LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

POLEN STEPHAN RAABE THOMAS BEHRENS ANNE VELDER Polen vor der 28. April 2010 Präsidentschaftswahl www.kas.de www.kas.de/polen JAROSLAW KACZYNSKI KANDIDIERT, HAT ABER NUR GERINGER SIEGCHANCEN

Am 20. Juni wird in Polen die erste Runde sche Politikexperten gehen davon aus, dass der Präsidentschaftswahlen stattfinden. von den 22 gemeldeten Anwärtern lediglich Gewinnt dabei keiner der Kandidaten die vier bis fünf in der Lage sein werden, diese absolute Mehrheit, dann kommt es zwei Vorraussetzung zu erfüllen. Dazu zählen: Wochen später, am 4. Juli, zur Stichwahl Bronisław Komorowski (PO, 57 J.), Ja- zwischen den beiden führenden Politi- rosław Kaczyński (60 J.), der Zwillingsbru- kern. der des verstorben Präsidenten, ehemalige Premier einer nationalpopulistischen Koaliti- Nach dem tragischen Tod Präsident Lech on (2006/07) und Vorsitzende der PiS, der Kaczyńskis findet die Neuwahl nun gut drei am Montag wenige Minuten vor Ablauf der Monate früher als regulär vorgesehen statt. gesetzlichen Frist seine Kandidatur bekannt Mit dem 20. Juni wurde der laut Verfassung gab, (36 J.), Vorsit- letztmögliche Termin gewählt. Damit kam zender des SLD, Vizepremier Waldemar der Parlamentspräsident (Sejmmarschall) Pawlak (50 J.), Vorsitzender des kleineren und derzeitige kommissarische Staatspräsi- Koalitionspartners, der bäuerlichen Volks- dent, Bronisław Komorowski von der Regie- partei (PSL) sowie (62 rungspartei „Bürgerplattform“ (PO), der laut J.), Ex-Finanz- und Außenminister und einer Verfassung für die Festlegung des Wahlter- der drei Gründer der PO, der die Partei 2009 mins zuständig ist, insbesondere den beiden verlassen hat und jetzt unterstützt von der Oppositionsparteien im Parlament entgegen. „Demokratischen Bewegung“ als parteiloser Denn beide Oppositionsparteien, die natio- Kandidat antritt. Bei den vorletzten Präsi- nalkonservative Partei „Recht und Gerech- dentenwahlen 2000 belegte er als unabhän- tigkeit“ (PiS) wie auch der postkommunisti- giger Kandidat mit 17,3 % den zweiten sche „Bund der linken Demokraten“ (SLD), Platz hinter Amtsinhaber Aleksander mussten neue Kandidaten benennen, da sie Kwaśniewski (SLD, 55 J.), der im ersten mit Lech Kaczński (PiS) und dem Vizepräsi- Wahlgang mit 53,9 % im Amt bestätigt denten des Parlaments Jerzy Szmajdziński wurde. (SLD) ihre Bewerber beim Absturz der Prä- sidentenmaschine in Smolensk am 10. April (49 J.), von 2005-07 für die verloren hatten. PiS Sejmmarschall und heute Vertreter der im letzten Jahr neu gegründeten Partei Die Kandidatenliste „Rechte der Republik“ (PR), Andrzej Lep- per, Vizepremier der nationalpopulistischen Seit Montagnachmittag, den 26. April, ste- Koalition 2005-07, Chef der linkskonservativ hen die Bewerber für das Präsidentenamt radikalen „Selbstverteidigung“ (Sam) und fest. Insgesamt wollen 22 Kandidaten bei Anfang des Jahres zu zwei Jahren und drei der Wahl antreten. Hierfür müssen sie je- Monaten Haft wegen sexueller Nötigung doch alle bis zum 6. Mai eine Liste mit verurteilt, Kornel Morawiecki (69 J.), Phy- 100.000 Unterschriften von Wahlberechtig- sikprofessor und in den 1980er Jahren Vor- ten der Wahlkommission vorlegen. Polni- sitzender der „Kämpfenden Solidarität“, Ja-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. nusz Korwin-Mikke (67 J.), Vorsitzender politischer Sprecher der PO-Fraktion. Bei der liberalen „Vereinigung Rechtsstaatlich- der parteiinternen Kandidatenvorwahl der POLEN keit“ sowie Bogusław Ziętek (45 J.), Anfüh- PO für das Präsidentenamt setzte er sich STEPHAN RAABE rer der Polnischen Arbeitspartei (PPP), kön- Ende März mit 68,5 % gegen Außenminister THOMAS BEHRENS nen zwar einen gewissen Bekanntheitsgrad Radosław Sikorski durch. Komorowski ANNE VELDER aufweisen; ob sie jedoch in der Lage sein steht innerhalb der Partei für den eher kon- werden, ausreichend viele Unterstützer zu servativen Flügel. 28. April 2010 finden, ist hinsichtlich der Größe, der sie unterstützenden Parteien oder Bewegungen Der schärfste Konkurrent www.kas.de fraglich. Überhaupt keine Chancen werden Oppositionschef Jarosław Kaczyński von www.kas.de/polen den restlichen zwölf Bewerbern: Gabriel der PiS wird wohl der schärfste Konkurrent Jankowski, Zdzisław Jankowski, Dariusz Ko- sein. Allerdings werden auch ihm nur gerin- siur, Bartołomiej Kurzeja, Krzysztof Ma- ge Aussichten auf den Sieg eingeräumt. zurski, Zdzisław Podkański, Krzystof Sa- Nach Meinung von Demoskopen könnte er durski, Roman Sklepowicz, Paweł Soroka, bei einer Stichwahl rund 35 % erhalten. Bogdan Szpryngiel, Ludwik Wasiak und Schon bald nach dem Unglück seines Bru- Józef Wójcik eingeräumt. ders Lech, dessen erneute Bewerbung um das Amt des Präsidenten die PiS unterstützt Der aussichtsreichste Bewerber wollte, tauchten Spekulationen um eine Favorit mit den bisher besten Umfragewer- mögliche Kandidatur Jarosław Kaczyńskis ten ist Sejmmarschall Bronisław Komo- auf. Seitdem seine Bewerbung feststeht, rowski. Allerdings hat ihm sein von vielen erhält er eine große mediale Aufmerksam- als etwas kühl und distanziert empfundenes keit. In der Begründung für seine Anwart- Auftreten bei den Trauerfeierlichkeiten für schaft schlug er vor allem konservativ patri- die Opfer des Flugzeugabsturzes einige Kri- otische Töne an. Er sprach von der „Missi- tik eingebracht. Der Historiker Komorowski on“ der Opfer von Smolensk, die es zu Ende ist in Polen schon lange in der Politik aktiv. zu führen gelte. Das sei man dem Vaterland Während der Zeit des realen Sozialismus schuldig. Zudem rief er alle zur Zusammen- engagierte er sich in der Solidarność- arbeit auf, die wollten, dass die Rechten in Opposition. Nach dem Systemwechsel war Polen für immer ihre Häupter erheben könn- er zunächst Mitglied der „Demokratischen ten. Vertreter der PiS und polnische Kom- Union“ (UD), dann der „Freiheitsunion“ mentatoren verweisen darauf, dass wegen (UW). Der von ihm 1997 gegründete „Kon- der extremen Kürze des Wahlkampfes keine servative Volkskreis“ wurde im gleichen Zeit für die Vorstellung eines neuen Kandi- Jahr in die neu gegründete „Konservative daten zur Verfügung gestanden hätte und Volkspartei“ (SKL) integriert. Diese wieder- mit Kaczyński die größte Mobilisierung so- um ging 2001 in wesentlichen Teilen in der wohl innerhalb der Partei, wie in der Gesell- damals gegründeten „Bürgerplattform“ (PO) schaft erreichbar scheine. Kaczyński wecke auf, wo sie den wertkonservativen Flügel vor dem Hintergrund des Unglücks Mitgefühl bildete. Bereits im Juni 1989, bei den ersten und könne im konservativen Bereich wie noch halbfreien Wahlen, wurde Komorowski kein anderer Enthusiasmus entfachen. Die auf der Liste der Solidarność in den Frage ist allerdings, wieweit der Mitleidsef- gewählt. Von 1990-1993 war er Vizevertei- fekt reicht und ob Kaczyński über den nati- digungsminister für den zivilen Bereich. onalkonservativen Bereich hinaus in weite- 1997 gewann er erneut ein Sejmmandat rem Umfang Stimmen sammeln kann. In und war bis 2000 Vorsitzender des Verteidi- Smolensk haben ja nicht nur die Rechten, gungsausschusses. Unter Premierminister sondern alle politische Lager eine Tragödie Jerzy Buzek hatte er 2000/01 das Amt des erlitten. Die ganze Nation war betroffen. Verteidigungsministers inne. In der PO ge- Und noch zu frisch sind die Erinnerungen an hört er dem Landesvorstand an. Bevor er im die IV. Republik der PiS, die nach zwei Jah- Oktober 2005 Vizemarschall des und ren Regierungszeit im Herbst 2007 von nach den vorgezogenen Neuwahlen von mehr als zwei Dritteln der Wähler abgewählt 2007 Sejmmarschall wurde, war er Außen- worden ist. Es wird sich zeigen, ob Kac-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. zyński nach dem Unglück einen anderen mit der Polnischen Volkspartei PSL (8,91 %) Ton und andere Gesten finden wird, die die Regierung bildete. POLEN verbindend wirken, oder ob er wieder auf STEPHAN RAABE einen scharfen Konfrontationskurs geht. In Die weiteren Anwärter THOMAS BEHRENS seinem Wahlkampfstab hat er sich mit we- Im Gegensatz zu Komorowski und Kac- ANNE VELDER niger kontroversen und eher konzilianten zyński werden den weiteren Kandidaten Politikern wie der Journalistin und kurzzeiti- kaum realistische Chancen auf einen Sieg 28. April 2010 gen Arbeits- und Sozialministerin (2007) zugerechnet. Während bei den Präsident- Joanna Kluzik-Rostowska (46 J.) und dem schaftswahlen nach der Wende 1990 noch www.kas.de Direktor des Warschauer Aufstandsmuse- ein bis dato völlig unbekannter Kanadier www.kas.de/polen ums Jan Ołdakowski (38 J.) umgeben. polnischer Abstammung namens Stanisław Wahrscheinlich werden im Wahlkampf die Tymiński den zweiten Platz bei der ersten bereits bei den Präsidentschafts- und Par- Wahlrunde erringen konnte, ist eine solche lamentswahlen 2005 erfolgreichen nationa- Überraschung heute, 20 Jahre später, wenig len und sozialen Themen angezogen im Sin- wahrscheinlich, wenn auch die Unbere- ne eines selbstbewussten nationalen und chenbarkeit bei Personalwahlen wegen des solidarischen Polens. hohen emotionalen Faktors, der Spontanität Wie Komorowski ist auch der Jurist Jarosław der Wähler und der hohen Quote der Nicht- Kaczyński ein alter Bekannter in der politi- wähler nicht unterschätzt werden sollte. schen Szene Polens. Er war wie sein Haupt- Gewisse Außenseiterchancen könnte der konkurrent in der Solidarność-Opposition promovierte Ökonom Andrzej Olechowski engagiert. Nach dem am Runden Tisch aus- haben, der bereits vor 10 Jahren bei den gehandelten Systemwandel wurde auch er Präsidentenwahlen den zweiten Platz beleg- bei den ersten halbfreien Wahlen 1989 in te. 2001 einer der Mitbegründer der PO trat den Sejm gewählt. 1990/91 war er Chef der er 2009 aus der Partei aus, da er mit dem Präsidentenkanzlei, musste diesen Posten politischen Kurs Donald Tusks nicht mehr nach Streitigkeiten mit Staatspräsident einverstanden war, der ihm zu unbestimmt Lech Wałęsa aber verlassen. Im Sommer schien. Olechowski gehörte zur Funktionseli- 1990 gehörte er gemeinsam mit seinem te im Kommunismus und nahm 1989 auf Bruder Lech und führenden Solidarność- Seiten des Regimes am Runden Tisch teil. Politikern zu den Gründern der „Zentrumsal- Nach der Wende beriet er den neuen lianz“ (PC). Diese schaffte 1991 den Einzug Staatspräsidenten Lech Wałęsa, war 1992 in den Sejm, scheiterte jedoch bereits 1993 Finanzminister in der Regierung Jan Ol- an der 5%-Hürde und ging 2001 schließlich szewski (Christlich Nationale Vereinigung) nach dem Auseinanderbrechen des Solidar- und von 1993 bis 1995 Außenminister in ność-Wahlbündnisses AWS in der von den der Koalitionsregierung von SLD und PSL Brüdern Kaczyński gegründeten Partei unter Premier (PSL). Bei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) auf, deren seiner Kandidatur wird er von der linkslibe- Vorsitzender Jarosław Kaczyński seitdem ralen „Demokratischen Bewegung“ (SD) von ist. 2005 konnte sie mit 26,99 % als stärks- Paweł Piskorski (42 J.) unterstützt, der von te Partei in den Sejm einziehen und die Re- 1999 bis 2002 Stadtpräsident von War- gierung bilden. Um die Kandidatur seines schau, von 2004 bis 2009 Europaparlamen- Bruders Lech bei den kurz darauf folgenden tarier war und wie Olechowski aus der PO Präsidentenwahlen nicht zu gefährden, ver- ausgeschieden ist. Bei den Europaparla- zichtete Jarosław damals auf das Amt des mentswahlen 2009 trat die SD mit einer Ministerpräsidenten, das er dann aber doch gemeinsamen Mitte-Links-Liste mit der De- ein dreiviertel Jahr später im Juli 2006 mokratischen Partei, den Sozialdemokraten übernahm. Nach den durch das Auseinan- und den Grünen an, die aber nur 2,44 % derbrechen seiner nationalpopulistischen der Stimmen erhielten. Regierung notwendig gewordenen vorgezo- Grzegorz Napieralski, der mit 36 Jahren genen Neuwahlen im Herbst 2007 verlor die noch junge Vorsitzende und Kandidat der PiS mit 32,11 % ihre Position als stärkste SLD ist seit 2004 Sejmabgeordneter für den Partei an die PO, die 41,51 % erreichte und Wahlkreis Stettin. 2008 wurde er zum Vor-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. sitzenden des SLD gewählt, der bei den letzten Parlamentswahlen 2007 nicht über POLEN 13,15 % hinauskam und seit Jahren in einer STEPHAN RAABE Krise steckt. Nach dem Studium der Polito- THOMAS BEHRENS logie arbeitete er als Berater des Woijewo- ANNE VELDER den (Regierungspräsident) von West- pommern. Über die Chancen seiner Bewer- 28. April 2010 bung sagt er: „1995 glaubte auch niemand an einen Sieg Aleksander Kwasńiewskies.“ www.kas.de Dieser unterstützt ihn als noch junger Alt- www.kas.de/polen präsident bei seiner Kandidatur.

Waldemar Pawlak, der Vorsitzende der PSL, die Mitglied in der Europäischen Volks- partei (Christdemokraten) ist, bekleidet seit 2007 das Amt des Stellvertretenden Minis- terpräsidenten und Wirtschaftsministers in der Regierung Tusk. Pawlak war schon zu kommunistischen Zeiten Mitglied in der da- maligen Satellitenpartei ZSL, aus der die PSL hervorging. 1993 bis 1995 führte er als Premier die aus SLD und PSL bestehende linke Koalitionsregierung an. Seine Kandida- tur dient wohl mehr der Profilgewinnung der PSL.

Dem christlich nationalkonservativen Marek Jurek räumen politische Experten trotz sei- ner Bekanntheit ebenfalls keine Chancen ein. Der ehemalige Sejmmarschall (2005- 2007) hat derzeit kein Parlamentsmandat. Unterstützt wird er von der neuen, noch un- bekannten „Rechten der Republik“. Jurek gehörte ehemals der PiS an, trat aus dieser jedoch im Streit um eine klarere Definition des Schutzes von Menschenleben in der Verfassung aus. Als Kandidat für bei den Europawahlen erhielt Jurek 2009 in War- schau 4,1 % der Stimmen.

Dem bekannten Bauernführer und Populis- ten werden ebenso wie dem ultrakonservativen, jedoch marktlibe- ralen Janusz Korwin-Mikke keinerlei Er- folgsaussichten zugerechnet.

Thomas Behrens ist Praktikant, Anne Vel- der ist Trainee im Auslandsbüro der Konrad- Adenauer-Stiftung in Polen.