Filmische Utopien 198 4–2054

Sobald das Kino sich seiner Möglichkeit bewusst war, Michael Radford konnte nach langwierigen Verhandlun - synthetische Realitäten zu schaffen, begann es mit der gen mit Orwells Witwe erst 1984 realisiert werden, ent - Erfindung utopischer Geschichten: Georges Méliès LE stand also genau im Jahr der Handlung des Romans VOYAGE DANS LA LUNE (1902) begründete das Genre und kam erst im Oktober/November 1984 in die Kinos. des Science-Fiction-Films, das vor allem die Entwick - Der Erfolg des Films hielt sich in Grenzen und wäre mit lung von Trickkamera-Aufnahmen und Special Effects Sicherheit wesentlich größer gewesen, wäre der Film vorantrieb und auch heute im digitalen Kino technische ein Jahr früher zustande gekommen. Entwicklungen durchsetzt. Die meisten Geschichten, Stanley Kubrick wählte für seine Adaption der Kurz - 4

5 die oft der Literatur entnommen werden, sind zeitlich geschichte »The Sentinel« von Arthur C. Clarke eben - 0

2 nicht verankert, um ihre Langlebigkeit nicht einzu - falls eine Jahreszahl als Titel: 2001. Der Film hatte am – 4

8 schränken. Sie spielen irgendwann in einer nahen oder 2. April 1968 in Washington, D.C. seine Uraufführung, 9 1

fernen Zukunft oder berichten von einer Gegenwart, in gut ein Jahr vor der Mondlandung des ersten Men - n

e die plötzlich das Unerwartete einbricht. schen am 21. Juli 1969 im Rahmen der Mission Apollo i p

o Ein berühmtes Beispiel, das mit dieser Regel bricht, 11. Der Film sollte über Jahrzehnte die Vorstellung t

U war George Orwells Roman »Nineteen Eighty-Four«. Er einer technologischen Zukunft mit alles dominieren - 78 legte sich auf ein konkretes Jahr fest, das nicht ganz dem Computer und Erschließung des Weltalls prägen. zufällig gewählt und zum Zeitpunkt seiner Entstehung Er zählte über Jahrzehnte zum Repertoireprogramm eine Zahlenspielerei war: 1948. Es sollte eine nicht der Kinos und verschwand erst, als das tatsächliche allzu ferne Zukunft symbolisieren und wurde zu einem Jahr immer näher rückte. Als der Film im Jahr 2001 in Synonym für den totalen Überwachungsstaat. Das restaurierten Kopien weltweit noch einmal in die Kinos Buch erfreute sich großer Popularität auch noch in den gebracht wurde, fand er verhaltene Publikumsresonanz 1970ern und Anfang der 1980er Jahre, es fand sich und ist seitdem nur noch als Special Event in Filmfesti - beständig in den Top 10 der Bestsellerlisten, bis das vals oder Kino-Sonderveranstaltungen zu sehen. Jahr dann eintrat und den Mythos entzauberte. Eine zelebriert in seinem 2009 entstande - aufwändige, ziemlich werkgetreue Neuverfilmung von nen Film 2012 den Weltuntergang, den er auf den 21.12.2012 festlegte. Damit wurde für den als Block - indem er vieles im Vagen lässt, mit der Zahl »2046« in buster konzipierten Film von vorneherein eine be - vielen Varianten spielt, aber durch ein Geflecht von Zeit - grenzte Auswertungszeit kalkuliert, dem die höhere At - ebenen die zeitliche Fixierung des Geschehens er - traktion des Thrills der unmittelbar bevorstehenden Be - schwert. drohung entgegensteht. Dennoch versank der Film re - Die Filmreihe »Utopien 1984-2054« umfasst eine Zeit - lativ schnell in der Versenkung und spielte bei der me - spanne, deren Ende einige Leser und Leserinnen mit dialen Vermarktung der Weltuntergangsprophezeiun - großer Wahrscheinlichkeit noch erleben dürften. Die gen 2012, die sich auf den Kalender der Maya beriefen, zeitlich datierten Zukunftsentwürfe im Film gehen na - keine Rolle mehr. türlich noch viel weiter in Regionen, in denen es frag - Wesentlich vorsichtiger mit Jahreszahlen gingen Fritz lich ist, ob die Filme selber und ihre literarischen Vor - Lang und Wong Kar-wai vor. In METROPOLIS gibt es lagen überleben werden. Vielleicht existieren sie dann nur in einem einzigen Zwischentitel einen Hinweis auf nur noch fragmentarisch als archäologische Fundstü - die zweitausendjährige Geschichte der Stadt. Trotzdem cke wie die Trümmer der Freiheitsstatue im 1968 ent - scheint die über 80jährige Anziehungskraft der Utopie standenen Film PLANET OF THE APES, der im Jahr von METROPOLIS langsam nachzulassen: Zu naiv wirkt 3978 zu spielen vorgibt. Stefan Drößler der Widerspruch der im Film dargestellten Konflikte zwischen Arbeitern und Oberschicht in einer Gesell - NINETEEN EIGHTY-FOUR (1984) – GB 1984 – R+B: schaft, in der die handwerkliche Arbeit immer mehr ver - Michael Radford, nach dem Roman von George Orwell schwindet und gesichtslose, computerverwaltete Groß - – K: – M: Dominic Muldowney – D: John konzerne die Welt beherrschen. Und vermutlich hat Hurt, Richard Burton, Suzanna Hamilton, Cyril Cusack, nicht unwesentlich zum Ruhme von METROPOLIS auch Gregor Fisher – 113 min, OF – 1984: Die werkgetreue seine Überlieferungsgeschichte beigetragen: Die Vor - Verfilmung des 1948 entstandenen düsteren Zukunfts - stellung, dass dieser Film nur im Premierenkino in sei - romans von George Orwell zeichnet eine von »Big ner Urform, und danach lediglich in unterschiedlich Brother« überwachte Welt, die deutlich von der Entste - verstümmelten Fassungen zu sehen war, hat seinen hungszeit des Romans geprägt ist. »Das 1984 des Mythos beflügelt. Jetzt, da er nahezu vollständig wieder Films scheint wie ein Jahr, in dem man durch den Zeit - rekonstruiert wurde, müssen keine Rätsel mehr gelöst tunnel ankommt, eine alternative Realität aus alten oder erforscht werden. Genau diese Rätsel hat sich Radioröhren und zerschmissener Büroeinrichtung. Es Wong Kar-wai in seinem Liebesfilm 2046 erhalten, findet sich keine Requisite, die man nicht auf dem 4 5 0 2 – 4 8 9 1

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N E E t E N I N Schrottplatz kaufen könnte, doch das optische Ergeb - tive ganz gut wieder: Die Welt ist ein Irrenhaus – und nis ist schaurig: Orwells Held Winston Smith lebt in die Zukunft hat womöglich schon begonnen.« (Michael einer Welt der düsteren und erdrückenden Unmensch - Althen) lichkeit, der zerbombten Fabriken, verwanzten Schlaf - ▶ Donnerstag, 11. Juli 2013, 20.00 Uhr ▶▶ Samstag, zimmer, der einfachsten Freuden entwöhnten Bevölke - 13. Juli 2013, 18.30 Uhr rung. Der Film sieht aus, fühlt sich an und riecht und schmeckt fast wie Orwells kahle und zornige Vision.« ESCAPE FROM NEW YORK (DIE KLAPPER - (Roger Ebert) SCHLANGE) – USA 1981 – R: John Carpenter – B: ▶ Dienstag, 9. Juli 2013, 20.00 Uhr ▶▶ Freitag, 12. Juli John Carpenter, Nick Castle – K: Dean Cunday – M: 2013, 18.30 Uhr John Carpenter, Alan Horwarth – D: Kurt Russell, Lee Van Cleef, Ernest Borgnine, Donald Pleasence, Isaac KAMIKAZE 1989 – BRD 1982 – R: Wolf Gremm – B: Hayes, Harry Dean Stanton – 99 min, OF – 1997: Ganz Wolf Gremm, Robert Katz, nach dem Roman »Mord på Manhattan ist ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem 31:a våningen« von Per Wahlöö – K: xaver Schwarzen - drei Millionen Straftäter ohne Wärter eingesperrt sind berger – M: Edgar Froese – D: Rainer Werner Fassbin - und reine Anarchie herrscht. Als der Präsident der USA der, Günther Kaufmann, Boy Gobert, Richy Müller, Ni - mit seiner Air Force One ausgerechnet über Manhattan cole Heesters, Brigitte Mira – 106 min – 1989: Ein abstürzt, muss jemand von außen in die Hölle hin ein, total verwalteter Zukunftsstaat, der auch die Freizeit - um den Präsidenten und ein Tonband, das er bei sich gewohnheiten seiner Bürger völlig reglementiert und hat, herauszuholen. Die Wahl fällt auf den ver urteilten kontrolliert, wird von einem übermächtigen Medienkon - Ex-Lieutenant Snake Plissken. »Das Drehbuch denkt zern beherrscht. Rainer Werner Fassbinder in seiner reale gesellschaftliche Probleme der späten 1970er letzten Filmrolle als trunksüchtiger und rücksichtsloser Jahre weiter bis zu einer extremen Schlussfolgerung: Polizeileutnant im Leopardenanzug stolpert durch das dass die Gesellschaft ihre Probleme nicht mehr lösen, chaotische Geschehen, in dem es um eine Leiche im sondern nur noch eingrenzen kann. Am Design der Hochhaus und ein Geheimnis in der Konzernspitze geht. Fahrzeuge und Helikopter, der Uniformen, Waffen und »Bei diesem No-future-Krimi nach Per Wahlöö kann Werkzeuge, an der kühl-funktionalen Architektur der Gremm seine knallige Comic-Phantasie als effektsiche - Bewachungsstation zeigt sich die Lust am Spiel mit res Stilmittel benutzen: Das Ausmalen der Spitzel - dem Futuristischen, der kalte Glanz einer möglichen sklaverei und der Medien-Perversionen (jährlicher Dau - Zukunft.« (Frank Schnelle) ergelächter-Wettbewerb!) lässt keine Wünsche offen. ▶ Freitag, 12. Juli 2013, 21.00 Uhr Ein apartes Science-fiction-Erlebnis für Zyniker und Moralisten (was meist dasselbe ist).« (Ponkie) STRANGE DAYS – USA 1995 – R: Kathryn Bigelow – ▶ Mittwoch, 10. Juli 2013, 20.00 Uhr B: James Cameron, Jay Cocks – K: Matthew F. Leo - netti – M: Graeme Revell – D: Ralph Fiennes, Angela 4

5 12 MONKEYS – USA 1995 – R: Terry Gilliam – B: Bassett, Juliette Lewis, Tom Sizemore, Michael Wincott 0

2 David Peoples, Janet Peoples – K: Roger Pratt – M: – 145 min, OmU – 1999: Ein Mikrochip-Dealer ver - – 4

8 Paul Buckmaster – D: Bruce Willis, Madeleine Stowe, treibt High-Tech-Drogen, die im Gehirn virtuelle Reali - 9

1 Brad Pitt, Christopher Plummer, John Seda – 129 min, tätserlebnisse auslösen. Medienjunkies dürsten nach

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e OmU – 1996: Aus dem Jahr 2035, in dem fast die ge - elektronisch auf gezeichneten Erlebnissen von Schwer - i p

o samte Menschheit durch eine Viruskatastrophe ausge - verbrechern und zahlen Höchstpreise auf dem t

U löscht ist und die wenigen Überlebenden in einem klau - Schwarz markt. »Auch Bigelow unternimmt, unterstützt 80 strophobischen Unterweltsystem dahinvegetieren, wird von ihrem ehemaligen Mann James Cameron, eine ein Bote in die Zeit zurückgeschickt, um den Ursprung Kino-Tour de Force. Im Mittelpunkt steht das ›Play - der Apokalypse zu lokalisieren. Terry Gilliams exzentri - back‹, ein ›neues‹ Verfahren, mit dem die Menschen scher Zeitreisen-Thriller gleicht einem labyrinthartigen, im Cyberspace-Zeitalter so intensiv nacherleben kön - visuell bestechendem Fiebertraum. »Beim ersten Ver - nen wie nie zuvor. Ein Ver fahren, das Bigelow unter such, in die Vergangenheit zu reisen, landet Gilliams radikalem Einsatz aller filmischen Techniken von heute Held im Irrenhaus. Dort haben sie nur auf Leute gewar - simuliert: gnadenlos harter Schnitt, überwältigender tet, die davon faseln, sie seien aus der Zukunft ge - Sound, Gewalt bis an die Schmerzgrenze – das Kino schickt worden, um die Menschheit vor der Ausbrei - als Hexenkessel. (Fritz Göttler) tung einer Seuche zu retten. Das gibt Gilliams Perspek - ▶ Samstag, 13. Juli 2013, 21.00 Uhr UNTIL THE END OF THE WORLD – THE TRILOGY (BIS 1. APRIL 2000 – Österreich 1952 – R: Wolfgang Lie - ANS ENDE DER WELT – DIE TRILOGIE) – Deutsch - beneiner – B: Ernst Wolfram Marboe, Rudolf Brunn - land 1991 – R: Wim Wenders – B: Wim Wenders, graber – K: Fritz Arno Wagner – M: Alois Melichar – D: Peter Carey – K: Robby Müller – M: Graeme Revell – D: Hilde Krahl, Josef Meinrad, Waltraut Haas, Curd Jür - Solveig Dommartin, Chico Ortega, Eddie Mitchell, Wil - gens, Paul Hörbiger, Hans Moser – 104 min – 2000: liam Hurt, Sam Neill, Rüdiger Vogler, Jeanne Moreau, Am 1. April verkündet im immer noch besetzten Öster - Max von Sydow, Chishu Ryu – 290 min, mehrspra - reich ein neuer Ministerpräsident die Auflösung des chige OF – 1999: Die Erde wird von einem außer Kon - Viermächtestatus. Daraufhin wird Österreich des Welt - trolle geratenen Atomsatelliten bedroht, der eine Mas - friedensbruchs angeklagt, und eine Delegation der senpanik auslöst. Der Film erzählt eine Verfolgungsjagd Weltschutzkommission landet mit Stratosphärengon - rund um die Welt, in die eine hübsche Französin, ein deln in Wien. Niemals vorher oder nachher wurde ein mysteriöser Amerikaner, ein deutscher Detektiv und Filmprojekt von der österreichischen Regierung der - der amerikanische Geheimdienst verwickelt sind. Wim maßen unterstützt wie der 1. APRIL 2000. Konzipiert Wenders musste sein monumentales Science-Fiction- als prestigeträchtiger »Österreichfilm«, wird die Utopie Roadmovie für den Verleih in Europa auf unter 180 Mi - eines freien Landes, an die in der Besatzungszeit nuten, für die USA gar unter 160 Minuten schneiden niemand so recht glauben wollte, zu einer kuriosen und hat es dabei zerstört. Die dreiteilige Originalfas - Science-Fiction-Komödie stilisiert. »Ein Cross-over, wie sung ist eine »Offenbarung«: »Die Dauer öffnet den es in den Neunzigern nicht schräger hätte ausfallen Blick. Nun sehen wir nicht nur den Lauf der Ereignisse, können, eine bunte Mischung aus Gerichtsdrama, nach und nach, sondern auch die Momente dazwi - Historienschinken, Liebeskomödie, Science-Fiction schen: Hoffnungen und was aus ihnen wird, Ängste und Operette – vor allem aber ein Propagandafilm.« und was sie auslösen, vergessene Träume und wie sie (Andreas Tesarik) süchtig machen nach der verlorenen Zeit. Sci-fi-Thriller ▶ Dienstag, 16. Juli 2013, 20.00 Uhr ▶▶ Samstag, um eine Erfindung, die Blinde sehend macht, Love- 20. Juli 2013, 18.30 Uhr Story, die Skepsis und Bosheit einschließt, Psycho - drama um ein paar Ver lorene, die sich fragen, ob sie METROPOLIS – Deutschland 1926 – R: Fritz Lang – B: die einzigen sind, die den Abschuss eines nuklearen Thea von Harbou, nach ihrem Roman – K: Günter Satelliten überlebt haben, und Horror um zwei Lie - Rittau, – D: Brigitte Helm, Gustav Fröhlich, bende, die ihren eigenen Träumen verfallen: Darin er - Alfred Abel, Rudolf Klein-Rogge, Heinrich George, Fritz schöpfte sich bisher Wenders’ Film. Nun wird die Di - Rasp – 152 min – 2000: In einer Stadt der Zukunft mension dahinter sichtbar, die mythische Ebene der schuften die Arbeiter unter der Erde, um die Maschinen Imagination: die Lust des spät modernen Menschen an der reichen »Oberwelt« am Laufen zu halten. »METRO - Experiment und Wagnis.« (Norbert Grob) POLIS ist nicht ein Film. METROPOLIS sind zwei Filme, ▶ Sonntag, 14. Juli 2013, 17.00 Uhr am Bauch aneinandergeklebt, aber mit unterschied - 4 5 0 2 – 4 8 9 1

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81 lichen, extrem antagonistischen geistigen Ansprüchen. schen, einem Ferntelefonat. Diese Sprachlosigkeit der Wer den Film als diskreten Geschichtenerzähler be - rationalen Intelligenz findet ihren Kontrast in der umso trachtet, erlebt bei METROPOLIS eine herbe Enttäu - beredteren Bildsprache und vor allem der Musik. Diese schung. Was uns hier erzählt wird, ist trivial, schwüls - sprachlosen Ausdrucksformen rufen im Zuschauer Bil - tig, pedantisch, von einem übermächtigen Romantizis - der aus dem Inneren hervor, wie es etwa ein Gedicht mus. Aber wenn man sich nicht auf die Anekdote, son - tun würde.« (Michael Matzer) dern den plastischen photogenen Hintergrund konzen - ▶ Donnerstag, 18. Juli 2013, 20.00 Uhr ▶▶ Freitag, triert, dann übertrifft METROPOLIS alle Erwartungen, 19. Juli 2013, 18.30 Uhr erstaunt einen wie das wunderbarste Bilderbuch, das je geschaffen wurde. Das metallische Aufblitzen des 2010 (2010 – DAS JAHR, IN DEM WIR KONTAKT Stahls, die rhythmische Aufeinanderfolge von Rädern, AUFNEHMEN) – USA 1984 – R+B+K: Peter Hyams, Kolben, noch nicht geschaffenen mechanischen For - nach einem Roman von Arthur C. Clarke – M: David men erschafft eine wundervolle Ode, eine nie gese - Shire – D: Roy Scheider, John Lithgow, Helen Mirren, hene Poesie für unsere Augen.« (Luis Buñuel) Bob Balaban, Keir Dullea – 116 min, OF – 2010: Neun ▶ Mittwoch, 17. Juli 2013, 20.00 Uhr (Am Flügel: Mark Jahre nach der fehlgeschlagenen Jupiter-Mission der Pogolski, an der Violine: Sabrina Zimmermann) ▶▶ »Discovery« reisen Amerikaner und Russen in einer Sonntag, 21. Juli 2013, 18.00 Uhr (eingespielte Orches - neuen Mission zu dem verlorenen Raumschiff. Die Fort - termusik von Gottfried Huppertz) setzung von Kubricks Klassiker erntete bei ihrem Kino - start hämische Kritiken, die den sehr spannend und 2001: A SPACE ODYSSEY (2001: ODYSSEE IM technisch versiert inszenierten Film ausschließlich an WELTRAUM) – GB 1968 – R: Stanley Kubrick – B: seinem Vorgänger maßen und ihm keine Eigenständig - Stanley Kubrick, Arthur C. Clarke, nach der Kurzge - keit zubilligten. »Im Jahr 2010 bleibt Peter Hyams’ und schichte »The Sentinel« von Arthur C. Clarke – K: Geof - Arthur C. Clarkes Film immer noch einer der besten frey Unsworth – D: Keir Dullea, Gary Lockwood, William realistischen Science-Fiction-Filme der 1980er Jahre, Sylvester, Daniel Richter, Leonard Rossiter – 141 min, der eigentlich nur noch von seinem Vorgänger übertrof - OF – 2001: Die Reise eines Raumschiffs zum Jupiter fen wird. In der damaligen Kinolandschaft, die von wird zu einer Reise ins eigene Ich. »Der Film weiß bis STAR WARS, STAR TREK und anderen Weltraum- heute noch zu inspirieren, Rätsel zu stellen und durch Phantasien bevölkert wurde, war 2010 ähnlich wie sein seine Tricks zu verblüffen. Es wird sehr wenig geredet Vorgänger Ende der 1960er Jahre eine große Aus - in diesem Film, und was geredet wird, ist oft nicht der nahme und bleibt es noch bis heute.« (Guido Bibra) Rede wert. Die Menschen des 21. Jahrhunderts haben ▶ Freitag, 19. Juli 2013, 21.00 Uhr verlernt, auf natürliche Weise zu kommunizieren. Sie verständigen sich durch Funksignale von der Zentrale, 2012 (2012 – DAS ENDE DER WELT) – USA 2009 – abgespielte Filmaufnahmen mit Geburtstagsglückwün - R: Roland Emmerich – B: Roland Emmerich, Harald 4 5 0 2 – 4 8 9 1

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82 Kloser – K: – M: Harald Kloser, Thomas Teil auch im Internet per Crowdfunding eingesammelt. Wanker – D: John Cusack, Amanda Peet, Chiwetel Ejio - Angeblich knapp eine Million Euro hat man von Fans im for, Thandie Newton, Oliver Platt, Woody Harrelson – Netz akquiriert, die Geldgeber werden zum Teil wohl 158 min, OmU – 2012: Wie es die Maya vorhersagten, auch von einem möglichen Gewinn des Films profitie - droht der Menschheit durch globale Naturkatastrophen ren, zudem durften sie ihre Drehbuch-Ideen beisteuern. der Untergang. Weil ein junger Wissenschaftler das Ob es daran liegt, dass IRON SKY tatsächlich nur so Verhängnis frühzeitig erkannte, wurden moderne Ar - strotzt von intelligenten, absurden, saublöden Einfäl - chen gebaut, die den Reichen und Mächtigen vor - len? Der Film bietet ganz großes Trash-Vergnügen. behalten sind. »Auf der Lust an der Zerstörung hat der Selbst wenn die Quatschmaschine in IRON SKY manch - Regisseur Roland Emmerich schon bisher seine Kar - mal ein bisschen untertourig läuft, sind der Regisseur riere aufgebaut – aber so virulent wie diesmal war die und die Darsteller auf eine Weise beherzt bei der Sache noch nie. Fast jeder kennt ja längst die Bildmar - Sache, die umwerfend ist.« (Wolfgang Höbel) ken des Films, die wie eingetragene Warenzeichen ▶ Sonntag, 21. Juli 2013, 21.00 Uhr funktionieren, aus Trailern, Plakaten, Anzeigen. Und selbst eingefleischte Pazifisten aus dem Freundeskreis, – USA 1982 – R: – B: die sonst jedes Flüchtlingsschicksal zartfühlend beglei - Hampton Fancher, David Webb Peoples, nach dem ten, gestehen plötzlich ungefragt und nicht einmal ver - Roman »Do Androids Dream of Electric Sheep?« von schämt, wie viel Bock sie gerade jetzt auf eine solche Philip K. Dick – K: – M: Vangelis – Zerstörungsorgie haben. Der sogenannte Muss-ich- D: Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young, Edward sehen-Faktor, den Hollywoods Analysten statistisch er - James Olmos, Darryl Hannah, Brion James – 117 min, fassen, zeigt für 2012 einen selten erreichten Höchst - OmU – 2019: Die Tyrell Company produziert Replikan - wert.« (Tobias Kniebe) ten, Roboter, die wie Menschen aussehen. Nach einer ▶ Samstag, 20. Juli 2013, 21.00 Uhr Replikanten-Meuterei in einer extraterrestrischen Kolo - nie wird ihnen verboten, zur Erde zurückzukehren. In IRON SKY (WIR KOMMEN IN FRIEDEN) – Finnland Los Angeles sind Spezialkräfte, genannt »Blade Run - 2012 – R: Timo Vuorensola – B: Michael Kalesniko – K: ner«, dafür verantwortlich, jeden Replikanten aufzu - Mika Orasmaa – M: Laibach – D: Julia Dietze, Christo - spüren und aus dem Verkehr zu ziehen. »Wie selten ein pher Kirby, Götz Otto, Udo Kier, Stephanie Paul, Tilo anderer Film wurde Ridley Scotts BLADE RUNNER stil - Prückner – 93 min, OmU – 2018: Auf der dunklen bildend für alle Science-Fiction-Filme, die nach ihm Seite des Mondes treibt eine Gruppe Nazis ihr Unwe - kamen. Finstere Stadtlandschaften, Gleiter zwischen sen, die per »Meteorblitzkrieg« die Erde attackiert. riesigen Hochhaustürmen, Dauerregen, Mutanten auf »Das Geld für die rund 7,5 Millionen Euro teure IRON der Straße, all gegenwärtige Reklametafeln und eine SKY-Produktion kam nicht bloß von Förderanstalten düstere Endzeit-Atmosphäre ohne Hoffnung. Hier aus diverser Herren Länder, das Budget wurde zum wurde der Zeitgeist der 80er Jahre in seiner Mischung 4 5 0 2 – 4 8 9 1

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83 aus Zukunftsangst und Faszination kongenial eingefan - Clive Owen, Juan Yacuzzi, Michael Caine, Michal Hu - gen.« (Siegfried König) sain, Chiwetel Ejiofor, Julianne Moore – 109 min, OmU ▶ Dienstag, 23. Juli 2013, 20.00 Uhr ▶▶ Sonntag, – 2027: Terroranschläge gehören zum Alltag, Flücht - 28. Juli 2013, 18.30 Uhr linge werden in Ghettos hinter Stacheldraht zusammen - gepfercht, die linke Öffentlichkeit hat sich in paramilitä - SOYLENT GREEN (JAHR 2022 … DIE ÜBERLEBEN rische Splittergruppen organisiert oder ganz ins Private WOLLEN) – USA 1973 – R: Richard Fleischer – B: zurückgezogen. Aufgrund einer unerklärlichen globalen Stanley R. Greenberg, nach dem Roman »Make Room! Fruchtbarkeitskrise wurde seit 18 Jahren kein Kind Make Room!« von Harry Harrison – K: Richard H. Kline mehr geboren. »Ein grauer, dreckiger Film, mit einem – M: Fred Myrow – D: Charlton Heston, Leigh Taylor- Himmel, dem jahrzehntelange Umweltverschmutzung Young, Chuck Connors, Joseph Cotten, Edward G. Ro - auch das letzte Blau genommen hat. Die Kamera be - binson, Paula Kelly – 97 min, OF – 2022: Die Erde ist wegt sich ähnlich orientierungslos durch die Straßen hoffnungslos übervölkert, allein in Manhattan leben wie die Bewohner dieser Zukunft. Über den Verhältnis - 40 Millionen Menschen, gute Luft und frische Nah - sen thront keine autoritäre Macht, die den Bildern eine rungsmittel sind Luxusartikel. Ein Direktor des allmäch - Struktur geben könnte. Die Stärke von Cuaróns Film tigen Nahrungsmittelkonzerns Soylent wurde ermordet, liegt in dieser Beschreibung einer Demokratie im fort - doch die Ermittlungen werden behindert. Die Roman - währenden Ausnahmezustand. Es ist eine Gesellschaft, vorlage war eine bissige Satire auf die Haltung der die, um sich selbst zu erhalten, auch den letzten zivili - katholischen Kirche zur Verhütung; der Film erfand satorischen Anstand aufgegeben hat.« (Anke Leweke) stattdessen ein eigenes Thema, Autor Harry Harrison ▶ Donnerstag, 25. Juli 2013, 20.00 Uhr ▶▶ Samstag, schäumte vor Wut. Regisseur Fleischer schildert bril - 27. Juli 2013, 18.30 Uhr lant und konsequent die Verarmung des Lebens und der Lebensaussichten in der drangvollen Enge. Edward KOKAKU KIDOTAI (GHOST IN THE SHELL) – Japan G. Robinson zeichnet in seiner letzten Filmrolle (der 1995 – R: Mamoru Oshii – B: Kazunori Ito, nach dem 101.) das erschütternde Porträt eines alten Mannes, Manga von Masamune Shirow – K: Hisao Shirai – M: der dem Versprechen einer schönen halben Stunde im Kenji Kawai – 83 min, OmeU – 2029: Menschen und Euthanasiezentrum Home zu folgen erwägt. Cyborgs leben in friedlicher Koexistenz. Fast alle Men - ▶ Mittwoch, 24. Juli 2013, 20.00 Uhr ▶▶ Freitag, schen haben ihren Körper durch künstliche Implantate 26. Juli 2013, 18.30 Uhr verändert. Doch eingeschlossen in eine Biokapsel – die Shell – verfügt jeder Cyborg über menschliche Gehirn - CHILDREN OF MEN – GB 2007 – R: Alfonso Cuarón – zellen – den Ghost. Diesen zu beherrschen gelingt B: Alfonso Cuarón, Timothy J. Sexton, David Arata, einem mysteriösen Hacker. »Medium des Selbst, das Mark Fergus, Hawk Ostby, nach dem Roman von P.D. erkannt werden soll, sowie Subjekt der Erkenntnis ist James – K: – M: John Tavener – D: das, was der Film als ›Ghost‹ bezeichnet, das heißt 4 5 0 2 – 4 8 9 1

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84 jene Seele, auf welche die industrielle Reproduktion MINORITY REPORT – USA 2002 – R: Steven Spielberg keinen Zugriff hat, und die das eigentliche Leben aus - – B: Scott Frank, Jon Cohen, nach der Kurzgeschichte macht. GHOST IN THE SHELL führt programmatisch von Philip K. Dick – K: Janusz Kaminski – M: John Wil - vor, dass sich das Medium Animationsfilm namentlich liams – D: Tom Cruise, Max von Sydow, Steve Harris, für die Bebilderung der Themen Medientechnik und Neal McDonough, Jessica Capshaw – 145 min, OmU – Leib-Seele-Dualismus eignet, und zwar (das ist das 2054: Pre-Crime, eine Elite-Einheit der Polizei, sorgt Neue daran) auf einem Niveau, das technisch wie ge - dafür, dass Mörder gefasst werden, bevor sie ihr Ver - stalterisch den Anforderungen von erwachsenen Kino - brechen begehen können. »Das eigentliche Thema von gängern genügt.« (Tom Schellbächer) Steven Spielbergs virtuos inszenierten Science-Fiction- ▶ Freitag, 26. Juli 2013, 21.00 Uhr Paranoia-Thriller ist überraschend aktuell: Es ist zum einen die Idee perfekter, sogar die Zukunft und das 2046 – Hongkong 2004 – R+B: Wong Kar-wai – K: potentielle Tun der Menschen einschließender Überwa - – M: Shigeru Umebayashi – D: Tony chung, der Traum der Deterministen von der vollstän - Leung, Gong Li, Faye Wong, Takuya Kimura, Ziyi digen Berechenbarkeit und Kontrolle menschlicher Zhang, Maggie Cheung – 129 min, OmU – 2046: In Handlungen – zugleich ein Alptraum von der Abwesen - einer utopischen Stadt werden die Erinnerungen all der heit der Freiheit. Nicht weniger lässt dieses Szenario Reisenden, die sie betreten, lebendig. Sie steht im auch an derzeit grassierende Gedanken eines Präven - Mittelpunkt einer Erzählung, die Protagonist Chow tivkrieges denken – es sind die gleichen Grundideen, schreibt. »Es gibt keine Gegenwart jenseits der Erinne - die hier auf weltpolitischer Ebene handlungsleitend rung, und die Zukunft präsentiert sich als retrofuturisti - werden: Der Menschheitstraum von der völligen Ab - sches Kinogebilde. Der Held, ein Playboy-Typus der wesenheit und Vernichtung des Bösen, verbunden mit Zwanziger, lebt in den Sechzigern und schreibt über der Paranoia, dieses Böse sei immer und überall.« (Rü - das neue Jahrtausend, in dem die Zeit erstarrt und die diger Suchsland) Verstorbenen als Androiden weiterleben. Ähnlich wie ▶ Sonntag, 28. Juli 2013, 21.00 Uhr sein Held verharrt auch der Film in einer Zeitschleife. Er verachtet den Plot, folgt der Logik des Traums, der As - soziation, ist eher Elegie als Geschichte. Mit seinen wie von innen heraus leuchtenden Bildern, den warmen, vom Schleier der Erinnerung überzogenen Farben, dem Auf und Ab der Gefühle, dem ständigen Wechsel von Leidenschaft und Abschied wirkt er wie ein in sich ver - schlungenes Liebesgedicht, ohne Beginn und ohne Ende, poetologisch unbegrenzt.« (Katja Nicodemus) ▶ Samstag, 27. Juli 2013, 21.00 Uhr 4 5 0 2 – 4 8 9 1

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