretern aufgehoben. Allein der persönliche Kontakt der Repräsentanten der Bundesregierung vor Ort untereinander war oftmals unregelmäßig und schwierig. Die Wasserscheide des

1 Hew Strachan: Making strategy: Civil‐military relations after Iraq, in: Survival, 48:3, S. 59‐82, S. 66. Zu den Zitationsregeln dieser Arbeit: Alle Zitate sind bei der ersten Verwendung mit Anführungszeichen und Fußnoten kenntlich gemacht. Englischsprachige Zitate sind zudem kursiv. Einfügungen in die Zitate werden mit eckigen Klammern kenntlich gemacht. Zitate, die im Fließtext drei Zeilen überschreiten, werden eingerückt. Zeitschriften werden in der Regel nach den Vorgaben des jeweiligen Verlages zitiert. Davon wird in Einzelfällen aus Gründen der Übersichtlichkeit abgewichen. Aufsätze aus der gleichen Zeitschrift werden einheitlich zitiert.

2 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

3 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

4 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [6]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

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Anschlags von Kunduz, der auch medial eine große Wirkung erzeugte, sowie nachfolgende sicherheitsrelevante Vorfälle führten somit zu einem ständig steigenden Druck aus dem PRT und von den anderen deutschen Akteuren vor Ort, sich der Proble matik in eine m k o ord in ierten, ganzhe itlichen A n satz anzunehmen.5

Die Ministerien in der Hauptstadt mussten reagieren. Zuständig war die Staatssekretärsrunde, bestehend aus den Staatssekretären der betroffenen Ressorts und dem zuständigen Abteilungsleiter des Bundeskanzleramtes und somit höchstes Entscheidungsgremium unterhalb des Bundeskabinetts. Sie wies in einer ihrer wenigen „ressortgemeinsamen Weisungen“6 – eine schriftliche Anordnung mit den Briefköpfen und Unterschriften der vier Afghanistanressorts – das PRT Kunduz an, ein Konzept zu erarbeiten, wie in einem koordinierten Ansatz der Akteure vor Ort die Provinz Kunduz stabilisiert werden könne.7

Die Weisung ging komplizierte Wege. Nach der ressortgemeinsamen Verabschiedung gelangte sie auf den getrennten Wegen der Ministerien in den Einsatz und erreichte erst im PRT Kunduz, das von einer Doppelspitze aus einem Oberst der Bundeswehr und einem Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes (AA) geführt wurde, wieder eine nominell ressortübergreifende Ebene. Innerhalb des PRT wurde dann von den verantwortlichen Vertretern der Ressorts ein Konzept erstellt. Hier erwies sich die gemeinsame Weisung zwar als hilfreich, weil sie einen umfassenden Prozess angestoßen und alle vor Ort verantwortlichen Personen wenigstens zur Teilnahme verpflichtet hatte. Die Ausarbeitung des Entwurfs im PRT musste jedoch ohne ausreichend detaillierte und verbindliche strategische Konzeptionen geschehen. Dennoch einigten sich die Vertreter vor Ort auf ein gemeinsames Konzept, das dann wieder über die getrennten Ministerialwege der Staatssekretärsrunde zur Genehmigung vorgelegt wurde.8

5 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

6 Ein weiterer Fall einer ressortgemeinsamen Weisung betraf zudem die Einrichtung von Polizeiausbildungszentren mit deutscher Unterstützung, den Aufbau des PAT in Taloqan oder den fokussierten Aufbau der afghanischen Armee (ANA) im Norden.

7 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

8 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [14].

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Die Staatssekretärsrunde musste jetzt entscheiden. Das Stabilisierungskonzept stieß in Berlin auf ein geteiltes Echo. Insbesondere das AA, aber auch das BMVg und das Bundesministerium des Innern (BMI) lehnten den Entwurf des PRT ab; das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) – sonst eher einer zu engen Kooperation abgeneigt – nahm ihn positiv auf. Eine Einigung wurde schließlich nicht erzielt. Die Staatssekretärsrunde musste einstimmig entscheiden, also entschied sie nicht. Auch der Kabinettsauschuss der Ministerien, ohnehin mehr auf dem Papier existent, nahm sich der Problematik nicht an. Das erarbeitete Stabilisierungskonzept wurde nie förmlich beschlossen – es kam nie konsistent in den Einsatz, sondern wurde von den Ressorts lediglich zur Kenntnis genommen.9 Einige Ministerien setzten Elemente des Plans um, ohne Wissen, Unterstützung und Sanktionierung der anderen Akteure.

Der Streit um das Stabilisierungskonzept Kunduz zeigt exemplarisch einige Probleme des deutschen Engagements in Afghanistan. Vergleichbare Abstimmungsrunden fanden in den zehn Jahren des deutschen Einsatzes zuhauf statt. Weder für Kunduz noch für den gesamten deutschen Verantwortungsbereich wurde zwischen 2003 und 2010 ein kohärenter deutscher Ansatz konzipiert und von Berlin in den Einsatz getragen. Dem Aufstand konnte man so nicht begegnen. Die Situation im Norden verschlechterte sich kontinuierlich – und eskalierte schließlich.10 ii. Die Fragestellung Die Bundesrepublik Deutschland ist seit dem Winter des Jahres 2001 in Afghanistan engagiert. Zu Beginn ein rein militärischer Kampfeinsatz von Spezialkräften, waren spätestens mit der Übernahme des ersten Regionalen Wiederaubauteams im nordafghanischen Kunduz11 im Jahr 2003 neue, zivile Kompetenzen gefragt. Die

9 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

10 Vgl. Antonio Giustozzi/Christoph Reuter: The Insurgents of the Afghan North. The Rise of the Taleban, the self‐abandonment of the Afghan government and the effects of ISAF’s ‘capture‐and‐kill campaign’, Afghan Analysts Network Thematic Report 04/2011, http://aan‐afghanistan.com/uploads/AAN‐2011‐ Northern‐Insurgents.pdf (eingesehen am 31. Mai 2011), S. 7.

11 Die Arbeit wählt aus den zahlreichen möglichen und gebräuchlichen Schreibweisen afghanischer Städte, Distrikte und Provinzen jene der Bundeswehr.

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Bundesrepublik stand somit vor der Herausforderung, im komplizierten Geflecht einer multinationalen Operation als lead nation für den Norden Afghanistans – immerhin neun Provinzen auf einer Fläche von 162.000 Quadratkilometern12 – einen spezifisch deutschen zivil‐militärischen Beitrag zu konzipieren und umzusetzen. Die Erfahrungen des ersten Jahrzehnts deutscher Auslandseinsätze, insbesondere jener auf dem Balkan, konnten hier nur bedingt Blaupausen liefern. Mit Blick auf den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit – Juni 2003 bis Juni 2010 – kann festgehalten werden: Trotz vieler Erfolge und erfolgreicher Projekte hat die Bundesrepublik insgesamt erhebliche Probleme, einen kohärenten ressortgemeinsamen Beitrag zum internationalen Engagement zu leisten.

Diese Untersuchung versucht daher, mit Blick auf die ressortgemeinsame Kooperation in der Umsetzung „Vernetzter Sicherheit“13 folgende Fragen zu beantworten: Was sind die Kernprobleme dieser ressortgemeinsamen Kooperation? Und wieso treten diese Probleme vor allem in der Umsetzung einer zivil­militärischen Strategie auf?

Die wissenschaftliche Analyse eines Themas, das politisch so aktuell und sensibel ist, steht vor großen Herausforderungen. Akten sind nicht freigegeben und teilnehmende Personen dürfen sich nicht öffentlich äußern, selbst wenn sie es wollten. Dennoch ist eine eingehende, erste Untersuchung möglich. Dabei muss forschungspraktischen Überlegungen Rechnung getragen werden – Quellenmaterial ist öffentlich praktisch nicht vorhanden. Umso größer ist die Bedeutung der theoriegeleiteten Analyse der geringen vorhandenen Empirie.14

12 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung: Der Einsatz in Afghanistan, http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKL N_SJdw0OBMlB2EGu‐ pFw0aCUVH1fj_zcVH1v_QD9gtyIckdHRUUASErP7Q!!/delta/base64xml/L3dJdyEvd0ZNQUFzQUMvNElVR S82XzFMX0VUNQ (eingesehen am 22. März 2011).

13 Zur Begriffserläuterung siehe unten, S. 73‐80.

14 Andere Forschungsvorhaben widmen sich verwandten Fragestellungen. Auf der Basis eines privilegierten Quellenzuganges mit Feldforschung vor Ort tut dies zum Beispiel das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr, vgl. Generation Einsatz: Studie zielt auf Innenperspektive, http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYu7DsIwEAT_yGcLIRBdIiNBSwOhcxzLOfBLl0to‐ 13

Zwei Thesen sind hier für eine erste Beantwortung der Forschungsfragen und die Struktur dieser Untersuchung von Bedeutung:

Erstens: Die zivil­militärischen Beziehungen der Bundesrepublik weisen eine stark ausgeprägte Form der subjektiven zivilen Kontrolle nach Huntington auf. Dem liegt eine einseitige Wahrnehmung der formativen Phase von 1916 bis 1945 zugrunde. Diese in Strukturen und Prozessen institutionalisierte Form der zivilen Kontrolle zwingt Akteure dazu, informelle Kooperationsformen zu wählen.

Die in Strukturen und Prozessen als „kristallisierte Kultur“ sichtbare zivile Kontrolle der Bundeswehr führt auf politischer Seite zu einer mangelhaften Strategiefindung: es fehlt die „Nachfrage“ nach offener und ungefilterter militärischer Meinung. Gleichzeitig drängt das Führungspersonal der Bundeswehr zu wenig auf eine Wahrnehmung des militärischen Ratschlages. Aufgrund einer Überinternalisierung von als zwingend demokratisch wahrgenommenen Normen fehlt somit das „Angebot“ einer professionellen militäri schen E xpertise.

Dabei wird anhand einer Untersuchung der formativen Phase deutscher zivil‐ militärischer Beziehungen zwischen 1916 und 1945 zu zeigen sein, dass ihre gegenwärtige, historisch gewachsene Form nicht zwingend ist. Unter dem Paradigma von Samuel P. Huntingtons Theorie der zivil‐militärischen Beziehungen wird deutlich werden, dass sich das Pendel der zivil‐militärischen Beziehungen in dieser Zeit vollständig zwischen den Polen der subjektiven und objektiven zivilen Kontrolle bewegte – und darüber hinaus. Deutsche Politik litt in der hier untersuchten Phase nicht durchgehend an einer Militarisierung der Strategiefindung, sondern generell an unausgewogenen, zu Extremen neigenden zivil‐militärischen Beziehungen. Aus der Analyse dieser Epoche wurde der Schluss gezogen, dass das Militär aus der Politik‐ und Strategiefindung kategorisch herauszuhalten sei. Diese Einseitigkeit der historischen Lehren führt, wie eine analoge Analyse der bundesdeutschen zivil‐militärischen Beziehungen zeigen wird, zu einer extremen Ausprägung „subjektiver ziviler Kontrolle“ und einem entsprechend eingeschränkten strategischen Handlungsspielraum. Das zivile

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Kontrollsystem der Bundesrepublik ist nach einem Agency‐Paradigma ausgelegt, während die Offiziere sich offensichtlich ganz überwiegend als demokratische Stewards begreifen.15

Zweitens: Diese unausgewogenen zivil­militärischen Beziehungen tragen wesentlich dazu bei, dass die Bundesrepublik in Afghanistan erhebliche Schwierigkeiten hat, eine ressortgemeinsame Strategie zu formulieren und umzusetzen. So paradox dies scheint: Die zivile Kontrolle der Bundeswehr ist so erfolgreich, dass die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates beeinträchtigt wird.

Vernetzte Sicherheit, offiziell Grundlage des zivil‐militärischen Engagements der Bundesrepublik in Afghanistan, war im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit allzu oft nur ein rhetorisches Bekenntnis. Die Strukturen und Prozesse der Interaktion von zivilen und militärischen Akteuren sind hoch reglementiert, persistent und nur sehr schwer zu ändern, gerade weil sie in hohem Maße normativ geprägt und institutionalisiert sind. Resultat ist ein defizitärer strategischer Prozess – die Kooperation verheddert sich in den Maschen der Vernetzten Sicherheit. Handelnde Personen sind gezwungen, die formalen Strukturen durch informelle, persönliche Beziehungen und Abmachungen zu alimentieren, die notwendigerweise weniger effektiv und dauerhaft sind, als formelle Beziehungen dies sein können. Hinzu kommt eine Selbstzensur des Militärs. Diese fußt wesentlich auf einer Überinternalisierung von normativen Vorstellungen über die Rolle des Militärs, die als zwingend und für einen demokratischen Staat unausweichlich wahrgenommen werden. Deutschland schöpft hier somit sein demokratisches Potenzial nicht aus. iii. Struktur Dementsprechend ist diese Arbeit in drei aufeinander aufbauende Teile gegliedert: Erstens eine theoretische Betrachtung der relevanten politik‐ und verwaltungswissenschaftlichen Kultur; zweitens eine Analyse der zivil‐militärischen Beziehungen Deutschlands; drittens eine Untersuchung der ressortgemeinsamen Strategiefindung und ‐implementierung in und für Afghanistan.

15 Siehe unten, S. 58‐62.

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Zunächst ist im ersten Teil die notwendige theoretische Grundlage zu legen. Organisationen, und auch Organisationsnetzwerke16 wie jenes der Ministerien in Afghanistan, werden nicht nur von rationalen Anforderungen der ihnen zugewiesenen Aufgaben geprägt. Mindestens ebenso bedeutend ist die ideelle Umwelt, die, wenn sie in einem hohen Maße normativ geprägt ist, die Strukturen und Prozesse der Organisationen erheblich beeinflussen kann. Werte können in Organisationsstrukturen und ‐prozessen „kristallisieren“17 und diese unantastbar oder sogar indiskutabel machen.18 Aus diesem Grunde ist Sicherheitskultur hier ein wichtiger Begriff. Das ideelle Umfeld des deutschen Engagements in Afghanistan, die Sicherheitskultur, ist entscheidend. Daher wird in diesem Abschnitt zunächst der Begriff der Sicherheitskultur in den Politikwissenschaften hergeleitet, definiert und eingeordnet. Darauf aufbauend bildet die dieser Arbeit zugrunde liegende Theorie Samuel P. Huntingtons den Analyserahmen, der durch die Unterscheidung von Agency‐ und Stewardship‐ Paradigmen eine genaue Untersuchung deutscher zivil‐militärischer Beziehungen erlaubt. Nun besteht an ausgezeichneter Literatur zum Verhältnis der Bundeswehr und ihrer Soldaten zu Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik kein Mangel. Insbesondere in den Anfangsjahren der Bundesrepublik, aber auch in den folgenden Jahrzehnten wurde die Fieberkurve der zivil‐militärischen Beziehungen abgelesen und weitergeschrieben.19 Als Mitglied des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses und unter den Vorzeichen der Blockkonfrontation war der unmittelbare Einfluss dieser Beziehungen auf die Strategiefähigkeit der Bundesrepublik – hier noch in rein militärischem Sinne – jedoch zu vernachlässigen. Erst nach 1990, und vor allem nach

16 Siehe unten, S. 81‐84.

17 Siehe unten, S. 68f.

18 Hier liegt eine parallele zur Literatur über organisationale Verteidigungsstrategien und die indiskutable Indiskutabilität des Indiskutablen, vgl. Chris Argyris: On Organizational Learning, 2. Auflage, Oxford/Malden 1999, S. 141.

19 Vgl. zum Beispiel Uwe Hartmann/Claus von Rosen/Christian Walther (Hrsg.): Jahrbuch Innere Führung 2009. Die Rückkehr des Soldatischen, Eschede 2010; Wilfried von Bredow: Militär und Demokratie in Deutschland. Eine Einführung, Wiesbaden 2008; Franz H.U. Borkenhagen (Hrsg.): Bundeswehr Demokratie in Oliv? Streitkräfte im Wandel, Bonn 1986; Franz Pöggeler/Otto Wien (Hrsg.): Soldaten der Demokratie. Die Bundeswehr in Gesellschaft und Staat, Frankfurt am Main 1973.

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2001, konnte sich diese Frage stellen; erst jetzt war die Bundesrepublik genötigt, als für bestimmte Einsatzgebiete verantwortliche Nation strategiefähig zu sein.

Um zu begründen, warum die Untersuchung der Sicherheitskultur eines Staates zur Analyse der Umsetzung Vernetzter Sicherheit sinnvoll ist, wird dann zu zeigen sein, wie Kultur Organisationsstrukturen und Kooperationsformen beeinflussen kann. Ein Wandel in Organisationen ist unter gewissen Umständen, eben in einem normativ „aufgeladenen“ Umfeld, immer auch ein kultureller Wandel – dieser Nexus ist entscheidend. Abschließend werden die zentralen instrumentellen Begriffe Strategiefähigkeit, Kooperation und Koordination definiert, in Bezug zueinander gesetzt und operationalisiert.

Vor diesem ausführlichen theoretischen Hintergrund wird dann im zweiten Abschnitt die erste These dieser Arbeit erörtert. Dazu werden die zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland unter dem Prisma Huntingtons untersucht und dargestellt, dass sie eine extreme, mithin unausgewogene Form der subjektiven zivilen Kontrolle darstellen. Dies ist nur mit historischen Entwicklungen erklärbar und verständlich. Daher wird eine eingehende Untersuchung der formativen Phase deutscher zivil‐militärischer Beziehungen deren Extreme aufzeigen und die oftmals dargestellte Zwangsläufigkeit der heutigen Ausprägung widerlegen.

Um die zweite These zu beleuchten und zu belegen, wird dann im dritten, empirischen Abschnitt die ressortgemeinsame Kooperation deutscher Ministerien in und für Afghanistan untersucht. Dafür werden zunächst politische und konzeptionelle Hintergründe des Engagements dargestellt. Daraufhin werden die Strukturen und Prozesse der ressortgemeinsamen Kooperation auf strategischer Ebene (in Deutschland) und auf operativer Ebene (in Afghanistan)20 untersucht und Defizite sowie Kernprobleme identifiziert. In der Analyse wird sodann dargelegt, wie ein strategisches Vakuum, kombiniert mit defizitären strategischen Prozessen und einer Selbstzensur des Militärs, auftritt und wie es begründet werden kann.

20 Zur Definition von strategischer und operativer Ebene siehe unten, S. 155.

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iv. Literatur Im ersten Abschnitt rückt das Phänomen der politischen Kultur im Allgemeinen und der Sicherheitskultur im Besonderen in den Fokus. Die Forschung zu beiden Gebieten hat in den letzten fünfzig Jahren in verschiedenen, jeweils eigene Akzente setzenden Perioden zahlreiche Werke hervorgebracht. Zur Sicherheitskultur sind die Zeitschriftenaufsätze von Alastair Johnston21 und Colin Gray22 von zentraler Bedeutung. Bei der Anwendung des kulturellen Ansatzes zur Erklärung des Verhaltens von Staaten und ihren Suborganisationen kann auf umfangreiche Vorarbeiten zurückgegriffen werden. In den siebziger Jahren begannen amerikanische Forscher, Unterschiede in der sowjetischen und amerikanischen Nukleardoktrin angesichts vergleichbarer strategischer Ausgangssituationen mit kulturellen Faktoren zu erklären. Das Standardwerk zu dieser Frage ist noch immer eine Studie von Jack Snyder23 für die RAND24‐Corporation. In den neunziger Jahren, nach der „neoklassischen Wende“25 in der internationalen Politikanalyse, erfuhr dieser Ansatz eine Renaissance, um das unterschiedliche Verhalten von Staaten, und hier insbesondere der wiedervereinigten Bundesrepublik, nach dem Ende des Kalten Krieges einzuordnen und die klassischen Theorien der internationalen Beziehungen, hier insbesondere den Neorealismus eines Kenneth Waltz und den Neoinstitutionalismus eines Robert Keohane durch kulturelle Faktoren zu ergänzen. Dabei ist der Sammelband von Peter Katzenstein maßgebend, der unter anderem Aufsätze von Elizabeth Kier26 und Thomas Berger27 enthält. Hinzu kommen

21 Alastair Ian Johnston: Thinking about Strategic Culture, in: International Security, Vol. 19/4, Spring 1995, S. 32‐64; Ders.: Strategic cultures revisited: reply to Colin Gray, in: Review of International Studies (1999), 25, S. 519‐523.

22 Colin S. Gray: Strategic Culture as Context: The First Generation Strikes Back, in: Review of International Studies (1999), 25, S. 49‐69.

23 Jack L. Snyder: The Soviet Strategic Culture: Implications for Limited Nuclear Operations, Santa Monica/Washington 1977, https://www.rand.org/pubs/reports/2005/R2154.pdf (eingesehen am 18. November 2008).

24 Research ANd Development.

25 John Glenn: Realism versus Strategic Culture: Competition and Collaboration?, in: International Studies Review (2009) 11, S. 523‐551, S. 524.

26 Elizabeth Kier: Culture and French Military Doctrine Before World War II, in: Peter J. Katzenstein (Hrsg.): The Culture of National Security. Norms and Identity in World Politics, New York 1996, S. 186‐ 215. 18

Werke von John Duffield28 und wiederum Thomas Berger29. Grundlegende Arbeiten zu sicherheitskulturellen Unterschieden und Eigenheiten von Staaten finden sich außerdem in einschlägigen Fachzeitschriften – hier sind unter anderem Alastair Ian Johnston und zahlreiche jüngere Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Cooperation and Conflict“30 zu nennen. Auch wenn hier im Schwerpunkt nicht das Verhalten von Staaten in der Anarchie der internationalen Beziehungen, sondern die Auswirkung von kulturellen Faktoren auf innerstaatliche Mechanismen untersucht wird, stellt diese Literatur einen wertvollen Ausgangspunkt dar.

Ein Großteil der einschlägigen Literatur zu den Auswirkungen strategischer Kultur bzw. Sicherheitskultur auf die Außenpolitik von Staaten befasst sich im Schwerpunkt mit der Interessengenese von Staaten. An diesem Punkt entzündet sich zwingend der Grundsatzkonflikt zwischen neorealistisch‐strukturellen Theorien und neoinstitutionalistischen bzw. liberalen Denkschulen der Außenpolitik. Obwohl die genaue Definition des Begriffes „Sicherheitskultur“ im nächsten Kapitel folgen wird, bleibt hier bereits festzuhalten, dass angesichts des Themas und der Fallstudien dieser Arbeit das Gewicht weniger auf der gesamtstaatlichen Strategiefähigkeit und Interessengenese, sondern mehr auf der operativen, einsatz‐ und einsatzgebietsbezogenen Strategiefähigkeit eines oder mehrerer Bundesministerien liegt. Dementsprechend kann die Frage nicht lauten, wie sich die Bundesrepublik nach dem Ende des Kalten Krieges strategisch neu ausrichtet, sondern wie sich innerhalb der „Black Box“ des Nationalstaates verschiedene Ministerien auf die ihnen zugewiesenen Aufgaben einstellen und ihrerseits in der Lage sind, Strategien zur Bewältigung von

27 Thomas U. Berger: Norms, Identity, and National Security in and Japan, in: Peter J. Katzenstein (Hrsg.): The Culture of National Security. Norms and Identity in World Politics, New York 1996, S. 317‐ 356.

28 John S. Duffield: World Power Forsaken. Political Culture, International Institutions, and German Security Policy After Unification, Stanford 1998.

29 Thomas U. Berger: Cultures of Antimilitarism. National Security in Germany and Japan, London 1998.

30 Zum Beispiel: Mikkeel Vedby Rasmussen: “What’s the Use of It?”: Danish Strategic Culture and the Utility of Armed Force, in: Cooperation and Conflict, Vol. 40(1), 2005, S. 67‐89; Henrikki Heika: Republican Realism: Finnish Strategic Culture in Historical Perspective, in: Cooperation and Conflict, Vol. 40(1), 2005, S. 91‐119; Nina Græger/Halvard Leira: Norwegian Strategic Culture after World War II. From a Local to a Global Perspective, in: Cooperation and Conflict, Vol. 40(1), 2005, S. 45‐66.

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Problemkomplexen moderner Protektorate zu entwickeln. Dieser Unterscheid ist für die Abgrenzung des Themas zum herrschenden Diskurs der Außenpolitiktheorie entscheidend.

Mit diesem Schwerpunkt auf innerstaatlicher, nach außen gerichteter Strategiefähigkeit steht das Verhältnis von ziviler und militärischer Sphäre innerhalb eines Staates im Mittelpunkt. Vernetzte Sicherheit und ressortgemeinsame Zusammenarbeit bedürfen einer Kultur, welche die operative Kooperation und Integration von Trägern staatlicher Macht zumindest nicht entmutigt und erschwert. Dabei stellt die Trennung von Militär und Zivilgesellschaft, so sie nicht von sich aus künstlich erscheint, oftmals die grundlegende, weil „emotionalste“ Grenze dieser Kooperation dar. Zum Verhältnis von Soldaten zu ihrem Staat und ihrer Gesellschaft stehen sich bis heute zwei diametral entgegengesetzte Auffassungen gegenüber, für die jeweils die Namen Samuel P. Huntington31 und Peter D. Feaver32 stehen, wobei ersterer noch immer der klassische Ausgangspunkt für politikwissenschaftliche Unter suchungen der Thematik ist.33

Die Auswirkungen von institutionalisierten zivil‐militärischen Beziehungen auf Bürokratien, Pfadabhängigkeit und Strategiefindung werden im darauf folgenden Teil insbesondere mit der Literatur des Institutionalismus untersucht. Dabei stehen Arbeiten von John Meyer bzw. W. Richard Scott34 und Bryan Rowan35 ebenso im Mittelpunkt wie jene von Lynne Zucker zur Kristallisierung von Kultur in Organisationsstrukturen36, von

31 Samuel P. Huntington: The Soldier and the State. The Theory and Politics of Civil‐Military Relations, 15. Auflage, Cambridge/London 2000.

32 Peter Feaver: Armed Servants. Agency, Oversight, and Civil‐Military Relations, First Harvard University Paperback Edition, Harvard 2003; Ders./Richard H. Kohn (Hrsg.): Soldiers and Civilians. The Civil‐Military Gap and American National Security, Cambridge/London 2001.

33 Vgl. Ders.: Samuel P. Huntington, in: Armed Forces & Society, 35/4, 2009, S. 625‐627, S. 626.

34 W. Richard Scott: Institutions and Organizations. Ideas and Interests, 3. Auflage, Los Angeles u.a. 2008.

35 John W. Meyer/Brian Rowan: Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony, in: Ders./W. Richard Scott (Hrsg.): Organizational Environments. Ritual and Rationality, aktualisierte Auflage, Newbury Park/London/Neu Delhi 1992, S. 21‐44.

36 Lynne G. Zucker: The Role of Institutionalization in Cultural Persistence, in: Walter W. Powell/Paul J. DiMaggio (Hrsg.): The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago/London 1991, S. 83‐107.

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Victor Thompson37 zur Bürokratie in der Moderne und natürlich von James March und Johan Olson38.

Die historische Analyse wird sich dem Zeitraum zwischen 1916 und 1945 – dem Antritt der 3. Obersten Heeresleitung (OHL) unter Hindenburg und Ludendorff sowie den Ende des Zweiten Weltkrieges – auf der Grundlage einer breiten Literatur widmen. Dabei steht bei jedem Abschnitt keine Untersuchung der Epoche im Allgemeinen, sondern der spezifisch zivil‐militärischen Beziehungen, insbesondere an der Spitze des Militärs und der jeweiligen Regierung, im Besonderen im Fokus. Bedeutend sind für die faktische Militärdiktatur von 1916‐18 insbesondere Werke von Wilhelm Deist39, Robert Asprey40 und Martin Kitchen41. Den komplexen, nicht auf ein Paradigma zu reduzierenden zivil‐ militärischen Beziehungen von Weimar widmen sich insbesondere die Werke von Francis Carsten42, Harald Gordon43, Rainer Wohlfeil44 sowie Thilo Vogelsang45. Die Phase nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wird diese Studie, neben den genannten Werken von Deist und Vogelsang, vor allem mit Hilfe der Arbeiten von Klaus‐Jürgen Müller46, Rudolf Absolon47 und Geoffrey Megargee48

37 Victor A. Thompson: Bureaucracy and the Modern World, Morristown 1976.

38 James G. March/Johan P. Olson: Rediscovering Institutions. The Organizational Basis of Politics, New York u.a. 1989.

39 Wilhelm Deist: Militär, Staat und Gesellschaft: Studien zur preußisch‐deutschen Militärgeschichte, München/Oldenburg 1991.

40 Robert B. Asprey: The German High Command at War. Hindenburg and Ludendorff Conduct , New York 1991.

41 Martin Kitchen: The Silent Dictatorship. The politics of the German high command under Hindenburg and Ludendorff. 1916‐1918, New York 1976.

42 Francis L. Carsten: Reichswehr und Politik 1918‐1933, 3. Auflage, Köln/Berlin 1966.

43 Harald J. Gordon: Die Reichswehr und die Weimarer Republik 1919‐1926, Frankfurt am Main 1959.

44 Rainer Wohlfeil: Reichswehr und Republik (1918‐1933), Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648‐1939 VI, Frankfurt am Main 1970.

45 Thilo Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, 1962.

46 Klaus‐Jürgen Müller: Armee und Drittes Reich 1933‐1939, Paderborn 1987; Ders.: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933‐1940, Stuttgart 1969.

47 Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band III: 3. August 1934 bis 4. Februar 1938, Boppard am Rhein 1975. 21

beleuchten und analysieren. In jedem dieser Abschnitte steht keine umfassende politikwissenschaftliche Betrachtung im Vordergrund, sondern lediglich die strikt nach dem Analysemuster Huntingtons vorgehende Untersuchung der zivil‐militärischen Beziehungen auf die gesamtstaatliche Strategiefähigkeit. v. Empirie Für die Rekonstruktion und Analyse der ressortgemeinsamen Umsetzung Vernetzter Sicherheit in Afghanistan, die der dritte Abschnitt behandelt, wurden insgesamt 34 ausführliche Interviews zwischen 45 Minuten und vier Stunden geführt. Die Interviewpartner waren führende Mitarbeiter des AA, des BMVg und des BMZ bzw. der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)49, die entweder auf strategischer Ebene im jeweiligen Ministerium oder auf operativer Ebene im Regionalkommando oder den PRT in Kunduz und Faizabad das deutsche Afghanistan‐Engagement im Untersuchungszeitraum geprägt haben. Innerhalb des AA hatten die Gesprächspartner entweder die Dienststellung eines Vortragenden Legationsrates (Besoldungsgruppe A15) oder eines Vortragenden Legationsrates Erster Klasse (A 16). Im BMZ/GIZ waren die Interviewpartner Referenten der Besoldungsgruppen A14/15 bzw. vergleichbare Mitarbeiter. Für das BMVg wurden Soldaten in den Dienstgraden zwischen Oberstleutnant (A15) und Generalmajor (B7) interviewt, zumeist im Dienstgrad Oberst (A16/B3). Alle Interviewten waren oder sind in führender Position entweder in den PRT bzw. der Vertretung der Entwicklungszusammenarbeit, im Regionalkommando Nord oder in ihrem jeweiligen Ministerium eingesetzt. Diese Führungspositionen verleihen den Aussagen der Akteure ein hohes Gewicht und erlauben vorsichtige Verallgemeinerungen über ihre konkr ete Dien s tstellung hinaus.

Allen Interviewpartnern wurde völlige Anonymität zugesichert – von der überwiegenden Mehrheit wurde sie auch explizit verlangt. Sowohl die zeitliche Nähe des

48 Geoffrey P. Megargee: Hitler und die Generäle. Das Ringen um die Führung der Wehrmacht 1933‐1945, Paderborn 2006.

49 Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) ging mit Wirkung zum 1. Januar 2011 gemeinsam mit dem Deutschen Entwicklungsdienst (DED) und Inwent – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH – in der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) auf, vgl. Entwicklungshilfe fast unter einem Dach, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Januar 2011.

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Untersuchungszeitraumes als auch die politisch sensible Thematik erfordern äußerste Diskretion, ohne die die Untersuchung nicht hätte vorgenommen werden können. Zu der durch kodierte Fußnoten garantierten Anonymität muss auch gewährleistet sein, dass nicht durch indirekte Hinweise auf die Identität der Interviewpartner geschlossen werden kann. Daher muss an vielen Stellen der Untersuchung auf detailliertere, einordnende oder chronologisch aufbereitete Darstellungsweisen verzichtet werden. Das betrifft beispielsweise detaillierte Darstellungen von Entwicklungen über die Zeit oder differenzierte Auswertungen der gewonnenen Daten, etwa nach Dienstgradgruppen der interviewten Personen oder nach dem genauen Einsatzort. Ebenso werden die Verweise zu den Interviews kodiert, so dass auch hier die Anonymität gewährleistet ist. Höchste Priorität ist, dass niemand der Interviewpartner durch sein Gespräch mit dem Autor Nachteile erleidet. Spätere Untersuchungen werden mit größerem zeitlichem Abstand sowie mit Zugriff auf die amtlichen Archive deutlich eingehendere und detaillierte Untersuchungen vornehmen können. Will Politik‐ und Verwaltungswissenschaft sich aktuellen und relevanten Problemen widmen, muss sie manchmal Kompromisse eingehen.50

Am Ende der Interviews wurde in den meisten Fällen (31 von 34) ein kurzer Fragebogen bearbeitet.51 Dieser beinhaltete nach vier Einfangsfragen zur Person sechs Fragen, die auf einer siebenstufigen Skala beantwortet wurden, eine offene und eine dichotome Frage. Die Ergebnisse werden anonymisiert ausgewertet und im empirischen Teil vorgestellt.

Der überwiegende Teil der Interviewpartner waren Offiziere der Bundeswehr (zumeist im Generalstabsdienst) und somit im Sinne dieser Arbeit Vertreter des BMVg. Das erklärt sich zum einen mit der zahlenmäßigen Überlegenheit der Bundeswehr gegenüber Vertretern ziviler Ministerien im Einsatz, zum anderen mit der hohen Rotation der Bundeswehr und der konsequent großen Zahl von Offizieren, die bereits in

50 Die wissenschaftliche Authentizität und Nachprüfbarkeit bleibt dennoch gewährleistet, insbesondere durch die intensive Betreuung der Gutachter. Diese erhalten auf Nachfrage jederzeit die vollständigen Daten und Abschriften der Interviews.

51 Siehe unten, S. 275f.

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führender Verwendung im Einsatz waren.52 Mit Blick auf die Aktualität und politische Sensibilität des Themas waren insbesondere die zivilen Gesprächspartner zurückhaltend in ihrer Einwilligung in ein Gespräch. Zudem betreffen die Inhalte der Gespräche potenziell vertrauliche Sachverhalte. Generell bleibt jedoch festzuhalten, dass der Großteil der interviewten Personen, zivil und militärisch, dem Autor mit großem Vertrauen und großer Offenheit begegnet ist.

52 Beide Faktoren – die zahlenmäßige Überlegenheit des BMVg und die hohe Rotationsrate – werden im Folgenden noch ausführlich behandelt.

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1. Theoretische Grundlagen

1.1 Strategiefähigkeit Strategiefähigkeit von Staaten in der Umsetzung Vernetzter Sicherheit widmet sich dem Zusammenwirken der relevanten Instrumente des Gesamtstaates. Somit kann hier der zentrale Begriff der „Strategie“ nicht mehr klassisch militärisch gefasst werden als „der Gebrauch des Gefechts zum Zweck des Krieges.“53 Diese „Strategie im engeren Sinne“ versucht, gründend insbesondere auf einer militärhistorischen Analyse vergangener Kriege, eine „Theorie des Krieges“54 zu entwickeln und damit das Verständnis der Krieg führenden Parteien über das Verhältnis von Sinn, Zweck, Ziel und Mittel eines bewaffneten Konfliktes zu prägen. Wird der Begriff jedoch weiter gefasst, läuft er Gefahr, beliebig zu werden und seine Begriffsschärfe und Anwendbarkeit zu verlieren.55 Auch das ist Teil des konzeptionellen Problems moderner Konflikte.

Das Verständnis von Strategie, das die Politik eines Staates prägt, wird von vergangenen Konflikten geformt („fight[ing] the last war“56).57 Diese Retrospektive behindert die Lern‐ und Adaptionsfähigkeit von Staaten in neuen, möglicherweise andersartigen Konflikten, die ein neues Verständnis von Strategie erfordern. Insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Militärs und der weiteren nun involvierten Ressorts in hoch politisierten Konflikten im Irak nach 2003 und Afghanistan wird deutlich, dass „the problem of strategy is located along the fault line between policy and the operational level.“58 Der politische Prozess konzentriert sich auf die politische Willensfindung und die grundlegenden Entscheidungen zum Einsatz staatlicher Mittel in einem Konflikt. Die operative Ebene, das „Kronjuwel“ des Militärs, umfasst die Ordnung, Abstimmung und Anwendung dieser zivil‐militärischen staatlichen Mittel innerhalb des Konfliktes.

53 Carl von Clausewitz: Vom Kriege, vollständiges Werk im Urtext, 17. Auflage, Bonn u.a. 1966, S. 243.

54 Hew Strachan: Strategy and the Limitation of War, in: Survival, 50:1, S. 31‐54, S. 37.

55 Vgl. Ders.: The Lost Meaning of Strategy, in: Survival, 47:3, S. 33‐54, S. 34.

56 Stephen Peter Rosen: Winning the next war. Innovation and the Modern Military, Ithaca/London 1991, S. 1.

57 Strachan: Strategy and the Limitation of War, S. 37f.

58 Ders.: Making strategy, S. 61. 25

Strategie stellt das Scharnier dar. Fehlt sie, operieren die staatlichen Kräfte jedes Ressorts in einem defizitäre n Ber eich, schlimmstenfalls in einem Vakuum.59

Strategiefähigkeit ist hier somit (1) die Fähigkeit eines Staates, ein klares Ziel zu formulieren, (2) alle für erforderlich erachteten staatlichen Kräfte unter dieses definierte politische Ziel unterzuordnen und (3) die Integration und Kontrolle dieser Kräfte bis hin zur operativen Ebene vor Ort zu garantieren.

Ist eines dieser Kriterien nicht erfüllt – vermag ein Staat aus verschiedenen Gründen kein Ziel zu formulieren, kann er die erforderlichen Kräfte nicht mobilisieren bzw. diesem definierten Ziel verpflichten oder kann er, sollten ihm beide Schritte gelingen, die Leistung und Umsetzung dieser Kräfte nicht integrieren und ausreichend kontrollieren – so ist der Staat zwar operativ handlungsfähig, jedoch in einem strategischen Vakuum: e r is t strategi eu nfähig.

Die Konzentration auf dieses prozessual‐organisationale Verständnis von Strategiefindung dient der Operationalisierbarkeit: Politikgestaltung in Staaten, insbesondere demokratischen, findet in einem volatilen, von mannigfaltigen Kräften und gesellschaftlichen Prozessen beeinflussten, eben „politischen“ Umfeld statt.60 Diese Dimension wird in dieser Definition, ebenso wie in der aufbauenden Untersuchung, bewusst außer Acht gelassen, um normativ nach den grundlegenden, quasi unter idealen Versuchsbedingungen notwendigen Voraussetzungen für Strategiefähigkeit zu fragen. Sinn und Zweck der Definition ist schließlich allein die Konzentration auf ministerielle Prozesse und Kooperationsstrukturen unterhalb der politischen Ebene.

Aus dieser Definition ergibt sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen des inzwischen zehnjährigen deutschen Engagements auch die Bedeutung von zivil‐militärischen Beziehungen für die Strategiefähigkeit eines Staates: die endgültige Verantwortung für Konzeption und Gestaltung von Strategie muss bei der zivilen, politischen Regierung liegen. Von allen Instrumenten des Staates hat jedoch das Militär die größten Fähigkeiten zur Projektion von staatlichem Einfluss. Es hat operativ ein zahlenmäßig

59 Vgl. Ebd., S. 59.

60 Zu einem Verständnis von Politik als Bargaining‐Prozessen vgl. Gideon Doron/Itai Sened: Political Bargaining. Theory, Practice, Processes, London 2001, S. 7.

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deutliches Übergewicht, es ist gewohnt, im Sinne eines geäußerten Willens der übergeordneten Führung zu handeln. Gleichzeitig ist dies in den heute aktuellen Konfliktformen nicht ausreichend – politisierte Konflikte bedürfen politisierter Operationsführung. Gleichzeitig ist der Einfluss des Militärs für gewöhnlich bei der Formulierung des staatlichen Ziels deutlich geringer. Grundlegende politische Entscheidungen werden von der zivilen Führung unter der Federführung von zivilen Ministerien getroffen, die wiederum operativ nur deutlich geringere Kräfte entfalten können. Das erfordert eine Konzentration auf die zivil‐militärischen Beziehungen eines Staates. Die Frage nach dem Charakter der zivil‐militärischen Beziehungen, nach subjektiver und objektiver Kontrolle, ist somit in wesentlichen Teilen die Frage nach der Strategiefähigkeit eines Staates.

1.2 Kooperation und Koordination Zur Analyse der ressortgemeinsamen Kooperation in Afghanistan werden die Begriffe Kooperation und Koordination genutzt. Beide Begriffe werden oftmals synonym verwendet. Kooperation kann definiert werden als die „Zusammenarbeit verschiedener Partner“61, Koordination dagegen als „gegenseitiges Abstimmen verschiedener Dinge, Faktoren oder Vorgänge“62. Diese Definitionen sind nicht ausreichend trennscharf und daher wenig hilfreich. Alter und Hage subsumieren Koordination unter den Oberbegriff der Kooperation.63 Diese Einteilung impliziert, dass es verschiedene Grade der Kooperation gibt, unter denen Koordination lediglich einer ist – hier die höchste Form. Strategiefähigkeit in diesem Sinne erfordert Unterordnung, Integration und Kontrolle – eben Koordination und nicht nur Kooperation.

Kooperation ist in „interorganisationalen Netzwerken“64 eine „superstucture of sentiments and interactions“65 und damit ganz wesentlich ideell begründet – die

61 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Das Fremdwörterbuch, 9., aktualisierte Auflage, Mannheim u.a. 2007, S. 565.

62 Ebd.

63 Vgl. Catherine Alter/Jerald Hage: Organizations Working Together, Newbury Park/London/New Delhi 1993, S. 82.

64 Siehe unten, S. 81‐84.

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Anerkennung der Interdependenz und ein daraus folgender Wille zur Kooperation ist die Grundlage für die effektivsten Formen der Kooperation.66 Die komplementäre „Substruktur“ der Kooperation, notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die effektivsten Formen, sind die tatsächlichen ideellen und materiellen Transaktionen der Netzwerkorganisationen.67 Die Bedeutung beider Dimensionen der netzwerkinternen Kooperation ist umstritten. Diese Studie geht jedoch davon aus, dass die „Superstruktur“ des Netzwerkes von Bedeutung ist, also seine Fähigkeit, die tatsächlichen Interdependenzen zu regeln und in eine fruchtbare Koordination, und nicht bloß ein notwendiges „Mitgefangen“, münden zu lassen.68 Sowenig wie Kooperation die Nichtexistenz von Konflikten zwischen den Organisationen bedeutet,69 sowenig führt faktische Interdependenz zwinged zu qualitativ hochwertiger Kooperation oder sogar Koordination.

Bei der Strukturierung der möglichen Kooperationsvarianten von interorganisationalen Netzwerken stechen insbesondere Astley und Fombrun sowie wiederum Alter und Hage heraus. Beide legen ihren Einteilungen von interorganisationalen Netzwerken eine dichotome Unterscheidung zugrunde, entweder von Organisationen gleicher Ordnung, Herkunft und Struktur gegenüber Organisationen derselben „Spezies“70 oder von kompetitiven Organisationen und solchen, die nicht miteinander im Wettbewerb stehen.71 Danach unterteilen Astley und Fombrun die möglichen qualitativen Formen der Kooperationsstufen im Netzwerk in ein agglomeriertes bzw. konföderiertes Kollektiv für gleiche und ein konjugiertes bzw. organisches Kollektiv für

65 Vgl. J. Kenneth Benson: The Interorganizational Network as a Political Economy, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 20/No. 2 (1975), S. 229‐249, S. 235.

66 Vgl. Victor A. Thompson: Modern Organization, New York 1961, S. 187.

67 Vgl. W.G. Astley/C.J. Fombrun: Collective strategy: Social ecology of organizational environments, in: Academy of Management Review 1983/8, S. 576‐587, S. 582.

68 Vgl. F.E. Emery/E.L. Trist: The Causal Texture of Organizational Environments, in: Human Relations, 1965, S. 21‐32, S. 28‐30.

69 Alter/Hage: Organizations Working Together, S. 49.

70 Vgl. Astley/Fombrun: Collective Strategy, S. 580f.

71 Vgl. Alter/Hage: Organizations Working Together, S. 47.

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unterschiedliche Organisationen,72 während Alter und Hage für beide Netzwerkformen die Stufen begrenzte Kooperation, moderate Kooperation und breite Kooperation verwenden.73 Breite Kooperation is t in dieser A rbeit Koordination.

Die Einteilung in begrenzte, moderate und breite Kooperation beruht, ebenfalls in ökonomischer Terminologie, auf den Kooperationsextremen des reinen Informations‐ und Ressourcenaustauschs und der gemeinsamen Produktion. In politikwissenschaftlich optimierter Terminologie entsprächen diese Stufen denen des Informationsaustausches (begrenzte Kooperation), der gemeinsamen Definition von politischen Zielvorstellungen (moderate Kooperation) und der gemeinsamen, integrierten Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele (Koordination). Dabei ist diese Kooperation – wie die ursprüngliche Einteilung von Astley und Fombrun impliziert – keineswegs immer aus freier Entscheidung heraus, oder wenigstens unter Anerkennung und dem Zwang der Notwendigkeit von Kooperation zu erwarten; sie kann auch gegen den Willen der Organisationen – oder einiger der Organisationen – oktroyiert werden, ohne dass diese in eine strenge Hierarchie eingebunden werden und ihren Netzwerkcharakter verlieren. In dieser Perspektive werden die Organisationen dann zu „Veto‐Spielern“ der interorganisationalen Kooperation und verhindern einen höheren Grad der Kooperation und insbesondere die Koordination der Netzwerkteile.

Begrenzte Kooperation Moderate Kooperation Koordination

Informationsaustausch Gemeinsame Definition von Integrierte Maßnahmen politischen zum Erreichen dieser Ziele Zielvorstellungen

Tabelle 1 Kooperation und Koordination

72 Vgl. Astley/Fombrun: Collective Strategy, S. 580f.

73 Vgl. Alter/Hage: Organizations Working Together, S. 50‐59.

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Zusammengefasst: Strategiefähigkeit in ihrer höchsten Form erfordert gemeinsame „Produktion“, erfordert Koordination. Jedes „weniger“ an Kooperation führt zu einem Verlust an Strategiefähigkeit. Daran muss sich die Empirie, muss sich die ressortgemeinsame Kooperation (oder Koordination?) für Afghanistan messen lassen.

1.3 Sicherheitskultur „For positivist social scientists seeking observable, quantifiable data, culture appears unattractive as an analytical tool since cultural variables are hard to define and operationalise.“74

Diese Studie schließt in der Verwendung des Begriffes der Sicherheitskultur an den angelsächsischen Diskurs über „strategic culture“ an. Daher werden im Folgenden, und für die weitere Arbeit, die Begriffe „strategische Kultur“ und „Sicherheitskultur“ synonym verwendet. Die Untersuchung kultureller Faktoren im Feld der Internationalen Beziehungen und der Außenpolitikanalyse und deren Auswirkungen auf die Strategiepräferenzen von Staaten in der sicherheitspolitisch spezialisierten Politikwissenschaft wird allgemein – nach einer Aufteilung von Alastair Johnston75 – in drei Generationen aufgeteilt, die in schneller Sukzession aufeinander folgten.76 Aufgrund ihrer Bedeutung wird die erste Generation hier deutlich ausführlicher als die nachfolgenden Ansätze vorgestellt. Der Ansatz dieser Arbeit wird schlussendlich aus einer Synthese der verschiedenen Ansätze bestehen, daher lohnt sich eine systematische Betrachtung.

74 Stuart Poore: What is the context? A reply to the Gray‐Johnston debate on strategic culture, in: Review of International Studies (2003), 29, S. 279‐284, S. 283.

75 Vgl. Johnston: Thinking about Strategic Culture, S. 32.

76 Vgl. Gray: Strategic culture as context, S. 49.

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1.3.1 Die erste Generation „It is enlightening to think of Soviet leaders not just as generic strategists who happen to be playing for the Red team […].”77

Der erste Schritt zu sicherheitskultureller Forschung war die Beschreibung eines spezifisch sowjetischen Ansatzes der Nukleardoktrin. Jack Snyder stellte 1977 dar, dass die vorherrschenden, spieltheoretischen Strategiemodelle seiner Zeit in dem Moment ihre Voraussagekraft verloren, in dem es nicht mehr um ein wechselseitiges Spiel des Staates A gegen den Staat B ging, sondern in dem eine Spezifizierung der Akteure die Analyse aus ihrer mathematischen Gewissheit herauslöste. Das prekäre Gleichgewicht der „Mutual Assured Destruction“78 (MAD) des Kalten Krieges beruhte auf der Annahme, dass grundsätzlich jeder atomare Konflikt zwischen den Supermächten zur sicheren Vernichtung beider Länder führen würde. Diese Gewissheit wurde von amerikanischer Seite mit der Strategie der „Flexible Response“, von der Kennedy‐Administration 1961 eingeführt, theoretisch untergraben: Sie forderte im Gegensatz zum Ansatz der „Massive Retaliation“79 keinen sofortigen strategischen Gegenschlag nach Beginn der konventionellen Auseinandersetzungen, sondern baute auf dem Gedanken der Weiterexistenz der Abschreckung selbst im Falle eines Krieges auf („intrawar deterrence“80). Demnach würde jede Partei zunächst zu konventionellen Kräften und dann zu begrenzten Atomeinsätzen greifen (beispielsweise mit taktischen Atomwaffen auf dem europäischen Kriegsschauplatz) ohne direkt die Bevölkerungszentren oder die nukleare Zweitschlagskapazität des Gegners – soweit möglich – zu attackieren. Snyder stellte jedoch fest, dass diese Strategie auf der Annahme beruhte, dass beide Staaten

77 Vgl. Jack L. Snyder: The Soviet Strategic Culture: Implications for Limited Nuclear Operations, Santa Monica/Washington 1977, https://www.rand.org/pubs/reports/2005/R2154.pdf (eingesehen am 18. November 2008, S. 4.

78 Martin Kahl: Abschreckung und Kriegführung. Amerikanische Nuklearstrategie, Waffenentwicklung und nukleare Rüstungskontrolle von Kennedy bis Bush, Bochum 1994, S. 40.

79 Der Begriff „Massive Retaliation” wurde unter Präsident Eisenhower von US‐Außenminister John Foster Dulles am 12. Januar 1954 geprägt, vgl. Samuel F. Welsh Jr.: The Origins of Massive Retaliation, in: Political Science Quarterly, Vol. 96/No. 1 (Spring, 1981), S. 31‐52, S. 34.

80 W. Andrew Terrill: Escalation and Intrawar Deterrence during limited wars in the Middle East, September 2009, http://www.strategicstudiesinstitute.army.mil/pdffiles/pub941.pdf (eingesehen am 28. Februar 2011), S. 4.

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einen nuklearen Konflikt auf der strategischen Ebene als nicht zu gewinnen erachten würden und ihnen daher zu gleichen Teilen an einem „kooperativen“ Verhalten im Konfliktverlauf gelegen sein müsste.81 Das mochte nach spieltheoretisch‐rationalen Gedankenexperimenten auch der Fall sein, doch seien weder Amerikaner noch Sowjets, so Snyder, „culture­free, preconception­free game theorists.“82 Sowohl amerikanische als auch sowjetische Nukleardoktrinen seien in verschiedenen organisatorischen, historischen und politischen Kontexten und vor dem Hintergrund verschiedener Ausgangslagen und technologischer Zwänge entstanden. Somit erschien die Erwartung, das genaue Verhalten des jeweils anderen sei voraussehbar und eine geeignete Grundlage für eine Doktrin, fragwürdig. Während die amerikanische Nukleardoktrin im Wesentlichen von zivilen Spieltheoretikern entworfen worden sei, sei dies, soweit man das sagen könne, in der Sowjetunion die Domäne des Militärs, das wahrscheinlich andere Referenzsysteme und Prioritätenfolgen als zivile politische Experten habe. Mit seiner recht polemischen Gegenüberstellung des „generisch‐rationalen“ und des „sowjetischen Menschen“83 kritisierte Snyder nicht nur die vereinfachten spieltheoretischen Annahmen seiner Zeit,84 sondern legte zugleich auch den Grundstein für den Einzug kultureller Faktoren in die sicherheitspolitische Analyse. Schon hier wurde die grundlegende Unvereinbarkeit kultureller Faktoren und spieltheoretischer Entscheidungstheorien festgestellt.85 Somit stammt von ihm auch die erste Definition von Sicherheitskultur (hier auf die Nuklearkriegführung bezogen) als

81 Vgl. Snyder: The Soviet Strategic Culture, S. v.

82 Ebd.

83 Ebd. S. 4.

84 Vgl. Stuart Poore: Strategic Culture, in: John Glenn/Darryl Howlett/Stuart Poore (Hrsg.): Neorealism versus Strategic Culture, Aldershot/Burlington 2004, S. 45‐71, S. 46. Dies tut auch Robert Keohane, der die spieltheoretischen Annahmen des sogenannten „Gefangenen‐Dilemmas“ (vgl. dazu Morton D. Davis: Spieltheorie für Nichtmathematiker. Mit einem Vorwort von Oskar Morgenstern, 3. Auflage, München 1999, S. 104‐109) kritisiert und somit für die Existenz von letztlich kulturellen Faktoren plädiert, die in der Theorie jedoch schwer darzustellen seien. Keohane tut dies, indem er anmerkt, dass das Verhalten beider Gefangenen im „Gefangenen‐Dilemma” anders zu erwarten wäre, sollten beiden zum Beispiel Mitglieder einer Organisation wie der italienischen Mafia sein und Konsequenzen bei einer einseitigen Kooperation befürchten müssen, vgl. Robert O. Keohane: After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy, 1. Princeton Classic Auflage, Princeton 2005, S. 73f.

85 Vgl. Johnston: Thinking about Strategic Culture, S. 34.

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„the sum total of ideas, conditioned emotional responses, and patterns of habitual behavior that members of a national strategic community have acquired through instruction or imitation and share with each other with regard to nuclear strategy.”86

Diese Definition von Sicherheitskultur beinhaltet in ihren Charakteristika jene Punkte, die noch heute die akademische Debatte bestimmen. Dazu zählt erstens die entscheidende Frage, ob die Subsumierung von ideellen Faktoren und gewohnheitsmäßigen Handlungen unter die Überschrift der strategischen Kultur zwingend notwendig oder im Gegenteil eine Tautologie ist, da jedem Handeln notwendigerweise eine kulturelle Grundkonstitution vorhergehen muss. Kurz, lassen sich Idee und Handeln künstlich‐logisch trennen, um dann eine Kausalität festzustellen? Snyder ist hier zurückhaltend und sieht Sicherheitskultur als „explanation of last resort“87, die für gewöhnlich dann herangezogen werde, wenn andere Erklärungsmuster versagen. Diese anderen Erklärungsmuster umfassen unterschiedliche externe und interne Ausgangs‐ und Bedrohungslagen der Staaten ebenso wie technologische und geographische Unterschiede.88 Genau hier besteht jedoch die Gefahr der Tautologie: wenn gewohnheitsmäßiges Handeln einen Teil zur Sicherheitskultur beiträgt, wird es nicht dadurch erst gewohnheitsmäßig? Wenn die geringe Breite des Staates Israel, seine kleine Bevölkerung und verwundbaren Industriezentren einen defensiv geführten Krieg mangels strategischer Tiefe und langfristiger Durchhaltefähigkeit ausschließen und er somit zu extrem offensiven Doktrinen neigt – entsteht daraus eine Sicherheitskultur der Offensive und Präemption, die sich von den Ursprungsvoraussetzungen emanzipiert und, bei einer Annexion der Golanhöhen und einer Besetzung des Westjordanlandes und der Sinai‐Halbinsel nach 1967 weiter bestehen bleibt?89 Besteht sie nicht weiter, ist das eher ein Argument für die Nichtexistenz jeglicher Sicherheitskultur und für den kausal bestimmenden Einfluss geographischer und somit klassisch‐strategischer Faktoren. Snyder argumentiert hier überzeugend, dass Kultur als quasi retardierendes Moment

86 Ebd. S. 8.

87 Jack L. Snyder: The Concept of Strategic Culture: Caveat Emptor, in: Carl G. Jacobsen: Strategic Power USA/USSR, Houndmills u.a. 1990, S. 3‐10, S. 4.

88 Vgl. Ebd. S. 5.

89 Vgl. Benjamin Blumenthal: Die Israelische Sicherheitskonzeption: 1948 ‐ 1999, Frensdorf 2000, S. 41f.

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das Fortbestehen strategisch‐doktrinärer Grundüberzeugungen angesichts eindeutig widersprechender und veränderter strategischer Grundvoraussetzungen begründen kann.

Außerdem ist zweitens fraglich, welche gesellschaftlichen Elemente, welche Teile des Staates, welche Organisationen und Suborganisationen zu der unbestimmten „strategic community“ eines Staates gehören. In den Ausführungen Snyders werden weitere Grundprobleme der Debatte über Sicherheitskultur deutlich. Snyder subsumiert unter den Begriff der „strategic community“ eines Landes Gruppen wie das Militär und politische Eliten, deren Verhältnis, also die zivil‐militärischen Beziehungen innerhalb eines Staates, eine Schlüsselbedeutung für die Evolution einer Sicherheitskultur haben. So spricht er dem sowjetischen Militär bis zur Amtsübernahme Leonid Breschnews die Deutungs‐ und Informationshoheit über technische Details und Leistungsparameter strategischer Raketensysteme und damit über die Grundlage politisch‐militärischer Doktrin zu. Dieser informelle Vorteil erlaube es dem Militär, die nominelle, vor allem unter Josef Stalin und Nikita Chruschtschow von gegenseitigem Misstrauen geprägte zivile Kontrolle in wichtigen Fragen zu umgehen. Mit der grundlegenden Einsicht in die Stellung von zivil‐militärischen Beziehungen begründet Snyder somit auch die Bedeutung dieses Themenkomplexes. Allerdings verweigert sich Snyder in späteren Veröffentlichungen der Idee einer Sicherheitskultur als Kultur der Eliten einer Nation. Diese Sicht sieht er als Einfallstor für Stereotype und ethnozentrische Sichtweisen, ebenso wie die Erklärung, die Militärdoktrin der USA sei von liberalen Politikern getragen und somit weniger offensiv als die sowjetische Doktrin. Zu Recht weist er darauf hin, dass auch westlich‐liberale Staaten offensive Doktrinen verankert haben – allein neuere Entwicklungen wie die Präemptionsdoktrin der Vereinigten Staaten in der Nationalen Sicherheitsstrategie von 200290 geben ihm dabei offensichtlich Recht.

90 „The United States has long maintained the option of preemptive actions to counter a sufficient threat to our national security. The greater the threat, the greater is the risk of inaction – and the more compelling the case for taking anticipatory action to defend ourselves […]. To forestall or prevent such hostile acts by our adversaries, the United States will, if necessary, act preemptively.” The President of the United States: National Security Strategy of the United States of America 2002, http://www.whitehouse.gov/nsc/nss/2002/nss.pdf (eingesehen am 23. November 2008), S. 15.

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Hier wird die erste Generation in sich jedoch heterogen. Während Snyder Pauschalisierungen ablehnt, aber durch den Umweg über soziale Institutionen in die Gefahr der Tautologie gerät, stellt Colin Gray in seiner Arbeit über die nukleare Strategie der USA fest, dass es eine spezifische amerikanische historische Erfahrung gebe, die in einer einzigartigen Zusammenstellung dominanter nationaler Überzeugungen über die Anwendung von Gewalt für nationale Interessen münde.91 Damit rekurriert er auf Samuel P. Huntington und dessen klassische Darstellung der Bedeutung liberaler Ideen für die zivil‐militärischen Beziehungen in den Vereinigten Staaten.92 Solche Pauschalisierungen haben den eindeutigen Vorteil, dass sie einfache Kausalschlüsse erlauben und somit die Konstruktion überzeugender Deutungsmuster und Theorien ermöglichen.

Snyder präferiert einen Kulturbegriff, der sich von anthropologischen Pauschalisierungen löst und nach soziologisch‐institutionellen Voraussetzungen fragt, die eine Kultur generieren und tragen.93 Allerdings geht er bei dieser Betrachtung ebenso wie in der RAND‐Studie nicht weit über das innerstaatliche Verhältnis von Militär und Zivilisten hinaus, und diese Schwäche ist bezeichnend für die Abgrenzung, die Snyder wählt: Auch mit der Betonung der sozial‐institutionellen Ausgangsstrukturen gerät er in die Gefahr einer Tautologie. Wie werden staatliche Institutionen geschaffen? Was ist die Grundlage für die zivil‐militärischen Beziehungen und die Ausgestaltung des Primats der Politik? Wie zu zeigen sein wird, würde es schwerfallen, die im internationalen Vergleich ungewöhnlich starke Stellung des deutschen Parlamentsvorbehalts, die erhebliche zivile Kontrolle über die Bundeswehr und den Ausschluss der Streitkräfte aus der strategischen Debatte zu erklären, ohne die kulturellen Hintergründe der Entstehung der relevanten Institutionen zu beleuchten. Es bleibt unklar, ob Snyder diese Vereinfachung bewusst eingeht, um das Konzept der Kultur auf eine politikwissenschaftlich vertrautere Ebene – die polity‐Forschung der politischen Institutionen – zu bringen; zwingend ist diese Logik jedoch nicht.

91 Vgl. Colin S. Gray: Nuclear Strategy and National Style, Lanham/London 1986, S. 33‐63.

92 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 143‐162.

93 Vgl. Snyder: The Concept of Strategic Culture, S. 7.

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Drittens und letztens sind die Übertragungsmodi, die Genese der betroffenen Ideen fraglich – werden sie tatsächlich durch Einweisung oder Nachahmung generiert, wie Snyder postuliert, oder sind andere Prozesse notwendig? Diese Frage führt zu den fundamentalen Eigenschaften, die man einer Kultur zuspricht und sie damit über bloße „Umstände“ hinaus hebt. Snyder selbst hat Anfang der neunziger Jahre klargestellt, dass er mit der Einführung des Begriffes „Kultur“ in die strategische Debatte deutlich machen wollte, dass eben die beschriebenen Ideen, emotionalen Antworten und gewohnheitsmäßigen Handlungen, entstanden aus einer Vielzahl von Faktoren, von denen Geographie, Bedrohungslage und das politische System zu den wichtigsten gehören, sich über die Umstände ihrer Entstehung heraus verfestigen und dazu tendieren, schwer veränderbar zu sein und den Charakter einer Selbstverständlichkeit, einer Grundsätzlichkeit anzunehmen.94

Um sich der definierten „sum of ideas“ zu nähern, fragt Snyder nach Faktoren, die entweder speziell für die Entwicklung strategischen Denkens in der Sowjetunion entscheidend waren oder in besonderem Maße auf sie zutrafen. Mit Hilfe dieser Faktoren erstellt er einen Kontext, in dem sich Daten und Materialien, deren genaue Aussagekraft für sich genommen strittig ist, interpretieren lassen und einen Sinn ergeben. Gerade diese kontextuelle Verbindung, die eine Trennung von Kultur und Handeln nicht möglich macht, ist es, die in der Debatte der späten neunziger Jahre einen intensiven methodisch‐theoretischen Streit entfachte, der bis heute nicht gelöst ist.

1.3.2 Die zweite Generation Die zweite Generation sieht Kultur nicht als ein Volk oder einen Staat durchdringend an, sondern hält es für entscheidend, dass politische Eliten die Sicherheitskultur eines Landes instrumentalisieren, um Inhalte durchzusetzen. Gleichzeitig ist der postulierte Mechanismus der zweiten Generation – Eliten können Kultur benutzen, weil sie wissen, wie „das Volk denkt“ und somit ihre Rhetorik und ihr Verhalten daraufhin ausrichten können – hier doch nicht unwichtig.95 Sollte in einem der hier untersuchten Ministerien ein Akteur vor eine Entscheidung gestellt sein, und eine Option favorisieren, die er zwar

94 Vgl. Ebd., S. 4.

95 Vgl. Johnston: Thinking about strategic culture, S. 39f.

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für problematisch – schließlich ist er ja selber in der Gesellschaft und seiner Organisation sozialisiert worden – aber eben aus anderen Gründen für zwingend notwendig erachtet, so wird er doch mit Blick auf die – von ihm erwartete – Reaktion in der Bevölkerung zögern, diese umzusetzen oder zur Umsetzung vorzuschlagen. Ein Mitarbeiter im japanischen Verteidigungsministerium wird, auch wenn er eine atomare Bewaffnung seines Landes angesichts seiner Einschätzung der geopolitischen Lage in Asien für unerwünscht, aber notwendig erachtet, zögern, diese Ansicht über einen kleinen Kreis oder höchstens den Dienstweg hinaus zu propagieren, weil er nicht erwartet, dass seine Mitbürger ihm in der Abwägung der Interessen folgen würden. Dieses Verhältnis von Entscheidungsträgern und Bevölkerung, das auch einen möglichen kulturellen Unterschied zwischen ihnen postuliert, ist angesichts der Methodik dieser Arbeit von Bedeutung, ohne den Vorwurf der Instrumentalisierbarkeit zu übernehmen.

Bedeutung erlangt die zweite Generation hier vor allem mit ihrer Ansicht, dass die Sicherheitskultur eines Staates historisch gewachsen ist.96 Verschiedene Staaten haben unterschiedliche Sicherheitskulturen, weil sie unterschiedliche historische Gedächtnisse haben. Obwohl sie instrumentalisiert werden kann, ist Sicherheitskultur zunächst unbestreitbar „da“, sie ist ein anerkannter „Fakt“, verwurzelt in historischen Erfahrungen.

1.3.3 Die dritte Generation In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstand die Literatur, die sich mit Johnston als dritte Generation von Sicherheitskultur bezeichnen lässt. Sie konzentrierte sich insbesondere auf innerstaatliche Faktoren, die auf bestimmten Politikfeldern Wirkung entfalten. Kultur ist für diese Generation eindeutig eine unabhängige Variable, also eine, mit der sich gewisse Entscheidungen und Phänomene als abhängige Variablen erklären lassen. Sie wichen der Debatte über den Kulturträger aus und widmeten sich stattdessen politikfeldspezifischen Kulturen. Dabei wählten sie weniger eine historische Herleitung und Analyse, sondern mehr einen praxisbezogenen Ansatz, der sich auf bestimmte strategische Entscheidungen konzentrierte und

96 Vgl. Ebd., S. 40.

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Abweichungen von realistischen Annahmen zu erklären versuchte.97 Somit teilen sie die Annahmen der ersten Generation und erwarten konkrete, messbare und vergleichbare Effekte von Sicherheitskultur. Das Resultat sind vergleichende Studien, die unter anderem „Militärkultur“ als unabhängige Variable zur Untersuchung von Strategieentwicklung heranzogen.98 Kultur hat für die Autoren der dritten Generation zwei Auswirkungen: „[It] either presents decision­makers with limited range of options or it acts as a lense that alters the appearance and efficacy of different choices.”99 In ersterem Fall wären die Entscheidungsträger möglicherweise gegen ihren Willen an kulturelle Vorgaben und Schranken gebunden; in Letzterem wären auch die Entscheidungsträger selber dieser Kultur unterworfen und würden somit in ihrer eigenen Entscheidungsfindung, welche Option „rational“ die beste wäre, beeinflusst. Beide Ansichten schließen sich nicht zwangsläufig aus – auch innerhalb einer Regierung können verschiedenen Individuen auf unterschiedliche Arten von Kultur beeinflusst werden. Entscheidend ist dabei dann ersterer Effekt – die effektive Begrenzung der kommunizier‐ und umsetzbaren Handlungsmöglichkeiten. Auch hier ist jedoch die Kristallisierung in Organisationsstrukturen noch nicht erfasst.100 Zwar werden Prozesse – Determination von Handlungsoptionen – in gewissem Maße bestimmt, nicht jedoch Strukturen. Beides gehört notwendig zusammen, und beides hat in der hier untersuchten Empirie seine Auswirkungen.

1.3.4 Sicherheitskultur – Kontext oder Kausalität? In der jüngeren Debatte um den Nutzen des Konzeptes der Sicherheitskultur in der Politikwissenschaft sticht insbesondere die Debatte um Umfang und Reichweite des Konzeptes zwischen Colin Gray und Alastair Johnston heraus.101 Während Gray in der

97 Vgl. Ebd., S. 41f.

98 So zum Beispiel Elizabeth Kier, die, ausgehend von den verbreiteten offensiv geprägten Militärdoktrinen vor dem ersten Weltkrieg den Zusammenhang von Kultur und Doktrin untersucht und argumentiert, dass die Auswahl von offensiven bzw. defensiven Doktrinen nicht im jeweiligen Militär, sondern in der Kultur des Landes begründet ist, vgl. Elizabeth Kier: Culture and Military Doctrine: France between the Wars, in: International Security, Vol.19/No. 4, Spring 1995, S. 65‐93, S. 66.

99 Johnston: Thinking about strategic culture, S. 42.

100 Siehe unten, S. 68f.

101 Vgl. Poore: What is the context?, S. 279.

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Typologie der Generationen der ersten zugerechnet wird, verortet sich Johnston in der dritten, eine neue methodische Rigorosität hervorhebenden Generation. Ein Hauptstreitpunkt mit großen Auswirkungen auf die wissenschaftliche Methode ist die Frage der Relation von Kultur und Verhalten. Ihre Beantwortung ist für die Nutzung kulturwissenschaftlicher Ansätze notwendig.

Johnston wirft der ersten Generation um Gray vor, mit einer zu breiten Definition von Kultur und einer ungenügenden Trennung beider Phänomene, in der jedes Verhalten kulturbedingt ist und diese Kultur wiederum allumfassend dargestellt wird, gleichzeitig alles und nichts zu erklären.102 Wenn Verhalten ein Indiz für die zugrundeliegende Kultur sei, so Johnston, dann wäre eine Differenzierung zwischen der Kultur und dem Verhalten eo ipso nicht denkbar. Somit wäre das Konzept der Kultur nutzlos, da eine reine Betrachtung der offensichtlichen Verhaltensstrukturen und ‐muster eines Akteurs auf dessen Kultur schließen lasse. Nähme man das an, so wäre das Konzept der Kultur nichtig, da jedes neue Verhalten auf eine veränderte Kultur schließen lasse, sie somit jeden Erklärungswert verlöre und in der bekannten Gefahr der Tautologie endete.103 Auch wenn diese zwingende Kausalität zwischen Kultur und Verhalten von den Theoretikern der ersten Generation, so Johnston, damit widerlegt werde, dass Sicherheitskultur zwar einen Effekt auf das Verhalten habe, jedoch nur insoweit, als sie das Verhalten hin zu einer bestimmten Tendenz präjudiziere und somit Spielraum für das Wirken anderer, nichtkultureller Faktoren lasse, argumentiert er, dass die gleichen Theoretiker es unterlassen hätten, eine operationalisierbare Methodik zu entwickeln, um genau der Frage nach dem Ausmaß des kulturellen Einflusses und der Abgrenzung der Wirkmächtigkeit anderer Faktoren zufriedenstellend auf den Grund zu gehen.104 Johnston untersucht Sicherheitskultur unter der Prämisse der Operationalisierbarkeit, der Hypothesenbildung und empirischen Falsifizierbarkeit105 – unter dieser Prämisse definiert er Kultur, und mit diesem Ansatz reduziert er sie auf eine kulturell‐

102 Vgl. Johnston: Thinking about Strategic Culture, S. 37.

103 Vgl. Ebd., S. 38.

104 Vgl. Ebd.

105 Vgl. Ders.: Cultural Realism. Strategic Culture and Grand Strategy in Chinese History, Princeton 1995, S. 32. 39

hierarchisch gegliederte, für jedes Land spezifische Begrenzung von Handlungsoptionen. Nur so, argumentiert er, könne eine Untersuchung erklären helfen, warum Akteure – in seinem Fall strategische Entscheidungsträger – sich so verhalten, wie sie es nun mal tun; nur so könne dieses Verhalten die abhängige Variable darstellen.106

Colin Gray, ein Hauptvertreter der „ersten Generation“ erwidert darauf in einer direkten Replik, dass die von Johnston – aus dem guten Vorsatz der wissenschaftlichen Handhabbarkeit heraus – vorgeschlagene Trennung von Kultur und Verhalten aus analytischen Gesichtspunkten eine unzulässige, ja gefährliche Reduktion des Kulturbegriffes mit sich brächte.107 Er vertritt einen Begriff der Sicherheitskultur, der zwei Eigenschaften hat: Zum einen ist er ein beeinflussender Kontext jeder Handlung, zum anderen jedoch selbst auch konstitutiver Teil dieser Handlung.108 Auch wenn Strategie mehr umfasse als Sicherheitskultur alleine, so drücke sie sich doch im Verhalten von Menschen und Institutionen aus, welche die betreffende Sicherheitskultur internalisiert hätten und sie in Teilen interpretieren und „anwenden“.109 Diese Dualität des Kulturbegriffes macht Gray mit einem Beispiel deutlich, an dem gleichzeitig der Vorwurf der Pauschalisierung Nahrung findet:

„In their strategic behavior, Germans cannot help but behave except under the constraints of Germanic strategic culture, even when they are unable to adhere strictly to the dominant ideas and preferences of their strategic culture.“110

Sicherheitskultur ist für Gray demnach der Kontext jeglicher Handlung im Sinne eines „verbindenden“, eines sinngebenden Elementes, nicht lediglich der Hintergrund einer Handlung, der schlicht in einer kausalen Beziehung gefasst werden kann. Kultur ist konstitutiv durchdringend, umfasst alle Teilbereiche der Strategiegenese und ist damit zu einem – für Johnston – erschreckenden Maße nicht testbar, nicht klassisch empirisch erfassbar. Die Präsenz der Kultur in ideellen und tatsächlichen, durch das Handeln

106 Vgl. Ders.: Strategic cultures revisited, S. 521.

107 Vgl. Gray: Strategic culture as context, S. 50.

108 Vgl. Ebd.

109 Vgl. Ebd.

110 Ebd., S. 52.

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erkennbaren Sphären führt für Gray zu dem Anspruch, Sicherheitskultur nicht als empirisch‐wissenschaftliche Größe mit dem Ziel der Falzifizierbarkeit und schließlich der Herausarbeitung einer Theorie mit einem Anspruch von Vorhersagefähigkeit zu verstehen, sondern als einen Faktor, der hilft, Verhalten zu verstehen und zu erklären – nicht, es in die Zukunft fortzuschreiben.111

Beide Ansichten sind für sich genommen unzulänglich. Weder kann eine künstliche Trennung von Verhalten und Kultur Bestand haben, wenn – wie weiter unten dargestellt112 – Organisationen kulturell bedingt sind und in ständiger Interaktion und Interdependenz mit sicherheitskulturellen Aspekten stehen. Genauso wenig ist die allgemeine, umfassende Ansicht Grays hilfreich, die eher in die nicht‐wissenschaftliche Politikberatung führt als in wissenschaftlich anwendbare Konzepte.

Dennoch kann diese Untersuchung in Teilen auf Colin Gray aufbauen. Hinter ihren Leitfragen steht ein Konzept von Sicherheitskultur, dass notwendigerweise dem Kultur‐ und Interaktionsverständnis von Gray folgt. Die Interaktion von Institutionen und Kultur, von Organisations‐ oder Subkulturen mit Aspekten einer über‐ und durchgreifenden Sicherheitskultur verlangt ein Konzept, dass keine unvertretbar künstlichen Reduktionen zum Wohle der wissenschaftlichen Methodik und Empirie macht, sondern es stellt im Gegenteil Anforderungen an eine Methodik, diese Schwächen anzunehmen und dennoch wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren. Es muss die Verwobenheit verschiedener Kulturen anerkennen und versuchen, dennoch kausale Verbindungen zwischen einer dieser Kulturen – oder eines spezifischen Teils einer bestimmten Kultur – und dem „Verhalten“ und den „Eigenschaften“ der von Kulturen generierter und zu einem Teil getragener politischer Systeme aufzeigen können. Diese Tautologie ist bei einem umfassenden Verständnis von Sicherheitskultur nicht zu verhindern.113 Daher kann Johnstons Ansatz, so reizvoll er auch aus wissenschaftlich‐ positivistischer Sicht erscheinen mag, hier nicht entscheidend weiterhelfen. Die Methodik dieser Arbeit ist also ganz wesentlich entstanden aus der Einsicht, dass Kultur

111 Vgl. Ebd., S. 55f.

112 Siehe unten, S. 63‐73.

113 Vgl. Poore: What is the context?, S. 282.

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als Konzept der politischen Wissenschaft eben derart defizitär ist, dass es letztlich kein einfach handhabbares Konzept darstellen kann. Das ist aber kein Problem der politischen Wissenschaften allein, sondern ein Problem der Geisteswissenschaften generell.

Problematisch ist dennoch Grays Verständnis von Kultur als lediglich erklärende Variable, die nicht vorgibt, Kausalitäten darstellen zu können.114 Johnstons zentrale Kritik an Gray, dass er vorgibt, Sicherheitskultur durchdränge alle Bereiche der Strategiegenese, und gleichzeitig behauptet, Kultur sei nicht die einzig bestimmende Größe – woraus folgt dass Verhalten auch durch andere Faktoren bestimmt wird, die somit zwingenderweise nicht kulturell durchdrungen sind – wiegt schwer.115 Colin Gray teilt den Phänomenbereich der Strategie in drei Dimensionen auf. Zur Dimension „Menschen und Politics“ gehören für ihn Faktoren wie Völker, Gesellschaften, Kultur, Politics und Ethik; zur Dimension „Kriegsvorbereitung“ die Faktoren Ökonomie, Logistik, Organisation, strategische Doktrin etc. Die Dimension „echter Krieg“ schließlich umfasst die unmittelbar mit dem Militär verbundenen Faktoren wie militärische Operationen, Kommandostrukturen, Geographie und nicht zuletzt den Gegner.116 Gerade Faktoren wie die Geografie eines Landes oder der erwartete Gegner scheinen auf den ersten Blick zu Recht als materiell, eine objektive Realität widerspiegelnd eingestuft zu sein.117 Das ist jedoch nicht haltbar. Entweder widerspricht sich hier Gray tatsächlich, indem er seinen umfassenden Begriff von Kultur relativiert (so Stuart Poore118), oder er drückt sich zumindest missverständlich aus. Denkt man Gray konsequent weiter, gibt es keine völlig kulturfreien Variablen: Auch Geografie kann kulturellen Einflüssen unterworfen sein – so ergibt sich die Bedeutung des Westjordanlandes für Israel eben nicht nur aus seiner Pufferfunktion gegenüber Jordanien, sondern auch aus seiner Geschichte als Judäa und Samaria und Stammland Abrahams.119 Auch und gerade der Gegner kann

114 Vgl. Ebd., S. 280.

115 Vgl. Johnston: Thinking about strategic culture, S. 39.

116 Vgl. Gray: Strategic culture as context, S. 53.

117 Vgl. Ebd.

118 Vgl. Poore: What is the context?, S. 281.

119 Vgl. Neve Gordon: Israel’s Occupation, Berkeley u.a. 2008, S. 5. 42

kulturell höchst subjektiv wahrgenommen werden; man denke an die „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland zwischen 1871 und 1945 ebenso wie die erheblich kulturell‐religiös‐ideell wahrgenommene Bedrohungslage zwischen Pakistan und Indien.120 Wäre dies nicht der Fall, würde Johnstons Vorwurf zutreffen und die Bemühung einer Isolierung der nichtkulturellen Variablen die Grundlage jeder Methodik sein. Das kann, wie gesagt, nicht die Grundlage dieser Arbeit sein – so wünschenswert es auch erscheinen mag.

Ein weiterer Kritikpunkt Johnstons an Gray ist, dass er sich widerspräche, wenn er eine Trennung von Kultur und Verhalten ablehne und dennoch ein Verhalten für möglich erachte, dass der Kultur diametral gegenüberstehe. Wie genau Sicherheitskultur spezifische Verhaltensweisen erklärt, ist ein sehr komplexes Problemfeld, und Johnstons Versuch der Strukturierung von Verhaltensentscheidungen ist vor diesem Hintergrund zu sehen.121 Dennoch ist seine Kritik nicht endgültig überzeugend und entspringt wahrscheinlich eher einer Ablehnung der pauschalisierenden Ausdrucksweise Grays als tatsächlichen Bedenken: Auch wenn das strategische Verhalten eines Staates nicht von seiner Kultur getrennt werden kann, da sich Kultur unter anderem in Verhalten ausdrückt und die handelnden Akteure kulturell sozialisiert sind, so ist doch eine Kausalität von Kultur und Verhalten bzw. eine Abweichung denkbar – es ist nur nicht klar und empirisch von anderen Variablen zu trennen, die wiederum kulturell beeinflusst wären. Johnston vertritt die Ansicht, dass Kultur ein Faktor wäre, der im entscheidenden Akteur eine Hierarchie der möglichen Optionen erstellt bzw. ordnet und gleichzeitig andere Optionen als völlig „unmöglich“ qualifiziert.122

Fazit: Sicherheitskultur im Sinne dieser Arbeit

Dieser zuletzt methodisch unbefriedigenden Diagnose lässt sich letztlich nur mit zwei Maßnahmen begegnen: Zum einen durch einen qualitativen Ansatz, der eine soziale Konstruktion von Realität ebenso anerkennt wie die Tautologie, dass Kultur einen

120 Vgl. Oliver Thränert/Christian Wagner: Atommacht Pakistan. Nukleare Risiken, regionale Konflikte und die dominante Rolle des Militärs, Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik 3, Berlin 2009, S. 23.

121 Vgl. Johnston: Cultural Realism, S. 37.

122 Vgl. Ebd.

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gewissen Einfluss auf Verhalten hat und gleichzeitig durch sie dargestellt wird; zum anderen mit einer Reduktion des breiten Feldes der Sicherheitskultur, ausgehend von Grays – fehlerhafterweise klaren – Trennung verschiedener Faktoren von Sicherheitskultur auf einen Bereich, der relativ klar fassbar ist, vergleichende Studien in verschiedenen Sicherheitskulturen gestattet und relativ klare Auswirkungen auf die Strategiefähigkeit eines Staates hat: die zivil militärischen Beziehungen innerhalb eines staatlichen Ordnungssystems als Subsystem der Sicherheitskultur. Sicherheitskultur ist somit eine Symbiose der drei Generationen von S i cherheitskultur:

Sie ist historisch begründet und hergeleitet (erste Generation); sie stellt zwar im Ursprung einen breiten Konsens in der Gesellschaft eines Staates dar, bindet jedoch ganz wesentlich die Entscheidungsträger und lässt sich potenziell, aber nicht notwendigerweise, von diesen auch in eigenem Interesse nutzen (zweite Generation); und sie ist eine unabhängige, zum Teil auch intervenierende Variable, die beobachtbare Effekte hervorrufen und auf einem bestimmten Politikfeld somit ein bestimmtes Ergebnis – und eben kein anderes – hervorbringen kann (dritte Generation).

Im Folgenden soll eben die angesprochene Reduktion von Sicherheitskultur vorgenommen werden – auf die zivil‐militärischen Beziehungen eines Staates.

1.4 Zivil­militärische Beziehungen als Sicherheitskultur Richard Scott stellte im Sinne der Legitimitätsübertragung des politischen Systems auf dessen verschiedenen Subsysteme fest, dass Organisationen, die auf verschiedenen Sektoren (also verschiedenen issues) basieren, sich nach anderen Prinzipien richten, eine andere Struktur haben und sich in einen anderen normative Rahmen einfügen als andere Organisationen.123 Es ist somit zu erwarten dass die Ressorts, die sich im Spannungsfeld der zivil‐militärischen Beziehungen bewegen, eine mit den Besonderheiten dieses issues korrespondierende Matrix aus Struktur und Konzept, formellen und informellen Prozessen und Verhaltensweisen aufweisen. Diese speziellen Strukturen und Konzepte sind auf dem hier betrachteten Feld der operativen Protektoratsverwaltung entscheidend für die Strategiefähigkeit der staatlichen Organe,

123 Vgl. W. Richard Scott: Institutions and Organizations. Ideas and Interests, 3. Auflage, Los Angeles u.a. 2008, S. 24.

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da durch sie die Fähigkeit zur integrierten, ressortübergreifenden Koordination und Führung maßgeblich bestimmt wird. Auf dem Feld der zivil‐militärischen Beziehungen gibt es bis heute zwei Standardwerke, die die grundlegenden Positionen bestimmen: „The Soldier and the State“ von Samuel P. Huntington und „Armed Servants“ von Peter D. Feaver. Aufgrund ihrer Bedeutung sollen die gegensätzlichen Positionen im Folgenden kurz dargestellt werden.

Zivil‐militärische Beziehungen erlangen ihre Bedeutung für die Strategiefähigkeit eines Staates durch ihre doppelte Funktion für die nationale Sicherheit: Die zivil‐militärischen Beziehungen sichern aus der Sicht des Staates heraus diesen zum einen nach außen, indem sie ein möglichst effektives Militär zur Verteidigung gegen äußere Feinde hervorbringen sollen, und zum anderen nach innen, indem sie das Militär dem Staat unterordnen und es (unabhängig von der Staats‐ und Regierungsform) kontrollieren und an der Machtergreifung (und zuerst dem Willen hierzu) hindern.124 Die Wurzeln dieser nicht neuen Problematik liegen in der klassischen Demokratietheorie:125 Wie kann ein Gemeinwesen seine Freiheit nach außen sichern und gleichzeitig seine Freiheit nach innen garantieren, oder: „Wer bewacht die Wächter?“126 Aus diesem Dilemma erklärt sich der klassische Fokus der Wissenschaft der zivil‐militärischen Beziehungen auf die notwendigen und hinreichenden Bedingungen in einem Gemeinwesen, die im Extremfall zu einem Putsch des Militärs führen bzw. diesen abwenden können. Der Großteil der einschlägigen Forschung widmet s ich d ieser recht klaren Fragestellung.127

Dieser Ansatz wäre für eine Untersuchung der Strategiefähigkeit nicht zielführend. Jedoch hat sich die Forschung zu zivil‐militärischen Beziehungen in ihrer Definition eines Scheiterns von der klassischen Staatsstreich‐Vorstellung gelöst und anderen,

124 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 80.

125 Vgl. Peter D. Feaver: Civil‐Military Relations, in: Annual Review of Political Science, 1999, 2, S. 211‐241, S. 212f.

126 Vgl. Ders.: Guarding the Guardians. Civilian Control of Nuclear Weapons in the United States, Cornell 1992.

127 Vgl. zum Beispiel: John B. Londregan/Keith T. Poole: Poverty, the coup trap, and the seizure of executive power, in: World Politics, 42/1990, S. 151‐183; Charles J. Dunlap: The Origins of the American Military Coup in 2012, in: Parameters, 22/Winter 1992, S. 2‐20; Robert W. Jackman: The predictability of coups d’état: a model with African data, in: American Political Science Review 72/1978, S. 1262‐1275.

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differenzierteren Klassifizierungen zugewandt.128 Das hat insbesondere für die Erforschung von westlichen Demokratien eine Bedeutung, in denen das Gespenst des militärischen Coup d’États an Wirkungskraft verloren hat.129

Im komplizierten Feld der zivil‐militärischen Beziehungen ist also eine weitere Ausdifferenzierung notwendig.130 Daher hat sich in der Literatur ein breiteres Feld möglicher zivil‐militärischer Friktionen herausgebildet. Michael Desch nennt neben dem Staatsstreich unter anderem den Grad des formellen oder informellen militärischen Einflusses auf policy‐Entstehung und, auf der anderen Seite, vollständigen militärischen Gehorsam und Unterwerfung unter die zivile Gewalt auch in alltäglichen Fragen als mögliche Ergebnisse spezieller zivil‐militärischer Beziehungen.131 Alle diese Faktoren bringen neben einer gewünschten Differenzierung und Klärung weitere Probleme mit sich: Während die klassische Verwendung des Staatsstreiches als abhängige Variable der zivil‐militärischen Beziehungen eine klare, binäre Untersuchung möglich machte (entweder putschte das Militär, oder es putschte nicht), ermöglichen und bedingen nahezu alle weiteren von Desch genannten Variablen der „second generation“132 diesbezüglicher Forschung eine gewisse Unbestimmtheit. Der Einfluss des Militärs auf policy‐Inhalte, zum Beispiel über die mögliche Definitionshoheit von äußeren Bedrohungen und damit militärische Doktrin‐ und Strukturfragen, lässt sich schwer dauerhaft und für mehrere Politikfelder bestimmen. Auch der Respekt militärisch sozialisierter Offiziere gegenüber ihren zivilen Vorgesetzten ist nicht unbedingt ein entscheidender Indikator für gute oder schlechte zivil‐militärische Beziehungen: Auch ohne persönlichen Respekt kann das Militär gehorchen, die Formalisierung des Gehorsams unabhängig von persönlicher Sympathie zeichnet das Prinzip von Befehl und

128 Vgl. Peter D. Feaver: Crisis as shirking: an agency theory explanation of the souring of American civil‐ military relations, in: Armed Forces and Society 24/3, 1998, S. 407‐434, S. 410.

129 Vgl. Forster: Armed Forces and Society, S. 19.

130 Michael C. Desch: Civilian Control of the Military. The Changing Security Environment, Baltimore 1999, S. 3.

131 Vgl. Ebd., S. 8‐21.

132 Vgl. A. Cottey/T. Edmunds/A. Forster: The Second Generation Problematic: Democratic Civilian Control of the Armed Foces, in: Armed Forces and Society, 29/1, 2002, S. 31‐56, S. 31.

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Gehorsam ja geradezu aus.133 Hinzu kommt bei nahezu allen nur ungenügend formalisierten abhängigen Variablen das Problem des „Hundes, der nicht bellt“134: Gerade die extremen Formen der abhängigen Variable (Staatsstreiche, offene zivil‐ militärische Konflikte, Befehlsverweigerung hochrangiger Generale) sind nicht unbedingt der korrekte Indikator für militärische Stärke: Ein Militär, das über informelle Wege Einfluss nehmen kann, hat es möglicherweise gar nicht nötig, offen Einfluss zu nehmen. Auf diesem Weg werden klassische Indikatoren für militärische Stärke potentiell zu Anzeichen militärischer Schwäche gegenüber den zivilen Akteuren.135

Bessere Indikatoren für unausgewogene zivil‐militärischer Beziehungen sind daher der strategische Prozess und die ressortgemeinsame Kooperation eines Staates im Rahmen der Umsetzung Vernetzter Sicherheit. Gerade hier geht es um die Balance der zivil‐ militärischen Beziehungen, auf ein nicht genau zu definierendes, „gesundes“ Verhältnis zwischen den Extrempolen des Militärputsches und der völligen Einflusslosigkeit des Militärs. Um hier einen geeigneten Analyserahmen zu erhalten, wird wesentlich auf Huntington zurückgegriffen, dessen zentrale Thesen im Folgenden dargestellt werden.

1.4.1 Samuel P. Huntington – Theoretiker demokratischer Kont rolle Samuel P. Huntington legte mit seiner Arbeit „The Soldier and the State“ 1957 den Grundstein für eine Theoriedebatte, die bis heute aktuell und bestimmend ist.136 Nach Huntington unterliegen militärische Organisationen grundlegend zwei Kräften: dem funktionalen Druck, ausgehend von der (als objektiv gegeben vorausgesetzten) Bedrohung der Gesellschaft und des Staates von innen und außen auf der einen und dem gesellschaftlichen Druck, der aus den in der Gesellschaft dominierenden Ideologien und Werten (sprich: Kultur) entsteht, auf der anderen Seite.137 Zwischen diesen beiden Kräften kann, wie oben gezeigt, ein Spannungsfeld entstehen, in dem sich Struktur und

133 Vgl. Desch: Civilian Control of the Military, S. 4.

134 Feaver: Civil‐Military Relations, S. 218.

135 Vgl. Ebd.

136 Vgl. Ders.: The Civil‐Military Problematique: Huntington, Janowitz, and the Question of Civilian Control, in: Armed Forces & Society, 23/2, 1997, S. 149‐178, S. 149.

137 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 2.

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Konzept der Organisationen aufgrund dominierender kultureller Faktoren auf eine Weise entwickeln, die einer rein rational‐funktionalen Organisation widersprechen.138 Andererseits kann es auf dem speziellen Gebiet der zivil‐militärischen Beziehungen für einen Staat gefährlich sein, ein Militär und das dazugehörige Ministerium lediglich nach funktionalen Gesichtspunkten zu strukturieren.139

Im Zentrum steht dabei eine Überhöhung des preußischen Soldatenethos zur Zeit der kleindeutschen Reichsgründung und die grundlegende Forderung nach „objektiver ziviler Kontrolle“140 (und der gleichzeitigen heftigen Ablehnung „subjektiver ziviler Kontrolle“141) von Streitkräften im demokratischen Staat.142 Huntington schreibt vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, für den er den amerikanischen Staat mit seiner (von ihm postulierten) antimilitaristischen, liberalen Grundeinstellung, die eine ausreichende Stärkung des Militärs behindert oder, in Zeiten der Not, das Militär zu sehr ermächtigt und jede Führung aus der Hand gibt (wie es im Zweiten Weltkrieg Präsident Roosevelt gegenüber den Generalen Eisenhower und MacArthur tat),143 schlecht vorbereitet sieht.144 Vor diesem Hintergrund erklärt sich die normative, drängende Art des Schreibens Huntingtons.145

Huntington definiert einen idealtypischen militärischen Professionalismus. Militärisch professionell ist der Soldat (und hier insbesondere der Offizier), der eine singuläre

138 Siehe unten, S. 68f.

139 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 2.

140 Ebd., S. 83. Peter Feaver bevorzugt zur Verdeutlichung der Unterstellungsverhältnisse die Bezeichnung „delegative civilian control“, Feaver: Guarding the Guardians, S. 7.

141 Huntington: The Soldier and the State, S. 80.

142 Die Begrifflichkeiten Samuel P. Huntingtons mit Blick auf die zivile Kontrolle sind missverständlich und erschließen sich nicht durchgehend aus ihrer theoretischen Begründung. Um Huntingtons Theorie jedoch auf den Untersuchungsgegenstand dieses Papers anwenden zu können, werden die Begriffe „objektive“ bzw. „subjektive zivile Kontrolle“ übernommen.

143 Vgl. Ebd., S. 315.

144 Vgl. Feaver: Armed Servants, S. 17.

145 Vgl. Ders.: Civil‐Military Relations, S. 212.

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Expertise bereithält, im Falle des Offiziers das „Management von Gewalt“146. Hinzu kommen eine bestimmte soziale Funktion, deren Nichtausübung die Gesellschaft gefährden würde, sowie ein elitärer Korpsgeist, der eine klare Grenze zu Nichtmitgliedern und geringeren Mitgliedern des Militärs (Reservisten, Unteroffiziere, einfache Soldaten) zieht und insbesondere auf dem Grundwert des Gehorsams aufbaut.147 Den professionellen Offizier, der sich in seinem Fach durch systematische Wissenschaft fortbildet, durch Leistung auszeichnet und dementsprechend befördert wird, grenzt Huntington insbesondere vom Geist des 18. Jahrhunderts bis zur französischen Revolution 1789 und den preußischen Reformen nach 1813 ab, als in spätabsolutistischen, feudalen Gesellschaften Europas die Führungspositionen in den (aus Söldnern bestehenden) Streitkräften dem jeweiligen Adel ohne Rücksicht auf dessen militärisches Können übertragen wurden, um diesen an den Staat zu binden und somit innenpolitische Systemstabilität vor militärische Effektivität zu setzen.148 Ein Offizierskorps, das diese Eigenschaften erfüllt, ist professionell – nicht im Sinne der Ausübung ihrer Tätigkeit gegen Entlohnung, sondern im Sinne eines Berufsstandes, der sich von anderen Berufsständen, wie der Profession der Ärzte, deutlich durch besondere Fähigkeiten abgrenzt149 – und zwar unabhängig von seinem Heimatland. Ein professionelles Offizierskorps – so Huntington – wird als solches qualifiziert und betrachtet, unabhängig davon, ob es in den USA des zwanzigsten oder im Russland des neunzehnten Jahrhunderts besteht.150

146 Huntington: The Soldier and the State, S. 12; Feaver: Armed Servants, S. 69.

147 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 76‐78.

148 Vgl. Ebd., S. 19‐28.

149 Vgl. Ebd., S. 7.

150 Vgl. Ebd., S. 13.

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1.4.2 Subjektive und objektive zivile Kontrolle „The military think of themselves as civil servants in national service, and that is an essential ingredient of civil control.”151

Huntington unterscheidet auf der Grundlage dieser Definition den „Krieger“ früherer Zeiten von einem professionellen Offizierskorps. Während ersterer für ihn mit Gesellschaften verbunden ist, die sich für eine subjektive Kontrolle des Militärs entscheiden, präferiert das Offizierskorps die objektive Kontrolle, die ihm seine professionelle Sphäre lässt. Subjektive zivile Kontrolle des Militärs ist für Huntington eine Struktur, die den Einfluss des Militärs auf staatliche Angelegenheiten minimiert und den zivilen Einfluss entsprechend maximiert.152 Daran kritisiert Huntington, dass die Maximierung ziviler Kontrolle immer zugunsten einer bestimmten zivilen Gruppe – oder im Staat, einer Regierungsinstitution oder einer sozialen Klasse – und damit auf Kosten anderer Gruppen und Regierungsinstitutionen verläuft. Der Kampf des englischen Parlaments um zivile Kontrolle über das Militär wird aus dieser Perspektive zum Kampf des Parlaments gegen den englischen König um zivile Kontrolle, der des amerikanischen Kongresses zur Bemühung um eine Machtbeschneidung des Präsidenten, und der des europäischen Bürgertums im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert zum Kampf gegen die aristokratische Vormachtstellung.153 Das bedeutet nicht, dass zivile Kontrolle in Demokratien eo ipso größer ist als in totalitären Staaten – Huntington verweist auf die dividere­et­impera‐Politik des NS‐Regimes Adolf Hitlers gegenüber den bewaffneten Organisationen im Staat. Das Auftreten eines militärischen Professionalismus nach 1789/1813 machte diese subjektive, schwache und je nach Staat und Gesellschaft gefährliche Form der zivilen Kontrolle nach Ansicht Huntingtons obsolet: Die neuen, professionellen Offiziere definierten Politik nach dem Imperativ der als objektiv empfundenen Bedrohungen und waren somit eine neue, ständige Kraft im vormals – da eine stehende Armee nicht existierte – rein „zivilen“ Kampf um Vorherrschaft. 154 Das

151 Morris Janowitz: The Professional Soldier. A Social and Political Portrait, First Free Paperback Edition, New York/London 1964, S. lii.

152 Vgl. Ebd., S. 80.

153 Vgl. Ebd., S. 81f.

154 Vgl. Ebd., S. 83.

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entscheidende Mittel der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe ist dabei eine „Zivilisierung des Militärs“155 nach ihrem Vorbild: Das Parlament strebt nach einer Demokratisierung des Militärs, bis hin zur Extremform der Wahl des Offiziers durch seine Soldaten, wie es nach der französischen Revolution einige Zeit der Fall war. Ebenso sollte die Wehrpflicht insbesondere in den deutschen Ländern traditionell den Transfer von bürgerlichen Normen und Regeln in die militärische Sphäre gewährleisten.156 Das wird jedoch, das macht Huntington klar, der Besonderheit der soldatischen Sphäre, dem „sui‐generis‐Charakter des Militärischen“157, nicht gerecht.

Daher befürwortet Huntington eine neue Form der zivilen Kontrolle: Objektive zivile Kontrolle ist nach Huntington die Maximierung des militärischen Professionalismus und damit genauer jene Machtverteilung zwischen ziviler und militärischer Sphäre, die die Genese eines militärischen Professionalismus erlaubt.158 Sie entspringt aus der Anerkennung der professionellen Sphäre des Militärs und dem gleichzeitigem Bestreben des Staates, das effektive, nach funktionalen Gesichtspunkten gestaltete Militär zu seinem Werkzeug zu machen. So wie der Chirurg ein Spezialist in der Durchführung von medizinischen Operationen ist, zeichnet sich der Offizier – in Huntingtons enger Definition – als „Gewaltspezialist“159 aus. Objektive zivile Kontrolle ist für Huntington nicht zufällig im idealisierten Preußen der Reichsgründung angesiedelt: die strenge Unterordnung des Militärs unter die Politik bei gleichzeitiger Nichteinmischung der Politik in die Sphäre des Militärs ist bei Clausewitz angelegt,160 der wiederum die nachfolgenden Generationen preußischer Offiziere durch ein fortschrittliches internes System maßgeblich beeinflusste. Objektive zivile Kontrolle beruht nach Huntington also

155 Ebd., S. 83.

156 Vgl. Maja Apelt: Militärische Sozialisation, in: Sven Bernhard Gareis/Paul Klein (Hrsg.): Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2006, S. 26‐39, S. 29.

157 Detlef Bald: Generalstabsausbildung in der Demokratie. Die Führungsakademie der Bundeswehr zwischen Tradition und Reform, Koblenz 1984, S. 21.

158 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 83.

159 Klaus Naumann: Soldaten sollen denken, in: DIE ZEIT vom 4. Februar 2010.

160 So sagt es sein berühmtestes Zitat, wonach die Krieg „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ sei, vgl. Clausewitz: vom Kriege, S. 108.

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auf einer „Militarisierung des Militärs“161. In diesem Paradox liegt der Schlüssel zur Theorie Huntingtons: Zwar wird das Militär professionalisiert und gestärkt, indem ihm Autonomie zur Ausrichtung seiner Strukturen und Prozesse an funktionalen Faktoren gewährt wird – gleichzeitig wird die politische Macht des Militärs negiert. Es fügt sich freiwillig in seine Rolle als mächtiges Werkzeug der Politik, aber eben als Werkzeug und wird damit als politische Macht aus innerstaatlicher Perspektive „sozusagen unsichtbar und zu einem nichts“162. Die Bedeutung dieses „noli­me­tangere“163‐Konzeptes entspricht der klassischen Organisationstheorie, wonach Organisationen im Verhältnis zu vorgesetzten Institutionen Autonomie schätzen.164 In dieser Ansicht wird Huntington sogar von Kritikern unterstützt,165 die gleichzeitig seine per definitionem festgesetzte Verbindung von Professionalismus und Autonomie auf der einen und einem Geist der Unterordnung unter die zivile Sphäre auf der anderen Seite scharf kritisieren.166 Ist die Autonomie des Militärs dagegen geringer, wird der Kampf um Struktur und Konzept des Militärs automatisch zu einem Konflikt zwischen sozialen Gruppen um die Definitionshoheit der grundlegenden Werte des Militärs, also zum Kampf um subjektive Kontrolle. Folglich entspricht der objektiven Kontrolle auch eine klare und unteilbare Verantwortlichkeit einer einzigen zivilen Institution, während die subjektive Kontrolle durch ein Nebeneinander ziviler Institutionen gekennzeichnet ist. Das korrespondiert mit der Struktur der militärischen Führung: Während die objektive zivile Kontrolle innerhalb der militärischen Sphäre eine klare Struktur und Hierarchie erfordert, präferiert die subjektive zivile Kontrolle gerade wegen der Politisierung der Streitkräfte eine heterogene, uneinheitliche militärische Führung, die dadurch leichter zu kontrollieren sein soll.

161 Huntington: The Soldier and the State, S. 83.

162 Charles de Montesquieu: Der Geist der Gesetze, hrsg. von Adolf Ellissen, 3. Auflage, Buch VI/ Kapitel 6, Leipzig 1851, S. 43.

163 Claude Welch: Civilian Control of the Military, Albany 1976, S. 33.

164 Vgl. Feaver: Armed Servants, S. 78.

165 Vgl. zum Beispiel: Richard K. Betts: Soldiers, Statesmen, and Cold War Crises, New York 1991, S. 10; Feaver: Guarding the Guardians, S. xi.

166 Vgl. Ders.: Civil‐Military Relations, S. 235.

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Huntington lehnt mit dieser Herleitung also ab, Streitkräfte nach funktionalen und ideellen Gesichtspunkten zu gestalten und befürwortet nur erstere. Um den Vorwurf der Selbstwiderlegung aufzuheben, führt er das Konzept der Professionalisierung ein, das eine funktionale Ausrichtung bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von ideellen Faktoren ermöglichen soll, ohne für das Gleichgewicht der zivilen Gruppen und Institutionen des Staates, kurz: ohne für den Staat gefährlich zu sein.

Objektive zivile Kontrolle hat nach Huntington zwei Bedingungen, die wiederum vor dem Hintergrund der preußisch‐deutschen Gründerjahre entstehen: Zum einen ein im Verhältnis zu den zivilen Gruppen starkes Offizierskorps, zum anderen die Kompatibilität des professionellen militärischen Ethos, wie ihn Huntington definiert, mit den in der Gesellschaft vorherrschenden Ideologien.167 Sollte eine von beiden Bedingungen nicht gegeben sein, läuft ein Staat Gefahr, zur subjektiven zivilen Kontrolle zu tendieren und sich nicht mehr gegen äußere Bedrohungen wehren zu können. Zivil‐ militärische Beziehungen sind bei Huntington also der Kern der nach außen gerichteten Strategiefähigkeit eines Staates in der Sicherheits‐ und Verteidigungspolitik, in dem Maße, in dem sie eine funktionale Organisation des Militärs, eine funktionale Ausrichtung seiner Struktur und seines Konzeptes, ermöglichen oder verhindern.

1.4.3 Peter Feaver, Agency und Stewardship Während Huntingtons Paradigma den grundlegenden Analyserahmen bietet, wird hier ergänzend eine weitere Kategorie eingeführt. Huntington ermöglicht mit seiner Definition der objektiven und subjektiven zivilen Kontrolle zum einen keinen Blick in die Organisation des Militärs hinein, zum anderen bietet er keinen Ansatzpunkt für eine, wenn auch schwierige und nur rudimentäre, Prüfung der Angemessenheit einer gewählten Form der zivilen Kontrolle in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen und historischen Umfeld. Der Blick in die Organisation hinein würde einen weiteren sicherheitskulturellen Faktor, mithin einen Teil der Organisationskultur, beleuchten. Die Prüfung der Angemessenheit könnte zumindest einen Ansatzpunkt für eine Debatte der analysierten Strukturen bieten.

167 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 85f.

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Nach der Welle an Literatur zu zivil‐militärischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die im Schatten des Kalten Krieges entstanden war und in Huntington und seiner Warnung vor außenpolitischem Liberalismus ihren bekanntesten Vertreter fand, teilte sich das Forschungsfeld in zwei Richtungen:168 Eine Richtung suchte, enger an Huntingtons Vorstellung von Professionalismus angelehnt, in der soziologischen Annäherung an den Typus des Militärs eine Antwort auf die klassische Frage nach der Bändigung der uniformierten Macht, nach deren Funktion im demokratischen Staat und der Lebensgewohnheiten und politischen Einstellungen ihrer Angehörigen. Dafür steht vor allem Morris Janowitz mit seinem Buch „The Professional Soldier“169. Die andere, und hier aufgrund ihrer externen Herangehensweise interessantere Methode war institutionalistisch ausgerichtet und wurde daher von Politikwissenschaftlern dominiert.170 Einer ihrer wichtigsten Vertreter ist Peter Feaver und dessen Verwendung des Principal­Agent‐Paradigmas.

1.4.3.1 Das Agency­Paradigma Während Huntington versucht, deduktive eine Möglichkeit der objektiven zivilen Kontrolle zu konstruieren, welche das Spannungsfeld des Schutzes der politischen Entität durch das Militär und vor dem Militär ausgleicht und beides zu ermöglichen, beschränkt sich Feaver von vornherein auf eine theoretische Erklärung, wie die alltägliche Kontrolle des Militärs durch Zivilisten sichergestellt werden kann und somit auf letztere Ebene des Spannungsfeldes.171 Feaver sucht wie Huntington, den er als akademischen Lehrer betrachtet, die Deduktion einer Theorie der zivil‐militärischen Beziehungen ausgehend von der Demokratietheorie, ohne zu sehr in die ideelle Falle Huntingtons zu tappen. Diese führte laut Feaver dazu, dass sich Huntingtons Befürchtung nicht erfüllte: offensichtlich haben die USA den Kalten Krieg erfolgreich überstanden – ohne jedoch die von Huntington geforderte Loslösung der Bürger vom außenpolitischen Liberalismus, die Förderung eines militärischen Professionalismus

168 Vgl. Feaver: Civil‐Military Relations, S. 212.

169 Vgl. Janowitz: The Professional Soldier, S. 163‐208.

170 Vgl. Feaver: Civil‐Military Relations, S. 212.

171 Vgl. Ders.: Armed Servants, S. 6f.

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und somit die objektive zivile Kontrolle vollständig erfüllt zu haben.172 Huntingtons Theorie war damit nach Feaver gescheitert, das Feld der zivil‐militärischen Beziehungen benötigte eine n eue Theorie.

Feavers Ansatz dazu ist die konsequente Anwendung des Principal­Agent‐Paradigmas, also die Problematik der Delegation von Autorität von einer Institution an eine andere zur Ausübung im Sinne ersterer. Das Agency‐Paradigma beschäftigt sich mit den problematischen potentiellen Interessengegensätzen von Auftraggebern (Principals) und Auftragnehmern (Agents).173 In ökonomischer Teminologie geht das Agency‐ Paradigma davon aus, dass „there exists a central problem with regard to shareholders’ interests: top management does not always act to maximize shareholders’ return on investment.”174 Wird angenommen, dass sowohl Principal als auch Agent nutzenmaximierend handeln, so gibt es gute Gründe, anzunehmen, dass der Agent nicht immer im Interesse des Principals handelt.175 Der Agent kann in relativer Autonomie agieren, da er für gewöhnlich eine Informationsüberlegenheit gegenüber dem Principal innehat: er weiß mehr und schneller, was in seinem Bereich geschieht, als dies der Principal jemals erfahren kann.176 Der Principal begegnet dieser Problematik unter anderem durch eine enge Kontrolle des Agents, manifestiert in bestimmten Prozessen und Strukturen.177

Übertragen auf die zivil‐militärischen Beziehungen handelt es sich dabei nach Feaver in demokratietheoretischer Tradition um eine Delegation auf zwei Ebenen: Zum einen um die Delegation von Verantwortung vom Einzelnen auf das Kollektiv, sei es in Form von

172 Vgl. Ebd., S. 16‐53.

173 Vgl. Peggy M. Lee/Hugh M. O’Neill: Ownership Structures and R&D Investments of U.S. and Japanese Firms: Agency and Stewardship Perspectives, in: Academy of Management Journal, 46, 2003, S. 212‐225, S. 212.

174 Brian W. Kulik: Agency Theory, Reasoning and Culture at Enron: In Search of a Solution, in: Journal of Business Ethics (2005) 59, S. 347‐360, S. 348.

175 Vgl. Michael C. Jensen/William H. Meckling: Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, October 1976, V. 3 No. 4, S. 305‐360, S. 208‐310.

176 Vgl. Richard M. Waterman/Kenneth J. Meier: Principal‐Agent Models: An Expansion?, in: Journal of Public Administration Research and Theory, Vol. 8/No. 2 (April 1998), S. 173‐202, S. 174.

177 Vgl. zum Beispiel Peter‐Jürgen Jost: On control in principal‐agent relationships, Bonn 1988, S. 11‐14.

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einzelnen Personen oder von Institutionen wie Räten und Parlamenten. Auf diese erste Delegation folgt im Feld der zivil‐militärischen Beziehungen eine zweite, nämlich die des Kollektivs an eine oder mehrere Organisationen, die mit dem alleinigen Zweck der Abwehr von gewaltsamen Bedrohungen betraut werden.178 Erst mit diesem Schritt stellt sich die Frage Überwachung der Wächter und damit das Prinzip des Principal­Agent‐ Ansatzes. Das Prinzip der Delegation von Aufgaben an professionelle Bearbeiter in ihrem jeweiligen Spezialgebiet ist dabei nicht allein auf das Militär anzuwenden – nur hier stellt sich jedoch die Frage der Sicherheit des Systems gegenüber seinen Beschützern auf eindeutige Weise.179 Zu diesen zwei Ebenen und der ersten Aufgabe der militärischen Verteidigung kommen dann in analytischer Folge weitere Aufgaben hinzu, die nichts mit der primären zu tun haben: Das Militär kann als Vehikel zur Umsetzung gesellschaftlicher Entwicklungen dienen (Emanzipierung von Frauen und Homosexuellen), durch Standortpolitik als Wirtschafts‐ und Infrastrukturfaktor dienen und über die Rüstungspolitik ein Standbein der Industrie werden. All diese Funktionen gewinnen insbesondere in Abwesenheit des Ernstfalles, also im Frieden, an Bedeutung und komplizieren so das zunächst einfache zivil‐militärisch e Bild.180

Feaver identifizierte die zivile Regierung als den Principal, die das Militär als Agent mit der Verteidigung der politischen Ordnung und/oder des Landes beauftragt. Erst die Anwendung dieses theoretischen Modells erlaubt es, den Schwerpunkt der Untersuchungen der zivil‐militärischen Beziehungen vom Agent her zu denken. Auf diesem Wege könnten Überzeugungen innerhalb des Militärs, zum einen über seine Rolle innerhalb des Staates, zum anderen über die Anwendung militärischer Gewalt generell, untersucht und auf Effekte analysiert werden, wie dies Vennesson u.a. tun.181 Das Verhalten des Agents kann sich laut Feaver zwischen den Extremen des Staatsstreiches und der vollständigen und konsequenten Unterordnung unter den zivilen Willen bewegen. Dazwischen siedeln sich zahlreiche Möglichkeiten an, mit denen

178 Vgl. Feaver: The Civil‐Military Problematique, S. 150.

179 Vgl. Ebd., S. 152.

180 Vgl. Ebd., S. 152‐154.

181 Vgl. Pascal Vennesson u.a.: Is there a European Way of War? Role Conceptions, Organizational Frames, and the Utility of Force, in: Armed Forces & Society 35/4, 2009, S. 628‐645.

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das Militär dem zivilen Principal formal gehorchen und ihm gleichzeitig informell zuwiderhandeln kann.182

Peter Feaver kritisiert als Grundlage seines Konzeptes und der Anwendung des Principal­Agent‐Ansatzes den Schwerpunkt, den Huntington auf kulturelle Faktoren legt. Überhaupt sind für ihn alle Ansätze der zivil‐militärischen Beziehungen seit dem Beginn der fünfziger Jahre, wenn überhaupt, dann extrem durch ideelle Faktoren geprägt und bedürfen einer materialistischen Erdung. Doch hier eröffnet sich die Möglichkeit einer Synthese beider Ansätze: Obwohl Feaver ideelle Faktoren nicht zur Grundlage seines Modelles macht, haben diese potenziellen, von ihm aber nicht in den Mittelpunkt gestellten Raum für die Einbindung ideeller, mithin kultureller Faktoren:

„At least in principle, agency theory should have relevance to any liberal democracy, although the values of the key variables in agency theory would undoubtedly change with different cultural settings.“183

Während das Verhalten des Agents, des Militärs, naturgemäß von organisationsinternen Interessen geleitet wird – primär dem Zugewinn von Ressourcen und Autonomie – haben kulturelle Hintergründe der Principal­Agent‐Beziehungen einen entscheidenden Einfluss auf die Interpretation und Wirkmächtigkeit dieser Interessen. Durch eine Synthese von Huntingtons und Feavers Ansätzen lassen sich subjektive und objektive zivile Kontrolle durch die Nutzung des Agency‐Paradigmas weiter klassifizieren und bewerten.

182 Ein entsprechendes Beispiel, das Feaver gar nicht selber erwähnt, ist die Reaktion der US‐Streitkräfte auf die von Präsident John F. Kennedy geforderte Konzentration auf Counterinsurgency, um der sowjetischen Strategie der Ausbreitung des Kommunismus durch Aufstände zu begegnen: Wie John Krepinevich eindrucksvoll zeigt, reagierte insbesondere die U.S. Army formal gehorsam und stellte Ausbildung und Struktur auf die Bedürfnisse von Counterinsurgency um. Eine nähere Betrachtung zeigte jedoch, dass diese Reformen (außer innerhalb der Special Forces der U.S. Army und einiger anderer Bereiche) im Grundsatz nur Neubezeichnungen alter Ausbildungsinhalte darstellten und sich Struktur, Personalführung, Einsatzgrundsätze und Operationsplanung der Armee nicht relevant veränderten. Das Konzept der luftbeweglichen Brigaden – für den nuklearen Kriegsschauplatz in Europa entwickelt (vgl. Rosen: Winning the next war, S. 85‐96.) – wurde kurzerhand zu einer entscheidenden Waffe gegen Insurgencies erklärt. Die Armee hatte offiziell gehorcht, um inoffiziell die Reformen in ihrem Sinne zu behindern und zu manipulieren, vgl. Andrew F. Krepinevich: The Army and Vietnam. Baltimore (Maryland) 1988, S. 27‐55.

183 Feaver: Armed Servants, S. 12.

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Die Anwendung des Theorems auf den speziellen Fall der zivil‐militärischen Beziehungen erfordert somit eine Adaption, da sich das Verhalten von Militärs im Staat nicht unbedingt nach dem klassischen Muster des Strebens des Agents nach geringstmöglichem Einsatz erklären lässt. Hier greift Feaver auf die soziologischen Untersuchungen des Militärs und Schlagworte wie Ethos, Ehre und Pflicht zurück. Auch das Militär hat in der Regel ein Interesse daran, seine Aufgabe gut (nach seinen eigenen Maßstäben) zu erfüllen; es kann sich durchaus als Steward seines Auftraggebers verstehen. Die Unterscheidung von subjektiver und objektiver ziviler Kontrolle ist bei Huntington somit letztlich auch die Unterscheidung von unterschiedlichen Managementtheorien.

1.4.3.2 Das Stewardship­Paradigma Subjektive zivile Kontrolle misstraut der intrinsischen Selbstbeschränkung und Systemtreue des Militärs und dringt auf eine Zivilisierung und Diversifizierung der militärischen Strukturen, um das Dilemma des Principal­Agent‐Paradigmas aufzulösen. Getreu dieser Theorie – eben von Feaver in die zivil‐militärischen Beziehungen eingeführt184 – sollte der Agent, in diesem Fall hohe Militärs, wenig Einfluss und Autonomie besitzen und eng kontrolliert werden.185 Das Agency‐Paradigma beruht somit auf der Annahme von Interess endivergenz des Principals und des Agents.

Dem gegenüber stehen Theorien, die auf dem Paradigma des Stewardship aufbauen. Historisch entstanden vor dem Hintergrund christlicher Ethik und der Treuhandschaft des Menschen für die von Gott geschaffenen Dinge,186 setzt es in dieser religiösen Tradition noch heute dem Agency‐Prinzip diametral entgegengesetzte Annahmen entgegen.187 Nicht rationale Maximierung des eigenen Interesses und das ständige Suchen des eigenen Vorteils stehen im Vordergrund, sondern „convergence because of

184 Vgl. Ebd., S. 182.

185 Vgl. Jensen/Mackling: Theory of the Firm, S. 331.

186 Vgl. Rosita S. Chen: Social and Financial Stewardship, in: The Accounting Review, Vol. 50/No. 3 (Jul. 1975), S. 533‐543, S. 534.

187 Das Stewardship‐Paradigma ist die „antithesis to agency theory“, Kulik: Agency Theory, S. 356.

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shared collective interests with the contracted steward.“188 Diese kollektiven Interessen müssen nicht jedes von den Stewards durchgeführte „Projekt“ betreffen – sie können und sollten auch gerade übergeordneter Natur sein und eine grundlegende Werte‐ und Interessenkongruenz hervorbringen. Dabei ist das Stewardship‐Paradigma kein idealisiertes, romantisierendes Prisma; es steht in der Verwendung des Rationalitätsbegriffes in der Schule Herbert Simons und seiner „begrenzten Rationalität“189, der Bedingtheit von rationalen Entscheidungen. Diese Bedingtheit entsteht unter anderem dadurch, dass in vielen Organisationen führende Personen durch ethisch‐moralische Bindungen an die eigene Organisation bzw. an den Principal intrinsisch motiviert sind, zum Besten dieses Principals zu handeln.190 In gewisser Weise führt das Stewardship‐Paradigma somit, im theoretisch besten Falle, zu einer Selbstkontrolle der eigentlich zu Kontrollierenden.191

Stewards sind bereit, den Erfolg ihrer Organisation oder ihres Auftraggebers als erstes Ziel zu werten, ohne nach unmittelbaren Vorteilen für sich selbst zu fragen, also interessenmaximierend zu handeln.192 Dabei spielt Vertrauen eine zentrale Rolle: „Fundamentally, stewardship theory relies significantly on the principal’s and steward’s initial trust disposition.”193 Dieses Vertrauen ermöglicht es dem Principal, weniger Ressourcen in Kontrolle und Zwang zu investieren, da er sich der Gefolgschaft des Stewards sicher sein kann. Um dieses hohe Niveau an Vertrauen zu erreichen, kann sich eine Organisation über die internalisierten Werte gezielt entwickeln: „[O]rganizational ethics can foster virtuous organizations by developing their sense of stewardship and

188 David M. Van Slyke: Agents or Stewards: Using Theory to Understand the Government‐Nonprofit Social Service Contracting Relationship, in: Journal of Public Administration Research and Theory, Vol. 17/No. 2, 2007, S. 157‐187, S. 159.

189 Herbert Simon: Models of Bounded Rationality, 2. Auflage, Cambridge 1982, S. 162.

190 Vgl. James H. Davis/F. David Schoorman/Lex Donaldson: Toward a stewardship theory of management, in: Academy of Management Review 1997/1, S. 20‐47, S. 24f.

191 Vgl. Peter D. Woodlock/Richard A. Young: The Trade‐off of Reliability for Relevance within a Stewardship Setting, in: Managerial and Decision Economics, 22 (2001), S. 315‐326, S. 315.

192 Vgl. Van Slyke: Agents or Stewards, S. 165.

193 Ebd.

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integrity.“194 Stewardship ist also nicht unbedingt einmalig gegeben, sondern kann entwickelt werden – genau das ist ein primäres Ziel der subjektiven zivilen Kontrolle, in der Bundesrepublik über die Innere Führung verwirklicht.195 Wenn Magill und Prybil von „Stewardship and Integrity“196 sprechen, dann gibt dies einen guten Eindruck von der normativen Dimension des Begriffes, übertragen auf das Individuum in seinem normativen Umfeld – sei es die jeweilige Organisation, sei es der Staat. Integrität bedeutet hier die Internalisierung der herrschenden Normen, das Für‐Gut‐Befinden dieser Normen und die Unterordnung von externen, aus rationalem Selbstinteresse abgeleiteten Forderungen unter das Wohl der Organisation bzw. das Gemeinwohl im Staat.

Diese theoretische Herangehensweise hat große Auswirkungen auf die Binnenstruktur und die relevanten Prozesse der betrachteten Organisationen: „[W]hat works well to control or motivate an opportunistic manager may not work well to control or motivate a steward.“197 Während das Agency‐Paradigma den führenden Agents misstraut und somit ihren Einfluss und ihre Handlungsfreiheit durch organisatorische Maßnahmen zu beschneiden sucht, kann es nach dem Stewardship‐Paradigma sinnvoll sein, den führenden handelnden Personen großen Einfluss und eine hohe Autonomie zuzugestehen, um die Organisation möglichst effektiv arbeiten zu lassen.198 Diese Einsicht ermöglicht es, als Begründung für organisationales Fehlverhalten eine Differenz zwischen den internalisierten Werten der handelnden Personen und dem der Struktur zugrundliegenden Paradigma zu identifizieren: in ökonomischer Terminologie ist dies eine durch unangebrachte Strukturen und Kontrollmechanismen entstehende Fehlallokation von Ressourcen und somit ein langfristiger Wertverlust der Firma.199 Auf

194 Gerard Magill/Lawrence Prybil: Stewardship and Integrity in Health Care: A Role for Organizational Ethics, in: Journal of Business Ethics, 2005 (50), S. 225‐238, S. 225.

195 Siehe unten, S. 96f.

196 Magill/Prybil: Stewardship and Integrity.

197 Lee: Ownership Structures, S. 212.

198 Vgl. Lex Donaldson/James H. Davis: Stewardship theory or agency theory: CEO Governance and shareholder returns, in: Australian Journal of Management, 16/1991, S. 49‐64, S. 52.

199 Vgl. Lee: Ownership Structure, S. 212.

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nicht‐ökonomische Organisationen übertragen führt solch eine Differenz zu einer geringeren Effektivität oder Effizienz der Organisation in der Ausübung der ihr zugewiesenen Aufgaben. In den zivil‐militärischen Beziehungen kann dies, wie gezeigt, viele Formen annehmen, vom militärischen Staatsstreich bis zur faktischen Verweigerung von Aufgaben. Das Stewardship‐Paradigma – so Lee – hat dann eine große Erklärungskraft, wenn ein hohes Maß an Identifizierung des Individuums mit seiner Organisation vorliegt: Führungskräfte, die sich mit einer Organisation identifizieren und ihre zugrundeliegenden Werte akzeptieren, werden weniger Interessenkonflikte erleben.200 Für die zivil‐militärischen Beziehungen gilt somit: Wenn das militärische Führungspersonal die Werte des Staates internalisiert hat und als gültig anerkennt, kommt es seltener zu fundamentalen Interessenkonflikten zwischen diesem Führungspersonal und dem Auftraggeber – dem Staat. Das bedeutet nicht, dass jeder Auftrag und jeder einzelne Einsatz per se als sinnvoll wahrgenommen werden. Es bedeutet jedoch die Akzeptanz einer Regel, die es nicht dem Militär überlässt, diese Entscheidungen zu treffen, sondern die fordert, sich in den gegebenen staatspolitischen Rahmen einzufügen – sei dieser nun totalitär oder demokratisch. Somit beruht objektive zivile Kontrolle unausweichlich auf dem „Stewardship“‐Paradigma.

Mit der zivil‐militärischen Theorie Huntingtons lässt sich somit eine weitere Unterscheidungskategorie von subjektiver und objektiver ziviler Kontrolle formulieren. In der Diktion Huntingtons ausgedrückt: Ein professioneller Offizier putscht nicht, sonst ist er – per definitionem – nicht professionell! Misstraut ein Staat seinem Militär, wählt er für gewöhnlich die subjektive zivile Kontrolle und setzt gleichzeitig auf eine langfristige „Erziehung“ der Soldaten zu Stewards des jeweiligen Systems, durch eine Durchdringung der militärischen Sphäre mit zivilen – totalitären oder demokratischen – Werten und Strukturen. Erwartet ein Staat keine Gefahr durch das eigene Militär, entscheidet sie sich, so Huntington, für objektive zivile Kontrolle, und erreicht somit eine möglichst effektive Nutzung des professionellen Militärs, auch im ressortgemeinsamen Strategiefindungsprozess. Dabei könnte es konsequenterweise vorkommen, dass die Erziehung zum Steward des Systems so erfolgreich ist, dass die Strukturen und Prozesse der subjektiven zivilen Kontrolle weder angemessen noch – im Sinne von

200 Vgl. Ebd., S. 214.

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Strategiefähigkeit – zielführend sind. Treffen Strukturen der subjektiven zivilen Kontrolle auf eine von Stewardship‐Mentalität geprägte militärische Führung, dann wäre das mit Lee eine ökonomische Fehlallokation von Ressourcen, sprich ein Verlust der Effektivität des Militärs im Rahmen der gesamtstaatlichen Strategiefindung und ‐ umsetzung zu erwarten. Die Frage, ob eine bestimmte Ausformung von zivil‐ militärischen Beziehungen, in Strukturen und Prozessen institutionalisiert, einer Gesellschaft entspricht, ist somit erheblich von der Frage abhängig, ob die führenden Soldaten systemtreu sind oder nicht – ob sie sich als Stewards oder als Agents verstehen.

Somit lassen sich die grundlegenden Charakteristika von objektiver und subjektiver ziviler Kontrolle nach Huntington folgendermaßen darstellen:

Subjektive zivile Kontrolle Objektive zivile Kontrolle

Zivilisierung des Militärs Professionalisierung, Militarisierung des Militärs

Politisierung des Militärs Entpolitisierung des Militärs

Uneinheitliches Nebeneinander von Einheitliche, klare zivile Kontrollinstanzen zivilen Kontrollinstanzen

Uneinheitliche, machtlose militärische Einheitliche, klar verantwortliche Führung militärische Führung

„Agency­Paradigma“ „Stewardship‐Paradigma“

Tabell e 2 Subjektive und objektive zivile Kontrolle Die Entscheidung oder intendierte Tendenz zur subjektiven oder objektiven zivilen Kontrolle nach Huntington, die Frage nach dem Primat des Militärischen über die Politik oder umgekehrt, ist somit, mit allen zwischen den Polen möglichen Schattierungen, vor dem oben dargestellten Hintergrund von Bedeutung. Die in der Tabelle dargestellten Eigenschaften beider Kontrollformen werden im Folgenden die Analysestruktur darstellen. Vorher sind jedoch noch weitere theoretische Betrachtungen notwendig: Um zu begründen, warum historische Erfahrungen, ausgedrückt in Normen und Werten eines Staates, eine bestimmte Form der zivil‐militärischen Beziehungen ergeben und

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diese zugleich sehr schwer änderbar machen, muss der Zusammenhang von politischer Kultur und dem Wandel von Organisationen innerhalb dieser Kultur untersucht werden. Dabei wird aufgezeigt werden: Sind die zivil‐militärischen Beziehungen eines Staates erst in Strukturen und formalrechtlich bestimmten Prozessen festgelegt, ist jeder Wandel dieser Beziehungen auch ein Wandel von Strukturen und Prozessen – und umgekehrt.

Im Folgenden soll also, vor der historischen Analyse, ein theoretischer Überblick über die Institutionalisierung von Strukturen und Prozessen gegeben werden. Wenn Strukturen der zivil‐militärischen Beziehungen ihre Grundlage über die Zeit verlieren können, warum werden diese Strukturen dann nicht den neuen Begebenheiten angepasst? Was verhindert eine schnelle, flexible Adaption? Die Organisationswissenschaft hat hier schon früh auf die Bedeutung von politischer Kultur hingewiesen.

1.5 „Mythos und Zeremonie“201 – Organisationswandel und politische Kultur „Perhaps the greatest part of the inflexibility of bureaucratic organizations is due to the fact that they are the products of a given culture. Therefore, organizational change of any fundamental sort is also cultural change.”202

Der strukturelle und prozessuale Wandel von Organisationen lässt sich grundsätzlich aus zwei Perspektiven untersuchen. Die interne, mikroprozessuale Perspektive untersucht die Binnenstrukturen, ‐prozesse und ‐kulturen von Organisationen, während die externe, makroprozessuale Perspektive die Einbindung von Organisationen in und die Wechselwirkung dieser Organisationen mit ihrer Umwelt untersucht. Im Folgenden sollen die notwendigen Abgrenzungen getroffen werden. Institutionen werden im Folgenden definiert als „a reciprocal typification of habitualized actions by types of actors.“203 Insbesondere mit Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit

201 John W. Meyer/Brian Rowan: Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony, in: Ders./W. Richard Scott (Hrsg.): Organizational Environments. Ritual and Rationality, aktualisierte Auflage, Newbury Park/London/Neu Delhi 1992, S. 21‐44, S. 21.

202 Victor A. Thompson: Bureaucracy and the Modern World, Morristown 1976, S. 96.

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und die Konzentration auf die zivil‐militärischen Beziehungen als Subkategorie der Sicherheitskultur betrifft dies die institutionalisierten Vorstellungen und Interpretationen der Rolle des Militärs innerhalb der Gesellschaft, die Auswirkungen auf Strukturen von Organisationen haben: „Institutions are the humanely devised constraints that structure political, eco nomic and social inte raction.“204 Organisationen können dabei grundlegend durch die Eigenschaft der „primacy of orientation to the attainment of a specific goal”205 definiert werden. Politische Organisationen wie die Regierung und das Parlament eines Landes oder auch das Regierungssystem insgesamt sind somit „formally organized political institutions“206, also handlungsleitende Regeln, die – meist durch einen formaljuristischen Akt – formalisiert und somit sichtbar gemacht wurden. Diese Unterscheidung zwischen der Institution nach March und Olson und dem Sprachgebrauch von „Institution“ als „öffentliche, staatliche oder kirchliche Einrichtung“207 ist für das folgende Kapitel entscheidend. Institutionen müssen nicht formal gefasst, können es aber sein – dann jedoch mit potenziell großen Auswirkungen auf den Organisationswandel.

Innerhalb der Bürokratieforschung stehen sich somit zwei gegensätzliche Ansätze gegenüber. Auf der einen Seite steht mit Max Weber der klassische, „eindimensionale“208 Ansatz, der Organisationen, insbesondere solche der öffentlichen Verwaltung, als rationale und zweckgebundene Systeme begreift,209 die sich auf ideale Weise zur

203 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge, Middlesex u.a. 1987, S. 72.

204 Douglass C. North: Institutions, in: Journal of Economic Perspectives, Volume 5/No. 1, Winter 1991, S. 97‐112, S. 97.

205 Talcott Parsons: Suggestions for a Sociological Approach to the Theory of Organizations – I, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 1/No. 2, 1956, S. 63‐85, S. 64.

206 James G. March/Johan P. Olson: Rediscovering Institutions. The Organizational Basis of Politics, New York u.a. 1989, S. 1.

207 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 24. Auflage, Mannheim u.a. 2006, S. 534.

208 B.C. Reimann: Strukturdimensionen bürokratischer Organisationen: Eine empirisch fundierte Würdigung, in: Klaus Türk (Hrsg.): Organisationstheorie, Hamburg 1975, S. 18‐31, S. 18.

209 Vgl. Thompson: Bureaucracy and the Modern World, S. 85.

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Erfüllung der ihnen als Gründungszweck zugewiesenen Aufgaben strukturieren.210 Die zweite Schule löst sich von der strikt zweckgebundenen Rationalität und unterstellt Organisationen, sobald sie existieren, eine eigene Logik. Erst diese Öffnung erlaubte die Untersuchung von Umweltfaktoren in der Analyse des Organisationsverhaltens.211 Philip Selznick differenziert dementsprechend zwischen zwei Organisationsbegriffen: dem Verständnis von Organisation als „structural expression of rational action“212, also als quasi mechanischen Instrument zur Erfüllung eines Zweckes, steht dabei das Verständnis als adaptives, organisches System gegenüber, das sich mit der Zeit von den ihm ursprünglich zugewiesenen Aufgaben emanzipiert; dabei wird es von den sozialen Eigenschaften seiner Mitglieder und eben auch von einer Reihe von Faktoren aus seiner sozialen und organisatorischen Umwelt beeinflusst.

Hier bedeutsam ist notwendig letztere Schule. Organisationen müssen sich, um ihr Überleben zu sichern, ihrer Umwelt anpassen.213 Genauso lassen sich Veränderungen in der Struktur von Organisationen zum Teil auf Veränderungen des Kontextes zurückführen.214 Die Umwelt von Organisationen kann dabei, auf die Organisationen bezogen, definiert werden als „the set of all objects a change in whose attributes affect the system“215, wobei das System hier die untersuchten Organisationen umfasst. In die gleiche Richtung argumentiert Anand Neghandi, wenn er zur Umwelt einer Organisation

210 Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der Verstehenden Soziologie, 5. Auflage, Tübingen 1976 [1922], S. 128.

211 Vgl. Heinz‐Dieter Meyer: Organizational Environments and Organizational Discourse: Bureaucracy between Two Worlds, in: Organization Science, Vol. 6/No. 1, Januar‐Februar 1995, S. 32‐43, S. 32.

212 Philip Selznick: Foundations of the theory of organization, in: American Sociological Review 1948, No. 13 (February), S. 25‐35, S. 25.

213 A. Kieser: Der Einfluss der Umwelt auf die Organisationsstruktur der Unternehmung, in: Klaus Türk (Hrsg.): Organisationstheorie, Hamburg 1975, S. 32‐52, S. 32.

214 Vgl. D. S. Pugh u.a.: The Context of Organization Structures, in: Administrative Science Quarterly, 14/1, 1969, S. 91‐114, S. 91.

215 A. D. Hall/R.E. Fagen: Definition of System, in: General Systems: The Yearbook of the Society for the Advancement of General Systems Theory, Vol. 1/1956, S. 18‐28, S. 20.

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unter anderem „political, legal and cultural factors“216 zählt, die auf die internen Strukturen und Prozesse von Or ganisationen einwirk en, aber origin är exter n sind . Das genaue Verhältnis von Institutionen und Kultur, also ob und wie Kultur „institutionalisiert“217 wird und welche Bedeutungen solch ein Prozess für den Wandel von Organisationen haben kann, ist daher entscheidend. Beeindruckend haben John Meyer und Richard Scott die Interaktion der internen Struktur von Organisationen und einer nationalen Kultur analysiert. Sie kritisieren, dass die weberianische Ansicht den Faktor der Organisations‐ oder Institutionslegitimität vernachlässigt, als gegeben voraussetzt und diagnostizieren, dass die soziologische Untersuchung von Organisationen über lange Zeit die institutionellen „Verankerungen“ der untersuchten Organisationen vernachlässigt hätte.218 Dieser Mangel wurde zuletzt von den Vertretern eines „neuen Institutionalismus“219 erkannt und durch die Verbindung von Organisationswissenschaft und Institutionen versucht zu beheben. Almond und Powell fordern daher, dass sich der Analyst jedes politischen Systems zunächst die grundlegenden Strukturen der zugrundeliegenden politischen Kultur und die Strukturen und Funktionen des System betrachten muss.220 Die Trennung von beiden Analyseeinheiten ist konsequent, da „The Civic Culture“ ja gerade die Annahme zugrunde liegt, dass zwischen den organisatorischen (hier: demokratischen) Strukturen und der politischen Kultur eines politischen Systems Differenzen auftreten können, die – je nach Qualität der „Civic Culture“ – Auswirkungen auf die Beständigkeit des demokratischen Systems haben können.221 Dabei greifen Almond und Powell auf William Graham Sumner zurück, der den Institutionalismus in die Soziologie einführte

216 Anant R. Negandhi: A Model for Analyzing Organizations in Cross‐Cultural Settings: A Conceptual Scheme and Some Research Findings, in: Ders. (Hrsg.): Modern Organizational Theory, Kent 1973, S. 287.

217 John S. Duffield: Political Culture and State Behavior: Why Germany Confounds Neorealism, in: International Organization 53/4, Herbst 1999, S. 765‐803, S. 769.

218 Scott: Institutions and Organizations, S. 11.

219 Walter W. Powell/Paul J. DiMaggio (Hrsg.): The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago/London 1991.

220 Gabriel A. Almond/G. Bingham Powell Jr.: Comparative Politics. System, Process, and Policy, 2. Auflage, Boston/Toronto 1978, S. 26.

221 Gabriel A. Almond/Sidney Verba: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, 2. Auflage, Princeton 1965, S. 21.

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und eine Organisation als aus einem Konzept und einer Struktur bestehend definierte.222 Dabei definiert das Konzept Zweck und Funktion der Organisation, während ihre Struktur die „Idee der Organisation“ verkörpert und die Instrumentarien anlegt, durch welche der Zweck der Struktur erreicht werden soll.223

Innerhalb der normativ aufgeladenen Umwelt von Organisationen stechen solche Faktoren hervor, die Meyer und Scott als „Mythen“224 begreifen. Dies sind grundlegende öffentliche Meinungen und Überzeugungen, die unter anderem durch die allgemeinen Bildungseinrichtungen, formale Gesetze und richterliche Rechtsfindungsmethoden und ‐ grundsätze vermittelt und erfasst werden. Diese Mythen verfestigen sich zu institutionellen Regeln, die eine besonders erhebliche Bindungswirkung mit Bezug auf die Struktur von öffentlichen Organisationen entfalten und gleichzeitig, durch ihre eigene Indiskutabilität, veränderungsresistent sind.225 Dabei haben sie zwei Kerneigenschaften: Erstens transformieren sie soziale Zwecke und Ansichten in technische, organisationsbestimmende und legen somit die angemessenen Mittel zum „rationalen“226 Erreichen dieser Ziele fest.227 Zweitens sind sie zu einem derart hohen Grad institutionalisiert, dass sie sich dem Zugriff sowohl einzelner Individuen als auch einzelner Organisationen entziehen und als objektive, weil legitime Realität erscheinen, die sich nicht bezüglich ihrer tatsächlichen Effektivität bei der Erreichung des Organisations‐ und Institutionszieles messen lässt.228 Anders ausgedrückt: „[M]odern societies are filled with institutional rules that function as myths depicting various formal

222 Vgl. William Graham Sumner: Folkways, Boston 1906, S. 53.

223 Vgl. Scott: Institutions and Organizations, S. 9.

224 John W. Meyer/W. Richard Scott: Organizational Environments. Ritual and Rationality, Newbury Park/London/Greater Kailash I 1992, S. 25.

225 Vgl. Ebd., S. 24f.

226 Auch hier besteht eine Verbindung zum spieltheoretisch geprägten Konzept der „bounded rationality”, das die Annahme einer rationale Entscheidung in der Hinsicht einschränkt, dass der Entscheidende weder alle notwendigen Informationen besitzt noch völlig ohne kulturelle und weltanschauliche Neutralität existiert, um eine solche Entscheidung zu treffen, vgl. Simon: Models of Bounded Rationality, S. 162; vgl. auch Johnston: Thinking about Strategic Culture, S. 34; Johnston spricht hier von „limited rationality”.

227 Vgl. Jacques Ellul: The Technological Society, New York 1964, S. 11f.

228 Vgl. Meyer/Scott: Organizational Environments, S. 25.

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structures as rational means to the attainment of desirable ends.”229 Dabei bringen unterschiedliche Gesellschaften unterschiedliche Mythen hervor, so dass, in aller Pauschalisierung, eine amerikanische Organisation höchstwahrscheinlich etwas von einer britischen abweicht, sollen sie auch beide den gleichen rationalen Zweck (dessen genaue Form und Bedeutung ja ebenfalls durch gesellschaftliche Mythen vorgegeben ist) erfüllen.230 Diese Mythen unterscheiden sich jedoch nicht nur nach Gesellschaft und nach untersuchter Nation. Innerhalb dieser Analyseeinheiten bestehen mannigfaltige kulturelle Normsysteme. Jeder untersuchte Bereich weist „jeweils spezifische Vorstellungen von „Rationalität“ bzw. „richtiger“ Organisationsgestaltung“231 auf. Aus diesem Grund ist die genaue Bestimmung der zu untersuchenden Unit of Analysis nach dem issue dieser Arbeit, wie sie im nächsten Kapitel vorgenommen wird, von Bedeutung.

Die Inkorporation von Mythen stellt dabei aber nicht notwendigerweise lediglich ein taktisches Manöver zur Verbesserung der Überlebensfähigkeit der Organisation dar, sondern kann durchaus der Anerkennung dieser Mythen als Realität entspringen. Auf diese Forschung von Peter Berger und Thomas Luckmann zu „Werte‐Isomorphismen“232 greifen unter anderem Scott und Meyer sowie Lynne Zucker zurück: Organisationen und damit auch Institutionen reflektieren eine sozial konstruierte Realität.233 Zucker geht davon aus, dass Institutionen das „soziale Wissen“ einer sozialen Einheit (im Falle von Institutionen des Staatsvolkes), in sich aufnehmen, widerspiegeln, und es somit zu einer objektiven Realität werden lassen, die tendenziell nicht oder nur selten hinterfragt wird.234 Die Institutionen reflektieren die ihnen zugrundliegenden Mythen und die durch sie geschaffene Realität in einem Maße, das im Extremfall jede praktische Beurteilung der Effektivität ausschließt. Emile Durkheim verwandte für solche

229 Ebd., S. 27.

230 Parsons: Structure and Process in Modern Societies, S. 44.

231 Kieser/Walgenbach: Organisation, S. 47.

232 Meyer: Organizational Environments and Organizational Discourse, S. 38.

233 Vgl. Berger/Luckmann: The Social Construction of Reality, S. 65‐146.

234 Lynne G. Zucker: The Role of Institutionalization in Cultural Persistence, in: Walter W. Powell/Paul J. DiMaggio (Hrsg.): The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago/London 1991, S. 83‐107, S. 83.

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Phänomene den Begriff des „soziologischen Tatbestandes“235: obgleich sozial konstruiert, werden die institutionalisierten, mithin kristallisierten Werte von den Menschen als gleichzeitig extern und bindend, also von einem Sanktionsapparat geschützt, wahrgenommen. Durch die Inkorporation von institutionalisierten Werten in alle vor diesem ideellen Hintergrund entstandenen Organisationen ist somit der Organisationswandel beschränkt: Es entsteht eine „Pfadabhängigkeit“236, indem neue Organisationen bzw. neue Formen der Organisationskoordination anhand des bestehenden institutionalisierten Normensystems bewertet werden. Organisationen entstehen nicht „im luftleeren Raum“: „yesterday’s institutional framework provides the opportunity set for today’s organizations“237.

Organisationen des Staates sind besonders von dieser überhöhten Form der Legitimität betroffen, da sie über eine formallegale Grundlage verfügen und somit die Legitimität des Gesamtstaates zum Zeitpunkt seiner Konstituierung verinnerlichen.238 Dieses Verhalten ist aus Sicht der Organisationen zudem rational: Indem sie sich gesellschaftlichen Überzeugungen anpassen, versichern sie sich gegen die Unsicherheiten der tagtäglichen, technischen Aufgabenerfüllung. Sie gewinnen ihre Legitimität nicht mehr primär durch die bestmögliche Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben, sondern durch die Konformität mit für sie wichtigeren, ideellen Faktoren. Das bedingt, dass die institutionalisierten Werte, nach denen sich die Organisationen in ihrer Struktur richten, ihrerseits höher liegenden Werten untergeordnet sind. So wie eine Organisation in der sie tragenden Gesellschaft nur ein Subsystem ist, sind die Werte, die sie betreffen, nur „Subwerte“ eines größeren Wertesystems.239 Das betrifft somit auch die gesellschaftlichen Überzeugungen über die zivil‐militärischen Beziehungen, die als

235 Emile Durkheim: Die Regeln der soziologischen Methode, herausgegeben und eingeleitet von René König, Baden‐Baden 1984, S. 105.

236 North: Institutions, S. 109.

237 Ebd.

238 Peter Frumkin/Joseph Gallowitz: Institutional Isomorphism and Public Sector Organizations, in: Journal of Public Administration Research and Theory, Vol. 14/No. 3, 2004, S. 283‐307, S. 284‐286.

239 Vgl. Parsons: Suggestions for a Sociocogical Approach – I, S. 67.

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„Subwerte“ der deutschen politischen und sicherheitspolitischen Kultur verstanden werden können.

Diese strukturelle Konformität ist kurzfristig potenziell ineffektiv, langfristig kann sie aber die Stabilität und das Überleben der Organisation sichern.240 Indem Organisationen strukturell die sozial konstruierte Realität der sie tragenden Gesellschaften reflektieren, gewinnen sie die langfristig notwendige Legitimität.241 Dadurch sichern sie sich und ihre organisationale Existenz gegen Turbulenzen, gegen Veränderungen, technische Entwicklungen und einen „Mission­Creep“ ab.242 Dabei geht es den Autoren, und das ist hier von großer Bedeutung, vor allem um die formale Struktur der Organisationen, nicht jedoch um informelle Strukturen und Aktivitäten. Im Spannungsfeld von sozial‐ideell kompatibler Struktur und Erfüllung der technischen Aufgaben tendieren Organisationen nach Meinung von Meyer und Rowan zu einer erheblichen Informalität der Handlungen, um langfristige Legitimität und kurzfristige Effektivität bestmöglich zu vereinbaren.243 Durch die Inkorporierung der Mythen geraten die Organisationen zwar in ein Spannungsfeld von Effektivität und Legitimität, schützen sich aber gleichzeitig vor einer grundlegenden gesellschaftlichen Kritik ihrer Tätigkeiten, denn: Organisationen, die innerhalb einer Gesellschaft einen von dieser bestimmten Zweck erfüllen sollen, werden von dieser Gesellschaft auch anhand eines institutionalisierten Wertesystems beurteilt, das in ihr vorherrschend ist.244 Dabei gleicht der hohe Legitimitätsstandard den Mangel an Effektivität aus, indem er der Organisation auf lange Sicht Ressourcen, Unterstützung und somit das institutionelle Überleben sichert – was die Organisation für sich als Erfolg definieren kann.245 In einem gewissen Sinne greift hier das Theorem des erfolgreichen Scheiterns, nämlich „dass Organisationssysteme […] nicht trotz, sondern wegen ihres Versagens gegenüber den Maßstäben norm‐ und zweckrationaler Steuerung und

240 Vgl. Meyer/Rowan: Institutionalized Organizations, S. 341.

241 Vgl. Ebd., S. 346.

242 Vgl. Emery/Trist: The Causal Texture of Organizational Environments, S. 29.

243 Vgl. Meyer/Rowan: Institutionalized Organizations, S. 342.

244 Vgl. Parsons: Suggestions for a Sociological Approach, S. 63.

245 Vgl. Meyer/Scott: Organizational Environments, S. 34f.

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Kontrolle in ihrem Bestand erhalten bleiben.“246 Die Organisation scheitert bei der optimalen Erfüllung ihrer Aufgaben, erhält aber gerade dadurch die Legitimität, weiter zu bestehen und damit erfolgreich zu sein.

Dieser Gewinn an Legitimität ist dabei nur in einem ideellen Umfeld möglich, das eine hoch institutionalisierte Struktur aufweist.247 Umfeld heißt in diesem Falle nicht nur die räumliche und national‐ideelle Umgebung einer Organisation im Allgemeinen, sondern ebenso die sachbezogenen, in der Gesellschaft auf dem Gebiet dieses issues vorherrschenden Überzeugungen und Werturteile. Aufgrund dieses hohen Grades der Institutionalisierung tendieren diese Organisationen nicht nur zur Formalisierung ihrer Struktur, sondern auch zu einer „rituellen Konformität“ mit den vorherrschenden „Mythen“ in ihren internen und in ihren externen Beziehungen.248 Daher geht dieser Ansatz weiter als Studien, die lediglich die Auswirkung von Institutionen auf die Effektivität von Organisationen untersuchen.249 Diese Arbeit untersucht die Zusammenarbeit von Ministerien auf dem Gebiet der Außen‐ und Sicherheitspolitik und fragt dabei nach den Auswirkungen der zivil‐militärischen Beziehungen. Daher ist, aufbauend auf Meyer und Rowan, der Grad der Institutionalisierung von Grundüberzeugungen der Rolle des Militärs innerhalb der Gesellschaft entscheidend für die Tendenz von Organisationen – in diesem Falle der Ministerien – sich in ihrer formalen Struktur und ihren Kooperationsmustern an diesem „Mythos“ auszurichten und dadurch auf ein hohes Maß an informellen Strukturen und Verhaltensmustern angewiesen zu sein: Die formale Struktur wird zu „Mythos und Zeremonie.“

Dieser Ansatz liefert eine Begründung für defizitären Organisationswandel von außen her, bedingt durch die in hohem Maße institutionalisierte Umwelt. Innerhalb der Institutionen und gegenüber ihren Mitarbeitern und Mitgliedern wirken jedoch

246 Wolfgang Seibel: Funktionaler Dilettantismus, 2. Auflage, Baden‐Baden 1994, S. 273.

247 Vgl. Meyer/Rowan: Institutionalized Organizations, S. 352.

248 Vgl. Ebd., S. 361.

249 Vgl. zum Beispiel Paul M. Hirsch: Organizational Effectiveness and the Institutional Environment, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 20/No. 2, 1975, S. 327‐344, S. 327.

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vergleichbare Mechanismen. Herbert Simon stellte fest, dass die Mitarbeiter von Organisationen allein durch ihre Mitgliedschaft die grundlegenden Organisationsziele und die zugrundeliegenden Werte akzeptieren (müssen) und sich bei der Suche nach Problemlösungsmöglichkeiten nur in durch Konzept und Struktur vorgegebenen Bahnen bewegen.250 Ihr Verhalten ist somit – in Anerkennung ihrer eingeschränkten Wissens‐, Wahrnehmungs‐ und Konzeptionsräume – rational. Somit ist gegenüber den in der Organisation sozialisierten Mitarbeitern auch nicht unbedingt (jedoch oftmals zusätzlich) ein Zwangsapparat zur Durchsetzung dieser Verhaltenspräjudizierung notwendig: Normen, die der Organisation und Institution zu Grunde liegen, werden soweit internalisiert, dass der Mitarbeiter aus sich heraus motiviert ist, in entsprechenden Bahnen zu handeln – schon allein, um seine Karrierechancen innerhalb der Organisation nicht zu gefährden.251 Aus dieser prozessbezogenen Sicht der Institutionalisierung sind Organisationen nicht mehr die rational organisierten Gebilde, die sie nach außen zu sein behaupteten, sondern im Gegenteil Verkörperungen von externen, ihnen vorausgehenden und gleichzeitig von ihnen geschaffenen und verstärkten Werten.252 Der interne, mikroprozessuale Ansatz, der sich besonders auf militärische Organisationen mit ihrer Betonung von Werten wie Ehre und Pflicht anwenden lässt,253 hat in der Vergangenheit viel Zuspruch erfahren,254 da er von zwei Vorteilen profitieren kann: Zum ersten kann und muss er Organisationen als „Black Box“ behandeln und äußere Einflüsse ausblenden; zum zweiten, und damit kausal zusammenhängend, kann er sich methodisch eher auf klar empirisch zu fassende Studien konzentrieren, die ihm das „übersichtliche“ organisationsinterne Feld erlaubt. Diese Arbeit wird sich im Folgenden den internen Mechanismen und dem normativ begründeten Rollenverständnis zwar nicht im Schwerpunkt, aber auch durch die Untersuchung von Agency und Stewardship‐Mentalitäten innerhalb des Militärs widmen.

250 Vgl. Herbert A. Simon: Administrative Behavior: A Study of Decision‐Making Processes in Administrative Organization, 3. Auflage, New York/London 1976, S. 61‐78.

251 Vgl. Zucker: The Role of Institutionalization in Cultural Persistence, S. 84.

252 Vgl. Charles Perrow: Complex Organizations: A Critical Essay, 3. Auflage, New York 1986, S. 159.

253 Vgl. Feaver: Armed Servants, S. 161.

254 Vgl. William M. Evan: Organization Theory. Structures, Systems, and Environments, New York u.a. 1976, S. 257.

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Damit wird ein kulturell‐innerorganisatorischer Ansatz zur Ergänzung der externen Sichtweise herangezogen.

Fazit: Kultureller Ansatz für Organisationswandel

In hoch institutionalisierten issue‐Areas ist Organisationswandel durch „Werte‐ Isomorphismen“ und kristallisierte Kultur immer auch ein kultureller Wandel. Ebenso können somit fehlender Wandel und defizitäre Anpassungsfähigkeit kulturell begründet sein. Wird der potenziell entscheidende Einfluss von Kultur nicht berücksichtigt und untersucht, läuft jede Untersuchung Gefahr, fehlerhaft „technokratisch“ vorzugehen und ohne Erklärungskraft zu sein. Im Folgenden wird insbesondere der Einfluss von äußeren kulturellen Faktoren auf Strukturen und Prozesse der hier betrachteten Organisationen untersucht. Zugleich wird, wie angedeutet, die organisationsinterne Sicht durch die Untersuchung des (mit externen Faktoren interdependenten) Rollenverständnisses entscheidender Akteure eingeschlossen.

Bevor die historische Analyse beginnen kann, muss nach den theoretischen Darstellungen noch der Kernbegriff dieser Arbeit, Vernetzte Sicherheit, diskutiert und problematisiert werden.

1.6 Vernetzte Sicherheit “Every half decade or so [since “The Soldier and the State”], someone revives fusionism as the inevitable consequence of whatever military mission seems ascendant at that time: nuclear strategy and limited war, counterinsurgency, crisis management, or peacekeeping operations.”255

Vernetzte Sicherheit, offiziell Grundlage des ressortgemeinsamen deutschen Engagements in Afghanistan, ist eng mit der schrittweisen Erweiterung des Sicherheitsbegriffes verbunden, wie er in der Politikwissenschaft spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges und der direkten militärischen Blockkonfrontation entstanden ist. Auch wenn gerade die Unbestimmtheit des Begriffes charakteristisch ist und

255 Feaver: Civil‐Military Relations, S. 220.

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Auswirkungen auf die ressortgemeinsame Kooperation hat,256 soll im Folgenden eine kurze Einordnung des Begriffes erfolgen.

Der erweiterte Sicherheitsbegriff, insbesondere vertreten in der Kopenhagener Schule, baut noch immer auf Barry Buzans „People, States and Fear“257 auf. Die Wurzeln eines über das Militärische hinausgehenden Sicherheitsbegriffes gehen jedoch deutlich weiter zurück – schon Buzan verweist auf die Nord‐Süd‐Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt,258 die Interdependenzen auf anderen Politikfeldern aufzeigte und ihnen sicherheitspolitische Implikationen zusprach.259 Eine zentrale Rolle spielen bei Buzan kollektive Organisationen und Identitäten, insbesondere, wenn sie als objektiviertes, verteidigungswürdiges Gut verstanden werden.260 Individuelle und kollektive Sicherheit, also die Sicherheit des Bürgers und die des Staates, sind interdependent.261 Dabei sind deutliche Bezüge zu sicherheitskulturellen Überlegungen nicht zu übersehen: Buzan und Wæver führen an, dass sich Frankreich über die Jahrhunderte verändert habe, es jedoch eine französische Sicherheitspolitik gebe.262 Dieser (seitdem scharf kritisierte) Identitätsbegriff führt notwendigerweise zu einer Lösung von militärischen Bedrohungen und einer Hinwendung zu solchen Bedrohungen, die ein nicht‐materielles Gut betreffen: wirtschaftliche, soziale, aber auch ökologische und weitere Faktoren. Der erweiterte Sicherheitsbegriff betrifft auch den „sozialen Frieden“. Damit ist der Sicherheitsbegriff

256 Siehe unten, S. 198‐204.

257 Barry Buzan: People, States & Fear. An Agenda for International Security Studies in the Post‐Cold War Era, 2. Auflage, New York u.a. 1991.

258 Vgl. Ebd., S. 6.

259 Vgl. Willy Brandt u.a.: Das Überleben Sichern. Bericht der Nord‐Süd‐Kommission, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981, S. 17‐19.

260 Barry Buzan/Ole Wæver: Slippery? Contradictory? Sociologically untenable? The Copenhagen school replies, in: Review of International Studies (1997), 23, S. 241‐250, S. 243.

261 Buzan: People, States & Fear, S. 38f.

262 Vgl. Buzan/Wæver: Slippery?, S. 243. Der Identitätsbegriff dient in der weiteren Forschung in der Folge der Kopenhagener Schule auch als Schablone, um den Identitätsbezug von Konflikten und der ihnen inhärenten, besonderen Dynamiken zu untersuchen, vgl. zum Beispiel Pami Aalto: Revisiting the Security/Identity Puzzle in Russo‐Estonian Relations, in: Journal of Peace Research, vol. 40/no. 5, 2003, S. 573‐592.

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von Buzan auch gleichzeitig eine Auflösung von innerer und äußerer Sicherheit: Gerade die ökonomisch‐soziale Dimension der Bedrohung von kollektiven Identitäten ist in erster Linie – wenn nicht fast ausschließlich – eine innenpolitische, gesellschaftliche Dimension. Insbesondere an dieser Auflösung der Abgrenzung entzündet sich seitdem die größte Kritik: der erweiterte Sicherheitsbegriff gilt vielen Kritikern als Versuch, Rechtfertigungen für den Einsatz von Geheimdiensten und Streitkräften im Innern eines Staates zu konstruieren und somit klassische, bürgerliche Sphären und Freiheiten auszuhebeln.263 Das gestehen auch seine Befürworter zu: „There are intellectual and political dangers in simply tacking the word „security” onto an ever wider range of issues.”264

Die grundlegendste Kritik an der Kopenhagener Schule und dem erweiterten Sicherheitsbegriff wendet sich jedoch gegen die „securitization“265 von originär nicht sicherheitsrelevanten Handlungsfeldern. Diese „Versicherheitlichung“ kann unterschiedlichen Zwecken dienen, insbesondere jedoch der besseren Legitimation und Kommunikation von politischen Maßnahmen mit Verweis auf deren Notwendigkeit zur Garantie der Sicherheit. Der erweiterte Sicherheitsbegriff, so die Kritiker, wird somit von einer wissenschaftlich durchaus begründbaren Kategorie zu einem Instrument politischen Handelns, das inhärent militaristisch ist und somit gerade dem normativen Ansatz der Friedens‐ und Konfliktforschung, der Vermeidung von Konflikten, widerspricht: Die „securitization“ von Politikfeldern birgt die Gefahr der Übertragung des „Sicherheitsdilemmas“266 nach Hertz auf eben diese Politikfelder. Gewaltsame Konflikte könnten somit wahrscheinlicher werden. Durch diese nochmalige Ausweitung

263 Nancy Baker bezeichnet den von US‐Präsident George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärten „Krieg gegen den Terrorismus“ als „securitization of domestic life“, Nancy V. Baker: National Security versus Civil Liberties, in: Presidential Studies Quarterly 33, no. 3, S. 547‐567, S. 548.

264 Barry Buzan/Ole Wæver/Jaap de Wilde: Security. A New Framework For Analysis, Colorado/London 1998, S. 1.

265 Michael C. Williams: Modernity, identity and security: a comment on the “Copenhagen controversy”, in: Review of International Studies (1998), 24, S. 435‐439, S. 435.

266 John H. Hertz: Idealistischer Internationalismus und das Sicherheitsdilemma, in: Ders. (Hrsg.): Staatenwelt und Weltpolitik. Aufsätze zur internationalen Politik im Nuklearzeitalter, Hamburg 1974, S. 39‐56, S. 39.

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der Bedeutung wird der „erweiterte Sicherheitsbegriff“ zum „umfassenden Sicherheitsbegriff“267.

Einen hier wichtigen Ansatz bieten Desch und Feaver mit der zugleich ältesten Debatte in den zivil‐militärischen Beziehungen,268 dem „Fusionismus“269. Dieser besagt, dass die Trennlinie zwischen ziviler und militärischer Sphäre so unbestimmt geworden ist, dass sie schlichtweg irrelevant geworden ist.270 Der Fusionismus ruft nach neuen Formen der Zusammenarbeit ziviler und militärischer Akteure bis hin zur Auflösung der jeweiligen Sphären und zur Integration in gesamtheitliche, staatliche Macht steuernde Mechanismen.

Der Fusionismus entstand – entgegen dem Begriff der Vernetzten Sicherheit und mit Blick auf die folgende historische Analyse von Bedeutung – aus den Erfahrungen des „totalen Krieges“271 des ersten und zweiten Weltkrieges, der massenhaften und vollständigen Mobilisierung und Ausrichtung der Volkswirtschaft und Gesellschaft auf den Krieg als alleinigem Zweck.272 Mit der Aufhebung der Trennung von Militär und Zivilsten einher ging im zweiten Weltkrieg die gezielte Bombardierung von Zivilisten durch die deutsche Luftwaffe in Spanien, Polen und England und, als Reaktion hierauf, durch die Alliierten in Deutschland. Die Trennung von Kombattanten und Zivilbevölkerung war somit hinfällig. Insbesondere aus der Erfahrung des totalen Krieges und der Dominanz mächtiger Generale in der Definition nationaler Strategien gegenüber zivilen Akteuren, die selbst von Befürwortern eines starken Militärs kritisiert wird, liegt wahrscheinlich der Ursprung moderner Ängste vor einer Dominanz des Militärs und damit der Kern moderner zivil‐militärischer Beziehungen abseits des Staatsstreiches. Weiteren Aufschwung erhielt der Fusionismus unter dem Eindruck des

267 Heiko Borchert: Einleitung, in: Ders. (Hrsg.): Zu neuen Ufern. Politische Führungskunst in einer vernetzten Welt, Baden‐Baden 2006, S. 14‐24, S. 14.

268 Vgl. Feaver: Civil‐Military Relations, S. 219.

269 Ebd.

270 Vgl. Bernard Boëne: How “unique” should the military be? A review of representative literature and outline of a synthetic formulation, in: European Journal of Sociology, 31/1, 1990, S. 3‐59, S. 4‐11.

271 : Der totale Krieg, München 1939, (Titel).

272 Vgl. Fabio Crivellari: Totaler Krieg. Studien zur Begriffs‐ und Ideengeschichte, Konstanz 1997, S. 56f.

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nuklearen Zeitalters und der praktischen Unmöglichkeit eines großen konventionellen Krieges in Europa. Durch diese Unmöglichkeit wurde nach Meinung von Jean‐Paul Moreigne der Beruf des Militärs ad absurdum geführt, da er sich sein berufliches Leben lang auf einen Eventualfall vorbereiten sollte, der nicht eintreten konnte.273 Die klassisch‐europäische Definition des Krieges als „Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“274, wird in einem totalen nuklearen Krieg sinnlos – und damit verliert auch das Militär das Anrecht auf eine eigene Sphäre im Konzert von Diplomatie, Außen‐, Wirtschafts‐ und Verteidigungspolitik.

Der Fusionismus wird im Allgemeinen negativ konnotiert – das drückt sich schon in der Wortwahl Feavers und dem Suffix „‐ismus“ aus. Er kann jedoch als Ansatz dienen, um die tatsächlich bestehenden Herausforderungen der überhaupt nicht neuen, aber aktuellen Operationen in Afghanistan und dem Irak zu analysieren. Für die historische Analyse hat er insofern Bedeutung, als diese Analyse zwei Epochen des „Totalen Krieges“ untersucht, der als Phänomen, wie gezeigt, Ursprung des Fusionismus war. Somit ist die Problematik „Vernetzter Sicherheit“ auf der strategischen, innerstaatlichen Ebene nicht neu, nur die Umstände sind vollk om m en verändert. Das gilt es zu bedenken.

In der Bundesrepublik Deutschland stellt der Wandel des Sicherheitsbegriffes einen deutlich größeren Schritt dar als in anderen Nationen, auch innerhalb Europas. Zum einen führte die militärstrategische Position als Frontstaat des Kalten Krieges, zum anderen die politische Lage eines eng in den Westen integrierten Staates ohne volle Souveränität und mit einem (außerhalb des ökonomischen) eingegrenzten außenpolitischen Spielraum über Jahrzehnte zu einem sehr eingeschränkten Sicherheitsbegriff.275 Sicherheitspolitik war nur in den Grenzen des Bündnisses möglich

273 Vgl. Jean Paul Moreigne: Officiers, pour quel “office”? Contribution psychosociologique à l’approche d’une nouvelle condition militaire, contemporaine du concept polémologique de dissuasion, in: Revue de Défense Nationale, Mai 1971, S. 718‐727. An dieser Stelle ist nicht zu klären, ob die Ausgangsdiagnose von Moreigne angesichts von Konflikten hoher Intensität im Schatten des Kalten Krieges (Koreakrieg, Kriege in Indochina, Afghanistankrieg) haltbar ist.

274 Vgl. Clausewitz: Vom Kriege, S. 89f.

275 Vgl. Hans Frank: Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.): Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff, Hamburg/Berlin/Bonn 2001, S. 19‐28, S. 19‐20.

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und gewollt. Wo die Bundesrepublik eigene Akzente setzte – zum Beispiel in der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt – wurde dies in Initiativen des Bündnisses und der Alliierten eingebettet.276 Eine eigene deutsche Außenpolitik war, abseits des Primats der absoluten Westbindung, nicht vorhanden und bedurfte somit auch keines feineren „Kompass“, wie es das wiedervereinigte Deutschland tut.277

Vernetzte Sicherheit als Grundlage deutscher Sicherheitspolitik

Während Forschung und politische Debatte in Deutschland früh die Implikationen eines erweiterten Sicherheitsbegriffes diskutierten,278 ist dieser in Form der „Vernetzten Sicherheit“ erst seit 2006 offiziell Grundlage deutscher Außen‐ und Sicherheitspolitik. Dabei sind auch in der innerdeutschen Debatte die beiden Problemfelder der Vermischung von innerer und äußerer Sicherheit einerseits und der „securitization“ von nicht‐militärischen Politikfeldern andererseits von Bedeutung.

Das Weißbuch 2006 stellt dazu zunächst fest: „Nicht in erster Linie militärische, sondern gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen […] bestimmen die künftige sicherheitspolitische Entwicklung.“279 Daher sei ein „umfassender Ansatz“280 erforderlich, „der nur in vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist.“281 Auch wenn das Weißbuch 2006, wie seine Vorgänger, unter der Federführung des BMVg entstand, ist es die Grundlage für die Außen‐ und Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Weitere Ministerien, unter anderem AA und BMZ, waren bei der Ausarbeitung beteiligt. Die oben genannte Definition stellt daher eine offiziell ressortabgestimmte Formulierung dar. Innerhalb der

276 Vgl. Manfred Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999, S. 537.

277 Vgl. Hans‐Peter Schwarz: Republik ohne Kompass. Anmerkungen zur deutschen Außenpolitik, Berlin 2005.

278 Vgl. Frank: Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen, S. 17.

279 Weißbuch 2006, S. 25.

280 Ebd.

281 Ebd.

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Bundesregierung wurde schon vor 2006 der erweiterte Sicherheitsbegriff aufgenommen und mit dem Aktionsplan der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ in ein außenpolitisches, alle relevanten Ressorts einbindendes Konzept gegossen. Der Aktionsplan anerkennt zunächst eine Interdependenz von (physischer) Sicherheit und ziviler Entwicklung: „Frieden und Stabilität sind Voraussetzungen für Entwicklung und Wohlstand. Umgekehrt können diese ohne Entwicklung nicht nachhaltig sein.“282 Er fordert daraufhin ein koordiniertes Handeln aller beteiligten Akteure und eine „Verzahnung der verschiedenen Politikbereiche.“283 Ein „Ressortkreis zivile Krisenprävention“ soll dabei die Kohärenz und die Koordinierung der Aktivitäten der Bundesregierung gewährleisten. Der Aktionsplan war der erste ressortübergreifende Versuch der rot‐grünen Bundesregierung, praktische Konsequenzen aus dem erweiterten Sicherheitsbegriff zu ziehen und die Instrumente der Ministerialbürokratie auf gemeinsame außenpolitische Ziele zu verpflichten. Er zielt explizit nur auf die nach außen gerichtete Seite des erweiterten Sicherheitsbegriffes und verbleibt größtenteils auf der strategisch‐ konzeptionellen Ebene. Nach Aussage vieler Beteiligter und Fachleute ist der Ressortkreis, und mit ihm der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“, in Berlin weitgehend ohne Einfluss.284

Die größte Bedeutung wird dem Konzept der Vernetzten Sicherheit jedoch innerhalb des BMVg zugesprochen. Vernetzte Sicherheit ist seit 2006 Grundlage der operativen Planung der Einsätze der Bundeswehr sowie, als „weite[s] Verständnis von Verteidigung“285 (2003) bzw. „umfassend […] angelegte deutsche Sicherheitspolitik“286 (2004) der Transformation der Bundeswehr, also der ständigen Neuausrichtung der

282 Bundesregierung: Aktionsplan zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung, Berlin 2004, http://www.ifa.de/pdf/zivik/aktionsplan2004.pdf (eingesehen am 1. März 2011), S. 1.

283 Ebd.

284 So auch die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN in einer Kritik der schwarz‐roten Bundesregierung von Juni 2009, http://www.gruene‐ bundestag.de/cms/sicherheitspolitik/dok/290/290517.zivile_krisenpraevention_muss_raus_aus_d.html (eingesehen am 13. Oktober 2010).

285 Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien, Berlin 2003, S. 3.

286 Ders.: Konzeption der Bundeswehr, Berlin 2004, S. 5.

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Streitkräfte auf ein wandelndes Umfeld mit wandelnden sicherheitspolitischen Herausforderungen.287 Auch hier sind zwei Ebenen der Vernetzten Sicherheit präsent: eine diagnostische, analytische Ebene, welche die Bedeutung einer Vielzahl von Politikfeldern und issues für die Sicherheit eines Staates und seiner Gesellschaft festhält, und eine operativ‐handlungsorientierte, die auf der Grundlage dieser Feststellung eine Vernetzung der über das Militär hinausgehenden Mittel eines Staates fordert. Beide Ebenen sind strikt zu trennen – politische Kräfte, die der ersten Ebene zustimmen, können sich gegenüber den Schlussfolgerungen, die auf der zweiten Ebene verortet sind, verschließen. Gleichzeitig ist eine Konzentration auf die handlungsorientierte Ebene auch ohne eine explizite Anerkennung der erweiterten Bedrohung möglich, wenn der handelnde Akteur sich auf diesen ihm gegebenen Bereich beschränkt.

Der Begriff der Vernetzten Sicherheit ist schließlich nur schwer in den im westlichen Bündnis dominierenden, angelsächsischen Diskurs einzuordnen. Zumeist als deutsche Übersetzung des „Comprehensive Approach“288 dargestellt, betrifft dies nur die handlungsorientierte Ebene. Für die erste, diagnostische Ebene besteht über die Anerkennung von „neuen Bedrohungen“ und nichtmilitärischen Sicherheitsrisiken hinaus keine begriffliche Entsprechung. Vernetzte Sicherheit ist in Deutschland unbestimmt gehalten – zum Zweck der politischen Kon sensf in dung .

Mit dem Begriff der Vernetzten Sicherheit geht, wie schon angedeutet, notwendigerweise die Frage einher, was – sprich: welche Organisationen – vernetzt werden. Der Begriff der Vernetzung ist hierbei insbesondere als Gegensatz zu einer Hierarchie von Bedeutung – und damit als Eigenschaft, die sich in der Untersuchung der Empirie als entscheidend erweisen wird. Als letzter theoretischer Schritt wird somit im Folgenden die Unit of Analysis dieser Arbeit, das Netzwerk der Ministerien, theoretisch begründet.

287 Seit dem Amtsantritt von Karl‐Theodor zu Guttenberg als Bundesminister der Verteidigung am 28. Oktober 2009 scheint der Begriff „Transformation“, auch von seinem Nachfolger, nicht mehr genutzt zu werden.

288 Vgl. Alexander Alderson: Comprehensive Approaches: Theories, Strategies, Plans and Practice, in: Christopher M. Schnaubelt (Hrsg.): Operationalizing a comprehensive approach in semi‐permissive environments, NATO Defense College Forum Paper 9, Rom 2009, S. 14‐34, S. 14f.

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1.7 Was wird vernetzt? – Das interorganisationale Netzwerk der Sicherheit „Ours is the age of the network.“289

In zwischenstaatlichen, vergleichenden Studien dienen oftmals primär Nationalstaaten im Sinne unitärer Akteure als Analyseeinheiten.290 Genauso wie jedoch der Kulturbegriff auf eine handhabbare Definition herunter gebrochen und reduziert wurde, muss die Unit of Analysis adäquat definier‐ und greifbar sein. Somit muss die „Black Box“ des Nationalstaates geöffnet werden. Diese Studie konzentriert sich auf Strukturen und Prozesse in Organisationen und, vor allem, auf die Kooperation dieser Organisationen. Auch Reformen innerhalb der Akteure werden für diese Untersuchung nur dann relevant, wenn sie Auswirkungen auf die Koordinationsfähigkeit der Gesamtheit der betrachteten Akteure haben. Damit stellt sich die zentrale Frage der adäquaten Unit of Analysis, also des „abstrakte[n] Gebilde[s], welches analysiert wird.“291 Hier wird jedoch nicht lediglich eine Organisation untersucht, und ebenso wenig eine unbegrenzte Vielfalt von Organisationen. Außerdem besteht zwischen den Akteuren keine klassische Hierarchie.292 Die Beschäftigung mit Organisationsbeziehungen zwischen mehr als zwei Akteuren hat erst vor relativ kurzer Zeit begonnen.293 Dabei hat sich die Erarbeitung von klaren Begrifflichkeiten, Grundlage jeder wissenschaftlichen Arbeit, als schwierig und unübersichtlich erwiesen.294 Frühere Studien haben dabei versucht, sich diesem Definitionsproblem anzunähern. Dazu dienten unter anderem die Begriffe „Life Space“295, „Organizational Field“296, fragile

289 Antoine Bousquet: Chaoplexic warfare or the future of military organization, in: International Affairs 84:5 (2008), S. 915‐929, S. 915.

290 Vgl. Gregory S. Mahler: Comparative Politics. An Institutional and Cross‐National Approach, 5. Auflage, New Jersey 2008, S. 22.

291 Thomas Gschwend/Frank Schimmelpfennig: Forschungsdesign in der Politikwissenschaft: Ein Dialog zwischen Theorie und Daten, in: Dies. (Hrsg.): Forschungsdesign in der Politikwissenschaft. Probleme, Strategien, Anwendungen, Frankfurt am Main 2007, S. 13‐35, S. 18.

292 Siehe unten, S. 229.

293 Vgl. Alter/Hage: Organizations Working Together, S. 23.

294 Vgl. Ebd., S. 44.

295 Kurt Lewin: Field Theory in Social Psychology, New York 1951, S. 57.

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Organisationen oder „Interorganizational Network"297. Alle haben hier Vor‐ und Nachteile.

Der Begriff „Life Space“ wurde von Kurt Lewin in der Sozialpsychologie eingeführt um nicht nur ein Untersuchungsobjekt, sondern auch die ihn beeinflussenden Faktoren zu erfassen. Er diente der Eingrenzung des untersuchten Gegenstandes auf eine Person und den ihn umgebenden, von ihm wahrgenommenen, dadurch relevanten Lebensraum. In die Sozial‐ und Organisationswissenschaften führten DiMaggio und Powell die Begriffswelt ein, um über den singulären Untersuchungsgegenstand, die Organisation, hinaus blicken zu können. Mit dem Begriff „Organizational Field“ nähern sie sich diesem Problem an. Dieses bezeichnet in ihrer Studie all jene Organisationen, die „in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life“298. Scott stellt dazu dar, dass das Konzept der Organizational Fields wie kein anderes mit den Prozessen der Institutionalisierung von Organisationen in Verbindung steht.299 Gleichzeitig ist es aber noch nicht abschließend definiert, sondern „work in progress“300 und bedarf daher einer fortwährend neuen Spezifizierung. Es handelt sich um einen weiten, nur schwer zu operationalisierenden Ansatz, dessen Wert auch nach Aussage von DiMaggio und Powell gerade in seiner Inklusion der „totality of relevant actors“301 liegt. Auch die Einführung der verwandten Begriffe der „Task Environments“302, des „Organization Set“303 oder der „Population of Organizations“304 können hier nicht weiterhelfen: auch sie stützen sich

296 Paul DiMaggio/Walter W. Powell: The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields, in: American Sociological Review 1983, Vol. 48 (April), S. 147‐160.

297 Edward O. Laumann/Joseph Galaskiewicz/Peter V. Marsden: Community Structure as Interorganizational Linkages, in: Annual Review of Sociology, 4/1978, S. 455‐484, S. 458.

298 DiMaggio/Powell: Iron Cage Revisited, S. 148.

299 Vgl. Scott: Institutions and Organizations, S. 181.

300 Ebd.

301 DiMaggio/Powell: Iron Cage Revisited, S. 148.

302 Astley/Fombrun: Collective strategy, S. 579.

303 Benson: The Interorganizational Network, S. 230.

304 Hannan/Freeman: Population Ecology, S. 933. 82

auf eine zentrale Organisation und definieren über deren Verbindungen die betroffene Umwelt, wodurch sie auch auf einen speziellen, zentralen Akteur konzentriert bleiben.305 Dennoch bleibt der Begriff unscharf und von der engeren Definition des sozialen Austauschs abhängig. Damit kann er nur unzureichend der konkreten Fragestellung dieser Untersuchung dienen.

Eine hier geeignetere Annäherung an die relevante Unit of Analysis liefern Laumann, Galaskiewicz und Marsden mit der Untersuchung von „interorganizational networks“. Unter diesem Begriff verstehen sie, ausgehend von sozialen Netzwerken, „a set of [organizations] linked by a set of social relationships […] of a specified type”306. Damit übertragen sie die klassische Untersuchung von sozialen Netzwerken auf die organisationale Ebene. Im Gegensatz zu DiMaggio und Powell bietet dieser Ansatz den Vorteil (der für sie ein Nachteil ist)307, die relevanten Akteure durch eine Spezifizierung der sozialen Beziehungen zwischen ihnen genauer zu bestimmen. Dennoch ist die Zahl der vernetzten Organisationen grundsätzlich nicht auf wenige begrenzt.308 Gleichzeitig ist die zeitliche Begrenzung des Netzwerks ein Charakteristikum, das schon Aldrich mit seiner Untersuchung von „action sets“309 als „group of organizations formed into a temporary alliance for a limited purpose“310 nutzte.

Interorganisationale Netzwerke können sowohl formell als auch informell eingerichtet werden. Genauso können informelle Netzwerke formelle ergänzen. Auch wenn Alter und Hage betonen, dass Netzwerke als stabilisierende Kraft auf die Organisationen wirken, indem sie Unsicherheiten reduzieren, ist diese Qualifikation insofern missverständlich,

305 Vgl. vertiefend L. J. Burgeois, III: Strategy and Environment: A conceptual integration, in: Academy of Management Review, 1980/5, S. 25‐40, S. 32‐35. Zugleich leidet die Begriffsfindung unter der Schwierigkeit, „populations of organizations“ und „populations of interorganizational networks“ konzeptionell zu vereinbaren.

306 Laumann/Galaskiewicz/Marsden: Community Structure, S. 458.

307 Vgl. DiMaggio/Powell: Iron Cage Revisited, S. 148.

308 Alter/Hage: Organizations Working Together, S. 45.

309 Howard E. Aldrich: Organizations and Environments, Englewood Cliffs 1979, S. 280.

310 Ebd., S. 280.

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als sie impliziert, dass Netzwerke für die jeweiligen Organisationen prinzipiell von Nutzen sind.311 Interorganisationale Netzwerke können jedoch auch gegen den Willen der Organisationen zustande kommen bzw. als notwendig, aber nicht positiv wahrgenommen werden. Das hätte Auswirkungen auf die Kooperation innerhalb des hierarchiefreien Netzwerkes.

Fazit: Die Akteure Vernetzter Sicherheit als Netzwerk Die Betrachtung der Ministerien, die Vernetzte Sicherheit in Afghanistan umsetzen, als issue‐bestimmtes interorganisationales Netzwerk („policy issue network“312) ist schlüssig, weil (1) die Ministerien keiner effektiven Hierarchie unterworfen sind, sondern gleichberechtigt nebeneinander stehen; (2) dieses spezielle Kooperationsverhältnis zeitlich begrenzt ist und (3) über das zentrale issue, den Einsatz in Afghanistan, definiert ist.

Auf die deutsche ressortgemeinsame Kooperation in und für Afghanistan hat diese Netzwerkstruktur große Auswirkungen. Erst vor dem Hintergrund der fehlenden Hierarchie gewinnen die Begriffe Kooperation und Koordination an Bedeutung. Die zeitliche Begrenzung ebenso wie die auf Afghanistan konzentrierte Begründung der Zusammenarbeit führen dazu, dass die Umsetzung von Vernetzter Sicherheit allgemein als Ausnahme wahrgenommen wird, die keine mittel‐ und langfristigen Strukturveränderungen hervorrufen sollte. Die Folgen, das wird die empirische Analyse zeigen, sind klar feststellbar.

311 Alter/Hage: Organizations Working Together, S. 45.

312 M.W. Kirst/G. Meister/S.R. Rowley: Policy Issue Networks: Their Influence on State Policymaking, in: Policy Studies Journal, 13/2 1984, S. 247‐264.

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2. Zivil­militärische Beziehungen in Deutschland

Nach der abschließenden theoretischen Betrachtung wird es im Folgenden darum gehen, die Unterkategorie der Sicherheitskultur, die – so die These – für die Zusammenarbeit des interorganisationalen Netzwerkes entscheidend ist, genauer zu untersuchen: Die zivil‐militärischen Beziehungen Deutschlands im 20. Jahrhundert.

Unter dem Prisma Huntingtons wird deutlich, dass die zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nach 1955/56 eine sehr starke Ausformung der subjektiven zivilen Kontrolle darstellen. Gleichzeitig bauen sie weiterhin auf einem Verständnis der Soldaten als Agents auf, obwohl die subjektive zivile Kontrolle auf eine mittel‐ und langfristige Erziehung der Soldaten zu Stewards setzt und dieses Ziel bereits erreicht sein könnte. In der Folge soll nach dem vorigen Muster kein umfassender historischer Überblick, sondern nach einer Darstellung der formalrechtlichen Vorgaben eine Kategorisierung nach den Definitionen Huntingtons folgen: der Politisierung und Zivilisierung der Armee, der Einheitlichkeit der zivilen Kontrollinstitutionen, der Einheitlichkeit der militärischen Führung und dem den Beziehungen zugrundeliegenden Verständnis von Agency oder Stewardship bzw. demgegenüber dem Rollenverständnis der interviewten führenden Offiziere. Dazu werden, wie oben dargestellt, zunächst die verfassungsmäßigen und formalrechtlichen Vorgaben und dann die Zivilisierung und Politisierung der Bundeswehr, das uneinheitliche Nebeneinander der zivilen Kontrollinstanzen sowie die Uneinheitlichkeit der militärischen Führung analysiert. Abschließend wird untersucht, ob diese Beziehungen ein Stewardship‐ oder ein Agency‐ Verständnis widerspiegeln.

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2.1 „Kontrolle, Integration und Zivilität“313 ­ zivil­militärische Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland

2.1.1 Verfassungsmäßige und formalrechtliche Vorgaben In westlichen Demokratien sind Funktionen und Kompetenzen des Militärs innerhalb des Staates zumeist exakt festgelegt. Als Teil der Exekutive und mithin der öffentlichen Verwaltung gilt für die Streitkräfte in Demokratien das Postulat der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“314 und der Rechtsbindung jedes öffentlichen Handelns. Der Staat, und noch genauer die Exekutive, darf nur das tun, was ihm und ihr per Gesetz als Kompetenz zugewiesen ist. Das Verhältnis von Gesetzen und Normen eines Staates auf der einen und den zugrundeliegenden kulturellen Faktoren auf der anderen Seite wurde oben dargestellt.315 Gesetze, insbesondere solche mit Verfassungsrang, entstehen vor spezifischen zeithistorischen Hintergründen, sie verkörpern historische Erfahrungen und entwickeln mit der Zeit eine eigene normative Dimension. Zudem sind Gesetze mit Verfassungsrang für gewöhnlich schwerer zu ändern als einfache Gesetze und somit noch deutlicher als „historische Gedächtnisse“ zu qualifizieren: In der Bundesrepublik Deutschland ist zur Verfassungsänderung eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und der Stimmen des Bundesrates nötig316 – und selbst dann gilt noch die „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 III GG.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sah zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 23. Mai 1949 keine Regelungen für die bewaffneten Kräfte des Staates vor – es traf eine deutliche Wertentscheidung für eine friedliche Außenpolitik, verankert in zahlreichen Verfassungsnormen.317 Erst mit der durch den Koreakrieg und den sich verschärfenden Ost‐West‐Konflikt Anfang der fünfziger Jahre einsetzenden Debatte um

313 Klaus Naumann: Generale in der Demokratie. Generationsgeschichtliche Studien zur Bundeswehrelite, Hamburg 2007, S. 8.

314 Vgl. BVerfGE 2, 1 (14) [SRP‐Verbot].

315 Siehe oben, S. 63‐73.

316 Vgl. Art. 79 II GG.

317 Vgl. Dieter S. Lutz: Krieg und Frieden als Rechtsfrage im Parlamentarischen Rat 1948/49. Wertentscheidung, Auslegemethodik, Dokumentation, Baden‐Baden 1982, S. 7‐10.

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einen deutschen Wehrbeitrag stellte sich die entsprechende Frage.318 Die formaljuristisch getroffenen Regelungen spiegeln dabei die erhitzten Debatten um die Wiederbewaffnung Westdeutschlands und die Angst vor einer zu starken Rolle des Militärs wider.

Die geschriebene Verfassung der Bundesrepublik konzentrierte sich seit der Aufstellung der Bundeswehr 1955/56 ausschließlich auf den Fall des Verteidigungskrieges gegen einen angreifenden Warschauer Pakt.319 Die neue Bundeswehr war gemäß Art. 87 a I GG lediglich „zur Verteidigung“ aufgestellt. Ausnahmen von dieser Beschränkung sind nach Art. 87 a II GG nur möglich, „soweit [das] Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“ Schon die Struktur des Art. 87 GG macht dabei eine weitere Besonderheit deutlich: Die grundgesetzliche Trennung der militärischen Sphäre der Bundeswehr von der zivilen Wehrverwaltung, die in der Trennung von Art. 87 a und b GG ihre Grundlage findet. Die Intention der Abgrenzung des Militärs aus jeder Verwaltungsfunktion und ‐sphäre, die über die engste Definition des militärisch Notwendigen hinausginge, sollte auch innerhalb des BMVg durchgesetzt werden – eine Trennung, die bis heute innerhalb der Bundeswehr operativ e Probleme mit sich bringt.320

Die grundlegende Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten und Aufgaben der Bundeswehr des Art. 87 a II GG hatte bis 1994 Bestand, auch wenn die Realität sie überholte.321 Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem sprunghaften Anstieg von Aktivitäten des Weltsicherheitsrates und damit der weltweiten Einsätze von Streitkräften unter dem Mandat der Vereinten Nationen stellte sich jedoch auch hier die

318 Vgl. Gunther Mai: Westliche Sicherheitspolitik im Kalten Krieg. Der Korea‐Krieg und die deutsche Wiederbewaffnung 1950, Boppard am Rhein 1977, S. 171‐183.

319 Eine gute Zusammenfassung der Kernfragen der verfassungsrechtlichen Aspekte der Wiederbewaffnung findet sich bei David Clay Large: Germans to the Front. West German Rearmament in the Adenauer Era, Chapel Hill/London 1996, S. 247‐257.

320 Vgl. Timo Noetzel/Martin Zapfe: Den Einsatz im Fokus? Das Verteidigungsministerium und die Auslandseinsätze, in: Robert Glawe (Hrsg.): Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, Berlin 2009, S. 187‐194, S. 191.

321 Vgl. Gilbert Gornig: Die Verfassungsmäßigkeit der Entsendung von Bundeswehrsoldaten zu „Blauhelmeinsätzen“, in: Juristenzeitung (JZ) 1993, Heft 3, S. 123‐128, S. 126‐128.

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Frage eines deutschen Beitrages.322 Das Bundesverfassungsgericht musste entscheiden, ob deutsche Beiträge wie jener zu der UN‐Mission in Somalia (UNOSOM II) 1993 oder dem alliierten Lufteinsatz in der Adria (Sharp Guard) im gleichen Jahr mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Es urteilte, dass das Grundgesetz in seiner an mehreren Normen erkennbaren grundsätzlichen Völkerrechtsfreundlichkeit, insbesondere der Möglichkeit der Einbindung in ein System kollektiver Sicherheit wie den Vereinten Nationen,323 einen Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gestatte.324 Allerdings legte das Bundesverfassungsgericht Wert auf eine prinzipielle Beschränkung solcher Einsätze durch die Ableitung des Prinzips des „Parlamentsheer[s]“325 und knüpfte einen Einsatz der Bundeswehr grundsätzlich an eine „konstitutive Zustimmung“326 des Bundestages, das heißt einen Beschluss mit einfacher Mehrheit. Damit bricht das Gericht zwar vordergründig mit dem traditionellen Grundsatz des Vorrechts der Exekutive in der Führung der bewaffneten Staatsmacht. Die Grundlagen dieser Entscheidung liegen jedoch weiter zurück.327

So folgten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat in der Grundgesetzänderung zur Wiederbewaffnung nicht den Vorstellungen der geistigen Väter der Bundeswehr in der so genannten „Himmeroder Denkschrift“. Während diese den Oberbefehl über die neuen

322 Vgl. Lisette Andreae: Reform in der Warteschleife. Ein deutscher Sitz im UN‐Sicherheitsrat?, München 2002, S. 37.

323 Vgl. Art. 24 II GG.

324 Vgl. BVerGE 186 (355f.). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes stellt dabei nicht unbedingt eine formaljuristische Strukturvorgabe im Sinne dieses Absatzes dar. Die Tradition der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit seit 1949, der Anwendung des Grundgesetzes als offene Norm in der Rechtsauslegung der jeweiligen Zeit, lässt eine begrenzte Verwendung des Richterrechtes hier jedoch zu, vgl. André Brodocz: Die souveränen Deuter. Symbolische Voraussetzungen, instrumentelle Rahmenbedingungen, praktische Auswirkungen, in: Hans Vorländer (Hrsg.): Die Deutungsmacht der Verfassungsgerichtsbarkeit: institutionelles Vertrauen und Entscheidungsakzeptanz, Wiesbaden 2006, S. 95‐119, S. 104. Vgl. zudem Helge Lothar Batt: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit im vereinigten Deutschland. Die Dichotomie des Grundgesetzes zwischen limitierend‐formalen und dirigierend‐materialem Verfassungsverständnis, Opladen 2003, S. 114.

325 BVerfGE 90, 286 (Rn. 322).

326 Ebd., (Tenor, Nr. 3a).

327 Vgl. Dieter Wiefelspütz: Das Parlamentsheer: Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland, der konstitutive Parlamentsvorbehalt und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, Berlin 2005, S. 188f.

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Streitkräfte nach dem Muster der Weimarer Republik beim überparteilichen, jedoch nicht parlamentarisch kontrollierten Bundespräsidenten verorten wollten,328 entschieden sich Bundestag und Bundesrat sowohl gegen den Begriff des „Oberbefehls“ als auch für eine Aufteilung der neu benannten „Befehls und Kommandogewalt“329: Im Frieden liegt sie beim Bundesminister der Verteidigung, im Verteidigungsfall beim Bundeskanzler.330 Da außerdem der Verteidigungsfall grundsätzlich durch den Bundestag festgestellt und formal auch beendet werden konnte,331 liegt in der „konstitutiven Zustimmung“ nur eine Fortschreibung der Prinzipien während des Kalten Krieges vor. Die Normen des Grundgesetzes sind somit seit der Aufstellung der Bundeswehr von einem Misstrauen gegenüber der Exekutive und einer erheblichen Bevollmächtigung des Parlaments geprägt.332 Abgeordnete aller Parteien legten auf eine starke Rolle des Parlaments großen Wert und lehnten „Streitkräfte als Teil der Exekutive“333 entschieden ab. Im Grundgesetz ist die Stellung des Parlamentes neben zahlreichen Kontrollrechten insbesondere in der Feststellung des Verteidigungsfalles, also des damals einzig denkbaren bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr, durch das Parlament nach Artikel 115a GG verankert. Ebenso kann der Verteidigungsfall nach Artikel 115l GG auf Beschluss des Parlamentes beendet werden.334 Auf der Grundlage

328 Vgl. Denkschrift über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer internationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas (Himmeroder Denkschrift), in: Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Von Himmerod bis Andernach. Dokumente zur Entstehungsgeschichte der Bundeswehr, Bonn 1985, S. 64‐92, S. 76.

329 Art. 65 a GG.

330 Vgl. Art. 65 a, 115 b GG.

331 Vgl. Art. 115 a I, 115 l II GG.

332 Vgl. vertiefend zu den parlamentarischen Möglichkeiten der zivilen Kontrolle von Bredow: Militär und Demokratie in Deutschland, S. 117‐121.

333 Hasso von Manteuffel, MdB, in der Ersten Lesung des Freiwilligengesetzes am 28. Juni 1955, in: Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Die parlamentarischen Väter der Bundeswehr. Debatten und Entscheidungen in Bundestag und Bundesrat, Bonn 1985, S. 85.

334 „Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.“ Art. 115a GG; „Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates […] den Verteidigungsfall für beendet erklären.“ Art. 115l GG

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des Out­of­Area‐Urteils wurden bisher rund 50 Einsatzentscheidungen durch den Bundestag getroffen.335

In der gleichen Tradition steht folgerichtig das im März 2005 in Kraft getretene – und vom Bundesverfassungsgericht angemahnte – Parlamentsbeteiligungsgesetz. Es fasst im Wesentlichen das Urteil von 1994 ebenso wie die Entsendepraxis in den elf Jahren seit dem Urteil in einfache Gesetzesform. Bemerkenswert an dem Gesetz sind zum einen die in einem hohen Maße konkreten Angaben, die die Bundesregierung im Antrag unter anderem bezüglich Einsatzort, Zweck und Höchstzahl der einzusetzenden Soldaten nennen muss.336 Zum anderen sieht das Gesetz ein unbeschränktes Rückholrecht des Bundestages vor: er kann die Zustimmung zu einem Einsatz jederzeit widerrufen.337 Damit ist dem Parlament ein Instrument an die Hand gegeben, die Bewertung der Lage im Einsatzland durch die Regierung zu kritisieren oder sogar abzulehnen und somit indirekt operative Entscheidungen zu treffen. Auch wenn konzeptionelle Fragen der Streitkräfte prinzipiell in der Verantwortung der Bundesregierung verbleiben,338 sind solche Entscheidungen des „wie“ noch mehr als die des vorherigen „ob“ der Einsätze eine Beschneidung des Kernbereichs der Exekutive.

Dabei ist der bewaffnete339 Beitrag der Bundeswehr grundsätzlich nach außen gerichtet. Das Bedürfnis der expliziten Erlaubnis durch das Grundgesetz gilt somit auch für Einsätze auf dem Bundesgebiet. Auch im Verteidigungsfall ist der Schutz ziviler Objekte, und damit der Einsatz im Innern, gemäß Art. 87 a III nur gestattet, „soweit dies zur Erfüllung [des] Verteidigungsauftrages erforderlich ist.“ Lediglich für den Extremfall des bewaffneten Aufstandes innerhalb der Bundesrepublik, und einer einhergehenden

335 Vgl. Bundestagsdrucksache 15/2742 vom 23. März 2004, S. 1.

336 Vgl. § 3 II des „Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz)“.

337 Vgl. § 8 Parlamentsbeteiligungsgesetz.

338 Vgl. Bruno Schmidt‐Bleibtreu/Hans Hofmann/Axel Hopfauf: GG. Kommentar zum Grundgesetz, S. 1761.

339 Unbewaffnete Einsätze zur Katastrophenhilfe oder bei Großereignissen sind auch in der Bundesrepublik problemlos. Bekannte Fälle sind die Einsätze bei Hochwassern und Überschwemmungen in Hamburg 1962, an der Oder 1997 und an der Elbe 2002. Bei Großereignissen assistieren die Streitkräfte zum Beispiel durch die Bereitstellung von sanitätsdienstlichen Kapazitäten, so während der Fußball‐Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland.

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Gefahr für ein Bundesland oder den Bund insgesamt, kann die Bundeswehr bewaffnete Kräfte im Innern einsetzen – jedoch auch dies nur, wenn die Mittel der Polizei (auch die der bis 1994 mit Kombattantenstatus versehenen Bundespolizei)340 nicht ausreichen. Die Verhinderung eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern ist also „maßgebliches Ziel“341 dieser Verfassungsnorm. Das machte auch das Bundesverfassungsgericht 2006 noch einmal deutlich.342

Die Ablehnung eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern, und damit eine Trennung zwischen militärischer und im klassischen Sinne innerstaatlich‐ordnungspolitischer Sphäre, findet ihre Entsprechung in einer konsequenten Gewaltentrennung343 auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik.344 Die Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung innerhalb der Streitkräfte oberhalb der Regelungsebene der „internen“ Disziplinarordnung ist Sache von zivilen Strafverfolgungsbehörden und zivilen Gerichten. Das Grundgesetz und die folgenden einfachen Bundesgesetze verzichten auf

340 1994 wurde durch eine Änderung im BGS‐Gesetz der seit 1965 festgelegte Kombattantenstatus von Beamten des BGS zurückgenommen. Damit einher geht seitdem auch ein Verbot des Besitzes oder Einsatzes von Kriegswaffen (automatischen Waffen, Handgranaten) durch die Bundespolizei.

341 Schmidt‐Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: Kommentar zum Grundgesetz, S. 1762.

342 Vgl. BVerfGE 115 (Rn. 115f) [Luftsicherheitsgesetz]. Die Frage eines Einsatzes der Bundeswehr im Inland beschäftigt insbesondere seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001, die in der Endphase der Operationen mit polizeilichen Mitteln kaum zu verhindern gewesen wären, jede deutsche Regierung. Die besondere Bedeutung dieses Problemfeldes wird auch durch die Entscheidung des Bundespräsidenten, das so genannte Luftsicherheitsgesetz vom Januar 2005 nur mit einem Hinweis auf die mögliche Verfassungswidrigkeit zu unterschreiben (vgl. „Kampfpiloten wollen Rechtssicherheit bei Abschussbefehl“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Januar 2005.) bzw. durch die Verwerfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht deutlich, vgl. „Jenseits von Gesetz und Verfassung. Die Berufung auf den „übergesetzlichen Notstand“ in einem eigentlich unlösbaren Konflikt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. September 2007; Manfred Baldus: Gefahrenabwehr in Ausnahmelagen – Das Luftsicherheitsgesetz auf dem Prüfstand, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Heft 5/2006, S. 532‐ 535, S. 533.

343 Zum Unterschied zwischen Gewaltentrennung und Gewaltenteilung vgl. Alois Riklin: Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung, Darmstadt 2006, S. 357‐365.

344 Vgl. Eike Steinkamm: Die Wehrstrafgerichtsbarkeit im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Eine Untersuchung des Art. 96 Abs. 2 GG aus rechtsgeschichtlicher, verfahrens‐, staats‐ und völkerrechtlicher Sicht, Würzburg 1974, S. 16‐18, S. 37‐58.

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eine eigenständige Militärgerichtsbarkeit.345 Eigenständige Wehrstrafgerichte sind nur im Verteidigungsfall zulässig346 – und auch für diese Gerichte ist ein „ziviles“ Gericht, der Bundesgerichtshof, oberste Berufungsinstanz.347 Ebenso sind zivile Staatsanwaltschaften für die Verfolgung von Straftaten innerhalb der Bundeswehr zuständig. Das gilt auch für Straftaten, die ein Soldat der Bundeswehr im Auslandseinsatz begeht. An dieser Regelung ist seit der Zunahme von Auslandseinsätzen der Bundeswehr erhebliche Kritik geübt worden, so dass die Einrichtung einer entsprechenden Schwerpunktstaatsanwaltschaft möglich erscheint. Auch diese würde jedoch in jedem Fall eine zivile sein. Hauptgrund für diese militärjuristische Gewaltentrennung sind die Erfahrungen mit den Auswüchsen der Wehrmachtsjustiz bis 1945, insbesondere für die Endphase des Zweiten Weltkrieges, aber auch innerhalb des kaiserlichen Heeres des Ersten Weltkrieges.348 Die Militärstrafgerichtsbarkeit war 1934, zügig nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, eingeführt worden – in der Weimarer Republik war ebenfalls die zivile Rechtsprechung zuständig gewesen.349

Mit der verfassungsunmittelbaren Regelung der Militärgerichtsbarkeit soll vor diesem Hintergrund eine zivile Durchdringung der militärischen Sphäre erreicht und eine „Dominanz des Militärischen“350 verhindert werden. Unabhängig von der Frage, ob mit dieser Trennung die Rolle der Streitkräfte im „Dritten Reich“ angemessen ausgewertet wurde, oder nicht eher die „stille Diktatur“351 der Obersten Heeresleitung in den Jahren

345 Vgl. Klaus‐Dieter Buckel: Wehrgerichtsbarkeit und Verfassung. Ein Beitrag zur Bestimmung der Grenzen und Möglichkeiten einer Wehrstrafgerichtsbarkeit in Friedenszeiten unter besonderer Berücksichtigung des Verfassungsrechts, Würzburg 1973, S. 2.

346 Vgl. Art. 96 II GG.

347 Vgl. Art. 96 III GG.

348 Vgl. Manfred Messerschmidt/Fritz Wüllner: Die Wehrmachtsjustiz im Dienst des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende, Baden‐Baden 1987, S. 15.

349 Vgl. Rainer Blasius: Vom Gerichtsherrn zum Disziplinarvorgesetzten. Eigene Strafgerichte gibt es für die Bundeswehr nicht, obwohl das Grundgesetz sie zulässt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juli 2009.

350 Schmidt‐Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: Kommentar zum GG, S. 2041.

351 Kitchen: The silent dictatorship. 92

1916 bis 1918 als drohendes Beispiel galt, ist ein Misstrauen gegenüber einer über den verteidigungspolitischen Kernbe reich hinausgehenden Bundeswehr deutlich.

Formaljuristische Struktur‐ und Prozessvorgaben, insbesondere solche mit Verfassungsrang, sind die offensichtlichste Form der Kristallisierung von Normvorstellungen in einer Gesellschaft.352 Sie – und die durch sie geschaffenen und geformten Organisationen – sind durch die enorme ideelle Aufladung, eben „Institutionalisierung“, gefrorene Kultur. Im Kern haben die formaljuristischen Vorgaben der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 noch heute Bestand – das zeigt die zurückhaltende Rechtsfortbildung des Bundesverfassungsgerichts, auch in einer so weitreichenden Entscheidung wie dem „Out‐of‐Area“‐Urteil von 1994. Im Kern werden die Überzeugungen der Verfassungsväter nur zögerlich überarbeitet, Neuerungen nur unter Fortschreibung ihrer Vorbehalte entwickelt.

2.1.2 Zivilisierung und Politisierung der Bundeswehr „Es gibt keine Wehrform, die charakteristisch ist für die Demokratie. Hitlers Wehrmacht bestand ebenso aus Wehrpflichtigen wie Bundeswehr und NVA.“353

„Innere Fü hrung […] ist das Modell der Bundesrepublik für ihr Mili tär.“354

Sowohl funktionale als auch ideelle Gründe sprachen in den Debatten zur Wiederbewaffnung dafür, die neue Bundeswehr als Wehrpflichtigenarmee aufzustellen. Entscheidend war jedoch vor allem ihre ideelle Funktion zur „Zivilisierung“ des Militärs nach Huntington.

Funktional bedeutend war sie, weil die neue deutsche Armee einzig und allein gegen die Bedrohung durch den Warschauer Pakt aufgestellt werden sollte.355 Schon früh nach

352 Siehe oben, S. 86.

353 Kurt Kister: Modell Guttenberg: Der selbstverliebte Darling, in: Süddeutsche Zeitung vom 19. März 2010.

354 Detlef Bald: Militär und Gesellschaft 1945‐1990. Die Bundeswehr der Bonner Republik, Baden‐Baden 1994, S. 53.

355 Vgl. Timo Noetzel/Martin Zapfe: NATO and Counterinsurgency: The Case of Germany, in: Christopher M. Schnaubelt (Hrsg.): NATO and Counterinsurgency, NATO Defense College Forum Paper 11, Rom 2009, S. 129‐151, S. 130

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dem Ende des Zweiten Weltkrieges, und mit Beginn der erheblichen Spannungen zwischen der Sowjetunion und den westlichen Siegermächten, war westlichen Militärs klar, dass eine Verteidigung Westeuropas ohne westdeutsche Streitkräfte aussichtlos war.356 Die erhebliche numerische Überlegenheit der Streitkräfte des Warschauer Paktes, die Breite der Front und das Fehlen von natürlichen Verteidigungslinien östlich des Rheins sprachen für die rasche Aufstellung von westdeutschen Verbänden.357 Sowohl die frühen Planungen im „Amt Blank“ als auch die Forderungen der Alliierten richteten sich auf eine Armee mit einem Feldheer, also einsetzbaren operativen Kräften, von 12 Divisionen.358 Einige Forderungen gingen angesichts der quantitativen Unterschiede zur „Roten Armee“ sogar noch weiter und forderten 30 Divisionen des Heeres.359 Dazu sollten Unterstützungseinheiten, eine kleine Marine zur Küsten‐ und eine taktische Luftwaffe zur Luftraumverteidigung kommen. Da selbst diese Kräfte nicht gereicht hätten, um im ganzen Raum präsent zu sein und notwendige militärische sowie zivile Infrastruktur zu schützen, waren Reservisten notwendig, die die Bundeswehr zu einem schnellen Aufwuchs im Verteidigungsfall befähigen sollten. Sowohl die große Friedensstärke als auch die ausreichend große Zahl an ausgebildeten Reservisten war nur durchhaltefähig und verlässlich erreichbar, indem eine allgemeine Wehrpflicht für genügend tauglichen und ausgebildeten Nachwuchs sorgte.360 Mit den Worten von Bundesverteidigungsminister in seiner Regierungserklärung vom 27. Juni 1955: „Die Aufstellung der Streitkräfte wird in der vertraglich vorgesehenen Stärke nur möglich sein, wenn die Bundesrepublik die allgemeine Wehrpflicht wieder einführt.“361 Und am 4. Mai 1956: „Diese Forderungen [nach einer Armee von 500.000

356 Vgl. Frederick L. Schuman: The Soviet Union and German Rearmament, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 312, July 1957, S. 77‐83, S. 78.

357 Vgl. Rolf Steininger: Wiederbewaffnung. Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag: Adenauer und die Westmächte 1950, Erlangen/Bonn/Wien 1989, S. 38f.

358 Vgl. Himmeroder Denkschrift, S. 77.

359 Vgl. Steininger: Wiederbewaffnung, S. 7.

360 Vgl. Julian Lindner: Origins and Development of West German Military Thought, Volume 1, 1949‐1966, Aldershot/Brookfield 1986, S. 297‐303.

361 Theodor Blank in seiner Regierungserklärung vom 27. Juni 1955, in: Bundesministerium der Verteidigung: Die parlamentarischen Väter der Bundeswehr, S. 70.

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Soldaten und weiteren ausgebildeten Reserven] sind durch ein Berufsheer nicht zu erfüllen.“362 Somit war ein klarer funktionaler Impetus zur Einführung der Wehrpflicht als Wehrform des jungen Staates gegeben.

Bedeutender waren jedoch die ideellen Aspekte der Wehrpflicht. Die Erfahrung der ersten deutschen Demokratie war prägend und sollte nicht wiederholt werden: „Ein Berufsheer steht immer in der Gefahr, ein Staat im Staate zu werden.“363 Dabei scheint die Zeit zwischen 1920 und 1933, in der viele Mitglieder der ersten Bundestage schon politisch aktiv waren, faktisch und möglicherweise unbewusst einen größeren Einfluss ausgeübt zu haben als die Zeit unter dem Regime Adolf Hitlers.

Die neue Bundeswehr sollte ihren Soldaten als Staatsbürger in Uniform die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Der Soldat war zuerst Bürger, dann Soldat. Er behielt alle seine Grundrechte, wenn auch manche nur eingeschränkt. Unter der Führung des ersten Generalinspekteurs, General Heusinger, sollte das Konzept der „Inneren Führung“ das Spannungsfeld von Staatsbürger und Soldat, von militärischen Pflichten und demokratischen Rechten neu gestalten.364 Das Ziel der Inneren Führung ist der mündige Soldat, der kämpfen will und kämpfen kann, anders: die einsatzbereite Armee im Rahmen des Rechtssystems der Bundesrepublik.365 Armee und Gesellschaft, bis dahin in Deutschland „antithetische Faktoren“366, sollten nicht nur versöhnt, sondern integriert werden. Insofern knüpfen die zivil‐militärischen Beziehungen bedeutend an die kurze, in Restauration mündende Epoche der preußischen Armee‐ und Staatsreformer unter Scharnhorst, Gneisenau und Stein, und liberal‐demokratische geistige Strömungen der letzten zweihundert Jahre an. Die Innere

362 Theodor Blank am 4. Mai 1956 in der ersten Beratung des Wehrpflichtgesetzes am 4. Mai 1956, in: Bundesministerium der Verteidigung: Die parlamentarischen Väter der Bundeswehr, S. 183.

363 Ebd., S. 185.

364 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung: Zentrale Dienstvorschrift 10/1 Innere Führung, Januar 2008, http://www.geopowers.com/Machte/Deutschland/doc_ger/ZdV_Innere_F_hrung_2008.pdf (eingesehen am 1. März 2011), Nr. 302.

365 Vgl. Donald Abenheim: Reforging the Iron Cross. The Search for Tradition in the West German Armed Forces, Princeton 1988, S. 45.

366 Bald: Militär und Gesellschaft, S. 33.

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Führung als spezifisch deutsches Markenzeichen der Bundeswehr war über die fast sechzig Jahre ihres Bestehens umstritten – immer wieder gab es innerhalb und außerhalb der Truppe restaurative Bestrebungen, meist aus der Sorge heraus geboren, ein Höchstmaß an Innerer Führung würde die Kampfkraft der Bundeswehr mindern und ihr die Grundlage des Soldatischen nehmen.367 Insbesondere in den Anfangsjahren mussten sich die führenden Generale der Bundeswehr gegen restaurative Tendenzen – vor allem ehemaliger Offiziere – durchsetzen, die, in Kreisen lose organisiert, noch unter dem Besatzungsstatut die frühen Debatten zur Wiederaufrüstung beeinflussten.368 Heftige Kritik kam später ebenfalls insbesondere von Offizieren, die noch in früheren deutschen Armeen gedient hatten und vor allem in den sechziger und siebziger Jahren eine politische Resonanz erhielten.369 Die Jahre zwischen 1967 und 1972 standen dabei unter dem Eindruck fundamentaler Veränderungen innerhalb der Bundesrepublik ebenfalls im Zeichen von grundlegenden Differenzen zur Inneren Führung, innerhalb und außerhalb der Bundeswehr.370 Dennoch setzte sich die Innere Führung als Konzept durch, und mit ihr die größtmögliche Integration der Armee in den Staat, oder besser: des Staates in die Armee. Durch die Innere Führung wurde die Bundeswehr politisiert – im Sinne einer affirmativen Haltung zum demokratischen Staat, nicht im Sinne einer tages‐ oder parteipolitischen Politisierung und Positionierung. Diese Bundeswehr sollte nur dem demokratischen Deutschland dienen können und dienen wollen. Hier liegt die

367 Vgl. z.B. Aufsatz des Brigadegenerals Heinz Karst über das Verhältnis von Primärzweck und sekundären Aufgaben der Bundeswehr, in: „hochland“, Heft 1, Oktober/November 1976, abgedruckt in: Klaus von Schubert (Hrsg.): Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumentation 1945‐ 1977, Teil II, Bonn 1978, S. 413‐417.

368 Vgl. Karlheinz Höfer: Die Aufrüstung Westdeutschlands. Willensbildung, Entscheidungsprozesse und Spielräume westdeutscher Politik 1945 bis 1950, München 1990, S. 134.

369 Vgl. Helmut W. Ganser: Versandet die Innere Führung? Kritische Anmerkungen zu Entwicklung und Niedergang des Reformkonzeptes, in: Bernd C. Hesslein (Hrsg.): Die unbewältigte Vergangenheit der Bundeswehr. Fünf Offiziere zur Krise der Inneren Führung, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 27‐57, S. 36f.

370 Vgl. Abenheim: Reforging the Iron Cross, S. 229. Gründe für die Krise waren nach von Bredow „Unmut über den Primat der zivilen Bürokratie im Ministerium, über die Innere Führung oder das auf die Dauer nicht hinnehmbare Unverständnis der gegenüber militärischen Imperativen in der zivilen Gesellschaft“, vgl. von Bredow: Militär und Demokratie in Deutschland, S. 131.

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Politisierung im Sinne der subjektiven zivilen Kontrolle – eben ganz im Gegensatz zur „unpolitisierten“, weil systemneutralen Reichswehr von Weimar.371

Das Amt des Wehrbeauftragten, der in einer Doppelfunktion zunächst die Grundrechte der Soldaten schützen und erst danach die parlamentarische Kontrolle als Hilfsorgan des Bundes unterstützen sollte,372 die fein austarierten Vorschriften über die politische Betätigung von Soldaten und die Gründung des Bundeswehrverbandes als Gewerkschaft der Soldaten stehen somit sinnbildlich für die Demokratisierung der Truppe.373 Die Einbindung in den Staat, in die rechtsstaatliche Demokratie des Grundgesetzes, fiel vielen Angehörigen der alten deutschen Armeen dabei deutlich leichter als die damit einhergehende Anerkennung der extensiven parlamentarischen Rechte des Bundestages.374 Außenpolitik, mithin Sicherheitspolitik, wurde einer klassischen Konzeption folgend als Teil der Exekutive eines Staates verstanden. Die Ablehnung einer großen Rolle des Parlamentes in der Kontrolle der Bundeswehr war in Teilen eine Ablehnung der Demokratie als solcher, in Teilen Ausdruck einer Anhängerschaft eindeutiger Verantwortlichkeiten und Führungsstrukturen, und einer Distanz gegenüber dem jungen westdeutschen Staat. Wie das utopische Deutschland in Weimar,375 so war auch vielen dieser Offiziere der Korpsgeist der Kameraden näher am Ideal als die westdeutsche Rumpfstaatlichkeit.376 Das galt, wohlgemerkt, für die alte militärische Elite, nicht unbedingt – aber natürlich auch in Teilen – für die neue Führung der Bundeswehr.

371 Siehe unten, S. 120‐134.

372 Vgl. Andreas Müser: Wehrbeauftragter und Gewaltenteilung. Zur Erfüllbarkeit von Emanzipationsansprüchen an parlamentarische Kontrolle, Berlin 1976, S. 54.

373 Vgl. Hermann Giesen: Der deutsche Bundeswehrverband. 2., überarbeitete Auflage, Düsseldorf 1975, S. 15f. Die Beziehung von Bundeswehr und Gewerkschaften war jedoch konfliktbehaftet; 1966 traten der Generalinspekteur und mehrere Generale aus Protest gegen das erstmalige Recht der Gewerkschaften zurück, in Kasernen werben zu dürfen, vgl. Detlef Bald: Die Macht‐ und Militärpolitik der Bundesrepublik, Wissenschaft & Frieden 2006/3, http://www.wissenschaft‐und‐frieden.de/seite.php?dossierID=023 (eingesehen am 12. Januar 2011).

374 Vgl. Ebd.

375 Siehe unten, S. 148f.

376 Vgl. Naumann: Generale in der Demokratie, S. 147.

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Zur Inneren Führung gehören zudem, wie gezeigt, wesentlich der Wegfall der Militärgerichtsbarkeit und der Schutz der Grundrechte der Soldaten durch zivile Gerichte. Eine eigene Militärgerichtsbarkeit steht sinnbildlich für die Trennung von ziviler und militärischer Sphäre: Soldaten unterliegen einem eigenen Recht und werden, quasi standesrechtlich, auch von Soldaten abgeurteilt. In der Bundesrepublik werden Verfahren nach dem Wehrstraf‐ und Soldatengesetz bzw. der Wehrdisziplinarordnung von zivilen Gerichten bis hin zu einem Senat im Bundesgerichtshof behandelt. Ansonsten gelten für Soldaten dieselben Normen, Rechte und Pflichten wie für Zivilisten – die Bundeswehr ist in diesem Sinne eine „zivilisierte“ Armee.

Zur Zivilisierung der Bundeswehr und zur Aberkennung einer eigenen, professionellen militärischen Sphäre gehört auch die Ablehnung von spezifischen Anforderungen an das Militär und daraus abgeleitete Diskriminierungen: Jeder deutsche Staatsbürger kann seit dem Jahr 2000 in allen Teilstreitkräften und Truppengattungen der Bundeswehr dienen, unabhängig von Geschlecht, Religion oder sexuellen Neigungen. Bis zum gleichen Jahr war Frauen lediglich der Dienst in Sanitätsverbänden und dem Militärmusikdienst erlaubt.377 Andere Staaten, deren zivil‐militärische Beziehungen eher auf der Theorie Huntingtons aufbauen – allen voran die Vereinigten Staaten – legen größeren Wert auf einen abgegrenzten normativen Bereich der Streitkräfte. Das manifestiert sich beispielsweise in der hitzige Debatte über den offenen Dienst von homosexuellen Soldaten in den amerikanischen Streitkräften, in der Gegner dieses Dienstes vor allem eine Schwächung der Kampfkraft – also des Kerns militärischer Auftragserfüllung – befürchteten.378

2.1.3 Uneinheitlichkeit der militärischen Führung Die militärische Führung der Bundeswehr ist seit ihrem Bestehen traditionell dezentral organisiert. Das änderte sich erst langsam mit dem Berliner Erlass von 2005. Für die

377 In anderen westlichen Staaten ist Frauen der Dienst in Kampfeinheiten (zumeist Infanterie‐ und Panzereinheiten) untersagt, in kampfunterstützenden Tätigkeiten jedoch gestattet, so zum Beispiel in den USA.

378 Vgl. USMC‐Commandant: Ending DADT could cost lives, in: Marine Corps Times vom 15. Dezember 2010.

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längste Zeit ihrer Geschichte verfügte die Bundeswehr jedoch über eine in hohem Maße uneinheitlich e militäris c he Führung.

Nach dem Scheitern einer europäischen Lösung im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954, die eine Integration der neu zu gründenden deutschen Streitkräfte bis hinunter auf die Ebene von nationalen Bataillonen vorsah, wurde die Bundesrepublik 1955 Mitglied der NATO. Eine Verteidigung Westeuropas gegen die Truppen des Warschauer Paktes war nur unter einer gemeinsamen Führung der westlichen Truppen sinnvoll. Von Anfang an waren deutsche Streitkräfte somit nur als Bündnisarmee denkbar.379 Die Bundeswehr verzichtete daraufhin effektiv auf jede Form der nationalen operativen Führungsfähigkeit.380 Mit dem Eintritt des Verteidigungsfalls wäre die operative Kontrolle vollständig an die integrierten Führungsstrukturen der NATO übergegangen. Lediglich auf der strategischen Ebene im Ministerium blieb eine nationale Führungsfähigkeit notwendig, da die strategischen Gremien des Bündnisses – Nordatlantikrat und Militärausschuss – auf dem Prinzip der Einstimmigkeit basierten und die Erarbeitung strategischer Positionen hier notwendig blieb. Der Verzicht auf eigene nationale Führungsfähigkeiten über den größten Teil ihres Bestehens ist eine „singuläre Erscheinung“381 unter europäischen Staaten.

Die höchste nationale Führungsebene bildeten über Jahrzehnte im Heer die Korps, deren Kommandierende Generale somit zugleich operativ den NATO‐Strukturen und truppendienstlich dem Verteidigungsministerium unterstanden. In der Marine bestand zwar mit dem Flottenkommando eine nationale Führungsebene, diese nahm jedoch nur administrative Funktionen wahr. Für den Einsatz waren alle Marineverbände ebenfalls der NATO unterstellt; gleiches galt für die Luftwaffe und deren Eingliederung in die integrierte Luftverteidigung der NATO. Der Generalinspekteur, dessen Dienststellung erst 1957 zögerlich eingerichtet wurde, musste sich über Jahrzehnte inkrementell

379 Vgl. Ulrich de Maizière: Soldat im Bündnis, in: Franz Pöggeler/Otto Wien (Hrsg.): Soldaten der Demokratie. Die Bundeswehr in Gesellschaft und Staat, Frankfurt am Main 1973, S. 15‐26, S. 16.

380 Vgl. Noetzel/Zapfe: Den Einsatz im Fokus?, S. 188. Einzige Ausnahme waren die Verbände zur Territorialverteidigung und zum Heimatschutz.

381 Bald: Militär und Gesellschaft, S. 62.

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weitere Kompetenzen sichern, teilweise gegen erheblichen Widerstand in Politik und Militär.382

Die Aufgaben des BMVg und der Bundeswehr beschränkten sich unter dem Primat der Bündnispolitik insbesondere auf Konzeption und Organisation des Aufbaus und der Gliederung der militärischen Verbände, der Ausrüstung und laufenden materiellen Versorgung der Truppe, ihrer Ausbildung sowie der truppendienstlichen Führung. Dazu war die Bundeswehrführung in der im Kern noch heute gültigen Form organisiert: Der Generalinspekteur der Bundeswehr war höchster Soldat und militärischer Berater der Bundesregierung, jedoch (bis 2005) ohne Weisungsrecht gegenüber den Teilstreitkräften. Dem Generalsinspekteur arbeitete der Führungsstab der Streitkräfte (FüS) zu. Die Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe wurden von jeweils eigenen Führungsstäben unter der Leitung eines Inspekteurs geführt. Die Inspekteure waren direkte Vorgesetzte ihrer Führungsstäbe, nicht jedoch aller Soldaten ihrer Teilstreitkraft. Gegenüber ihren zivilen Kollegen im BMVg nahmen die Inspekteure lediglich die Dienststellung eines Abteilungsleiters ein.383 Der Generalinspekteur, in der Dienststellung eines Hauptabteilungsleiters, saß somit im höchsten Gremium des BMVg, dem Kollegium, als einziger Soldat ausschließlich gleichrangigen zivilen Mitarbeitern gegenüber. Er war, insbesondere mit der Zunahme von beamteten und parlamentarischen Staatssekretären, innerhalb des Ministeriums zwar „erster Soldat[, aber nur] sechster Man n.“384

Erst mit dem Ende des Ost‐West Konfliktes und dem Beginn von Einsätzen der Bundeswehr außerhalb der integrierten NATO‐Strukturen, zum Beispiel unter Führung der Vereinten Nationen in Kambodscha und Somalia, wurde die Notwendigkeit für eine nationale operative Führungsfähigkeit gesehen. Darauf reagierten Heer und Luftwaffe 1994 mit der Aufstellung des Heeres‐ bzw. des Luftwaffenführungskommandos. Im Ministerium wurden 1995 auf der Grundlage einer ministeriellen Weisung ein

382 Vgl. Ebd., S. 38.

383 Vgl. Horst Stein: Militärgeschichtliche, verfassungsgeschichtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der Spitzengliederung deutscher Streitkräfte, in: Knut Ipsen u.a. (Hrsg.): Wehrrecht und Friedenssicherung. Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied 1999, S. 229‐248, S. 237.

384 Dieter E. Kilian: Elite im Halbschatten. Generale und Admirale der Bundeswehr, Bonn 2005, S. 131.

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Koordinierungsstab für Einsatzaufgaben (KSEA) und das Führungszentrum der Bundeswehr (FüZBw) geschaffen. Im KSEA wurden Leitungsentscheidungen vorbereitet, das Führungszentrum setzte diese dann in Kooperation mit den Führungskommandos der Teilstreitkräfte um. Später wurde im FüS eine eigene Stabsabteilung zur Koordination von Einsatzfragen eingerichtet, in der das Führungszentrum aufging. Nachdem dazu im Jahr 2001 das Einsatzführungskommando der Bundeswehr als streitkräftegemeinsames operatives Führungskommando gegründet worden war,385 unterschrieb im Jahr 2005 Bundesverteidigungsminister Peter Struck den „Berliner Erlass“. Dieser machte den Generalinspekteur im Rahmen der Bundeswehrplanung und der Führung der Einsätze der Bundeswehr zum Vorgesetzten gegenüber den Inspekteuren der Teilstreitkräfte und stärkte seine Stellung zum ersten Mal seit Jahrzehnten erheblich.386 Der Berliner Erlass regelte die militärische Spitzengliederung im BMVg neu und hob den 1970 erlassenen „Blankeneser Erlass“ auf. Der Generalinspekteur wurde die „zentrale militärische Instanz“387 im Ministerium. Er zeichnet seither unter anderem verantwortlich für die „Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung“, die „Planung, Vorbereitung, Führung und Nachbereitung von Einsätzen der Bundeswehr“388 und die Vorgabe streitkräftegemeinsamer Grundsätze. Dazu ist er militärischer Berater der Bundesregierung. Beraten wird der Generalinspekteur durch den infolge des Berliner Erlasses eingerichteten Einsatzrat, der „mit dem Ziel der gemeinsamen Willensbildung“389, also auf der Grundlage eines innerministeriellen Konsenses, grundsätzliche Einsatzfragen behandelt.390 Mit der Einrichtung des Einsatzrates blieb die Einsatzführung somit nach wie vor dem

385 Vgl. Christian Freuding: Streitkräfte als Instrument deutscher Außen‐ und Sicherheitspolitik seit Mitte der neunziger Jahre, Studien zur Internationalen Politik, Heft 2, Hamburg 2007, S. 32.

386 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung: Anlage zu BM vom 21. Januar 2005: Grundsätze für Aufgabenzuordnung, Organisation und Verfahren im Bereich der militärischen Spitzengliederung [„Berliner Erlass“], http://www.bmvg.de/fileserving/PortalFiles/C1256EF40036B05B/W2692LAW811INFODE/BerlinerErla ss.pdf?yw_repository=youatweb (abgerufen am 20. April 2009), S. 1.

387 Ebd.

388 Ebd., S. 2.

389 Ebd., S. 5.

390 Vgl. Noetzel/Zapfe: Den Einsatz im Fokus?, S. 190.

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Konsensprinzip unterworfen. Zur weiteren Verbesserung der zentralen Einsatzführung wurde daher in der Folge im Ministerium der Einsatzführungsstab eingerichtet, der direkt dem Generalinspekteur untersteht und ein bedeutendes Führungsinstrument, teilweise an den Teilstreitkräften vorbei agierend, darstellt. Im Zuge der geplanten Reformen der Bundesminister zu Guttenberg und de Maizière – zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit noch in der Konzeption – sollten die Stellung des Generalinspekteurs gegenüber den Inspekteuren weiter gestärkt und diese aus dem Ministerium ausgegliedert werden.391 Damit wäre endgültig eine Abkehr von 60 Jahren Führungsorganisation der Bundeswehr vollzogen worden.392

Inhaber der Befehls‐ und Kommandogewalt über alle Soldaten der Bundeswehr war und ist somit allein der Bundesminister der Verteidigung. Kein Militär ist Oberbefehlshaber aller Soldaten – auch nicht nach 2005. Innerhalb des BMVg gibt es eine Vielzahl von rivalisierenden Organisationseinheiten, die die Formulierung einer militärischen Empfehlung und deren Kommunikation an den Bundesminister der Verteidigung und das Bundeskabinett erschweren. Noch immer ist die militärische Führung der Bundeswehr somit höchst uneinheitlich und eine der Kernforderungen subjektiver ziviler Kontrolle erfüllt.

2.1.4 Uneinheitliches Nebeneinander der zivilen Kontrollinstanzen Die enge Einbindung in die operativen NATO‐Strukturen hat über die ersten vierzig Jahre des Bestehens der Bundeswehr dazu geführt, dass sich auch die politisch‐ institutionellen Mechanismen der zivilen Kontrolle auf eine besondere Art entwickelt haben. Da die einzige im Grundgesetz angelegte Form der bewaffneten Auseinandersetzung der Verteidigungsfall war,393 dessen strategische und doktrinäre

391 Vgl. Zwischengas und Schuldenbremse. In Dresden konkretisiert Karl‐Theodor zu Guttenberg vor den Generälen seine Pläne zur Zukunft der Bundeswehr. Billig wird sie nicht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. November 2010.

392 Zu den Plänen Bundesministers zu Guttenberg für die Reform des Ministeriums – nicht der gesamten Bundeswehr – vgl. Bundesministerium der Verteidigung: Konzentration und Verantwortung. Die prozessorientierte Neuausrichtung der Bundeswehr, http://www.bmvg.de/fileserving/PortalFiles/C1256EF40036B05B/W28DUGCM372INFODE/Bericht.pdf (eingesehen am 21. Februar 2011).

393 Die bewaffnete Hilfe zugunsten der Polizei eines Bundeslandes nach Art. 87a IV GG ausgenommen.

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Vorbereitung und Führung jedoch Aufgaben des Bündnisses darstellten, konzentrierte sich die zivile Kontrolle im Wesentlichen auf haushalts‐ und rüstungspolitische Fragen. Die Feststellung des Verteidigungsfalles durch den Bundestag – auf der das Bundesverfassungsgericht seine Konstruktion der „konstitutiven Zustimmung“ des Bundestages errichtete – war der einzige wesentliche Akt des Parlamentes. Auch die Übernahme der Befehls‐ und Kommandogewalt durch den Bundeskanzler änderte daran angesichts der integrierten NATO‐Strukturen nichts. Die zivilen Kontrollinstanzen hatten somit über die längste Zeit der Geschichte der Bundeswehr nie entscheidenden Einfluss auf die strategische Ausrichtung der Bundeswehr.

In gewissem Maße ist die Uneinheitlichkeit der zivilen Führung auch eine Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der folgenden politisch‐ praktischen Ausgestaltung der „Parlamentsarmee“. Bis 1994 war die Beteiligung des Bundestages an Beschlüssen zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte nicht geregelt; bis 2005 beruhte die politische Praxis auf Richterrecht.394 In der Folge spielte sich eine Form der parlamentarischen Kontrolle ein, die sich weiterhin auf Themenfelder außerhalb der politisch‐militärischen Strategie konzentriert. Sitzungen der relevanten Ausschüsse sind, ohne Ausnahme, nicht öffentlich. Der militärische Rat von Spitzenmilitärs wird nicht regelmäßig eingefordert, gewürdigt und kritisch hinterfragt. Die Konzentration auf sekundäre Aspekte der Einsätze – insbesondere Ausrüstungs‐ und soziale Fragen – steht in einem Kontrast zu der wiederholt betonten Bedeutung der parlamentarischen Kontrolle.

Die Uneinheitlichkeit der zivilen Kontrollorgane ist somit mehr eine des Handelns als der Strukturen. Die Befehls‐ und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung, eine klassische Aufgabe der Exekutive, steht mit dem Bundestag ein Kontrollinstrument gegenüber, das dazu noch mit dem Wehrbeauftragten des Bundestages über ein zusätzliches Organ zum Schutz der Grundrechte der Soldaten verfügt. Jeder Soldat, gleich welchen Dienstgrades, darf sich direkt und vertraulich an den Wehrbeauftragten wenden. Damit steht der Wehrbeauftragte mit seiner bloßen

394 Vgl. Jörn Thießen/Ulrich Plate: Bundeswehr und Parlament, in: Hans J. Gießmann/Armin Wagner (Hrsg.): Armee im Einsatz. Grundlagen, Strategien und Ergebnisse einer Beteiligung der Bundeswehr, Baden‐Baden 2009, S. 148‐159, S. 149.

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Existenz und seinen extensiven Befugnissen geradezu sinnbildlich für die Aufhebung der Trennung von militärischer und ziviler Sphäre und die Ausprägung subjektiver ziviler Kontrolle in der Bundesrepublik. Die Einrichtung des neuartigen und „traditionslosen“395 Amtes war folglich in den fünfziger Jahren hoch umstritten. Heute ist es ein fester Bestandteil der parlamentarischen Kontrolle.

Die eigentlich vorgesehene und in der Struktur verankerte Aufgabenteilung – Führung durch die Exekutive, Kontrolle und Parametersetzung durch den Bundestag und Unterstützung dieser Kontrolle sowie Schutz der Grundrechte der Soldaten (subjektive zivile Kontrolle!) durch den Wehrbeauftragten – scheint stimmig und tragfähig. Problematisch wird sie, wenn sich zum einen der Bundestag entgegen seiner Rhetorik faktisch zurücknimmt, keine strategische Kontrolle von Ausrichtung und Einsatz der Bundeswehr ausübt bzw. in der Behandlung von Einsatzentscheidungen vor allem auf das Instrument der Truppenobergrenzen beschränkt und gleichzeitig der Wehrbeauftr agte seine ihm zugewiesenen Aufgaben extensiv auslegt:396

„Die detaillierten Bestimmungen des [Parlamentsbeteiligungs]Gesetzes zeigen vor allem, dass die Grundfrage nicht ausreichend geklärt ist: die Abgrenzung zwischen der legislativen Zustimmung zum Streitkräfteeinsatz einerseits und der Befehls‐ und Kommandogewalt des Vert eidigungsministers […] andererseits.“397

In der Ausgestaltung – das wird die Analyse der ressortgemeinsamen Kooperation aufzeigen – ist die ursprünglich angelegte Aufgabenteilung nicht verwirklicht und die unzureichende Abgrenzung problematisch. Im Handeln der zivilen Kontrollorgane zeigt

395 Vgl. Hartmut Maurer: Wehrbeauftragter und Parlament, Tübingen 1965, S. 5.

396 So sieht der derzeitige Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, seinen Schwerpunkt im Schutz der Soldaten, nicht in der Wahrung ihrer Grundrechte, vgl. Wehrbeauftragter Königshaus will sich weiter in Debatte über Ausrüstung der Bundeswehr in Afghanistan einmischen, in: Das Parlament vom 25. Mai 2010.

397 Andreas L. Paulus: Die Parlamentszustimmung zu Auslandseinsätzen nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz, in: Dieter Weingärtner (Hrsg.): Einsatz der Bundeswehr im Ausland. Rechtsgrundlagen und Rechtspraxis, Baden‐Baden 2007, S. 81‐114, S. 81.

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sich eine Heterogenität, die mit Huntington mit der subjektiven zivilen Kontrolle einhergeht.398

2.1.5 Agency­Paradigma & Erziehung zum Steward „Wer sich als demokratisch gewählte Regierung […] nicht zutraut, jedes Offiziers­ und Unteroffizierskorps […] zu einem zuverlässigen Träger dieser Demokratie zu machen, der ist für sein Amt nicht tauglich.“399

Die zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik, wie sie nach 1955 eingerichtet wurden, sind als klarer Ausdruck des Misstrauens gegenüber dem Militär nach dem Agency‐Prinzip gestaltet. Das Agency‐Paradigma bringt dabei, wie gezeigt, neben bestimmten organisatorischen Charakteristika – uneinheitliche militärische Führung! – zumeist auch den programmatischen Wunsch nach einer Erziehung zum Steward des jeweiligen Systems mit sich.400 Insbesondere das Fehlen einer zentralen militärischen Führung sowie einer abgetrennten normativen Sphäre des Militärs und die Überwindung dieses Spannungsfeldes durch das Konstrukt der „Inneren Führung“ sprechen für ein erhebliches Misstrauen gegenüber dem Militär, wie es zehn Jahre nach dem Ende des zweiten katastrophalen Krieges des Jahrhunderts nicht überrascht. Das gilt umso mehr, als unter Adenauers Diktum, dass die Alliierten keine achtzehnjährigen Generale akzeptieren würden,401 praktisch alle führenden Offiziere und Unteroffiziere der neuen Bundeswehr frühere Angehörige von Wehrmacht, Reichswehr und der Armee des kaiserlichen Deutschlands waren.402 In Klaus Naumanns generationsgeschichtlicher Einteilung der deutschen Generalität standen zu Beginn der Bundeswehr unterhalb

398 Siehe unten, S. 233‐238.

399 Fritz Erler, MdB, in der ersten Beratung des Bundestages zum Wehrpflichtgesetz am 4. Mai 1956, in: Bundesministerium der Verteidigung: Die parlamentarischen Väter der Bundeswehr, S. 194.

400 So auch in der Bundeswehr, vgl. Roland Wakenhut: Zur politischen Sozialisation von Wehrpflichtigen in der Bundeswehr, in: Ralf Zoll (Hrsg.): Wie integriert ist die Bundeswehr? Zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft in der Bundesrepublik, S. 202‐218, S. 202f. Zur Ausbildung von Offizieren innerhalb der Inneren Führung vgl. Carl‐Gero von Ilsemann: Die Bundeswehr in der Demokratie. Zeit der Inneren Führung, Hamburg 1971, S. 55‐60.

401 Vgl. Hans‐Erich Volkmann: Einführende Bemerkungen, in: Rolf‐Dieter Müller/Hans‐Erich Volkmann (Hrsg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität, Oldenburg 1999, S. 970‐973, S. 971.

402 Naumann: Generale in der Demokratie, S. 17.

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einer Gruppe der Frontoffiziere des ersten Weltkrieges jene, die im zweiten Weltkrieg die militärische Laufbahnleiter erklommen hatten und sich, da sie nicht mehr im Kaiserreich, sondern im Nationalsozialismus sozialisiert worden waren, durch eine sehr hohe Regimeloyalität gegenüber Adolf Hitler auszeichneten.403 Darüber hinaus dienten sie noch bis zu 25 Jahre in der Bundeswehr und standen somit für eine erhebliche personelle Kontinuität zur Wehrmacht.404 Die politischen Väter der Bundeswehr, insbesondere jene im Bundestag, konnten gegenüber der Mehrheit dieses Personals trotz der Untersuchungen des Personalgutachterausschusses für die Streitkräfte (der 85 Prozent der Anträge positiv beschied) wohl nur ein großes Misstrauen empfinden, zumal auch einige der militärischen Väter der Inneren Führung und der demokratischen Bundeswehr dies taten. Die meisten der neuen Offiziere der Bundeswehr waren keine Demokraten; „[d]as personalpolitische Konzept des demokratischen Staates kam nicht von Anfang an zum Tragen.“405 Ob somit die Erziehung der bereits gedienten Offiziere zu Stewards der Bundesrepublik gelungen war, sei dahingestellt. Die Debatten der sechziger und siebziger Jahre um die Innere Führung lassen daran zweifeln.406

Erst mit den Jahren, als die Bundeswehr auf neue Rekruten und bisher ungediente Offizieranwärter zurückgreifen konnte, konnten strengere Maßstäbe an die demokratische Gesinnung der Soldaten angelegt werden.407 Im Prinzip konnte erst jetzt die gewünschte Erziehung zu demokratischen Staatsbürgern in Uniform, zu Stewards des demokratischen Systems erfolgen. Die Voraussetzungen für ein auch aus intrinsischer Motivation heraus dem demokratischen Staat, und nur diesem, dienendes Offizierkorps konnten erst in Jahren und Jahrzehnten geschaffen werden – Herkunft und politische Einstellungen der jungen Offiziere und Offizieranwärter der siebziger Jahre unterschieden sich wesentlich von jenen früherer Jahre.408 Soldaten, die allein in der

403 Vgl. Ebd., S. 32f.

404 Vgl. Ebd., S. 176.

405 Detlef Bald: Der deutsche Offizier. Sozial‐ und Bildungsgeschichte des deutschen Offizierkorps im 20. Jahrhundert, München 1982, S. 79.

406 Siehe oben, S. 96f.

407 Vgl. Bald: Der deutsche Offizier, S. 82.

408 Vgl. Ebd.

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Bundesrepublik sozialisiert worden waren, konnten eher Stewards sein als ihre Vorgänger, die von anderen Erfahrungen geprägt worden waren.

Ob das skizzierte Kontrollsystem nach dem Agency‐Modell damals oder heute dem Rollenverständnis der führenden Offiziere der Bundeswehr entsprach und somit angemessen war, ist schwer festzustellen. Die Generale und Admirale der Bundeswehr stehen seit 1955 zumeist im „Halbschatten“409 der öffentlichen Aufmerksamkeit. Namen und Positionen von einzelnen Generalen tauchen zumeist nur aufgrund von Skandalen oder Rücktritten in der öffentlichen Debatte auf. Im gleichen Zuge sind systematische oder auch nur teilweise repräsentative Befragungen und Untersuchungen dieser Funkt ionse li te M a ngel w are. Dennoch sind grundlegende Tendenzen feststellbar.

Erst 1980 ging der letzte Absolvent der Kriegsakademie der Wehrmacht in den Ruhestand410 – bis mindestens zu diesem Punkt musste die Bundeswehr durch interne Bildung und Schulung der altgedienten Offiziere sowie durch die Ausbildung eines eigenen Nachwuchses die Ansprüche an die neue Armee in der bundesdeutschen Demokratie erfüllen. Schon früh waren in der Bundeswehr die internen Fortbildungsprogramme der Generalstabsoffiziere, der zukünftigen Führer der Truppe, an die Zielsetzung der Inneren Führung in Demokratie und Gesellschaft – gegen Widerstand – angepasst worden.411 Die Richtungskämpfe innerhalb des Amt Blank zwischen Traditionalisten – Soldaten in den militärfachlich begründeten Fußstapfen von Ludendorff und Seeckt – und Reformern, die einen Primat des demokratisch‐politischen auch aus intrinsischer politischer Überzeugung heraus forderten, wurden letztlich, aber erst nach einiger Zeit, zugunsten letzterer entschieden.412 Somit war die Bundeswehr von Beginn an – Staatsbürger in Uniform – auf die Erziehung von soldatischen Stewards des demokratischen Deutschlands angelegt, nicht etwa von militärisch‐unpolitischen Professionellen nach Huntington.413 Es ging, so Michael Bührer, um die Anerziehung

409 Kilian: Elite im Halbschatten.

410 Vgl. Naumann: Generale in der Demokratie, S. 24.

411 Vgl. Bald: Generalstabsausbildung in der Demokratie, S. 41.

412 Vgl. Ebd., S. 16‐27.

413 „For fifteen years training in citizenship has been carried out nowhere in Germany on a broader scale or with greater intensity than in the Bundeswehr.“, Deutscher Offizier, zitiert nach: Ekkehard Lippert/Paul 107

einer speziellen beruflichen Ethik, eben die Innere Führung, durch die sich die legitimatorischen Ansprüche befriedigen ließen, die die Gesellschaft an die Bundeswehr richtete.414

Von hohen Offizieren wurde nicht mehr eine soldatisch‐unpolitische Distanz, sondern ein bekennendes Eintreten für den bestehenden, demokratischen Staat und seine Form der zivil‐militärischen Beziehungen gefordert.415 Als größte Gefahr erschienen zu Beginn „Technokraten in Uniform“416 – eben professionelle, unpolitische Offiziere im Sinne Huntingtons!

Das Misstrauen gegenüber den führenden Offizieren der Bundeswehr war in den ersten Jahrzehnten somit groß. Nach überwiegender Annahme haben fünfzig Jahre bundesrepublikanischer zivil‐militärischer Beziehungen jedoch mittlerweile dazu geführt, dass in einem System, das auf Agency‐Prinzipien gründet, führende Offiziere ganz überwiegend als Stewards agieren: „Die Generale sind durchaus in der parlamentarischen Demokratie ‚angekommen‘.“417 Sie sind dabei zwar (soweit nachweisbar) politisiert im Sinne einer affirmativen Haltung zum demokratischen System, jedoch entpolitisiert im Sinne einer Teilnahme am politischen Diskurs über die ganz enge Sphäre der Bundeswehr hinaus.418 Führende deutsche Generale sind in der öffentlichen Debatte über Fragen der Sicherheits‐ und Verteidigungspolitik – ihrer Profession – nicht präsent.419 Das ist – wie die meisten deutschen Charakteristika der zivil‐militärischen Beziehungen – in vergleichbaren westlich‐demokratischen Staaten

Schneider/Ralf Zoll: The Influence of Military Service on Political and Social Attitudes, in: Armed Forces & Society, 4/2, 1978, S. 265‐282, S. 266.

414 Vgl. Michael Bührer: „Offizier der Bundeswehr“, Selbst‐ und Fremdbild. Ergebnisse einer empirischen Befragung im Herbst 1978, München 1983, S. 13.

415 Vgl. Martin Esser: Das Traditionsverständnis des Offizierkorps. Eine empirische Untersuchung zur gesellschaftlichen Integration der Streitkräfte, Heidelberg 1982, S. 6‐13.

416 Bald: Militär und Gesellschaft, S. 72.

417 Naumann: Generale in der Demokratie, S. 353.

418 Vgl. Thomas Rid/Martin Zapfe: Das Militär verdient Gehör, in: Financial Times Deutschland vom 13. April 2010.

419 Vgl. Klaus Naumann: Soldaten sollen denken. Gestern Kosovo, heute Afghanistan: Die Bundeswehr darf nicht zum bloßen Instrument der Politik werden, in: DIE ZEIT vom 5. Februar 2010.

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anders. Im Vereinigten Königreich, das eine lange Tradition der zivilen Kontrolle über das Militär vorweisen kann, findet über die Medien und durch Vorträge in wissenschaftlichen Einrichtungen ein offener Diskurs der Befehlshaber aller Teilstreitkräfte über die Schwerpunkte des neuen strategischen Grundlagendokumentes statt.420 Der Austausch von Argumenten funktioniert, ohne dass die Letztentscheidungskompetenz der zivilen Politiker angezweifelt wird. Auch in den USA melden sich aktive Spitzenmilitärs durchaus zu Wort, im Rahmen von Pressekonferenzen, Reden oder Interviews. Dabei kann die Schwelle überschritten werden, die die zivilen (und weiteren militärischen) Vorgesetzten für angemessen halten und folglich sanktionieren. Für gewöhnlich halten sich die Generale und Admirale jedoch zurück, beantworten einige Fragen mit Hinweis auf deren politischen Charakter nicht, äußern nur in wenigen Fällen explizite Kritik an direkten zivilen Vorgesetzten oder stimmen ihre Aussagen sogar mit diesen ab.421 Öffentliche Diskussionen von verteidigungspolitischen Themen fordern den Beteiligten deutlich größere argumentative Substanz und Rechenschaft ab als interne Debatten. Ist die Entscheidung gefallen, halten sich für gewöhnlich aktive Generale und Admirale mit Kritik zurück – oder die zivile Führung ergreift vorzeitig legitime personelle Maßnahmen und nutzt die

420 Vgl. als Beispiel für eine erstaunlich offene und öffentliche Debatte von Spitzenmilitärs: UK military chiefs clash over future defence strategy. First Sea Lord defends navy and insists Britain must keep “hard power”, in: The Guardian vom 18. Januar 2010. Vgl. weiterhin David Richards: 21st Century Armed Forces: Agile, Useable, Relevant. Speech delivered by Chief of the General Staff at Chatham House, London on 17. September 2009, http://www.mod.uk/DefenceInternet/AboutDefence/People/Speeches/ChiefStaff/20090917ChathamHo useDefenceLecture21stCenturyArmedForcesAgileUseableRelevant.htm (eingesehen am 6. Januar 2011); Mark Stanhope: Defence in a Changed World: Flexible Thinking, Flexible Forces, Speech delivered by First Sea Lord at the Berwin, Leighton and Paisner Defence Breakfast, London on 19 January 2010, http://www.mod.uk/DefenceInternet/AboutDefence/People/Speeches/ChiefStaff/20100119DefenceInA ChangedWorldFlexibleThinkingFlexibleForces.htm (eingesehen am 6. Januar 2011); Stephen Dalton: Dominant Air Power in the Information Age, Speech delivered by Chief of Air Staff at the International Institute for Strategic Studies, Temple Place, London on 15 February 2010, http://www.mod.uk/DefenceInternet/AboutDefence/People/Speeches/ChiefStaff/20100215DominantAi rPowerInTheInformationAge.htm (eingesehen am 6. Januar 2011).

421 Problematischer sind sowohl in den USA als auch in Großbritannien die Aussagen jener Generale und Admirale, die sich im Ruhestand befinden und dies nutzen, um sich in geringem zeitlichen Abstand zu ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst kritisch über ehemalige Vorgesetzte zu äußern. Aber auch hiermit greifen sie nicht direkt die Suprematie des zivil‐politischen an, vgl. z.B. The Revolt of the Generals, in: TIME Magazine vom 16. April 2006.

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Möglichkeiten der Dienststellung als „politische Beamte“422 zur Steuerung der Organisationen.423 Das Spannungsfeld zwischen der Politisierung hoher Offiziere und ihrem unpolitischen Dienst wird auf diese Weise anerkannt und offen behandelt.424 Öffentliche Äußerungen dieser Offiziere bewegen sich jedoch in der Regel in einem akzeptierten Rahmen und erlauben eine deutlich offenere und besser informierte Debatte über militärische Themen und solche an der Schnittstelle von Gesellschaft und Militär.

Die fehlende militärische Stimme in der öffentlichen deutschen Debatte steht in merkwürdigem Kontrast zu der weltweiten operativen Tätigkeit der Bundeswehr seit 1990. Es hat den Anschein, als betrachteten es führende Offiziere der Bundeswehr als ihrem Selbstbild als Steward widersprechend, sich in öffentlichen Debatten zu äußern – auch kritisch gegenüber Angehörigen der politischen Institutionen. Gleichzeitig scheint es, als wäre die Sorge der Generale über mögliche Sanktionen aus den politischen Institutionen nicht unbegründet.

422 Politische Beamte können von ihrem Dienstherrn jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, vgl. Dieter Kugele: Der politische Beamte. Entwicklung, Bewährung und Reform einer politisch‐ administrativen Institution, 2. Auflage, München 1978, S. 153.

423 Ein Beispiel stellt die souveräne Behandlung von General Stanley McChrystal, ehemals ISAF‐ Kommandeur, dar. Nachdem er sich in einer Rede vor dem International Institute for Strategic Studies zur Strategie in Afghanistan positioniert hatte, obwohl der Strategiefindungsprozess der Regierung Obama noch andauerte, wurde er von Obama und Verteidigungsminister Gates zur Ordnung gerufen. Erst nach weiteren Enthüllungen eines Magazins wurde McChrystal von seinem Kommando entbunden und schied aus dem aktiven Dienst aus – unter Beibehaltung aller regulären Privilegien, vgl. Obama to guarantee McChrystal 4‐star pension, http://www.reuters.com/article/idUSTRE65S6ZL20100629, 29. Juni 2010 (eingesehen am 7. Januar 2011).

424 Vgl. Mullen reminds military leaders to stay professional, apolitical, in: Stars and Stripes vom 10. Januar 2011.

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Zusammenfassung:

Kategorie Bundesrepublik Deutschland

Zivilisierung/Professionalisierung des Ausgeprägte Zivilisierung Militärs

Politisierung des Militärs Demokratische Politisierung, unpolitisch agierendes Führungspersonal

Einheitlichkeit der zivilen Strukturell einheitlich, in der praktischen Kontrollinstanzen Ausformung uneinheitlich

Einheitlichkeit der militärischen Sehr uneinheitlich, graduelle, Führung inkrementelle Vereinheitlichung (seit 2005)

Rollenverständnis Systemstruktur nach dem Agency‐ Verständnis, Erziehung zu Stewards

Zivil­militärische Beziehungen Stark ausgeprägte subjektive zivile Kontrolle

Tabelle 3 Zivil‐Militärische Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland Die deutliche Ausprägung von subjektiver ziviler Kontrolle in der Bundesrepublik ist in Strukturen und Prozessen als „gefrorene Kultur“ institutionalisiert. Erst eine Analyse der formativen Phase deutscher zivil‐militärischer Beziehungen des 20. Jahrhunderts ermöglicht ein Verständnis dieser „gefrorenen Kultur“. Erst wenn der historische Hintergrund der Genese einer spezifisch deutschen Sicherheitskultur mit spezifisch deutschen zivil‐militärischen Beziehungen untersucht wurde, kann beurteilt werden, ob diese institutionalisierten Beziehungen zwangsläufig sind oder ob eine andere, gleichsam demokratische Ausgestaltung möglich und angemessen wäre und ist. Diesen zu untersuchenden Hintergrund bilden vor allem die rund dreißig Jahre zwischen 1916 und 1945.

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2.2 Zivil­militärische Beziehungen in Deutschland – historische Genese „It is impossible to understand an institution adequately without an understanding of the historical process in which it was produced.“425

Das Verhältnis von Militär und politischer Sphäre war in Deutschland nie konfliktfrei.426 Schon die Bezeichnung „zivil“ verfängt angesichts der „deutschen“, das heißt auch preußischen, Geschichte nicht immer. Schon der Aufstieg Preußens und die Bedeutung der „mit Eisen und Blut“427 militärisch herbeigeführten kleindeutschen Einigung nach 1866/71 zeigt dieses Spannungsfeld auf. Preußen prägte auch als Teil des zweiten deutschen Reiches die Natur von dessen zivil‐militärischen Beziehungen. Auch wenn dieses Reich sicherlich in einem modernen, gesellschaftssoziologischen Sinne „militaristisch“ war, als militärische Wertvorstellungen und Verdienste den sozialen Status erheblich prägten, so war die Suprematie der politischen Führung um Kaiser und Reichskanzler doch unbestritten. So Francis Carsten: „In keinem anderen Lande Europas übte die Armee einen so großen Einfluss […] aus wie in Preußen‐Deutschland […]. Aber sie griff nie direkt ein in politische Vorgänge, deren Regelung sie den dazu Berufenen überließ.“428

Ausgangspunkt der zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik waren jedoch die deutlich problematischeren deutschen Erfahrungen mit dem Verhältnis von bewaffneter Macht und ziviler Leitung zwischen 1916 und 1945. Auch wenn die schwierige Position der Reichswehr innerhalb der Weimarer Republik und die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft heute oftmals in den Mittelpunkt gestellt werden, begann die tatsächlich bis heute wirkmächtige Periode deutscher zivil‐militärischer Beziehungen mit der Übernahme der faktischen Macht durch die (OHL) ab 1916.

425 Berger/Luckmann: The Social Construction of Reality, S. 72.

426 Vgl. Rolf Helfert: Der preußische Liberalismus und die Heeresreform von 1860, Bonn 1989, S. 117‐148.

427 Otto von Bismarck am 30. September 1862 in der Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses, zitiert nach: Carl Hans Hermann: Deutsche Militärgeschichte. Eine Einführung, Frankfurt am Main 1966, S. 229.

428 Carsten: Reichswehr und Politik, S. 13.

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Im Folgenden sollen nun diese, so die These, für die zivil‐militärischen Beziehungen der heutigen Bundesrepublik Deutschland prägenden Jahre dargestellt werden. Aus der Vielfalt der bedeutenden und interessanten Forschungsansätze zu Fragen des „Dritten Reiches“ und der Wehrmacht sollen und können dabei nur einige ausgewählte Aspekte beleuchtet werden. Auch werden, soweit dies möglich ist, keine moralisch‐ethischen Aspekte beleuchtet, ebenso wenig wie wertend nach Verantwortung dafür gefragt wird, welcher Akteur aus welchen Gründen heraus seinen Beitrag zu diesen für Deutschland, Europa und die Welt katastrophalen Jahren geleistet hat.429

2.2.1 Die stille Diktatur – Ludendorff, Hindenburg und Wilhelm II. „Ich rede ja so wenig rein als möglich, aber Falkenhayn muss doch nach außen die Fiktion erhalten, dass ich alles persönlich anordne.“430

Zivil‐militärische Beziehungen sind nicht nur für demokratische Staaten ein sensibles und problematisches Feld.431 Auch und gerade für totalitäre und autoritäre Systeme, die sich zu einem großen Teil auf Waffengewalt auch innerhalb des Staates stützen, ist die bewaffnete Macht derart bedeutend, dass sie zu einer Bedrohung des Regimes werden kann. Endlose Kreisläufe von Militärputschen und Gegenputschen in einigen Staaten zeugen davon. Auch die heutige Debatte um die Wehrform wird von einer Phase beeinflusst, die nicht in einem demokratischen – wenn auch nicht im engeren Sinne totalitären432 – Staat verortet ist.

429 Moralisch‐ethische Fragestellungen und solche der Verantwortung – bzw. der Ablehnung einer solchen – prägten einen Großteil der einschlägigen Forschung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, vgl. Klaus‐Jürgen Müller: Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland 1933‐1945. Studien zum Verhältnis von Armee und NS‐System, Paderborn 1979, S. 13.

430 Kaiser Wilhelm II im Gespräch mit dem preußischen Kriegsminister Alfred Wild von Hohenborn im Sommer 1915, zitiert nach: Christopher Clark: Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008, S. 292f.

431 Siehe oben, S. 50.

432 Vgl. die Definition von Totalitarismus durch Hannah Arendt: „Das Wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, dass sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, dass sie die Liebe zur Freiheit aus den menschlichen Herzen ausrottet; sondern einzig darin, dass sie die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, dass der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet.“ Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1986, S. 958.

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Mit der existentiellen Industrialisierung des Krieges, wie sie in den Konflikten des ausgehenden 19. Jahrhunderts erstmals in Erscheinung trat433 und nach 1914 endgültig sichtbar wurde, ging die Notwendigkeit der Ausrichtung aller Mittel von Staat und Gesellschaft auf den Krieg einher.434 Der „totale Krieg“435 mündete jedoch nicht nur in einer temporären, völligen Unterordnung der Gesellschaft und aller ihrer Betätigungsfelder unter den Willen des Staates, sondern aufgrund von mannigfaltigen Faktoren auch in der Unterordnung dieses Staates und seiner „zivilen“ Führung – des Kaisers und des Reichskanzlers – unter das Militär.

Die konstitutionelle Ordnung des Reiches nach 1871, von Bismarck geprägt und auf ihn zugeschnitten, stellte einem schwachen Monarchen das Amt eines potenziell starken Kanzlers zur Seite. Die so geteilte Exekutive war aufeinander angewiesen, sowohl gegenüber dem Parlament als auch dem einflussreichen Militär. Andreas Hillgruber stellte mit Blick auf das kaiserliche Deutschland einen „Dualismus an der Führungsspitze von quasi gleichberechtigten, neben‐ und gegeneinander stehenden höchsten zivilen und militärischen Gewalten“436 fest. Ein schwächerer Kanzler, als es Bismarck war, benötigte also einen starken oder wenigstens populären Kaiser, um sich bei der Formulierung der Politik gegen das Militär durchzusetzen.437 Sowohl Theobald von Bethmann Hollweg als auch Kaiser Wilhelm II. galten als schwache Machtpolitiker – eine Konstellation, die unter den Vorzeichen des Krieges das Militär weiter stärkte.438 Die maßgeblich von Bethmann Hollweg betriebene Absetzung General von Falkenhayns, ab 1915 bereits der bestimmende Akteur in der Reichsführung,439 im August 1916 war

433 Vgl. Winfried Baumgart: Einführende Bemerkungen, in: Michael Epkenhans/Gerhard P. Groß (Hrsg.): Das Militär und der Aufbruch in die Moderne 1860 bis 1890. Armeen, Marinen und der Wandel von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Europa, den USA sowie Japan, München 2003, S. 3‐7, S. 3.

434 Vgl. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 391f.

435 Vgl. Erich Ludendorff: Der totale Krieg.

436 Andreas Hillgruber: Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, Düsseldorf 1971, S. 7.

437 Bismarck war der einzige Akteur der zivilen Exekutive, der sich in Fragen der strategischen Planung gegen das Militär durchsetzen konnte, vgl. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 385.

438 Vgl. Asprey: The German High Command at War, S. 319.

439 Vgl. Hermann: Deutsche Militärgeschichte, S. 321. 114

paradoxerweise auch ein Versuch des Reichskanzlers, den Einfluss der zivilen, politischen Führung des Reiches gegenüber dem Militär zu stärken. Genau das Gegenteil trat ein.440 Die zivile Regierung degenerierte spätestens nach dem Sturz Bethmann Hollwegs im Juli 1917 „zum ausführenden Organ der OHL.“441 Der Mann, der durch seine Beliebtheit im Volk diesem einen schlechteren Frieden als erhofft erträglich machen sollte,442 verhinderte gemeinsam mit Ludendorff diese Pläne. Die nahezu mythische Popularität Hindenburgs („Messias im Waffenrock“)443, des Heldens von Tannenberg, verschaffte der OHL darüber hinaus eine plebiszitäre Legitimität, die die bisherigen Legitimitätsstränge des Reiches aushebelte und sowohl gegenüber dem (von Gott ernannten) Kaiser als auch dem (vom wahlberechtigten Volk gewählten) Reichstag eine eigenständige Basis erhielt, die sie konsequent ausnutzte.444 Der Kaiser selbst hatte diese Popularität als Herausforderung der Monarchie gefürchtet und nicht zuletzt deswegen lange am weithin unbeliebten, aber ihm gegenüber loyal‐devoten Falkenhayn festgehalten.445 Es ist sicherlich kein Zufall, dass mit Ludendorff der Nutznießer dieser Popularität, der selber innerhalb des Militärs einen überhöhten Platz einnahm, in der Zeit von Weimar zu einem der Vorreiter der nationalsozialistischen Bewegung und ihrer kollektiv‐legitimistischen Konstruktion d es Führerstaates wurde.

Ab 1916, mit der Übernahme der Obersten Heeresleitung durch von Hindenburg und seinen „allmächtigen Stellvertreter“446 und Operationschef, General Ludendorff, nahm der praktische Einfluss des Kaisers ab.447 Schon vorher hatte sich Wilhelm II., entgegen anderslautender Ankündigungen im Vorfeld des Krieges,

440 Vgl. Karl Heinz Janssen: Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung 1916, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, (A) 4 (1959), S. 337‐371, S. 337.

441 Hannsjoachim W. Koch: Der deutsche Bürgerkrieg. Eine Geschichte der deutschen und österreichischen Freikorps 1918‐1923, Berlin 1982, S. 20.

442 Vgl. Janssen: Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung, S. 344.

443 Walter Rauscher: Hindenburg. Feldmarschall und Reichspräsident, Wien 1997, S. 100.

444 Vgl. Kitchen: The Silent Dictatorship, S. 22.

445 Vgl. Ebd., S. 47.

446 Asprey: The German High Command, S. 9.

447 Vgl. Lamar Cecil: Wilhelm II., Band 2, Chapel Hill 1996, S. 219.

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bereit erklärt, von operativen Fragen Abstand zu nehmen.448 Im gesamten Verlauf des Krieges spielte die zivile Führung keine Rolle, weder in der Bewertung operativer Fragen449 noch, entscheidender, in der Führung durch strategische Entscheidungen. Bereits die Generale vor Hindenburg und Ludendorff wirkten in einem politischen Vakuum, das dem Krieg eine erhebliche Eigendynamik verlieh. Das war jedoch nicht nur eine Folge der äußeren Zwänge eines langjährigen, industrialisierten Krieges, sondern mindestens ebenso sehr eine der handelnden Personen.450 Erst unter dem Duo an der Spitze der OHL wurde das Militär jedoch auf allen Feldern der Politik zum entscheidenden Akteur der Exekutive, erhob erfolgreich einen „politische[n] Monopolanspruch“451 und verließ damit seine angesta mmte Sphäre.

Dabei stieß die zivile Führung weniger auf den Widerstand Hindenburgs, der in traditioneller Kaisertreue politisch eher uninteressiert war, sondern mehr auf den Ludendorffs, der sich zum eigentlich mächtigen Akteur entwickelte.452 Nominell dem Kaiser unterstehend, waren sie praktisch eigenständige Akteure – Agents. Beide fühlten sich an die verfassungsmäßige Ordnung nicht gebunden, und de facto waren sie es auch nicht.453 Zwar blieb de jure die Entscheidungshoheit in politischen Fragen beim Reichskanzler, doch die OHL sollte ihn in allen Fragen beraten. Da in Streitfragen der Kaiser entschied, und das aufgrund seiner Abhängigkeit von Ludendorff und Hindenburg zumeist zu deren Gunsten, war diese Aufteilung jedoch hinfällig.454 Das betraf sowohl die Innenpolitik, in der die Oberste Heeresleitung Gesetze durchsetzte, um innere Unruhen und Streiks zu verhindern, als auch die Kriegspolitik, in der die Generale eine Politik der Mäßigung der Kriegsziele verhinderten. Ohne eigene innenpolitische

448 Vgl. Clark: Wilhelm II., S. 291.

449 Vgl. Kitchen: The Silent Dictatorship, S. 28.

450 Vgl. Edouard A. Buat: Ludendorff, Lausanne 1920, S. 45.

451 Gerhard Ritter: Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus“ in Deutschland, Vierter Band: Die Herrschaft des deutschen Militarismus und die Katastrophe von 1918, München 1968, S. 308.

452 Vgl. Asprey: The German High Command, S. 280f.

453 Vgl. Rauscher: Hindenburg, S. 103.

454 Vgl. Kitchen: The Silent Dictatorship, S. 47.

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Agenda waren militärische Zwecke entscheidende Maßstäbe für innenpolitische Maßnahmen.455 Zusammen mit Hindenburg drängte er auf eine zentralistische Führung der Kriegswirtschaft unter Aufsicht des Militärs, nicht der zivilen Führung. Nicht nur in der Weltanschauung stand Ludendorff den äußerst rechten, auf maximalen Kriegszielen beharrenden politischen Gruppierungen nahe. Mit ihrem Amtsantritt in der OHL erhielt auch die kriegswichtige Schwerindustrie, Ludendorff in Einschätzung des Krieges und sozialer Programmatik verbunden, das Ohr der Militärführung und konnte auf deren innenpolitische Agenda – vor allem die Verhinderung von Streiks – zählen.456 Der Konflikt über die Zentralisierung der Wirtschaft hatte viele Dimensionen. Schließlich war jedoch jene zwischen Zivilisten und Militärs entscheidend.457 Die ständige Konkurrenz zwischen OHL und Kriegsministerium wurde zwar formal weiter zu Gunsten des Ministeriums entschieden, die tatsächliche Macht lag jedoch offensichtlich bei der Heeresleitung.458 Zudem setzte Hindenburg gegenüber der zivilen Führung und dem Reichstag das „Hilfsdienstgesetz“ durch und verpflichtete somit jeden arbeitsfähigen Bürger des Reiches „soweit er nicht zum Dienste in der bewaffneten Macht einberufen ist, zum vaterländischen Hilfsdienst während des Krieges.“459 Auch wenn die Ausführung dieser Maßnahmen nicht problemlos war und der Intention der OHL zum Teil zuwiderlief, ist das Gesetz dennoch als Beispiel für den Einfluss des Militärs auf genuin politische Fragen in Erinnerung geblieben.460 Hindenburg und Ludendorff hatten eine einflussreiche Stellung bar jeder zivilen Kontrolle inne, kontrollierten die Informationen, die der Kaiser und die zivile Regierung erhielten, und leiteten unter den Zwängen des industrialisierten Krieges praktisch alle Bereiche der Politik: „Im Übrigen hat die Gesamtpolitik dem Kriege zu dienen.“461 Sie waren in

455 Vgl. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 151.

456 Vgl. Ebd., S. 142.

457 Vgl. Kitchen: The Silent Dictatorship, S. 72.

458 Vgl. Rauscher: Hindenburg, S. 109.

459 § 1 des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916, http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/hdg/index.html (eingesehen am 15. Dezember 2009).

460 Vgl. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 152.

461 Erich Ludendorff: Kriegführung und Politik, Berlin 1922, S. 23. Vgl. zu dieser Umkehrung der Logik Clausewitz von Bredow: Militär und Demokratie in Deutschland, S. 64‐67. 117

diesem Sinne äußerst stark politisiert, dabei jedoch in einer Amtsstellung, die entgegen den Grundsätzen der Principal­Agent‐Theorie äußerst machtvoll und bar jeder effektiven Kontrolle durch den Principal war. Natürlich waren beide Offiziere nach eigener Einschätzung kaisertreu – gleichzeitig definierten sie das Wohl des Staates durch das Wohl der Armee an der Front.

In der Kriegspolitik war es die Oberste Heeresleitung, die gegenüber der zivilen Führung durchsetzte, dass zur Unterbrechung des Nachschubs der westlichen Alliierten der uneingeschränkte U‐Boot‐Krieg im Atlantik zu beginnen habe.462 Obwohl Reichskanzler Bethman Hollweg das zwingende Resultat des amerikanischen Kriegseintritts, gegen den sich Präsident Wilson bis dahin gewehrt hatte, vorausgesehen hatte, blieb es bei dem Entschluss. Somit setzte sich hier eine im engeren Sinne militärstrategische Bewertung mit Blick auf den gegenwärtigen Feind gegen eine politisch‐strategische Linie der zivilen Führung durch, der es darum ging, neue Feinde zu verhindern – eine Folge des beschriebenen zivil‐strategischen Vakuums, „Deutschland blieb […] strategisch führerlos.“463

Das Ergebnis war der, wenn nicht militärtechnisch, so doch moralisch entscheidende Kriegseintritt der Vereinigten Staaten. Das nahezu panikartige Waffenstillstandsangebot der OHL angesichts eines angeblich drohenden Zusammenbruchs der Front im November 1918 und der folgende „Siegfrieden“ von Versailles waren auch eine Folge der starren Haltung gegenüber Verhandlungsangeboten vor allem der USA.464 Erst mit der überraschenden Bitte um einen Waffenstillstand, „when the demigods of the general staff began suddenly to look alarmingly mortal“465, konnte der neue Kanzler, Prinz Max von Baden, den Einfluss der OHL einschränken. Die Ablehnung der 14 Punkte Wilsons und das Festhalten an weit gesteckten Kriegszielen waren die Entscheidung der militärischen Führung gegen zum Teil erheblichen Widerstand der politisch nominell

462 Vgl. Joachim Schröder: Die U‐Boote des Kaisers. Die Geschichte des deutschen U‐Boot‐Krieges gegen Großbritannien im Ersten Weltkrieg, Lauf an der Pegnitz 2001, S. 261.

463 Clark: Wilhelm II., S. 291.

464 Vgl. Janssen: Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung, S. 337.

465 Vgl. Kitchen: The Silent Dictatorship, S. 47f.

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Verantwortlichen wie Reichskanzler Bethmann Hollweg.466 Darüber hinaus gelang es der OHL noch unmittelbar vor Kriegsende, im Oktober 1918, als der Kaiser sich im Zuge der – praktisch von der OHL ohne Konsultation des amtierenden Kanzlers angeordneten467 – Verfassungsreform weitgehend entmachten lassen musste und Reichskanzler sowie Reichstag zu entscheidenden Machtfaktoren aufstiegen, ihre institutionell starke Position zu halten. Mit dem eindeutigen und nachdrücklichen Beharren auf der Immediatstellung der OHL zwischen dem Kaiser und der zivil‐ parlamentarischen Reichsführung gelang es der OHL, entgegen anderen Institutionen des Militärs, sich nach dem Machtverlust der „Strohpuppe“ des Kaisers weiter und offen ziviler Kontrolle zu entziehen.468 Innerhalb der OHL übernahm der streng monarchistisch gesinnte Hindenburg mehr und mehr jene vor allem repräsentative Funktion, die ihn auch in das Amt des Reichspräsidenten bringen sollte. Handelnder, starker Mann in der OHL wurde somit noch mehr Ludendorff.469 Das sollte auch die ersten Jahre der zivil‐militärischen Beziehungen nach der Novemberrevolution prägen.

Auch wenn monokausale Aussagen vorsichtig zu behandeln sind, ist Asprey wenigstens zum Teil zuzustimmen, wenn er ausführt, dass „Germany’s disastrous military defeat […] a result of expanded military egos unchecked by civil authority“470 war. Wenn es sich jedoch nur um die „militärischen Egos“ gehandelt hätte, so wäre auch das Problem ein anderes, geringeres. So jedoch war es nicht nur eine Unterordnung unter Personen – das war beim Kaiser auch der Fall – sondern unter das Militär und seine Kriegsziele und Kriegslogik. So kam es zu der verhängnisvollen Situation, „daß der Soldat im Kriege [von 1914‐1918] Politik machte.“471 Und das Scheitern dieser Politik bereitete den Boden für

466 Vgl. John Keegan: Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie, 2. Auflage, Hamburg 2003, S. 488f.

467 Vgl. Koch: Der Deutsche Bürgerkrieg, S. 22f.

468 Vgl. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V, Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914‐1919, Stuttgart u.a. 1978, S. 602.

469 Vgl. Wolfgang Elben: Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution. Die Politik der Staatssekretäre und der militärischen Führung vom November 1918 bis Februar 1919, Düsseldorf 1965, S. 162.

470 Asprey: The German High Command, S. 11.

471 Vgl. Hermann: Deutsche Militärgeschichte, S. 320.

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die so genannte „Dolchstoßlegende“, die ja eben ein perzipiertes moralisch‐politisches Scheitern der Heimat war, „die Kräfte der Nation für den Krieg zusammenzufassen.“472 Das Militär hatte Politik gemacht und verloren – die Schuld daran wollte es jedoch nicht trage n.473 Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die n eue , junge Republik aus Weimar.

Die Jahre von 1916 bis 1918 sind im Rückblick das Sinnbild jeglicher fehlenden Kontrolle über das Militär. Das Heer war entpolitisiert, die Befehlsstrukturen waren eindeutig unter der mächtigen OHL geordnet – doch eine funktionierende objektive Kontrolle nach Huntington unter der ungeteilten Autorität des Kaisers scheiterte zum einen an der nicht gekannten Industrialisierung und Totalität des Krieges. Hindenburg, aber vor allem Ludendorff agierten als Agents, gleichzeitig jedoch in einer Position, die einen ehrlichen Sachwalter der Principal‐Interessen, einen Steward erfordert hätten. Zum anderen, und viel bedeutsamer, hatte sich die zivile Führung jedoch selber entmachtet. Auf dieses Szenario, staatspolitisches Versagen, findet auch Huntingtons Theorie keine zufriedenstellende Anwendung.

2.2.2 Die „widernatürliche Allianz“474 – die Reichswehr und Weimar „Die Reichswehr steht hinte r Ihnen, wenn der deutsche Kanzler deutsche Wege geht.“475

Die neue Armee in der ersten deutschen Demokratie trat ihren Dienst vor dem Hintergrund des verlorenen Krieges und der innerstaatlichen, bürgerkriegsähnlichen Wirren der Revolution nach 1918 an. Beides hatte entscheidende Auswirkungen auf ihr Verhältnis zur Weimarer Republik. Die Führungsschicht der Reichswehr, die Generalstabsoffiziere der aus dem Feld zurückkehrenden Truppen, hatten sich mehrheitlich für einen Übergang in die neue Ordnung entschieden, dabei jedoch zwangsläufig politisiert – zwangsläufig, da mit dem Ende des Kaisers der eigentliche

472 Erich Ludendorff, zitiert nach: Wolfgang Foerster: Der Feldherr Ludendorff um Unglück. Eine Studie über seine seelische Haltung in der Endphase des ersten Weltkrieges, Wiesbaden 1952, S. 51.

473 Vgl. Koch: Der Deutsche Bürgerkrieg, S. 25.

474 Julius Leber, zitiert nach: Ulrich Kluge: Die deutsche Revolution 1918/1919, Frankfurt am Main 1985, S. 141.

475 General von Seeckt zu Reichskanzler Stresemann am 7. September 1923, zitiert nach: Carsten: Reichswehr und Politik, S. 113.

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Anker des Offizierskorps verschwunden war und ein neuer Orientierungspunkt aus dem revolutionären „Angebot“ gesucht werden musste.476

In der unmittelbaren Phase nach 1918, während der Verhandlungen um den Versailler Vertrag und nochmals, wie unten dargestellt, während der staatspolitischen Wasserscheide des Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsches im Jahr 1920 wurde die Armee insgesamt notwendigerweise zu einem innerstaatlich‐politischen Instrument.477 Auch das Gespenst eines offenen Militärputsches, bis dahin im Bereich des Undenkbaren, trat nach 1918 in die Gedankenwelt führender und namhafter Militärs, um nicht so schnell wieder zu weichen.478 Nach diesen Phasen der Politisierung, im Sinne einer Evaluation und Entscheidung zugunsten von partei‐ und staatspolitischen Optionen, folgte in den Jahren nach dem Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsch von 1920 in den Reformen des Generals von Seeckt eine Phase der Entpolitisierung der Streitkräfte (jedenfalls in der Masse), die bis zum Ende der Republik anhalten und für Weimar bis heute bezeichnend sein sollte.

Auch wenn die Oberste Heeresleitung nach dem Kriegsende vom 11. November 1918 ihre quasi‐diktatorischen Vollmachten nicht mehr innehatte, so behielt sie doch, trotz der Abwesenheit des eigentlich ihre Macht erst begründenden Monarchen,479 bis zu ihrer Auflösung Ende 1919 eine dezidiert politische Rolle und Agenda bei. Diese konzentrierte sich in den Wirren der Revolution insbesondere auf außenpolitische, die Sicherung des Reiches tangierende Themen, aber auch auf kriegs‐ und ordnungspolitische Fragen des Streikrechts und der Arbeiter‐ und Soldatenräte – also hochpolitische, parteipolitisch besetzte Themen.480 Die OHL war die einzig reichsweit

476 Vgl. Ekkehard P. Guth: Der Loyalitätskonflikt des deutschen Offizierskorps in der Revolution von 1918‐ 20, Frankfurt am Main/Bern/New York 1983, S. 100.

477 Vgl. Carsten: Reichswehr und Politik, S. 26.

478 Gordon: Die Reichswehr, S. 101.

479 Vgl. Heinz Hürten: Zwischen Revolution und Kapp‐Putsch. Militär und Innenpolitik 1918‐1920, in: Erich Matthias/Hans Meier‐Welcker (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Zweite Reihe, Band 2, Düsseldorf 1977, S. XXXIII.

480 Vgl. Gerhard W. Rakenius: Wilhelm Groener als Erster Generalquartiermeister. Die Politik der Obersten Heeresleitung 1918/19, Boppard 1977, S. 164‐237.

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wirksame „innenpolitische Ordnungsmacht.“481 Dabei kamen ihr neben der ungebrochenen Popularität Hindenburgs482 weiter die de facto relativ unabhängige und heftig verteidigte Position gegenüber der Reichsregierung unter Ebert zu Hilfe, die ihr ein ei genständiges Handeln ohne zi vile A u fsicht ermöglichte.483

Die Reichswehr blieb in der Zeit nach 1918, auch als Folge des zunächst republikfreundlich erscheinenden, antibolschewistischen „Ebert‐Groener‐Paktes“, eine eigene Sphäre innerhalb der Republik, nach eigener Anschauung betont abseits des Parteienstreits der jungen Demokratie. Nach der Abdankung des Kaisers bekannte sich die OHL, unter faktischer Führung ihres I. Generalquartiermeisters Groener, schnell zur neuen Regierung des Rats der Volksbeauftragten unter Ebert. Dieses Bekenntnis hatte militärische und politische Gründe. Militärisch, weil nur eine stabile Regierung die geordnete Rückführung der Truppen von der Front erlaubte; politisch, weil nur so eine Stärkung der Räterepublik, eine bolschewistische Machtübernahme und ein Bürgerkrieg zu verhindern zu sein schienen. Außenpolitisch kam noch hinzu, dass für unwahrscheinlich erachtet wurde, dass die westlichen Mächte Frieden mit einer bolschewistischen deutschen Regierung schließen würden.484 Die OHL wollte die Revolution um jeden Preis auf den Regierungs‐ und Systemwechsel des 9./10. Novembers begrenzen. Hinzu, und für die Entwicklung der Weimarer Republik bedeutsam, kam die Personalisierung des Bündnisses. Die Loyalität Groeners, und damit der OHL, wirkte nicht so sehr gegenüber dem Rat der Volksbeauftragten als Institution als vielmehr gegenüber Ebert in Person und den Mehrheitssozialdemokraten, die ihn unterstützten. Das galt in den Folgejahren auch für das Verhältnis zwischen General Reinhardt, später erster Chef der Heeresleitung, und dem neuen Reichswehrminister Noske485 – aber die Grenzen der Tragfähigkeit von persönlichen Beziehungen wurden auch hier deutlich.

481 Kluge: Die deutsche Revolution, S. 146 (Hervorhebung durch den Autor).

482 Vgl. Ebd., S. 145.

483 Vgl. Rakenius: Wilhelm Groener, S. 121.

484 Ebd., S. 122.

485 Vgl. Carsten: Reichwehr und Politik, S. 30.

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Von Beginn an brachte der Ebert‐Groener‐Pakt, der entgegen manchen Verdächtigungen durchaus von der großen Masse der Soldaten getragen wurde,486 somit Stabilität, schuf aber keine Systemloyalität der OHL und der zurückmarschierenden Truppen. Er beruhte auf einem gemeinsame Feind der Mehrheitssozialdemokraten und der OHL. Es war somit ein Pakt gegen etwas – nicht jedoch für etwas, jedenfalls nicht über das eigene institutionelle (und persönliche) Leben hinaus. Die Konditionalität des Bündnisses wurde mit der Reaktion der militärischen Führung auf die „Hamburger Punkte“ vom Dezember 1918 deutlich, die, von einem Hamburger Mehrheitssozialisten und eben nicht von der radikalen Linken auf dem ersten Kongress der Arbeiter und Soldatenräte eingebracht wurden: sie sahen unter anderem die Wahl von Offizieren, die Ermächtigung von Soldatenräten und, ganz wesentlich, die Unterstellung von Heer und Marine unter die Volksbeauftragten – das „Parlament“ – vor. Die OHL betrachtete diese Forderungen als einen Bruch des Ebert‐Groener‐Paktes und drohte Ebert ostentativ mit der Aufkündigung und dem Entzug der Unterstützung durch die bewaffnete Macht.487 Ebert, ohnehin kein Freund der Hamburger Punkte, lenkte ein. Das Militär war auch nach dem Abgang Ludendorffs noch immer „Herr im Hause.“488

Dazu kam, dass der Ebert‐Groener‐Pakt, von Beginn an ein „Zweckbündnis auf Zeit“489, mit dem militärisch getragenen Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsch von 1920 an seine Grenzen stieß. Gemeinhin verkürzt als Kapp‐Putsch bezeichnet, würde dies der tragenden Rolle des Militärs in diesem Unternehmen nicht gerecht. Die Erhebung des ostpreußischen Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp gegen die Weimarer Ordnung konnte auf die Unterstützung nahezu aller Kommandierenden Generale der Reichswehr zählen. Gleichzeitig weigerte sich der Chef des Truppenamtes, also des „getarnten Generalstabes“490, Generalmajor – obwohl de jure ohne

486 Vgl. Kluge: Die deutsche Revolution, S. 143.

487 Vgl. Carsten: Reichwehr und Politik, S. 26‐28.

488 Ebd., S. 28.

489 Erwin Könnemann u.a. (Hrsg.): Der Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsch. Dokumente, München 2002, S. IX.

490 Heiner Möllers: „Reichwehr schießt nicht auf Reichswehr!“ Legenden um den Kapp‐Lüttwitz‐Putsch von März 1920, in: Militärgeschichte 11 (2001), Heft 3, S. 53‐61, S. 58.

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operative Befehlsgewalt über die Soldaten der Reichswehr – dem Staatsstreich mit der Waffe entgegenzutreten.491 Der Putsch zwang die Reichsregierung zur Flucht aus Berlin nach Stuttgart, dessen zuständiger Kommandierender General sich verfassungstreu zeigte. Er scheiterte jedoch in kurzer Zeit am Widerstand der politischen Bürokratie in Berlin und im Reich sowie an fehlender Unterstützung in der Breite des Volkes, geäußert im Generalstreik.492 Die Republik wurde nicht durch die Reichswehr geschützt, im Gegenteil: der auf einem gemeinsamen Feindbild (kommunistischen Gegnern des Weimarer System493) gegründete Zusammenhalt von politischem System und Militär war offensichtlich nur konditioniert und brüchig. Mit der Abwesenheit eines Monarchen entfiel für das Offizierskorps die persönliche, beeidigte Bindung an das Staatsoberhaupt. In den Worten Wilhelm Groeners, des damaligen I. Generalquartiermeisters des Heeres: „Der Sturz des Kaisertums entzog den Offizieren den Boden ihres Daseins, ihren Sammel‐ und Ausrichtepunkt.“494 Zur demokratischen Regierung von Weimar entstand nie eine vergleichbare Loyalität. Der Großteil des Offizierskorps hegte eine starke Abneigung gegen die Republik und verpflichtete sich mehr dem deutschen Reich in seiner idealisierten, weil unpolitisch gedachten Form, „dessen Hauptzweck manchmal mit dem Wohlbefinden oder den Wünschen des Offizierskorps identifiziert wurde.“495 Diese vom Militär gewollte Interessenkongruenz ist ein eindeutiges Agency‐Problem gegenüber dem neuen Principal der Republik. Die Hinwendung der Reichswehr zur parlamentarisch‐sozialistischen Demokratie war in erster Linie eine Vernunftehe, die angesichts der Wahl zwischen sozialistischer Räterepublik, offenem Bürgerkrieg, oder

491 Die eigentliche Führung der Reichswehr lag bei Generalmajor Reinhardt als Chef der Heeresleitung. Der demokratischen Reichsführung gegenüber loyal, blieb Reinhardt jedoch weitgehend passiv, trat am 13. März 1920 zurück und machte von Seeckt somit zur entscheidenden Figur. Ob von Seeckt sich wirklich gegen eine Anweisung von Reichswehrminister Noske gestellt hatte oder faktisch eine neutrale Position einnahm, ist bis heute umstritten, vgl. Ebd., S. 58.

492 Vgl. Ebd., S. 56.

493 Diese Grundlage des Ebert‐Groener‐Paktes entfaltet selbst während des Kapp‐Putsches Wirkung, als Reichswehr‐Einheiten kommunistische Aufstände blutig niederschlugen, die Verschwörer um Kapp jedoch gewähren ließen, vgl. Könnemann: Der Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsch, S. IX.

494 Wilhelm Groener: Nach dem 9. November, zitiert nach: Guth: Der Loyalitätskonflikt des deutschen Offizierskorps, S. 12.

495 Vgl. Gordon: Die Reichswehr, S. 169.

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eben einer Annäherung an die SPD recht einfach gemacht wurde.496 In den Worten von Karl Dietrich Erdmann:

„Gab es in der damaligen Bürgerkriegssituation realiter eine dritte Möglichkeit zwischen Roter Armee und einer Reichswehr, für deren Führung man auf das Offizierskorps der kaiserlichen Armee zurückgriff? [Es hieß also:] die soziale Revolution im Bund mit den auf eine proletarische Revolution hindrängenden Kräften oder die parlamentarische Republik im Bund mit konservativen Elementen wie dem alten Offizierskorps.“497

Die Armee als wichtigster Machtfaktor im Reich war der „Geburtshelfer der Republik.“498 In den Worten von Groener war die Absprache mit Ebert ein „Bündnis“, von ihm mit Forderungen versehen, auf die Ebert einging.499 Dieses Bündnis stand in sonderbarer Diskrepanz zu seiner Vorstellung eines unpolitischen Offizierskorps500 und ist wohl nur aufgrund der oben beschriebenen Fundamentaloptionen zu erklären. In dieser Abhängigkeit von Beginn an spiegelt sich das weitere Verhältnis von bewaffneter Macht und Staat – eines der formalen Unterordnung, aber faktisch gleichgestellten parallelen Existenz, dass das Überleben der jungen Demokratie bis zu ihrem Ende von der ostentativen Nicht‐Politisierung der Reichswehr abhängig machte.501

Dieses Missverhältnis, offensichtlich ein ausgehandeltes Nebeneinander in getrennten Sphären und keine Unterordnung der militärischen Macht unter die zivile Hoheit, war nicht nur an Personen und Situationen gebunden, sondern im Gegenteil ein

496 So Groener in seinen Erinnerungen: „Das Offizierskorps konnte aber nur mit einer Regierung zusammengehen, die den Kampf gegen Radikalismus und Bolschewismus aufnahm. […] Was war demnach näherliegend, als Ebert, den ich als anständigen, zuverlässigen Charakter und unter der Schar seiner Parteigenossen als den staatspolitisch weitsichtigsten Kopf kennengelernt hatte, die Unterstützung des Heeres und des Offizierskorps anzubieten?“, Wilhelm Groener: Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg, herausgegeben von Friedrich Frhr. Hiller von Gaerteringen, Göttingen 1957, S. 467.

497 Karl Dietrich Erdmann: Die Geschichte der Weimarer Republik als Problem der Wissenschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, (A) 3 (1955), S. 1‐19, S. 7.

498 Möllers: „Reichwehr schießt nicht auf Reichswehr!“, S. 53.

499 Vgl. Groener: Lebenserinnerungen, S. 467f.

500 Vgl. Rakenius: Wilhelm Groener, S. 156.

501 Vgl. Ebd., S. 154.

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„Strukturproblem“502 von Weimar. Das Ergebnis des Putsches war eine Schwächung sowohl der extremen als auch der liberalen Kräfte im Offizierskorps.503 Der Putsch bedeutete die endgültige Trennung von ziviler und militärischer Macht, noch dazu mit verstärkten konservativen Tendenzen in Herr und Marine:504 „Die so bitter notwendige „Integrierung“ des militärischen und des parlamentarischen Bereiches zugunsten des Staates ist ausgeblieben.“505

Unter dem Paradigma Huntingtons stellt der Beginn von Weimar eine Übergangsphase dar. Von der völligen Dominanz des Militärs führten der Zusammenbruch der alten Ordnung und der Zwang der Systemfrage zu einer breiten Politisierung des Militärs, die die OHL zu einem entscheidenden Akteur machte. Die Fundamentalopposition zum Bolschewismus und zur Räterepublik führte zur Vernunftehe von Militär und sozialdemokratisch geführter Regierung – auf Augenhöhe. Die starke Politisierung der Truppe (in verschiedene Richtungen), die fortbestehende Einheitlichkeit der militärischen Führung und die unbestimmte, potenziell uneinheitliche zivile Führung verliehen dem Militär eine starke Stellung, die es für eigene Entscheidungen nutzte. Wo es zivile Kontrolle gab, war sie persönlich und in einem gemeinsamen Gegner bedingt – eine institutionalisierte Unterordnung des Militärs fehlte. Der Schritt zu einer objektiven Kontrolle nach Huntington war jedoch weiterhin möglich. Dazu musste die Truppe jedoch entpolitisiert und systemloyal werden – beides sollte auch in den nächsten Jahren nicht gelingen.

Mit dem Scheitern des Putsches unter Kapp hatte die Phase der starken Politisierung der Streitkräfte ein Ende. Wilhelm Groener bestand wiederholte Male auf einer Entpolitisierung der Masse des Offizierskorps und der Streitkräfte: „Wir müssen das gute alte Offizierkorps wiederhaben, es möge der Einzelne im Herzen Monarchist bleiben, aber im Staate muß Heer und Offizierkorps ein absolut zuverlässiges Organ sein

502 Könnemann/Schulze: Der Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsch, S. IX.

503 Vgl. Gordon: Die Reichswehr, S. 96.

504 Vgl. Carsten: Reichswehr und Politik, S. 111.

505 Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 16.

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wie früher […].“506 Zugleich ließ er jedoch eine feine Unterscheidung zu, die in den Folgejahren das Verhalten seiner Nachfolger bestimmen sollte: Auch wenn politische Streitigkeiten aus der Truppe herausgehalten wurden, forderte er, dass „Politik […] nur wenige [Offiziere] treiben [dürfen] und diese zäh und verschwiegen.“507 Für die Spitzen des Heeres beanspruchte er – entweder aus eigenem Selbstverständnis heraus oder angesichts der faktischen und schwer zu leugnenden Bedeutung der bewaffneten Macht im unsicheren Weimar – das Recht, gegenüber der zivilen Regierung mit politischen Forderungen aufzutreten, die weit über das unmittelbar militärisch Notwendige hinausgingen.

Zivile und militärische Führungsstruktur

Die neue Reichswehr der Weimarer Republik sollte, so das „Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr“ vom 6. März 1919, „auf demokratischer Grundlage“508 gebildet werden. Ihr Personal gewann sie jedoch, laut demselben Gesetz, überwiegend aus „bereits bestehenden Freiwilligenverbänden“, also vor allem den Freikorps, die nahezu ausschließlich konservativ‐monarchischen, wenn nicht sogar radikal rechten Positionen anhingen. Mit dieser Personalauswahl war der nicht näher geartete Gedanke einer „Demokratisierung“ der Armee von vorne herein erschwert. Hinzu kam, dass in der streitkräfteinternen „Nachbereitung“ des Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsches konsequent verfassungstreue Offiziere entfernt wurden, vor allem wenn sich diese im Zuge des Putsches gegen ihre Kapp zugeneigten Vorgesetzten gewendet hatten. Der Personalkörper der Reichswehr war in jedem Falle nicht demokratisch‐republikanisch geprägt.509

Den Oberbefehl über die Armee sollte, in Abkehr von den Plänen des Rates der Volksbeauftragten, der Reichswehrminister innehaben. Diesem Reichswehrminister war

506 Wilhelm Groener: Vortrag vor den Verbindungsoffizieren der OHL am 12. Juli 1919, zitiert nach: Carsten: Reichswehr und Politik, S. 52.

507 Wilhelm Groener in seinem Tagebuch am 9. Juli 1919, zitiert nach: Carsten: Reichswehr und Politik, S. 55.

508 Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr“ vom 6. März 1919, zitiert nach: Ebd., S. 39.

509 Vgl. Hürten: Zwischen Revolution und Kapp‐Putsch, S. XVII.

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das Offizierskorps, wie sich auf der historischen Sitzung der leitenden Offiziere der Reichswehr am 19. Juni in Weimar zeigte, weitgehend ergeben. Allerdings war angesichts der „Verhandlungen“ in Versailles und der Debatte insbesondere um die Abtretung Westpreußens und den „Kriegsschuldparagraph“ 231 die Unruhe im Militär derart groß, dass dieses Treffen der „Offiziersjunta“510 einen potenziell erheblichen Einfluss auf Innen‐ und Außenpolitik des Reiches hätte haben können. Das hätte bis zu einer militärisch gestützten Sezession Ostpreußens und damit zum Ende der jungen Republik führen können.

Von dieser Organisation der zivilen Kontrollorgane entfernte sich die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 noch weiter, indem der Oberbefehl über die Streitkräfte dem „Ersatzkaiser“ Weimars, dem Reichspräsidenten, zugeordnet wurde.511 Interessant ist, dass der sozialdemokratische Reichspräsident Ebert – und kein reaktionärer Politiker des rechten Spektrums – dem Reichswehrminister zwar frühzeitig die Aufgaben des Oberbefehlshabers übertrug, sich selber aber die Erteilung unmittelbarer Befehle an der zivilen Regierung vorbei vorenthielt.512 Auch wenn dies wahrscheinlich aus der berechtigten Sorge vor einem militärischen Umsturzversuch gegen diese Regierung, und nicht durch diese Regierung, geschah, ist diese Beibehaltung einer „Domaine Reservée“ durch einen gemäßigt sozialistischen Politiker im jungen Weimarer Reich erstaunlich. Mit Blick auf die Wahl eines Militärs in das Amt des Reichspräsidenten sollte sich diese der subjektiven zivilen Kontrolle zuzurechnende Uneinheitlichkeit der zivilen Führung gegenüber der extrem einheitlich auftretenden Reichswehr als problematisch erweisen.

Eine interessante und bis heute einflussreiche und hoch aktuelle Debatte fand zudem im Zuge der Annahme des Reichswehrgesetzes über die Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit statt.513 Diese war insbesondere den liberalen Parteien ein Dorn im Auge, enthielt sie doch in einigen Punkten und Praktiken den Soldaten Bürgerrechte.

510 Carsten: Reichswehr und Politik, S. 49.

511 Zu den rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen der Reichswehr vgl. vertiefend Wohlfeil: Reichswehr und Republik, S. 101‐109.

512 Vgl. Carsten: Reichswehr und Politik, S. 57.

513 Vgl. Gordon: Die Reichswehr, S. 163.

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Die Militärgerichtsbarkeit, und somit überraschenderweise auch ein großes Stück der Autonomie des Heeres, wurde mit einer großen, verfassungsändernden Mehrheit vom neu gewählten ersten Reichstag abgeschafft, die Reichswehr somit in gewissem Sinne ein Stück „zivilisiert.“ Insbesondere mit Blick auf das Verhältnis von Armee und Staat von 1933 bis 1945 und für die Bundeswehr ist diese frühe Entscheidung in gegensätzlicher Hinsicht prägend.

Wichtig für die Frage der Wehrform war die im Versailler Vertrag festgeschriebene und deutsches Gesetz gewordene Festlegung auf eine Berufsarmee mit sehr langer Dienstzeit.514 Dadurch sollte der große funktionale Vorteil einer Wehrpflichtigenarmee – die Ausbildung einer großen Anzahl von Soldaten und die somit entstehende Reserve an ausgebildeten Personen – negiert werden. Interessanterweise trug unter anderem diese Maßnahme dazu bei, dass der personale Austausch zwischen der Gesellschaft und der Armee auf ein Minimum reduziert – man führe sich nur die massenhaften Entlassungen von Soldaten und Offizieren nach 1918/19 vor Augen – und somit die Entsteh ung bw. dr Erhalt einer separatn Späreneben der Re z e e h publik gefördert wurde:515

„Nicht nur die Offiziere sondern auch die Mannschaften widmeten dem militärischen Dienst einen bedeutsamen Teil ihres Lebens, und man erwartete von ihnen, daß sie ihren Beruf ebenso gründlich erlernten wie etwa ein Arzt, ein Rechtsanwalt oder ein anderer Akademiker.“516

514 Für Offiziere betrug diese Dienstzeit mindestens 25 Jahre, für Unteroffiziere und Mannschaften mindestens 12 Jahre, vgl. Art. 20‐25 des Wehrgesetzes vom 23. März 1921, http://www.documentarchiv.de/wr/1921/wehrgesetz.html (eingesehen am 20. Januar 2010).

515 Interessanterweise war es General von Seeckt, der in einer Rede von 1920 die Konsequenz der Freiwilligenarmee offen und anschaulich verdeutlichte: „Wenn auch aus Landeskindern zusammengesetzt, wird das neue Söldnerheer nicht mehr ein lebendiger Teil des Volkskörpers, sondern ein Fremdkörper in ihm sein. Wird es nicht statt eines Volksheeres eine Prätorianertruppe werden, die eines Tages den regierenden Mächten ihren Willen aufzwingen könnte […]? Wird sich nicht in kleinen Berufsheer ein viel stärkerer Kastengeist entwickeln, wo die stetig sich erneuernde Verbindung mit dem Volk abgeschnitten ist?“, General von Seeckt am 20. Februar 1920 vor dem „Hamburger National‐Klub“ von 1919, zitiert nach: Hans Meier‐Welcker: Seeckt, Frankfurt am Main 1967, S. 251.

516 Gordon: Die Reichswehr, S. 171.

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Insbesondere Frankreich bestand lange auf einer Wehrpflichtarmee, die – natürlich zu klein, um Frankreich gefährlich zu werden – durch die ständige Neuerung der Soldaten im Innern demokratisiert werden und nicht dem „innersten Kern […] des Kaiserheeres“517 dauerhaft Form und Unterkunft bieten sollte. Der französische Vorschlag unterlag dem britischen eines kleinen Berufsheeres – die Begründung dieses Vorschlags jedoch war in ihrem staatspolitischen Sinne genau jene, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die junge Bundeswehr prägen sollte.

Innerhalb der Reichswehr war die militärische Führung im Gegensatz zur Kaiserzeit in einem ungewöhnlich hohen Maße zentralisiert und auf die Person General von Seeckts zugeschnitten. Ihm unterstanden alle wichtigen Kommandos und Ämter der Reichswehr, und er vertrat den Reichswehrminister in der Ausübung der Kommandogewalt – ein Instrument objektiver ziviler Kontrolle, das ein Steward‐Verhältnis vorausgesetzt hätte. Von Seeckt war jedoch ein überzeugter Monarchist und politischer Gegner der Republik. Auch wenn er nach den Wirren des Putsches um Kapp aus eigenem Interesse für die Verfassung eingetreten war, so zeigt sein Verhalten in den Krisen des Jahres 1923 eindeutig seine Distanz zu der Republik und ihren Institutionen.518 Trotz dieser Abneigung gegenüber parlamentarischer Arbeit war die Heeresleitung unter von Seeckt intensiv in parteipolitische Planungen involviert.519 Ziel war es fast kontinuierlich, ein weiteres „Abdriften“ des parlamentarischen Spektrums nach links zu verhindern. Von Seeckt wa mit seiner loyalen Verpflichtung an das übrstaatliche Deutschland ein r e Steward, gegenüber der Republik jedoch eindeutig ein Agent. Erst dieses Missverhältnis macht die Problematik der zivil‐militärischen Beziehungen von Weimar verständlich.

Dem Chef der Heeresleitung spielte dabei in die Hände, dass auf Noske kein starker Reichswehrminister folgte.520 Otto Geßler von der Deutschen Demokratischen Partei ließ es bereits zu Anfang seiner Amtszeit zu, dass von Seeckt seinem unterstellten Bereich untersagte, ohne seine Zustimmung Vorträge beim Minister zu halten. Zudem

517 Ebd., S. 153.

518 Vgl. Carsten: Reichswehr und Politik, S. 160f.

519 Vgl. Gordon: Die Reichswehr, S. 302.

520 Vgl. Hürten: Zwischen Revolution und Kapp‐Putsch, S. XIII.

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unterhielt der General offiziell einen Dienstweg an der parlamentarischen Regierung vorbei direkt zum Reichspräsidenten, dem Oberbefehlshaber. In dem Recht zu direkten Vorträgen beim Staatsoberhaupt spiegelt sich somit die Immediatstellung der militärischen Kommandobehörden, vor allem des Generalstabs, gegenüber dem Kaiser wider,521 die in der Oktoberverfassung von 1918 als undemokratisches Übel hatte bekämpft werden sollen. Geßler wurde nur unregelmäßig von Meldungen über diesen Dienstweg unterrichtet.522 Damit gelang es dem General, die Informationshoheit gegenüber den unmittelbaren zivilen Vorgesetzten zu bewahren und sich praktisch völlige Autonomie in der Behandlung von Themen zu verschaffen, die die Reichswehr direkt oder indirekt betrafen.

Vorsichtige Annäherung und Entpolitisierung der Truppe – Die Jahre 1923­1930

Die nächste Erschütterung des sich inzwischen in den beschriebenen Sphären konsolidierten Verhältnisses von Staat und Militär fiel in das Krisenjahr 1923, in dem der Staat existentiellen Gefährdungen von Innen und Außen ausgesetzt war.523 Der Ruhrkampf, die Inflation der Mark, die nationalsozialistischen Bestrebungen im Reich, vor allem in Bayern, und die unsichere, umkämpfte Ostgrenze stellten im Angesicht der noch immer nicht aufgelösten Freiwilligen‐ und Selbstschutzverbände die militärischen und politischen Führer vor grundlegende Entscheidungen. Die Heeresleitung unter von Seeckt ging ‐ wiederum als eigener politischer Akteur – soweit, Hitler und Ludendorff zu kontaktieren und mit Plänen für eine Mobilmachung gegen Frankreich und Belgien zu verbinden.524 Aber selbst von Seeckt schreckte, unter der Prämisse des

521 Vgl. Wohlfeil: Reichswehr und Republik, S. 113.

522 Das Verhältnis von Reichswehrminister Geßler und Hans von Seeckt war nie spannungsfrei – in der Frage der grundsätzlichen Ausrichtung der Reichswehr zur Republik waren beide jedoch nicht weit voneinander entfernt. Beides waren überzeugte Monarchisten, die den bayrischen König bzw. den deutschen Kaiser als überparteiliche Verkörperungen des Staates betrachteten. Dadurch lag ihnen eine Vorstellung des zivil‐militärischen Verhältnisses nahe, in der die Reichswehr dem Staat treu ergeben war, ohne zu einer verfassungstreuen Armee, einer Armee der Republik zu werden, vgl. Heiner Möllers: Reichswehrminister Otto Geßler. Eine Studie zu „unpolitischer“ Militärpolitik in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1998, S. 326f.

523 Vgl. Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 34.

524 Vgl. Ebd., S. 35.

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Gewaltenmonismus in der Reichswehr, vor einer selbstständigen Integration der Freiwilligenverbände unter deren Führern in die Reichswehr zurück.

Im November des Jahres kam es dann zu den Ereignissen, die den Höhepunkt der Macht von Seeckts herbeiführten und die zivil‐militärischen Beziehungen im Reich so nahe wie bis 1933 nicht mehr zu einer Militärdiktatur tendieren ließen. Die Berufung von Seeckts zum Inhaber der vollziehenden Gewalt am 9. November 1923 durch Reichspräsident Ebert entmachtete faktisch den Reichswehrminister und stellte für einige Zeit einen Militär in das Zentrum der politischen Macht, wie es seit den Tagen der OHL nicht mehr möglich gewesen war. „Nie wieder hatte ein deutscher General eine solche Machtfülle besessen wie General von Seeckt am Ende des Jahres 1923.“525 Die „Politik im Belagerungszustand“526 hatte, wie schon während der letzten Phase des großen Krieges, die ohnehin nur nominelle Unterordnung unter die Politik weitestgehend aufgehoben. Oftmals gegenüber der Stellung der OHL in den Hintergrund gerückt, stand den Vätern und Müttern des Grundgesetzes bzw. der Wehrgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland auch die Phase der praktischen Herrschaft von Seeckts vor Augen – mit allen Konsequenzen für die zivil‐militärischen Beziehungen.

Nachdem die Reichswehr in der Zeit des Ausnahmezustandes den Staat auch gegen die ihr nahestehenden Kräfte von rechts verteidigt hatte – wohlgemerkt zunächst aus Gründen der Reichseinheit, nicht der Verfassungstreue – rekonstituierte sich das Verhältnis der parallelen Sphären weitgehend. In eine neue Phase trat das Verhältnis von Reichswehr und Republik nach dem Tode Friedrich Eberts mit der Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten am 26. April 1925. Hindenburg, noch immer umgeben von der Mystik von Tannenberg und OHL, verkörperte einen neuen Bezugspunkt für die Armee. Erst jetzt, nachdem der Sozialdemokrat Ebert, zwar respektiert, aber nicht geliebt, nicht mehr im Amt war, konnte das Potenzial des „Ersatzkaisers“ Reichspräsident zur Geltung kommen. Hindenburg dachte und handelte

525 Carsten: Reichswehr und Politik, S. 174.

526 Carl Schmitt formulierte seine berühmten Gedanken zur Politik im Belagerungszustand vor eben dem Hintergrund der letzten Kriegsjahre, vgl. Reinhard Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, S. 89‐101.

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gegenüber der Reichswehr wie ein Militär.527 Mit seinem Amtsantritt verlor die militärische Führung durch den Verlust an „Herrschaftswissen“ deutlich an Macht und Autonomie. Der tatsächliche Einfluss der „zivilen“ Regierung, also primär des Oberbefehlshabers Hindenburg, aber mit ihm auch der Reichsregierung und insbesondere des Reichswehrministers, nahm dagegen erheblich zu.528 Innerhalb der militärischen Führung wurde zudem die Rolle von Seeckts deutlich geschwächt – nach dem Höhepunkt des Ausnahmezustandes nahm sein tatsächlicher Einfluss stetig ab. Den Kontakt zwischen Militär und Regierung nahm im Wesentlichen Oberst von Schleicher in der neugegründeten „Wehrmacht“‐Abteilung wahr, und das in einer vertrauensvollen Atmosphäre mit dem Minister.529 Gleichzeitig wuchsen innerhalb des Militärs die Kräfte, die zum Wohle der Verteidigungsfähigkeit des Staates in einem industrialisierten Krieg die dafür notwendige Annäherung an die zivilen Institutionen der Republik forderten.530 Im Oktober 1926 wurde Hans von Seeckt als Chef der Heeresleitung entlassen, sein Nachfolger wurde Generalleutnant Werner Heye. Diese Konsolidierung war jedoch wiederum personalisiert und schuf keine Systemloyalität. Außerdem war Hindenburg als Reichspräsident zwar ein ziviler Akteur, seine ja hrzehntel ange militärische Karriere und sein Habitus machten aus ihm jedoch einen Militär, so dass die Konsolidierung des Verhältnisses keine unmittelbare Verbesserung der zivilen Kontrolle mit sich brachte.

Nach einigen heftigen Angriffen insbesondere der SPD auf die Autonomie der militärischen Sphäre, ausgedrückt vor allem im öffentlich gewordenen Skandal um die sowjetisch‐deutsche Rüstungskooperation,531 entspannte sich das Verhältnis weiter mit dem Amtsantritt Groeners als Reichswehrminister im Januar 1928, der progressiv vom Kurs von Seeckts abwich und feststellte, dass die Wehrmacht kein Staat im Staate sei, sondern „das Machtinstrument der deutschen Republik“532. Immer mehr wurde die

527 Vgl. Wohlfeil: Reichswehr und Republik, S. 112f.

528 Vgl. Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 47.

529 Vgl. Gordon: Die Reichswehr, S. 306.

530 Vgl. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 401.

531 Vgl. Carsten: Reichswehr und Politik, S. 276.

532 Reichswehrminister Wilhelm Groener im Juli 1928, zitiert nach: Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 55.

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Republik zur Tatsache, die Monarchie rückte in weite Ferne.533 In den Jahren bis 1930 war das Verhältnis von Armee und Staat gefestigt. Dies geschah wieder unter der Prämisse einer Stabilität im Staate, nicht der emotionalen Loyalität zur Republik.534 Diese, in ganz geringem Maße auch ideologische Annäherung an die Weimarer Republik ging nicht nur der politisch äußerst Rechten, sondern auch Teilen des Offizierskorps zu weit. Anschuldigungen eines „Sprung nach links“535 wurden erhoben, die Linie von Seeckts von Teilen des Korps als Ideal verteidigt. Schon diese Reaktionen zeigten weiterhin die Diskrepanz auf, die zwischen dem Selbstverständnis des Offizierskorps – und damit effektiv der Armee – und dem der politischen, zum Teil nun auch der militärischen Führung bestand.

Die Übernahme des Reichspräsidentenamtes durch Hindenburg hatte das Verhältnis von bewaffneter Macht und Staat stabilisiert, aber zugleich wieder personalisiert.536 Das Loyalitätsverhältnis bestand weiterhin nicht gegenüber dem Staat, jedenfalls nicht jenem der Weimarer Verfassung, es wurde auch nicht weiter institutionalisiert. Die Bindung der obersten Militärs an das mythische, den Kaiser ersetzende Deutschland und die gleichzeitige Ablehnung der Weimarer Demokratie führten zu einem paradoxen Verhältnis von „mythisiertem“ Stewart und tatsächlichem Agent – ein Paradox, dass in zivil‐militärische Beziehungen mündete, die mit Huntington als „unechte objektive zivile Kontrolle“ beschrieben werden können.

533 Vgl. Carsten: Reichswehr und Politik, S. 282.

534 Vgl. Wohlfeil: Reichswehr und Republik, S. 118f.

535 Carsten: Reichswehr und Politik, S. 276.

536 Vgl. Gordon: Die Reichswehr, S. 308.

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2.2.3 „Machtergreifung“ – Reichswehr und Wehrm acht nach 1930 „Die Reichswehr war der einzige Waffenträger der Nation“537

„Die Spitzen der Reichswehr und der Wehrmacht haben [den] Machtanspruch der [nationalsozialistischen] politischen Führung nie grundsätzlich in Frage geste llt.“538

Die Zeit der Notstandskabinette ohne parlamentarische Mehrheit brachte der Reichswehr unter der faktischen Führung des „politischen Generals“539 von Schleicher einen erheblichen Einfluss auf die Politik. Die Machtlosigkeit des Parlamentes und die alleinige Machtausübung durch die Exekutive ermöglichte es der militärischen Führung, ihre direkte Verbindung zum Reichspräsidenten und dem von ihm eingesetzten Reichskanzler zu nutzen und die Position der Reichswehr auch in innenpolitischen Fragen wirksam zu kommunizieren („Methode Schleicher“540). Das betraf bei weitem nicht nur, aber auch die Haltung zu einem Verbot und gewalttätigem Zerschlagen der NSDAP bzw. die Aufnahme von verfassungsfeindlichen Personen in die Reichswehr.541 Zwischen der Reichswehr und den Nationalsozialisten bestand seit Hitlers „Legalitätseid“ ein „stiller Burgfrieden“542, in dem die NSDAP sich in ihren Angriffen gegen die unpolitische Reichswehr der Republik zurückhielt und gleichzeitig die Reichswehrführung die Regierung zu Zurückhaltung in innenpolitischen Fragen anhielt.543 Parteimitglieder sollten für den Dienst in der Reichswehr und somit für den Staat – nicht explizit die Republik – gewonnen werden. Schleicher behielt seinen großen Einfluss auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst und der Stellung als ziviler

537 Ebd., S. 172.

538 Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 406.

539 Wohlfeil: Reichswehr und Republik, S. 121.

540 Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 397.

541 Vgl. Ebd., S. 129f.

542 Ebd., S. 136.

543 Die Folgen des Legalitätseids für das Verhältnis von Partei und Armee bis zum Ende der Weimarer Republik waren auch innerhalb der NSDAP umstritten. Hitler bevorzugte jedoch diesen Weg, unter anderem, weil er die Reichswehr (noch) nicht zersetzen, sondern wenigstens zu Beginn als Ganzes zu beherrschen trachtete, vgl. Peter Bucher: Der Reichswehrprozess. Der Hochverrat der Ulmer Reichswehroffiziere 1929/30, Boppard am Rhein 1967, S. 141f.

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Minister. Das Verhältnis von Reichswehr zur NSDAP und deren SA war dabei höchst ambivalent: weltanschauliche Nähe vermischte sich mit Sorge um die Stabilität im Gesamtstaat, Ablehnung einer zweiten bewaffneten Macht, aber auch dem Wunsch nach einer ausgebildeten Miliz neben und vor allem unter der Reichswehr.544 In der stürmischen Zeit der Präsidialregierungen Schleicher und Papen war es jedoch die Reichswehrführung, die detaillierte Pläne zur Ausrufung des militärischen Notstandes zur Verhinderung eines Reichskanzler Hitler ausarbeitete – zur Not auch gegen den Widerstand der Bezugsperson an der Spitze des Reiches, Hindenburg. Ein Militärputsch zugunsten des (halb‐)demokratischen Systems der Präsidialregierungen wurde jedoch von Schleicher, noch immer mehr Militär als Politiker, abgelehnt.545 In der Folge stellte sich die Reichswehr nicht mehr gegen eine Kanzlerschaft Hitlers.

Die vier Jahre des bestimmenden Einflusses von Schleichers hatten mit Blick auf die Wehrgeschichte prägende Erfahrungen vermittelt: Anders als in den Krisenjahren zu Beginn der Republik war das Verhältnis von Armee und Staat von einem funktionierenden Pragmatismus gekennzeichnet, verkörpert vor allem durch die zivilen und militärischen Spitzenpersonen. Die Reichswehr stand „neben der Republik, aber doch für den Staat.“546 Gleichzeitig jedoch stellte der zunehmende Erfolg der NSDAP und der anderen nationalen Parteien Republik und Reichswehr vor die Frage nach dem Umgang mit ihnen. Konnte die Reichswehrführung hier, selbst wenn sie gewollt hätte, unpolitisch bleiben? Von Schleicher drückte es kurz nach seiner Amtsübernahme als Chef des Ministeramtes aus: „Wie ich überhaupt die beste Reichswehrpolitik ansehe [sic], dass bei zu starkem Ausschlagen des Regierungspendels nach rechts oder links ganz unmerklich die entgegengesetzte Schulter belastet werden muss.“547 Das Militär sollte als Korrektiv der Staatspolitik dienen.

544 Vgl. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 274.

545 Vgl. Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 387f.

546 Vgl. Ebd., S. 400.

547 General Kurt von Schleicher, zitiert nach: Carsten: Reichswehr und Politik, S. 283.

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Obwohl Adolf Hitler vor seiner Ernennung zum Reichskanzler zusichern musste, die Reichswehr als „unpolitisches Instrument des Reiches“548 zu erhalten, begann schon unmittelbar nach der „Machtergreifung“ die vorsichtige Annäherung der Reichswehr an den Nationalsozialismus.549 Auch wenn das Verhältnis von bewaffneter Macht und Staat bzw. Partei sich erst im Krieg zur vollständigen Unterwerfung und Politisierung der Armee entwickelte, zeigten sich die entscheidenden Grundmuster dieser schwierigen Beziehung bereits vor 1939.550 Klar ist, dass die Reichswehr, im Grunde konservativ und republikfeindlich und lediglich gegen Ende der Republik, und auch nur in Person der Reichswehrführung um General von Schleicher, vorsichtig gegenüber der neuen Staatsform geöffnet, weltanschaulich autoritären Ideen anhing.551 Wenn die Reichswehr die Republik stützte – was nicht immer geschah – so tat sie dies aus Sorge um die Stabilität und Einheit eines mythischen oder des tatsächlichen „Reiches“ und dem Kampf gegen die bolschewistisch‐kommunistische Linke, nicht aus Systemloyalität oder gar Überzeugung. Das Verhältnis von Reichswehr und Staat nach 1933 hatte eine neue Qualität: es ging mehr und mehr um die Beziehungen zwischen der Armee und dem neuen Phänomen des totalitären Staates.552 Ein totalitärer Staat kann auf die Dauer in seinem Innern keine unpolitische bewaffnete Macht erlauben – in einem solchen Staat ist jede Art von Macht per definitionem politisch, und darf es nur sein, genauer: ein totalitärer Staat kennt nur eine Sphäre und erlaubt keine objektive zivile Kontrolle. Der NSDAP war die offiziell unpolitische Haltung der Reichswehr daher schon immer verhasst.553 Je mehr sich Hitler vom Staat emanzipierte,554 desto mehr nahm er auch

548 Müller: Armee und Drittes Reich, S. 31.

549 Vgl. Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band III, S. 45.

550 Vgl. Müller: Armee und Drittes Reich, S. 8.

551 Vgl. Gerhard L. Weinberg: Rollen‐ und Selbstverständnis des Offizierkorps der Wehrmacht im NS‐Staat, in: Rolf‐Dieter Müller/Hans‐Erich Volkmann: Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 66‐ 74, S. 66f.

552 Vgl. Müller: Das Heer und Hitler, S. 13.

553 Vgl. Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 59.

554 Vgl. Peter Diehl‐Thiele: Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchung zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933‐1945, München 1969, S. 21.

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dem Militär die Grundlage für dessen transzendentes Loyalitätsverständnis und band es an sich.

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurde von den Spitzen der Reichswehr überwiegend positiv aufgenommen. Zu den weltanschaulichen Verwandtschaften – insbesondere die nationalkonservativen Parteien im ersten Kabinett Hitlers waren die traditionellen Verbündeten der Weimarer Rechten – kam die von Hitler geschickt und taktisch kluge Bedienung der „unpolitischen“ Staatsloyalität des Offizierskorps. Das Verhältnis von Armee und Partei, also bald von Staat und Partei, war dabei entscheidend. Lange war es Soldaten verboten, sich politisch zu betätigen. Allerdings legte das Reichswehrgesetz 1935 fest, dass die Mitgliedschaft in der NSDAP während der Zugehörigkeit zur Wehrmacht lediglich ruhte555 – eine Parteimitgliedschaft von Soldaten war im totalitären System des „Dritten Reiches“ politisch gewollt und praktisch notwendig. Allerdings gestand Hitler der militärischen Führung schnell zu, sie von Partei und Politik offiziell getrennt zu halten: Die Wehrmacht sollte neben der NSDAP eine der beiden Säulen der Regierung sein – getrennt und sich doch gegenseitig stützend.556 Dazu sollte die Wehrmacht „einziger Waffenträger der Nation“557 bleiben, eine Forderung des Militärs noch aus den Erfahrungen der Freikorps und Parteimilizen von Weimar. Nach außen weiter streng getrennt, ging diese Arbeitsteilung jedoch notwendigerweise mit einer inhaltlichen Öffnung zu den neuen Herrschern einher – die Säulen mussten ja ein gemeinsames Dach tragen.

555 Vgl. § 26 I des Reichswehrgesetzes vom 21. Mai 1935.

556 Vgl. Hans‐Ulrich Thamer: Die Erosion einer Säule. Wehrmacht und NSDAP, in: Rolf‐Dieter Müller/Hans‐ Erich Volkmann: Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 420‐435, S. 420. Das Bild der beiden Säulen steht dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Tradition des preußisch‐deutschen Dualismus von Politik und Militär. Auch wenn bis heute unklar ist, wer dieses Bild mit Blick auf den Nationalsozialismus geprägt hat, so wird durch diese Verwendung doch eindeutig das Offizierkorps und damit die Reichswehr in Sicherheit gewogen – mit der Zeit, und das ist zu zeigen, kam es mehr und mehr zu einer Fusion der beiden Säulen, vgl. Müller: Armee und Drittes Reich, S. 50.

557 Gordon: Die Reichswehr, S. 172.

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Reichswehrminister gab diese Richtung, gewissermaßen in einer Fortführung der Öffnungspolitik von Schleichers, schon früh vor der Generalität aus.558 Der bewaffneten Macht wurde offiziell eine eigene Sphäre zugestanden. Hitler brauchte die Generalität, die ja zum großen Teil mit jener der Weimarer Republik identisch war, zum einen für sein gewaltiges Aufrüstungsprogramm – wobei es nicht schwer war, sie dafür zu gewinnen –, zum anderen für die Stabilität des noch jungen Regimes im Innern, was ein gefühlvolleres Vorgehen erforderte. Dabei kam ihm ein Teil der Reichswehrführung jedoch willig entgegen: Die Vereidigung der Wehrmacht auf Adolf Hitler persönlich, und damit die willentliche und dramatische Unterordnung unter das Schicksal einer Person, wie es seit dem Kaiserreich nicht mehr möglich war, ging unmittelbar nach dem Tode von Hindenburgs von von Blomberg aus – Hitler selber war von dem Schritt überrascht. Auch die Symbole des neuen Regimes, vor allem das Hakenkreuz, wurden schnell und auf Initiative des Militärs hin übernommen, ganz im Gegensatz zu dem Flaggen‐ und Kokardenstreit zwischen Schwarz‐Weiß‐Rot und Schwarz‐Rot‐Gold.559

Die vorsichtige, aber stetige Politisierung nach 1933 steht in scharfem Kontrast zu dem dogmatischen Festhalten an der vermeintlich traditionellen „Nicht‐Politisierung“ des Offizierskorps im Kaiserreich – vermeintlich deswegen, weil die Armee des zweiten Deutschen Reiches auf den Kaiser vereidigt und diesem Kaiser treu ergeben war, und erst nach dessen Abdankung in die Differenzierungsproblematik von Republik und Staat, von System‐ und Staatsloyalität gestürzt wurde. Im Kaiserreich waren das Heer und die Republik in diesem Sinne in hohem Maße politisiert. Mit der Vereidigung auf Hitler am 2. August 1934 wurde diese Systemloyalität und Politisierung wenn nicht endgültig fest‐, so doch neu angelegt. Dennoch war das Verhältnis von Reichswehr und der Partei, und besonders gegenüber der sich rasant entwickelnden SS, nicht spannungsfrei und

558 „Herabsinken zur Parteitruppe – nein, aber: Untermauerung und Stärkung der Wehrmacht durch Wehrhaftmachung des breiten Volkes“, Werner von Blomberg am 3. Februar 1933, zitiert nach: Thamer: Die Erosion einer Säule, S. 421.

559 Vgl. Ebd., S. 422.

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gipfelte, in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“, in gegenseitigen Putschverdächtigungen.560

Offensichtlich wurde die Unmöglichkeit einer neutralen Haltung im NS‐Staat spätestens mit dem so genannten „Röhm‐Putsch“ und den ihm folgenden politischen Morden, unter anderem an den Generalen von Schleicher und von Bredow. Das Regime, das nicht erst versuchte, sich von den Morden zu distanzieren, sondern sich in offenem Rechtsbruch formaljuristisch reinwusch, hatte Repräsentanten der „alten“ Reichswehr getötet, ohne dass sich in der aktuellen Führung Empörung regte. Sicherlich war dies der Abneigung gegen die SA zuzurechnen – das Verhalten der Reichswehrführung kam jedoch einer Zustimmung zum Nationalsozialismus und zu Hitler gleich.561 Das Militär hatte sich moralisch diskreditiert und dem Rechtsverständnis der neuen Herrscher unterworfen.562 In der Folge kam es zu zahlreichen ministeriellen und militärischen Verordnungen und Weisungen, die jede für sich einen kleinen Teil des Verhältnisses von Reichswehr und politischer Führung regelte und somit, insgesamt, die Annäherung von Partei bzw. Staat und Armee fortsetzte.563 Die Komplizenschaft der Reichswehrführung im Röhmputsch findet ihr Äquivalent, auf weitaus größerem Niveau, in der weitgehenden Einbindung von Einheiten der Wehrmacht in die ideologische Kriegführung, insbesondere im Osten. Im Krieg gegen die Sowjetunion, gegen den „Bolschewismus“ und die russischen Untermenschen, entzogen sich große Teile der Wehrmacht und vor allem ihrer Führung der brutalisierten Kriegführung von politischer Führung und parteigebundenen Verbänden nicht – der „Kommissarbefehl“, die massenhaften Morde an der Zivilbevölkerung, ebenso wie die zu oft befolgten sinnlosen Haltebefehle sorgten schließlich dafür, dass die deutsche Armee im Russlandfeldzug zu „Hitlers Wehrmacht“564 wurde. Die Verbindung zum Röhm‐Putsch liegt hier in der

560 Vgl. Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band III, S. 47.

561 Vgl. Megargee: Hitler und die Generäle, S. 34f.

562 Hans‐Erich Volkmann: Vom Blomberg zu Keitel – Die Wehrmachtführung und die Demontage des Rechtsstaates, in: Rolf‐Dieter Müller/Hans‐Erich Volkmann: Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 47‐65, S. 59.

563 Vgl. Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band III, S. 49‐58.

564 Omer Bartov: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges, Reinbek 1995, S. 52. 140

fehlenden Systematik dieser Politisierung von Seiten der Partei und des Staates. Wie 1934 liegt diese Komplizenschaft, diese Unterwerfung unter Menschenbild und Ideologie der nationalsozialistischen Herrschaft ganz wesentlich in der fehlenden Courage und Standhafti gkeit der vormals so „unpolitischen“ Wehrmacht.

Die Fehleinschätzung der Wehrmacht bezüglich der eigenen Position innerhalb des Staates wurde von der massiven Aufrüstung gefördert. Die erhebliche Vergrößerung der Streitkräfte, der Aufbau einer schlagkräftigen Luftwaffe und die damit einhergehenden Beförderungen der Offiziere, die in einem so krassen Gegensatz zum Beförderungsstau von Weimar stand, verliehen und vergrößerten das Gefühl eigener Stärke.565 Dabei war das Ziel dieser Aufrüstung, der Krieg, der obersten militärischen Führung ohnehin klar, aber dieses Ziel war für die Unterstützung der Wehrmacht praktisch irrelevant: „Für die Vorkriegszeit war weniger entscheidend wozu, sondern daß gerüstet wurde.“566 In der Tat, die Wehrmacht als Instrument der politischen Führung wurde größer und effektiver, auch wenn sie zum Kriegsausbruch 1939 noch nicht auf der geplanten Höhe ihrer Leistungsfähigkeit war.567 Gleichzeitig führte diese Aufrüstung zu einer Reduktion der militärischen Sphäre auf operative Fragen. Das Militär dachte Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen der Wehrmacht lediglich operativ, die Verbesserung der Einsatzfähigkeit betreffend. Die strategischen Linien, die Frage also, wozu dieses aufgerüstete Militär eingesetzt werden sollte, und die diesbezüglichen Planungen, wurden jedoch allein von der politischen Führung, wurden von Hitler gemacht.568 Er, nicht das Militär, hatte auch schon vor dem Krieg die „völlige Kontrolle über die Strategie“!569

Wo die Wehrmacht sich vor dem Krieg gegen das nationalsozialistische Regime positionierte, tat sie dies aus Gründen des Standesdenkens und des soldatischen Ehrbewusstseins – und ohne Fundamentalopposition gegen Adolf Hitler. Im Gegenteil:

565 Vgl. Volkmann: Vom Blomberg zu Keitel, S. 47.

566 Ebd., S. 53 (Hervorhebungen im Original).

567 Vgl. Megargee: Hitler und die Generäle, S. 48f.

568 Vgl. Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 415f.

569 Megargee: Hitler und die Generäle, S. XV.

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Die Blomberg‐Fritsch‐Affäre, in der das Militär auf einem militärischen Ehrengericht bestand, das Werner von Fritsch freisprach, brachte Adolf Hitler nach der Entlassung von Blomberg und Fritsch an die Spitze des Oberkommandos der Wehrmacht. Die politische Führung hatte mit diesem Schritt nicht lediglich den ihr ohnehin zustehenden Oberbefehl über das Militär bekräftigt: Die Position Hitlers als Oberbefehlshaber der Wehrmacht war eine genuin militärische Position, die nun, nach der Ausschaltung Blombergs und Fritschs, durch eine zivile, eine politische Person besetzt wurde. Die Wehrmacht wurde im Zuge der Blomberg‐Fritsch‐Affäre „gleichgeschaltet“.570

Deutlicher kann sich die politische Durchdringung des Militärs, die Aufhebung jeglicher bedeutender Trennung von ziviler und militärischer Sphäre nicht ausdrücken. Hitler schuf sich „einen militärischen Stab unmittelbar unter [s]einem Befehl“571, geführt von Wilhelm Keitel im Range eines Reichsministers. Die Vertreter der Teilstreitkräfte trugen unmittelbar bei Hitler vor, was zu häufigen Unklarheiten und Abstimmungsmängeln führte. Bis 1941 blieb diese Spitzengliederung der Wehrmacht – OKW als strategische Planungseinheit und OKH sowie die Oberkommandos von Marine und Luftwaffe als potenzielle operative Hauptquartiere. Hitlers persönliche Führung des OKW hatte zunächst keine große operative Bedeutung – bei dem Überfall auf Polen und dem Feldzug gegen Frankreich sowie die Benelux‐Staaten hielt er sich mit operativen Anweisungen weitgehend zurück und überließ dem OKH die Führung der Operationen. Somit blieb die Aufhebung der Trennung von militärischer und ziviler Sphäre zunächst einmal ohne direkte Auswirkungen auf die operative Realität, ebenso wie auf die Trennung von strategischer und operativer Ebene. Das änderte sich jedoch rasch. Die Beauftragung des OKW mit der Planung der Besetzung Norwegens schuf einen Präzedenzfall, der das Verhältnis von bewaffneter Macht und politischer Führung prägen sollte.572 Den Dualismus zwischen den beiden entscheidenden Hauptquartieren hob Hitler durch einen weiteren Schachzug auf entscheidende Weise auf: Am 19.

570 Wilhelm Deist: Aufrüstung, in: Ders. u.a. (Hrsg.): Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik, Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, Stuttgart 1979, S. 512.

571 „Erlaß über die Führung der Wehrmacht“ vom 4. Februar 1938, http://www.verfassungen.de/de/de33‐45/wehrmacht38.htm (eingesehen am 5. Juli 2011).

572 Vgl. Megargee: Hitler und die Generäle, S. 93.

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Dezember 1941 entließ er von Brauchitsch und übernahm den Oberbefehl über das Heer persönlich. Damit stand er dem OKW und dem OKH vor, führte zunehmend operativ und verwischte jede Trennung von strategischer und operativer Ebene. Mit diesem Schritt erhielt die politische Führung ab dem Ende des Jahres 1941 nun auch praktisch völlige Kontrolle über das Militär im Allgemeinen sowie das Heer, die größte und bedeutendste Streitmacht, im Besonderen. Den Sieg von Partei und SS im innerstaatlichen Machtkampf verdeutlicht dazu die Übernahme von genuinen militärischen Kommandos durch den „Reichsführer SS“, , ab 1944 – der „späte Sieg des politisch‐revolutionären Kriegertums.“573 Hier wird der Kontrast zu Huntingtons professionellem Offizierkorps emblematisch.574 Die institutionell‐ organisatorische Unterordnung und Durchdringung der militärischen durch die politische Sphäre hatte ihren Höhepunkt gefunden und war, praktisch, abgeschlossen.

Diese Konzentration der militärischen Kompetenz direkt bei Hitler machte politische Manöver der Militärführung im Stile General von Schleichers – so sie überhaupt intendiert waren – deutlich schwieriger. Das galt unter anderem für den Chef des Generalstabes des Heeres, Ludwig Beck. Zwar war er ein dezidierter Gegner Hitlers, doch gelang es ihm nicht, diese Gegnerschaft in organisierte Opposition umzusetzen. Sein Nachfolger als Chef des Generalstabes, General Halder, ließ bereits jede Ambition auf eine entschiedene Beeinflussung Hitlers über unmittelbar das Heer betreffende Themen hinaus vermissen.575

Mit der Übernahme des Oberbefehls der Wehrmacht im OKW entschied Hitler auch den Streit über die Form der obersten militärischen Kommandobehörden.576 Allerdings folgte er dabei offensichtlich nicht militärischen Zweckmäßigkeiten wie dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Befehlsgebung (Unity of Command), sondern – und das ist bezeichnend – politischen Überlegungen: Nicht nur war neben die Wehrmacht mit der SS ein weiterer bewaffneter Arm getreten – auch innerhalb der Streitkräfte setzte Hitler

573 Müller: Armee und Drittes Reich, S. 40.

574 Vgl. Huntington: The Soldier and the State, S. 7.

575 Vgl. Müller: Armee, Politik und Gesellschaft, S. 43.

576 Vgl. Megargee: Hitler und die Generäle, S. 28.

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die Politik des „divide et impera“ fort. Er förderte bewusst Rivalitäten innerhalb des Heeres, zwischen den Teilstreitkräften und, später, zwischen den Kriegsschauplätzen, und damit militärische Defizite, um den Primat der Politik, den Primat des Nationalsozialismus und seiner Herrschaft durchzusetzen.577 Die Zersplitterung der militärischen Führung zur Garantie der politischen Kontrolle, wie sie in der jungen Bundeswehr geschah und bis heute weitgehend durchgehalten wird, ist somit mitnichten eine Erfindung der Bundesrepublik oder gar eine Eigenschaft demokratischer Systeme – ganz im Gegenteil.578 Sie ist lediglich eines der wichtigsten Elemente subjektiver ziviler Kontrolle.

Dieser Politisierung von „oben“, also institutionell‐strukturell, entsprach bis zum Beginn des Krieges eine Politisierung von „unten“, also der Streitkräfte. Mit der raschen Aufrüstung stieg der Bedarf an ausgebildeten Offizieren rasant – ein Großteil der neuen Offiziere war jedoch offensichtlich den Nationalsozialisten nahe stehend,579 neben den zurückhaltenderen, aber oftmals keineswegs anti‐nationalsozialistischen Offizieren der Weimarer Zeit. Dabei für die Fragestellung dieser Arbeit interessant ist die Tatsache, dass Hitler das „Wehrpolitische Amt“ der NSDAP im März 1935 auflöste – mit der Begründung, dass die zur Aufrüstung neu eingeführte allgemeine Wehrpflicht diese hinfällig gemacht hätte.580 Die Wehrpflicht ist hier offensichtlich nicht nur ein funktionales Instrument zur personellen Alimentierung der Aufrüstung, sondern auch und vor allem ein ideologisch‐politisches Instrument zur Politisierung des Militärs, zur Spiegelung der Gesellschaft innerhalb der Streitkräfte, eben der Zivilisierung – Erziehung von nationalsozialistischen Stewards! – des Militärs nach Huntington. Sie diente wieder einmal als Brücke über „die strukturelle und habituelle Differenz

577 Keitel drückte sich interessanterweise folgendermaßen aus: „Die heutige [1938] Organisation der Wehrmachtführung ist m.E. die beste und folgerichtigste, die man für einen autoritären Staat finden kann.“ Zitiert nach: Ebd., S. 59.

578 Vgl. für andere totalitäre Systeme Rudolf Ströbinger: Stalin enthauptet die Rote Armee: Der Fall Tuchatschewskij, Stuttgart 1990.

579 Vgl. Megargee: Hitler und die Generäle, S. 39.

580 Vgl. Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band III, S. 47.

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zwischen Militär und Zivil [und] verwischte die Grenzen.“581 Die Wehrmacht sollte zur Schule der Nation werden, das Ziel dieser Schule der kämpfende Soldat und „der seines Volkstums und seiner allgemeinen Staatspflichten bewußte Mann.“582 Insbesondere die zu erwartenden Jahrgänge nach Etablierung der nationalsozialistischen Herrschaft sollten, vorgebildet und indoktriniert durch Schule, Hitlerjugend und Arbeitsdienst, den nationalsozialistischen Geist über die Wehrpflicht in die Armee hineintragen. Wie die Weimarer Regierungen misstraute Hitler dem Steward‐Ethos des Militärs und entschied sich für eine zivile Kontrolle getreu dem Agency‐Paradigma, für eine subjektive zivile Kontrolle in Reinform. Die Ironie liegt in der bedingungslosen Unterwerfung der Wehrmacht unter das totalitäre Regime – abseits von totalitärer Logik hätte Hitler keinen unmittelbaren Grund gehabt, an der Loyalität der Wehrmachtselite zu zweifeln, sie erwies sich größtenteils als willige Gefolgschaft.

Auch an der Spitze des Militärs, vor allem des Heeres, wurde bei jeder Neubesetzung nun auf nationalsozialistische Gesinnung geachtet. So forderte Hitler vom Kandidaten für den Oberbefehl über das Heer, General von Brauchitsch, er möge „das Heer enger an den Staat und sein Gedankengut heranführen“583, was Brauchitsch nach seinem Amtsantritt auch tat. Die Einführung nationalsozialistischer Führungsoffiziere – „politischer Offiziere“ im Wortsinne, von der Sowjetunion übernommen – innerhalb der Wehrmacht, des „Nationalsozialistischen Führungsstabes“ im OKW und später auch im OKH waren das letzte und vollständige Zeichen dieser Politisierung;584 der Eintritt des damaligen Oberbefehlshabers (und anfänglichen Hitler‐Verächters)585 des Heeres,

581 Ute Frevert: Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001, S. 11.

582 Reichswehrminister Werner von Blomberg: Erlass über die Erziehung in der Wehrmacht vom 16. April 1935, zitiert nach: Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band III, S. 48.

583 Adolf Hitler am 28. Januar 1938, zitiert nach: Megargee: Hitler und die Generäle, S. 52.

584 Vgl. Ebd., S. 253.

585 Vgl. Ebd., S. 26.

145

Fritsch, in die NSDAP im Januar 1937, war das frühere und zunächst deutlichste.586 Die Stoßrichtung dieser Politisierung der Armee war eindeutig.587

Es ist bezeichnend für diese Untersuchung, dass Wilhelm Keitel am 2. März 1942 den „totalen Krieg“ als Argument für eine vollständige Politisierung der Wehrmacht anführte: „Der totale Krieg verlangt eine weit engere Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und Partei; volles Vertrauen und gegenseitiger Gedankenaustausch sind notwendig.“588 Der totale Krieg, hier, anders als 1916, als ideologischer Krieg, bestimmte wieder das Verhältnis von Politik und Militär.589 Anders als unter Ludendorff war das Ergebnis jedoch nicht eine Dominanz des Militärischen über alle Aspekte des Politischen, sondern genau umgekehrt – eine völlige Dominanz des Politischen, des Ideologischen, sowohl gegenüber der Wehrmacht als auch innerhalb der Streitkräfte. Die gleiche Begründung, eine vergleichbare Ausgangsvoraussetzung wie unter der 3. Obersten Heeresleitung, führte 25 Jahre später zu einer völligen Umkehr der Verhältnisse. Innerhalb der operativen Sphäre entwickelte sich die Wehrmacht zu hoher Leistungsfähigkeit. Sowohl die Führer der alten Reichswehr als auch neue, nationalsozialistischen Stewards gleichkommende Generationen der Wehrmacht dienten bis zuletzt effektiv Staat und System. Die Angst vor einer erneuten Niederlage, einem erneuten November 1918 spielte dabei in der gesamten Wehrmacht eine große Rolle. Kritik an Hitlers Kriegsführung entzündete sich oftmals lediglich an dessen Hineinregieren in die operative Sphäre und seiner Überhöhung von politisch‐ strategischen Zielen gegenüber operativen Notwendigkeiten.590 Die Unterscheidung von

586 Vgl. Volkmann: Von Blomberg zu Keitel, S. 60.

587 Interessanter‐ und konsequenterweise lautete ein Vorwurf Hitlers im Streit mit dem OKH während des Krieges, das Heer wäre durch Generalstabschef Halder „parlamentarisiert“, also im entgegengesetzten Sinne politisiert worden, vgl. Megargee: Hitler und die Generäle, S. 208.

588 Wilhelm Keitel, zitiert nach: Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band VI: 19. Dezember 1941 bis 9. Mai 1945, Boppard am Rhein 1995, S. 505.

589 So Wilhelm Keitel: Der totale Krieg verlangt eine weit engere Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und Partei; volles Vertrauen und gegenseitiger Gedankenaustausch sind notwendig.“, zitiert nach: Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band VI, S. 505.

590 Vgl. z.B. Erich von Manstein: Verlorene Siege. Erinnerungen 1939‐1944, 12. Auflage, Bonn 1991, S. 604, S. 618.

146

Stewards und Agents hatte für das Regime nach innen eine große Bedeutung – im Krieg hatte es jedoch keine entscheidenden Auswirkungen.

2.2.4 Zusammenfassung: historische Paradoxie, uneinheitliche Lehren „In Preußen und im deutschen Kaiserreich war die Strategie, das heißt der Gebrauch der bewaffneten Macht […] eine Domäne des Militärs.“591

„Im „Dritten Reich“ wurde das preußisch­deutsche Offizierkorps erstmals in seiner Geschichte zu einem reinen staatlichen Exekutivorgan der politischen Führung.“592

Die vorangegangenen Ausführungen untersuchten die Zeit zwischen 1916 und 1945 unter der Leitfrage der beherrschenden Prinzipien zivil‐militärischer Beziehungen in Deutschland unter dem Prisma Huntingtons. Dahinter stand die Annahme, dass der betrachtete Zeitraum eine formative Phase für die heutigen zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik darstellt. In den wenigen Jahren zwischen der Übernahme der OHL durch Hindenburg und Ludendorff sowie dem Ende des nationalsozialistischen Regimes in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges bewegte sich das Pendel der Beziehungen zwischen bewaffneter Macht und politischer Staatsgewalt nahezu vollständig zwischen den beiden von Huntington definierten extremen Polen.

Praktisch mit Beginn des ersten Weltkrieges trat der Kaiser effektiv in den Hintergrund. Schon unter Moltke d.J. und Falkenhayn hielt er sich streng aus dem operativen Kriegsgeschehen heraus. Der Kaiser unterließ es zudem, jedweden strategischen Einfluss auf die deutsche Außen‐ und Kriegspolitik zu nehmen. Hierhin stand er, mit Ausnahme der Regierungszeit des Fürsten Bismarcks, in preußisch‐deutscher Tradition nach 1871. In Preußen machte das Militär die militärische Strategie. Mit der Berufung Hindenburgs und Ludendorffs an die Spitze der OHL, und unter den Vorzeichen der dramatischen Industrialisierung des Krieges, verschärfte sich die Machtdiskrepanz zusehends. Die OHL war effektiv das militärische wie politische Machtzentrum des Reiches, in allen Fragen, die sie für wichtig erachtete. Das Militär machte Politik, zivile Kontrolle war nicht existent.

591 Deist: Militär, Staat und Gesellschaft, S. 385.

592 Müller: Armee und Drittes Reich, S. 40.

147

Mit der Abdankung des Kaisers begann die aus zivil‐militärischer Perspektive extrem volatile und unsichere Zeit von Weimar. Die Reichswehr stellte sich hinter den jungen Staat, um dem Bolschewismus entgegen zu treten und die Stabilität im Reich zu erhalten. Dieses Zweckbündnis bewährte sich gegen die Feinde von links, versagte jedoch weitgehend gegen jene von rechts. Dennoch stabilisierte sich die Beziehung von Reichswehr und Republik in den Jahren nach dem Kapp‐Lüttwitz‐Ludendorff‐Putsch von 1920. Die Reichswehr verfestigte sich unter Ablehnung jeglicher Politisierung der Truppe in ihrer eigenen Sphäre, während ihre Spitzen nicht zögerten, in der Politik das Wort zu ergreifen. Unter dem Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt, und den vom Militär respektierten Politikern Ebert und Noske wuchs das gegenseitige Vertrauen jedoch innerhalb fester Grenzen so weit, dass dem General zutraute, in den Wirren von 1923 diktatorische Vollmachten zu erhalten, ohne diese gegen den Staat zu nutzen – ein Vertrauen, das von Seeckt rechtfertigte. Nie war jedoch ein General mächtiger als von Seeckt im Jahr 1923, und nicht wenige Militärs hofften, der General möge diese Macht gegen die ungeliebte Republik nutzen. Überhaupt trat in Weimar ein Gespenst auf, dass es so in der preußisch‐deutschen Geschichte zuvor – und nach 1933 – nicht gegeben hatte: die reale Möglichkeit eines Putsches des Militärs gegen die bestehende politische Ordnung. Rechnet man die am Putschversuch von 1920 beteiligten Truppen zur Reichswehr, hatte es trotz der wohlwollenden Passivität der Reichswehrspitze sogar einen solchen gegeben. Vergleichbare Pläne gab es in der militärischen Führung gegen Ende Weimars, diesmal jedoch, um die Machtergreifung der Nationalsozialisten zu verhindern. Weimar war die Zeit des Nebeneinanders von Politik und Militär, das – unter ständigen Schwankungen – die Republik zum Wohle des Staates schützte und das Reich zusammenhielt. Das Potenzial zur Dominanz des Militärischen war jedoch ständig vorhanden.

Unter dem Prisma der Theorie Huntingtons wird ein Paradox deutlich: Zwar war die militärische Führung der Reichswehr peinlich darauf bedacht, die Masse der Truppe in Abgrenzung vom Parteienstaat Weimars unpolitisch in eine eigene Sphäre zurückzuziehen. Dennoch entstand kein gesundes Verhältnis der zivilen und militärischen Sphäre in objektiver ziviler Kontrolle, wie es dieser Absicht eigentlich hätte entspringen müssen. Die Bindung der Reichswehr unter Seeckt an ein ideal gedachtes Deutschland, an ein utopisches Reich anstelle der Republik verhinderte bewusst eine Systemloyalität zum Weimarer Parlamentarismus. Die Stabilität der Beziehungen von Armee und Staat beruhte im Wesentlichen auf persönlichen Beziehungen, politischen Zwängen sowie der Loyalität gegenüber einem utopisch 148

gedachten Deutschen Reich jenseits der Demokratie.593 Es scheint dieses Stewardship‐ Ethos gegenüber einem übersystemischen, mythischen Deutschland gewesen zu sein, die zwar die Reichswehr an einem Militärputsch hinderte, jedoch gleichzeitig die Ausprägung von objektiver ziviler Kontrolle verhinderte. Diese Kontrolle bedarf zwar einer Trennung der Sphären und eines unpolitischen Militärs im Sinne der Tages‐ und Parteienpolitik. Gleichzeitig ist eine Systemloyalität jedoch unersetzbar – beide getrennten Sphären müssen notwendig manifest sein, dürfen nicht im Mythischen liegen!

Das Freiwilligenheer von Weimar war – wie zu Recht oftmals dargelegt wurde – eine abgetrennte Sphäre vom Rest der Gesellschaft, dabei jedoch keineswegs unpolitisch: Herkunft und politische Einstellung der lang dienenden Soldaten – und das betraf ja ebenfalls die Mannschaftsdienstgrade – waren dezidiert national und konservativ, nicht demokratisch. Die ostentative Entpolitisierung von Weimar war somit nur in einem gewissen Sinne unpolitisch: Die mit der Abdankung des Kaisers einsetzende Bindung an ein utopisches Deutschland führte zu einem selbst gewählten Recht der Reichswehrführung, zum Wohle dieses Deutschlands gegenüber der demokratischen Republik als eigenständiger Akteur aufzutreten. Dieser Dualismus der Bezugsebenen systemischer Loyalität, mit deutlichem Übergewicht auf der utopischen Vision, machte den Wechsel in das „Dritte Reich“ der Nationalsozialisten sehr einfach – Systemwechsel waren somit möglich, ohne dass die Reichswehr illoyal werden musste. Auf den ersten Blick, und nach formalen Kriterien, ein Paradebeispiel für die objektive zivile Kontrolle nach Huntington, lässt sich diese Epoche aufgrund der Politisierung der Reichswehrspitze und der Orientierung hin auf das mythische Deutschland als „unechte objektive Kontrolle“ bewerten.

Mit der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers trat das Verhältnis des Staates zur bewaffneten Macht in eine neue Phase. Die massive Aufrüstung Deutschlands stärkte die Armee und führte zu einer temporären Interessenkongruenz zwischen politischer und militärischer Führung: Die Abkehr von Weimar und Versailles war populär, die Aufrüstung schuf neue Laufbahnmöglichkeiten, und auch wenn die Nationalsozialisten nicht unmittelbar die ideologische Linie des Offizierskorps vertraten, so standen sie ihm doch näher als die Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP. Aber auch als die Wehrmacht militärisch mächtiger wurde, nahm ihr Einfluss im Staat rapide ab: Die Morde an von

593 Vgl. Ebd., S. 22.

149

Schleicher und von Bredow richteten sich gegen die nach Weimar neigende, politische Reichswehrführung. Der Status der Wehrmacht als einziger Waffenträger im Reich wurde durch die SA, vor allem jedoch die SS und deren militärischen Arm bald eingeschränkt. Auch Personen an der Spitze der Wehrmacht, die versuchten, den Krieg zu verhindern, hatten weder die Macht noch letztlich den Willen, Hitler entschieden entgegenzutreten.

Während des Krieges nahm dieser Einfluss formell und informell noch weiter ab. Spätestens nachdem Adolf Hitler 1938 den Oberbefehl über die Wehrmacht und 1941 sogar den Oberbefehl über das Heer selbst übernommen hatte, war die formelle Trennung in politische und militärische Sphäre hinfällig. Auch informell hatte es die Wehrmacht bis dato nicht geschafft, strategische Fragen entscheidend zu beeinflussen. Ihre Führung konzentrierte sich, wie auch während der Aufrüstung, auf rein operative Fragen. Ihr Einfluss entfaltete sich in diesem Bereich – die politisch‐strategische Linie in der Innen‐ wie in der Außen‐ bzw. Kriegspolitik wurde allein von der politischen Führung vorgegeben.

Klaus‐Jürgen Müller stellte mit Recht fest, dass die neue Führung der Wehrmacht nach 1934/35 ohne große Gegenwehr jeden politischen und strategischen Einfluss auf die Außenpolitik des Staates aufgegeben hatte. Sie forderte nicht mehr, wie einst von Seeckt, die Teilhabe an der Macht. Die Generale „beschränkten sich völlig auf den militärisch‐ professionellen Bereich“594 unter der Führung Adolf Hitlers. Diese Selbstbeschränkung im Sinne der objektiven Kontrolle Huntingtons wurde vom totalitären Staat jedoch nicht belohnt. Partei, Staat und mit ihnen Politik und Ideologie drängten in die Wehrmacht und wurden dort oftmals offen empfangen. Die institutionell‐organisatorische Unterordnung der Wehrmacht unter Adolf Hitler begann mit der von Blomberg angeordneten Vereidigung am 2. August 1934 und endete 1941 mit der Übernahme des Oberbefehls über das Heer durch Hitler persönlich. Hitler gestand der Wehrmacht ihren professionellen Bereich nicht zu, zum einen, weil er sich für ein militärisches Genie hielt, zum anderen, weil er der Wehrmacht nicht traute. Seine Stellung als unmittelbarer militärischer Vorgesetzter von Wehrmacht und Heer brach den militärisch‐ professionellen Bereich gezielt auf.

Gleichzeitig drängte der nationalsozialistische Staat auf eine ideologische Durchdringung der Armee. Wo dies nötig war, wurden mit der Zeit Offiziere

594 Ebd., S. 37.

150

ausgetauscht bzw. bei der Beförderung weiterer Soldaten auf deren ideologische Verlässlichkeit geachtet. Über die neu eingeführte Wehrpflicht sollten nationalsozialistisch erzogene Jahrgänge die Wehrmacht von Grund auf verändern und den neuen Volkskörper, die Gesellschaft spiegeln. Die Wehrpflicht hatte somit zugleich eine funktional‐militärische Begründung zur personellen Alimentierung der Aufrüstung und eine ideell‐politische zur Politisierung des Militärs. Die Durchdringung der Wehrmacht durch die Partei war bereits vor der Einführung der nationalsozialistischen Führungsoffiziere nach dem Scheitern vor Moskau erheblich. Die Schaffung von politischen Offizieren zeigte schon in der Bezeichnung den entscheidenden, endgültigen Schrit t zur subjektiv e n Kon t rolle , zur Zivilisierung des Militärs nach Huntington.

Die, wie gezeigt, stark von subjektiver Kontrolle geprägten zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland werden also von einem Mythos der Eindeutigkeit der historischen Lehren geprägt. Diese Analyse hat jedoch aufgezeigt, dass diese Lehren paradox und höchst uneinheitlich sind. Unter dem Prisma der Theorie Huntingtons wird deutlich, dass das Pendel der zivil‐militärischen Beziehungen in der formativen Phase zwischen den extremen Polen der Suprematie des Militärs und des Zivil‐Politischen pendelte. Dazwischen lag eine Phase der „unechten objektiven Kontrolle“ bzw. des Nebeneinanders von Militär und Politik. Deutlich wird auch: Außer in den letzten beiden Kriegsjahren des ersten Weltkrieges hat nie das Militär nie politische Strategie im Sinne dieses Papers gemacht. Lediglich militärstrategisch im engeren Sinne sowie operativ behielt sich das Militär lange eine gewisse Autonomie, die jedoch auch völlig fallen sollte.

Zusammenfassend lässt sich somit die Entwicklung von 1916 bis 1945 unten den genannten Voraussetzungen folgendermaßen darstellen:

151

1916­1918 1918­1930 1930­1945

Zivilisierung/ Professionalisierung Professionalisierung Zivilisierung

Professionalisierung des Militärs

Politisierung Starke Politisierung in der Starke Politisierung der militärischen Starke Politisierung der Truppe OHL, geringe in der Truppe Führung, betonte Entpolitisierung der und, mit Verzögerung, auch der des Militärs Truppe militärischen Führung

Einheitlichkeit der Uneinheitlich – Kaiser quasi‐ Uneinheitlich, Oberbefehl beim Einheitlich – Zusammenführung zivilen Militär und ohne Einfluss, Reichskanzler, tägliche Führung durch in der Person Adolf Hitlers Kontrollinstanzen ebenso wie Reichskanzler und Reichswehrminister Reichstag

Einheitlichkeit der Einheitliche Führung unter der Einheitliche Führung unter dem Chef der Völlig uneinheitlich, militärischen Führung OHL Heeresleitung Zersplitterung nach Teilstreitkräften, Kriegsschauplatz, Wehrmacht/SS

Rollenverständnis Agency, vor allem unter dem Agency gegenüber der Republik, Steward Zum großen Teil Agency; mit Zwang des industrialisierten gegenüber dem mythischen „Deutschland“, Einführung der Wehrpflicht und Krieges Mischform Ideologisierung der Wehrmacht Zunahme des Stewardship

Zivil­militärische Völlige Dominanz des Nominelle und persönliche Völlige Dominanz des Zivilen; Beziehungen Militärs, keinerlei zivile Unterordnung und Trennung der subjektive zivile Kontrolle in Kontrolle Sphären, jedoch Verschreibung an das Reinform unparteiliche, mythische Deutschland, „unechte objektive Kontrolle“

Tabelle 4 Zivil‐Militärische Beziehungen in Deutschland, 1916‐1945 Ohne auf die Entwicklung vor 1933 einzugehen, und ohne eine fundierte Untersuchung vom Blickpunkt der zivil‐militärischen Beziehungen her, hat Klaus‐Jürgen Müller dieses Phänomen folgendermaßen beschrieben:

„Auf den ersten Blick mag es als geschichtliches Paradox erscheinen, dass gerade der „Führer“ eines totalitären Regimes diesen Wandel zu einem, auch liberal‐ demokratischen Verfassungsdenken entsprechenden Verhältnis dieser beiden Größen erzwang. Indessen konnte von einer verfassungsmäßigen „Normalität“, die nun erreicht worden sei, ganz und gar nicht die Rede sein; vielmehr handelte es sich um die „Gleichschaltung“, um die totalitäre Überwältigung, der die traditionelle Militär‐Elite bei ihrer Kooperation und Kollaboration mit dem Führer der nationalsozialistischen Massenbewegung unterlag.“595

Das ist in der Beobachtung korrekt, in der Wertung vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen jedoch entscheidend zu vereinfachend: Die Politisierung der Streitkräfte, die subjektive zivile Kontrolle, wie sie im „Dritten Reich“ nahezu vollendet wurde, entspricht nicht unbedingt und schon gar nicht ausschließlich demokratischem Verfassungsdenken. Die Wahl einer extrem subjektiven zivilen Kontrolle als Grundlage der zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik war und ist damit keinesfalls zwangsläufig. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Beziehungen einen Prozess der Veränderung – der „Objektivierung“ – durchlaufen könnten, ohne dass die Bundesrepublik weniger demokratisch wird.

Dabei spielt das Rollenverständnis des Militärs eine große, aber keineswegs eindeutige Rolle. Je nachdem, ob sich die Spitzen des Militärs bzw. das Offizierskorps als Stewards oder als Agents verhalten, ist eine andere Form der zivilen Kontrolle nach Huntington angebracht. Die subjektive zivile Kontrolle dient der Kontrolle des Agents; die objektive zivile Kontrolle vertraut auf die Systemloyalität des Stewards. Mischformen des Rollenverständnisses erschweren die Wahl eines adäquaten Kontrollsystems. Das Regime Adolf Hitlers wählte aufgrund totalitärer Logik die subjektive zivile Kontrolle in Reinform, obwohl das Offizierskorps sich auch dem neuen Staat gegenüber in der überwältigenden Mehrheit als Steward verhielt, und verminderte somit die militärische Effektivität der Wehrmacht. Die junge Bundesrepublik übernahm einen großen Teil der zivil‐militärischen Beziehungen des Dritten Reiches, aus Misstrauen gegenüber den Agents der neuen Bundeswehr. Was damals verständlich war, muss heute nicht mehr

595 Ebd., S. 41.

153

adäquat sein. Sollte sich das Offizierskorps der Bundeswehr, und vor allem ihre exponierten Vertreter, eindeutig als Stewards der demokratischen Bundesrepublik verstehen, könnte es an der Zeit sein, sich neuen, nach Huntington „objektiveren“ zivil‐ militärischen Beziehungen zu öffnen, um die Bundesrepublik strategiefähiger zu machen.

154

3. Deutsche Vernetzte Sicherheit in Afghanistan

3.1 Grundlagen Was sind die zentralen Problemfelder der ressortgemeinsamen Kooperation in der Umsetzung Vernetzter Sicherheit? Und warum treten diese Probleme ausgerechnet in der Umsetzung einer zivil‐militärischen Strategie auf? Die vorhergehende Analyse der zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik, geprägt von hoch institutionalisierter subjektiver ziviler Kontrolle und einer einseitigen historischen Wahrnehmung, bildet den Hintergrund der empirischen Analyse. Jetzt soll analysiert werden, inwiefern die Zusammenarbeit der Ressorts und die Strategiefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland in Strukturen und Prozessen hiervon beeinträchtigt werden. Hierbei sind die zivil‐militärischen Beziehungen selbstverständlich nur ein wichtiger Einflussfaktor – nichtsdestotrotz ein entscheidender.

Dazu wird im Folgenden zunächst die rechtliche und konzeptionelle Grundlage des deutschen Engagements dargestellt. Danach wird die formale Struktur der Kooperation auf strategischer Ebene und auf operativer Ebene dargestellt, woraufhin Defizitfelder aufgezeigt und analysiert werden. Dafür ist hier die strategische Ebene als jene definiert, die sich in der Bundesrepublik befindet. Die operative Ebene ist jene innerhalb Afghanistans.596

3.1.1 Nationale rechtliche und konzeptionelle Grundlagen Grundlage des deutschen militärischen Engagements in Afghanistan auf nationaler Ebene sind die Mandate des Bundestages zur Begründung und Fortsetzung des deutschen Beitrags zu ISAF.597 Juristisch sind die Mandate, zumeist auf ein Jahr begrenzt, die konstitutive Zustimmung des Bundestages zum Einsatz der Bundeswehr,

596 Damit entspricht diese Definition nicht ganz der gebräuchlichen militärischen Definition von strategischer, operativer und taktischer Ebene. Die Gesprächspartner wurden auf die geltende Arbeitsdefinition aufmerksam gemacht.

597 Dies sind seit 2001 die Bundestagsdrucksachen 14/7930 (2001), 14/9246 (2002), 15/128 (2002), 15/1700 (2003), 15/3710 (2004), 15/5996 (2005), 16/2573 (2006), 16/4298 (2007), 16/6460 (2007), 16/10473 (2008), 17/39 (2009), 17/654 (2010) sowie 17/4402 (2011).

155

wie im „Out‐of‐Area“‐Urteil von 1994 verlangt und im Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 24. März 2005 einfachgesetzlich gefordert.598

Für die Jahre von 2001 bis 2008 war aus deutscher Sicht der Dualismus zwischen der ISAF‐Mission auf der einen und der Operation Enduring Freedom (OEF) auf der anderen Seite von Bedeutung. Beide Operationen wurden und werden vom Bundestag getrennt behandelt und mandatiert. Während die ISAF‐Mission aus Sicht der Bundesregierung einen Stabilisierungseinsatz darstellte und auf einer Resolution des UN‐Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen basierte, war die völkerrechtliche Legitimation des OEF‐Einsatzes aus Sicht der Bundesregierung mit dem kollektiven Selbstverteidigungsrecht des Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 5 des Nordatlantikvertrages gegeben.599 Auftrag des deutschen Beitrags zu OEF in Afghanistan, bis zu 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK), sollte konsequenterweise die „aktive Bekämpfung terroristischer Kräfte in Afghanistan“600 sein. OEF war eine rein militärische Mission. Deutsche KSK‐Soldaten kämpften in den Jahren 2001 bis 2003 vor allem im pakistanischen Grenzgebiet gegen Kämpfer der Taliban und al‐Qaidas.601 In den folgenden Jahren wurden sie jedoch nicht mehr unter OEF‐Mandat eingesetzt. Die Dichotomie der beiden Missionen stellt dabei eine europäische, vor allem jedoch deutsche „Spezialität“ dar: insbesondere von Seiten der USA bestand jahrelang faktisch keine Trennung von ISAF und OEF,602 inzwischen

598 Vgl. § 3 Absatz 3 des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) vom 18. März 2005.

599 Die Legitimation des OEF‐Einsatzes in Afghanistan durch Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist umstritten; zumindest wurde der Einsatz nie unmittelbar und explizit durch eine eigene Resolution legitimiert. Das Bundestagsmandat zur OEF behandelte ebenfalls den Marineeinsatz vor dem Horn von Afrika sowie die Verlegung von ABC‐Abwehrkräften nach Kuwait im Vorfeld des Irakkrieges 2003.

600 Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 7. November 2007, Drucksache 16/6939, S. 2.

601 Vgl. Timo Noetzel/Benjamin Schreer: Spezialkräfte der Bundeswehr. Strukturerfordernisse für den Auslandseinsatz, Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik 26, Berlin 2007, S. 14f.

602 Vgl. „Die Trennung zwischen OEF und ISAF ist nur für die Europäer da“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. November 2010. Eine eingängigere, aber selten diskutierte Erklärung für die Trennung 156

sind beide Missionen auch offiziell zum überwiegenden Teil vereint und unter dem gemeinsamen Kommando des ISAF‐Kommandeurs (COM ISAF). Lediglich ein kleiner Teil der amerikanischen Spezialkräfte bleibt unter unmittelbarer Führung aus den USA.603 Im November 2008 wurde das OEF‐Mandat für Afghanistan nicht mehr verlängert. Im Rahmen der ISAF‐Mission sind KSK‐Kräfte jedoch weiterhin im Einsatz.

Gemäß dem Bundestagsmandat vom Februar 2010 hat die Bundeswehr insbesondere folgende Aufträge:

- „Unterstützung der Regierung von Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit, auch und besonders zum Schutz der Bevölkerung; - Unterstützung bei der Reform des Sicherheitssektors, insbesondere Unterstützung für den Aufbau funktionsfähiger afghanischer Sicherheitskräfte […] durch Ausbildung, Mentoring, Ausrüstungsunterstützung und Partnering; - Sicherung des Arbeitsumfeldes des Personals, das zur weiteren Unterstützung der Stabilisierung und des Wiederaufbaus und zur Vollendung des Übergangsprozesses von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, den Vereinten Nationen und internationalen Hilfsorganisationen eingesetzt wird“604

Diese Aufträge sind für die Bundeswehr mit Beschluss des Bundestages verbindlich und verpflichten das BMVg als Ressort.605 Die zivilen Afghanistanressorts werden im ISAF‐ Mandat zumeist nicht ausdrücklich erwähnt. Das zitierte Mandat erwähnt lediglich die geplante Verdoppelung des (finanziellen) zivilen Engagements sowie die angestrebte Erhöhung der Zahl ziviler Experten. Das zivile Engagement soll in die Fläche ausgeweitet von OEF und ISAF, insbesondere für die KSK‐Soldaten, sind die unterschiedlichen Regeln für die Behandlung von Gefangenen der Taliban oder der al‐Qaida. Hier unterliegt die NATO‐geführte ISAF deutlich strengeren Regeln als die geheimen amerikanisch‐britischen Spezialkräfte der heutigen OEF.

603 Die Führung liegt beim Joint Special Operations Command (JSOC) und betrifft größtenteils Einsätze der so genannten Delta Force (Joint Special Operations Detachement – Delta) der US Army sowie des Seal Teams Six (Naval Special Warfare Development Group) der US Navy.

604 Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 9. Februar 2010, Drucksache 17/654, S. 2.

605 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [1].

157

und auf den Schwerpunkt Nordafghanistan konzentriert werden.606 Lediglich in einem Bundestagsmandat seit Beginn des deutschen Beitrags zu ISAF und dem internationalen Afghanistan‐Engagement aus dem Jahr 2009 werden die zivilen Ministerien innerhalb des allgemeinen Mandatsteils erwähnt und konkrete Projekte und Zielvorstellungen des BMZ und des AA genannt.607 Diese Detailliertheit – und Überprüfbarkeit – wurde in der Folge wieder aufgegeben. Ein weiteres Beispiel für ein an das Mandat angegliedertes und somit vom Bundestag verabschiedetes Konzept ist der Bericht zu einem deutschen Beitrag zur Drogenbekämpfung in Afghanistan. Dieser Bericht stellt nach einer Analyse der Ausgangssituation konkrete Schritte und Aufgaben insbesondere des BMZ, aber auch der anderen zivilen Ministerien und des BMVg dar.608

Die Mandate weisen den zivilen Ministerien keine Aufgaben zu und machen – mit Ausnahme der Verdoppelung der finanziellen Mittel – keine qualitativen oder quantitativen Vorgaben. Für das BMVg sind die Vorgaben in den meisten Mandaten zwar nicht so detailliert wie in jenem vom Februar 2010; dennoch werden, gemäß den Vorgaben des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, der grundlegende Auftrag der Bundeswehr sowie die wichtigsten Rahmenbedingungen durchgehend und verbindlich festgelegt.609 Die zivilen Ministerien werden durch das Mandat des Bundestags nicht rechtlich zu bestimmten Leistungen verpflichtet.610 Gleichzeitig stellt das ISAF‐ Bundestagsmandat aus Sicht vieler ziviler Akteure vor Ort die bedeutendste konzeptionelle Grundlage ihrer Tätigkeit dar. Somit fehlt bereits auf der Ebene des

606 Vgl. Antrag der Bundesregierung 17/654, S. 5.

607 Vgl. Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 18. November 2009, Drucksache 17/39, S. 4.

608 Vgl. Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004 und 1623 (2005) vom 13. September 2005 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 21. September 2005, Drucksache 15/5996, S. 7‐13.

609 Vgl. § 3 Absatz II Parlamentsbeteiligungsgesetz.

610 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [1]; Interview mit einem Vertreter der EZ [14].

158

Bundestagsmandates für den Einsatz ein verbindlicher, ressortübergreifender Rahmen für das zivil‐militärische Engagement in Afghanistan.

3.1.2 Das PRT­Konz ept der Bundesregierung Mit der Übernahme des britischen PRT im nordafghanischen Kunduz in der gleichnamigen Provinz übernahm die Bundesrepublik Deutschland 2003 in Afghanistan gestalterische Verantwortung. Zuvor waren die Bundeswehr‐Soldaten nur im Umkreis der Hauptstadt Kabul eingesetzt. 2005 wurde zudem das PRT in Faizabad, bis dahin eine Art „Außenstelle“ des PRT Kunduz, selbstständig.611 Im Februar 2008 wurde das ebenfalls zivil‐militärische „Provincial Advisory Team“ (PAT) als Außenstelle des PRT Kunduz in Taloqan eröffnet.612

Das PRT‐Konzept – die Erweiterung der internationalen Einsätze über Kabul hinaus mit der Einrichtung von über das ganze Land verteilten Wiederaufbauteams – ist ursprünglich in den USA und Großbritannien entstanden.613 Eine militärische Präsenz sollte mit einer gewissen zivilen Präsenz kombiniert werden, um den Einfluss der afghanischen Regierung auch in entlegene Provinzen auszuweiten. Eine allgemeingültige Definition der Struktur eines PRT, sei es im Rahmen der NATO oder von ISAF, gibt es jedoch nicht. PRT der verschiedenen Nationen, unter anderem Schwedens, Spaniens, der USA, Großbritanniens, der Türkei und Polens, unterscheiden sich in Größe, Struktur, Auftrag, Mittelausstattung, Ausrüstung und operativem Vorgehen erheblich.614 Innerhalb des amerikanischen Engagements stellen die PRT eher einen Nebenaspekt dar. Sie sind relativ klein, umfassen zumeist eine militärische Schutzkomponente der Nationalgarde bzw. der Armee‐Reserve und werden von im Dienstgrad relativ niedrigen

611 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

612 Vgl. Noetzel/Zapfe: Aufstandsbekämpfung als Auftrag, S. 17. Das PAT in Taloqan ist als nicht wie die PRT in Kunduz und Faizabad strukturiert und konzipiert und daher nicht im Schwerpunkt Teil des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit. Zusätzlich zum Regionalkommando Nord, den beiden PRT und dem PAT wurden ab 2009 auch weitere, zum Teil dauerhafte Basen errichtet, so auch den so genannten „OP North“. Diese Außenposten waren jedoch im Untersuchungszeitraum nicht Teil des ressortgemeinsamen Engagements.

613 Vgl. Michael Schmunk: Die deutschen Provincial Reconstruction Teams. Ein neues Instrument zum Nation‐Building, Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik 33, Berlin 2005, S. 11.

614 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

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Offizieren – oft der Luftwaffe oder Marine – geführt. Die geringe Größe erklärt sich vor allem mit anderen Standards der Truppenfürsorge sowie geringeren Anforderungen an den Schutz eigener Truppen (Force Protection). Die britischen PRT zeichnen sich, ebenso wie die PRT weiterer Nationen, durch eine operative Trennung von zivil‐militärischen Wiederaufbaumaßnahmen und militärischen Operationen zum Schutz der PRT und zur Durchführung von unabhängigen Operationen im Raum aus.615 Auch die Größe der PRT ist höchst unterschiedlich. Während ein britisches PRT im Jahr 2008 über 148 internationale Angehörige verfügte,616 umfasste ein vergleichbares deutsch geführtes PRT bis zu 460 internationale Angehörige.617 Dies liegt an drei Faktoren: Erstens bildeten im Untersuchungszeitraum, wie erwähnt, die deutschen PRT den Schwerpunkt des deutschen Engagements, so dass sie – neben der Main Support Base (MSB) und dem Regionalkommando Nord in Mazar‐e‐Sharif sowie dem PAT in Taloqan das gesamte Bundeswehrkontingent aufnahmen. Zweitens legt die Bundeswehr ein deutlich größeres Gewicht auf die Vermeidung eigener Verluste und den Schutz eigener Kräfte. Die Konzentration in gut geschützten Feldlagern stellt daher einen sichereren Weg gegenüber der Dislozierung dar. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes dieser Arbeit waren deutsche Kräfte kaum permanent außerhalb der PRT stationiert. Erst ab 2008 begann insbesondere das PRT Kunduz mit der Errichtung einer dauerhaften Präsenz an wichtigen Punkten, bspw. afghanischen Polizeistationen, dominierenden Höhen oder bedeutenden Verkehrs‐ und Kommunikationswegen.618 Drittens stellt die Bundeswehr hohe Ansprüche an die Versorgung der Soldaten im Einsatz, so dass das Verhältnis von Unterstützungskräften zu jenen, die sich in der Fläche bewegen (tooth­to­ tail ratio) deutlich ungünstiger ist als bei vergleichbaren Streitkräften.

615 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [17].

616 Vgl. John R. Brittain: Civil‐Military Interaction: Practical Experiences of a PRT Commander, in: Walter Feichtinger/Markus Gauster (Hrsg.): Zivil‐Militärische Zusammenarbeit am Beispiel Afghanistan. Civil‐ Military Interaction ‐ Challenges and Chances, Wien 2008, S. 123‐130, S. 124.

617 Die Zahlen können sich im Zuge der Umstellung nach der Konferenz von London und der Aufstellung eines ersten Ausbildungs‐ und Schutzbataillon (ASB) verändert haben.

618 Auch hier hat sich mit der Aufstellung der ASB, aber auch schon seit dem Jahr 2009, das Muster der Dislozierung verändert. Das gilt aber weiterhin nur für einen kleinen Teil der Truppen – der Großteil ist weiterhin in den PRT stationiert und verlässt diese selten, vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [17].

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So entwickelte auch die Bundesrepublik mit der Übernahme des PRT Kunduz einen eigenen Ansatz.619 Dieser ist insbesondere als Abgrenzung gegenüber den „Kampfeinsätzen“ der angelsächsischen Verbündeten, oftmals verkürzt in der amerikanisch geführten OEF verortet, zu sehen.620 Der Kampf gegen Aufständische und oppositionelle Akteure gehörte nicht zur Aufgabe der deutschen PRT – daher wurden sie auch nicht dafür ausgestattet und ausgerüstet. Der zivil‐militärische Ansatz der PRT wurde von der Bundesrepublik konsequent übernommen und formal ausgebaut: Die deutschen PRT werden von einer Doppelspitze geführt – einem militärischen Leiter im Dienstgrad eines Obersten (Besoldungsstufe A16/B3) und einem Vertreter des AA als zivilem Leiter (Besoldungsstufe A14 bis A16). Diese Doppelspitze ist formal gleichberechtigt und soll den integrierten Charakter der Mission verdeutlichen. Insbesondere die USA und Großbritannien betonen ebenfalls den zivilen Charakter der PRT, lassen diese aber weiterhin von einem militärischen Kommandeur führen.621 Die PRT sollen als Ausgangspunkt für den graduellen Fortschritt von Sicherheit, Regierungsstrukturen und Wiederaufbau dienen und in ihr Umfeld „ausstrahlen“ – also eine Zone der Stabilität schaffen, die sich stetig vergrößert.622

619 Vgl. Julia Hett: Provincial Reconstruction Teams in Afghanistan. Das amerikanische, britische und deutsche Modell, Zentrum für Internationale Friedenseinsätze Analyse 04/05, Berlin 2005, http://www.zif‐ berlin.org/fileadmin/uploads/analyse/dokumente/veroeffentlichungen/PRT_20.04.05.pdf (eingesehen am 15. Oktober 2010), S. 4.

620 Praktisch seit Beginn des deutschen Engagements in Afghanistan stellt die Trennung von OEF und ISAF einen der am intensivsten debattierten Punkte dar (vgl. Der unbeliebte Einsatz. Das deutsche OEF‐Mandat wurde seit 2001 stetig verkleinert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Oktober 2008). Fakt war, dass die US‐geführten Koalitionstruppen unter OEF Missionen durchführten, die eindeutig gegen Mitglieder der al‐Qaida und der Taliban gerichtet waren, während sich ISAF als reine Stabilisierungsmission verstand. Deutsche Spezialkräfte des KSK kämpften ebenfalls unter OEF. Diese Trennung war in den meisten Punkten künstlich und eher deutschen innenpolitischen Motiven als operativen Notwendigkeiten geschuldet. Nachdem ISAF‐Kommandeur General McChrystal 2010 auch den Großteil der Spezialkräfte unter sein Kommando erhielt, gibt es nur noch wenige militärische und paramilitärische Einheiten vornehmlich der USA, die unter eigenständigen Einsatzregeln agieren. Deutsche Soldaten sind daran nicht beteiligt, vgl. u.a. Noetzel/ Zapfe: Aufstandsbekämpfung als Auftrag, S. 15f.

621 Vgl. Brittain: Civil‐Military Interaction, S. 124.

622 Vgl. Michael Schmunk: Provincial Reconstruction Teams (PRTs) – Deus ex Machina der internationalen Nation‐Builder?, in: Walter Feichtinger/Markus Gauster (Hrsg.): Zivil‐Militärische Zusammenarbeit am Beispiel Afghanistan. Civil‐Military Interaction ‐ Challenges and Chances, Wien 2008, S. 113‐120, S. 113.

161

Innerhalb der Bundesregierung war das PRT‐Konzept höchst umstritten. Die Integration der drei dafür bedeutenden Ministerien – BMVg, AA und BMZ623 – in ein gemeinsames Konzept stellte sich als schwierig dar; historische Vorbilder für eine Kooperation gab es nicht.624 AA und BMVg, die die Leiter der beiden PRT stellen, sind gegenüber den Vertretern den BMZ nicht weisungsberechtigt. Das BMZ sieht sich als Teil des PRT‐ Konzeptes, aber nicht als Teil der PRT.625 Das BMI hingegen, wo es Vertreter im Einsatz und in den PRT entsendet, unterstellt die Polizeibeamten der Länder und des Bundes unter das AA, so dass der zivile Leiter hier de jure vorgesetzt ist.626 De facto kommt es jedoch auch hier zu direkten Weisungen aus Berlin, die die Kompetenz des zivilen Leiters erheblich beschneiden.627

3.2 Nationale Führungsstrukturen und ­prozesse der Ressorts

3.2.1 Strukturen Der deutsche Beitrag in Afghanistan ist Teil eines multinationalen Engagements. Sowohl militärisch als auch zivil gibt es multinationale Strukturen, welche die jeweiligen nationalen Engagements bündeln sollen. Auf der militärischen Seite ist dies die seit 2003 NATO‐geführte ISAF, auf der zivilen Seite die UN‐Organisation UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan). Innerhalb dieser Strukturen gibt es zahlreiche Koordinierungs‐ und Abstimmungsformate, vornehmlich in Kabul, in denen auch Vertreter der afghanischen Regierung sitzen – das wichtigste ist das Joint Coordination and Monitoring Board (JCMB) zur Koordinierung der multinationalen Entwicklungszusammenarbeit der Geberstaaten.

623 Diese Arbeit konzentriert sich nicht auf das BMI, da es erst später zu dem PRT‐Konzept hinzustieß und operativ sowie strategisch keine herausragende Bedeutung hat. Der Schwerpunkt des BMI in den PRT liegt in der Ausbildung von afghanischen Polizisten in nationalem und europäischem Rahmen. Dennoch wird im Laufe der Analyse auch auf das BMI zurückgekommen.

624 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [34].

625 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

626 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

627 So wies das BMI seine Beamten im PRT Kunduz an, aufgrund der angespannten Sicherheitslage das PRT Kunduz zeitweilig nicht mehr zu verlassen. Damit war die Ausbildung der afghanischen Polizei (Afghan National Police, ANP) faktisch ausgesetzt. Der zivile Leiter hatte keine Handhabe, vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [17].

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Dennoch sind – und waren insbesondere im Untersuchungszeitraum – für die Ressortkooperation nationale Strukturen weiterhin entscheidend. Sowohl die regionale Aufteilung von ISAF mit den für die jeweiligen Regionalkommandos zuständigen Führungsnationen als auch die im Zuge des Petersberg‐Prozesses vorgenommene Einteilung von funktionalen Gebieten übertrugen bestimmte Verantwortungen auf einzelne Staaten. Darüber hinaus sind auch in multinationalen Einsätzen weiterhin bestehende nationale Strukturen von Bedeutung: Im Rahmen der ISAF erhalten die deutschen Soldaten der PRT ihre operativen Weisungen über das multinationale, deutsch geführte Regionalkommando Nord in Mazar‐e Sharif aus den multinationalen Hauptquartieren der ISAF (Operational Control, OpCon).628 Diese Hauptquartiere sind wiederum formal multinationalen NATO‐Kommandos im niederländischen Brunssum (Allied Joint Force Command, JFC) sowie in Brüssel (Allied Command Operations, ACO)629, unterstellt. Nach NATO‐ und Bundeswehr‐Doktrin gibt es jedoch Aufgaben, die weiterhin in nationaler Verantwortung bleiben, u.a. Logistik, Nachrichtengewinnung und Aufklärung sowie medizinische Versorgung.630 Gleichzeitig sind die nationalen Strukturen in einer wichtigen Funktion die „Red Card Holder“: Sollte eine Weisung der multinationalen Strukturen gegen von den Staaten angemeldete, selbst auferlegte Einsatzbeschränkungen (caveats) verstoßen, verbieten die nationalen Strukturen die Ausführung dieser Weisungen. Über diese offiziell anerkannten und zugestandenen Bereiche hinaus ist es jedoch üblich, dass auch ein großer Teil der eigentlichen Operationsführung aus dem Inland erfolgt – auch gegen Widerstand von verbündeten Kräften im Einsatz.631 Das resultiert zum einen aus der engen kommunikativen Anbindung der Einsatzkontingente an ihre nationalen Führungsstrukturen, zum anderen aus dem öffentlichen Druck in den truppenstellenden Staaten: Insbesondere Anfragen der Parlamente sowie der Öffentlichkeit führen zu schnellem

628 Das sind das ISAF‐HQ mit einem General an der Spitze sowie, seit 2009, das ISAF Joint Command, unter einem Generalleutnant, das die täglichen Operationen der Regionalkommandos führt.

629 Das ACO wird aus Traditionsbewusstsein heraus auch offiziell weiterhin meistens mit SHAPE – Supreme Headquarters Allied Powers Europe – bezeichnet.

630 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung: Teilkonzeption Führung von Einsätzen der Bundeswehr (TK FüEinsBw), Berlin 2005, S. 11.

631 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

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Informationsbedarf und entsprechenden Weisungen an die Kontingente, die denen der multinationalen Strukturen widersprechen können. Diese informelle Führung ist nicht nur in der Bundesrepublik normal, sondern auch – und noch deutlicher – in verbündeten NATO‐Staaten.632

Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland findet diese nationale Einsatzführung zum einen im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in , zum anderen im Einsatzführungsstab der Bundeswehr im BMVg statt. Der Einsatzführungsstab ging im Ministerium 2008 aus der Stabsabteilung FüS V hervor und bündelt vor allem innerhalb des Ministeriums weitgehend die einsatzrelevanten Befugnisse.633 Insbesondere sind durchgehend Vertreter der zivilen Ministerien AA, BMZ und BMI im Einsatzführungsstab eingegliedert. Der dadurch – je nach Dienststellung des Vertreters unterschiedlich stark634 – beschleunigte Informationsaustausch mit den zivilen Ministerien ist eine eindeutige Verbesserung gegenüber der rein militärischen, keinen eigenen Stab darstellenden Stabsabteilung FüS V.635 Der Einsatzführungsstab untersteht unmittelbar dem seit dem Berliner Erlass von 2005 direkt für die Einsätze zuständigen Generalinspekteur der Bundeswehr.636 Das Einsatzführungskommando ist für die „in nationaler Verantwortung verbleibenden militärischen Aufgaben“637 verantwortlich, greift jedoch, wie beschrieben, regelmäßig direkt in die Operationsführung der PRT ein – bis hin zu telefonischen Kontakten des Befehlshabers des Einsatzführungskommandos, einem Generalleutnant, und dem PRT‐Kommandeur.638 Der „Red Card Holder“ ist somit nicht nur passiv, sondern auch aktiv an der militärischen Operationsführung beteiligt.

632 So führen die USA ihre Kräfte aus dem Central Command in Tampa, Florida. Da der ISAF‐Kommandeur jedoch ebenfalls von den USA gestellt wird, kommt auch dem Central Command entscheidender Einfluss auf die Gesamtmission zu, vgl. auch Interview mit einem Vertreter des BMVg [9].

633 Vgl. Noetzel/Zapfe: Den Einsatz im Fokus?, S. 191.

634 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [34].

635 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [1].

636 Vgl. BMVg: Berliner Erlass, S. 2.

637 Ders.: TK FüEinsBw, S. 15.

638 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

164

Mit Blick auf die zivilen Bereiche gilt die nationale Verantwortlichkeit uneingeschränkt: auch wenn deutsche Gelder und Projekte im Rahmen von UNAMA oder weiteren Kooperationsmechanismen eingesetzt werden, bleibt sowohl die Verantwortlichkeit für diesen Einsatz als auch die Weisungsbefugnis gegenüber den deutschen Vertretern vor Ort allein bei den jeweiligen Ministerien. Die Mitarbeiter des AA sind dem zuständigen Referat bzw. dem Sonderstab für Afghanistan und Pakistan am Werderschen Markt verantwortlich. Als Leiter einer Außenstelle der deutschen Botschaft ist er zudem dem deutschen Botschafter in Kabul unterstellt. Dieser ist in das Meldewesen mit eingebunden und kann sich darüber auf die PRT auswirken.639 Berichte, die nur das Einsatzgebiet betreffen, gehen jedoch oftmals direkt in das AA und nur in Kopie an die deutsc he Botschaf t.640

Die Mitarbeiter des BMZ berichten direkt ihrem Referat (Referat 404 Afghanistan/Pakistan) in Berlin. Auch das BMZ ist nicht immer selbst vor Ort präsent. Nach dem Muster der klassischen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird ein großer Teil der Projekte vor Ort von den Durchführungsorganisationen der EZ, insbesondere der GIZ und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), durchgeführt. Diese sind dem BMZ gegenüber zwar für die Verwendung der Gelder verantwortlich, unterstehen ihm aber nicht unmittelbar, melden zu ihrer eigenen Zentrale (OE 3150 Afghanistan und Pakistan) in Eschborn und sind auf diese Eigenständigkeit auch sehr bedacht. Das BMZ ist nicht nur zuständig für die deutschen Gelder, die in bilateralen Prozessen zugesagt und implementiert werden, sondern insbesondere vor Ort auch für die Koordination der multinationalen EZ‐Geld er.641

Das unübersichtliche Ausmaß an nationaler Koordination aller truppen‐ und mittelstellenden Staaten in Afghanistan ist seit langem Ziel von Kritik. Der Einsatz in Afghanistan, so wird argumentiert, erfordere gerade weniger nationale und mehr internationale Koordination. Davon unabhängig ist für den gegenwärtigen Einsatz jedoch weiterhin die nationale Koordination entscheidend, und für den

639 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [2].

640 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

641 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

165

Untersuchungszeitraum dieser Arbeit – 2003 bis 2010 – gilt dies noch viel mehr. Die internationale Koordination vor Ort wird einhellig als nicht ausreichend bewertet – insbesondere von den Vertretern des AA und des BMVg. Am Ende sind nationale Entscheidungen, Konzepte und Abstimmungen innerhalb des vor allem von ISAF gesetzten Rahmens von Bedeutung. Das erlaubt es dieser Arbeit, sich auf den nationalen, deutschen Teil des komplexen Prozesses zu konzentrieren.

Abbildung 1: Nationale Führungsorganisationen der Ressorts (vereinfacht, bis Juni 2010)642

642 Sonderstab Afghanistan seit 2009. Einsatzführungsstab seit 2008. Erstellung durch den Autor.

166

3.2.2 Prozesse auf strategischer Eb ene Die ressortgemeinsame Kooperation für Afghanistan findet innerhalb der Bundesrepublik – also auf der strategischen Ebene nach der Arbeitsdefinition643 – auf mehreren Ebenen statt.

Auf Ebene des Bundeskabinetts gibt es bereits seit einigen Jahren den so genannten Afghanistanausschuss als Kabinettsauschuss.644 Ihm gehören die Minister der relevanten Ressorts an. Der Kabinettsausschuss wurde 2010 neu aktiviert, bestand jedoch schon vorher, ohne regelmäßig zu tagen oder der ressortgemeinsamen Kooperation bedeutende Impulse zu geben.645 Er ist kein formeller Kabinettsausschuss mit Entscheidungskompetenz, da in einem solchen der Parteienproporz der Regierungskoalition hätte gewahrt werden müssen. Anstelle des Kabinettausschusses finden alle drei bis vier Monate Treffen der Minister aller verantwortlichen Ressorts sowie des Sonderbotschafters für Afghanistan und Pakistan bei der Bundeskanzlerin statt. Allerdings dienen diese Treffen vor allem dem Informationsaustausch und haben eine innenpolitische Agenda; formal beschlussfähig sind s i e nicht.646

Das wichtigste regelmäßig tagende Gremium ist die Staatssekretärsrunde. Zu ihr gehören die Staatssekretäre der vier Ressorts AA, BMVg, BMZ und BMI sowie, anlassbezogen, anderer Ressorts, etwa des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) oder des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).647 Immer beteiligt ist zudem der Abteilungsleiter 2 Außenpolitik des Bundeskanzleramtes. Die Staatssekretärsrunde ist zuständig für alle bedeutenden Entscheidungen unterhalb des Bundeskabinetts. Sie tagt einmal monatlich, in der Regel an jedem ersten Dienstag im Monat.648 Bis 2009 tagte sie immer an wechselnden Orten, seitdem sind ihre Treffen im Kanzleramt angesiedelt. Im Normalfall werden

643 Siehe oben, S. 155.

644 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

645 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [5].

646 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [2]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [34].

647 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

648 Vgl. Ebd.

167

Entscheidungen der Staatssekretärsrunde nach dieser Abstimmung wiederum auf getrennten Wegen in das Einsatzgebiet übermittelt – in einigen Fällen haben jedoch ressortgemeinsame Weisungen, mit den Briefköpfen und den Unterschriften aller vier Ministerien, die ressortgemeinsame Abstimmung vereinfacht. Die Staatssekretärsrunde ist für die Kooperation der Ressorts von großer Bedeutung, die Erwartungen der teilnehmenden Personen, insbesondere jener auf der operativen Ebene vor Ort, an die Staatssekretärsrunde sind hoch.649 Für Kritik sorgt insbesondere, dass die Staatssekretärsrunde bei Konflikten im Einsatzgebiet als „nächster ressortgemeinsamer Vorgesetzter“ wahrgenommen wird, der Konflikte endgültig lösen kann. Dies verkennt natürlich, dass ein Großteil der täglichen Abstimmung bereits auf vorgelagerten Ebenen stattfindet und auch hier viele Probleme „ausgebügelt“ werden, auch wenn die Ebenen jeweils keine eigene E ntscheidungskompetenz besitzen.

Bedeutender ist jedoch, dass die Staatssekretärsrunde häufig nicht als Entscheidungsgremium fungiert, sondern im Schwerpunkt Informationen austauscht.650 Sollten Differenzen zwischen den Ministerien von der Ebene der PRT über die ministeriellen Ebenen nicht bereinigt werden können, befasst sich die Staatssekretärsrunde mit diesen Themen. Sie tut dies jedoch nicht mit dem Anspruch der verbindlichen Entscheidung. Auch in diesem Gremium gilt – analog zum Verhältnis der Minister – die prinzipielle Gleichberechtigung und Nicht‐Überstimmbarkeit: Sollte eine Differenz nicht einvernehmlich ausgeräumt werden können, trifft die Staatssekretärsrunde keine Entscheidung.651

Das wird dadurch begünstigt, dass die Staatssekretärsrunde in der Vorbereitung auch keine „Entscheidungsvorlagen“ von den nachgeordneten Ebenen erstellt bekommt und somit vom Prozess zu Entscheidungen gedrängt wird. Viele Akteure vor Ort erwarten von ihr jedoch gerade Entscheidungen. Sollten sich die betroffenen Minister im Bundeskabinett dann nicht mit einer Thematik befassen, was die Regel ist, bleibt die Differenz bestehen, mit möglicherweise großen Folgen für die ressortgemeinsame

649 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

650 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [1].

651 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

168

Kooperation in Afghanistan. Darauf wird später noch zurückgekommen. Die Leiter der jeweils relevanten Abteilungen in den Ressorts bzw. des Einsatzführungsstabes nehmen an den Treffen der Staatssekretärsrunde teil und vertreten dort auch im Einzelfall ihre Ministerien.652 Eine allein auf Afghanistan beschränkte selbstständige Runde der Abteilungsleiter gibt es jedoch nicht.

Der intensivste Kontakt zwischen den Ministerien wird auf der Ebene der Referatsleiter gepflegt. Die Leiter der zuständigen Referate sind in täglichem Kontakt, telefonisch und per Email. Hinzu kommt eine wöchentliche Videokonferenz der vier beteiligten Ressorts („Afghanistan‐Runde“), allerdings ohne Beteiligung des Bundeskanzleramtes.653 Die Konferenzen werden vom Vertreter des AA moderiert und kümmern sich, sehr spezifisch, um konkrete Problematiken des Einsatzes.654 Dabei können auch mehrere Vertreter eines Ministeriums vertreten sein, so aus dem BMVg auch die für Militärpolitik zuständige Stabsabteilung FüS III.655 Hinzu kommen anlassbezogene Besprechungen, die zumeist persönlich in einem der Ministerien stattfinden und den engen Informationsaustausch gewährleisten sollen. Die Beziehungen auf Referatsleiterebene sind intensiv und persönlich, der tägliche Informationsaustausch funktioniert, nach Aussage von Beteiligten sehr gut.656 Die Binnenstruktur der Ministerien, also die Einbettung der verantwortlichen Referate, ist wiederum unterschiedlich. Im AA und im BMVg sind die zuständigen Referate Teil von Sonderstäben – als „Einsatzteam Afghanistan“ im Einsatzführungsstab des BMVg bzw. eingegliedert in den „Sonderstab Afghanistan/Pakistan“ im AA. Innerhalb des BMZ und des BMI findet keine solche Eingliederung statt. Das Referat 404 des BMZ ist Teil der Unterabteilung 40 „Frieden und Sicherheit; Not‐ und Übergangshilfe; Südosteuropa; Naher Osten; Afghanistan/Pakistan“ bzw. der Abteilung 4 „Europäische und multilaterale

652 Innerhalb des BMVg ist der zuständige Abteilungsleiter der Leiter des Einsatzführungsstabes, für das BMZ der Leiter der Abteilung 4, für das AA der der Sonderbotschafter, für das BMI der Leiter der Abteilung B bzw. ein Unterabteilungsleiter.

653 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [4]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [5].

654 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

655 Interview mit einem Vertreter des BMVg [34].

656 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [25]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [4].

169

Entwicklungspolitik; Südosteuropa; Naher Osten; Afghanistan/Pakistan“.657 Dieser Struktur ging 2010 eine interne Reform voraus, die die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit in der Abteilung 4 konzentrierte.658 Im BMI ist das Referat B 4 „Internationale Grenzpolizeiliche Angelegenheiten, Geschäftsstelle Internationale Polizeimissionen“ Teil der Abteilung B „Angelegenheiten der Bundespolizei“.659

Unterhalb der Ebene der Referate sind es lediglich das BMVg und – mit Abstrichen – das BMZ, die innerhalb der Bundesrepublik über Organe zur Umsetzung von Beschlüssen verfügen. Für das BMVg ist das, wie schon dargestellt, ganz wesentlich das Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Innerhalb des Einsatzführungskommandos bestehen, analog zu den Einsatzteams im Einsatzführungsstab, so genannte Einsatzgruppen mit Zuständigkeiten für bestimmte Einsatzgebiete.660 In den Einsatzgruppen sind Verantwortliche der Führungsgrundgebiete, zum Beispiel Einsatzführung, Logistik und militärisches Nachrichtenwesen vertreten. Die Einsatzgruppen bilden somit im Kern eigene, untergeordnete Führungskommandos, die auf die Ressourcen des gesamten Einsatzführungskommandos zurückgreifen können. Obwohl lediglich das BMVg über einen operativ gegliederten nachgeordneten Bereich verfügt, haben BMZ und BMI Verbindungselemente an das Einsatzführungskommando entsandt, um eine bessere Koordination sicherzustellen. Neben der Einsatzgruppe „Afghanistan“ ist, ebenfalls am Standort Potsdam, das Kommando Führung Operationen von Spezialkräften (Kommando FOSK) angesiedelt. Es untersteht dem Befehlshaber des Einsatzführungskommandos und ist für den Einsatz deutscher Spezialkräfte in

657 Vgl. http://www.bmz.de/de/ministerium/dokumente/organisationsplan_20100901.pdf (eingesehen am 19. Oktober 2010).

658 Vgl. Kritik an Niebels Personalpolitik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Februar 2010.

659 Vgl. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Ministerium/PDF_Organigramm_BMI.pdf?__blob= publicationFile (eingesehen am 19. Oktober 2010).

660 So ist die Einsatzgruppe „Balkan“ sowohl für den KFOR‐Einsatz im Kosovo als auch für EUFOR in Bosnien und Herzegowina zuständig.

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Afghanistan zuständig.661 Auf die ressortgemeinsame Kooperation hat es jedoch keinen Einfluss.

Das BMZ führt traditionell seine Projekte der Entwicklungszusammenarbeit nicht selber durch, sondern beauftragt damit die so genannten Durchführungsorganisationen, vor allem die GIZ, die KfW662 und den Deutschen Entwicklungsdienst (DED).663 Die GIZ führt als eigenständiges Unternehmen die Aufträge des BMZ im Rahmen der Technischen Zusammenarbeit (TZ) aus.664 In seiner Zentrale in Eschborn bei Frankfurt sitzt ebenfalls die für Afghanistan und Pakistan zuständige Organisationseinheit. Vor Ort in Afghanistan beschäftigt die GIZ nicht nur deutsche, sondern auch zahlreiche einheimische Kräfte, vom Arbeiter bis zum Ingenieur, zur Durchführung der identifizierten und finanzierten Projekte.665 Die GIZ ist dem BMZ zwar formal nachgeordnet, führt die Projekte nach Auftragsannahme jedoch eigenverantwortlich durch. Die Vertreter des BMZ haben vor Ort demnach keine Weisungsbefugnis oder weitere Handhabe gegenüber den GIZ‐Mitarbeitern. Dieses Verhältnis sorgt oftmals für Spannungen. Hinzu kommt, dass seit der Einrichtung der deutschen PRT über lange Zeiträume keine Mitarbeiter des BMZ vor Ort waren.666 In diesen Fällen wirkten die GIZ‐ Mitarbeiter in völliger Autonomie, da die vorgesehenen Vertreter des BMZ, entweder in dem anderen deutschen PRT oder später im Regionalkommando, dieser Aufgabe aufgrund der räumlichen Entfernung nicht nachkommen konnten.667 Das führte dazu, dass der Vertreter der GIZ in den PRT unter einigen Doppelspitzen die Rolle des BMZ‐

661 Die Spezialkräfte der Bundeswehr bestehen aus dem Kommando Spezialkräfte (KSK) des Heeres mit Sitz in Calw sowie der Kampfschwimmerkompanie der Bundesmarine mit Sitz in Eckernförde, vgl. Noetzel/Schreer: Spezialkräfte der Bundeswehr, S. 13.

662 Genauer: Der KfW Entwicklungsbank innerhalb der KfW‐Bankengruppe. Vgl. vertiefend Manfred Glagow u.a.: Die deutschen Entwicklungsbanken, Saarbrücken/Fort Lauderdale/Breitenbach 1985, S. 19‐ 143.

663 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [14].

664 Vgl. Jochen Köhler: Mittler zwischen den Welten. GTZ – ein Unternehmen in Entwicklung, Opladen 1994, S. 30f.

665 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

666 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [15].

667 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

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Mitarbeiters einnahm und somit, teilweise inoffiziell, aber auch offiziell unter Anerkennung des BMZ, das Ministerium vor Ort repräsentierte.668 In diesem Fall war der GIZ‐Mitarbeiter faktisch dem BMZ direkt verantwortlich, ohne dass seine Bindung an die GIZ‐Zentrale in Eschborn aufgehoben wäre.669 In Afghanistan ist die GIZ nicht ausschließlich für das BMZ tätig: im Rahmen gemeinsamer Fonds und Projekte findet auch eine enge Kooperation mit AA und BMVg statt.670 Die Mitarbeiter der GIZ genießen bei Beteiligten vor Ort regelmäßig hohes Ansehen.671

Das BMZ investiert seine Mittel zur Entwicklungszusammenarbeit vor allem über die GIZ. Dazu hat es seinen eigenen Planungszyklus, der ganz wesentlich auf dem klassischen Instrument der Regierungsvereinbarungen beruht, in denen Schwerpunktbereiche identifiziert werden. In diesen Schwerpunktbereichen schlagen die Durchführungsorganisationen oder die Vertreter des BMZ vor Ort Projekte vor, die dann vom BMZ beschlossen werden.672 Diese Projekte sind vor allem mittel‐ und langfristige Entwicklungsprojekte mit zum Teil mehrjähriger Laufzeit. Sobald ein Projekt anläuft, sind die dazu versprochenen Mittel auf mehrere Jahre gebunden. Somit haben auch die Vertreter des BMZ vor Ort über die Koordination von laufenden Projekten hinaus praktisch keinen Spielraum, auf neue Entwicklungen bzw. Initiativen der anderen Ressorts vor Ort zu reagieren.673 Das erschwert die ressortgemeinsame Koordination von Projekten und ist ein oft kritisierter Punkt, sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene. Mitarbeiter der zivilen Ministerien, insbesondere des BMZ, haben somit faktisch vor Ort einen erheblich eingeschränkteren Handlungsspielraum als ihre Kollegen der Bundeswehr – trotz der hierarchischen Natur des Militärs.674 Die Steuerung über Kabul bzw. die Zentralen in Berlin und Eschborn zur

668 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [27].

669 Vgl. Ebd.

670 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [2].

671 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [17].

672 Interview mit einem Vertreter des AA [2].

673 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

674 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

172

Verwendung der Gelder verhindert somit eine gewisse Flexibilität vor Ort. Andere Staaten, insbesondere die USA, wählen hier andere Wege und delegieren einen großen Teil der Verantwortung für die Verwendung von Mitteln auf die operative Ebene im Einsatzland.675 Dabei nehmen sie in Kauf, dass die Ministerien in der Hauptstadt nicht immer detailliert über die Verwendung des Geldes Rechenschaft ablegen können. Eine Zentralisierung der Haushaltsmittelverwendung macht eine Kooperation vor Ort deutlich aufwändiger.

Die strategische Abstimmung des ressortgemeinsamen Afghanistan‐Engagements findet innerhalb der Bundesrepublik damit auf drei Ebenen statt (vgl. Tabelle 5):

675 Vgl. Ebd.

173

Abstimmungsebene Beteiligte Akteure Modus der Abstimmung

Kabinettsausschuss Bundeskanzler, Unregelmäßig; praktisch Bundesminister des Innern, keine Auswirkung auf die Bundesminister des ressortgemeinsame Auswärtigen, Kooperation Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bundesminister der Verteidigung

Staatssekretärsrunde Sonderbotschafter der Monatlich, für gewöhnlich Bundesregierung, jeden ersten Dienstag im Staatssekretäre AA, BMVg, Monat, zudem BMZ, BMI, Abteilungsleiter anlassbezogen 2 Bundeskanzleramt, anlassbezogen weitere Ressorts

Referatsleiter Leiter/stellvertretender wöchentliche Leiter Sonderstab Videokonferenz (für AFG/Pakistan, gewöhnlich montags), Referatsleiter B4 BMI, tägliche Kontakte per Leiter Einsatzteam Telefon und Email, zudem Afghanistan anlassbezogene Treffen Einsatzführungsstab,676 Leiter Referat 404 BMZ

Tabelle 5 Gremien der strategischen ressortgemeinsamen Kooperation

676 In der Realität ist auch das Auftreten des BMVg nicht optimal gebündelt; oftmals nehmen zusätzlich zum Einsatzführungsstab das Einsatzführungskommando der Bundeswehr sowie das Referat FüS III 6 (Militärpolitik, NATO) an den Runden der Referatsleiter teil, vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [33].

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Ein neues Koordinierungsorgan: Der Sonderbotschafter des Auswärtigen Amtes/der Bundesregierung

Im Zuge der sich verschärfenden Lage in Afghanistan ab dem Jahr 2006 – mit der Ausweitung der ISAF auf das gesamte Land – rückte auch das regionale Problemfeld, insbesondere die Bedeutung Pakistans in den Blick.677 Die unkontrollierbare pakistanisch‐afghanische Grenze stellt insbesondere in den paschtunischen Gebieten im Süden und Südosten des Landes eine große Herausforderung für ISAF dar. Aufständische finden in Pakistan Unterstützung und sichere Zufluchtsräume, in denen sie sich reorganisieren und planen können. Hinzu kommen enge Verbindungen mit Pakistan, die zum Großteil noch aus dem Krieg gegen die Sowjetunion stammen, und aktive Unterstützung von Teilen der pakistanischen Armee und des Geheimdienstes aus ideologischer Verbundenheit sowie strategischem Kalkül.678

Um dieser grenzübergreifenden Dynamik besser gerecht zu werden, richteten die USA im Zuge des Strategiewechsels der Regierung Präsident Barack Obamas im Januar 2009 den Posten eines Sonderbotschafters für Afghanistan und Pakistan ein. Andere Nationen – unter anderem Frankreich und Großbritannien – folgten. Innerhalb der großen Koalition übernahm Außenminister Frank‐Walter Steinmeier die Initiative und ernannte am 16. Februar 2009 Botschafter Bernd Mützelburg zum Sondergesandten für Afghanistan. Da dies ohne Absprache mit der Bundeskanzlerin geschah, und sie sowie die Unions‐Fraktion die Person Mützelburgs missbilligten, blieb Mützelburg der Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes für Afghanistan.679 Erst kurz vor dem Ende seiner Amtszeit wurde Mützelburg zum Sonderbotschafter der Bundesregierung ernannt,

677 Mit der Erweiterung der ISAF auf ganz Afghanistan einher ging bei weitem keine adäquate Truppenerhöhung. Die Erweiterung führte somit nicht nur zu mehr Kämpfen, sondern auch zu regelmäßigen Situationen, in denen westliche Truppen in Bedrängnis kamen, belagert wurden und sich ohne den massiven Einsatz von Artillerie und Luftunterstützung nicht hätten verteidigen können. Das führte gleichzeitig zu höheren Verlusten unter der unbeteiligten Bevölkerung, vgl. Theo Farrell/Stuart Gordon: COIN Machine. The British Military in Afghanistan, in: The Royal United Services Institute Journal, Juni 2009, Vol. 154/No. 3, S .18‐25, S. 20.

678 Vgl. Ahmed Rashid: Descent into Chaos. The United States and the Failure of Nation Building in Pakistan, Afghanistan and Central Asia, New York u.a. 2008, S. 145‐168.

679 Vgl. Steinmeiers Coup. Wie der Außenminister mit seinem Afghanistan‐Beauftragten die Union überraschte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Februar 2009.

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aber weiterhin lediglich für Afghanistan.680 Er erhielt daher keinen angemessenen Arbeitsstab innerhalb des AA, die Beteiligung der in Afghanistan vertretenen Ressorts blieb aus.681 Somit konnte Botschafter Mützelburg einer seiner Kernaufgaben, der Koordinierung der deutschen Ressorts in der Politik gegenüber Afghanistan und Pakistan, nur eingeschränkt gerecht werden. Auf die ressortgemeinsame Kooperation in Afghanistan hat er sich überhaupt nicht ausgewirkt, eine verbesserte Koordinierung auf strategischer Ebene war nicht erkennbar.682

In ihrem Koalitionsvertrag verabredeten CDU, CSU und FDP vor diesem Hintergrund und unter dem Vorsatz, die „ressortübergreifenden Anstrengungen der Bundesregierung [zu] bündeln“683, die Ernennung eines Sonderbotschafters. Dieser sollte „auf Vorschlag des Auswärtigen Amtes und in Abstimmung mit allen betroffenen Ressorts“684 ernannt und somit die Unstimmigkeiten der Ernennung Mützelburgs vermieden werden. Dieser Prozess endete am 24. März 2010 mit der Ernennung von Botschafter Michael Steiner zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan.

Anders als sein Vorgänger verfügt Botschafter Steiner über einen ressortübergreifenden Sonderstab innerhalb des AA. Dieser Stab ist seit dem Sommer 2010 mit 22 Mitarbeitern (Stand März 2011) für das AA ungewöhnlich groß.685 Neben 16 Angehörigen des AA gehören ihm u.a. Mitglieder des BMVg und des Bundesnachrichtendienstes (BND), nicht jedoch des BMI oder des BMZ an.686 Der Sonderbotschafter ist innerhalb des AA direkt dem Minister zugeordnet, berichtet diesem jedoch über einen Staatssekretär. Als eine seiner Hauptaufgaben betrachtet Botschafter Steiner eben die engere Koordinierung der

680 Vgl. Interview mit einem Mitarbeiter des AA [33].

681 Vgl. Der gebremste Afghanistan‐Beauftragte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Mai 2009.

682 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

683 Wachstum, Bildung, Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, http://www.cdu.de/doc/pdfc/091026‐koalitionsvertrag‐cducsu‐fdp.pdf (eingesehen am 29. Oktober 2010), S. 123.

684 Wachstum, Bildung, Zusammenhalt, S. 123.

685 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [33].

686 Das BMI verfügt über zu wenig Personal, vgl. Ebd.

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in Afghanistan beteiligten Ministerien.687 Dabei besitzt er jedoch keine Weisungsbefugnis, sondern soll seinen Einfluss über die alleinige Vertretung nach außen und Informationspolitik nach innen ausüben. Effektiv erst zum Ende des Untersuchungszeitraumes eingerichtet, konnte in der Arbeit kein entscheidender Einfluss des Sonderbotschafters auf die ressortgemeinsame Kooperation festgestellt werden, weder auf strategischer noch auf operativer Ebene.688

3.2.3 Prozesse auf oper a tiver Ebene Auf operativer Ebene sind die PRT in Kunduz und Faizabad zentraler Dreh‐ und Angelpunkt der ressortgemeinsamen Kooperation. Daran hat auch die Einrichtung des deutsch geführten, bis Juni 2010 im Prinzip rein militärischen Regionalkommandos Nord in Mazar‐e Sharif im Jahr 2004 nichts geändert.

3.2.3.1 Prozesse im Regionalkommando Nord Das Regionalkommando Nord, seit 2006 mit dem nationalen deutschen Stab fusioniert, wird von einem deutschen General geführt. Bis Juni 2010, dem Ende des Untersuchungszeitraumes, war dies ein Brigadegeneral, seit der Umstrukturierung des Kommandos im selben Monat ein Generalmajor. Vor der Aufstellung des Regionalkommandos war der Kommandeur des PRT Kunduz, nach Übernahme durch die Bundeswehr, als Koordinator für den Norden Afghanistans zuständig.689 Dabei hatte er jedoch keinen direkten Einfluss auf die ressortgemeinsame Kooperation über sein PRT hinaus. Im Rahmen der ISAF‐Struktur ist das Regionalkommando Nord für neun Provinzen zuständig.690

687 Vgl. Illusionen über Bord werfen. Interview mit Botschafter Steiner, in: aktuell – Zeitung für die Bundeswehr, 28. September 2010, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/09/2010‐ 09‐28‐interview‐michael‐steiner‐mit‐bundeswehr‐aktuell.html (eingesehen am 29. Oktober 2010).

688 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [32]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [34].

689 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [9].

690 Dies sind Faryab, Jowzjan, Sar‐e‐Pol, Balkh, Samangan, Kunduz, Baghlan, Takhar und Badakshan, vgl. http://www.einsatz.bundeswehr.de/fileserving/PortalFiles/C1256F200023713E/W287YC93976INFODE /karte_rc_north.jpg (eingesehen am 20. Oktober 2010). Dabei sind die Grenzen des Regionalkommandos, vom HQ ISAF aus Kabul festgelegt, nicht immer deckungsgleich mit den Grenzen, die z.B. im deutschen Bundestagsmandat festgelegt sind. Das führte zeitweise zu erheblichen Problemen in der Operationsführung. Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [11].

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Der Regionalkommandeur trägt dabei, wie beschrieben, einen „Doppelhut“: Zum einen ist er NATO‐Kommandeur und in die Befehlsstruktur der ISAF eingebunden, zum anderen ist er deutscher Kontingentführer und nationaler Befehlshaber im Einsatzland und untersteht damit dem Einsatzführungskommando in Potsdam. Das Einsatzführungskommando greift dabei, wie dargestellt, regelmäßig in seiner Funktion als „Red Card Holder“ und auch darüber hinaus in die multinationale Operationsführung ein.

Aufgrund seines primär militärischen Auftrages war das Regionalkommando bis Juni 2010 ausschließlich nach militärischen Grundsätzen gegliedert und mit Angehörigen des Militärs, aus allen im Regionalkommando Nord beteiligten Nationen, besetzt. Seine Gesamtstärke betrug rund 280 Personen. Zudem waren lediglich je ein Vertreter von BMZ und AA an das Kommando angegliedert und nicht direkt in die Stabsstruktur integriert.691 Dazu kommt, dass über lange Zeiträume kein Vertreter des BMZ im Regionalkommando war.692 Die zivilen Vertreter waren für gewöhnlich mit A15 besoldet, der Regionalkommandeur, ein Brigadegeneral, mit B6. Dieser Ebenenunterschied war in der täglichen, persönlichen Arbeit unkritisch, nicht jedoch in der Außenwirkung, insbesondere gegenüber den afghanischen Amtsinhabern.693 Zudem hatten beide Vertreter zumeist keine eigenen Mitarbeiter vor Ort. Das behinderte zum einen die alltägliche Arbeit; zum anderen führte die Urlaubsregelung der zivilen Ressorts, insbesondere des AA, dazu, dass somit oftmals Vakanzen von mehreren Wochen auftraten, in denen im Regionalkommando die zivilen Vertreter fehlten.694 Das führte dazu, dass in einigen Fällen die Abstimmungsrunden im Regionalkommando Mangels anwesender ziviler Mitarbeiter über längere Zeiträume ausfallen mussten.695 Die Aufgaben der zivilen Vertreter waren ambivalent: Zum einen sollten sie die Arbeit ihres Ressorts im Bereich des Regionalkommandos koordinieren, zum anderen den Regionalkommandeur beraten sowie eigene Projekte um das Regionalkommando herum

691 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

692 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [20].

693 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

694 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

695 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [32].

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durchführen. Offensichtlich war der Schwerpunkt, den der jeweilige Repräsentant vor Ort wählte, eine persönliche Entscheidung bzw. entsprang der Personenkonstellation vor Ort. Der Vertreter des AA im Regionalkommando hatte keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den zivilen Leitern der PRT – er konnte somit kein komplementäres Element zum Regionalkommandeur darstellen.696

Die Einbindung der zivilen Vertreter beim Regionalkommando war unterschiedlich: einige Regionalkommandeure banden sie frühzeitig in die Operationsplanung mit ein und versuchten somit sowohl den Informationsstand der zivilen Vertreter zu verbessern als auch die zivilen Mittel in ihrer Operationsplanung besser zur Wirkung zu bringen.697 Das war jedoch nicht Konsens: Andere Regionalkommandeure banden die zivilen Vertreter nicht in ihre eigene Planung und Stabsarbeit mit ein, sondern sahen sie eher als Verbindungelemente in die anderen Ressorts – Verbindungselemente, die in vielen Fällen nicht für eine wirksame Verbindung sorgten oder sorgen konnten.698 Die zivilen Vertreter im Regionalkommando konnten somit zumeist nur für eine begrenzte Kooperation – den einfachen Informationsaustausch – sorgen. Zum Teil arbeiteten die Regionalkommandeure und die zivilen Mitarbeiter auch sehr gut zusammen, jedoch ausdrücklich nicht für die militärische Operationsführung, sondern zur Abstimmung von zivilen Projekten im unmittelbaren Verantwortungsbereich des Regionalkommandos, nicht jedoch der PRT.699 Auch ohne eine direkte Einbindung in die Operationsführung waren die Vertreter der anderen Ressorts zumeist Teilnehmer der Morgenlage des Regionalkommandos.700 Je nach Entscheidung des Regionalkommandeurs bestanden dann noch Abstimmungsrunden, an denen nur der Regionalkommandeur sowie die Vertreter der zivilen Ressorts beteiligt waren. Diese Runde fand zumeist im wöchentlichen Rhythmus statt, konnte jedoch deutlich seltener, zum Teil nur alle vier Wochen, zusammengerufen werden.701 Diese Runden dienten insbesondere dem

696 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

697 Vgl. Ebd.

698 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [11].

699 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

700 Vgl. Ebd.

701 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [11]. 179

Informationsaustausch, ohne dass grundlegende Entscheidungen getroffen wurden. Da der Regionalkommandeur keinem der zivilen Ressorts in seinem Stab vorgesetzt war, galt auch in diesen Gremien – sollten Entscheidungen getroffen werden – das Konsensprinzip. Die Formulierung eines gemeinsamen Zieles zur moderaten Kooperation oder sogar die verantwortliche Einbindung in die Operationsführung, also Koordination im Sinne dieser Arbeit, fand auf dieser Ebene nicht statt. Bei der Organisation der ressortgemeinsamen Kooperation im Regionalkommando war somit ganz wesentlich der Wille des Regionalkommandeurs zu einer engen Kooperation und zum Beschreiten neuer Wege der Kooperation entscheidend.

Der Vertreter des BMZ im Regionalkommando war entwicklungspolitischer Berater des Regionalkommandeurs. Diese Funktion beinhaltete innerhalb des Kommandos einen engen Austausch mit den zuständigen militärischen Stellen, also dem J9702 für die zivil‐ militärische Zusammenarbeit im Ausland (ZMZ‐A, CIMIC)703 bzw. dem stellvertretenden Kommandeur des Regionalkommandos in dessen Eigenschaft als Verantwortlicher für Stabilisierung.704 Er hielt Kontakt zu den multinationalen Geberstrukturen um UNAMA und den verschiedenen Koordinierungsmechanismen. Sofern der Regionalkommandeur den Vertreter des BMZ in seine Stabsarbeit integrierte, stieß dieser schnell auf die Grenzen des durch ihn allein Umsetzbaren: Teilnahme an der Operationsplanung des Militärs und die gleichzeitige Koordination der Entwicklungszusammenarbeit waren durch eine einzelne Person schlicht nicht zu leisten.705

Eine Koordinierung der Tätigkeiten der jeweiligen Vertreter in den PRT fand aus dem Regionalkommando größtenteils nicht statt.706 Das hatte verschiedene Gründe: Erstens

702 Die Bezeichnung von militärischen Führungsgrundgebieten variiert je nach Art und Ebene des Stabes. Normalerweise mit „S“ bezeichnet, werden sie ab der Ebene einer Division mit „G“ bzw. in einem streitkräftegemeinsamen Kommando wie dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr oder eben dem Regionalkommando Nord mit „J“ für „Joint“ bezeichnet.

703 Vgl. Michael Paul: CIMIC am Beispiel des ISAF‐Einsatzes. Konzeption, Umsetzung und Weiterentwicklung zivil‐militärischer Interaktion im Auslandseinsatz, Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik 31, Berlin 2008, S. 10f.

704 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [16].

705 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

706 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

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beruhte es auf den Meldewegen der zivilen Vertreter in den PRT, die in den meisten Fällen direkt in ihr Ministerium berichteten, ohne das Regionalkommando direkt einzubinden. Zwar wurden einige Meldungen vor der Abgabe ins Inland zwischen den Vertretern eines Ressorts in den PRT und im Regionalkommando abgesprochen – dies fand jedoch auf Augenhöhe statt.707 Der BMZ‐Vertreter im Regionalkommando war somit auch für die Entwicklungszusammenarbeit in seiner Region, Balkh, zuständig708 – einer Region, in der es bereits ein schwedisch geführtes PRT gab. Zweitens waren die räumlichen Entfernungen innerhalb des Regionalkommandos für eine effektive persönliche Koordination hinderlich. Das wurde verstärkt durch den Mangel an eigenen, deutschen Luftfahrzeugen zum schnellen Transport, da die Überlandwege schnelle Reisen nicht zuließen.709 Drittens – darauf wird noch zurückzukommen sein – war eine effektive Koordinierung, beispielsweise der Arbeit des BMZ, vor Ort nicht auf täglicher Basis möglich, da die Entscheidungsmodi für Projekte, ebenso wie die Laufzeiten dieser Projekte dies nicht erlaubten. Der Vertreter des AA im Regionalkommando war insbesondere in seiner Rolle als politischer Berater (political advisor, POLAD) des Regionalkommandeurs präsent.710 Er wirkte sich auf die Arbeit der PRT und die ressortgemeinsame Kooperation praktisch nicht aus.711

Generell stellten die Vertreter der zivilen Ressorts im Regionalkommando keine direkte Verbindung des Regionalkommandeurs zu den zivilen Ministerien dar. Der Regionalkommandeur war nicht bzw. nicht ausreichend über die Intentionen und Tätigkeiten der zivilen Ressorts unterrichtet, um ressortgemeinsame Impulse geben zu

707 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [16].

708 Vgl. Ebd.

709 Das deutsche Kontingent verfügt lediglich über sechs Helikopter, die den geographischen Herausforderungen in Afghanistan gewachsen sind. Diese Helikopter vom Typ CH‐53 dürfen lediglich paarweise fliegen, was die Zahl auf drei „Einheiten“ reduziert. Da ständig eine Einheit für medizinische Evakuierungseinsätze in Bereitschaft stehen musste, waren die deutschen Fähigkeiten hier sehr eingeschränkt. Erst mit der Verlegung einer amerikanischen Heeresfliegerbrigade der 10th Mountain Division im Jahr 2010 änderte sich dieser Missstand, vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [32].

710 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [7]. Die Position des POLAD wurde jedoch nicht immer von einem Vertreter des AA besetzt – teilweise wurden auf Vertragsbasis auch politische Experten eingestellt.

711 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [13].

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können.712 Er führte ganz wesentlich rein militärisch, teilweise aus eigener Entscheidung heraus, teilweise aufgrund eines Mangels an Informationen und, damit zusammenhängend, Kompetenzen. Auch wenn die zivilen Leiter der PRT oftmals zu Besprechungen beim Regionalkommandeur geladen wurden, konnte er direkt und verbindlich nur auf die militärischen Kommandeure der PRT einwirken.713 Sein Einfluss auf die zivilen Elemente der PRT, und damit die Umsetzung deutscher ziviler Mittel in seinem Verantwortungsbereich, war höchstens indirekt, über den militärischen Befehlsweg.714 Zivile Elemente konnten jedenfalls nicht im Schwerpunkt seiner Arbeit stehen. Für die zivil‐militärische, ressortgemeinsame Kooperation der Doppelspitze in den PRT war der Regionalkommandeur auch aus Sicht der PRT unwichtig und ohne Einfluss.715 Somit war auf dieser Ebene auch keine ressortgemeinsame Koordination möglich – das Regionalkommando wurde in den Meldewegen der zivilen Ministerien und der PRT übergangen und besaß somit zumeist weder die nötigen Informationen noch die Kompetenzen zur ressortgemeinsamen Abstimmung über eine begrenzte Kooperation hinaus.

3.2.3.2 Prozesse in den PRT In den PRT werden wie unter einem Brennglas die Abstimmungsprobleme der deutschen ressortgemeinsamen Kooperation deutlich. Die Doppelspitze aus dem Vertreter des AA und dem militärischen Kommandeur steht in einem konstanten Spannungsverhältnis aus formaler Gleichrangigkeit und faktischer Ungleichheit.716 Art, Ausgestaltung und inhaltliche Ausrichtung der Kooperation innerhalb der Doppelspitze sind in jedem Kontingent, mit jeder neuen Personalkonstellation, aufgrund der fehlenden strategischen Vorgaben unterschiedlich.717

712 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [7]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [11].

713 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

714 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [11].

715 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

716 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

717 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30]

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Dabei spielt auch die unterschiedliche Besoldungsklasse eine Rolle – nicht primär aus Sicht des Militärs, wohl aber aus jener des AA. Für das Militär manifestierte sich die Ungleichheit in der Besoldungsstufe im Wesentlichen in der asymmetrischen Mittelausstattung: Auch wenn die absoluten Zahlen variieren, ist das Verhältnis von militärischem zu zivilem Anteil innerhalb der PRT durchgehend größer als hundert zu eins. Diese Mittelausstattung hat Auswirkungen auf die mögliche Arbeit und Produktivität des zivilen Anteils. Sowohl die einfache Einrichtung des Arbeitsplatzes als auch Arbeitsaufträge über das, was von ihnen selber unmittelbar zu leisten war, gingen nur über den militärischen Stab und mussten dort genehmigt werden. Das war zwar zumeist kein Problem, macht aber eine faktische Abhängigkeit deutlich. Gleiches gilt auch für die einfache Möglichkeit, sich frei im Raum zu bewegen: Die zivilen Leiter waren, sobald sie das Lager verlassen mussten, zumeist auf die Unterstützung der Bundeswehr angewiesen, entweder durch die Gestellung von Fahrzeugen und Fahrern oder, in unsicheren Gebieten, durch die Organisation eines Konvois.718

Diese Abhängigkeit von der Infrastruktur und den Mitteln des BMVg wurde teilweise ausgeglichen durch die lange Stehzeit des zivilen Leiters. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein ziviler Leiter während seiner Zeit in einem PRT drei oder vier, manchmal auch mehr militärische Kommandeure erlebte.719 Auch wenn es dabei immer wieder zu Spannungen und Brüchen kam – darauf wird noch zurückzukommen sein – verschaffte diese Rotation dem zivilen Leiter oftmals einen Wissensvorsprung, der ihn gegenüber dem militärischen Kommandeur stärkte.720

Dennoch gab es ein offensichtliches Missverhältnis bezüglich der Gleichrangigkeit der Doppelspitze. Auf Seiten der Militärs herrschte die Vorstellung vor, dass im Fall des Konfliktes die Letztentscheidung über die Belange des PRT bei ihnen liegen bzw. liegen sollte.721 In den meisten Fällen wurden Konflikte vor Ort innerhalb der Doppelspitze beigelegt. Wo dies nicht möglich war, blieb eine fehlende Einigung jedoch meist ohne

718 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [6].

719 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [12].

720 Vgl. Ebd.

721 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

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Konsequenzen: in diesem Fall blieb jeder Vertreter in der Zuständigkeit seines Ressorts und führte seine eigenen Projekte durch, zum Teil völlig ohne Informationsaustausch und somit jede Form der Kooperation. Sollte eine Doppelspitze kontinuierlich kein gutes Arbeitsverhältnis finden, dann waren diese Projekte nicht abgestimmt und dem jeweils anderen Leiter des PRT auch schlichtweg nicht bekannt.722 Die meisten militärischen Kommandeure beurteilten die Kooperation mit ihrem AA‐Vertreter als gut oder sehr gut. Unabhängig von diesem Verhältnis bestimmten die militärischen Kommandeure in ihrem Selbstverständnis und in der Pr a xis die grundlegende Ausricht ung der PRT.723

Zudem war die Einschätzung der Sicherheitslage durch den militärischen PRT‐ Kommandeur eine auch für die anderen Ressorts wichtige Kompetenz. Somit konnte der PRT‐Kommandeur durch seine Bewertung der Sicherheitslage indirekt die Bewegungsfreiheit ebenso wie die Projekte der zivilen Ressorts beeinflussen.724 Das galt auch für das BMZ bzw. die GIZ, die über ihre risk management‐Abteilungen Kontakt zum Militär hielten.725 Diese Form der begrenzten Kooperation wird überwiegend als eingespielt und fruchtbar bewertet.

Die Form der Zusammenarbeit innerhalb der Doppelspitze – also die Kooperation in regelmäßigen, feststehenden Gremien oder Formaten – variiert je nach Personenkonstellation erheblich. Prinzipiell konnte jeder militärische Kommandeur durch die Organisation des täglichen Ablaufes der Stabsarbeit im PRT somit auch die Eckpunkte der Kooperation mit dem zivilen Leiter selbstständig organisieren. So kam es alle vier bis sechs Monate innerhalb der PRT zu einer Neuorganisation der Stabsabläufe und somit der Gremien zur ressortgemeinsamen Kooperation.

Der bedeutendste Faktor ist dabei wiederum die perzipierte Ebenenungleichheit, zumeist von Seiten des Militärs: Angesichts des materiellen Ungleichgewichtes kann ein PRT‐Kommandeur seinen zivilen Leiter effektiv an den Rand drängen – in die andere Richtung ist das nicht ohne weiteres möglich. Obligatorisch war für die meisten zivilen

722 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

723 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

724 Vgl. Ebd.

725 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [14].

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Leiter, wenn sie vor Ort waren, die Teilnahme an der Morgenlage, der morgendlichen Besprechung des militärischen Stabes. Während einige PRT‐Kommandeure hier ostentativ die Doppelspitze in den Vordergrund stellten, ließen andere ihren zivilen Counterpart erst am Ende der Lage zu Wort kommen – nach dem Wetterfeldwebel.726 Generell diente die gemeinsame Teilnahme an der Morgenlage der Sicherstellung eines gemeinsamen Informationsstandes und der Absprache der Termine für den betreffenden Tag bzw. den folgenden Zeitraum. Trat eine Doppelspitze innerhalb der internen Stabsgespräche nicht einheitlich auf, so konnte dies nach außen erst recht nicht gelingen. Bei einigen PRT‐Kommandeuren wurde die große Morgenlage durch eine Abendlage ersetzt, bei der der ganze Stab anwesend war, und das morgendliche Treffen fand ausschließlich in klein e m Kr e is statt.727

Viele PRT‐Kommandeure und zivile Leiter waren bemüht, im Kontakt mit den afghanischen Ansprechpartnern mit einer Stimme zu sprechen. Zusätzlich haben viele militärische Kommandeure aktiv versucht, gegenüber den Afghanen die Rolle des zivilen Leiters zu betonen und sich in Gesprächen zurückzuhalten. Das funktionierte nach einhelliger Auffassung nur sehr begrenzt: Nach Wahrnehmung der militärischen Kommandeure fassten die afghanischen Gesprächspartner den zivilen Leiter oftmals als eine Art „Kassenwart“ des PRT auf, da er über das größte und am schnellsten zu aktivierende Budget verfügte, während der PRT‐Kommandeur nur ein kleines Handgeld aufwenden konnte.728 In der Wahrnehmung der Afghanen war jedoch der Kommandeur, der offensichtlich über militärische Macht verfügte, der erste Ansprechpartner, wenn es um Projekte ging – der zivile Leiter, so glaubten sie, wäre dann nachrangig für die finanzielle Umsetzung zuständig. Insbesondere das Tragen der Waffe wurde von den Militärs als eindrucksvolles Zeichen gesehen, das ihnen Autorität verlieh. Nach außen

726 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

727 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

728 Das Handgeld des PRT‐Kommandeurs wurde im Laufe des Einsatzes zwar stetig vergrößert, war jedoch noch immer deutlich geringer als die Mittel, die der Vertreter des AA aufwenden konnte. Hinzu kam, dass der primäre Verwendungszweck des Handgeldes des militärischen Kommandeurs Projekte zur Verbesserung der eigenen Sicherheit (Force Protection) war, vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

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hin gab es nach Ansicht der meisten Militärs nur einen PRT‐Kommandeur – den militärischen Vertreter des BMVg.729

Das BMZ, die meiste Zeit nicht mit einem eigenen Büro in den PRT vertreten – und auch nach Einrichtung eines Büros meist in der jeweiligen Stadt und je nach Vertreter nur sporadisch in den PRT präsent –,730 war nicht unmittelbar in die tägliche Arbeit eingebunden. Fester Bestandteil der Zusammenarbeit mit der Doppelspitze war in den meisten Fällen eine wöchentliche Abstimmungsrunde, zum Teil im Rahmen einer wöchentlichen militärischen Lage, zum Teil jedoch auch als ressortgemeinsamer „jour fixe“ außerhalb der militärischen Strukturen, je nach Entscheidung des PRT‐ Kommandeurs.731 Abseits dieser Runde gab es zumeist anlassbezogene Abstimmungsrunden ohne Teilnahme des PRT‐Kommandeurs, dafür mit dem zivilen Leiter oder den CIMIC‐Soldaten des PRT. Hinzu kamen Abstimmungsrunden mit internationalen Akteuren (US Agency for International Development (USAID), US State Department) und Nichtregierungsorganisationen,732 bei einigen zivilen Leitern auch im regelmäßigen Rhythmus, etwa alle zwei Wochen.733 Im Endeffekt waren die Vertreter des BMZ vor der Einrichtung eines festen Büros in etwa alle zwei Tage im PRT, um neben den beschriebenen Abstimmungsrunden auch die Infrastruktur des Lagers zu nutzen.734

Einen Schritt weiter gingen einige PRT‐Kommandeure, wenn Sie vor der Morgenlage noch eine kleinere, vertrautere Runde der engeren Leitung einberiefen und dort ebenfalls der zivile Leiter vertreten war. In dieser Runde konnten dann beispielsweise noch der Chef des Stabes und der militärische Stellvertreter des PRT‐Kommandeurs anwesend sein.735 Diese Runde konnte als entscheidendes Gremium zur engen,

729 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

730 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

731 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

732 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [27].

733 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

734 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

735 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

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vertrauten Abstimmung dienen, in dem auch Positionen vertreten werden konnten, die nicht der Linie des jeweiligen Hauses entsprachen, und dadurch zur grundsätzlichen Steuerung des PRT beitragen. Zudem diente diese vertraute Abstimmungsrunde oftmals auch der gemeinsamen Unterrichtung durch den Vertreter des BND, damit die Doppelspitze auch diesbezüglich über einen gemeinsamen Informationsstand verfügte.736 Diese Runde war jedoch entweder nicht Teil der täglichen Organisation jedes Kommandeurs, oder der zivile Leiter war in ihr nicht vertreten. Oftmals gingen die Kontakte zwischen zivilem und militärischen Leiter auch über die formalen Runden hinaus: Je nach persönlichem Verhältnis war der Kontakt intensiv, begann beim morgendlichen Frühstück und endete abends bei einem Glas Wein oder Bier in den Betreuungseinrichtungen der PRT.737 Wo dieses Verhältnis gut war, wurde auch die Zusammenarbeit innerhalb der Doppelspitze von den Beteiligten gut bewertet. Eine enge Zusammenarbeit wurde jedoch erst durch ein Vertrauensverhältnis der handelnden Personen erreicht – war dies nicht gegeben, so boten die Strukturen keinen festen Rahmen der Kooperation.

Innerhalb der meisten Doppelspitzen wurde das Meldewesen, also die Meldungen von militärischem Kommandeur und zivilem Leiter an ihre übergeordneten Dienststellen, transparent gehandhabt. Im Normalfall legte der zivile Leiter seinem militärischen Counterpart seine Meldungen und Drahtberichte an das AA bzw. den Botschafter in Kabul vor.738 Der militärische Kommandeur tat dies ebenfalls, wenigstens sobald es in seinen Berichten um eine Einschätzung der politischen Lage ging. Das militärische Meldewesen zwischen dem Einsatzland und den Dienststellen im Inland umfasste mit den täglichen Meldungen und Weisungen einen Umfang, der täglich mehrere hundert Seiten erreichte. An diesem Meldewesen, das vorwiegend technische Dinge betraf, war der zivile Leiter nicht beteiligt. Auch der militärische Kommandeur konnte diesen

736 Vgl. Ebd.

737 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

738 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [2].

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Meldeverkehr nicht persönlich kontrollieren, dafür war sein Stab im PRT zuständig.739 Auch wenn in der Abstimmung der Meldungen im Normalfall keine Differenzen auftraten, konnte der Kommandeur, je nach persönlichem Verhältnis, durchaus Änderungen in den Berichten erreichen. Das war jedoch nicht der Normalfall. Über diese Offenheit hinaus lehnten einige PRT‐Kommandeure eine engere Beteiligung des zivilen Leiters ab.

3.3 Interne Bewertung der ressortgemeinsamen Kooperation Die beschriebenen Abstimmungs‐ und Koordinierungsstrukturen und ‐prozesse auf strategischer Ebene sowie operativ im Regionalkommando und in den PRT sind der Kontext, in dem die Führungspersonen der Ressorts handeln und täglich interagieren. Dabei fällt ihr Urteil über die Qualität der Kooperation der Ministerien, an der sie selber beteiligt waren, ausgesprochen negativ aus. Je weiter man dabei in den Einsatz hineinblickt, desto besser wird, tendenziell, die Bewertung der Zusammenarbeit.

Die interviewten Führungspersonen des Einsatzes bewerten die ressortgemeinsame Kooperation auf strategisch‐ministerieller und auf operativer Ebene vor Ort unterschiedlich. Die Kooperation auf strategischer Ebene wird überwiegend als mittelmäßig bis schlecht bewertet. Die durchschnittliche Bewertung auf einer Skala von 1 bis 7 beträgt 3,54 (vgl. Abbildung 2). Rund 47 Prozent, fast die Hälfte der Befragten, bewerten die Kooperation auf ministerieller Ebene als schlecht oder sehr schlecht (1‐3). Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Personen selber auf der strategischen Ebene gearbeitet haben, sondern auch, dass sie während ihrer Zeit als Verantwortliche in Afghanistan von der strategischen Ebene nicht das erhalten haben, was sie erwarteten. Das wird später auszuleuchten sein. Die ressortgemeinsame Kooperation auf operativer Ebene wird besser, mit einem Mittelwert von 4,75 jedoch nicht gut bewertet. Das lässt sich insbesondere durch den persönlichen Kontakt der handelnden Personen vor Ort begründen, aber auch damit, dass der Großteil der interviewten Personen auf der operativen Ebene in Afghanistan gearbeitet hat und somit die strategische Ebene von „außen“ bzw. „unten“ bewertet. Somit sagen die Daten weniger darüber aus, wie sich

739 Der Umfang dieses militärischen Meldewesens war so enorm, dass innerhalb des BMVg per Weisung eines Staatssekretärs das Meldewesen zeitweilig ausgesetzt war, bis eine neue Form der Organisation gefunden werden konnte, die deutliche Vorteile mit sich brachte.

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Akteure der strategischen Ebene selber bewerten, als vielmehr, was sich Akteure der operativen Ebene von ihnen erwartet hätten – und wo sie ihrer Ansicht nach enttäuscht wurden.

Abbildung 2: Bewertung ressortgemeinsamer Kooperation Wodurch entsteht diese eindeutig negative Bewertung? Was sind die zentralen Problemfelder der Kooperation? Die Kooperation der Ministerien leidet insbesondere unter einem fehlenden gemeinsamen Verständnis von Vernetzter Sicherheit, ungeklärten Zuständigkeiten auf strategischer und operativer Ebene und einem problematischen Verhältnis von AA und BMZ. Dies alles findet vor dem Hintergrund eines strategischen Vakuums statt. Unzureichende strategische Prozesse, in Verbindung mit einer – aus einem übertriebenen Steward‐Verständnis heraus resultierenden – 189

Selbstzensur des Militärs, verhindern die für ein hohes Maß an Strategiefähigkeit notwendige enge Koordination der deutschen Akteure, vor allem in Berlin, aber auch in Afghanistan. Persönliche Beziehungen der Akteure können diese Defizite nur punktuell, und für begrenzte Zeit, ausgleichen. Koordination ist somit nicht, moderate Kooperation nur zeitlich begrenzt und punktuell möglich.

3.4 Kooperation in einem strategischen Vakuum Die Federführung, also die koordinierende und leitende Funktion bei der Erstellung von Gesetzesvorlagen, wenn mehr als ein Ministerium beteiligt ist, ist für das deutsche Engagement in Afghanistan nicht eindeutig verteilt.740 Das führt insbesondere zu Unstimmigkeiten auf strategischer Ebene. Das AA ist für das Bundestagsmandat zuständig. Diese Zuständigkeit umfasst die Begründung ebenso wie das endgültige verbindliche Einfügen von Truppenobergrenzen, räumlichen und zeitlichen Beschränkungen sowie offiziellen Missionsbeschränkungen (caveats). Das Bundestagsmandat, auf der Basis der Sicherheitsratsresolutionen der Vereinten Nationen erteilt,741 stellt für das deutsche Engagement in Afghanistan eine bedeutende Grundlage dar, die über die juristisch bedeutsame Legitimation des Einsatzes hinausgeht. Für die zivilen Ministerien stellt das Mandat, wie oben dargestellt, keine Rechtsgrundlage dar, genauso wenig wie es sie zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet. Darüber hinaus gibt es über das Afghanistankonzept der Bundesregierung hinaus keinen ressortgemeinsamen „Masterplan“, der das Vorgehen der Afghanistan‐ Ressorts in den Nordprovinzen Afghanistans festlegen könnte.742

740 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

741 Für den ISAF‐Einsatz sind dies die UN‐Sicherheitsratsresolutionen 1386 (2001), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005), 1707 (2006), 1776 (2007), 1833 (2008), 1890 (2009) sowie 1943 (2010).

742 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

190

Abbildung 3: Zentrale Probleme des Einsatzes743

Abbildung 3 zeigt die zentralen Probleme der ressortgemeinsamen Kooperation nach Einschätzung des Führungspersonals aller Ressorts. Rund ein Fünftel beklagt eine fehlende ressortgemeinsame Strategie; rund 15 Prozent bemängeln eine fehlende Abstimmung der beteiligten Ressorts, und weitere 15 Prozent vermissen eine zentrale Führung der Ministerien; Mehrfachnennungen waren möglich. Somit sind die zentralen Probleme mit insgesamt rund 65 Prozent solche, die vor dem Hintergrund der Definition dieser Arbeit für die Strategiefähigkeit eines Staates von Bedeutung sind: „die Fähigkeit eines Staates, ein klares und erreichbares Ziel zu formulieren, alle für erforderlich erachteten staatlichen Kräfte unter dieses definierte politische Ziel unterzuordnen und die konzeptionelle Integration und Kontrolle dieser Kräfte bis hin zur operativen Ebene vor Ort zu garantieren.“ Die zentralen Probleme der ressortgemeinsamen Kooperation sind somit ein eindeutiges Zeichen für die eingeschränkte Strategiefähigkeit der

743 Offene Frage, Kodierung durch den Autor.

191

Bundesrepublik in Afghanistan. Gleiches gilt, mit Einschränkungen, ebenfalls für den zivilen Kräfteansatz. Die Personalrotationen, mit rund 8 Prozent am vierthäufigsten genannt, werden erst unter diesen Vorzeichen zu einem Grundproblem des Einsatzes.744

Formell ist die Aufteilung der federführenden Verantwortung folgendermaßen: Das AA ist zuständig für das Mandat und den Polizeiaufbau; hier arbeitet das BMI fachlich zu. Das BMZ ist federführend für die Bereiche Wiederaufbau und Entwicklung, während das BMVg für den militärischen Bereich Sicherheit federführend ist.745 Diese Abgrenzung ist jedoch weder eindeutig noch ausreichend bekannt. Selbst innerhalb der umsetzenden Ministerien bzw. in den verantwortlichen Führungskommandos der Bundeswehr gibt es keine einheitliche Vorstellung über die genaue Abgrenzung der Kompetenzen.746 Das gilt insbesondere für die strategische, politische Leitung des Einsatzes.

Die Federführung für die Erstellung des Mandates führt in den Augen praktisch aller interviewten Vertreter des BMVg zu einer Federführung des AA für den Gesamteinsatz.747 Das BMVg blickt zum AA, um strategische Weisungen zu empfangen, wie es sich in das Afghanistankonzept der Bundesregierung einzubinden hat. Auch die Bearbeitung des Afghanistankonzeptes, insbesondere seine Ausarbeitung und die Erhöhung der Detailliertheit – darauf wird noch zurückzukommen sein – wird beim AA gesehen. Das betrifft insbesondere die ministerielle Ebene.

Von Seiten des AA, ebenso wie teilweise auch des BMZ, werden sowohl die bestehenden Konzeptionen als auch die grundlegenden Formen der Kooperation auf strategischer Ebene als ausreichend bewertet.748 Insbesondere das Afghanistankonzept der Bundesregierung gilt als ausreichend durchdacht und wirkungsvoll, Handlungsbedarf wird hier nicht gesehen. Das Afghanistankonzept, seit 2006 in unregelmäßigen Abständen fortgeschrieben, hat jedoch weder auf der ministeriellen noch auf der operativen Ebene in Afghanistan große Auswirkungen auf die ressortgemeinsame

744 Siehe unten, S. 223‐227.

745 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

746 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

747 Vgl. zum Beispiel Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

748 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [2]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

192

Kooperation.749 Das Konzept verpflichtet kein Ministerium zur Kooperation. Sein einziger Vorteil besteht darin, ressortgemeinsam abgestimmt zu sein.750 Es ist zu abstrakt, um handelnden Personen auf strategischer Ebene und insbesondere vor Ort, in den Provinzen und Distrikten, als handlungsleitende Grundlage zu dienen.751 Innerhalb der PRT, im Regionalkommando und in den Ministerien kann sich kein Vertreter eines Ressorts auf das Afghanistankonzept berufen und ein bestimmtes Verhalten anderer Ressorts einfordern. Das Konzept enthält weder genaue qualitative und zeitliche Zielmarken (Benchmarks) noch Sanktionsmechanismen oder eine Klärung von Zuständigkeiten im Falle von Konflikten zwischen den Ressorts. Es dient als Grundlage der ressortgemeinsamen Kooperation überhaupt, ohne sie über Absichtserklärungen hinaus deutlicher zu bestimmen. Somit kommt es zu einem Flickenteppich von Maßnahmen, die zusammen genommen kein geschlossenes Konzept ergeben.752 Eine „Blaupause“, auch und gerade der zivilen Mittel, wie ein definierter deutscher Zuständigkeitsbereich angegangen und entwickelt werden soll, ist nicht vorhanden, Aufbauarbeit ist zu sehr Stückwerk.753

749 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [5].

750 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [13].

751 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

752 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

753 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

193

Abbildung 4: Zentrale Probleme des Einsatzes – BMVg754

Insbesondere das BMVg vermisst eindeutige strategische Leitlinien des Einsatzes – rund 56 Prozent sehen strategische Faktoren im Sinne der Definition dieser Arbeit als Hauptprobleme des Einsatzes an (vgl. Abbildung 4). Mit 18 Prozent wird die fehlende gemeinsame Führung genannt – ein Ausdruck des militärischen Hierarchieverständnisses, der von der zivilen Seite meist nicht geteilt wird. Dabei blickt das BMVg auf das AA und erwartet handlungsleitende Vorgaben, insbesondere seit Einrichtung des Sonderstabes. Der Grundsatz des Primats des Zivilen, gerade in politisierten Einsätzen wie jenem in Afghanistan, ist bei fast allen interviewten Angehörigen des BMVg anerkannt und wird sogar gefordert. Das BMVg sperrt sich auf strategischer Ebene nicht gegen eine Suprematie des AA, im Gegenteil.755 Auf operativer

754 Offene Frage, Kodierung durch den Autor.

755 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

194

Ebene vor Ort sind es auch Offiziere, die auf ihre Eigenständigkeit gegenüber den zivilen Akteuren beharren und damit eine ressortgemeinsame Kooperation erschweren – insbesondere in den PRT, aber auch im Regionalkommando. Auf strategischer Ebene ist das BMVg als Ressort bereit, sich dem AA in der Ausarbeitung einer detaillierteren Konzeption für Afghanistan unterzuordnen.

Die Vertreter des AA hingegen nennen keine der drei strategischen Felder – fehlende gemeinsame Strategie, fehlende Abstimmung der Ressorts, fehlende zentrale Führung – als Hauptprobleme des Einsatzes (vgl. Abbildung 5). Sie konzentrieren sich im Schwerpunkt auf „praktische“ Probleme vor Ort: den zivilen Kräfteansatz (25 Prozent) sowie die Rotation des handelnden Personals, insbesondere des militärischen (25 Prozent). Diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung illustriert das unterschiedliche Verständnis von gemeinsamen Vorgehen: Das AA erwartet keine gemeinsame Führung und ist dementsprechend nicht gewillt, diese zu übernehmen. Das BMVg erwartet eine gemeinsame Führung, will diese auf strategischer Ebene jedoch ebenfalls nicht übernehmen – unter anderem aus staatspolitischen Bedenken.756

756 Siehe unten, S. 209‐216.

195

Abbildung 5: Zentrale Probleme des Einsatzes – AA757 Hinzu kommt, dass der Prozess der Strategieentwicklung im Sinne dieser Arbeit in der Bundesrepublik ungenügend ist. Vernetzte Sicherheit als Grundgedanke des deutschen Engagements ist, wie gezeigt, lediglich in einem federführend vom BMVg erstellten Dokument definiert. Diese Definition ist unzureichend und wird von den anderen Ressorts im Detail nicht geteilt. Auf strategischer Ebene gibt es kein Gremium, das in diesem definitorischen Vakuum Leitlinien bietet. Die Staatssekretärsrunde ist von dem politischen Verhältnis der Ressorts geprägt. Der Zwang zur Einstimmigkeit führt dazu, dass die Staatssekretärsrunde nur in wenigen Fällen wirkliche Entscheidungen mit Blick auf Afghanistan trifft.758

757 Offene Frage, Kodierung durch den Autor.

758 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

196

Abbildung 6: Zentrale Probleme des Einsatzes – EZ759 Die Vertreter der EZ äußern sich eindeutig und bemängeln insbesondere eine fehlende gemeinsame Strategie (37,5 Prozent) – was angesichts der Weigerung des BMZ, sich in das PRT‐Konzept zu integrieren, überrascht. Weitere 25 Prozent kritisieren die Auswirkungen der häufigen Personalrotation (vgl. Abbildung 6). Hier sind sich die zivilen Ressorts, die eine deutlich längere Stehzeit als das Militär vorweisen, einig. Es überrascht mehr, dass die militärischen Vertreter dies nicht ebenfalls kritisieren, leiden sie doch auch unter dem ständigen Druck von Übernahmen und Übergaben.

759 Offene Frage, Kodierung durch den Autor.

197

3.5 Zentrale Problemfelder der Kooperation

3.5.1 Kein gemeinsames Verständnis von Vernetzter Sicherheit Fehlende Definition

Vernetzte Sicherheit – oder bis 2006, der „Vernetzte Ansatz“ bzw. „ganzheitliche Ansatz“, ist offiziell die Grundlage des deutschen Engagements in Afghanistan.760 Ein gemeinsames Verständnis dieses Begriffes ist für eine Koordination der beteiligten Ministerien, also insbesondere AA, BMVg und BMZ, von großer Bedeutung. Über die im Weißbuch 2006 niedergelegte, sehr weite Definition hinaus gibt es keine von der Bundesregierung für alle Ressorts verbindlich gemachte Definition – ebenso wie es auch sonst zu sehr im Allgemeinen bleibt.761

Das eingesetzte Führungspersonal der beteiligten Ministerien hat insgesamt ein gemeinsames Verständnis für die Notwendigkeiten des Einsatzes. Es ist unbestritten, dass die dortigen Herausforderungen eine neue Form der Kooperation der Ministerien erfordern. Alle interviewten Personen anerkennen dies. Gleichwohl gibt es erkennbare Unterschiede des genauen Verständnisses von Vernetzter Sicherheit, die auf größere Probleme der Kooperation hindeuten.

Das Konzept der Vernetzten Sicherheit ist zwar deutlich nach der Einrichtung der ersten deutsch geführten PRT in Nordafghanistan entstanden – 2003 wurde das PRT Kunduz übernommen, mit dem Weißbuch 2006 ist es offiziell Grundlage deutscher Sicherheitspolitik geworden.762 Vorher waren insbesondere der „ressortübergreifende Ansatz“763 und der „ganzheitliche Ansatz“764 („Comprehensive Approach“765)

760 Vgl. Bundesregierung: Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung: Das deutsche Afghanistan‐ Engagement nach der Londoner Konferenz, Berlin, 25. Januar 2010, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen/2009/11/2009‐11‐18‐dokument‐ afghanistan,property=publicationFile.pdf (eingesehen am 14. Oktober 2010), S. 7.

761 Vgl. Patrick Keller/Julian Voje: Wo bleibt der Masterplan? Auf der Suche nach einer außenpolitischen Strategie, in: Internationale Politik, September/Oktober 2010, S. 21‐25, S. 25.

762 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

763 Interview mit einem Vertreter des BMVg [9].

764 Vgl. http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLd4k3Ng4IA8mB2CZ 198

Schlagworte des eingesetzten Personals. Mit der Einführung des Begriffes der „Vernetzten Sicherheit“ sind diese und weitere Begriffe jedoch in der Vernetzten Sicherheit aufgegangen. Damit ist er für den Großteil des Untersuchungszeitraumes Grundlage deutscher ressortgemeinsamer Kooperation und des deutschen Engagements in Afghanistan.

Die Grenzen der Übereinstimmung werden jedoch schnell erreicht. Wenn das befragte Führungspersonal aller drei Ministerien auf den Begriff der Vernetzten Sicherheit angesprochen wurde, antwortete lediglich eine Person – ein Mitarbeiter des AA – mit Verweis auf die Bundesregierung und die bestehende Definition des Weißbuches.766 Alle weiteren Interviewpartner formulierten auf die Frage nach ihrem Verständnis von Vernetzter Sicherheit frei, und, wenn auch im Kern mit ähnlichem Inhalt, mit im Detail doch großen Unterschieden – unabhängig von der Ressortzugehörigkeit. Das betraf auch verantwortliche Referatsleiter der Ministerien – offensichtlich hat sich eine offizielle und gemeinsame Definition des Begriffes nicht durchgesetzt.767 Nicht ungewöhnlich waren „ironische“ Kommentare, ein „Augen rollen“ und entsprechende Andeutungen angesichts des „Modewortes“768 der Vernetzten Sicherheit. Vor Ort hat das Weißbuch 2006, und mit ihm die einzige bestehende, nominell ressortgemeinsame Definition von Vernetzter Sicherheit, keine Relevanz.769

Keine Sicherheit ohne Wiederaufbau?

Der größte Teil der interviewten Personen konzentrierte sich bei der Definition von Vernetzter Sicherheit auf die handlungsorientierte zweite Ebene des Begriffes.770 Das

u5vqRcMGglFR9b31fj_zcVP0A_YLciHJHR0VFAMSsGwE!/delta/base64xml/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfR F8zM1BW?yw_contentURL=%2FC1256F1200608B1B%2FW26XQEUS052INFODE%2Fcontent.jsp (eingesehen am 21. Januar 2011).

765 Interview mit einem Vertreter des BMVg [11].

766 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [2].

767 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [25].

768 Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

769 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [16].

770 Siehe oben, S. 80.

199

erklärt sich ganz wesentlich aus der Tatsache, dass die Mehrheit der Interviewten selber auf der ausführenden Ebene in Afghanistan tätig war. Nur wenige leiteten den Begriff der Vernetzten Sicherheit zunächst von der diagnostisch‐analytischen Kategorie der ersten Ebene her.771 Keine der interviewten Personen nahm Bezug auf die Probleme der „securitization“ und der Trennung von innerer und äußerer Sicherheit – auch dies ist mit der Aufgabe der Interviewten sowie dem generellen Hintergrund der Interviews zu erklären. Bemerkenswert ist es gerade bei den Militärs angesichts der regelmäßigen Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern dennoch.

Insbesondere die Interviewpartner der EZ teilen das Verständnis von Vernetzter Sicherheit des BMVg und, in Teilen, auch des AA nicht.772 Innerhalb des BMVg hat sich unter dem Einfluss des Diskurses in den USA im Zuge des Strategiewechsels unter Leitung von General David Petreaus in den Jahren 2006 und 2007 ein Verständnis von Vernetzter Sicherheit durchgesetzt, das operativ und anwendungsorientiert geprägt ist. Eng mit aktuellen Konzepten der Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency) verknüpft, sieht dieses Verständnis einen nach Phasen gegliederten, zivil‐militärischen Ablauf vor: shape, clear, hold und build.773 Gemeint ist die Vorbereitungsphase einer Operation (shape), die militärische Bekämpfung bzw. Vertreibung von gegnerischen Kräften in einem bestimmten Raum (clear), das Halten dieses Raumes und der Schutz der Bevölkerung gegen ein Wiedererstarken der gegnerischen Kräfte (hold) sowie (Wieder‐ )aufbau der Infrastruktur als auch (Wieder‐)Einführung von guter Regierungsführung und staatlichen Dienstleistungen (build).774 Im Verständnis des Militärs ist hierbei lediglich die clear‐Phase eine rein militärisch geprägte; die Vorbereitung (shape) sowie das Halten (hold) des Raumes beinhalten schon den Beitrag ziviler Akteure, während der Wiederaufbau bis auf wenige Ausnahmen, wie den Aufbau der Sicherheitskräfte, ein rein ziviles Unterfangen sein soll.775 Diese Folge von Phasen ist mittlerweile Grundlage der NATO‐Strategie im gesamten Afghanistan und drückt sich auch in den drei

771 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [11].

772 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

773 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [9].

774 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

775 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

200

Operationslinien (Lines of Operations) der ISAF aus: Security, Governance, Development.776 In der Konsequenz bedeutet dies, dass viele PRT‐Kommandeure als militärische Führer einen schnellen und koordinierten Beitrag ziviler Ministerien zur eigenen Operationsführung erwarten, wie es von anderen Nationen der ISAF praktiziert wird.777 Vernetzte Sicherheit bedeutet insbesondere bei Kommandeuren, die nach 2006 im Einsatz waren, Counterinsurgency.778 Bleibt dieser Beitrag aus, beispielsweise weil die finanziellen Mittel anderweitig und langfristig verplant sind, oder sich ein Vertreter der zivilen Ministerien nicht in die militärische Operationsplanung eingliedern will, kommt es zu erheblichen Unstimm igkeiten.779

Diesem Verständnis zugrunde liegt eine als kausal dargestellte Verbindung von Sicherheit und Wiederaufbau, wie sie auch das Afghanistankonzept der Bundesregierung vertritt: „Keine Sicherheit ohne Wiederaufbau und Entwicklung – Kein Wiederaufbau und keine Entwicklung ohne Sicherheit.“780 Nur in einem sicheren Umfeld soll demnach Wiederaufbau stattfinden können, und nur ein funktionierender Wiederaufbau der staatlichen Organe und sichtbare Fortschritte sollen Sicherheitserfolge dauerhaft und nachhaltig machen – eine deutliche „securitization“ der Politikfelder Wiederaufbau und Entwicklung. Das Afghanistan‐Konzept ist ressortgemeinsam abgestimmt und trägt die Unterschrift aller vier beteiligten Minister. Dennoch hält insbesondere das BMZ diese Kausalität für widerlegt. Erfahrungen mit Widerstandsbewegungen in der Provinz Kunduz deuten demnach darauf hin, dass die

776 Vgl. http://www.isaf.nato.int/mission.html (eingesehen am 08. November 2010).

777 So gilt die US‐geführte Operation in Marjah als bisheriges Musterbeispiel dieser Kooperation: Unmittelbar nach dem Einmarsch der ISAF und afghanischer Truppen waren internationale und afghanische Zivilisten in den Distrikt gekommen („government in a box“, Joe Klein: Harvesting Democracy in Afghanistan, in: TIME vom 31. März 2010), um schnell sichtbare Aufbauarbeit zu leisten und die afghanische Regierung in Marjah zu repräsentieren. Dieses Modell schwebt auch einigen führenden deutschen Offizieren vor Augen, vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [11].

778 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

779 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [17]. Vgl. zudem Interview mit einem Vertreter des AA [13].

780 Vgl. Die Bundesregierung: Das Afghanistan‐Konzept der Bundesregierung, September 2008, http://www.auswaertiges‐ amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/Downloads/080909‐ Afghanistan‐Konzept2008.pdf (eingesehen am 08. November 2010), S. 3.

201

für ISAF‐Soldaten und westliche Zivilisten gefährlichsten Gebiete und Hochburgen des Widerstandes – z.B. Chahar Dara, Imam Sahib, Kunduz – gleichzeitig die relativ wohlhabenden Distrikte der Provinz sind.781 Auch eine Priorisierung in der Mittelplanung des BMZ und des AA hätten an der Gefährlichkeit dieser Distrikte nichts geändert. Aus diesem Grund hat das BMZ informell Abstand zu der Formulierung des Afghanistan‐Konzeptes genommen.

Auch das AA sieht eine zu sehr auf die Umsetzung orientierte Definition von Vernetzter Sicherheit kritisch. Das Phasenmodell der militärischen Planung lehnen Vertreter des AA zumeist ab, entweder aus einer Kritik an der vereinfachenden und reduktionistischen militärischen Planungsweise heraus oder weil die einfache kausale Verknüpfung von Sicherheit und Wiederaufbau ebenfalls abgelehnt wird.782 Trotz des grundlegenden Spannungsverhältnisses von AA und BMZ783 teilen Vertreter der beiden Ministerien oftmals die Skepsis gegenüber operativen Ansätzen des BMVg.784 Diese konzeptionelle Differenz zwischen vielen – bei weitem nicht allen – Vertretern des BMVg sowie, bedeutend, den internationalen ISAF‐Partnern, und den zivilen Ministerien in der Bundesrepublik ist somit eine der bedeutenden Schwächen des deutschen ressortgemeinsamen Einsatzes.

Vernetzte Sicherheit – Hierarchie oder Netzwerk?

Alle Militärs, die auf der operativen Ebene eingesetzt waren, betonten die operative Dimension von Vernetzter Sicherheit, also die Notwendigkeit, alle staatlichen Mittel zum Erreichen eines Zieles einzusetzen. Als Mindeststandard bedeute dies, dass „mehrere Ministerien an einem Seil [ziehen], und wenn es ordentlich klappt auch noch in die gleiche Richtung“785. Dies solle entweder „in einem abgestimmten Prozess“786 oder

781 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [14].

782 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [25].

783 Siehe unten, S. 205‐209.

784 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [25].

785 Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

786 Interview mit einem Vertreter des BMVg [7].

202

„unter einem Dach“787 geschehen. Auffällig ist zum einen die Differenz des Verständnisses von Vernetzter Sicherheit zwischen den Vertretern des AA und jenen des BMZ sowie zwischen den zivilen Ressorts. Die AA‐Mitarbeiter charakterisieren Vernetzte Sicherheit deutlich weniger hierarchisch, eher allgemein als ein „Zusammenwirken von militärischen und zivilen Komponenten“788, als die Verbindung von Wiederaufbau, guter Regierungsführung und Sicherheit.789 Hier drückt sich ein abstrakteres, theoretisierendes, konzeptuelles Verständnis von Vernetzter Sicherheit aus. Die Mehrheit der Vertreter des BMVg, insbesondere jene der operativen Ebene, versteht Vernetzte Sicherheit als integrierendes Konzept, als Versuch, die unterschiedlichen Fähigkeiten des Staates, wenn nicht unter eine gemeinsame Führung zu stellen, so doch diese eng abzustimmen. Das geschieht idealerweise auf vorbestimmten Operationslinien, also als Teil eines gemeinsamen Operationsplanes.790 Dieses hierarchische Verständnis bedeutet in den meisten Fällen nicht, dass das militärische Führungspersonal es anstreben würde, die zivilen Ministerien zu führen. Im Gegenteil – die Führung sollte, wenn es eine gäbe, bei zivilen Akteuren liegen. An der Notwendigkeit dieser gemeinsamen Führung lassen jedoch die meisten der befragten Soldaten keinen Zweifel. Auf der zivilen Seite ist es insbesondere das BMZ, das in diesem Punkt ein fundamental anderes Verständnis erkennen lässt. Vernetzte Sicherheit, so ein Vertreter, erfordere flache Hierarchien und eine Kooperation auf Augenhöhe.791 Eine Unterordnung unter eines der anderen beteiligten Ressorts oder eine andere übergeordnete Stelle wird größtenteils – auch aus praktischen Gründen – ausgeschlossen.

Auf dieser uneinheitlichen Grundlage ist keine Kooperation über den reinen Informationsaustausch, die begrenzte Kooperation, möglich – jedenfalls nicht für alle Teile des Engagements. Für eine moderate Kooperation oder sogar eine Koordination ist zunächst eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Verständnis der Ziele und der

787 Interview mit einem Vertreter des BMVg [6].

788 Interview mit einem Vertreter des AA [13].

789 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [2].

790 Vgl. z.B. Interview mit einem Vertreter des BMVg [17]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

791 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

203

Wege dorthin notwendig. Vernetzte Sicherheit, gerne als gut kommunizierbare Grundlage des deutschen Engagements vorgestellt, dient nicht dazu – zu unterschiedlich sind die Ansichten, und zu ungenau und unzureichend sind die offiziellen Dokumente, die eine Grundlage bieten sollten.

3.5.2 Ungeklärte Zuständigkeiten der Ministerien Die Zuständigkeiten der Ministerien sind im policy issue network nicht eindeutig geklärt. Zwar stehen der Vertreter des AA und der militärische Kommandeur gemeinsam an der Spitze des PRT. Klar ist jedoch lediglich, dass das BMZ seine Mitarbeiter offiziell nicht dem PRT und somit auch nicht der Doppelspitze unterstellt: Das BMZ ist Teil des PRT‐ Konzeptes, aber nicht des PRT.792 In der Praxis bedeutet dies, dass die BMZ‐Vertreter vor Ort zwar mit dem PRT zusammenarbeiten, dort aber (zumindest bis 2009) nicht ihren Hauptsitz hatten und sich anderen Ministerien nicht unterordneten. Der zivile Leiter des AA hat keine Weisungsbefugnis gegenüber den Vertretern des BMZ. Ihm sind lediglich die Mitarbeiter des BMI sowie jene des BND unterstellt – und auch das nur in den Grenzen, die die Ressorts täglich neu bestimmen.793 Insbesondere von den militärischen Kommandeuren wurde die Ansicht vertreten, dass die Doppelspitze ihre Zuständigkeiten innerhalb des PRT durch das Tragen der Uniform definiert: der militärische Kommandeur ist für den militärischen, der zivile Leiter für den zivilen Teil zuständig. Diese Aufteilung hat, wie gezeigt, formal nicht bestanden. So hing es von den Personenkonstellationen ab: Ein PRT‐Kommandeur, der die zivilen Aufgaben und Unterstellungen seinem zivilen Leiter überlässt, kann damit auch ausdrücken, dass er auf diese Aufgaben keinen Wert legt. Das wurde in einigen Gesprächen deutlich. Gleichzeitig gab es durchaus Konstellationen, in denen die Vertreter von BMZ und GIZ sich faktisch dem zivilen Leiter unterstellten. Dies drückte sich dann in einem sehr engen informellen Informationsfluss aus sowie in der Bereitschaft, keine Projekte gegen den ausdrücklichen Willen des zivilen Leiters durchzuführen.

792 Vgl. Ebd.

793 Wobei der BND kein eigenes Ressort darstellt. Für gewöhnlich hatten lediglich der militärische und der zivile Leiter direkten Zugang zu den Erkenntnissen des BND‐Vertreters im PRT, vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [25].

204

Für gewöhnlich hielt sich der militärische PRT‐Kommandeur innerhalb der Doppelspitze somit als „Primus Inter Pares“794 – auch wenn das Verhältnis nach außen als gleichrangig beschrieben wurde. Wäre es zu einer bedeutenden Entscheidung über das PRT gekommen, hätte diese im Konfliktfall, so die nahezu einhellige Auffassung, der militärische Kommandeur getroffen. Auch aus Sicht der zivilen Leiter war dieses Missverhältnis offensichtlich. Die PRT waren ganz wesentlich militärische Instrumente mit einem militärischen Auftrag – daran änderte auch die Position des zivilen Leiters innerhalb der Doppelspitze nichts. Persönliche Beziehungen konnten das abmildern, jedoch nicht verhindern. In gut funktionierenden persönlichen Konstellationen hat sich eine grundsätzliche, vor Ort getroffene Aufteilung der Zuständigkeiten in Sicherheit und Wiederaufbau als praktisch erwiesen – auch ohne die notwendige Unterstellung von Personal und Mitteln des BMZ.795

3.5.3 Spannungsfeld zwischen AA und BMZ Das bedeutendste Spannungsverhältnis innerhalb der PRT existiert zwischen den Mitarbeitern des AA und des BMZ. Das beginnt bereits mit der Amtsbezeichnung des zivilen Leiters, die vom BMZ abgelehnt wurde.796 Die Spannung zwischen dem zivilen Leiter und den Vertretern des BMZ resultierte dabei im Wesentlichen aus der Weigerung des BMZ, seine Vertreter vor Ort dem AA zu unterstellen. An deutschen Botschaften im Ausland ist dies zumeist anders, hier werden Mitarbeiter des BMZ an die Botschaften abgestellt und sind dabei dem Botschafter unterstellt. Für die PRT hat das BMZ auf diese Option verzichtet. Als Begründung wird zumeist auf die schon dargestellten unterschiedlichen Arbeitsweisen und Zeithorizonte der beiden Ressorts hingewiesen, die eine Unterstellung ebenso unnötig wie unzweckmäßig mache. Das AA konzentriert sich mit seinen Geldern im Wesentlichen auf Projekte der humanitären Nothilfe.797 Tatsächlich ist das ein Grund für eine differenzierte Unterstellung, nicht jedoch für eine völlige Autonomie. Dass Projekte der EZ bedeutend längere Laufzeiten

794 Interview mit einem Vertreter des AA [2].

795 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

796 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

797 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

205

haben und auf der Ebene von Regierungskonsultationen festgelegt und koordiniert werden, bedeutet nicht zwingend, dass diese Projekte sich nicht in ein Konzept unter der Aufsicht eines anderen Ressorts einfügen lassen sollten. Damit würde womöglich die Ebene der Koordination oberhalb jener des PRT liegen, und vor Ort würden nur die prozessualen Abstimmungen vorgenommen werden. Aber auch hier geht das BMZ seine eigenen, in vielen Ländern mit Erfolg beschrittenen Wege. Ein grundlegendes Argument für die fehlende Unterstellung sind die unterschiedlichen Vorgehensweisen jedoch nicht.

Weit bedeutender für das Spannungsverhältnis zwischen BMZ und AA sind grundlegende Fragen der Beziehungen beider Häuser in Berlin. Das BMZ steht seit seiner Gründung 1961 in einem stetigen Konkurrenzverhältnis zum AA (und zum BMWi).798 Die Selbstständigkeit der Entwicklungszusammenarbeit ist keineswegs selbstverständlich. In vergleichbaren Regierungssystemen wie dem parlamentarisch‐ konstitutionellen System der Niederlande ist der für Entwicklungszusammenarbeit zuständige Staatssekretär Teil des Außenministeriums.799 Debatten über eine Fusion von BMZ und AA sind keine Seltenheit. Im Kern rührt diese Frage an die Rolle der EZ und ihr Verhältnis zu den Interessen deutscher Außenpolitik. Die Selbstständigkeit des BMZ garantiert nach Ansicht der Verteidiger die humane und am Wohl der Empfänger ausgerichtete Politik des BMZ. Eine Unterordnung unter das AA würde damit die Frage nach dem staatspolitischen Nutzen von EZ mit bestimmten Empfängerstaaten aufwerfen und eine nach deutschen Interessen konditionierte Förderung mit sich bringen, wie sie andere Staaten praktizieren. Aus diesem Grund ist das BMZ auf jeder Ebene peinlich darauf bedacht, sich nicht dem AA unterzuordnen: Vernetzte Sicherheit brauche horizontale Beziehungen.800 Dem zivilen Leiter des AA bleibt somit angesichts seines kleinen Mitarbeiterstabes von maximal zwei Personen sowie den Vertretern des BMI – zumeist maximal zwei Polizisten des mittleren oder gehobenen Dienstes801 – sowie den

798 Vgl. Guido Mensger: Geschichte und Struktur der staatlichen Entwicklungspolitik der BRD seit Gründung des BMZ, Aachen 1993, S. 8f.

799 Vgl. Foreign Ministry of the Netherlands: Organisational Structure, http://www.minbuza.nl/en/The_Ministry/Organisational_Structure (eingesehen am 13. April 2011).

800 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [22].

801 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

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Mitarbeitern des BND nur ein kleiner tatsächlich unterstellter Bereich. Demgegenüber verfügt die militärische J9/CIMIC‐Abteilung eines PRT, formal einer der Hauptansprechpartner der zivilen Akteure vor Ort, über bis zu 14 Personen.802 Angesichts dieser Zahlenverhältnisse halten einige deutsche Offiziere die fehlende personelle und materielle Abbildung des Vernetzten Ansatzes vor Ort für eines der Grundprobleme des Einsatzes.803 Die formalen Hemmnisse müssen dann über persönliche, informelle Wege abgelegt werden. Dies geschieht teilweise auch: so kann ein ziviler Leiter den Vertreter des BMZ inoffiziell als seinen „Stellvertreter“ zu Gesprächen entsenden, in denen dieser dann auch die Position des AA vertritt.804 Solche Lösungen sind jedoch nur Momentaufnahmen und zudem von der Bereitschaft der handelnden Personen abhängig.

Teil der Weigerung des BMZ, sich in die PRT zu integrieren, war die Auslagerung der BMZ‐Vertreter aus den PRT. Anfänglich war insbesondere das PRT Kunduz unmittelbar im Stadtzentrum eingerichtet und leicht zugänglich.805 Erhöhte Anforderungen an die Gewährleistung der eigenen Sicherheit führten in der Folge zu einer Verlegung des PRT zu einem exponierten Standort außerhalb der Stadt. Der selbstverständliche tägliche Kontakt mit der Bevölkerung und den Regierungsbehörden ging somit weitgehend verloren. Vertreter der EZ betrieben jedoch auch weiterhin ein „Deutsches Haus“ innerhalb der Stadt, ohne dauerhafte Militärpräsenz. Das deutsche Haus beherbergte Vertreter von BMZ, GIZ, KfW sowie weiterer Regierungs‐ und Nichtregierungsorganisationen, die nicht in einem direkten Weisungsverhältnis zum PRT standen. Die Zahl der Mitarbeiter schwankte für gewöhnlich zwischen 5 und 15.806 In diesem Haus befand sich ebenfalls das Büro des BMZ. Vor allem in den ersten Jahren kamen die Vertreter des BMZ nur unregelmäßig in das PRT – eine Einbindung in die alltägliche Arbeit und Koordination der Doppelspitze unter dem Dach der PRT war somit nicht möglich. Zumindest einige BMZ‐Mitarbeiter hatten in den Anfangsjahren die

802 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

803 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

804 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [25].

805 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [9].

806 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

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explizite Weisung, die PRT nicht zu betreten.807 Die Abgrenzung des BMZ vor Ort gründete somit zum Teil in praktischen, zum Teil in ressortpolitisch‐ideologischen Absichten. Erst ab 2009 nutzte das BMZ auch Räumlichkeiten im PRT; später erhielt es dann ein eigenes Büro im PRT Kunduz, das der BMZ‐Vertreter vor Ort mehrmals wöchentlich aufsuchte und dann auch an den Koordinierungsrunden der Doppelspitze teilnahm.808

Die fehlende Unterstellung bedeutet nicht, dass keine Kooperation und Innovation stattfindet. So hat das BMZ sich von seinen anfänglich ausschließlich verfolgten Leuchtturmprojekten – beispielsweise ein Krankenhaus oder der Ausbau eines bedeutenden Infrastrukturprojektes – insofern entfernt, als es im Sinne einer schnelleren Sichtbarkeit diese Projekte von kleineren, schneller sichtbaren Projekten flankierte. Diese Umstellung stellt ohne Frage einen Erfolg der Zusammenarbeit der Ministerien dar.

Ein bedeutendes Beispiel für funktionierende, strukturell implementierte Kooperation zwischen den Ministerien auf der operativen Ebene vor Ort stellt der so genannte Provincial Development Fund (PDF) dar. Der PDF wird von AA, BMZ und BMVg gemeinsam finanziert. Nicht zuletzt die schwierigen Genehmigungswege zur Verwendung von Haushaltsmitteln in Afghanistan, auch des AA,809 führten zur Ausarbeitung von neuen Formen der Mittelverwendung. Über die Verwendung der Mittel des PDF entscheiden Gremien aus gleichberechtigen Vertretern der drei Ministerien sowie Vertretern der afghanischen Gemeinden und Verwaltungsbehörden.810 Der PDF wurde im Jahr 2008 aus den Mitteln des BMVg mit 4,72 Millionen und aus jenen des BMZ mit 3,5 Millionen finanziert.811 2009 betrugen die

807 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

808 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [14].

809 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

810 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

811 Vgl. Paul: CIMIC am Beispiel des Afghanistan‐Einsatzes, S. 20.

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Gesamtmittel des PDF rund 4,7 Millionen Euro.812 Die afghanischen Vertreter nehmen innerhalb der Gremien eine Priorisierung von möglichen Projekten vor, üben somit einen großen Teil an Afghan Ownership aus und folgen dadurch einem Grundgedanken der EZ. Dabei geht es wesentlich nicht um die klassischen Leuchtturmprojekte der EZ, sondern um kleine, schnell sichtbare Quick Impact Projects. Der militärische Kommandeur der PRT ist der Vertreter des BMVg in den Gremien des PDF. Auch wenn diese die Priorisierung der Projekte durch die afghanischen Partner als „Wunschliste“813 bezeichnen und sich in den Gremien offensichtlich nicht immer wohl fühlen, wird die Zusammenarbeit mit dem BMZ im Rahmen des PDF deutlich positiver gesehen als außerhalb dieser Institution. Der PDF stellt auf der operativen Ebene die wichtigste und bedeutendste Strukturveränderung der Kooperation dar. Die gemeinsame Finanzierung führt zu gemeinsamer Verantwortung für die Verwendung der Mittel und somit zu dem tatsächlichen Zwang zur Kooperation. Dieser Zwang ist nur dann effektiv, wenn fehlende Kooperation, also die Verweigerung der Zusammenarbeit zwischen den Ministerien auf einer der beschriebenen Ebenen, sanktioniert wird. Das ist allerdings nicht der Fall – auch eine fehlende Einigung in der Staatssekretärsrunde bleibt ohne unmittelbare Konsequenzen. Dieser fehlende Zwang, ausgedrückt auch in der fehlenden konsequenten Unterstellung von Ministerien, ist Grundlage der Probleme deutscher ressortgemeinsamer Kooperation in Afghanistan.

3.5.4 Selbstzensur des Militärs – Steward­Ethos der Bundeswehroffiziere Der Strategiefindungsprozess in Berlin war dazu offensichtlich geprägt von einem unklaren, gefilterten Rat des Militärs. Der wesentliche Beitrag des BMVg im strategischen Prozess war der Vorschlag einer Truppenobergrenze. In den höchsten Ebenen der Bundeswehr bis zum Staatssekretär wurden dazu regelmäßig Vorschläge

812 Vgl. Die Bundesregierung: Factsheet Afghanistan, http://www.auswaertiges‐ amt.de/cae/servlet/contentblob/355308/publicationFile/4479/factsheet_provinzentwicklungsfonds.pdf (eingesehen am 13. April 2011), S. 1.

813 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [10].

209

und Vorlagen in die Staatssekretärsrunde oder das Kabinett eingebracht, die nicht auf einer ehrlichen militärischen Lagebeurteilung beruhten.814

Innerhalb der zivilen und militärischen Führung der Streitkräfte wurden militärische Fragen – insbesondere mit Blick auf die vom Bundestag festzulegende Truppenobergrenze, aber auch hinsichtlich operativer Fragen wie der Sicherheitslage in einigen Teilen Nordafghanistans – von politischen Bedenken überlagert. Regelmäßig wurden vom BMVg in der Ausarbeitung eines neuen Mandates Zahlen vorgeschlagen, die für politisch kommunizierbar gehalten wurden – sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber den anderen Ministerien und der parlamentarischen Opposition.815 Auf den militärischen Führungsebenen wurden diese Zahlen nicht ausreichend durch einen militärischen Entscheidungsfindungsprozess hergeleitet. Wo diese Überlegungen stattfanden, insbesondere auf der Arbeitsebene des BMVg, den Referaten des Ministeriums, wurden sie nicht nach oben getragen bzw. von dort nicht nachdrücklich abgefragt.816 Diese politisch bestimmten Truppenobergrenzen bestimmten lange das operative Handeln des Militärs vor Ort, nicht Lageentwicklungen und operative Herausforderungen.817 Erst im Laufe des Jahres 2009, unter dem Eindruck des Entscheidungsfindungsprozesses in den USA und unter einer neuen zivilen Leitung, wurden militärische Optionen einschließlich neuer, für nötig erachteter Truppenobergrenzen erarbeitet und der politischen Führung bis hin zum Bundeskanzleramt und dem AA kommuniziert. Angenommen wurden sie nicht. Der dem Parlament zur Zustimmung vorgelegte Vorschlag – 5000 Soldaten zuzüglich einer „flexiblen Reserve“ von 350 Soldaten – lag deutlich unter dem vom BMVg für mindestens erforderlich erachteten Ansatz. Im abschließenden Abstimmungsprozess im Bundeskanzleramt setzte sich das AA jedoch durch und erzwang eine geringere Truppengröße. Erst die letzte „Strategiefindungsrunde“ entspricht somit annähernd der idealisierten Vorstellung Huntingtons von objektiver ziviler Kontrolle und einem ungefilterten, professionellen Rat des Militärs: Die Ablehnung dieses Vorschlages durch

814 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

815 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

816 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

817 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

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das AA und das Bundeskanzleramt war, wenn auch möglichweise nicht sachgerecht, so doch absolut legitim. Die Abwägung konnte jedoch nicht hinterfragt werden, weil dem Parlament die abweichende Meinung des BMVg offensichtlich nicht bekannt war bzw. dies nicht als ein herausragender Fakt betrachtet wurde. Strategische Kontrolle der Regierung und des Einsatzes der Bundeswehr durch das Parlament fand in dieser Hinsicht augenscheinlich nicht statt.

Die Selbstzensur des Militärs – und der zivilen Leitung – betraf nicht nur die Truppenobergrenzen, sondern auch operative militärische Aspekte. Nur in einem sicheren Umfeld können die zivilen Mitarbeiter der PRT effektiv arbeiten. Die Garantie eines sicheren Umfeldes für die zivilen Akteure ist daher Hauptauftrag der Bundeswehr innerhalb der PRT. Mit Blick auf die operative Lage vor Ort wurden Entwicklung, die offiziellen Darstellungen zuwider liefen, nicht abschließend militärisch bewertet und in die ressortgemeinsamen Gremien eingebracht. Wo sie offen bewertet wurden, waren die Ergebnisse vertraulich.818 Die faktische Aufgabe vieler Teile des Verantwortungsbereiches der Bundeswehr, über mehrere Jahre des Einsatzes, war Militärs vor Ort klar und wurde gemeldet.819

Das betraf insbesondere die Verschlechterung in der Provinz Kunduz. Die Mehrzahl der Distrikte der Provinz Kunduz war zu dieser Zeit unter der Kontrolle der heterogenen Aufstandsbewegung. In Gebieten, die zu Beginn des PRT‐Einsatzes problemlos befahren werden konnten, standen spätestens ab dem Jahr 2009 deutsche Soldaten und ihre ISAF/ANA‐Verbündeten fast täglich in Gefechten. Diese nahmen sowohl an Zahl wie auch an Qualität zu. Bestand die größte Bedrohung für Bundeswehr‐Soldaten und zivile Vertreter vor Ort bis 2009 in Selbstmordanschlägen oder IED‐Angriffen auf Konvois und Patrouillen, so wurden die Hinterhalte und Angriffe der Aufständischen mit der Zeit komplexer und professioneller.820 Angesichts von effektiv koordinierten Angriffen, in denen die Aufständischen Hand‐ und Panzerabwehrhandwaffen, IED und teilweise auch Mörser professionell einsetzten, waren deutsche ISAF‐Kräfte regelmäßig auf Luftnah‐

818 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

819 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

820 Vgl. Noetzel/Zapfe: NATO and Counterinsurgency, S. 133.

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und Artillerieunterstützung bzw. Unterstützung durch die Schützenpanzer der Panzergrenadiere angewiesen. Die Träger dieses Aufstandes in Kunduz waren der deutschen Führung vor Ort wie auch im Einsatz lange bekannt – entsprechend gehandelt wurde nicht. Auch hier war es insbesondere die höchste militärische Führung, die nicht die entscheidenden Konsequenzen zog.821 Das Militär zensierte sich sowohl mit Blick auf strategische Notwendigkeiten des Einsatzes wie auf die operative Realität vor Ort bis mindestens 2009 gegenüber der zivilen Führung des Ministeriums – Staatssekretär und Minister – selbst.822 Zu oft, so scheint es aber auch, wurde dieser Ratschlag von der zivilen Führung auch nicht eingefordert. Insbesondere zwischen 2005 und 2009 scheint es innerhalb des Ministeriums eine schweigende Übereinstimmung gegeben zu haben, bestimmte Tatsachen aus dem Einsatzgebiet im strategischen Prozess auszublenden, da sie politisch nicht gewünscht oder opportun waren. Da es von Seiten des Bundestages gleichzeitig kein Interesse und keine gezielte und offene Befragung der verantwortlichen zivilen und militärischen Führer gab, drang von dieser organisatorischen Ignoranz nichts nach außen. Die Soldaten im Feld mussten, wenn sie aktiv werden wollten, größtenteils improvisieren.

Bundeswehr­Offiziere als Stewar ds

Wie oben dargestellt, ist als Teil der Sicherheitskultur eines Staates das Rollenverständnis der führenden Offiziere von Bedeutung für die Angemessenheit und Zweckmäßigkeit der bestehenden Ordnung zivil‐militärischer Beziehungen. Zum Rollenverständnis der Offiziere und Soldaten der Bundeswehr insgesamt gibt es regelmäßige Forschung und Untersuchungen, beispielsweise durch das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SOWI). Der Mehrwehrt der vorliegenden Untersuchung liegt insbesondere in der Auswahl der befragten Personen: keine bisherige Studie hat ausschließlich Führungspersonal, überwiegend in den Dienstgradgruppen Oberste und Generale, dazu ausnahmslos mit Einsatzerfahrung befragt.

821 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

822 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

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Bei der Frage, ob die Offiziere der Bundeswehr als Stewards oder Agents handeln, muss präzisiert werden: Ein Offizier kann gleichzeitig Steward gegenüber der Bundesrepublik und deren politischem System sein und dennoch im Rahmen der vernetzten Sicherheit, noch dazu in Afghanistan, als Agent handeln. Das trifft insbesondere dann zu, wenn er von dem Konzept nicht überzeugt sein sollte und dann innerhalb der Mission als behindernder Faktor, als „spoiler from within“823 auftritt. Das kam zweifellos vor, insbesondere auf Ebene der PRT, aber auch im Regionalkommando.

Gegenüber der Mission und dem Konzept ist, wie dargestellt, die Einstellung der Offiziere uneinheitlich und von entscheidender Bedeutung für die Qualität der ressortgemeinsamen Kooperation vor Ort. Auch wenn sich niemand explizit gegen die deutsche ISAF‐Beteiligung ausspricht, drücken viele eine Skepsis über die Sinnhaftigkeit des Einsatzes und die beteiligten zivilen Ressorts sowie deren Vertreter aus. Dabei ist in den Gesprächen eine klare Tendenz festzustellen: je bedeutsamer die ISAF‐Mission insgesamt, der persönliche Beitrag sowie die zivilen Ressorts eingeschätzt werden, desto besser ist die Kooperation vor Ort. Gleichzeitig scheint es so zu sein, als wenn selbst auf höchster militärischer Ebene im Untersuchungszeitraum Offiziere als spoiler gewirkt und durch Handeln oder Unterlassen die ISAF‐Mission sowie die ressortgemeinsame Kooperation behindert haben. Das gilt, wohlgemerkt, lediglich gegenüber der Mission. Das strategische und strukturelle Vakuum erhöht auch hier die Bedeutung der persönlichen Einstellungen handelnder Personen und somit die Auswirkungen einer skeptischen Haltung von führenden Offizieren.

Gegenüber dem politischen System der Bundesrepublik verhalten sich die interviewten Personen eindeutig als Stewards, als Sachwalter, welche die Werte des Principals internalisiert haben und folglich danach streben, in seinem Sinne zu handeln.824 Trotz der eindeutig festzustellenden Unzufriedenheit der militärischen Vertreter mit der bisherigen Umsetzung von Vernetzter Sicherheit, insbesondere mit Blick auf eine fehlende Strategie, fehlende koordinierende Zentralinstanzen und die fehlende

823 Frederik Trettin/Julian Junk: Spoilers from Within – The Role of Bureaucratic Spoilers in Peace Operations, paper presented at the SGIR 7th Pan‐European International Relations Conference, Stockholm 2010.

824 Siehe oben, S. 58‐62.

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Abstimmung der Ressorts,825 fordern die befragten Vertreter nicht explizit eine größere Rolle des Militärs in dem strategisch‐politischen Prozess. Auf die Frage „Wie stark stimmen Sie folgender Aussage zu: Das Militär sollte bei politisch‐strategischen Entscheidungen größeren Einfluss haben?“, antwortete die überwiegende Mehrheit ablehnend (vgl. Abbildung 7): lediglich rund 7 Prozent stimmten vollkommen zu, rund 30 Prozent stimmten überhaupt nicht oder nicht zu, 23 Prozent sind indifferent. Der durchschnittliche Wert auf einer Skala von 1 bis 7 ist lediglich 3,96. Hinzu kommt, dass sich rund 17 Prozent nicht zu dieser Frage äußern wollten, vor allem, weil das ihrem Selbstverständnis als Offizier oder ihrem Demokratieverständnis widersprechen würde. Begründungen wie, der Offizier sei ja auch Staatsbürger oder Demokrat bzw. diese Frage rühre an das demokratische Selbstverständnis des Soldaten sowie der Bundeswehr insgesamt, sprechen für eine eindeutige Internalisierung demokratischer Werte. Wertet man diese Enthaltung – angesichts der Begründungen – als Ablehnung, dann beträgt der Durchschnittswert lediglich 3,15 – ein eindeutig negatives Votum. Das überrascht in dieser Eindeutigkeit auch angesichts der eigentlich „unproblematischen“ Fragestellung, die den Primat der Politik nicht antastet und lediglich nach der Rolle im strategischen Entscheidungsfindungsprozess fragt.

Obwohl insbesondere die Militärs die fehlende zentrale Koordinierung und Strategiefindung harsch kritisieren, wollen sie nicht, dass das BMVg dieses Vakuum ausfüllt. Das entspricht nicht dem Verhalten, das man sich von einer Organisation, die gegenüber dem demokratischen System nach dem Agency‐Prinzip agiert, erwarten würde: hier wären eher ein Streben nach mehr Einfluss und mehr Ressourcen zu erwarten, um das erkannte Vakuum auszufüllen. Das Streben nach Budgetmaximierung und der Stärkung des eigenen Einflusses und der eigenen Klientel würden auch herrschende organisationswissenschaftliche Theorien nahelegen.826 Dies ist nicht der Fall. Als Begründung werden auch fachliche Argumente angebracht – das Militär sei für so etwas nicht qualifiziert. Im Grunde wird jedoch deutlich, dass diese Ablehnung aus einer Internalisierung des Primats der (zivilen) Politik und der Beschränkung des

825 Siehe oben, S. 194.

826 Vgl. zum Beispiel William A. Niskanen: Bureaucracy and Representative Government, Chicago/New York 1971, S. 36‐41.

214

Militärs auf die instrumentelle Ebene resultiert. Oder, wie ein Offizier es ausdrückt, nachdem er die Defizite des Bestehenden beklagt: er sei ja auch Staatsbürger, und als solcher denke er über Afghanistan und das Militär hinaus.827 Geläufiger ist die Forderung nach einer stärkeren Rolle der Leitungsfunktion des AA und, mehr und mehr, des Bundeskanzleramtes – nicht des BMVg. Das ist ein eindeutiger Hinweis auf eine starke Steward‐Einstellung der befragten Offiziere. Mit anderen Worten: Die Kritik an dem strategischen Prozess für Afghanistan kulminiert nicht in der Forderung nach einer stärkeren Rolle des Militärs.

Mit Blick auf die operative Ebene ist das Ergebnis weniger eindeutig: Einerseits würden sich mehr Offiziere (rund 33 Prozent) tendenziell einen größeren Einfluss der Bundeswehr vor Ort in Afghanistan wünschen; andererseits lehnen ebenso rund 27 Prozent einen größeren Einfluss ab. Die Begründung der Ablehnenden ist zumeist, dass dies unsinnig sei, gerade weil das militärische Übergewicht in personeller und faktischer Hinsicht schon so groß, und der zivile Anteil so gering seien. Die Zustimmenden führen dagegen die unzureichende Abstimmung der Ressorts vor Ort an – hier drückt sich der auch von vielen zivilen Gesprächspartnern geäußerte Zustand aus, dass sich insbesondere viele PRT‐Kommandeure angesichts der langfristigen Planungszyklen, der eingeschränkten personellen Ausstattung sowie dem schlichten Unwillen ziviler Akteure zur Einbindung in die militärische Operationsführung mehr Einfluss gewünscht hätten.

Der geringere Prozentsatz an Enthaltungen (10 Prozent) sowie die größere Zustimmung zu einer stärkeren, koordinierenden Rolle des Militärs ist jedoch im Wesentlichen dadurch zu erklären, dass ein größerer Einfluss des Militärs vor Ort nicht in gleichem Maße staatspolitische Implikationen hätte wie in der Bundesrepublik. Die operative Ebene war auch schon historisch größtenteils eine vom Militär beanspruchte Domäne.828 Eine Konzentration auf die operative Sphäre unterhalb politisch‐ strategischer Entscheidungen fügt sich somit in das Selbstverständnis der (im Sinne von Tagespolitik) unpolitischen Bundeswehr und des Primats der Politik ein. In Afghanistan ist das BMVg in „seiner“ Arena – hier beansprucht es (zum Teil, keineswegs eindeutig!)

827 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [5].

828 Siehe oben, S. 135‐147.

215

eine Suprematie, die es im Inland nicht in Anspruch nehmen würde. Diese Ergebnisse belegen die offensichtliche Stewardship‐Mentalität der hier befragten hohen Offiziere.

Abbildung 7: Zustimmung zu einem größeren Einfluss des Militärs – BMVg 3.5.5 Mangelhafter strategischer Prozess Zu dieser Selbstzensur kommt ein Prozess, der die Meinung des Militärs nicht objektiv einfordert. Innerhalb der Bundesrepublik führt die unklare Federführung für den Einsatz zu einer Diffusion der Verantwortung – wo kein Ministerium den Einsatz führt, ist auch keines verantwortlich. Ohne eine zentrale, letztentscheidende Institution fehlt im Strategiefindungsprozess der Zwang an die Ressorts, eigene Bewertungen und

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Empfehlungen einzubringen und offen zu diskutieren. In den entscheidenden Gremien werden schon bestehende Positionen kommuniziert. Im Falle von gegenläufigen Meinungen und Programmen wird letztlich nicht unbedingt eine Entscheidung getroffen, sondern die gegenläufigen Entscheidungen werden in jedem Ressort umgesetzt. Die „Säulen“ der Ressorts tragen kein gemeinsames Dach, sondern stehen nebeneinander, ohne ausreichend zu kommunizieren und ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.829 Somit kann auf dieser Ebene nicht die Koordination geleistet werden, die vor Ort verlangt wird. Dass auf strategischer Ebene Absprachen stattfinden, ist in Afghanistan oftmals völlig unersichtlich. So weigerte sich das BMZ über mehrere Jahre, bis mindestens 2006, sich in die Gesamtpolitik der Bundesrepublik einzugliedern und seinen Schwerpunkt ebenfalls in den Norden Afghanistans zu legen, für den die Bundesrepublik als lead nation und die den Regionalkommandeur stellende Nation verantwortlich war.830 Diese Weigerung, sich auf eine Region oder sogar eine Provinz, einen Distrikt zu konzentrieren, war vor Ort deutlich spürbar.831 Lange gingen rund 80 Prozent der Mittel deutscher Entwicklungszusammenarbeit über Kabul in landesweite Projekte, lediglich 20 Prozent wurden vor Ort, dann im Norden, ausgegeben.832 Inzwischen gehen rund 75 Prozent der deutschen EZ‐Mittel in den Norden.833 Über den Ressorts gibt es keine zentrale Stelle, die die Akteure zwingt, ihre Argumente auszutauschen und ihre Positionen zu verteidigen.

In Abwesenheit dieses in einem verbindlichen Ergebnis endenden strategischen Prozesses fehlt eine konkrete gemeinsame Zielvorstellung der beteiligten Ministerien.834 Diese Zielvorstellung, die Festlegung, welche Ziele man sich für den deutschen Verantwortungsbereich in Afghanistan setzt, ist lediglich äußerst abstrakt vorhanden.835

829 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

830 Vgl. Ebd.

831 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

832 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

833 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [8].

834 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

835 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

217

Auf operativer Ebene vor Ort sind diese abstrakten Zielvorstellungen jedoch nicht hilfreich. Die konkrete Umsetzung der strategischen Zielvorgabe wird bei allen Ressorts anders gedacht, jeweils in gradueller Abstufung. Das betrifft auch das Militär.836 Handelnde Personen hatten vor Ort keine ausreichende Klarheit darüber, welche konkreten Ziele die Bundesrepublik in Afghanistan verfolgt und wie sie diese Ziele zu erreichen gedenkt. Ohne diese Zielvorgaben war es den handelnden Personen vor Ort überlassen, wie sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit die abstrakten Ziele „Sicherheit“, „Gute Regierungsführung“ und „Wiederaufbau“ erreichen sollten. Das konnte in einer guten Kooperation der Akteure enden, musste es aber nicht. Die fehlende Verbindlichkeit der formulierten Ziele gab dem Handeln vor Ort keinen verbindlichen Rahmen, der persönliche Differenzen hätte überbrücken können.

Das Ergebnis ist eindeutig: Auf die Frage, ob die Bundesrepublik zu der Zeit, als die Personen Verantwortung für Afghanistan getragen haben, eine kohärente Strategie verfolgte, antworteten rund 55 Prozent mit Nein, und weitere rund 21 Prozent sahen solch eine Strategie nur teilweise umgesetzt (vgl. Abbildung 8). Ihrer Ansicht nach fehlte es entweder an der unzureichenden Umsetzung, oder die Strategie sei nicht in allen Teilen kohärent. Lediglich rund 6 Prozent der Befragten bejahten die Frage vollumfänglich.837 Der große Anteil an negativen Aussagen bedeutet jedoch nicht, dass sich diese Personen über den Inhalt solch einer notwendigen Strategie einig wären – auch nicht innerhalb der Bundeswehr. Der Ruf nach einer gemeinsamen Strategie muss nicht in einem gemeinsamen Verständnis dieser Strategie enden.

Es zeigt jedoch, dass die Bundesrepublik nach Ansicht von entscheidenden Angehörigen des BMVg, aber auch von zivilen Vertretern in Afghanistan, keine kohärente Strategie verfolgte.838 Vor Ort ist den Akteuren aller Ressorts meist nicht erkennbar, was denn der Wille „der Bundesrepublik“ für den deutschen Verantwortungsbereich ist.839 Gleichzeitig sehen führende Angehörige des BMVg in Afghanistan das AA in der

836 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

837 In rund 18 Prozent der Fälle wurde die Frage aufgrund des Gesprächsverlaufes entweder nicht gestellt, oder die Gesprächspartner wollten sich zu dieser Frage nicht äußern.

838 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [25].

839 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

218

Federführung und erwarten Anleitung.840 Das wird vom AA jedoch nicht angenommen.841 Das BMZ entzieht sich aus ressortstrategischen Gründen jeder zu engen Einbindung in ressortgemeinsame Kooperation und besteht auf einer engen horizontalen Vernetzung, keiner vertikalen Hierarchie, auch nicht auf strategischer Ebene. Es entsteht ein strategisches Vakuum.

Abbildung 8: Verfolgt die Bundesrepublik in Afghanistan eine kohärente Strategie?842

840 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

841 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

842 Im Gespräch gestellt, kodiert.

219

3.5.6 Fazit: Persistente formale Strukturen – informelle Koo p eration In diesem strategischen und konzeptionellen Vakuum sowie in persistenten Ressortstrukturen findet die Kooperation vor Ort, in Afghanistan, statt. In den PRT werden Intensität und Qualität der Kooperation zwischen den drei entscheidenden Ressorts dabei ganz entscheidend von persönlichen Beziehungen geprägt.843 Zahlreiche Konstellationen von handelnden Akteuren vor Ort versuchten, das konzeptionelle Vakuum durch eigene Pläne und Konzepte auszufüllen. Das betraf sowohl Formen und Regeln der Kooperation als auch operative, in den Verantwortungsbereich des PRT wirkende Konzepte. Teilweise wurde vor Ort die federführende Zuständigkeit für einen bestimmten Bereich des PRT aufgrund der fehlenden oder missverständlichen Vorgaben neu verteilt.844 Da das Afghanistankonzept der Bundesregierung bei weitem nicht detailliert genug ist, um es auf operativ‐taktischer Ebene umzusetzen, werden diese Konzepte auf eigene Initiative entwickelt und umgesetzt.845 Für zivile Projekte fand dies oftmals unter der Verantwortung des zivilen Leiters und unter Beteiligung des militärischen Kommandeurs statt. Wo dies nicht stattfand, waren die PRT teilweise sehr produktiv und nach Wahrnehmung der teilnehmenden Akteure auch erfolgreich.846 Dies geschah dann jedoch oftmals nicht eingebettet in einen abgestimmten Operationsplan des PRT, sondern unkoordiniert und ohne eine genaue Abstimmung der Projekte nach Schwerpunkten und Zeitlinien.847 Der zivile Leiter konnte sich, in Eigeninitiative und ohne strukturelle Hilfe der strategischen Ebene, um eine verbesserte Koordination der beteiligten Ressorts sowie afghanischer Partner und internationaler Nichtregierungsorganisationen bemühen und somit von Zeit zu Zeit beachtliche und tragfähige Abmachungen zum weiteren Vorgehen, beispielweise in einem bestimmten Distrikt, erreichen.848 Zum Teil werden die Abmachungen dann dem Regionalkommando bzw. den Mutterhäusern der beteiligten Akteure zur Information

843 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

844 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

845 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [9].

846 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [31].

847 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

848 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23]. 220

und Genehmigung vorgelegt, zum Teil bleiben sie vertraulich und informell bzw. werden stillschweigend akzeptiert.849

Abbildung 9: Bede utung von persönlichen Beziehungen Persönliche Beziehungen der handelnden Personen sind durchgehend von großer Bedeutung, jedoch in unterschiedlichem Maßstab (vgl. Abbildung 9). Während auf strategischer Ebene in der Interaktion der Ministerien, die zumeist in festgelegten

849 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [31].

221

Prozessen und Formen abläuft, persönliche Beziehungen von großer Bedeutung sind, entscheiden sie vor Ort über Erfolg und Misserfolg von ressortgemeinsamer Kooperation. Alle befragten Personen (bis auf rund 3 Prozent, die sich enthielten) weisen persönlichen Beziehungen auf operativer Ebene eine große bzw. überragende Bedeutung zu: im Durchschnitt bewerteten sie die Bedeutung vor Ort mit 6,41, im Gegensatz zu 5,41 auf strategischer Ebene. In der Abwesenheit von Strukturen sind Personen entscheidend.

Auch das Verhältnis der Doppelspitze zum BMZ war von persönlichen Entscheidungen geprägt, insbesondere des PRT‐Kommandeurs:850 Einige Kommandeure boten den BMZ‐ Vertretern die Einrichtung einer informellen „Dreierspitze“ des PRT an, mit intensiver, täglicher und gleichberechtigter Führung des PRT. Andere behandelten das BMZ als nachgeordneten, für die gesamte Operationsführung des PRT nicht relevanten oder sogar konkurrierenden Teil. Diese nachlässige Behandlung ging dann zumeist Hand in Hand mit einer Vernachlässigung des PRT‐eigenen CIMIC‐Bereiches.851 Diese sehr negativen Erfahrungen bildeten die Ausnahme. In vielen Fällen engagierten sich BMZ und GIZ, oft ohne Wissen der Mutterhäuser bzw. der politischen Führung, intensiv in der Arbeit des PRT. In bestimmten Personenkonstellationen wurde den handelnden Akteuren vor Ort schnell klar, dass sie nicht die notwendigen Weisungen aus Berlin erhalten würden, um ihre Arbeit zu koordinieren, so dass sie dies selber taten.852 Diese „verdeckte“853 Kooperation ging soweit, dass vor Ort ressortgemeinsame Operationspläne erstellt wurden, die dem BMZ Aufgaben zuwiesen, die es offiziell gar nicht übernehmen durfte. Das galt vor allem für eine Kooperation von GIZ und Bundeswehr, von der das BMZ nichts erfahren durfte. Diese Arbeit musste vor Ort vertraulich bleiben, damit aus den Ressorts kein Widerstand kam.854 Auf dieser informellen Ebene wurden insbesondere Informationen ausgetauscht: Das Militär erkundete auf Patrouillen mögliche Projekte für das BMZ, während zivile Mitarbeiter auf

850 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

851 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [27].

852 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

853 Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

854 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [28].

222

ihren Fahrten teilweise den Stand von militärisch bedeutenden Objekten – etwa Brücken – an das Militär übermittelten. War jedoch das Verhältnis des BMZ‐Vertreters vor Ort zum PRT bzw. zur Doppelspitze von Distanz geprägt, wurde „Dienst nach Vorschrift“ gemacht und die Tätigkeiten nicht ausreichend koordiniert. War sogar über lange Zeiträume kein Mitarbeiter des BMZ in den PRT vertreten, fand überhaupt keine Kooperation statt. Ein Großteil der „informellen“, also am ausdrücklichen Willen der Mutterhäuser vorbei gehenden Kooperation fand in den Anfangsjahren der PRT statt. Mit fortlaufender Dauer des Einsatzes wurden die Spielräume für Kooperation zwischen den Akteuren vor Ort merklich größer, wenn auch nicht entscheidend. Die Bedeutung der persönlichen Beziehungen wird auch dadurch deutlich, dass die Kooperation der Doppelspitze mit dem BMZ oftmals unter der grundsätzlichen räumlichen Trennung litt, die meist bis 2009 durchgehalten wurde: wo der tägliche Kontakt fehlt, ist auch informelle Kooperation schwieriger.855 Und wo die persönlichen Beziehungen nicht harmonisch sind, können die PRT das strategische und konzeptionelle Vakuum auch nicht durch lokale, im Zweifel informelle Übereinkommen ausfüllen – das PRT bleibt unkoordiniert.856

Wirkung der Personalrotationen

Wo persönliche Beziehungen entscheidend sind, stellen Personenwechsel einschneidende Momente dar. Kontingentwechsel sind immer wieder Neuanfänge.857 Die Stehzeit von Soldaten der Bundeswehr – vier Monate für die Schutzkompanien und die meisten Kräfte der PRT, rund sechs Monate für Führungspersonal und Kommandeure der PRT – ist deutlich kürzer als die der zivilen Mitarbeiter. Vertreter des AA bleiben für gewöhnlich zwischen einem und zwei Jahren in Afghanistan, Mitarbeiter des BMZ bzw. der Ausführungsorganisationen mitunter deutlich länger, bis zu vier oder fünf Jahren.858 Dennoch bestimmen in den PRT die militärischen Kommandeure aufgrund des überwältigend großen militärischen Anteils im Wesentlichen Aufstellung

855 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

856 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [19].

857 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

858 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

223

und Vorgehen der PRT sowie die Ausgestaltung der ressortgemeinsamen Kooperation. Somit kommt es innerhalb eines Jahres zu zwei bis drei neuen „Versuchen“ der persönlichen Konstellation innerhalb der Doppelspitze – ein ziviler Leiter des AA muss mit bis zu vier militärischen Kommandeuren zusammen arbeiten, die zumeist zum ersten Mal in Afghanistan sind.859 Oft benötigt der Kommandeur bis zu vier Wochen, um sich einzuarbeiten und den Ablauf des PRT nach seinem Willen zu regeln. Wiederum vier Wochen vor Ende seiner Stehzeit beginnt die Vorbereitung der Übergabe an seinen Nachfolger, womit im Kern zwei bis vier Monate zur Gestaltung der ressortgemeinsamen Arbeit verbleiben. Auf der Seite der zivilen Leiter sowie – teilweise – der Mitarbeiter des BMZ sorgt eine großzügige Urlaubsregelung dafür, dass die Personen regelmäßig für einige Wochen nicht im Lande sind. Fehlt ein Stellvertreter, was vorkam, war die ressortgemeinsame Kooperation dadurch beeinträchtigt. Dennoch ist die Gesamtstehzeit der zivilen Mitarbeiter jener der Militärs deutlich überlegen, was dazu führt, dass, im Falle von schlechten persönlichen Beziehungen, die zivilen Mitarbeiter der PRT die militärischen Vertreter „aussitzen“.860

Kontingentwechsel, und mit ihnen einhergehend personelle Wechsel, haben somit einen erheblichen Einfluss auf die ressortgemeinsame Kooperation. Das betrifft vor allem Wechsel im Führungspersonal der PRT.861 Regelmäßig sorgen sie für Brüche und erhebliche Informationsverluste. Zahlreiche Versuche, kontingentübergreifende „Gedächtnisse“ zu erstellen, Datenbanken, in denen vergangene und laufende Operationen und Projekte sowie allgemeine Informationen gespeichert und an das Nachfolgekontingent übertragen werden, sind meist gescheitert.862 Das lag zumeist entweder an fehlender Datenkompatibilität bzw. unterschiedlichen Meldeanforderungen der Ministerien, oder auch an fehlender Bereitschaft und

859 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [13]. Die Bundeswehr hat auf die Anforderungen des Einsatzes reagiert. Inzwischen hat rund ein Drittel der eingesetzten Soldaten eine Stehzeit von sechs Monaten, vgl. Abweichungen. Die Einsatzzeiten für Soldaten in Afghanistan werden immer länger, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. November 2010. Für den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit spielt das jedoch keine Rolle.

860 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

861 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

862 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [29].

224

fehlendem Engagement der Personen vor Ort.863 Neue Kommandeure mussten somit zwar nicht bei null, jedoch weit vom Kenntnisstand der Vorgängerkontingente entfernt anfangen.864 Das betrifft auch ressortgemeinsame Projekte bzw. solche des zivilen Wiederaufbaus.865 In diesen Fällen musste dann der zivile Leiter bzw. ein Vertreter des BMZ das entsprechende „Gedächtnis“ stellen, was seinen Einfluss gegenüber dem militärischen Kommandeur erhöhte, jedoch nicht das Problem der Brüche zwischen den Kontingenten löste.866 Reibungsverluste bis hin zum kompletten Datenverlust waren bei jedem Kontingentwechsel an der Tagesordnung.867

Von Seiten der Bundeswehr wurden Vorschläge erarbeitet, dieses Problem dadurch zu umgehen, dass man Führungspersonal der PRT „poolt“. Dieses pooling hätte auf verschiedenen Wegen ausgestaltet werden können, immer mit dem Ziel, einen begrenzten Kreis von Führungspersonal und Spezialisten mehrmals in das gleiche PRT zu entsenden. Dafür hätten auch die Einsatzzeiten verkürzt werden können. Für militärische Spezialisten, beispielsweise des Nachrichtendienstes, findet dieses Prinzip schon seit längerer Zeit Anwendung. Das Prinzip des poolings wurde im Falle der PRT nicht angewandt, bisher war kein PRT‐Kommandeur in zweites Mal in der gleichen Funktion im Einsatz. Lediglich ein ehemaliger PRT‐Kommandeur war in der Folge Regionalkommandeur Nord. Während Soldaten der Schutz‐ und Kampfeinheiten sowie einsatzwichtige Spezialisten wie Heeresflieger und Pioniere oft bereits mehrere Einsätze in Afghanistan absolviert haben, muss sich das Führungspersonal der PRT jedes Mal neu mit den Anforderungen des Einsatzes auseinandersetzen. Das beeinflusst erheblich die ressortgemeinsame Kooperation.868 Die Gründe dafür wurden nicht offensichtlich.

Die Bedeutung von persönlichen Beziehungen für die Kooperation vor Ort, vor dem Hintergrund des strategischen Vakuums und der hohen Rotation von insbesondere

863 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [30].

864 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [17].

865 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [13].

866 Vgl. Ebd.

867 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [27].

868 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [13].

225

militärischem Führungspersonal, in Verbindung mit der fehlenden personellen Abbildung von Vernetzter Sicherheit, führt zu einer inkohärenten Umsetzung von ressortgemeinsamer Kooperation. Sind die persönlichen Beziehungen vor Ort gut, findet eine zufriedenstellende oder sogar gute ressortgemeinsame Kooperation statt. Nach Einschätzung einiger Akteure, die sehr gut mit ihren Kollegen der anderen Ressorts zurechtkamen, waren die fehlenden Konzepte und Strukturen sogar hilfreich, um ihnen Freiraum in der Ausgestaltung der Beziehungen zu geben.869 Das gilt jedenfalls, bis die Kooperation auf Grenzen von grundsätzlichen Ressortvorgaben aus Berlin trifft.870 Sind die Beziehungen schlecht, ist die Kooperation mangelhaft oder findet überhaupt nicht statt, weil es keine ausreichend verbindlichen Vorgaben aus Berlin gibt.871 Ist kein Personal der zivilen Ressorts vor Ort, stellt sich die Frage der Kooperation nicht. Auch eine gute ressortgemeinsame Kooperation endet vor Ort somit nach vier bis sechs Monaten. Die Folge des strategischen Vakuums wird somit vor Ort ganz offensichtlich: aufgrund fehlender konzeptioneller und struktureller Kontinuität kommt es nach einem personellen Wechsel zum „nächsten Versuch“ – mit möglicherweise neuen Projekten, neuen Strukturen, Doppelungen und Redundanzen, ohne eine Kontrolle und Gewährleistung der Nachhaltigkeit von bereits begonnenen Projekten. Das Verlassen auf die „Hängematte der persönlichen Beziehungen“ kann das strategische und konzeptionelle Vakuum nur punktuell kompensieren. Das Fehlen von Struktur, Strategie und Konzepten führt zu einer Aneinanderreihung von Versuchen und persönlichen Experimenten.872

Generell hat sich ein eindeutiges Muster der Kooperation herauskristallisiert: Je höher man in der jeweiligen Hierarchie der Ressorts geht, also insbesondere auf der strategischen Ebene innerhalb der Bundesrepublik, desto formeller und unzureichender ist die ressortgemeinsame Kooperation.873 Je weiter man in der Hierarchie hinabsteigt, bis auf die operative Ebene im Einsatzland, im Regionalkommando und insbesondere in

869 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [21].

870 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [23].

871 Vgl. Ebd.

872 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [26].

873 Vgl. Interview mit einem Vertreter des BMVg [7].

226

den PRT, desto größer ist das Potenzial für eine gute bis sehr gute ressortgemeinsame Kooperation – je nach persönlichen Beziehungen.874 Der funktionale Druck, vor Ort zu kooperieren, ermutigt zudem zur Kooperation, auch wenn persönliche Beziehungen dies nicht fördern.875 Auf strategischen Vorgaben beruht diese Kooperation nicht, strategische Kohärenz existiert nicht.

874 Vgl. Interview mit einem Vertreter der EZ [27].

875 Vgl. Interview mit einem Vertreter des AA [25].

227

4. Schlussbetrachtung

Was sind die Kernprobleme der in der vorliegenden Arbeit betrachteten ressortgemeinsamen Kooperation? Und wieso treten diese Probleme vor allem in der Umsetzung einer zivil‐militärischen Strategie auf? Diese Fragen bildeten den Ausganspunkt der Untersuchung ressortgemeinsamer Kooperation. Im Folgenden sollen daher die beiden Ausgangsfragen nacheinander beantwortet werden. Zugleich wird in beiden Fällen kurz auf Verbesserungsmöglichkeiten, die sich aus den Erkenntnissen dieser Arbeit ergeben, hingewiesen. Danach werden mit der Metapher des ineffizienten Beratungsmarktes die grundlegenden Defizite des militärischen Beitrags zum Strategiefindungsprozess beleuchtet. Schließlich wird dann die Reichweite des hier gewählten sicherheitskulturellen Ansatzes behandelt und seine Grenzen aufgezeigt sowie, darauf aufbauend, ein Ausblick auf die weitere mögliche Forschung gegeben.

4.1 Die Kernprobleme der ressortgemeinsamen Kooperation… Die zentralen Probleme der ressortgemeinsamen Kooperation sind offensichtlich. Das interorganisationale Netzwerk von AA, BMVg und BMZ/GIZ kommt nicht über eingeschränkte Formen der Kooperation im Sinne dieser Arbeit hinaus. Zumeist hat diese nur den Charakter der begrenzten Kooperation und erschöpft sich im Informationsaustausch der Ressorts und Akteure, sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene. Und selbst dieser Informationsaustausch ist – abhängig von interpersonalen Beziehungen – nicht erschöpfend und teilweise defizitär. Nur punktuell, an handelnde Personen gebunden und somit örtlich und zeitlich begrenzt, ist eine moderate Kooperation möglich. Das gilt vor allem für die PRT. Hier werden gemeinsame Zielvereinbarungen getroffen, die das Handeln der Beteiligten leiten sollen. Diese sind auf strategischer Ebene jedoch um des politischen Konsenses Willen zu abstrakt – so auch das Afghanistan‐Konzept der Bundesregierung. Auf operativer Ebene werden die Zielvereinbarungen oftmals an den offiziellen, formalen Strukturen vorbei vereinbart und umgesetzt, sind somit notwendig weniger effektiv und verlieren mit dem Wechsel der verantwortlichen Personen zumeist ihre Grundlage. Das für große Teile des deutschen ressortgemeinsamen Engagements feststellbare strategische Vakuum können

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sie nicht ausfüllen. Koordination, im Sinne dieser Arbeit, wurde im Untersuchungszeitraum lediglich punktuell, und nur auf operativer Ebene erreicht.

Die in technischen Details schwache Stellung des Bundeskanzleramtes führt dazu, dass die hier untersuchten Ministerien ein Netzwerk ergeben, also nicht in eine Hierarchie eingebunden sind, die den strategischen Prozess aus eigener Kompetenz heraus steuern könnte. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzleramtes beinhaltet nach herrschender Meinung zwar die Entscheidung bedeutender Fragen, nicht jedoch die Regelung von ministerialinternen Details.876 Hierarchie ist für Koordination nicht zwingend nötig. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass gemeinsame Zielvorgaben und deren verbindliche Unterlegung mit Ressourcen nicht ohne eine Letztentscheidungsinstanz gelin gen könne n. D iese Instanz fehlt.

Diese Problematik ist nicht neu und nicht direkt kausal mit zivil‐militärischen Beziehungen verbunden. Sie vervielfältigen die negativen Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates in einem bestimmten Kontext, können ihnen jedoch nicht allein ursächlich zugrunde liegen. Das zeigen vergleichbare Regierungssysteme, deren Umsetzung Vernetzter Sicherheit – wenn auch lange nicht problemfrei – so doch deutlich besser funktioniert. Das gilt beispielsweise für die Niederlande.877 Die politische und politikwissenschaftliche Debatte der letzten Jahre hat diese Problematik vielfach angesprochen und Reformvorschläge des Regierungssystems unterbreitet. Im Zentrum steht dabei zumeist entweder eine Stärkung des Bundeskanzleramtes zur verbindlichen Koordinierung der Ministerien über die abstrakte Richtlinienkompetenz hinaus,878 oder – teilweise damit verbunden – die Reform des Bundessicherheitsrates hin zu einem exekutiven Gremium mit erweiterten

876 Vgl. Volker Busse: Bundeskanzleramt und Bundesregierung. Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise, 3., neu bearbeitete und aktualisierte Auflage, Heidelberg 2001, S. 45.

877 Vgl. The Liaison Office: The Dutch Engagement in Uruzgan: 2006 to 2010. A TLO socio‐political assessment, August 2010, http://www.humansecuritygateway.com/documents/TLO_Dutch_Engagement_In_Uruzgan‐2006‐ 2010.pdf (eingesehen am 10. Februar 2011), S. vi‐x.

878 Vgl. Kai Oppermann/Alexander Höse: Die innenpolitischen Restriktionen deutscher Außenpolitik, in: Thomas Jäger/Alexander Höse/Kai Oppermann (Hrsg.): Deutsche Außenpolitik. Sicherheit, Wohlfahrt, Institutionen und Normen, Wiesbaden 2007, S. 40‐68, S. 46f.

229

Kompetenzen.879 Der Bundessicherheitsrat, als Kabinettsausschuss vor allem für die Genehmigung von Rüstungsexporten zuständig, stellt in diesen Vorschlägen zumeist den Kern eines die Ministerien in bestimmten Fragen verbindlich und eng koordinierenden Gremiums unter der Führung des Bundeskanzlers bzw. eines hochrangigen Vertreters dar. Auch die Einführung eines Nationalen Sicherheitsberaters nach US‐amerikanischem Vorbild wird zur Stärkung der zentralen Führung diskutiert.880 Eine solche Reform könnte in der Tat die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik entscheidend verbessern – gleich ob es sich um ein Organisationselement mit verbindlicher Weisungsbefugnis, oder lediglich ein koordinierendes Element handelt: Der Schritt von begrenzter zu moderater Kooperation, oder – im Falle einer Weisungs‐ bzw. Letztentscheidungsbefugnis – zur Koordination der Ministerien würde durch solch ein Instrument auf ministerieller Ebene deutlich erleichtert werden. Eine entsprechende Reform ist auch Teil der von vielen Interviewpartnern angesprochenen Verbesserungsvorschläge. Doch auch diese Reformvorschläge stoßen in vielen Fällen auf Widerstände, die über Gegensätze der Ressorts hinausgehen: Ist auch die Notwendigkeit besserer Koordinierung der Ressorts auf politischer und ministerieller Ebene weitgehend anerkannt, entzündet sich die Debatte zumeist an Fragen des Einsatzes der Bundeswehr im Inland oder der „Militarisierung der Außenpolitik“881 – also an direkten Fragen der Sicherheitskultur, der zivil‐militärischen Beziehungen, und – zumindest für das erste Themenfeld – an Grundfesten der subjektiven zivilen Kontrolle der Bundeswehr. Somit gilt, dass auch eine organisatorische Reform der Regierungsarbeit und der Koordinierungsmechanismen ohne eine gleichzeitige Einbeziehung des Verhältnisses von bewaffneter Macht und zivilen Instrumenten zu kurz greifen und nur marginal zur Verbesserung der Strategiefähigkeit im Sinne dieser Arbeit beitragen

879 Vgl. Thomas M. Wandinger: Ressortübergreifendes Sicherheitsmanagement und Nationaler Sicherheitsrat, in: Robert Glawe (Hrsg.): Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, Berlin 2009, S. 119‐137, S. 133‐137.

880 Vgl. Gerd Bischof: Transformation in der Sicherheitspolitik und gesamtstaatliche Führung in Deutschland, in: Heiko Borchert (Hrsg.): Zu neuen Ufern. Politische Führungskunst in einer vernetzten Welt, Baden‐Baden 2006, S. 76‐83, S. 78‐82. Für eine kritische Darstellung des US‐amerikanischen Systems von Nationalem Sicherheitsberater und Nationalem Sicherheitsrat vgl. Amy B. Zegart: Flawed by Design. The Evolution of the CIA, JCS, and NSC, Stanford 1999, S. 76‐108.

881 Nationaler Sicherheitsrat: SPD fürchtet „Militarisierung der Außenpolitik“, in: Die WELT vom 5. Mai 2008.

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würde. Das führt zur zweiten Leitfrage: wieso treten diese Probleme vor allem in der Umsetzung einer zivil‐militärischen Strategie auf?

4.2 …gerade in der Umsetzung einer zivil­militärischen Strategie Ressortgemeinsame Kooperation ist in Afghanistan ganz wesentlich eine Frage der Kooperation von militärischen und zivilen Akteuren. Strategiefähigkeit ist somit eine Frage der Sicherheitskultur, nicht nur des Regierungssystems oder des politischen Bargaining‐Prozesses. Angesichts der organisationalen Kristallisierung von Normen gehen Ansätze zur Verbesserung somit notwendigerweise über bloße „organisatorische“ Fragen hinaus.

Die zivil‐militärischen Beziehungen der Bundesrepublik sind normativ aufgeladen und in einem hohen Maße institutionalisiert – somit eignet sich zu ihrer Untersuchung besonders der Ansatz der organisationalen Kristallisierung von Kultur. In einem hoch institutionalisierten Umfeld tendieren Organisationen dazu, die herrschenden Normen in ihre Organisationsstruktur sowie in ihre Kooperationsstrukturen und ‐prozesse zu übernehmen. Diese Organisationen sichern damit ihr Bestehen, verlieren jedoch ein großes Maß an Reform‐ und Handlungsfähigkeit. Gleiches gilt auch für interorganisationale Netzwerke wie die am Konzept der Vernetzten Sicherheit beteiligten Ministerien. Innerhalb dieses Netzwerkes sind die zivil‐militärischen Beziehungen als konkrete Kategorie der Sicherheitskultur der Bundesrepublik Deutschland von entscheidender Bedeutung für dessen Strategiefähigkeit. Die hierfür notwendige Koordination ist innerhalb von Strukturen und Prozessen, die „kristallisierte“ Normen darstellen, nur begrenzt zu leisten. Die in der ressortgemeinsamen Kooperation involvierten Organisationen huldigen in ihrer Zusammenarbeit der „Gesamtheit der zu einem Ritus gehörenden äußeren Zeichen und Handlungen”882 – der Zeremonie deutscher zivil‐militärischer Beziehungen. Die handelnden Personen, insbesondere in den PRT, aber auch in den Ministerien, versuchen sich durch informelle Kooperationsformen zu behelfen.

882 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim u.a. 2001, S. 943.

231

Hinzu kommt: Je deutlicher sich das Rollenverständnis der führenden Offiziere der Bundeswehr zu Stewards des System entwickelt, desto eher hindert das System der subjektiven zivilen Kontrolle – wie es in der Bundesrepublik ausgeprägt ist – das Militär an effektiver Teilhabe am Strategiefindungsprozess. Das gilt sowohl auf der Angebots‐ als auch auf der Nachfrageseite des militärischen Ratschlags. Damit ist nicht gesagt, dass in objektiveren zivil‐militärischen Beziehungen das deutsche Engagement in Afghanistan erfolgreicher, die ressortgemeinsame Kooperation unmittelbar effektiver wäre. Eine objektivere Teilnahme des Militärs am strategischen Prozess ist jedoch notwendiger Bestandteil jeder Strategiefindung, ein bedeutender Schritt zu einem höheren Maß an gesamtstaatlicher Strategiefähigkeit.

Die historische Analyse der formativen Phase deutscher zivil‐militärischer Beziehungen zeigt hier, dass die gegenwärtigen Beziehungen zwischen der Bundeswehr und der Bundesrepublik in ihrer Ausgestaltung nicht zwangsläufig sind, im Gegenteil: Andere demokratische Staaten bevorzugen ein Modell, das sich deutlich der objektiven zivilen Kontrolle Huntingtons zuwendet, ohne in ihrem demokratischen Charakter gefährdet zu sein. Der Dreiklang bundesrepublikanischer zivil‐militärischer Beziehungen – Kontrolle, Integration und Zivilität883 – hat insofern deutlich feststellbare Auswirkungen auf deren, wie zu Beginn postuliert wurde, ersten Zweck: nationale Sicherheit in Form von Strategie.884 Das ist umso bedeutender, als diese Charakteristika Teil der Sicherheitskultur der Bundesrepublik Deutschland sind, mithin in einem historisch bedingt hoch institutionalisierten, normativen Umfeld existieren und somit in Strukturen und Prozessen kristallisieren, die auch angesichts von neuen, in der Realität auftretenden Herausforderungen nur schwer zu verändern sind. Das zeigen die ersten zwanzig Jahre bewaffneter Auslandseinsätze der Bundeswehr. Professioneller militärischer Rat wird dann zum Ausdruck kommen, wenn das System stärker auf objektiver ziviler Kontrolle aufbaut und den Steward‐Ethos der führenden Offiziere anerkennt. Hierin liegt das in der Einleitung beschriebene Paradox: Die zivile Kontrolle des Militärs kann so erfolgreich sein, dass die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates beeinträchtigt wird. Dies ist in der Bundesrepublik der Fall.

883 Siehe oben, S. 86.

884 Siehe oben, S. 10. 232

4.3 Ineffizienter militärischer Beratungsmarkt Dieses zentrale, aus den zivil‐militärischen Beziehungen entstehende Dilemma kann – in den gebotenen Grenzen – mit einer ökonomischen Metapher illustriert werden: Der Markt aus Nachfrage nach militärischem Ratschlag und dem Angebot dieses Ratschlags ist ineffizient. Innerhalb des mangelhaften strategischen Prozesses werden die Einbeziehung des professionellen militärischen Ratschlages auf der strategischen Ebene, die Abwägung dieses Ratschlags gegen andere Handlungsempfehlungen und ein darauf aufbauender Entschluss behindert.

Die Nachfragese ite

Die einhellige Meinung der interviewten Personen – wenn sie sich zu dem Thema äußerten – ist, dass sich bei der Mehrzahl der Afghanistan besuchenden Abgeordneten des Deutschen Bundestages ein prinzipiell großes Interesse am deutschen Engagement in Afghanistan mit einer ebenso großen Unwissenheit über die dortigen Verhältnisse sowie, bedeutsamer, einer Konzentration auf nebensächliche Aspekte verbindet.885 Der Bundestag, der einen großen Einfluss auf sein „Parlamentsheer“886 beansprucht, konzentriert sich nicht ausreichend auf die strategischen Rahmenbedingungen des Einsatzes – Ziel, Mittel und Ergebnisse – sondern vor allem auf technische und militärische Details. Einziges wahrgenommenes Instrument zur strategischen Steuerung ist die Begrenzung der Truppenstärke – ein prinzipiell taugliches Instrument der parlamentarischen Kontrolle, im Bundestag jedoch nicht das Ergebnis eines strategischen Prozesses. Die Festlegung der Truppenobergrenze, wie im Parlamentsbeteiligungsgesetz gefordert, war ein kontinuierlicher Aushandlungsprozess innerhalb der Bundesregierung, ohne Blick auf die tatsächlich zu bewältigenden Aufgaben. Diese Mandatierung der Einsätze setzte der Führung der Bundeswehr auf strateg ischer und opera tiver Ebene erhebliche Grenzen:

„Während der IFOR‐ und SFOR‐Einsatz zur Stabilisierung des Friedens in Jugoslawien aus knappen Sätzen der Zustimmung bestanden […] führen neuere Anträge

885 Vgl. zum Beispiel Interview mit einem Vertreter des BMVg [10]; Interview mit einem Vertreter des BMVg [32].

886 Wiefelspütz: Das Parlamentsheer, S. 189.

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sämtliche Parameter des Einsatzes minutiös auf und machen sie damit nicht nur zur Entscheidungsgrundlage, sondern zum Entscheidungsinhalt.“887

Dabei benötigt der Bundestag dieses eher „grobe“ Instrument nicht: Kontrolle und Steuerung des Einsatzes sind besser über eine kontinuierliche Begleitung des Einsatzes und Einberufung der Rechenschaftspflicht aller Akteure zu erreichen. Das kann in nicht‐ öffentlichen, in den meisten Fällen jedoch auch in öffentlichen Sitzungen geschehen, wie dies in anderen Ländern üblich ist. Die Befürchtung, der Einsatz könnte sich der Kontrolle des Bundestages entziehen, ist wohl nicht berechtigt: Das Parlament hat gemäß dem Parlamentsbeteiligungsgesetz jederzeit das Recht, den Einsatz zu beenden und die bewaffneten Kräfte abzuziehen. Eine effektivere, gleichwohl weniger „invasive“ Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle ist somit möglich.

Sollte der Bundestag regelmäßig und öffentlich die professionelle Meinung des Militärs ungefiltert erhalten, abwägen und seine Entscheidungen treffen – selbstverständlich auch im direkten Widerspruch zu eben diesen Empfehlungen – wäre ein großer Schritt zu objektiveren zivil‐militärischen Beziehungen getan. Das bedeutet zugleich, dass sich das Parlament mit Kritik an führenden Offizieren, die sich im Rahmen ihrer Aufgaben ihrerseits öffentlich kritisch äußern, zurückhalten müsste. Eine Objektivierung der zivil‐ militärischen Beziehungen benötigt Soldaten, die sich nicht vor unverhältnismäßigen Repressalien für die öffentliche Äußerung von Kritik fürchten müssen. Gleichzeitig könnte sich der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages angesichts eines effektiv erstarkten Parlamentes wieder auf seine Kernfunktion, den Schutz der Grundrechte der Soldaten, zurückziehen. Eine Kontrolle von technischen oder sogar operativen Details – Ausrüstungsmängel, die Verwendung bestimmter Waffensysteme etc. – über das öffentlichkeitswirksame, von bedeutenderen Fragen ablenkende Instrument der Berichte des Wehrbeauftragten wäre dann nicht mehr notwendig. Die ursprünglich erdachte, präzise Aufgabenteilung von Parlament und Wehrbeauftragtem wäre wieder hergestellt. Der Bundesminister der Verteidigung und die gesamte Exekutive hätten bei alledem weiterhin Anspruch auf vertraulichen und privilegierten Zugang zu militärischem Ratschlag, insbesondere dort, wo sensible Informationen beinhaltet sind.

887 Paulus: Die Parlamentszustimmung zu Auslandseinsätzen, S. 90f.

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Das uneinheitliche Nebeneinander der zivilen Kontrollinstanzen – ohnehin lediglich eher eines des Handelns als der Strukturen – wäre somit eingeschränkt, die Auswirkungen subjektiver ziviler Kontrolle etwas gemildert.

Die An gebotsseite

Die Uneinheitlichkeit der militärischen Führung, bis in die jüngste Zeit ein grundlegendes Charakteristikum der Bundeswehr, fördert zudem die Diffusion von Verantwortung innerhalb des Militärs und behindert es an der Artikulation eines professionellen militärischen Ratschlags. Das Nebeneinander der Teilstreitkräfte, auch in der Einsatzführung, der relativ geringe Einfluss des Militärs innerhalb seines eigenen Ministeriums sowie die heterogene militärische Spitzengliederung führen zu unklaren Verantwortlichkeiten. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, seit 2005 dem Minister für die Einsätze verantwortlich, hatte bisher faktisch nicht die erforderlichen Kompetenzen, um basierend auf unmittelbaren Informationen und mit Durchgriffsrecht in die Einsätze eine eindeutige Empfehlung zu geben und dafür auch die Verantwortung zu tragen.888 Diese strukturelle und prozessuale Uneinheitlichkeit des Militärs, herausragendes Kennzeichen subjektiver ziviler Kontrolle, erschwert die Strategiefindung innerhalb des Ministeriums, dem Netzwerk der beteiligten Ministerien und damit der Bundesregierung.

Diese Defizite werden darüber hinaus entscheidend verschärft durch die Selbstzensur des Militärs. Die Ausarbeitung von Truppenobergrenzen, die in den Abstimmungsprozess der Ressorts gegeben, vom Kabinett beschlossen und schließlich dem Bundestag zur Zustimmung vorgelegt wurden, war von einem vorauseilendem Gehorsam geprägt: Auch wenn innerhalb der Abteilungen und Referate des BMVg an den voraussichtlichen (und tatsächlichen) Aufgaben im Einsatzgebiet orientierte Analysen durchgeführt wurden, erreichten diese oftmals nicht die zivilen

888 Die im Mai 2011 vorgestellten Pläne von Verteidigungsminister de Maizière zur Neuausrichtung der Bundeswehr sehen hier Reformen vor, die eine deutliche Vereinheitlichung der militärischen Führung unter dem Generalinspekteur der Bundeswehr vorsehen, vgl. http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/RY69DoJAEISfhQfwDkIhsZOQqJ2xEWzIcWyOjfdDlj1ofHi PwjiTTPMlX0a‐ ZKpXKxrFGLyyspWdxtOwicGtRiyoJ6AJkJc5WGR8iyH6EZYNJhIeooGFleXoTT8C9X8on7t6BKGDB96XwTO mNaQ4kJgDsd1JJEpE4Ci7vGjqvMh_KT7Vpb3ey_KYN7f6sQtnUsYp2flw0Cp9k7Nz1XbOsi8rLzrd (eingesehen am 20. Mai 2011).

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Verantwortlichen oder das Parlament. Die militärische Führung schlug letztlich offensichtlich nur jene Zahlen vor, die der zivilen Führung als vermittelbar erschienen. Somit ging bis mindestens in das Jahr 2009 zu keiner Zeit der ungefilterte Rat des Militärs in den inner‐ und interministeriellen Entscheidungsprozess ein. Erst dies hätte von anderen Akteuren erfordert, ablehnende oder zustimmende Position zu beziehen, wie es durch das AA 2010 auch geschah. Strukturelle Reformen sind geplant und überfällig, jedoch noch immer schwer durchzusetzen – zu schwer wiegen die Bedenken subjektiver ziviler Kontrolle.

Die zivile Führung des BMVg drängte zugleich offensichtlich nicht auf ehrliche und nach Huntington „objektive“ Information und Ratschläge des Militärs – Ratschläge, die kontroverse Entscheidungen erfordert hätten. Das folgende Zitat aus dem Strategiefindungsprozess der US‐Administration unter George W. Bush im Jahr 2006 verdeutlicht den notwendigen zivilen Druck auf das Militär, klare und ehrliche Ratschläge zu liefern: „[General] Keane spoke with [National Security Advisor] Hadley again and told him the president or the vice president should ask a single question of [Chairman of the Joint Chiefs] Pace: Is this a decisive force?”889 Der ehemalige stellvertretende Generalstabschef des Heeres, General a.D. Jack Keane, forderte den US‐ Präsidenten auf, dem aktuellen Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, General Peter Pace, eine einzige Frage zu stellen: Ist die vom Militär vorgeschlagene Truppenerhöhung im Irak die entscheidende Stärkung, um den Konflikt zu gewinnen? Oder haben sich, im Umkehrschluss, die Militärs von anderen Parametern – dem von ihnen als in Kongress und Regierung politisch gewünscht Bewertetem, dem von den Streitkräften zu Leistenden – leiten lassen? General Keane fordert somit die zivile Führung auf, ihrerseits den professionellen Ratschlag des Militärs einzufordern, nicht den in vorauseilendem Gehorsam gefärbten Ratschlag eines politischen Akteurs. Das Zitat steht sinnbildlich für ein Verhält nis der objektiven zivil en Kontrolle Huntingtons.

Die Erziehung der Offiziere zu demokratischen Stewards hat augenscheinlich funktioniert – möglicherweise zu gut. Samuel P. Huntington erwartet von einem professionellen Offizierskorps ein Selbstverständnis, jederzeit den besten

889 Bob Woodward: The War Within. A Secret White House History, New York 2008, S. 299.

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professionellen Ratschlag zu geben. In einer parlamentarischen Demokratie gilt dies sowohl gegenüber der Regierung als auch dem Parlament. Sollte ein Militär gegenüber der eigenen zivilen Führung des Hauses nicht seine professionelle Meinung äußern können, so kann er dies dennoch gegenüber dem Parlament tun, ohne seinem direkten Minister gegenüber illoyal zu werden oder die demokratische Kontrolle des Militärs zu gefährden – im Gegenteil. Die „Über‐Internalisierung“ von demokratischer „Nicht‐ Politisierung“ behindert offensichtlich die Erteilung eines objektiven militärischen Ratschlages. Auch hier war die subjektive zivile Kontrolle der Bundeswehr möglichweise zu erfolgreich. Es kann zur demokratischen Pflicht eines Offiziers gehören, sich gegenüber der zivilen Führung des Hauses, dem Parlament oder der Öffentlichkeit zu äußern – so es seinen professio nellen B ereich betr i f ft.

Die Unterteilung von Agency und Stewardship kann – wie gezeigt – helfen, die Angemessenheit eines Systems der zivilen Kontrolle zu bewerten. Die empirische Basis dieser Arbeit stellt einen Anfang dar, erlaubt jedoch keine abschließenden Antworten. Die Qualität dieser Empirie, der vertrauliche Zugang zu hohen Offizieren mit Führungserfahrung, gestattet gleichwohl die Aussage, dass die gegenwärtigen zivil‐ militärischen Beziehungen auf Voraussetzungen aufbauen, die jedenfalls in dieser Ausprägung nicht mehr gegeben sind. Die Bundeswehr hat sich seit dem Generationenwechsel der siebziger und achtziger Jahre in allen wichtigen Fragen als Steward des demokratischen Deutschlands erwiesen. Angesichts der sicherheitspolitischen Parameter und eindrücklichen Erfahrungen zum Zeitpunkt der Aufstellung demokratisch‐deutscher Streitkräfte war die Wahl einer starken subjektiven zivilen Kontrolle nicht zwangsläufig, aber verständlich. Die gegenwärtigen und wahrscheinlich zukünftigen Herausforderungen an gesamtstaatliche Strategiefähigkeit erfordern womöglich eine gegenläufige Entwicklung, eine „Objektivierung“ der zivil‐ militärischen Beziehungen. Dadurch könnte die Bundesrepublik in einem funktionierenden, effizienten militärischen Beratungsmarkt ihr demokratisches Potenzial besser nutzen.

Die deutschen zivil‐militärischen Beziehungen, die deutsche Sicherheitskultur, tragen dazu bei, dass die Bundesrepublik in ihrer ressortgemeinsamen Kooperation in einem signifikanten Maß strategieunfähig ist. Der Ruf nach organisatorischen Reformen greift

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somit zu kurz – er ist dennoch richtig. Erste politische Schritte der Jahre ab 2010 scheinen auf einen notwendigen langsamen Kulturwandel hinzudeuten; er kann in einer verbesserten ressortgemeinsamen, zivil‐militärischen Handlungsfähigkeit enden. Vielleicht noch mit Auswirkungen auf das ressortgemeinsame deutsche Afghanistanengagement; womöglich erst darüber hinaus.

4.4 Jenseits der Sicherheitskultur: forschungstheoretische caveats Monokausale Aussagen sind immer verdächtig. Die deutschen zivil‐militärischen Beziehungen beeinflussen, wie gezeigt, als wichtiger Faktor die deutsche Strategiefähigkeit in Afghanistan. Sie sind jedoch nicht der einzige einflussreiche Faktor. Mindestens drei weitere sind von großer Bedeutung. An dieser Stelle sind also drei selbst auferlegte Beschränkungen – sozusagen forschungstheoretische caveats – angezeigt.

Erstens fehlt dem deutschen Engagement offensichtlich eine entschlossene politische Führung. Hier wurde die ministeriale Ebene untersucht, die politische aus theoretischen Gründen weitgehend ausgeschlossen. Das greift notwendig zu kurz. Politische Entscheidungsträger haben auch in institutionalisierten Strukturen und Prozessen erhebliche Möglichkeiten zu entschlossener Führung. Diese ist für den Untersuchungszeitraum nicht feststellbar. Im Regierungssystem der Bundesrepublik kommt es dabei vor allem auf den Bundeskanzler an. Entschlossene policy‐Initiativen aus dem Bundeskanzleramt würden die ressortgemeinsame Kooperation auch ohne organisationale Reformen in eine Hierarchie einbinden und womöglich eine Koordinatio n au c h au f stra t egischer Ebene erreichen können.

Zweitens sind für die ressortgemeinsame Kooperation, wie gezeigt, auch in multinationalen Einsätzen nationale Strukturen entscheidend. Dennoch haben sowohl zivil als auch militärisch die multinationalen Strukturen großen Einfluss. Das gilt insbesondere im Rahmen von ISAF, wo im deutschen Kontingent seit der Einrichtung des ISAF Joint Commands (IJC) im Sommer 2009 sowie der Aufwertung des Regionalkommandos Nord auf ein Zwei‐Sterne‐Kommando im Sommer 2010 eine deutlich zentralisiertere Führung spürbar ist. Dieses Kommando verfügt auch über eine integrierte, hochrangige zivile Präsenz – mit Stand Juli 2011 eine B6‐Beamtin des BMZ.

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Dadurch, und durch die Konzentration von ISAF auf ursprünglich zivile Aufgaben, wird auch der zivile Beitrag zum Afghanistan‐Engagement national und international stärker zusammengefasst. Beides gilt, wie gezeigt, für den Untersuchungszeitraum jedoch nicht, muss in Zukunft jedoch beachte t werden.

Drittens, und mit beiden genannten Faktoren zusammenhängend, ist der Handlungsdruck auf die deutsche politische Führung und damit auf die Ministerien in Deutschland signifikant geringer als beispielsweise in den USA. Die Vereinigten Staaten stellen nicht nur den überwältigenden Teil des militärischen und zivilen Personals, sondern auch der finanziellen Mittel. Gleichzeitig ist sowohl die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit für den Konflikt in Afghanistan, als auch der entsprechende Druck, Erfolge vorzuweisen, erheblich größer. Die Untersuchung hat gezeigt, dass der funktionale Druck vor Ort, in den PRT, ein wichtiger Faktor in der ressortgemeinsamen Kooperation ist. Wenn dieser Druck auch auf die politische und ministerielle Ebene wirkt, ist zu erwarten, dass auch Strukturen und Prozesse der ministe riellen, strategischen Kooperation angepasst werden können.

Diese drei Faktoren schränken die Bedeutung von Sicherheitskultur zwar nicht entscheidend ein. Jedoch werden zukünftige Untersuchungen der ressortgemeinsamen Kooperation in Afghanistan mindestens einen dieser drei Faktoren in ihre Analyse einbeziehen müssen – hier liegt eine Herausforderung für die weitere Forschung.

4.5 Ausblick: Die weitere Forschung Dazu können sich künftige Forschungsvorhaben dem Konzept und der Umsetzung Vernetzter Sicherheit entweder über neue methodische Ansätze, oder über eine verbesserte Quellenlage nähern.

Methodisch sind – in Ergänzung der historischen Herleitung von Sicherheitskultur – erstens diskursanalytische Ansätze des öffentlichen und parlamentarischen Diskurses denkbar. Eine solche Analyse würde den Ansatz dieser Arbeit vertiefen und hergeleitete Annahmen prüfen. Zweitens sind detaillierte vergleichende Analysen der logische nächste Schritt. Dabei könnten insbesondere die ebenfalls in Afghanistan involvierten europäischen Nachbarn im Mittelpunkt stehen, die mit Blick auf die außenpolitische Agenda, das Regierungssystem und die Herausforderungen in Afghanistan einen 239

exzellenten Vergleichsmaßstab bieten können. Hier ist ebenfalls ein historischer Ansatz denkbar. Ohne Frage besteht hier die Herausforderung des Quellenzugangs – dieser Problematik könnte durch ein Kooperationsprojekt mit ausländischen Forschungseinrichtungen begegnet werden. Diese Ansätze würden damit insbesondere eine Konzentrat ion auf den multinationalen und politischen Raum ermöglichen.

Innerhalb der Bundesrepublik werden die nächsten Jahre notwendigerweise eine erhebliche Verbesserung der Quellenlage mit sich bringen. Akteure, die heute oder bis vor kurzem in der ressortgemeinsamen Kooperation auf verschiedenen Ebenen involviert waren, werden sich mit größerem zeitlichem Abstand offen äußern können. Zudem werden Erfahrungsberichte öffentlich zugänglich sein – bis zu einer Öffnung der relevanten Akten wird jedoch noch einige Zeit verstreichen. Zukünftige Arbeiten werden dazu neben der breiteren Quellenlage die bestehende Empirie ohne Rücksicht auf den Quellenschutz weiter auswerten können – hier sind noch einige wichtige Erkenntnisse zu erlangen. Schließlich werden zukünftige Untersuchungen keinen kulturellen Ansatz wählen, die ressortgemeinsame Kooperation mit einem anderen theoretischen Konzept untersuchen – auch hier sind spannende, ergänzende, korrigierende und verfeinernde Ergebnisse zu erwarten.

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268

6. Abkürzungsverzeichnis

Abkürzung Bedeutung

AA Auswärtiges Amt

ACO Allied Command Operations

ANA Afghan National Army

ANP Afghan National Police

CIMIC Civil­Military Cooperation

GIZ Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (seit 2011, vorher GTZ)

GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (bis 2011, danach GIZ)

BMELV Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

BMI Bundesministerium des Innern

BMF Bundesministerium der Finanzen

BMVg Bundesministerium der Verteidigung

BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

BND Bundesnachrichtendienst

269

COM ISAF Commander International Security Assistance Force

DDP Deutsche Demokratische Partei

DED Deutscher Entwicklungsdienst

EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft

EZ Entwicklungszusammenarbeit

FüS Führungsstab der Streitkräfte

FüZBw Führungszentrum der Bundeswehr

GG Grundgesetz

IED Improvised Explosive Device

IJC ISAF Joint Command

ISAF International Security Assistance Force

JCMB Joint Coordination and Monitoring Board

JFC Joint Force Command

KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau

Kommando FOSK Kommando Führung Operationen von Spezialkräften

KSEA Koordinierungsstab für Einsatzaufgaben

MAD Mutual Assured Destruction

MSB Main Support Base

270

NATO North Atlantic Treaty Organization

NS Nationalsozialismus

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

OEF Operation Enduring Freedom

KSK Kommando Spezialkräfte

OHL Oberste Heeresleitung

OKH Oberkommando des Heeres

OKW Oberkommando der Wehrmacht

OpCon Operational Control

PAT Provincial Advisory Team

PDF Provincial Development Fund

POLAD Political Advisor

PRT Provincial Reconstruction Team

RAND Research and Development

SA

SOWI Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr

SS

TZ Technische Zusammenarbeit

UN United Nations

UNAMA United Nations Assistance Mission in

271

Afghanistan

UNOSOM II United Nations Operations in Somalia II

USAID United States Agency for International Development

ZMZ­A Zivil­Militärische Zusammenarbeit – Ausland

272

7. Grundlagen der Interviews

7.1 Leitfaden für die Interviews

(1) Vernetzte Sicherheit

1. Was heißt Vernetzte Sicherheit nach Ihrem Verständnis? 2. Wird dieses Verständnis von allen in AFG beteiligten Ressorts geteilt? 3. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Begriff „Vernetzte Sicherheit“ gemacht? 4. Gibt es eine ressortinterne oder sogar eine ressortgemeinsame Definition des Begriffes (außer dem Weißbuch 2006)?

(2) Ressortgemeinsames Arbeiten

1. Was sind Ihre generellen Erfahrungen mit der ressortgemeinsamen Kooperation in Afghanistan? 2. Wie viele Mitarbeiter anderer Ressorts befanden sich in Ihrem Zuständigkeitsbereich? 3. Was sind die grundsätzlichen Probleme der ressortgemeinsamen Kooperation? 4. Welche Rolle spielen persönliche Beziehungen? 5. Welche Rolle spielt die unterschiedliche ministerielle Herkunft? 6. Die Federführung des Einsatzes in Afg liegt beim Auswärtigen Amt. Warum ist das so? 7. Kommt das AA seiner Verantwortung nach? 8. Welches Ressort ist auf strategischer Ebene (im Inland) entscheidend? 9. Welches Ressort ist auf operativer Ebene (im PRT) entscheidend? 10. Wie oft treffen Sie in Ihrer Arbeit auf Vertreter der in AFG involvierten Ministerien? 11. Besteht ein gemeinsames Verständnis über Sinn und Ziel des Einsatzes? 12. Treten Ihnen die Vertreter anderer Ressorts mit Misstrauen gegenüber? 13. Wenn ja, woran, denken Sie, liegt das? 14. Gibt es eine explizite Weisungslage in Ihrem Ressort, die eine enge Kooperation verlangt? 15. Fordern diese Weisungen auch strukturelle Veränderungen wie die Einrichtung neuer Gremien oder Verteiler? 16. Wenn ja, wo und auf welcher Ebene: Im Ministerium oder vor Ort? 17. Haben Sie in Ihrem Ministerium bzw. vor Ort strukturelle Veränderungen hin zu mehr ressortgemeinsamer Kooperation festgestellt? 18. In welchen Formen kooperieren die Ministerien zusammen? 19. Sind diese Kooperationsformen institutionalisiert, also strukturell verfestigt? 20. Wie regelmäßig tagen diese Gremien? 273

21. Ist der Beitrag dieser Gremien/Kooperationsformen wichtig? 22. Gibt es innerhalb dieser Gremien oft eine Koalitionsbildung bestimmter Ministerien gegen ein anderes? 23. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre fachliche Meinung als Vertreter ihres Ressorts von Ihren Gegenübern angemessen gewürdigt wird? 24. Worin drückte sich das aus? 25. Falls nein: Woran, glauben Sie, liegt das? 26. Wie wird die Kooperation auf ministerieller Ebene an die PRT weitergegeben? 27. Wird auf ministerieller Ebene koordiniert und abgesprochen, und das dann auf den jeweiligen Ressortwegen an die PRT gegeben? 28. Sind die Strukturen des deutschen Ressortwesens heute noch den Realitäten entsprechend? 29. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem ressortgemeinsamen Einsatz anderer Staaten in Afghanistan gemacht? 30. Stehen diese Staaten vor den gleichen Problemen wie die Bundesrepublik? 31. Haben diese Staaten es einfacher oder schwerer, „vernetzte Sicherheit“ operativ umzusetzen? Warum?

(3) Strategie

1. Fand in der Bundesrepublik Deutschland in Ihrer Zeit als Verantwortungsträger eine fundierte strategische Debatte zu Afghanistan statt? 2. Verfolgt(e) die Bundesrepublik in Afghanistan eine kohärente Strategie? 3. Was sind (waren) die Kernfaktoren dieser Strategie? 4. Gibt es Kerndokumente, die (a) für Ihr Ressort oder (b) ressortgemeinsam die deutsche Strategie für Afghanistan festlegen? 5. Gibt es ein gemeinsames Verständnis der Ressorts über die deutsche Strategie? 6. (a) auf ministerieller Ebene 7. (b) auf operativer Ebene

(4) Sicherheitskultur

1. Wie würden Sie den Charakter der zivil‐militärischen Beziehungen in Deutschland bewerten? 2. Wie ist die Stellung des Militärs in der Öffentlichkeit und gegenüber den politischen Entscheidungsträgern? 3. Werden die Meinung und der Rat des Militärs in politischen Entscheidungen ausreichend berücksichtigt? 4. Werden die Meinung und der Rat Ihres Ressorts in politischen Entscheidungen ausreichend berücksichtigt?

274

7.2 Fragebogen für die Interviews

1. Was ist/war Ihre Funktion mit Bezug auf Afghanistan?

2. Seit wann/In welchem Zeitraum sind/waren Sie mit ISAF beschäftigt?

3. Waren Sie selber bereits beruflich für längere Zeit in Afghanistan?

Ja Nein

4. Würden Sie sich der Tätigkeit mit Bezug auf Afghanistan der operativ oder der strategischen Ebene zuordnen?

Operativ Strategisch

5. Wie bewerten Sie die ressortgemeinsame Kooperation in der Zeit, in der Sie Verantwortung für ISAF getragen haben, auf ministerieller, strategischer Ebene?

6. Wie bewerten Sie die ressortgemeinsame Kooperation in der Zeit, in der Sie Verantwortung für ISAF getragen haben, auf operativer Ebene?

7. Wie stark stimmen Sie folgender Aussage zu: Gute persönliche Beziehungen sind auf ministerieller, strategischer Ebene entscheidend für eine gute ressortgemeinsame Kooperation? 275

8. Wie stark stimmen Sie folgender Aussage zu: Gute persönliche Beziehungen sind auf operativer Ebene vor Ort entscheidend für eine gute ressortgemeinsame Kooperation?

9. Wie stark stimmen Sie folgender Aussage zu: das Militär sollte bei politisch­ strategischen Entscheidungen größeren Einfluss haben?

10. Wie stark stimmen Sie folgender Aussage zu: das Militär sollte bei operativen Entscheidungen größeren Einfluss haben?

11. Was sind – stichwortartig – die drei größten Probleme bei der Implementierung einer ressortgemeinsamen Strategie für Afghanistan? (1) (2) (3)

12. Sind die Ressortstrukturen der Bundesrepublik grundsätzlich auf die Herausforderungen der Auslandseinsätze adäquat ausgerichtet?

Ja Nein

276