Plenarprotokoll 15/180

Deutscher

Stenografischer Bericht

180. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Mündliche Frage 4 nung ...... 16977 A (fraktionslos) Absetzung des Tagesordnungspunktes 7 . . . . 16977 D Umfang der Personalveränderungen in der Bundeswehr seit 1994 Begrüßung der Delegation des griechischen Parlaments ...... 16999 C Antwort Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär BMVg ...... 16979 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Zusatzfrage Petra Pau (fraktionslos) ...... 16979 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung eines Arzneimittel- gesetzes Mündliche Frage 5 (Drucksache 15/5656) ...... 16977 D (CDU/CSU) Ausschreibung des von der Bundesregie- rung angekündigten Programms „Inno- Tagesordnungspunkt 1: Profile“ Fragestunde Antwort (Drucksache 15/5660) ...... 16978 A Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMBF ...... 16979 D Zusatzfrage Mündliche Frage 3 Michael Kretschmer (CDU/CSU) ...... 16979 D Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) Einladungen des Bundesverteidigungs- ministeriums anlässlich des 50. Jahrestages Mündliche Frage 8 der Schaffung der Bundeswehr an ehema- Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) lige Angehörige der Legion Condor und der Wehrmacht Entführung von Menschen in folternde Länder durch US-Geheimdienste Antwort Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär Antwort BMVg ...... 16978 A Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa ...... 16980 B Zusatzfragen Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 16978 C Zusatzfrage Jürgen Koppelin (FDP) ...... 16978 D Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 16980 B II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Mündliche Fragen 9 und 10 Zusatzfrage Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU) Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 16983 D Schaffung von Schneisen über den Kamm des Thüringer Waldes zur Erhöhung der Transportkapazitäten für regenerativen Mündliche Frage 26 Strom; Prüfung von Alternativen Hans-Michael Goldmann (FDP) Antwort Voraussetzungen für die rechtliche Grund- , Parl. Staatssekretär BMWA . . . 16980 D lage einer Ahndung von Fahrten ausländi- Zusatzfragen scher Schiffsoffiziere unter Alkoholeinfluss Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU) ...... 16981 A Antwort (CDU/CSU) ...... 16981 D Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 16984 A Mündliche Frage 11 Zusatzfrage Petra Pau (fraktionslos) Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 16984 B Rechtsgrundlage für Eingliederungsverein- barungen mit Arbeitslosengeld-II-Empfän- gern Tagesordnungspunkt 2: Antwort Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMWA . . . 16982 A a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sechzehnter Bericht nach § 35 des Bun- Zusatzfrage desausbildungsförderungsgesetzes zur Petra Pau (fraktionslos) ...... 16982 C Überprüfung der Bedarfssätze, Freibe- träge sowie Vomhundertsätze und Höchst- beträge nach § 21 Abs. 2 Mündliche Frage 23 (Drucksache 15/4995) ...... 16985 A Hellmut Königshaus (FDP) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Von der Deutschen Bahn AG vorgesehenes Ausschusses für Bildung, Forschung und neues Verkehrskonzept für den Raum Ber- Technikfolgenabschätzung zu dem An- lin trag der Abgeordneten , Antwort Dr. Maria Böhmer, , weite- Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin rer Abgeordneter und der Fraktion der BMVBW ...... 16983 A CDU/CSU: Konsequenzen aus dem Stu- diengebührenurteil für die Bildungs- Zusatzfrage und Hochschulfinanzierung des Bundes Hellmut Königshaus (FDP) ...... 16983 B (Drucksachen 15/4931, 15/5592) ...... 16985 B

Mündliche Frage 24 in Verbindung mit Hellmut Königshaus (FDP) Eventuelle Auswirkungen bei Lärmimmis- sionen durch das von der Deutschen Bahn Zusatztagesordnungspunkt 2: AG vorgesehene neue Verkehrskonzept für den Raum Berlin Antrag der Abgeordneten Dr. , Dieter Grasedieck, Gesine Antwort Multhaupt, weiterer Abgeordneter und der Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten BMVBW ...... 16983 C Grietje Bettin, , (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Mündliche Frage 25 Für ein integriertes EU-Bildungsrahmen- Hans-Michael Goldmann (FDP) programm – Mobilität und Austausch für ein zusammenwachsendes, innovatives und Schaffung rechtlicher Grundlagen für die wettbewerbsfähiges Europa Ahndung von Fahrten ausländischer Schiffs- (Drucksache 15/5675) ...... 16985 B offiziere unter Alkoholeinfluss , Bundesministerin Antwort BMBF ...... 16985 C Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 16983 C Thomas Rachel (CDU/CSU) ...... 16988 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 III

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ Klaus Haupt (FDP) ...... 17010 D DIE GRÜNEN) ...... 16989 D Karin Roth (Esslingen) (SPD) ...... 17011 C Hellmut Königshaus (FDP) ...... 16991 A Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 16992 C (SPD) ...... 16993 C Tagesordnungspunkt 5: Jörg Tauss (SPD) ...... 16994 C Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Vera Dominke (CDU/CSU) ...... 16995 B , Hartmut Koschyk, (Heilbronn), weiterer Abge- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) ...... 16996 B ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Marion Seib (CDU/CSU) ...... 16997 C Probleme mit der Türkei nicht ausblenden (Drucksachen 15/4496, 15/5665) ...... 17013 A Dr. Lale Akgün (SPD) ...... 17013 A Tagesordnungspunkt 3: Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 17015 A Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ ordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut DIE GRÜNEN) ...... 17016 C Koschyk, Thomas Strobl (Heilbronn), weite- Dr. (FDP) ...... 17017 C ren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär zur Änderung des Bundeswahlgesetzes BMI ...... 17019 A zur Korrektur der Grundmandatsklausel Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 17019 C (Grundmandatskorrekturgesetz) (Drucksachen 15/4718, 15/5664) ...... 16999 C Ralf Göbel (CDU/CSU) ...... 17020 D Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) ...... 16999 D Carl Eduard von Bismarck (CDU/CSU) . . . . 17021 D Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 17000 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 4: DIE GRÜNEN) ...... 17001 B a) Beschlussempfehlung und Bericht des Jörg van Essen (FDP) ...... 17002 B Ausschusses für Verbraucherschutz, Er- Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . 17002 C nährung und Landwirtschaft Petra Pau (fraktionslos) ...... 17003 B – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Manfred Helmut Zöllmer, (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 17004 A Michael Müller (Düsseldorf), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), weite- Dr. Uwe Küster (SPD) rer Abgeordneter und der Fraktion der (zur Geschäftsordnung) ...... 17005 A SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Dr. Reinhard Loske, Cornelia Dr. , Vizepräsident Behm, weiterer Abgeordneter und der (zur Geschäftsordnung) ...... 17005 B Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Verbraucher- politischer Bericht 2004 Tagesordnungspunkt 6: – zu der Unterrichtung durch die Bun- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- desregierung: Verbraucherpolitischer schusses für Wirtschaft und Arbeit zu dem Bericht 2004 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aufbruch (Drucksachen 15/4865, 15/4499, 15/5611) 17022 C und Perspektiven – Zukunftschancen für b) Beschlussempfehlung und Bericht des Jugendliche in Deutschland stärken Ausschusses für Verbraucherschutz, Er- (Drucksachen 15/5255, 15/5394) ...... 17006 A nährung und Landwirtschaft Gerd Andres, Parl. Staatssekretär – zu dem Entschließungsantrag der Ab- BMWA ...... 17006 A geordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler- Dr. (CDU/CSU) ...... 17007 B Gmelin, weiterer Abgeordneter und Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ der Fraktion der SPD sowie der Abge- DIE GRÜNEN) ...... 17009 C ordneten Ulrike Höfken, Volker Beck IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(Köln), , weiterer Ab- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ geordneter und der Fraktion des DIE GRÜNEN) ...... 17041 A BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: zu der Abgabe einer Erklärung durch Dr. (FDP) ...... 17041 B die Bundesregierung Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 17042 A Eine neue Ernährungsbewegung für Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 17043 A Deutschland Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 17043 D – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Hans-Michael Goldmann, (SPD) ...... 17044 A Dr. Christel Happach-Kasan, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: zu der Abgabe Tagesordnungspunkt 9: einer Erklärung durch die Bundes- regierung Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- Eine neue Ernährungsbewegung für sen Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe – zu dem Antrag der Abgeordneten Beckmeyer, Klaus Brandner, Dr. Michael Ursula Heinen, Julia Klöckner, Peter Bürsch, weiterer Abgeordneter und der H. Carstensen (Nordstrand), weiterer Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Abgeordneter und der Fraktion der Albert Schmidt (Ingolstadt), , CDU/CSU: Über-, Fehl- und Mangel- Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne- ernährung wirksam bekämpfen ter und der Fraktion des BÜNDNIS- (Drucksachen 15/3323, 15/3324, 15/3310, SES 90/DIE GRÜNEN: Investitions- 15/3987) ...... 17022 D kräfte stärken – Neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . 17023 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Ursula Heinen (CDU/CSU) ...... 17025 B Fischer (), , Manfred Helmut Zöllmer (SPD) ...... 17027 B , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Notwen- Ursula Heinen (CDU/CSU) ...... 17028 C dige Investitionen in die deutsche Ver- kehrsinfrastruktur bereitstellen Gudrun Kopp (FDP) ...... 17029 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 17030 A Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (CDU/CSU) ...... 17031 A (Plauen), Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Infrastrukturinvestitionen erhöhen – DIE GRÜNEN) ...... 17032 C Neue Wege bei Finanzierung und Be- Marlene Mortler (CDU/CSU) ...... 17033 A trieb der Bundesfernstraßen Jella Teuchner (SPD) ...... 17033 C (Drucksachen 15/5340, 15/5325, 15/5338, 15/5650) ...... 17044 C Julia Klöckner (CDU/CSU) ...... 17034 C

Zusatztagesordnungspunkt 3: Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Krüger, , Ingrid Arndt- Beschwerden an den Deutschen Bundestag Brauer, weiterer Abgeordneter und der Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Deutschen Bundestages im Jahr 2004 Jutta Krüger-Jacob, Christine Scheel, (Drucksache 15/5570) ...... 17036 B , weiterer Abgeordneter Dr. (FDP) ...... 17036 B und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Europäische Finanz- Uwe Göllner (SPD) ...... 17037 B märkte – Integration durch Wettbe- werb und Vielfalt voranbringen Günter Baumann (CDU/CSU) ...... 17038 B (Drucksache 15/5679) ...... 17045 A Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ b) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael DIE GRÜNEN) ...... 17039 C Meister, Heinz Seiffert, , Günter Baumann (CDU/CSU) ...... 17040 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 V

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten 22. Mai 2005 und in den kommenden drei Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Monaten Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Antwort Gerhardt und der Fraktion der FDP: Euro- Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär päische Finanzmärkte – Integration BMVEL ...... 17053 D durch Wettbewerb und Vielfalt voran- bringen (Drucksache 15/5677) ...... 17045 B Anlage 4 Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) ...... 17045 B Mündliche Frage 6 Leo Dautzenberg (CDU/CSU) ...... 17046 D Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) Jutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/ Verwendung der von Deutschland im Rah- DIE GRÜNEN) ...... 17048 D men des Welternährungsprogramms zur Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 17049 D Verfügung gestellten Mittel zur Finanzie- rung von Nahrungsmitteln, die genetisch Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 17050 C manipulierte Organismen enthalten Antwort Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . 17054 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Anlage 5 NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzie- Mündliche Frage 7 rung der Versorgung sowie zur Änderung Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) dienstrechtlicher Vorschriften (Versor- Auswirkungen der Unabhängigkeitsbestre- gungsnachhaltigkeitsgesetz – VersorgNG) bungen der somalischen Provinz Somali- (Drucksache 15/5672) ...... 17051 C land und der Auseinandersetzungen um die somalischen Regionen Sanaag und Sool Nächste Sitzung ...... 17052 A auf die regionale Sicherheit am Horn von Afrika Antwort Anlage 1 Kerstin Müller, Staatsministerin AA ...... 17054 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17053 A Anlage 6

Anlage 2 Mündliche Fragen 12 und 13 Dr. (CDU/CSU) Mündliche Frage 1 Mehrausgaben in Höhe von 10 Milliarden (CDU/CSU) Euro aufgrund von Hartz IV Teilung der Abteilung „EU-Angelegenhei- Antwort ten, Internationale Angelegenheiten, Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMWA . . . 17054 C Fischerei“ im Bundesministerium für Ver- braucherschutz, Ernährung und Landwirt- schaft und Bestellung eines weiteren Lei- ters in Besoldungsstufe B 9 Anlage 7 Antwort Mündliche Fragen 14 und 15 Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) BMVEL ...... 17053 B Ausschluss immatrikulierter und wegen Vollendung des 30. Lebensjahres bzw. nach dem 14. Fachsemester nicht mehr in der Anlage 3 studentischen Krankenversicherung versi- cherter Studierender aus der 400-Euro-Re- Mündliche Frage 2 gelung; eventuell erforderlich werdende Gitta Connemann (CDU/CSU) Gesetzesänderungen Beförderung im Bundesministerium für Antwort Verbraucherschutz, Ernährung und Land- Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin wirtschaft im höheren Dienst nach dem BMGS ...... 17055 A VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Anlage 8 Antwort Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin Mündliche Fragen 16 und 17 BMVBW ...... 17058 A Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU) Äußerungen von homöopathisch tätigen Ärzten zu „Masernpartys“ und Nebenwir- Anlage 13 kungen der Masernimpfung Mündliche Fragen 28 und 29 Antwort Bernhard Kaster (CDU/CSU) Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin Vertragliche Verpflichtungen gegenüber BMGS ...... 17055 D den Regierungsberatern Prof. Dr. Karl Lauterbach und Klaus-Peter Schmidt- Deguelle; Laufzeit der Verträge und Kün- Anlage 9 digungsmöglichkeiten im Falle einer Neu- wahl des Deutschen Bundestages Mündliche Frage 18 Klaus Hofbauer (CDU/CSU) Antwort Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Unterstützung der an der Trasse der A 6 BMF ...... 17058 B liegenden Kommunen bei der Modernisie- rung ihrer Feuerwehreinheiten Antwort Anlage 14 Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 17057 A Mündliche Fragen 30 und 31 Hartmut Koschyk (CDU/CSU) Nichtberücksichtigung von Vordienstzeiten in der Leistungsabteilung oder der Arbeits- Anlage 10 vermittlung der Bundesagentur für Arbeit Mündliche Fragen 19 und 20 bei der Verbeamtung von zum Zoll überge- Henry Nitzsche (CDU/CSU) leiteten ehemaligen Angestellten der Bun- desagentur für Arbeit; Auswirkungen auf Neuberechnung der im Gesamtkonzept der die Tätigkeit als Hilfsbeamte der Staatsan- Lärmsanierung angegebenen Sanierungs- waltschaft nach § 14 Abs. 1 Schwarzarbei- abschnitte an bestehenden Bahnstrecken; terbekämpfungsgesetz Aufnahme einer Länderquote und bevor- zugte Abarbeitung der Sanierungsab- Antwort schnitte mit dem höchsten Emissionswert Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 17058 C Antwort Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 17057 A Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 11 der Anträge: Mündliche Fragen 21 und 22 – Investitionskräfte stärken – Neue Impulse Jörg Tauss (SPD) für Wachstum und Beschäftigung Eingriffe des Eisenbahn-Bundesamtes in – Notwendige Investitionen in die deutsche bestehende Planungen für Lärmschutz- Verkehrsinfrastruktur bereitstellen maßnahmen an Bahnstrecken – Infrastrukturinvestitionen erhöhen – Neue Antwort Wege bei Finanzierung und Betrieb der Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin Bundesfernstraßen BMVBW ...... 17057 C (Tagesordnungspunkt 9) (SPD) ...... 17059 B

Anlage 12 (CDU/CSU) ...... 17060 B (CDU/CSU) ...... 17061 B Mündliche Frage 27 Michael Kretschmer (CDU/CSU) Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 17062 B Realisierung des deutsch-polnischen Grenz- übergangs Deschka/Penzig (Bayreuth) (FDP) ...... 17064 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 VII

Anlage 16 (CDU/CSU) ...... 17065 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (CDU/CSU) ...... 17066 B des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung (BÜNDNIS 90/ der nachhaltigen Finanzierung der Versorgung DIE GRÜNEN) ...... 17067 C sowie zur Änderung dienstrechtlicher Vor- schriften (Versorgungsnachhaltigkeitsgesetz – Dr. Max Stadler (FDP) ...... 17068 A VersorgNG) (Zusatztagesordnungspunkt 4) Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 17064 D BMI ...... 17068 D

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(A) (C) Redetext

180. Sitzung

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Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der Versorgung sowie zur Änderung dienstrechtlicher Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- Vorschriften (Versorgungsnachhaltigkeitsgesetz – zung ist eröffnet. VersorgNG) – Drucksache 15/5672 – Interfraktionell wurde vereinbart, die heutige Tages- Überweisungsvorschlag: ordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vor- Innenausschuss (f) liegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Arzneimittelgesetzes Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO – Drucksache 15/5656 – Von der Frist für die Beratung soll, soweit erforder- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f) lich, abgewichen werden. (B) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Weiterhin wurde vereinbart, die heutige Fragestunde (D) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf eine Stunde zu beschränken sowie die Tages- Ausschuss für Bildung, Forschung und ordnungspunkte 4 – Verbraucherpolitischer Bericht – Technikfolgenabschätzung und 6 – Zukunftschancen für Jugendliche – zu tauschen. ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst DieterAußerdem soll Tagesordnungspunkt 7 – EU-Waffenem- Rossmann, Dieter Grasedieck, Gesine Multhaupt, weiterer bargo gegenüber China – abgesetzt werden. Sind Sie mit Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen neten Grietje Bettin, Monika Lazar, Volker Beck (Köln), wei- Widerspruch. Dann ist so beschlossen. terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Für ein integriertes EU-Bildungsrahmen- Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord- programm – Mobilität und Austausch für ein zusammen- nung um die Beratung eines Gesetzentwurfs zur Ände- wachsendes, innovatives und wettbewerbsfähiges Europa rung des Arzneimittelgesetzes zu erweitern und diesen – Drucksache 15/5675 – jetzt gleich als Zusatzpunkt 1 ohne Aussprache aufzuru- ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich fen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist das so be- Krüger, Florian Pronold, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer schlossen. Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Jutta Krüger-Jacob, Christine Scheel, Kerstin Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf: Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Europäische Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Finanzmärkte – Integration durch Wettbewerb und gebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Geset- Vielfalt voranbringen zes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes – Drucksache 15/5679 – – Drucksache 15/5656 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. , Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg, weiterer Abge- Überweisungsvorschlag: ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f) ordneten Dr. Volker Wissing, Dr. , Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Carl-Ludwig Thiele, Dr. und der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Fraktion der FDP: Europäische Finanzmärkte – Inte- Landwirtschaft gration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Drucksache 15/5677 – ZP 4 Erste Beratung des vonden Fraktionen der SPD und des Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- wurfs auf Drucksache 15/5656 an die in der Tagesord- nes Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierung nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es 16978 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): (C) Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, wurden vom Bundesminister der Verteidigung auch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Menschen eingeladen, die in den alliierten Armeen oder Fragestunde bei den spanischen Interbrigadisten gegen den Faschis- mus und die Wehrmacht gekämpft haben und, wenn ja, – Drucksache 15/5660 – wie viele? Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- Parl. Staatssekretär beim riums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- Hans Georg Wagner, Bundesminister der Verteidigung: schaft auf. Das ist mir im Einzelnen nicht bekannt. Unabhängig Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Gitta Connemann davon haben wir natürlich auch Offiziere der ehemaligen werden schriftlich beantwortet. Nationalen Volksarmee der DDR eingeladen, Deshalb rufe ich den Geschäftsbereich des Bundes- (Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos]: Das war ministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beant- nicht meine Frage!) wortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hanssofern sie zu dem eingeladenen Kreis gehören durften. Georg Wagner. Hier ist keine Unterscheidung getroffen worden. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Eine weitere Zusatzfrage. Warum hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck, anlässlich des 50. Jahrestages der Bundeswehr auch ehemalige Angehörige der im spanischen Bürgerkrieg einge- Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): setzten Legion Condor eingeladen – vergleiche die „Welt“ Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe aber nicht vom 7. Juni 2005 – und wie ele vi eingeladene Gäste waren ehemalige Angehörige der Wehrmacht? nach den Offizieren der Nationalen Volksarmee gefragt. Herr Staatssekretär, Sie wissen wahrscheinlich ge- Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim nauso gut wie ich, dass der Bundeskanzler anlässlich des Bundesminister der Verteidigung: 60. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Nor- Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Lötzsch, mandie am in seiner Begleitung auch ehemalige Wehr- 7. Juni 2005 begann mit einer Auftaktveranstaltung der machtsangehörige hatte und dass Menschen, die auf- (B) offizielle Jubiläumszeitraum zum 50. Geburtstag derseiten der französischen Résistance gekämpft haben, von (D) Bundeswehr. Zu dieser Veranstaltung wurden durch den der französischen Regierung eingeladen werden muss- Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck,ten, weil sie im Tross des Bundeskanzlers nicht eingela- 1 123 Repräsentanten aus Staat und Gesellschaft einge- den waren. Haben Sie keinen Anlass gesehen, aus diesen laden, darunter selbstverständlich auch die ehemaligen Erfahrungen des vergangenen Jahres zu lernen und Men- Generalinspekteure der Bundeswehr. schen, die gegen die faschistische Wehrmacht gekämpft haben, offiziell einzuladen? Der inzwischen 97-jährige General a. D. Heinz Trettner gehört zu den Gründervätern der Bundeswehr. Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim Er wurde, wie alle Offiziere der Bundeswehr mit Vor- Bundesminister der Verteidigung: dienstzeiten in der Wehrmacht vom Dienstgrad Oberst Wir haben dies nicht zum Kriterium gemacht. Wie der an aufwärts, durch den so genannten Personalgutachter- Herr Bundeskanzler seine Delegation zusammenstellt, ausschuss auf seine persönliche Eignung geprüft. Damit ist Sache des Bundeskanzlers. Wir haben das nicht zu besteht für das Bundesministerium der Verteidigungkritisieren. Wir selber haben nach bestem Wissen und keine Veranlassung, an der Integrität dieser Personen- Gewissen die Einladungen zusammengestellt. Das trifft gruppe zu zweifeln. Es ist eine Selbstverständlichkeit, auch für diejenigen zu, die eingeladen worden sind. In- eine Persönlichkeit, die sich um den Aufbau unseressofern haben wir da souverän gehandelt. Wir waren nicht freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates in besonderer der Auffassung, man sollte zusätzliche Einladungen aus- Weise verdient gemacht hat, zu einer solchen Feier ein- sprechen. zuladen. Die Frage nach der Anzahl eingeladener Gäste, die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ehemals Angehörige der Wehrmacht waren, kann nicht Eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin. beantwortet werden, da die Vita der Eingeladenen nicht eigens abgeprüft wurde. Es ist davon auszugehen, dass Jürgen Koppelin (FDP): ein Großteil der vor 1931 in Deutschland geborenen Herr Staatssekretär, haben Sie die gleichen Kennt- männlichen Bevölkerung – in welcher Form auch im- nisse wie ich, dass beim Aufbau der Nationalen Volksar- mer – Angehöriger der Wehrmacht war. mee ebenfalls ehemalige Soldaten der deutschen Wehr- macht dabei waren? Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr Ihre Zusatzfragen, bitte. richtig!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16979

(A) Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim (C) Bundesminister der Verteidigung: Bundesminister der Verteidigung: Das ist nicht auszuschließen, Herr Kollege Koppelin; Eine solche Übersicht gibt es nicht, da die im Rahmen denn solche waren sowohl bei uns dabei als auch auf der der Konversion weggefallenen Dienstposten bei der Seite der ehemaligen DDR. Bundeswehr durch Ländermaßnahmen ersetzt werden müssen. Sie wissen, Konversion ist Sache der Bundes- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: länder. Man müsste bei den einzelnen Bundesländern ab- Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Petra Pau auf: fragen, wie groß der Nettozuwachs an zivilen Arbeits- plätzen gewesen ist. Diese Zahlen sind uns nicht Welchen Umfang hatten bundesweit Personalveränderun- gen in der Bundeswehr an denStandorten seit 1994 und wie bekannt. viele Arbeitsplätze wurden aufgrund des jeweiligen nachfol- genden Stationierungskonzeptes – bitte nach Ländern auf- Petra Pau (fraktionslos): schlüsseln – neu geschaffen? Danke schön. Dann würde ich gern, wie gesagt, die angekündigte Übersicht nachträglich erhalten. Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Parl. Staatssekretär beim Frau Kollegin Pau, im April des Jahres 1994 beschäf- Hans Georg Wagner, Bundesminister der Verteidigung: tigte die Bundeswehr insgesamt rund 174 800 zivile Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Wehrverwaltung des Diese bekommen Sie. Bundes befand sich zu dieser Zeit in dem Anfang der 90er-Jahre begonnenen Prozess der personellen Umset- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: zung der Strukturveränderungen im Rahmen der Anpas- Keine weiteren Zusatzfragen? Wir sind damit am sung an die neuen Streitkräftestrukturen und des Auf- Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank für die Be- baus einer Wehrverwaltung in den neuen Bundesländern. antwortung der Fragen, Herr Staatssekretär. Mitte 2000 wurden die Strukturveränderungen durch die Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- Maßnahmen im Rahmen der Neuausrichtung der Bun- riums für Bildung und Forschung auf. Die Fragen beant- deswehr und Ende 2003 mit den neuen Entscheidungen wortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich zur Transformation der Bundeswehr fortgesetzt. Kasparick. In diesem Rahmen soll der zivile Bereich der Bundes- Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Michael wehr bis zum Ende des Jahres 2010 auf 75 000 Haus- Kretschmer auf: haltsstellen und Dienstposten bzw. Arbeitsplätze redu- Wann ist mit der Ausschreibung des von der Bundesregie- (B) ziert werden. Da Auszubildende, Beamte auf Widerruf rung angekündigten Programms „Inno-Profile“, die laut Aus- (D) und Teilzeitbeschäftigte keine oder keine ganze Haus- sage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haltsstelle in Anspruch nehmen, können mit der Ziel- noch vor der Sommerpause 2005 erfolgen soll, zu rechnen? größe von 75 000 Haushaltsstellen voraussichtlich über 80 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- werden. Derzeit sind rund 122 000 zivile Beschäftigte desministerin für Bildung und Forschung: bei der Bundeswehr tätig. Dies bedeutet eine weitere Re- Herr Kollege Kretschmer, Sie fragen danach, wann duzierung des gesamten Personalbestandes im zivilen das neue Programm für Ostdeutschland, das wir aus- Bereich um bis zu 40 000 Menschen. Diese personelle schreiben, im Bundesanzeiger veröffentlicht werden Entwicklung beruht auf organisatorischen Maßnahmen wird. Das wird am 17. Juni der Fall sein. Es wird vom mit entsprechenden Arbeitsplatz- und Dienstpostenan- Verfahren her wieder so sein wie bei den anderen Projek- passungen. Die Reduzierung wird sozial verträglich und ten auch: Man kann zunächst eine Projektskizze einrei- ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Ein An- chen; das ist bis zum 8. September möglich. stieg beim Zivilpersonal der Bundeswehr erfolgte nur in Berlin und Sachsen-Anhalt, nämlich um 570 bzw. 306 Personen. Eine Darstellung der Entwicklung des Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Personalbestandes in den Bundesländern im Zeitraum Ihre Zusatzfragen, bitte. von 1994 bis 2005 kann zur Verfügung gestellt werden. Michael Kretschmer (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie hatten angekün- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: digt, dass die Anträge schon vor der Sommerpause ge- Ihre Zusatzfragen, bitte. stellt werden können. Wann ist damit zu rechnen, dass die ersten Anträge bewilligt werden und tatsächlich mit Petra Pau (fraktionslos): der Arbeit begonnen werden kann? Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Diese Übersicht würde ich gern erhalten. Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Ich hätte eine Nachfrage: Gibt es einen Überblick,desministerin für Bildung und Forschung: wie viele Arbeitsplätze – bei all den Abbaumaßnahmen, Ich hatte Ihnen die Daten genannt. Die Ausschreibung die Sie beschrieben haben – neu entstanden sind, bei-wird am 17. Juni 2005 im Bundesanzeiger veröffent- spielsweise durch die Stationierung des Eurofighters in licht. Die Projektskizzen können bis zum 8. Sep- Rostock-Laage? tember 2005 eingereicht werden. Von unserer Seite aus 16980 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick (A) sind alle Vorbereitungen dafür getroffen worden, dass beschrieben haben, hinaus unternommen, um die Folter (C) zügig gearbeitet werden kann. von deutschen Staatsbürgern durch amerikanische Ge- heimdienste zu unterbinden? Gibt es zwischen beiden Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ländern Regelungen bezüglich dieser Frage? Sie haben noch eine Zusatzfrage. Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa: Frau Kollegin Lötzsch, ich habe Ihnen eben in meiner Michael Kretschmer (CDU/CSU): Antwort dargelegt, dass mir weitere Fälle mit deutschen Gibt es für dieses Programm einen Projektträger und Staatsangehörigen nicht bekannt sind, sodass ich die Un- wenn ja, wer ist das? terstellung in Ihrer Frage zurückweisen muss.

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Zum konkreten Fall, nach dem Sie gefragt haben: Die desministerin für Bildung und Forschung: Bundesregierung hat die US-Regierung um Aufklärung der Vorwürfe gebeten. Wir werden die Außenstelle der PTJ Jülich hier in Berlin damit beauftragen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Es gibt keine weiteren Fragen mehr dazu. Damit sind wir auch am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fra- Vielen Dank. – Wie hat die Regierung der Vereinigten gen. Staaten auf das Ersuchen, aufzuklären, reagiert? Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa: riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Frau Kollegin Lötzsch, die Kontakte mit der US-Re- lung auf. gierung waren vertraulicher Natur und lassen eine öf- Die Frage 6 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wirdfentliche Erörterung nicht zu. schriftlich beantwortet. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das über- Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Auswärtigen rascht!) Amtes auf. Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister Hans Martin Bury. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir sind damit auch am Ende dieses Geschäftsbe- (B) Die Frage 7 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird eben- (D) reichs. Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beant- falls schriftlich beantwortet. wortung der Fragen. Deshalb rufe ich jetzt die Frage 8 der KolleginIch rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- Dr. Gesine Lötzsch auf: riums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Fragen beant- Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass US- wortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gerd Geheimdienste Menschen in Länder entführen, in denen unter Andres. Folter Geständnisse erpresst werden, wie zum Beispiel den deutschen Staatsbürger Khaled el-Masri – vergleiche „Neues Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Volkmar Uwe Deutschland“ vom 7. Juni 2005 –, und wenn ja, was hat die Vo ge l a u f : Bundesregierung gegen dieses Vorgehen der US-Geheim- dienste unternommen? Trifft es zu, dass zum Transport von diskontinuierlich an- fallendem regenerativen Strom die Transportkapazitäten durch den Neubau von 380-Kilovolt-Hochspannungsleitun- Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa: gen erhöht werden und deswegen Schneisen von etwa 75 m Frau Kollegin Lötzsch, in dem von Ihnen angespro- Breite bei einem Flächenverbrauch von circa 1 200 ha über chenen Fall hat die Staatsanwaltschaft München ein den Kamm des Thüringer Waldes geschlagen werden sollen, und wenn ja, hält die Bundesregierung dies für ökologisch Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Ver- sinnvoll? schleppung eingeleitet. Das Verfahren ist noch nicht ab- geschlossen. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Im Zusammenhang mit diesem Verfahren hat dieminister für Wirtschaft und Arbeit: bayerische Justiz ein Rechtshilfeersuchen an die US-Re- Frau Präsidentin, ich würde die Fragen 9 und 10 gierung gestellt. Die Bundesregierung unterstützt dieses gerne gemeinsam beantworten, wenn Herr Vogel einver- Rechtshilfeersuchen. Weitere Fälle mit deutschen Staats- standen ist. angehörigen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ja, das bin ich. Ihre Zusatzfragen, bitte. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Dann rufe ich zusätzlich die Frage 10 auf: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister, Welche Alternativen zu dieser Trassenführung prüfen die was hat die Bundesregierung über das, was Sie gerade Bundesregierung bzw. die beteiligten Einrichtungen? Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16981

(A) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das glaube (C) nister für Wirtschaft und Arbeit: ich nicht!) In der dena-Studie „Energiewirtschaftliche Planung – Mir liegen keine vor. Einen Vergleich zwischen Strom- für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland leitungen, Autobahnen oder Schifffahrtskanälen will ich an Land und Offshore“ vom Februar 2005 wurde das hier nicht anstellen. Ich finde, ich habe Ihre Fragen or- Konzept zur Netzintegration von Windkraftanlagen in dentlich beantwortet. Die letzte Frage kann ich nicht be- das elektrische Versorgungssystem vorgelegt. Die fürantworten. den Zeitraum 2007 bis 2010 erforderlichen Netzverstär- kungen bzw. Netzausbaumaßnahmen sehen eine neue, 140 Kilometer lange 380-Kilovolt-Leitung von Viesel- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bach nach Redwitz vor. Sie haben noch zwei Zusatzfragen. Aussagen zur Trassenführung sowie zur Technologie (CDU/CSU): des Leitungsbaus und zum Flächenverbrauch können Volkmar Uwe Vogel von der Bundesregierung nicht getroffen werden. Sie sprachen davon, dass die Trassenführung und auch mögliche Alternativen einzig und allein in der Ver- Die Frage 10 beantworte ich wie folgt: Über die Tras- antwortung der Länder bzw. der zuständigen Einrichtun- senführung von Hochspannungsleitungen wird im Rah- gen liegen. Trotz alledem haben Sie die Möglichkeit, men der Planungs- und Genehmigungsverfahren ent-hier Einfluss zu nehmen. Haben Sie diese Möglichkeit schieden. Diese Verfahren liegen in der Zuständigkeit unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit, sprich: der der Bundesländer. Antragsteller für solche LeitungenNutzung möglicher Synergieeffekte, geprüft und haben sind die jeweiligen Netzbetreiber. Sie Empfehlungen ausgesprochen?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Sie haben jetzt vier Zusatzfragen. minister für Wirtschaft und Arbeit: Ich weiß von keiner Möglichkeit, Einfluss zu neh- men. Ich habe Ihnen auf Ihre Frage 10 geantwortet, dass Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): über mögliche Trassen in den Bundesländern entschie- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, den wird. Die Netzbetreiber entscheiden. Sie müssen das besonders in Bezug auf Frage 9 habe ich eine Zusatz- beantragen. Die Landesregierung ist für die Trassenfüh- frage: Gelten für den Transport von erneuerbaren Ener- rung zuständig. Wo wir ansonsten was wie beeinflussen, gien andere Umweltverträglichkeitskriterien bei den not- weiß ich nicht. Damit ist Ihre Frage ordentlich und kor- (B) wendigen Untersuchungen als zum Beispiel in dem Fall, rekt beantwortet. (D) in dem es um die Errichtung von Schienentrassen durch den Thüringer Wald ging? Das betrifft ja gerade auch die Kammlagen des Thüringer Waldes. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Noch eine Zusatzfrage? Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Wirtschaft und Arbeit: Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Das ist mir nicht bekannt. Die Frage kann ich Ihnen Nein, danke. nicht beantworten. Ich glaube aber, nicht. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Dann hat der Kollege Grund eine Zusatzfrage. Bitte. Manfred Grund (CDU/CSU): Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, die Notwendigkeit für den Neu- bau der 380 000-Volt-Leitung ergibt sich aus dem Ener- Danke. – Eine weitere Frage in diese Richtung. Hal- gieaufkommen von Windkraftanlagen in Norddeutsch- ten Sie bzw. die Bundesregierung es für das ökologische land und dem Verbrauch in Süddeutschland bzw. einer Gleichgewicht der Kammlagen des Thüringer Waldes möglichen Speicherung, weil Energie aus Windkraft für sinnvoll, solche Schneisen oder Trassen zu schlagen, nicht kontinuierlich entsteht und eine Speicherung in oder ist unter Umständen die Errichtung von Tunnelbau- Wasserkraftanlagen nötig ist. werken, wie es auch bei anderen Bahn- und Verkehrs- trägern gemacht wird, ökologisch sinnvoller? Mich interessieren nun die Kosten. Geht die Bun- desregierung davon aus, dass die Kosten für eine (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr rich- 380 000-Volt-Leitung, die sicherlich im zwei- oder drei- tig!) stelligen Millionenbereich liegen werden – allein in Thü- ringen geht es um eine Trasse von 140 Kilometern –, Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- auch die Kosten beinhalten, die nach dem ehemaligen minister für Wirtschaft und Arbeit: Energieeinspeisungsgesetz, heute EEG, für den Aufkauf Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über einer Kilowattstunde aufgewendet werden müssen, oder die ökologische Situation der Kammlagen des Thüringer werden diese Kosten für die Ableitung der Energie noch Waldes vor. zusätzlich auf den Verbraucher umgelegt werden? 16982 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- rungsvereinbarung unter anderem die Verpflichtung des (C) minister für Wirtschaft und Arbeit: Arbeitslosengeld-II-Empfängers, werktäglich für den Wie die Betreiber den Bau einer Trasse oder einerzuständigen SGB-II-Leistungsträger persönlich an sei- Leitung finanzieren, weiß ich nicht. Das ist deren Ange- nem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort er- legenheit. reichbar zu sein und sichnur nach Absprache und mit Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außer- (Zuruf des Abg. Volkmar Uwe Vogel [CDU/ halb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufzuhalten. Die CSU]) Grundlagen für die angesprochenen Pflichten finden sich – Ich gehe von nichts aus. Ich habe Ihnen doch gesagt: in den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitslosengeld- Ob eine Trasse gebaut wird, ist zunächst Angelegenheit II-Empfängers nach § 2 SGB II. der Betreiber; sie müssen das finanzieren. Ob sie eine Trasse aus Atomkraft, aus Wasserkraft, Windkraft oder Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dem, was sie sonst an Geschäften betreiben, finanzieren, Ihre Zusatzfragen, bitte. entzieht sich meiner Kenntnis. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aus den Erträ- Petra Pau (fraktionslos): gen! Eine Atomkrafttrasse ist schwierig!) Danke. – Herr Staatssekretär, finden Sie nicht auch, dass sich in Ihrer Antwort ein Widerspruch befand, da Ich finde, ich habe Ihre Frage beantwortet. Aber Sie kön- Sie im ersten Teil ausführten, dass es eine solche Ver- nen gerne noch einmal fragen. pflichtung nach dem Gesetz nicht gibt, Sie aber gleich- zeitig wörtlich die Eingliederungsvereinbarung zitierten, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: die mir auch von einem Arbeitsuchenden übermittelt Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Pau auf: wurde, nämlich dass er sich schriftlich verpflichten sollte, sich nur nach Absprache und mit Zustimmung des Auf welcher Rechtsgrundlage versuchen Arbeitsgemein- schaften im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Gesetzgebung, persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und Arbeitslosengeld-II-Empfänger dazu zu verpflichten, Einglie- ortsnahen Bereichs aufzuhalten – Ortsabwesenheit? derungsvereinbarungen zu unterschreiben, die es ihnen ver- bieten, zeitlich und räumlich ihren Wohnort zu verlassen, und wo ist dies genau geregelt? Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Wirtschaft und Arbeit: Nein. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Arbeit: (fraktionslos): (B) Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass die Ar- Petra Pau (D) beitsgemeinschaften versuchen, Empfänger von Arbeits- Dann wüsste ich gern, wo es im Gesetz geregelt ist, losengeld II dazu zu verpflichten, Eingliederungsver-dass es eine solche Verpflichtung gibt, und wie die Ein- einbarungen zu unterschreiben, die es ihnen verbieten, haltung dieser Verpflichtung kontrolliert wird. zeitlich und räumlich ihren Wohnort zu verlassen. Auch die aus einer Vielzahl von Besuchen in den Arbeitsge- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- meinschaften gewonnenen Informationen des Bundes- nister für Wirtschaft und Arbeit: ministeriums für Wirtschaft und Arbeit über die Arbeits- Ich habe Ihnen die Obliegenheitspflicht nach § 2 mit- weise der Arbeitsgemeinschaften lassen ein derartiges geteilt. Dieser § 2 macht es notwendig, dass derjenige, Verfahren nicht erkennen. Eine solche Vorgehensweise der gefördert werden soll, werktäglich für den persönli- würde auch nicht der Rechtslage entsprechen. chen Fallmanager erreichbar und ansprechbar ist. Ich will Ihnen gleich dazu sagen: Ich halte das auch für völ- Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende lig richtig, damit wir uns überhaupt nicht missverstehen. findet eine umfassende Unterstützung der erwerbsfähi- Insofern habe ich auch keinen Widerspruch gesehen, gen Hilfebedürftigen mit dem Ziel der Integration in Ar- Frau Kollegin: § 2 SGB II, Obliegenheitspflichten des beit statt. Insbesondere benennt die Arbeitsgemeinschaft Hilfebedürftigen. bzw. der zugelassene kommunale Träger jedem erwerbs- fähigen Hilfebedürftigen einen persönlichen Ansprech- partner, der ihn bei der Eingliederung in den Arbeits- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: markt umfassend unterstützt. Zu diesem Zweck wird mit Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Dr. Maria dem persönlichen Ansprechpartner eine Eingliederungs- Flachsbarth werden schriftlich beantwortet. vereinbarung abgeschlossen, die das Sozialrechtsver- Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. hältnis zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung und den Trägern der Grundsicherung konkretisiert. Sie der Fragen. enthält verbindliche Aussagen zum Fördern und Fordern Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, legt also beidersei- riums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Die tige Rechte und Pflichten fest. Fragen 14 und 15 der Kollegin Dr. Herta Däubler- Gmelin werden schriftlich beantwortet, ebenso die Die Umsetzung der Integrationsanstrengung erfor- Fragen 16 und 17 des Kollegen Dr. Hans Georg Faust. dert es, dass der erwerbstätige Hilfebedürftige in der Re- gel jeden Werktag für den persönlichen Ansprechpartner Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- erreichbar ist. Aus diesem Grund enthält die Eingliede- riums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16983

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretä- Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- (C) rin Angelika Mertens. desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Das ist eine ganz kurze Antwort: Keine. Die Frage 18 des Kollegen Klaus Hofbauer und die Fragen 19 und 20 des Kollegen Henry Nitzsche werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 21 und 22 des Kolle- Hellmut Königshaus (FDP): gen Jörg Tauss werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Danke schön.

Ich rufe die Frage 23 des Kollegen HellmutVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Königshaus auf: Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Hans-Michael Trifft es zu, dass das von der Deutschen Bahn AG vorge- Goldmann auf: sehene neue Verkehrskonzept für den Raum Berlin nicht nur in Abweichung vom bisher mit dem Land Berlin vereinbarten Ist es nach Auffassung derBundesregierung zutreffend, „Pilzkonzept“ die Streichung der Verkehrshalte am Bahnhof dass auch künftig nach der Annahme der Beschlussempfeh- Zoo und am Ostbahnhof vorsieht, sondern zudem die Verlage- lung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen rung der Ost-West-Fernverbindungen von der Stadtbahn auf auf Bundestagsdrucksache 15/5514 am 2. Juni 2005 durch den neuen Nord-Süd-Tunnel, und wenn ja, welche zusätzli- den Deutschen Bundestag keine rechtliche Handhabe besteht, chen Zugbewegungen sind dann auf der Anhalter Bahn – bitte bei festgestellten Alkoholfahrten ausländischer Schiffsoffi- aufgliedern: vor und nach einer Inbetriebnahme der Dresdner ziere ein vorläufiges Fahrverbot auszusprechen, und falls Bahn – zu erwarten? nein, worin wird hierfür die Rechtsgrundlage gesehen?

Parl. Staatssekretärin beim Bun- Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Angelika Mertens, desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Lieber Kollege Goldmann, die Antwort ist Nein. Wie Herr Kollege Königshaus, die Deutsche Bahn AG hat in der Plenardebatte von der Bundesregierung ausge- mitgeteilt, dass sie nach wie vor zu dem „Pilzkonzept“ führt, können die Behörden der Wasser- und Schiff- steht. fahrtsverwaltung des Bundes bzw. die Wasserschutzpoli- zeibehörden der Länder im Rahmen der Vereinbarung Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: über die Ausübung der schifffahrtspolizeilichen Voll- Ihre Zusatzfragen, bitte. zugsaufgaben auf den Seeschifffahrtsstraßen im Rahmen der Gefahrenabwehr nach § 3 Abs. 1 des Seeaufgaben- gesetzes in Verbindung mit § 55 der Seeschifffahrtsstra- Hellmut Königshaus (FDP): ßen-Ordnung gegenüber ausländischen Schiffsoffizie- Wie erklärt sich die Bundesregierung dann andersren ein sofort vollziehbares Fahrverbot aussprechen. (B) lautende Presseberichte? (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Ihre Zusatzfragen bitte, Kollege Goldmann. desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Wir schreiben diese Presseberichte nicht. Daher Hans-Michael Goldmann (FDP): müssten Sie vielleicht bei der Zeitung nachfragen oder Herzlichen Dank für die Antwort, Frau Staatssekretä- andere Quellen in Anspruch nehmen. Ich kann Ihnen nur rin. Sie ist aber falsch. Sie können das gerne mit Exper- das sagen, was uns die Bahn mitgeteilt hat. Soweit ich ten erörtern. die Presse verfolgt habe, hat auch der Berliner Senat das bestätigt. Ich will noch einmal nachfragen. Es geht darum, dass einem betrunkenen ausländischen Kapitän nicht der See- führerschein entzogen werden kann. Habe ich Sie richtig (FDP): Hellmut Königshaus verstanden, dass Sie der Auffassung sind, dass nach dem Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Seeaufgabengesetz einem ausländischen Kapitän die der Senat kritisiert hat, dass Bahnchef Mehdorn ein sol- Fahrerlaubnis entzogen werden kann, wie es auch im ches Konzept in Aussicht gestellt habe? Straßenverkehr gegebenenfalls möglich ist? Kann diese Maßnahme sofort vollzogen werden? Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Davon weiß ich nichts. desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Ja, im Rahmen der Gefahrenabwehr. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 24 des Kollegen HellmutHans-Michael Goldmann (FDP): Königshaus auf: Darüber werden wir uns nicht einigen. Es ist nach meiner Auffassung verkehrt. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über mögliche Auswirkungen der zusätzlichen Zugbewegungen Ich habe noch eine Zusatzfrage, Frau Staatssekretärin. hinsichtlich der zu erwartenden Lärmimmissionen an der An- Wenn das der Fall ist, frage ich Sie: Warum haben Sie halter Bahn vor und wo genau werden die maßgeblichen Grenzwerte, etwa die für die Nachtzeit maßgeblichendas nicht in den Beschluss aufgenommen, den wir im 60 dB(A), dann überschritten? Deutschen Bundestag diskutiert haben? Warum haben 16984 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Hans-Michael Goldmann (A) Sie in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf ver- Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- (C) wiesen, dass zur Klärung dieses Sachverhalts weiteredesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Regelungen notwendig sind? Herr Goldmann, wenn Sie den Antrag gründlich gele- sen haben – davon gehe ich aus –, Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich habe mir desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Mühe gegeben!) Der Beschluss ist nicht von der Bundesregierung, sondern vom Bundestag gefasst worden. Wir habendann wissen Sie, dass es uns nicht nur um ein Sanktions- diese Beschlussfassung begrüßt. Aber vielleicht trägt die instrument, sondern auch um ein Präventionsinstrument Beantwortung der nächsten Frage zur Klärung bei. geht. Insofern müssen auch folgenlose Trunkenheitsfahr- ten sanktioniert werden können. Das sieht der Beschluss (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gut!) vor und wir prüfen, inwiefern eine entsprechende Rege- lung möglich ist. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich glaube aber, dass unsere Auffassungen nicht aus- Dann rufe ich die Frage 26 des Kollegen Hans-einander liegen. In der geltenden Fassung des SUG geht Michael Goldmann auf: es um Trunkenheitsfahrten, bei denen etwas passiert bzw. der Betrunkene erwischt wird. Uns allen liegt si- Ist es nach Auffassung derBundesregierung zutreffend, dass nur durch eine Änderungdes Seesicherheits-Untersu- cherlich an einer präventiven Regelung, damit auch fol- chungs-Gesetzes oder des Seeaufgabengesetzes eine rechtli- genlose Trunkenheitsfahrten geahndet werden können. che Grundlage geschaffen werden könnte, um vorläufige Fahrverbote gegen ausländische Schiffsoffiziere aussprechen zu können, und wenn ja, warum hat die Bundesregierung noch Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: keinen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt? Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Hans-Michael Goldmann (FDP): desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Das ist richtig. Unsere Positionen weichen nur des- Die Bundesregierung prüft auf der Grundlage des ge- halb voneinander ab, weil das SUG durch Sie geändert nannten Beschlusses des Deutschen Bundestages, inwie- und damit diese Möglichkeit genommen worden ist. weit durch Änderung des Seeaufgabengesetzes über das Wann gedenken Sie, den Rechtsrahmen so abzustecken, Fahrverbot nach § 31 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 dass auch bei der folgenlosen Trunkenheitsfahrt entwe- Satz 1 des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes hi- der durch eine Änderung des SUG oder des Seeaufga- (B) naus bei folgenlosen Trunkenheitsfahrten den Schiff-bengesetzes die Sanktionsmöglichkeit des Sofortvoll-(D) fahrtspolizeibehörden die Befugnis eingeräumt werden zugs gegenüber dem ausländischen Kapitän besteht? soll, ein Fahrverbot als Nebenfolge einer Bußgeldent- scheidung zu verhängen. Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Die Bundesregierung prüft ferner die Möglichkeit, im desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Seeverkehr in Anlehnung an entsprechende Regelungen Wir sind schon dabei. im Bereich der Binnenschifffahrt vorläufige Maßnahmen (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jetzt habe wie die vorläufige Sicherstellung von Fahrerlaubnissen ich keine Zusatzfrage mehr!) im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen einzuführen. Diese Maßnahmen sollen auch für Schiffsoffiziere gel- ten, die nicht deutsche Staatsangehörige sind. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Richtig, Herr Kollege, Sie haben keine Zusatzfrage mehr, tut mir Leid. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte. Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Hans-Michael Goldmann (FDP): Aber wir gehen im Guten auseinander. Wir können Geschätzte Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mitnoch telefonieren, Herr Goldmann. mir überein, dass Sie meine Kritik eben bestätigt haben? (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir greifen Sie haben nämlich sehr richtig den Unterschied ange- ab September auf Ihr Material zurück!) führt, der sich aus dem Begriff „folgenlos“ zwischen dem Seeverkehr und dem Straßenverkehr ergibt. Im– Darin bin ich mir nicht so sicher. Klartext bedeutet das, dass das, was im Straßenverkehr erlaubt ist – nämlich einem betrunkenen Autofahrer den Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Führerschein zu entziehen, obwohl er folgenlos durch Die Frage 27 des Kollegen Michael Kretschmer wird die Gegend gefahren ist –, im Schiffsverkehr nicht zuläs- ebenfalls schriftlich beantwortet. sig ist. Sie müssen jetzt zu einer Regelung kommen, die den Entzug der Fahrerlaubnis ermöglicht, wenn ein Ka- Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. pitän oder ein anderes Mitglied der Führungsmannschaft Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwor- betrunken seinen Dienst verrichtet. tung der Fragen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16985

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (C) ministeriums der Finanzen. Die Fragen 28 und 29 des Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Kollegen Bernhard Kaster werden schriftlich beantwor- höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. tet, ebenso wie die Fragen 30 und 31 des Kollegen Hartmut Koschyk. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes- ministerin Edelgard Bulmahn. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich unter- breche die Sitzung bis zum Beginn der Plenardebatte um (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 14 Uhr. DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Die letzte Rede!) (Unterbrechung von 13.30 bis 14.00 Uhr) Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: und Forschung: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie Herren und Damen! Es ist ungefähr zwei Monate her, Zusatzpunkt 2 auf: dass wir hier im Bundestag über den unsäglichen Schlin- gerkurs der CDU/CSU in Sachen BAföG diskutiert ha- 2 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- ben. gierung (Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr! – Dr. Ernst Sechzehnter Bericht nach § 35 des Bundesaus- Dieter Rossmann [SPD]: Heute wird alles bildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung klar! – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Haben der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhun- Sie Wahrnehmungsprobleme?) dertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 Es ist mir eine ausgesprochene Freude, Ihnen heute noch – Drucksache 15/4995 – einmal schwarz auf weiß Zahl um Zahl belegen zu kön- Überweisungsvorschlag: nen, welch erfreuliche Entwicklung das von uns refor- Ausschuss für Bildung, Forschung und mierte BAföG genommen hat. Technikfolgenabschätzung (f) Finanzausschuss (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend DIE GRÜNEN) Haushaltsausschuss Bei unserer Regierungsübernahme, liebe Kolleginnen (B) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und Kollegen, fanden wir eine wirklich katastrophale Si- (D) richts des Ausschusses für Bildung, Forschung tuation vor. und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina (Jörg Tauss [SPD]: Überall! – Lachen des Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, wei- Abg. Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU]) CSU – Wenn Sie darüber lachen, Herr Mayer, ist das erschre- Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil ckend. Wenn Sie, meine Herren und Damen, es lächer- für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung lich finden, dass unter Ihrer Regierungsverantwortung des Bundes die Zahl der Studienanfänger dramatisch zurückgegan- gen war, und zwar insbesondere aus Familien mit niedri- – Drucksachen 15/4931, 15/5592 – gem Einkommen, dann sitzen Sie hier am falschen Platz, Herr Mayer. Berichterstattung: Abgeordnete Ute Berg (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Katherina Reiche DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ Monika Lazar CSU]: Man muss einmal Ihren Armutsbericht Ulrike Flach lesen! Da steht alles drin!) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Wenn das typisch ist für die CDU/CSU, dann kann ich Dieter Rossmann, Dieter Grasedieck, Gesinenur sagen: Gnade Gott! Multhaupt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Darauf sollten Bettin, Monika Lazar, Volker Beck (Köln), weite- Sie sich in dem Zusammenhang nicht bezie- rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- hen!) NISSES 90/DIE GRÜNEN Wir haben eine katastrophale Situation vorgefunden, Für ein integriertes EU-Bildungsrahmenpro- weil Sie das BAföG wirklich systematisch in Grund und gramm – Mobilität und Austausch für ein zu- Boden gewirtschaftet haben. sammenwachsendes, innovatives und wettbe- werbsfähiges Europa (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist eine Wahlkampf- – Drucksache 15/5675 – rede!) 16986 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) Das haben wir alle hier erlebt. Sie haben das BAföG (Jörg Tauss [SPD]: Das ist die Wahrheit!) (C) über viele Jahre gekürzt und die Mittel für andere Dinge eingesetzt. Anders gesagt: Diese Jugendlichen – zwei Drittel aller BAföG-Empfänger – hätten keine Chance auf ein Stu- (Vera Dominke [CDU/CSU]: Reden wir über dium gehabt, wenn wir nicht eine grundlegende Reform den zehnten oder über den sechzehnten Be- des BAföG durchgeführt hätten. richt?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das hatte Konsequenzen. Ich sage es noch einmal DIE GRÜNEN) ausdrücklich: Die Zahl der Studienanfänger – besonders Ich freue mich ganz besonders, dass gerade Kinder aus einkommensschwächeren Familien – war dramatisch aus den so genannten – wie es soziologisch so schön zurückgegangen, und zwar gerade in den Bereichen In- heißt – bildungsfernen Schichten vermehrt ein Studium genieurwissenschaften und Naturwissenschaften, wo wir aufnehmen. Der Anteil der Studierenden, deren Väter dringend Nachwuchs brauchen. über einen Hauptschulabschluss verfügen, hat sich im Wir haben deshalb, als wir 1998 gewählt wurden und Zeitraum von 2000 bis 2003 um 5 Prozentpunkte erhöht. die Bundesregierung stellten, gesagt: Da müssen wir (Vera Dominke [CDU/CSU]: Und was ist mit wirklich umkehren. Wir brauchen einen Kurswechsel. den Müttern?) Wir müssen jungen Leuten wieder bessere Bildungs- und Studienmöglichkeiten schaffen. Die Verbesserung der Chancengleichheit in der Bil- dung ist also kein frommer Wunsch geblieben, sondern (Beifall bei der SPD) ist ein konkretes Ergebnis unserer Politik. Deshalb haben wir das BAföG grundlegend verbessert. (Beifall bei der SPD) Wir haben eine grundlegende Reform durchgeführt, die Ergebnisse zeigt, wie wir heute schwarz auf weiß nach- Insbesondere die mit der BAföG-Reform geschaffene weisen können. Garantie, dass auch bei einer Vollförderung, also bei ei- ner Höchstförderung, keiner mehr als 10 000 Euro vom Wir haben ein zweites, mir ebenfalls ganz wichtiges Staatsdarlehen zurückzahlen muss – das BAföG wird ja Ziel erreicht: Wir haben das Vertrauen der Familien und zur Hälfte als Zuschuss gezahlt und zur Hälfte als Darle- der jungen Leute in dieseUnterstützung der Studienfi- hen gewährt –, hat ganz offensichtlich erheblich zur Ak- nanzierung, in diese Förderung wieder zurückgewonnen. zeptanz des Förderungsinstruments BAföG beigetragen. Sie vertrauen wieder darauf, dass sie Hilfe bekommen, dass sie finanzielle Förderung erhalten. Das ist ein ganz Gleichzeitig allerdings – das sehe ich mit großer (B) wichtiger Punkt, auf den ichstolz bin. Daraus will ich Sorge – hat der Anteil der Studierenden aus Familien mit (D) gar keinen Hehl machen. einem mittleren Einkommen abgenommen. Das heißt also, dass es auch Familien mit einem mittleren Einkom- Im Berichtsraum 2002/2003 – darüber reden wir – men nicht leicht fällt, die Kosten für ein Studium aufzu- konnte der Kreis der Geförderten nochmals um bringen. Das gilt besonders, wenn mehrere Kinder stu- 23 Prozent ausgeweitet werden. dieren. Hier bleibt das BAföG in seiner gegenwärtigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Struktur als Sozialleistung für diese Familien das wich- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg tigste Instrument der Unterstützung. Tauss [SPD]: Sehr gut!) (Beifall bei der SPD) Er liegt nunmehr bei mehr als einer halben Million im Umso unverständlicher ist es mir da, wie die Opposi- Jahresdurchschnitt. Das bedeutet einen Zuwachs von tion – CDU/CSU und auch die FDP – es verantworten fast 50 Prozent seit 1998. Es zeigt, dass es uns wirklich will, die von ihr entfesselte Diskussion überStudienge- gelungen ist, Familien zu überzeugen und Jugendliche bühren nun auch noch mit der Forderung zu verknüp- an ein Studium heranzuführen und für ein Studium zu fen, das BAföG abzuschaffen; gewinnen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CSU]: Das ist doch die Unwahrheit!) die vorher schon aufgegeben hatten und gesagt haben: denn nichts anderes ist es, wenn man darüber diskutiert, Ein Studium kann ich mir einfach nicht leisten. ob man das BAföG auf Vollkredit umstellt. Das ist nichts Das wieder gewonnene Vertrauen in die staatlicheanderes als eine Abschaffung des BAföG. Ausbildungsförderung schlägt sich in einem deutlichen (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch Anstieg der Studienanfängerzahlen nieder. 1998 began- überhaupt nicht wahr! BAföG wird doch von nen knapp 260 000 junge Menschen ein Studium; im unseren Ländern mitfinanziert, Frau Bulmahn! letzten Jahr waren es rund 340 000. Mit 37,5 Prozent lag Nehmen Sie das mal zur Kenntnis!) die Studienanfängerquote im Jahr 2004 damit so hoch wie nie zuvor. Aus der 17. Sozialerhebung wissen wir, Wenn man Jugendlichen zumutet, ihr Studium voll mit dass mehr als zwei Drittel aller BAföG-GefördertenKrediten zu finanzieren, dann stehen sie am Ende vor ei- nach eigenen Angaben ohne BAföG nicht hätten studie- nem Schuldenberg von mindestens 50 000 bis ren können. 60 000 Euro. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16987

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD – Vera Dominke [CDU/ (C) DIE GRÜNEN – Vera Dominke [CDU/CSU]: CSU]: Jetzt trägt es der Steuerzahler!) Und wer will das?) Sie sagen, Sie hätten mit nachlaufenden Studiengebüh- Da kann ich Ihnen nur sagen: Wenn einige Ihrer Kolle- ren ein sozialverträgliches Instrument. Das ist aber gen dann auch noch sagen, man würde die Erhebung von nichts anderes als ein Riesenkredit. Das ist wirklich eine Studiengebühren sozialverträglich abfedern, Verhöhnung der jungen Leute. (Jörg Tauss [SPD]: Unglaublich!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dann finde ich, dass das wirklich unehrlich ist. Diese des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Haltung gegenüber den jungen Leuten kann ich eigent- Dass inzwischen auch Ihre Länderkollegen gemerkt lich gar nicht beschreiben. haben, dass man so etwas nicht mal einfach so beschlie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ßen kann und sich das alles irgendwie von alleine löst, DIE GRÜNEN) kann man daran sehen, dass die KMK seit gut einem Jahr immer noch nicht zu einem Ergebnis gekommen ist. Wenn sie am Ende ihres Studiums 50 000, 60 000 oder Von Ihnen wird zwar immer wieder gesagt: „Ja, wir füh- sogar 90 000 Euro – so viel ist es bei einer Vollförde-ren Studiengebühren ein“, aber niemand von Ihnen hat rung – Schulden hätten, bisher wirklich ein umfassendes Stipendiensystem auf (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie träumen! den Tisch gelegt. Das sind Ihre Berechnungen! Das hat aber mit (Beifall bei der SPD – Vera Dominke [CDU/ dem, was die Union macht, nichts zu tun!) CSU]: Wir arbeiten langfristiger und konzep- dann würden alle Erfolge, die wir in den letzten Jahren tionell, nicht hau ruck, heute so und morgen erreicht haben, wieder zunichte gemacht. so!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kredite sind keine Stipendien. Wenn Sie immer wie- DIE GRÜNEN) der anderes behaupten, dann ist das – das sage ich Ihnen ganz ausdrücklich – eine Verhöhnung der Leute. Deshalb sage ich hier an dieser Stelle noch einmal ganz klar und unmissverständlich: Das BAföG mit sei- (Beifall bei der SPD – Marion Seib [CDU/ ner jetzigen Struktur – zur Hälfte als Zuschuss und nur CSU]: Einen Popanz bauen Sie hier auf! – zur Hälfte als Kredit sowie mit der Schuldenobergrenze Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wir sind nicht von 10 000 Euro – wird mit dieser Bundesregierung er- auf einem SPD-Parteitag, Frau Bulmahn!) (B) halten bleiben. (D) Kein einziges CDU-regiertes Bundesland hat bisher ein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stipendienprogramm auf den Tisch gelegt. Sie sind bis- DIE GRÜNEN) her alle Antworten schuldig geblieben – das muss ich Ih- nen leider ausdrücklich sagen –, Die Sozialdemokratische Partei und Bündnis 90/Die Grünen – für die kann ich das auch sagen – werden da- (Jörg Tauss [SPD]: Das sagt sogar der ran nicht rütteln lassen. RCDS! – Vera Dominke [CDU/CSU]: Wir ar- Im Übrigen haben wir zwar Erfolg: Wir sind jetzt mit beiten gründlicher, im Gegensatz zu Ihnen!) 37,5 Prozent endlich ein ganzes Stück näher an unserem obwohl das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich fest- Ziel, dass 40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium auf- gestellt hat: Es ist die Aufgabe der Länder, die Studien- nehmen. Wir liegen damit aber immer noch unter dem gebühren einführen wollen, dafür Sorge zu tragen, dass OECD-Durchschnitt von 51 Prozent. Wir alle wissendie Sozialverträglichkeit gewahrt bleibt. doch, dass wir nicht weniger sehr gut qualifizierte junge Menschen brauchen, sondern dass wir mehr qualifizierte (Vera Dominke [CDU/CSU]: Genau so ist es!) junge Menschen brauchen, wenn wir unsere Zukunfts- Kredite gewährleisten Sozialverträglichkeit nicht. chancen wahren wollen und wenn vor allem die jungen Menschen ihre Zukunftschancen wahren wollen. (Vera Dominke [CDU/CSU]: Dummes Zeug!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Wenn Sie sagen, das sei dummes Zeug, dann möchte DIE GRÜNEN) ich von Ihnen einmal wissen, wie Sie einem Menschen Ohne eine gute Qualifikation geht es nicht; das ist die mit einem normalen Einkommen erklären wollen, dass wichtigste Voraussetzung dafür, dass man ein selbstbe- 90 000 Euro Schulden – über diese Summe reden wir – – stimmtes Leben führen kann. Das galt für meine Genera- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tion genauso, wie es für die jungen Menschen heute gilt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Deshalb sage ich noch einmal ausdrücklich: Meine sehr Thomas Rachel [CDU/CSU]: 90 000 Euro, das geehrten Damen und Herrenvon der Opposition, Sie ist doch die Unwahrheit!) sind auf dem falschen Weg. Mit der Einführung von Stu- diengebühren kann man Studienbedingungen nicht ver- – Zinseszinsrechnung beherrschen Sie nicht. Das weiß bessern. Vielmehr laden Sie jungen Leuten da etwas auf, ich, Herr Rachel; das habe ich schon bei vielen Debatten was sie nicht tragen können. bemerkt. 16988 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Es sind keine Der Beirat für Ausbildungsförderung, den Sie selbst ein- (C) 90 000, es sind 5 000 Euro! Machen Sie sich gesetzt haben, hat klar gesagt, dass es aufgrund der feh- mal sachkundig, Frau Bulmahn!) lenden Anhebung von Bedarfssätzen und Freibeträgen seit 2001 „zu einer schleichenden Aushöhlung des Aus- Sie sollten noch einmal einen Grundkurs Mathematikbildungsförderungssystems kommt“. belegen. Sie müssen das für ein zehnsemestriges Stu- dium wirklich einmal durchrechnen. Sagen Sie den jun- (Jörg Tauss [SPD]: Sie reden von vor 1998!) gen Menschen und den Familien, wie sie das finanzieren Dies ist die Realität der Politik, die Sie als rot-grüne sollen! Bundesregierung zu verantworten haben, meine Damen Für diese Bundesregierung und die sie tragende Ko- und Herren! alition kann ich nur sagen: Wir werden auch in Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. gewährleisten – dafür stehen wir –, Ulrike Flach [FDP]) (Vera Dominke [CDU/CSU]: Sie stellen doch Der Beirat hatte bereits vor Jahren eine Anhebung der in Zukunft gar nicht mehr die Bundesregie- Bedarfssätze und Freibeträge um 3,5 und 4,5 Prozent ge- rung!) fordert. Das haben Sie hinten im BAföG-Bericht ver- steckt, damit es niemand sieht. Insofern gibt es für Sie dass junge Menschen Bildungschancen unabhängig von keinen Anlass, Lorbeeren zu ernten. Ich finde es pein- ihrer familiären Herkunft haben und wahrnehmen kön- lich, dass Sie zu dieser Forderung des Beirats nichts ge- nen. Wir haben auch schon viel dafür getan – dass wis- sagt haben. sen Sie –, dass unser Bildungssystem besser wird. Ich bedauere, dass wir die Exzellenzinitiative nicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schon vor einem Jahr starten konnten; Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss? (Beifall bei der SPD)

das hätte ich mir sehr gewünscht. Seit einem Jahr disku- Thomas Rachel (CDU/CSU): tieren wir darüber. Auch diese Initiative ist ein wichtiger Das will ich uns allen ersparen. Schritt, um die Studienbedingungen deutlich zu verbes- sern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Feigling!) Die BAföG-Reform war ein Erfolg und auch die Ex- zellenzinitiative wird ein Erfolg werden. Statt sich um Ihre Aufgaben zu kümmern, prügeln Sie (B) in Sachen Studiengebühren auf die Union ein. Frau(D) Vielen Dank. Bulmahn, Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie haben die Schlappe vor dem Bundesverfassungsge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ richt erlitten. Sie haben es bis heute nicht für nötig be- DIE GRÜNEN) funden, ein zukunftsweisendes Konzept zurStudienfi- nanzierung vorzulegen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir als Unionsfraktion haben einen Antrag einge- Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel,bracht, der schlüssig und ausgewogen ist. Es ist realitäts- CDU/CSU-Fraktion. fern, die Unterfinanzierung der Hochschulen nicht zur (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Dann hö- Kenntnis zu nehmen. Zurzeit fehlen den deutschen ren wir mal, was die CDU vorhat!) Hochschulen nämlich 3 bis 4 Milliarden Euro. Ihre Ant- wort auf das Fehlen der Mittel ist gewesen, zusätzlich noch die Hochschulbaumittel zu kürzen. Ich halte dies Thomas Rachel (CDU/CSU): für unverantwortlich. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorlage des Sechzehnten BAföG-Berichts (Beifall bei der CDU/CSU) will die Bundesregierung zum Anlass nehmen, sich kurz In Deutschland sind die privaten Ausgaben für Bil- vor ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl ihrer an- dung sehr niedrig. Die privaten Ausgaben im tertiären geblichen Leistungen zu rühmen. Bildungsbereich haben in den USA einen Anteil von 1,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, in Deutschland (Jörg Tauss [SPD]: Oh!) liegt die Quote nur bei 0,1 Prozent. Wenn die Hochschu- Die Realität sieht allerdings völlig anders aus. len ihre hervorragende Position in Forschung und Lehre erhalten und ausbauen wollen, brauchen wir höhere pri- Die Erhöhung der BAföG-Beträge im Jahr 2001 hat vate Bildungsausgaben. Dazu gehören auch – nicht nur, dazu geführt – das will ich zunächst einräumen –, dass aber auch – Studiengebühren, jedenfalls dann – das ma- das Ausgabenvolumen im Bereich der Ausbildungsför- chen wir zur Voraussetzung –, wenn die Hochschulen sie derung gestiegen ist. Dies darf allerdings nicht davon ab- selber wollen. Nicht die Politik soll ihre Einführung vor- lenken, dass darüber hinaus chts ni passiert ist. Es ist geben, sondern die Hochschulen sollen die Möglichkeit nicht zu einer Anpassung derFördersätze gekommen, bekommen, sie einzuführen. obwohl die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Jörg Tauss [SPD]: Oh, oh, oh!) der FDP) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16989

Thomas Rachel (A) Auch der Sachverständigenrat und die Experten, die den Hierbei muss es allerdings eine Obergrenze geben. (C) von Ihnen in Auftrag gegebenen „Bericht zur technolo- (Jörg Tauss [SPD]: Wie hoch?) gischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ erarbeiten, haben Ihnen übrigens deutlich ins Stammbuch geschrie- Wir sind der Meinung, dass ein Höchstwert bei den Stu- ben, dass es richtig ist, den Hochschulen die Möglichkeit diengebühren von 500 Euro pro Semester akzeptabel ist; zu geben, Studiengebühren einzuführen, wenn sie esdenn Qualität darf auch etwas kosten. Bei einem zehnse- wollen. Ihre Ideologie aber macht Sie blind. Hören Sie mestrigen Studium, Frau Bulmahn – hören Sie gut zu –, auf den Rat Ihrer eigenen Fachleute! entsteht damit für einen Studierenden eine Darlehens- schuld von 5 000 Euro. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Die sind alle versammelt hier!) (Jörg Tauss [SPD]: Ohne Zinsen!) Gesamtgesellschaftlich gesehen wird das auch immer Wenn Sie stattdessen Beträge von 60 000 oder mehr zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wie sol- 90 000 Euro in die Welt setzen, dann handelt es sich um len wir es denn begründen, dass alle Familien, egal auf nichts anderes als um eine plumpe Fälschung und Irre- welcher sozialen Stufe sie stehen, Gebühren für die Be- führung der Öffentlichkeit, die ich in aller Form zurück- treuung der Kinder in Kindergärten und ihre vorschuli- weise. Es geht in der Realität um 5 000 Euro! sche Ausbildung zahlen müssen, gleichzeitig aber für (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der eine Weiterqualifizierung in Form eines Studiums, von SPD: Es ging um das BAföG!) der nachher nur ein kleiner Teil der jungen Leute profi- tiert, keine Eigenbeiträge verlangt werden? Dies ist ge- Auch diese 5 000 Euro soll der Student erst dann zu- rade auch angesichts der Tatsache problematisch, dass rückzahlen, wenn er tatsächlich einen richtigen Beruf, heute das IAB noch einmal klar erklärt hat, dass Akade- also keinen Minijob, gefunden hat, aus dem er ein ent- miker, also Menschen mit Hochschulabschluss, wesent- sprechendes Einkommen erzielt, sodass er in der Lage lich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Inso- ist, den Betrag von 5 000 Euro zurückzuzahlen. Dies ist fern ist es also verantwortbar, dass sich in sozial einer verträglich und angemessen. Wir akzeptieren auch Situation, wo wir Kindergartenbeiträge von allen Eltern nicht, dass Sie auf die Angebote der Kreditanstalt für erheben, auch die Studierenden, die nachher bessere Be- Wiederaufbau, die sich ja um vernünftige Möglichkeiten rufschancen haben, mit einem verantwortbaren Betrag der Finanzierung von Studium und Lebenshaltung in Form von Kreditangeboten bemüht – – an der Studienfinanzierung beteiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nach unserer Auffassung sind allerdings Bedingun- Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr! (B) (D) gen zu erfüllen. Damit Studiengebühren den Effekt, den Ihre Redezeit ist überschritten. wir wünschen, erzielen können, ist es erforderlich, dass die Einnahmen aus den Studiengebühren zweckgebun- Thomas Rachel (CDU/CSU): den den Hochschulen für die Verbesserung von Lehre Gerne. – Wir wünschen uns, dass Sie auf diese Ange- und Studienbedingungen zur Verfügung gestellt werden; bote konstruktiv zugehen und sie nicht einfach von der denn die Studierenden müssen auch merken können,Hand weisen. dass sich an ihrer Alma Mater, an ihrer Fachhochschule oder Hochschule, etwas verbessert, zum Beispiel im Be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: reich der Betreuung in Form von zusätzlichen Tutorien Herr Kollege, ich wäre sehr dankbar, wenn Sie auch und durch eine verbesserte Ausstattung der Hochschu- die Konsequenzen daraus ziehen würden. len. Das ist ein konkreter Ansatz, um die Studienbedin- gungen für die Studenten zu verbessern. Thomas Rachel (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, die OECD-Studie „Bil- Mache ich gerne. – Die Union diskutiert, die Regie- dung auf einen Blick“ hat deutlich gemacht, dass trotz rung blockiert. Dies werden wir im September beenden. Studiengebühren beispielsweise in Australien und Ka- nada deutlich mehr Kinder aus Nicht-Akademiker-Fami- Herzlichen Dank. lien als in der Bundesrepublik studieren. Dies zeigt, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. vernünftig abgewogene Studiengebühren ein gutes In- Ulrike Flach [FDP]) strument sein können. Wir möchten, dass die Gebühren sozial verträglich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ausgestaltet werden. Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/ Die Grünen. (Jörg Tauss [SPD]: Wie, wie, wie?) Das kann dadurch geschehen, dass entweder nachlau- Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fende Studiengebühren eingeführt werden, oder dadurch, Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- dass nach Abschluss des Studiums ein verzinsliches Dar- legen! Die Union – so hört man von Frau Merkel – will lehen in Abhängigkeit vom Einkommen zurückgezahlt die Bildungspolitik zum Wahlkampfthema machen. Da- wird. ran ist zunächst einmal nichts auszusetzen. (Jörg Tauss [SPD]: Schulden also!) (Jörg Tauss [SPD]: Das ist sogar gut!) 16990 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Grietje Bettin (A) In der heutigen Debatte können wir sehen, für welche Nun zum Antrag der Koalition zum Bildungsrah-(C) Bildungspolitik die Union wirklich steht. menprogramm der EU ein paar Worte. Was will dieser Antrag? Er unterstützt die Bemühungen der EU, ihre (Beifall bei der SPD) ehrgeizigen Pläne in der Bildungspolitik umzusetzen. Es wird sich wieder einmal zeigen, dass Chancengleich- Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, durch mehr Austausch heit für sie ein Fremdwort ist. von Lehrenden und Lernenden die europäische Integra- tion voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit zu Ich beginne einmal mit dem ThemaBAföG. Wir, die stärken, wie es auch die Lissabon-Strategie vorsieht. Das rot-grüne Koalition, haben die Ausbildungsförderungist ein gutes und wichtiges Zukunftsprogramm. Auch zwischen 2000 und 2005 um mehr als 50 Prozent gestei- wenn es etwas kosten wird: Das Geld ist sehr gut ange- gert. Wir haben die Förderbedingungen erleichtert und legt. Die Bildungspolitik auf nationaler Ebene muss hier für die Rückzahlung eine Obergrenze von 10 000 Euro natürlich nachlegen, damit diese Programme optimal gesetzt. Das bedeutet, heute bekommen mehr Studie-laufen können. Wir müssen die Bildung in allen Lebens- rende BAföG und der Schuldenberg am Ende des Stu- phasen stärken. Die finanziellen Mittel hierfür wollen diums bleibt überschaubar. wir aus einem konsequenten Subventionsabbau, vor al- Derzeit erhält jeder vierte Studierende in der Regel- lem aus der Eigenheimzulage, aufbringen. studienzeit eine Förderung. Mehr als zwei Drittel der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BAföG-Geförderten sind auch darauf angewiesen und und bei der SPD) hätten nach eigenen Angaben – Ministerin Bulmahn hat es schon gesagt – ohne BAföG gar nicht angefangen zu Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, den studieren. so notwendigen Subventionsabbau haben Sie aus purer Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir einmal Machtstrategie mit Ihrer Blockadepolitik bislang verhin- zurück: Was war vorher, als Union und FDP regiert ha- dert. Jetzt wollen Sie mit dem Geld scheinbar Steuersen- ben? Ganz klar: Unter Schwarz-Gelb wurde das BAföG kungen finanzieren. Deshalb ist es besonders heuchle- total gegen die Wand gefahren. Die Förderquote gingrisch und geradezu absurd, massiv zurück. Am Ende der Regierungszeit waren es (Marion Seib [CDU/CSU]: Das wird ja immer kaum noch 16 Prozent der Studierenden, die überhaupt irrer hier!) BAföG bekommen haben. dass Sie kürzlich von der Bundesregierung ein staatlich (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war gefördertes Bildungssparen und die Einführung eines Er- Kohl!) wachsenen-BAföG gefordert haben. Wie wollen Sie (B) – Das war Kohl, genau. denn das finanzieren – aus Ihren Steuersenkungen? Aus (D) Ihrer steuersubventionierten Kopfpauschale? Die Wahr- (Jörg Tauss [SPD]: Und Rüttgers! – Thomas heit ist doch: Sie wollen keinen Cent zusätzlich für Bil- Rachel [CDU/CSU]: Das Land ist aber ärmer dung ausgeben. geworden und es steht weniger Geld zur Ver- fügung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Wieder Ganz klar auch: Unter Schwarz-Gelb wird Studieren weniger, wie damals!) zu einem echten Armutsrisiko. Frau Merkels Bildungspolitik – das steht fest – ist ra- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ dikaler Bildungsabbau. Der letzte Beweis hierfür ist, was DIE GRÜNEN und der SPD) Frau Kollegin Professorin Dr. Böhmer für die Union Ihr Ziel ist es, flächendeckend Studiengebühren einzu- klargestellt hat: Das Bundesbildungsministerium soll ab- führen, und zwar fast ohne soziale Absicherung. Sie geschafft werden. Falls Schwarz-Gelb an die Macht wollen das BAföG entweder abschaffen oder zulasten käme, würde die Bildungspolitik des Bundes stillgelegt. der Studierenden ohne reiche Eltern umbauen. Das Ende Sie wollen sich aus der Verantwortung stehlen und die vom Lied: Ein begabter junger Mensch aus ärmeren Ver- Bildung komplett den Ländern überlassen. Viele von de- hältnissen könnte in Deutschland nicht mehr studieren, nen haben schon jetzt größte Mühe, den staatlichen Bil- ohne schon beim Berufseinstieg pleite zu sein; so viele dungsauftrag überhaupt zu erfüllen. Schulden würden Sie ihm bis zum Ende seines Studiums (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Davon träumen aufhalsen. Sie doch nur!) Das Ergebnis Ihrer Hochschulpolitik heißt auf den Ich sage Ihnen eines: Mit bildungspolitischen Lippen- Punkt gebracht: Studieren nur noch für Reiche. Dabei bekenntnissen führen Sie die Wählerinnen und Wähler geht es doch gerade darum, mehr Menschen den Zugang nicht hinters Licht. Kahlschlag lautet die bildungspoliti- zu einem Studium zu ermöglichen. Die Nachfrage nach sche Devise von Schwarz-Gelb. Das werden wir im be- akademisch ausgebildeten Menschen in Deutschlandvorstehenden Wahlkampf auch deutlich machen. steigt. Eine gute Ausbildung ist für alle jungen Men- schen der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und damit (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Um wie viel auch der beste Schutz zur Sicherung unserer Zukunftsfä- kürzt der Eichel denn Ihren Etat?) higkeit. Wir werden mit aller Macht dafür kämpfen, dass der Bil- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist richtig!) dung und Ausbildung junger Menschen weiterhin die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16991

Grietje Bettin (A) nötige Aufmerksamkeit geschenkt und dafür der nötige Das Problem ist, dass dieStudienbedingungen hier (C) Teil vom Haushaltskuchen abgegeben wird. Diese Aus- es nicht ermöglichen – auch das haben Sie ganz wesent- gaben werden sich bezahlt machen. lich zu verantworten –, zügig zu studieren. Danke schön. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deshalb muss es bei uns wieder zu Verhältnissen kom- men, die es möglich machen, kürzer zu studieren. Das bedeutet natürlich: weniger jobben und auch das Unter- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: binden von Parkstudien und Ähnlichem. Damit sind wir Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus, bei der Frage der Hochschulfinanzierung. FDP-Fraktion. Aber bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich hier eine weitere Chuzpe von Ihnen ansprechen. Hellmut Königshaus (FDP): Heute Morgen wurde uns Ihr Antrag zum EU-Bildungs- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie mer- rahmenprogramm vorgelegt. Die verantwortliche Minis- ken es: Rot-Grün und die Ministerin sind mir auf die terin sagt zu diesem Bereich überhaupt nichts. Auch Sie Stimme geschlagen. Ich hoffe, ich kann mich trotzdem haben dazu bisher nichts gesagt. verständlich machen. (Jörg Tauss [SPD]: Das warten Sie mal ab!) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir glauben nicht, dass – Ja. – Dieses Papier umfasst acht Seiten. Angesichts der Sie sich verständlich machen können!) knappen Zeit konnte man es nicht einmal richtig durch- Ich muss wirklich sagen: Die Chuzpe, die wir hier ge- lesen. rade wieder erlebt haben, ist schon bemerkenswert. Eine (Jörg Tauss [SPD]: Acht Seiten lese ich in offenbar sehr erfolgreiche Koalition hat sich hier eben zehn Minuten!) wieder vorgestellt – so, als wären Sie nicht kurz vor dem Zusammenbrechen. Nun soll es hier behandelt und anschließend soll darüber abgestimmt werden. Das ist wirklich eine Frechheit. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Bleiben Sie doch ein- mal eng beim Thema! Dann sind Sie ausgelas- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – tet!) Thomas Rachel [CDU/CSU]: Skandalös ist das!) Sie reden über die Zeit der berühmten Vorgängerre- (B) Das entspricht Ihrer Arbeitsweise. Dadurch sind Ihre(D) gierung – angeblich hat sie versagt –, anstatt über Ihre handwerklichen Fehler zustande gekommen, weswegen Zeit zu sprechen. Sie früher immer nachbessern mussten. Was Sie schrei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ben, klingt alles ganz gut. Begreifen Sie es doch endlich: Die Vorgängerregierung (Jörg Tauss [SPD]: Ja, das ist es ja auch!) war die erste rot-grüne Regierung – nicht die Regierung Es kann aber auch sein, dass darin irgendwelche Finten Kohl – und in deren Regierungszeit haben Sie versagt. stecken. Wir können dem heute nicht zustimmen, weil (Jörg Tauss [SPD]: Vergleichen Sie doch mal!) wir gar nicht wissen, welche Probleme mit der Annahme dieses Antrages verbunden sind. Das können wir gerade im Zusammenhang mit dem Zurück zur Hochschulfinanzierung. Wir müssen für BAföG wunderbar erkennen: Seit 2001 haben Sie diemehr Steuerung sorgen und auch das Eigeninteresse der BAföG-Sätze und die Freibetragsgrenzen nicht mehr an- Studierenden aktivieren, damit sie schneller und konzen- gepasst; das ist doch das Problem. trierter studieren, und wir müssen die Bedingungen da- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) für schaffen, dass sie es auch tun können. Wie ich schon gesagt habe, darf es keine Scheinstudenten zulasten der In dieser Zeit sind die Lebenshaltungskosten gestiegen Allgemeinheit mehr geben; diese Studenten belasten na- – ich will nicht wiederholen, was der Kollege Racheltürlich auch diejenigen, die tatsächlich studieren. Wer hier gesagt hat – und deshalb können wir uns, wenn wir sich nur deshalb an einer Universität einschreibt, weil er in diesem Bereich nicht mehr Geld auszugeben vermö- so preiswerter mit der S-Bahn fahren kann oder preis- gen, nur damit behelfen, dass wir uns auf die wirklich werter krankenversichert ist, der darf das System nicht Bedürftigen konzentrieren belasten. (Beifall der Abg. Vera Dominke [CDU/CSU] – Studienentgelte sind ein wunderbares Mittel, um die- Jörg Tauss [SPD]: Also abbauen!) ses Eigeninteresse zu aktivieren. Das bringt für die Zu- kunft – nachlaufende – Belastungen mit sich. Geld soll und die Mittel effektiver zu verwenden versuchen. nur bei denjenigen eingetrieben werden, die tatsächlich (Beifall bei der FDP) bessere wirtschaftliche Verhältnisse erreicht haben. Sie tun ja so, als ob Sie es hier mit Barbaren zu tun hätten. Das bedeutet in erster Linie angemessene, also höhere Es geht um einen Betrag von maximal 5 000 Euro. Der Bedarfssätze und vor allem kürzere Studienzeiten. Kollege Rachel hat das eben schon dargestellt. Deshalb 16992 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Hellmut Königshaus (A) ist es geradezu lächerlich, solche Horrorgemälde zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg (C) zeichnen. Tauss [SPD]: Das zeigte Ihr großes Vertrauen in die CDU-BAföG-Politik!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Was wir allerdings brauchen, ist in der Tat, dass diese Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Mittel bei den Hochschulen bleiben. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine (Jörg Tauss [SPD]: Aber wie?) Lötzsch.

– Was heißt „Wie?“ Es ist klar, dass Sie es nicht wissen. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Wir werden es Ihnen demnächst vormachen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Lachen des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. Wir müssen sicherstellen, dass das Geld tatsächlich an Wir als PDS lehnen Studiengebühren ab. den Hochschulen eingesetzt wird. (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) (Jörg Tauss [SPD]: Wie in Baden-Württem- Dafür gibt es soziale und wissenschaftspolitische berg!) Gründe. Die sozialen Gründe liegen klar auf der Hand: – Genau, wie in Baden-Württemberg. Danke schön für Studiengebühren sind unsozial. Sie belasten finanz- den Hinweis. schwache Eltern härter als finanzstarke. Nach den Vor- stellungen von CDU und CSUsollen alle Studierenden (Jörg Tauss [SPD]: Nichts ist da angekom- 500 Euro pro Semester zahlen, egal ob sie Söhne oder men!) Töchter von Bankvorständen oder Briefträgern sind. Das Es muss weniger Bürokratie geben und die Stellung ist ungerecht. der Studierenden als Nachfragemacht muss gestärkt wer- (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) den. Nur so wird das Interesse der Universitäten ge- weckt, sich für die Belange der Studierenden wirklich Sie geben zwar vor, eine sozialverträgliche Lösung einzusetzen. anzustreben. Doch es gibt nach dem Urteil des Bundes- verfassungsgerichtes vom Januar aus keinem CDU- oder Zu dem Ansatz der KfW für Studienkredite brauche CSU-geführten Land einen wirklich sozialverträglichen ich nichts zu sagen. Das begrüßen wir sehr. Wir loben Vo r sc h la g . ausdrücklich die Bundesregierung, dass sie das zulässt, (Jörg Tauss [SPD]: Überhaupt keinen Vor- (B) was ja nicht selbstverständlich ist. Insgesamt ist es ein (D) guter Ansatz. schlag! – Marion Seib [CDU/CSU]: Es gibt so viele Vorschläge, dass Sie die gar nicht alle le- Noch eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. Der sen können!) Antrag der Union enthält chtige ri Ansätze. Wir haben keinen Zweifel daran, dass das Niveau derHochschul- – Sie haben Recht, Herr Tauss. – Sie haben den Eindruck baufinanzierung wieder angehoben werden muss. Wir erweckt, Sie hätten Ihre Vorschläge schon in der Schub- sind froh, dass Sie von Ihrer Radikalposition, nämlich lade und würden sie nach dem Urteil sofort aus der der Abschaffung des HRG, abgerückt sind. Sie hättenTasche ziehen. Ich finde es erschreckend und verantwor- eigentlich unseren Antrag, den wir zu diesem Punkt ein- tungslos, dass CDU und CSU Studiengebühren offen- gebracht hatten, übernehmen können. sichtlich ohne eine einzige sozialverträgliche Sicherung durchpeitschen wollen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie haben es Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss nicht gelesen!) kommen. Es gibt auch wissenschaftspolitische Gründe gegen Studiengebühren. Die OECD hat eine schöne Übersicht Hellmut Königshaus (FDP): über die Studienanfängerquote für ausgewählte Länder Ich komme zum Schluss. vorgelegt: Neuseeland liegt mit 75,8 Prozent auf Platz eins und Deutschland nur auf Platz 23. Polen liegt auf Wir vermissen aber ein klares Bekenntnis zumPlatz vier und Ungarn auf Platz acht. Wir dürfen also den BAföG. Deshalb können wir Ihrem Antrag in dieserZugang zu Bildung nicht durch Studiengebühren ver- Form nicht zustimmen. engen, sondern wir müssen den Zugang zum Studium weiter öffnen. Das ist das Gebot der Stunde. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) Herr Kollege. In unserem Land studieren nicht zu viele junge Men- Hellmut Königshaus (FDP): schen, sondern zu wenige. Hinzu kommt, dass sich die Wir müssen uns daher in diesem Punkt enthalten. wenigen Studierenden noch weniger Studienplätze teilen müssen. Nun argumentiert die CDU/CSU, dass die Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihnen, Studiengebühren zur Verbesserung der Lehre verwendet Frau Präsidentin, für Ihre Geduld. werden könnten. Damit treffen Sie zunächst den Nerv Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16993

Dr. Gesine Lötzsch (A) vieler Studierenden, die mit denStudienbedingungen Ute Berg (SPD): (C) nicht zufrieden sind. Doch es ist in Anbetracht der über- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schuldeten Länderhaushalte völlig klar, dass die Univer- Wir wollen mehr Studierende und wir wollen, dass mehr sitäten auch mit Studiengebühren nicht mehr Geld in die junge Menschen aus finanziell schwachen Elternhäusern Kassen bekämen. Es wäre ein Nullsummenspiel. Denn studieren. die Studiengebühren würden mit den Landeszuschüssen verrechnet werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hörten wir schon!) Es ist kein Luxus, wenn wir einstudiengebühren- freies Studium fordern. Im Gegenteil: Die Länder mit – Das ist gut so. Aber das prägt sich Ihnen anscheinend den besten Bildungsvoraussetzungen für die nächste Ge- nicht ein. Behalten Sie es auch! – Das erreichen wir nur, neration werden langfristig ihren Lebensstandard sichern wenn wir den Studierwilligen den Weg nicht durch hohe können. Kosten verbauen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich finde es schon erstaunlich, wie sich alle Parteien DIE GRÜNEN) um den Niedriglohnsektor streiten und chinesische Ver- hältnisse anstreben. Unsere Überzeugung lautet daher kurz und knapp: Wir setzen weiterhin auf das BAföG und auf ein gebüh- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Quatsch! – renfreies Erststudium. Marion Seib [CDU/CSU]: Die wollen wir ge- rade nicht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als PDS sind die Ausnahme. Wir legen den Schwer- punkt auf denHochlohnsektor. Wir müssen hier in Eine Neukomposition der Studienfinanzierung, wie die Deutschland in den Hochlohnsektor investieren. DortUnion sie vorhat, ist aus unserer Sicht nichts anderes als liegen die Produktivitäts- und Wertschöpfungsreserven eine Symphonie des Grauens. der Zukunft oder – für CDU/CSU-Ohren verständlicher (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg formuliert –: Studiengebühren sind Gift für den Standort Tauss [SPD]: Schöne Formulierung!) Deutschland. Die CDU/CSU will das BAföG abschaffen und statt- (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) dessen ein Kreditsystem installieren. Das heißt, die Stu- Dass die Niedriglohnpolitik gescheitert ist, sehen wir dierenden, die von Hause aus zu wenig Geld zum Stu- tagtäglich im Osten unseres Landes. Gerade im Osten dieren haben, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, (B) brauchen wir eine Kehrtwende um 180 Grad. Gerademüssen einen Kredit aufnehmen. (D) dort brauchen wir mehr Studierende, mehr hochqualifi- (Ulrike Flach [FDP]: Was ist denn mit den zierte Absolventen und mehr Wissenschaft und For- Langzeitstudierenden?) schung. Bei einem monatlichen Kredit von 650 Euro über vier (Zuruf des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU]) Jahre müsste ein Studierender – das sind noch einmal die – Wenn Sie eine Frage haben, melden Sie sich doch zu Zahlen der Ministerin – am Ende mehr als 47 000 Euro einer Zwischenfrage! zurückzahlen – und das nur im besten Fall, nämlich bei einem extrem niedrigen Zinssatz von – ich nenne Ihnen Abschließend möchte ich meiner Freude darüberdiesen genau – 5,1 Prozent; Sie können das nachrech- Ausdruck verleihen, dass allein die Ankündigung dernen. Gründung einer größeren Linkspartei in Deutschland (Marion Seib [CDU/CSU]: 4,2 ist zurzeit der dazu geführt hat, dass in allen anderen Parteien über lin- höchste Zins auf dem Markt! Da sind Sie nicht kes Gedankengut in Wahlprogrammen nachgedacht gut informiert! – Ulrike Flach [FDP]: Sie sind wird. nicht auf der Höhe!) (Jörg Tauss [SPD]: Oh, oh! Überschätzt euch Schon damit wäre die Belastung fünfmal höher als die, nicht!) die sich durch das heutige BAföG ergibt. Aber das ist Es wäre gut, wenn das auch über den Wahltag hinaus rei- noch nicht alles: Oben drauf kämen dann noch die chen würde. Schulden durch Studiengebühren; denn diese sind in Ih- rer Modellrechnung noch gar nicht enthalten. Vielen Dank. Führen wir uns doch lieber einmal vor Augen, was (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) durch das BAföG erreicht wurde. (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Herr Sarrazin Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: will doch zusammen mit der PDS Studien- Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg, SPD- gebühren einführen!) Fraktion. – Es stört wahnsinnig, wenn Sie permanent Gegenreden (Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: halten. Das haben wir bei Ihnen auch nicht gemacht. Sie Jetzt kommt das linke Gedankengut!) sollten ein bisschen leiser sein. 16994 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Ute Berg (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) Essen [FDP]: Herr Tauss ist ja für seine Zu- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des rückhaltung bekannt!) Kollegen Tauss? Jeder Vierte der knapp 2 Millionen Studierenden in (SPD): Deutschland erhält in der Regelstudienzeit BAföG. Ohne Ute Berg diese Finanzspritze könnten die meisten der Geförderten Ja, gerne. nicht studieren. Das hat die letzte Untersuchung des (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Unterhaltet Deutschen Studentenwerks gezeigt. Der BAföG-Bericht euch doch mal in der SPD-Fraktion!) macht zudem deutlich: Das Bildungspotenzial aus finanzkräftigen, bildungsnahen Familien haben wir weit- Jörg Tauss (SPD): gehend ausgeschöpft. Aber es finden immer noch zu we- Frau Kollegin Berg, da Herr Rachel vermutlich nige Kinder aus einkommensschwachen, bildungsfer- wusste, wie unbequem meine Frage sein würde, und sie nen Familien den Weg an die Hochschule. Es sind genau abgelehnt hat, möchte ich Sie an dieser Stelle zu den Be- 11 Prozent. darfssätzen fragen und nur darauf aufmerksam machen, dass in Ihrer Auflistung möglicherweise untergegangen (Ulrike Flach [FDP]: Aber das ohne Studien- ist – danach frage ich Sie –, dass wir es waren, die dafür gebühren! Sie zahlen jetzt doch gar nicht! Wie gesorgt haben, dass das Kindergeld nicht mehr auf das kommt das denn?) BAföG angerechnet wird, und dass das einer der ganz Das liegt zum einen daran, dass viele dieser Kinder entscheidenden Reformschritte war. Könnten Sie uns zu gar nicht erst bis zum Abitur kommen. Hier spielen Aus- diesem Thema noch ein paar Erläuterungen geben? wahlmechanismen im Schulsystem eine Rolle, auf die (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike wir natürlich nicht mit hochschulpolitischen Maßnah- Flach [FDP]: Aber Ihnen ist klar, dass das men einwirken können. Aber diejenigen, die es bis zur auch alle anderen gefordert haben!) Hochschulreife schaffen, können wir hochschulpolitisch unterstützen. Ute Berg (SPD): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich kann nur bestätigen, was Sie gesagt haben. DIE GRÜNEN) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Bitte noch einmal, da- mit ich das auch verstehe! – Heiterkeit bei der Für diese Gruppe ist die finanzielle Unterstützung ein SPD) ganz ausschlaggebendes Kriterium dafür, ein Studium (B) aufzunehmen. Die HIS-Studie vom März dieses Jahres – Ich bestätige, was Herr Tauss gesagt hat. Mehr will ich (D) wurde eben schon mehrfach zitiert; da können Sie dies dazu eigentlich gar nicht ausführen. ganz deutlich nachlesen. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Wer das BAföG abschaffen und es durchKredite Unsere Reform hat einen regelrechten Run auf die oder Darlehen ersetzen will, der hält diese jungen Men- Hochschulen ausgelöst. Die Studienanfängerquote ist schen von einem Studium ab. Wir wollen genau dasvon 28 Prozent im Jahr 1998 auf gut 37 Prozent eines Gegenteil. Deshalb hat die rot-grüne Bundesregierung Jahrgangs angestiegen. Sie wollen das jetzt durch eine das BAföG seit 1998 enorm aufgestockt; die entspre- große Umstrukturierung zunichte machen. Nach Ihrer chenden Zahlen haben Sie eben gehört. vollmundigen Ankündigung im Januar, jetzt im Eilver- fahren Studiengebühren einzuführen, wurde allerdings (Marion Seib [CDU/CSU]: Bis 2001!) schnell klar, dass die Union kein Konzept hat, wie das sozial abgefedert werden kann. Diese Bundesregierung hat die Bedarfssätze erhöht, (Jörg Tauss [SPD]: Sie hat gar keine Kon- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aber nicht zepte!) mehr seit 2001!) Nach einem großen Tusch zum Auftakt machte sich den Empfängerkreis erweitert und die Rückzahlung auf schnell Ratlosigkeit breit, wie es denn nach der Ouver- maximal 10 000 Euro begrenzt. türe weitergehen soll. Ihre Sinfonie ist bis heute eine un- vollendete. In der Musik tut das dem Werk keinen Ab- Es kamen gerade von der Opposition Zurufe, dass die bruch, aber in der Politik kann man mit solchen Sätze nicht weiter angehoben wurden. Diese Kritik mag Bruchstücken nichts anfangen. teilweise berechtigt sein. Aber wenn Sie gleichzeitig for- dern, das BAföG abzuschaffen, dann ist das geradezu lä- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Marion Seib [CDU/CSU]: cherlich. Sie kennen das ja!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Es ist wirklich absurd, dass Sie in Ihrer Einfallslosig- Rachel [CDU/CSU]: Fordert überhaupt kei- keit nun von der Bundesregierung fordern, Ihnen ein ner!) Konzept für die Einführung von Studiengebühren zu ent- werfen. – Sie nennen etwas BAföG, was gar kein BAföG ist, Herr Rachel. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16995

Ute Berg (A) Das steht in völligem Widerspruch zu dem Verhalten Ih- Wir lesen nun in diesem Bericht, dass die vorgelegten (C) rer Parteifreunde in den Ländern, allen voran RolandDaten als solche eine Notwendigkeit der Anpassung der Koch; denn die tun wirklich alles dafür, den Bund hoch- Leistungsparameter begründen. Einen Absatz davor schulpolitisch komplett auszubremsen, und zwar sosteht genau das Gleiche mit Bezug auf den letzten Be- lange, bis sich gar nichts mehr bewegt. richt aus dem Jahre 2003. Aber nichts ist passiert. Sehr geehrte Damen und Herren von der Union, es ist (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Typisch Rot- unsere Pflicht, für alle jungen Menschen gleiche Chan- Grün!) cen in der Berufsausbildung zu schaffen, und zwar mit- Das Fazit dieser Feststellungen hätte – wenn wir an die hilfe einer individuellen Ausbildungsförderung. Das Intention des Gesetzgebers denken – lauten müssen, das BAföG abzuschaffen hieße, dass sich der Staat von die- BAföG schon im Jahr 2003 und auch 2005 entsprechend ser zentralen sozialen und bildungspolitischen Verant- anzupassen. wortung verabschieden würde. (Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Aber nichts ist passiert. Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Ende kommen. Stattdessen ruht sich e di Bundesbildungsministerin auf der BAföG-Reform des Jahres 2001aus, die da- Ute Berg (SPD): mals bekanntlich auch von der CDU/CSU-Fraktion mit- Ich komme zum Ende. – Die Einführung von Studien- getragen wurde. gebühren würde die Situation zusätzlich dramatisch ver- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es!) schärfen. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Das ist also nicht allein Ihre Reform; vielmehr haben wir Wir wollen gleiche Chancen sowie mehr Bildung und alle sie mitgetragen. Qualifikation für alle. Deshalb brauchen wir das BAföG. Es ist aus sozial- und bildungspolitischer sowie aus öko- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg nomischer Sicht notwendig. Tauss [SPD]: Aber wir haben es gemacht!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Einmal ist etwas Gutes gemacht worden, das dann für DIE GRÜNEN) alle Ewigkeit ausreichen muss. Gut, dass die Ewigkeit bald zu Ende ist; Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) (B) Das Wort hat die Kollegin Vera Dominke, CDU/CSU- denn das, Frau Ministerin, ist dürftig. (D) Fraktion. Die Leidtragenden sind die jungen Menschen, die auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diese staatliche Unterstützung angewiesen sind. Diese Unterstützung reicht nun nicht mehr aus, da Sie das Vera Dominke (CDU/CSU): Leistungsniveau vor Jahren eingefroren haben. Die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! meisten Studierenden müssen jobben, um sich ihren Le- Wir debattieren heute über einen Bericht zur Überprü- bensunterhalt zu sichern. Das ist nicht im Sinne des Er- fung der Bedarfssätze, Freibeträge, Vomhundertsätzefinders. und Höchstbeträge nach § 21 BAföG. Nicht ohne Grund (Jörg Tauss [SPD]: Ja, ja! Wollen Sie deswe- ist in § 35 BAföG die regelmäßige Erstellung dieses Be- gen Studiengebühren?) richts vorgeschrieben. Intention des Gesetzgebers war es nämlich, durch diese Berichtspflicht sicherzustellen,Frau Ministerin, am stärksten sind übrigens diejenigen dass die Ausbildungsförderung in ihrer Höhe nicht von betroffen, die aus sozial schwächeren Schichten kom- den allgemeinen Lebenshaltungskostenabgekoppelt men. Wenn Sie sich also hier hinstellen und darüber ju- wird. beln, dass Sie die Zahl der BAföG-Empfänger erhöht ha- ben, (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Marion Seib [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Oh ja! Das ist sehr gut!) Schließlich sollen diese Leistungen – das wissen alle – ausreichen, damit junge Menschen in der Ausbildung so ist das von peinlicher Vordergründigkeit. von diesem Geld leben können, wenn sie es denn von (Ute Berg [SPD]: Das ist doch unglaublich!) Haus aus nicht haben. Wenn Sie diese gestiegene Zahl von Leistungsempfän- Die Leistungen des BAföG dienen von ihrer Idee her gern dann auch noch am ausgestreckten Arm verhungern der staatlichen Herstellung von Chancengerechtigkeit. lassen, Bildung und Ausbildung sollen allen jungen Menschen offen stehen und Geldnot darf keine Barriere für Bil- (Lachen des Abg. Jörg Tauss [SPD]) dungschancen sein. indem Sie ihnen die notwendigen Leistungsanpassungen verweigern, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch unglaublich!) 16996 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Vera Dominke (A) dann ist das ein Trauerspiel und eine traurige Nichtleis- Sie ist unzweifelhaft etwas Positives. Aber Kritik und(C) tungsbilanz. Lobpreisung, das geht nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine der Stellungnahmen, die wir bisher gehört ha- ben, war ehrlich: die der FDP. DieFDP hat erstens ge- Sie begründen die Stagnation des Leistungsniveaus sagt, dass sie Änderungen beim BAföG will. Sie will die damit, dass das nötige Geld fehlt. Damit haben Sie Gewährung der Leistungen insbesondere auf diejenigen, Recht; denn diese Bundesregierung hat die Bundesfinan- die in materieller Hinsicht schlechter gestellt sind, kon- zen heruntergewirtschaftet. zentrieren. Das heißt, Sie wollen die Leistungen, die an- (Marion Seib [CDU/CSU]: So ist es! – Lachen dere Gruppen bekommen, kürzen. Das ist eine klare An- des Abg. Jörg Tauss [SPD]) sage. Aber gerade in dieser Situation – wo Sie merken, dass Wir dagegen sagen: Das ist nicht unsere Auffassung Sie es nicht können – müssten Sie doch froh und dankbar vom BAföG. sein, dass die Opposition jetzt Vorschläge auf den Tisch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten legt und Ihnen Gespräche darüber anbietet, wie die Aus- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bildungsförderung auf eine Basis gestellt werden kann, um für die jungen Menschen wieder Bildungschancen- Das BAföG muss zu einer Stärkung derjenigen führen, gerechtigkeit zu schaffen. Warum verweigern Sie jegli- die wenig Geld haben, und bis in dieMittelschicht hi- ches Nachdenken darüber? Ihr lautstarkes Gezeter – das neinreichen; denn in beiden Bereichen wollen wir Stu- durften wir auch heute wieder erleben –, die CDU wolle dierende gewinnen und für beide Bereiche, auch für die das BAföG abschaffen, durchschaut inzwischen jeder als Kinderreichen, ist eine ausreichende materielle Grund- billige Wahlkampfpanikmache. lage wichtig. Aber die klare Ansage der FDP werden wir den Studierenden gern erzählen. Wir werden ihnen über- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute all sagen, dass die FDP die Förderung der Mittelschicht, Berg [SPD]: Reden Sie doch einmal mit Frau deren Rückgang sie einmal kritisiert hat, jetzt vollkom- Schavan!) men abschaffen will. Diese klare Aussage möchte ich In unserem Antrag geht es uns darum, im Zusammen- ausdrücklich würdigen. hang mit den Überlegungen zu Studiengebühren, die wir Sie, Herr Königshaus, haben zweitens gesagt, dass übrigens gründlich und nicht, wie Sie, im Hopplahopp- Sie der CDU/CSU in Bezug auf das BAföG nicht trauen verfahren anstellen, und ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen. (B) (Jörg Tauss [SPD]: Oh, oh!) Eine klare und ehrliche Ansage! Das hat Herr Königs- (D) auch die Ausbildungsförderung wieder auf gesundehaus gesagt. Füße zu stellen und sie in ein Studienfinanzierungssys- (Ulrike Flach [FDP]: Ich habe dem nicht wi- tem einzubinden, das die Bedarfe der jungen Menschen dersprochen!) wirklich abdeckt. Was sagt das über die CDU/CSU aus? Es sagt, dass eines (Zurufe von der SPD: Nichts als Ausreden! – klar ist: Die CDU/CSU will das BAföG in der jetzigen Ja, ja!) Form nicht, Frau Ministerin, dem englischen Philosophen Herbert (Marion Seib [CDU/CSU]: Dummes Zeug! Spencer wird der Ausspruch zugeschrieben: Das große Wir wollen es ergänzen!) Ziel der Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln. In diesem Sinne haben Sie das Bildungsziel – nicht nurobwohl genau die jetzige FormVerbesserungen ge- beim BAföG – verfehlt. bracht hat: in Bezug auf die Zahl der Geförderten; in Be- zug auf die Zahl der Studierenden; in Bezug auf die Zahl (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) derjenigen, die eine Vollförderung bekommen; in Bezug auf die Zahl derjenigen, die sich einen Auslandsaufent- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: halt während des Studiums leisten können. Die CDU/ Nächster Redner ist der Kollege Ernst DieterCSU will das BAföG in dieser Form nicht erhalten. Rossmann, SPD-Fraktion. (Vera Dominke [CDU/CSU]: Da haben Sie nicht zugehört!) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): – Das hat Frau Schavan gesagt, das hat Ihr Staatssekretär Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in Niedersachsen gesagt, das wird in Brandenburg von Drei Redner der Opposition haben ihre Auffassung zum der CDU so gesagt und dazu gibt es auch in Hamburg BAföG zum Ausdruck gebracht. Aber ich weiß nicht, ob sehr konkrete Vorhaben. Sie sich mit der großen BAföG-Reform schmücken wol- len, die diese Ministerin und diese Regierung eingeleitet Es ist das Gleiche wie mit denStudiengebühren: haben, oder ob Sie sich von ihr distanzieren wollen. 1998 hat Herr Stoiber noch verkündet, Sie wollten keine Studiengebühren – 2002 war das auf einmal anders. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Jörg Tauss [SPD]: Ja!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16997

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) Das werden wir Ihnen in Bezug auf das BAföG nicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) durchgehen lassen. Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Deswegen ist dieses eine gute Stunde. Es ist die Sie müssen jetzt schon bekennen, was Sie in Bezug auf Stunde der Wahrheit für Sie. Es ist eine Stunde, in der das BAföG wollen, und zwar – das ist klar –: Ihnen fließt wir eine Wahlauseinandersetzung vorbereiten – zu viel Geld ins BAföG und es wird Ihrer Meinung nach an der falschen Stelle eingesetzt. Stattdessen wollen Sie Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: es einsetzen, um Studienkreditezu finanzieren – für Herr Kollege, ich darf Sie noch einmal ernsthaft mah- alle. Es ist genau wie bei Ihrer Kopfpauschale, bei der nen. Sie auch denken, Sie könnten die Krankenschwester wie den Chefarzt heranziehen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): (Dr. Uwe Küster [SPD]: Kopfgeldpartei! – Vera – und wir sind sicher: Die gewinnen wir. Dominke [CDU/CSU]: Nicht zu fassen!) Danke. So ist es auch hier: Sie wollen die Niedrigverdienenden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ belasten und das allen, also auch den Bestverdienenden, DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Die Aus- als Förderung zukommen lassen. Wir sind klar dagegen; bildungsvergütung wollen sie auch noch kür- das hat unsere Ministerin deutlich gemacht. zen! Das haben wir ganz vergessen!) Es gibt zwei Eckdaten in Bezug auf das BAföG, zu denen Sie sich jetzt äußern könnten. Sie könnten jetzt sa- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gen: Selbstverständlich garantieren wir den Studieren- Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSU- den, dass 50 Prozent der Zuwendungen in Form eines Fraktion. Zuschusses bleiben; das ist das Entscheidende beim BAföG. Das könnten Sie jetzt hier sagen. Das wäre eine Marion Seib (CDU/CSU): klare Aussage, eine klare Perspektive. Es wäre im Sinne Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten der Reform, die auch Sie damals begrüßt und mitgetra- Damen und Herren! Es ist natürlich sehr schön, wenn ich gen haben. Sie könnten zum Zweiten sagen: Wir gehen auf solch eine emotionale Rede antworten darf. Ich nicht über eine Darlehensschuld von10 000 Euro hi- möchte das zunächst einmal ganz sachlich tun. (B) naus. Das wären zwei klare Ansagen, mit denen Sie sa- (D) gen würden: Wir stehen zum BAföG. – Sie sagen es (Zuruf von der SPD: „Zunächst“?) nicht. Sie wollen es nicht. Zuerst einmal: Ihr rot-grünes Projekt ist offensichtlich am Ende (Vera Dominke [CDU/CSU]: Wir sagen: Wir stehen zum BAföG!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Warum?) Frau Seib, wenn Sie jetzt mehr sagen wollen als die zwei Vorredner aus Ihrer Fraktion, dann wären Sie mu- und jetzt lassen Sie den Motor noch einmal im Leerlauf tig, dann wären Sie so mutig, wie es der CSU-Vorsit-aufheulen. Ihren Antrag zur integrierten EU-Bildungs- zende von der hoffnungsvollen Regierungsmehrheit der förderung, der heute auch hier zu bereden wäre, nur ei- Zukunft erwartet: jetzt klar zu sagen, was man will. nen Tag vor der Debatte einzubringen, das ist schon ver- dammt schlechter parlamentarischer Stil. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Weil Sie es nicht sagen, sollen Sie eines sicher wissen: der FDP) Wir werden es überall bekannt machen, wir werden es Dabei ist die Frage nach einem umfassendenEU-Bil- allen Studierenden, allen Familien sagen – in den Mittel- dungsrahmenprogramm ein zu wichtiger Punkt – und schichten, bei den Arbeitern, bei den Angestellten –:Sie hätten sieben Jahre Zeit gehabt –, als dass er jetzt Wählt CDU, CSU und FDP, dann müsst ihr viel mehr taktischen Spielereien geopfert werden sollte. Geld dafür bezahlen, dass eure Kinder studieren. An den Hochschulen dürfen sie dann Studiengebühren zahlen (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) und später werden sie durch das Zurückzahlen großer Ein derartiges Hereinquetschen hat die Sache nicht ver- Darlehenssummen belastet – dient. Sie agieren heute wieder wie üblich: Sie fangen al- (Vera Dominke [CDU/CSU]: Jetzt fehlen nur les Mögliche an, bringen aber nichts zu Ende, sondern noch Krieg und Hochwasser!) machen gleich die nächste Baustelle auf; und das auch noch mit falschen Behauptungen. im Übrigen auch dafür, um mitzufinanzieren, was dieje- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nigen bekommen sollen, die es gar nicht nötig haben. Das werden wir bekannt machen. Das wissen im Übri- So wichtig einzelne Punkte aus Ihrem Antrag auch gen auch schon viele Studierende und das weiß man an sein mögen – der Antrag kommt zur Unzeit. Offensicht- den Hochschulen. lich befinden Sie sich mental bereits in der Opposition. 16998 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Marion Seib (A) Es ist jetzt keine Zeit, neue Forderungen zu stellen. Wir Noch einmal zur Klarstellung: (C) brauchen jetzt einen ordentlichen Haushaltsplan gerade (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie wollen von Klar- auch für den Bereich Bildung und Forschung. stellung sprechen?) (Beifall bei der CDU/CSU) Die CDU/CSU tritt für verträgliche Studiengebühren Wir brauchen diese Bilanz, damit wir wissen, wo über- ein, die eine konkrete Verbesserung der Lehre und damit haupt noch welche Spielräume existieren. Wir wissen ein schnelleres und effizienteres Studium ermöglichen aber schon jetzt: Diese Bilanz wird katastrophal sein. und einen früheren Eintritt ins Erwerbsleben zur Folge haben. Sie ruhen sich auf den welken Lorbeeren der BAföG- Novellierung von 2001 aus. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Denken Sie lieber an Ihre Herztropfen und regen Sie sich nicht so (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Haben Sie auf!) eigentlich jemals einen Antrag gestellt?) Damit sind auch finanziell schwache Studierende einge- Der vorliegende BAföG-Bericht bejubelt einerseits die bunden und werden auch Familien aus den mittleren steigenden Zahlen der geförderten Studierenden, ande- Einkommensschichten berücksichtigt, die viel zu häufig rerseits stellt er kleinlaut fest, dass die Bundesregierung aus dem Katalog der BAföG-Bezieher herausfallen. von der notwendigen Erhöhung der Bedarfssätze seit 2003 abgesehen hat. Ich zitiere jetzt: (Jörg Tauss [SPD]: Denen wollen Sie Studien- gebühren aufhalsen!) Aufgrund der starken Belastung der öffentlichen Haushalte durch die allgemeine wirtschaftlicheGleichzeitig müssen diejenigen, die finanziell leistungs- Lage, die erheblichen Steuermindereinnahmen so- fähig sind, zur Finanzierung der Hochschule beitragen. wie die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt hat (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das zeigt Ihre alte die Bundesregierung seinerzeit von Anpassungs- Bildungspolitik!) maßnahmen abgesehen. Ebenso wird einer Fehlentwicklung entgegengesteu- Diese angespannte Lage bemerken nicht nur dieert. Bisher tragen Nichtakademiker durch ihre Steuern BAföG-Empfänger, sondern jeder einzelne Bundesbür- bis zu 90 Prozent der Ausbildungskosten für Akademi- ger spürt sie. Diese angespannte Lage gibt es auch in den ker. Länderhaushalten. Leidtragende sind hier die Universi- täten und ganz besonders die Studenten, die unter großen (Jörg van Essen [FDP]: So ist es! – Werner Lensing [CDU/CSU]: Ist doch traurig! Ein (B) Arbeitsgruppen, lückenhaften Bibliotheksbeständen und (D) veralteten Gerätschaften zu leiden haben. Skandal!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kosten der Hochschulbildung übernehmen also Millionen von Steuerzahlern, die nie eine Hochschule Bei einer Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand besucht haben, während der Ertrag den Hochschulabsol- von 1,4 Billionen Euro ist der finanzielle Gestaltungs- venten zugute kommt. spielraum für die Bildungs- und Forschungspolitik denk- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- bar gering. wie bei der FDP – Werner Lensing [CDU/ (Ute Berg [SPD]: Immerhin sehr viel höher als CSU]: Das ist menschlich erbärmlich!) unter der Kohl-Regierung!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Studienbei- Solche Zeiten mit beengten Gestaltungsspielräumen ver- träge können nur ein erster Schritt hin zu einem effizien- langen natürlich nach neuen Lösungen. Selbst im Be-teren und besseren Studium in Deutschland sein. Auch richt der Bundesregierung zur technologischen Leis-im Bereich der Ausbildungsförderung müssen wir wei- tungsfähigkeit fordern die Sachverständigen vehement ter vorausdenken; denn trotz BAföG arbeiten neun von die Einführung von Studiengebühren. zehn Studenten während des Studiums. (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP] – (Jörg Tauss [SPD]: Deswegen noch höher be- Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine Außenstehende lasten!) spricht darüber!) Auf dieses Arbeitseinkommen sind die meisten Studen- Vor diesen Forderungen hat Rot-Grün in den vergange- ten angewiesen. Häufig führt dies zu langen Studienzei- nen Jahren konsequent die Augen verschlossen. ten und sogar zum Studienabbruch. Aufgrund solcher Faktoren liegt nach Berechnungen des Instituts der deut- (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – schen Wirtschaft die Rendite eines Studiums in Deutsch- Jörg van Essen [FDP]: Völlig richtig!) land im Durchschnitt nur bei 9 Prozent. Mehr noch: Durch Ihre unverantwortliche Panikmache (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie haben vielleicht verunsichern Sie die Studierenden, Abiturienten und El- Berater!) tern. Zum Vergleich: In Frankreich und in den Vereinigten (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abge- Staaten beträgt sie 15 Prozent und in Großbritannien ordneten der SPD) 17 Prozent. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 16999

Marion Seib (A) Deswegen tritt die CDU/CSU für eineWeiterent- enthält sich der Stimme? – Der Antrag ist mit der Mehr- (C) wicklung des BAföG ein. heit des Hauses angenommen. (Jörg Tauss [SPD]: Oi, Sprechblase! – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Dr. Uwe Küster [SPD]: Bleiben Sie doch bei der Wahrheit! Das ist doch eine Abzocke!) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Zusätzlich zum BAföG brauchen wir ein Konzept. Wir Thomas Strobl (Heilbronn), weiteren Abgeordne- brauchen auch Bildungskredite und das Bildungssparen. ten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrach- Glauben Sie denn allen Ernstes, dass Akademiker mit ih- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des ren Gehältern einen Kredit von 5 000 Euro nicht stem- Bundeswahlgesetzes zur Korrektur der men können? Grundmandatsklausel (Grundmandatskorrek- turgesetz) (Jörg Tauss [SPD]: 50 000 Euro!) – Drucksache 15/4718 – Diese können sie über viele Jahre – bis zu zwei Jahr- zehnte lang – zurückzahlen. Sie halten unsere akade- (Erste Beratung 160. Sitzung) misch ausgebildete Bevölkerung wirklich für reichlich Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- unfähig. schusses (4. Ausschuss) (Beifall der Abg. Vera Dominke [CDU/CSU] – Drucksache 15/5664 – und der Abg. Ulrike Flach [FDP]) Berichterstattung: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat bereits den Abgeordnete Barbara Wittig ersten Schritt getan und bietet ab Oktober einen Studien- Thomas Strobl (Heilbronn) kredit an. Die Deutsche Bank will mit einem ähnlichen Silke Stokar von Neuforn Angebot nachziehen und die Genossenschaftsbanken Dr. Max Stadler können bereits heute Sofortangebote machen. Dieser gordische Knoten ist bereits durchgeschlagen. Jetzt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die kommt es auf die Weiterentwicklung einer modernenAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre Studienfinanzierung an. Legen Sie Ihre ideologischen ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Scheuklappen ab und arbeiten Sie daran mit! Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich gerne Herzlichen Dank. eine Delegation des griechischen Parlaments auf der Be- (B) suchertribüne begrüßen. Wir freuen uns, dass Sie hier(D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sind, und wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt in Berlin. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall) Ich schließe die Aussprache. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst Wir kommen nun zur Überweisung von Tagesord-der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für die SPD-Frak- nungspunkt 2 a. Interfraktionell wird die Überweisung tion. der Vorlage auf der Drucksache 15/4995 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Es sieht so aus, als könnten wir das einvernehmlich Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): tun. – Dann ist das so beschlossen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf der Zum Tagesordnungspunkt 2 b liegt die Beschluss-Unionsfraktionen mit dem Ziel, die Zahl der Grundman- empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung date von drei auf fünf anzuheben. Ich will gleich vorab und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/5592 sagen, dass wir diesem Begehren nicht zustimmen wer- zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel vor: den. Wir haben darüber an anderen Stellen ausreichend „Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil für die gesprochen. Die Argumente sind relativ einfach zu ge- Bildungs- und Hochschulfinanzierung des Bundes“.wichten. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf der Druck- sache 15/4931 abzulehnen. Wer stimmt für dieseWir haben die Grundmandatsklausel nach der Wieder- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer vereinigung Deutschlands nicht verändert. Diese Tat- enthält sich der Stimme? – Dann ist die Beschlussemp- sache ist in den 90er-Jahren Gegenstand eines Wahl- fehlung mit Mehrheit angenommen. prüfungsverfahrens gewesen. 1996/97 hat es dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gegeben, Wir kommen zum Zusatzpunkt 2: Abstimmung über die den Fachleuten unter den Parlamentariern bekannt den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis- ist. Ich zitiere eine Entscheidung aus dem 95. Band, in ses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5675 mit dem Ti- dem das Gericht ausgeführt hat, es sei von Verfassungs tel „Für ein integriertes EU-Bildungsrahmenprogramm – wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nach Mobilität und Austausch für ein zusammenwachsendes, der Vergrößerung des Wahlgebietes durch die Wieder- innovatives und wettbewerbsfähiges Europa“. Wervereinigung Deutschlands die Anzahl der Grundmandate stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer nicht erhöht hat. 17000 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Dr. Dieter Wiefelspütz (A) Das ist eine überzeugende Ableitung, die das Verfas- Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): (C) sungsgericht vorgenommen hat. Dem ist heute von der Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sache her nichts hinzuzufügen. Verfassungsrechtlich ist Nach dem an Leidenschaft kaum zu übertreffenden Vor- es keinesfalls geboten, die Grundmandatsregelung zutrag des Kollegen Dr. Wiefelspütz ändern. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie haben mich Ich räume ein: Es wird verfassungsrechtlich zulässig schon anders erlebt, ja!) sein, weil der Gesetzgeber an dieser Stelle einen weiten möchte ich unseren Gesetzentwurf gerne begründen. Ermessensspielraum hat. Gleichwohl sage ich: Wir vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion wollen bei der Eine Partei kommt nur in den Deutschen Bundestag, bisherigen Regelung bleiben, weil jede Veränderung der wenn sie entweder mehr als 5 Prozent der Stimmen er- Grundmandatsklausel es Parteien, die in der Regionhält oder drei Direktmandate erringt. Diese Sperrklau- stark sind, erschweren würde, in das Parlament zu kom- seln – darüber haben wir, so glaube ich, einen ganz gro- men. Es ist nicht zu erkennen, welchen Sinn es machen ßen Konsens hier im Hause – haben sich grundsätzlich sollte, das regional starken Parteien durch eine Ände-bewährt, weil sie einer Zersplitterung der Parteien- rung der Grundmandatsklausel zu erschweren. landschaft entgegenwirken. Allerdings besteht seit der deutschen Einheit eine aus unserer Sicht bedenkliche Es gibt – dies zum Schluss – noch einen ganz wichti- Diskrepanz zwischen der Fünfprozentklausel und der so gen Punkt, der gegen diesen Gesetzentwurf spricht: Im genannten Grundmandatsklausel, die, wie gesagt, den Gesetzentwurf steht, dass das Gesetz – wenn man hier Einzug einer Partei dann ermöglicht, wenn sie drei Di- eine Mehrheit hätte – zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft rektmandate in Deutschland erzielt. treten sollte. Nun wissen wir alle, dass möglicherweise Ich will einige wenige Zahlen nennen: Bei der Wahl schon sehr bald vorgezogene Bundestagswahlen statt- 1998 konnten die drei Direktmandate mit 180 000 Stim- finden. Vor diesem Hintergrund ist es nach meiner festen men erzielt werden. Um über die Fünfprozenthürde zu Überzeugung nicht darstellbar, dass wir solch einen Ge- kommen, waren mehr als 2,3 Millionen Stimmen erfor- setzentwurf jetzt mit Mehrheit verabschieden. Das hätte derlich. Dies ist eine gewaltige Diskrepanz. Anders ge- nicht nur ein Geschmäckle, sondern eher den Geruchsagt: Um drei Direktmandate zu erzielen, bedarf es von Manipulation. 0,6 Prozent der Stimmen, um die Fünfprozenthürde zu überwinden, sind logischerweise 5 Prozent erforderlich. Ich betone: Das ist sicher nicht die Absicht der An- tragsteller gewesen, weil man diese Entwicklung natür- Die Proportionierung zwischen Grundmandatsklau- lich nicht voraussehen konnte. Nach wie vor steht das sel und Fünfprozentklausel stammt aus der Zeit vor der (B) (D) aber so im Entwurf; auch deshalb ist dieses AnsinnenEinheit Deutschlands. Mit der Wiedervereinigung hat nicht zu akzeptieren. sich die Anzahl der Wahlberechtigten um ein knappes Drittel erhöht. Ebenso stieg die Anzahl der Wahlkreise Man wird sicherlich in der nächsten Wahlperiode er- deutlich an. In der alten Bundesrepublik gab es neut über dieses Thema zu reden haben. Ich glaube, die 248 Wahlkreise. Die Zahl stieg nach der Wiedervereini- überwiegenden Gründe sprechen dafür, dass der Gesetz- gung auf 328 an und wurde dann durch die Verkleine- geber von seinem Ermessen dahin gehend Gebrauchrung des Deutschen Bundestages zur letzten Bundestags- macht, es bei der Grundmandatsklausel, die wir jetzt im wahl auf 299 gesenkt, ist aber immer noch deutlich Bundeswahlgesetz haben, zu belassen. größer – 51 Abgeordnete – als vor der deutschen Wie- dervereinigung. Die Zahl der Grundmandate blieb je- Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. doch unverändert; es sind immer noch drei. Damit klaf- fen Grundmandatsklausel und Fünfprozenthürde unserer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Auffassung nach unverhältnismäßig auseinander bzw. DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg van Essen – anders ausgedrückt – die Fünfprozentklausel kann [FDP]) durch die Grundmandatsklausel leicht unterlaufen wer- den. Daher ist eine Anpassung der Zahl der Grundman- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: date an die vor der Wiedervereinigung geltenden Ver- hältnisse nach unserer Auffassung richtig. Das Präsidium bedankt sich für die mustergültige Un- terschreitung der Redezeit, was so selten vorkommt, Die Rechtsextremisten haben übrigens die Möglich- dass das nicht unkommentiert geschehen sollte. keit erkannt, verehrter Kollege Dr. Wiefelspütz, an der Fünfprozentklausel vorbei in den Bundestag einzuzie- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Präsident, hen. ich melde mich gleich noch mal!) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) – Diese Nebenwirkung war weder beabsichtigt noch Die NPD hat mit Blick auf die Bundestagswahl einen würde sie zu einer erneuten Belobigung führen. Strategiewechsel vorgenommen. Jetzt hat das Wort der Kollege Thomas Strobl für die (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!) CDU/CSU-Fraktion. Ich zitiere aus der Zeitung „Die Welt“ vom 30. Mai die- (Beifall bei der CDU/CSU) ses Jahres: Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17001

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Die NPD will bei der vorgezogenen Bundestags- Ich sage Ihnen – Ströbele sagt Strobl –: (C) wahl über Direktmandate ins Parlament einziehen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der Die Rechtsextremisten peilen nicht mehr das Über- kleine Strobl!) springen der Fünfprozenthürde an. „Wir konzen- trieren uns auf den Erfolg durch drei Direktman- Das ist keine rein rechnerische Aufgabe; es ist keine date“, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende … Frage der Mathematik, sondern der Demokratie. Wir möchten auch politisch nicht, dass drei Wahl- (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) kreise gewonnen werden und dann plötzlich 40 bis Die Demokratie hängt nicht von solchen Zahlen ab. 50 extremistische Abgeordnete für eine Partei im Deut- schen Bundestag sitzen, deren Wahlergebnis bei etwa Die vielen Väter und wenigen Mütter des Grundge- 4 Prozent liegt. Das wollen wir nicht. setzes haben sich bei der bestehenden „Nicht-Regelung“ etwas gedacht. Sie sind gar nicht davon ausgegangen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE dass sich die erforderlichen Stimmenzahlen zur Über- GRÜNEN]: Das müssen Sie auf andere Weise windung von Grundmandats- und Fünfprozentklausel verhindern als per Gesetz!) entsprechen müssen, Sie haben schlicht einen eigenen, Wir wollen nicht, dass Parteien des rechten Randesanderen Weg zur Berücksichtigung der Wählerstimmen – oder auch des linken, Herr Ströbele – Einzug in den einer Partei im Deutschen Bundestag zugelassen. Daran Deutschen Bundestag halten. Sie müssen sich einmal be- reden Sie vorbei. Die Zahl der Mandate spielt dabei wusst machen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von keine Rolle. der SPD und den Grünen, um welche politischen Par- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir teien es sich dabei handelt. Das sind schließlich keine reden über das Bundeswahlgesetz, nicht über Bürgerrechtsbewegungen; wir reden über extremisti- das Grundgesetz! – Dr. Dieter Wiefelspütz sche, verfassungsfeindliche und populistische Parteien [SPD]: Wo steht denn das in der Verfassung, des rechten und linken Randes. Deswegen halten wir es Herr Ströbele? – Gegenruf des Abg. Thomas für geboten, die Anzahl der erforderlichen Grundman- Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der hat ja gar date anzuheben, um die Diskrepanz in den Proportionen, keine Ahnung! Wir reden über das Bundes- bezogen auf die Fünfprozentsperrklausel, zu verringern. wahlgesetz! Das hat doch nichts mit den Vä- (Beifall bei der CDU/CSU) tern und Müttern des Grundgesetzes zu tun! Er hätte den Antrag mal lesen sollen!) Wohlgemerkt: Es geht uns nicht um eine grundsätzli- che Änderung oder gar um die Abschaffung der bewähr- Deshalb zielt, wenn ich es richtig sehe, Ihr Antrag auf (B) ten Regelungen. Wir sind völlig davon überzeugt, dass Änderung des § 6 des Bundeswahlgesetzes (D) die Regelungen im Grundsatz richtig sind. Wir wollen (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: lediglich eine Anpassung an die Verhältnisse im größer Nicht das Grundgesetz!) gewordenen, wiedervereinigten Deutschland. Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist der Inhalt unseres Ge- auf eine politische Auseinandersetzung. Sie haben das setzentwurfs. auch angedeutet: Sie wollen nicht, dass kleinere Par- teien, die beispielsweise mit 4,9 Prozent knapp an der Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. Fünfprozenthürde scheitern, durch das Erringen von drei (Beifall bei der CDU/CSU) Grundmandaten in den Deutschen Bundestag kommen. Der Stimmenanteil einer solchen Partei soll also keine Berücksichtigung finden. Sie versprechen sich als große Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Partei davon eine komfortablere Mehrheit, möglicher- Das Wort hat nun der Kollege Josef – – weise sogar die absolute Mehrheit im Deutschen Bun- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE destag. Dieses Ansinnen einer großen Partei kann man GRÜNEN]: Er will nicht!) durchaus verstehen. Aber Sie sollten sagen, dass das der eigentliche Hintergrund ist. – Damit werden wir fertig. – Das Wort hat der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen. Es geht also nicht um Forderungen nach demokrati- scher Repräsentation. Sonst müsste man auch darüber nachdenken, ob die demokratische Legitimation über- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haupt noch ausreichend ist, wenn beispielsweise „nur“ 70 Prozent, 50 Prozent oder sogar weniger der Bevölke- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! rung zur Wahl gehen und die im Bundestag vertretene Herr Kollege Strobl, Sie wollen die Zahl der Grundman- Mehrheit vielleicht nur durch ein Drittel der Wahlbürger date von drei auf fünf erhöhen. Eine Partei soll erst dann – manchmal ist es noch weniger – legitimiert ist. Ich bin entsprechend ihrem Stimmenverhältnis in den Deut- der Meinung, das ist auch dann der Fall; denn das ist schen Bundestag einziehen können, wenn sie mindestens nicht alleine eine Frage der Zahlen. fünf Mandate erringt. Sie haben in diesem Zusammen- hang eine Reihe von Zahlen genannt. Zum Beispiel ha- Dieser Regelung liegt nämlich ein ganz anderer An- ben Sie angegeben, dass die Zahl der Wahlberechtigten satz zugrunde, nämlich der – insofern hat das sehr wohl um 29 Prozent gestiegen sei, wodurch eine höhere Zahl etwas mit dem Grundgesetz zu tun –, dass eine Partei, von Grundmandaten erforderlich werde. auch wenn sie an der Fünfprozenthürde scheitert, 17002 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Hans-Christian Ströbele (A) gleichwohl eine Legitimation erringen kann, in den Bun- zu erreichen. Wie Sie wissen, hat sich das Bundesverfas- (C) destag zu kommen. Sie wissen ja, dass die Fünfprozent- sungsgericht mit diesen unterschiedlichen Stimmenvolu- klausel bei uns umstritten ist. Die Grünen sind immer men befasst und eindeutig festgestellt, dass das verfas- dafür gewesen, diese Hürde zu senken, weil sie stets ge- sungsrechtlich nicht zu eanstanden b ist. Das ist eine sagt haben: Das ist zu hoch, man sollte sich mit einerganz wichtige Aussage, die ich deshalb an den Anfang niederen Hürde begnügen. Aber das ist heute nicht Ge- meiner Überlegungen stelle. genstand der Diskussion. Natürlich hat es seit der deutschen Wiedervereinigung Die Grundüberlegung für diese andere Legitimation Veränderungen gegeben; das weiß ich ebenfalls. Aber ist: Wenn eine Partei in einigen Wahlkreisen so stark ist, ich bin der Auffassung, dass schon die geltende Hürde dass sie die Mehrheit der dortigen Bevölkerung reprä- außerordentlich hoch ist. Dass sie so hoch ist, zeigt sich sentiert, dann soll die Partei insgesamt Berücksichtigung auch in diesem Hause. Wir haben insgesamt vier Frak- finden; denn dann vertritt diese Partei so wichtige politi- tionen, von denen es meiner eigenen nicht gelungen ist, sche Inhalte, dass diese auch im Bundestag zur Sprache ein solches Mandat zu erringen, obwohl die Partei offen- kommen sollten. Dieser Weg ist richtig, und zwar unab- sichtlich Gewicht hat und entsprechende Hürden wie die hängig davon, wie groß die Bevölkerung ist und wieFünfprozentklausel überschreiten konnte. hoch die Zahl der Wählerstimmen für die Grundmandate – egal, ob drei, vier oder fünf – ist. Wenn eine Partei drei Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Grundmandate erringt, zeigt dies, dass die entsprechende Herr Kollege van Essen, gestatten Sie eine Zwischen- Partei in bestimmten Teilen der Bevölkerung hinrei-frage des Kollegen Strobl? chend stark verankert ist. Nach dem, was der Wähler- wille ihr an Stimmen und dementsprechend an Sitzen zu- (FDP): billigt, ist sie deshalb im Bundestag vertreten. Jörg van Essen Selbstverständlich gern. Wir setzen uns deshalb für den Erhalt der drei Grund- mandate ein. Wir plädieren aber eher für eine Senkung Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): der Fünfprozenthürde; denn ich glaube nicht, dass un- Ich bedanke mich, Herr Kollege van Essen. – Nur um sere Demokratie gefährdet wäre, wenn noch eine weitere Missverständnissen vorzubeugen: Wir haben nie be- Partei – die zwar nicht von 5 Prozent der Wähler ge-hauptet, die derzeitige Regelung sei verfassungsrechtlich wählt worden ist, die aber drei Grundmandate errungen nicht in Ordnung. Sie haben völlig Recht. Das Bundes- hat – im Deutschen Bundestag vertreten wäre. verfassungsgericht hat sich dazu geäußert und dem Ge- Ihre Intention ist nicht unsere. Deshalb lehnen wir Ih- setzgeber einen – ich sage es jetzt einmal mit meinen (B) ren Gesetzentwurf ab. Wir meinen, dass wir damit der Worten – sehr weiten Ermessensspielraum zugewiesen. (D) Demokratie und den unterschiedlichen Ansätzen der de- Das heißt aber auch, dass wir als Gesetzgeber durchaus mokratischen Wahl nur Gutes antun. die Möglichkeit hätten, die Zahl der Grundmandate auf fünf anzuheben. Weder ist also die derzeitige Lage ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fassungswidrig, noch ist unser Antrag mit der Verfas- sowie bei Abgeordneten der SPD und der sung nicht in Einklang zu bringen; wir als Abgeordnete FDP) haben ein gesetzgeberisches Ermessen und in diesem Rahmen eine politische Entscheidung zu fällen. Ich Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: frage, ob Sie das zur Kenntnis nehmen, damit wir nicht Ich erteile das Wort dem Kollegen Jörg van Essen,aneinander vorbei diskutieren. FDP-Fraktion. Jörg van Essen (FDP): Jörg van Essen (FDP): Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir aneinander vorbei Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die diskutieren. Mir war nur aufgefallen, dass Sie besonders FDP-Bundestagsfraktion teilt die Auffassung, die von- intensiv auf diese Diskrepanz hingewiesen haben und seiten der SPD-Fraktion und der Fraktion des Bündnis- deshalb bei Zuhörern der Eindruck entstehen konnte: ses 90/Die Grünen vertreten wird. Das kann doch rechtlich nicht stimmen. Es gab eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht und (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: diese Überprüfung hat klar und eindeutig ergeben, dass Herzlichen Glückwunsch! – Hartmut Koschyk diese Diskrepanz verfassungsmäßig ist. [CDU/CSU]: Das ist aber nicht gut!) Sie haben allerdings Recht mit der Feststellung – und – Das ist so. Manchmal gibt es offensichtlich Gründe, das gestehe ich Ihnen ganz selbstverständlich zu –, dass die dazu führen, dass man selbst bei dieser Koalition zu wir ein gesetzgeberisches Ermessen haben. Ich versuche einer gleichen Auffassung kommt. Wenn Sie meine Ar- im Augenblick zu begründen, warum wir der Meinung gumente hören, wird es Ihnen vielleicht sogar einleuch- sind, dass wir von diesem gesetzgeberischen Ermessen ten, warum das so ist. nicht Gebrauch machen sollten. Wir meinen, es sei klug, das nicht zu tun. Herr Kollege Strobl, es hat mich sehr überrascht, dass Sie hier auf das Stimmenvolumen hingewiesen haben, Jetzt würde ich gern in meinen Ausführungen fortfah- das notwendig ist, um 5 Prozent der Stimmen auf der ei- ren. Tatsache ist: Wenn eine politische Gruppierung ir- nen Seite und drei Grundmandate auf der anderen Seite gendwo drei Grundmandate erzielt – insbesondere auch Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17003

Jörg van Essen (A) gegen die großen Parteien, die normalerweise in deneinigen, damit die so erfolgreiche Partei Mitglied des(C) Wahlkreisen die Direktmandate erringen –, dann zeigt Bundestages werden kann. Diesen Vorschlag lehnt die das, dass sie ein gewisses politisches Gewicht hat. Für PDS erwartungsgemäß ab. uns ist das ein ganz wichtigerqualifizierter Minder- heitenschutz. Demokratie lebt auch davon, dass Min- Gesine Lötzsch und ich haben jetzt fast drei Jahre derheiten sich im Parlament wiederfinden können, wenn lang als direkt gewählte Abgeordnete hier im Bundestag sie ein gewisses Gewicht erreicht haben. gearbeitet. Alle Versuche, unsere Rechte als direkt ge- wählte Abgeordnete zu stärken und unsere Arbeitsbedin- Die Vergangenheit und die bisherige Praxis in dergungen zu verbessern, sind an der Mehrheit des Bundes- Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass diese Grund- tages gescheitert. mandatsklausel offensichtlich notwendig war. Sie hat beispielsweise bei der PDS dazu geführt, dass sie 1998 Die Logik, die in diesen Debatten immer wieder ge- wegen dieser Klausel in einer größeren Stärke in dengen uns ins Feld geführt wurde, ist ganz übersichtlich: Bundestag einziehen und sich hier artikulieren konnte. Wir zwei seien keine Fraktion und dürften daher auch Bei der letzten Wahl ist das nicht gelungen. Deshalb ge- nicht die gleichen Rechte wie der direkt gewählte Abge- hört es zum Spiel der Demokratie, auch den Kräften, die ordnete Ströbele oder der direkt gewählte Abgeordnete in einzelnen Wahlkreisen offensichtlich so viele Men- Strobl für uns beanspruchen. Auch diese Logik kippt üb- schen für sich begeistern können, dass sie die Mehrheit rigens in ihr Gegenteil, wenn Sie einmal die Sicht des di- der Erststimmen in mindestens drei Wahlkreisen bekom- rekt gewählten Abgeordneten oder aber die Sicht der men, die demokratische Mitgestaltungsmöglichkeit zu Wählerinnen und Wähler, die uns mit Mehrheit in diesen geben. Das können auch Parteien des politischen Randes Bundestag geschickt haben, einnehmen; denn eigentlich sein. Dann müssen wir uns politisch mit ihnen auseinan- sind diese Wählerinnen und Wähler die Benachteiligten. der setzen. Sie werden zweitklassig behandelt und sie würden er- neut benachteiligt, wenn Sie sich nun mit Ihrem Antrag Bei meiner letzten Bemerkung geht es, wie auch beim durchsetzten und die Grundmandatsklausel auf fünf di- Kollegen Wiefelspütz, um die Frage des Stils; uns Freien rekt gewählte Abgeordnete angehoben würde. Demokraten ist das ganz besonders wichtig. Man kann eine solche Änderung nicht unmittelbar vor einer Bun- Dies zeigt: Es geht der CDU/CSU nicht um Recht, destagswahl vornehmen, insbesondere dann nicht, wenn sondern doch eher um Ungestörtheit in Zukunft. Das verschiedene Gruppierungen darauf hoffen, über diesen kann man natürlich nicht in die Begründung eines Ge- Weg in den Bundestag zu kommen. setzentwurfs schreiben. Also hat die CDU/CSU gemeint, sie wolle aus der Weimarer Republik Lehren ziehen und (Beifall bei der FDP) verhindern, dass links- und rechtsextremistische Splitter- (B) (D) parteien über die Grundmandatsklausel – Sie nennen sie Das wäre, wie ich finde, schlechter Stil. Das ist Ihnen in Ihrem Gesetzesentwurf „Trojanisches Pferd“ – in den nicht vorzuwerfen, weil Sie die neueren Entwicklungen Bundestag gelangen. Ich finde das absurd. zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht ahnen konnten. Dennoch: Auch deshalb sollte man Ihrem Entwurf heute Seit 1990 hat nur eine Partei von der Grundmandats- nicht zustimmen. klausel profitiert: Das war 1994 die PDS. Es gab seither Herzlichen Dank. keine andere Partei und es gibt derzeit auch keine andere Partei, die drei oder mehr Grundmandate gewinnen (Beifall bei der FDP, der SPD und dem könnte und die Fünfprozenthürde mehr oder weniger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans- knapp verfehlt. Es geht Ihnen also in Wahrheit darum, Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Wählerinnen und Wählern der PDS zu schaden. NEN]: Da haben Sie Recht!) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nehmen Sie sich nicht so wichtig!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat die Kollegin Petra Pau. Ich finde, das zeugt von wenig Souveränität, noch dazu kurz vor einer Wahl, die Sie ja gewinnen wollen, wenn ich das alles richtig verstehe. Petra Pau (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Dass die PDS im Bundestag das nicht unwiderspro- Bundeswahlgesetz sieht zwei Wege vor, über die eine chen lassen kann, versteht sich. Wir werden aber diesen Partei in den Bundestag einziehen kann. Entweder sie Versuch von CDU/CSU, Wählerstimmen konkurrieren- überwindet mit den Zweitstimmen die Fünfprozenthürde der Parteien kleinzurechnen, nicht hier in diesem Raum oder mindestens drei Kandidaten dieser Partei gewinnen belassen. Vor allem aber wird die PDS nun erst recht um dank der so genannten Erststimmen ihre Wahlkreise di- mindestens fünf Bundestagswahlkreise kämpfen und ge- rekt. Das Letztere nennt man Grundmandatsklausel. winnen. CDU und CSU wollen sie ändern. Geht es nach ihrem Zum Schluss: Sie hätten es in der Hand gehabt, in die- Willen, müssten künftig mindestens fünf Direktmandate ser knappen Zeit, die uns als 15. Bundestag noch ver- errungen werden, das heißt, in fünf Wahlkreisen müsste bleibt, über wichtigere Fragen wie Arbeitsmarktpolitik die jeweilige Kandidatin oder der jeweilige Kandidat die oder die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu spre- Mehrheit der abgegebenen Wählerstimmen auf sich ver- chen – schade eigentlich. 17004 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: grund, dass beispielsweise bei der Bundestagswahl 1998 (C) Frau Kollegin Pau, um Missverständnisse bei den Zu- bereits 180 000 Erststimmen ausgereicht haben, um drei hörern auszuschließen, muss ich nun doch darauf hin- Wahlkreise direkt zu gewinnen, hingegen über 2,3 Millio- weisen, dass es nach unserer Verfassung und nach der nen Zweitstimmen erforderlich waren, um über die 5-Pro- Geschäftsordnung des Bundestages ganz sicher keine zent-Klausel zu kommen, vor allem auch vor dem Hin- unterschiedlichen Rechte für jeweils direkt gewählte Ab- tergrund, dass in allen Wahlkämpfen von allen Parteien geordnete mit oder ohne Fraktionszugehörigkeit gibt. behauptet wird, die Zweitstimme sei die entscheidende Stimme, die Zweitstimme sei die Kanzlerstimme. Es ist (Petra Pau [fraktionslos]: Oh doch!) offenbar doch nicht so. DerErfolgswert einer Erst- Mit Blick auf Redezeiten gibt es ganz gewiss eine Privi- stimme ist wesentlich höher als der einer Zweitstimme. legierung von nicht Fraktionen angehörenden direkt ge- Deswegen gilt es, entsprechende Änderungen vorzuneh- wählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages. men. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Lieber Kollege Ströbele, es geht nicht darum, dass die bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Union einen Machtanspruch verteidigen will oder un- NISSES 90/DIE GRÜNEN) liebsame Parteien sozusagen aus dem Parlament drängen Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der will, es geht auch nicht darum, dass wir Parteien, die nur Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. 4,9 Prozent der Zweitstimmen erreichen, den Einzug in den Bundestag verwehren wollen, es geht um die inte- (Beifall bei der CDU/CSU) ressante Frage, ob eine Splitterpartei – ich sage das ganz bewusst –, die gerade mal drei Wahlkreise direkt erringt, Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): wirklich eine Partei von besonderer politischer Kraft ist, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten wie es dasBundesverfassungsgericht in dem Urteil Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die Debatte, die vom 10. April 1997 formuliert hat. wir am heutigen Tag führen, könnte angesichts der mit (Beifall bei der CDU/CSU) großer Wahrscheinlichkeit bevorstehenden Bundestags- wahl am 18. September nicht aktueller sein. Ich möchte In Deutschland gibt es derzeit 299 Wahlkreise. Drei an dieser Stelle gleich zu Beginn eines festhalten: Dieser Wahlkreise sind also ungefähr 1 Prozent der Wahlkreise. Gesetzentwurf ist von unszu einem Zeitpunkt einge- Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass eine Partei, die bracht worden, als noch überhaupt nicht absehbar war, nur 1 Prozent der Wahlkreise in Deutschland direkt ge- dass es möglicherweise am 18. September Neuwahlen winnt, eine Partei von besonderer politischer Bedeutung geben wird. ist. (B) (D) (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian ist es!) Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht bei dieser Debatte zum einen darum, wie ge- Drei! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ recht und wie pragmatisch unser Bundeswahlgesetz ist. DIE GRÜNEN]: Die FDP hat gar keine! Keine Es geht aber vor allem auch darum, inwiefern die Grund- Bedeutung!) sätze der Wahlrechtsgleichheit, die Chancengleichheit Das ist die grundsätzliche Frage, die wir uns stellen müs- der politischen Parteien und der gleiche Erfolgswert von sen. Stimmen zu wahren sind. Ich muss schon sagen, ich bringe der Haltung der Ich bin mit dem Bundesverfassungsgericht selbstver- FDP eine gewisse Verwunderung entgegen. Sie wissen ständlich der Auffassung, dass die heute geltende Rege- doch, dass der PDS 1994 258 000 Erststimmen gereicht lung verfassungsgemäß ist. Es geht auch gar nicht da- haben, um vier Direktwahlkreise zu gewinnen. Der Er- rum, erst verfassungsgemäße Zustände zu schaffen. folgswert einer FDP-Stimme lag damit bei nur einemNach Auffassung der Union geht es darum, dem Gleich- Zehntel des Erfolgswerts einer PDS-Stimme. heitsgrundsatz größere Bedeutung beizumessen und ihm, gerade was den Erfolgswert der Wählerstimmen, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So aber auch die Gleichbehandlung der Parteien insgesamt ist es!) anbelangt, stärker Geltung zu verschaffen. Offenbar müssen wir als Unionsfraktion im Vorgriff auf (Beifall bei der CDU/CSU) die spätere schwarz-gelbe Koalition ihre Interessen schon mit vertreten. Deshalb ist eine Anpassung der Drei-Grundmandate- Klausel unbedingt erforderlich; statt drei sollten es fünf (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl Grundmandate sein. Das gilt vor allem vor dem Hinter- [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die begreifen es grund, dass es natürlich auch um die Wahrung der Funk- nicht mal!) tionsfähigkeit des Parlaments geht. Uns allen sind die Es geht um die entscheidende Frage, ob die beiden schrecklichen Vorkommnisse in der Weimarer Republik Sperrklauseln im Bundeswahlgesetz – daraus ergibt sich, in bester Erinnerung – in Anführungszeichen –, als das welche Parteien in den Bundestag einziehen –, nämlich Parlament häufig nicht mehr handlungsfähig war. Auch die 5-Prozent-Klausel und die Drei-Grundmandate-beim Parlament in seiner jetzigen Verfassung ist frag- Klausel, noch gleichberechtigt sind – vor dem Hinter- lich, ob die Funktionsfähigkeit noch gegeben ist. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17005

Stephan Mayer (Altötting) (A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann Flügeladjutanten, die sich nicht gleich im Blickfeld be- (C) Sie nur auffordern, unseren Gesetzentwurf zu unterstüt- fanden, ergibt sich als tatsächliches Mehrheitsverhältnis: zen, und hoffe auf Ihre Zustimmung. 19 Ja-Stimmen zu 22 Nein-Stimmen. Damit müsste ei- gentlich jede weitergehende Ambition des Geschäftsfüh- (Beifall bei der CDU/CSU) rers der SPD-Fraktion erledigt sein.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ich sehe im Präsidium Ich schließe die Aussprache. keine Einigkeit! Das sieht man von hier aus eindeutig! – Gegenruf des Abg. Hartmut Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Koschyk [CDU/CSU]: Ihr habt doch jetzt ge- wurf der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Bun- wonnen!) deswahlgesetzes zur Korrektur der Grundmandatsklau- sel auf Drucksache 15/4718. Der Innenausschuss– Da der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD mit empfiehlt auf Drucksache 15/5664, den Gesetzentwurf der Feststellung des amtierenden Präsidenten, dass sich abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf nach genauem Nachzählen eine Mehrheit für die Ableh- zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt nung ergeben hat, nicht einverstanden ist, beziehe ich dagegen? – Enthaltungen? mich gerne auf die von ihm vermutete Unstimmigkeit im Präsidium und lasse das Stärkeverhältnis durch Ham- (Zurufe von der CDU/CSU: Das war die melsprung feststellen. Mehrheit!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Der Gesetzentwurf ist ganz ohne Zweifel mit Mehrheit Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Herr Küster, angenommen. Parlamentarischer Geschäftsführer h. c.!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster Wir werden also die Sitzung für einige Minuten unter- [SPD]: Nein! Nein! – Zuruf von der CDU/ brechen und dann den gewünschten Hammelsprung CSU: Die FDP hat sich enthalten! – Hartmut durchführen. Es gibt dazu ja in dieser Legislaturperiode Koschyk [CDU/CSU]: Schlussabstimmung, nicht mehr ganz so viele Gelegenheiten. Der Hammel- Herr Präsident!) sprung gehört offenkundig zu den Aktivitäten, die man Zur Geschäftsordnung hat sich der Kollege Küster zu sich von Zeit zu Zeit gönnen muss. Um den Hammel- Wort gemeldet. Er erhält selbstverständlich das Wort. sprung durchführen zu können, müssen alle Mitglieder des Hauses den Saal verlassen und sich in der bekannten Weise dieser eindrucksvollen Zeremonie im Foyer aus- Dr. Uwe Küster (SPD): setzen. (B) Das ist schön, Herr Präsident. – Weil das unsicher ist, (D) beantrage ich, dass die Stimmen richtig schön ausgezählt Ich unterbreche die Sitzung. werden. (Unterbrechung von 15.37 bis 15.48 Uhr)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das können wir gerne tun, zumal wir eine übersichtli- Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. che Besetzung haben. Die Schriftführer geben mir das Zeichen, dass die Tü- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Entsprechend der Ge- ren besetzt sind und dass wir mit der Durchführung des schäftsordnung haben wir da nur eine Regel: Hammelsprungs beginnen können. Ich eröffne hiermit bei Unsicherheit Hammelsprung! Ich möchte die Abstimmung. gerne, dass sie eingehalten wird! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es Ich bitte die Schriftführer an den Türen, mir einmal zu muss geschätzt werden oder, wenn Unsicher- signalisieren, ob sich noch Kollegen in der Lobby auf- heit herrscht, ein Hammelsprung durchgeführt halten. – Ich mache darauf aufmerksam, dass wir in zwei werden! – Gegenruf des Abg. Thomas Strobl Minuten die Abstimmung abschließen werden. Darauf [Heilbronn] [CDU/CSU]: Es gibt doch keine sollten sich bitte sowohl die Fraktionen als auch die Unsicherheit! Es ist doch eindeutig! Es ist Schriftführer einstellen. doch eine Schau, die Sie hier abziehen!) Ich bitte nun die Schriftführer, die Türen zu schließen – Es besteht doch gar kein Grund zur Aufregung. und das Abstimmungsergebnis festzustellen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von GRÜNEN]: Im Präsidium herrscht Uneinig- den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Er- keit!) gebnis der Abstimmung über den Gesetzentwurf in zweiter Lesung bekannt. Mit Ja haben gestimmt – Nein, nein. 157 Mitglieder des Hauses, mit Nein 268. Wir haben doch hier im Unterschied zu Hammel- (Beifall bei der SPD) sprüngen, bei denen die Feststellung der tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse etwas komplizierter ist, eine über- Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abge- schaubare Besetzung. Wir haben jetzt gerade noch ein- lehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt somit die mal nachgezählt. Unter Berücksichtigung auch mancher weitere Beratung. 17006 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die wieder in losigkeit. Aber drei Monate sind in vielen Fällen die(C) ihre Ausschüsse wollen und müssen, den Plenarsaalganz normale Sucharbeitslosigkeit. möglichst zügig zu verlassen, damit ich den nächsten Ta- Sie sehen: Die Maßnahmen der Bundesregierung wir- gesordnungspunkt nicht nur aufrufen kann, sondern wir ken. Von März bis Mai dieses Jahres ist die absolute über das Thema auch unter angemessenen Bedingungen Zahl arbeitsloser junger Menschen um mehr als 96 000 verhandeln können. gesunken. Das ist mit Abstand der größte Rückgang seit Inzwischen sind auch wieder hinreichend Sitzplätze 1997. Deshalb werden wir unsere Politik, die der Jugend für alle vorhanden, Vorrang und Vorfahrt einräumt, konsequent fortsetzen. (Heiterkeit) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) von denen ich Gebrauch zu machen bitte, weil dies die Junge Menschen brauchen beim Einstieg in das Be- Übersicht in der Debatte enorm fördert. rufsleben eine echte Chance. Die mit dem Ausbildungs- pakt bereits im ersten Jahr erzielten Erfolge zeigen, dass Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: wir auf dem richtigen Weg sind. Die Wirtschaft hat im Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- letzten Jahr zugesagt, 30 000 neue Ausbildungsplätze richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit einzuwerben, konnte diese Zahl allerdings mit 59 000 (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der Plätzen übertreffen und fast verdoppeln. Mit dem Son- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN derprogramm zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher, mit dem wir den Ausbildungspakt durch einen Zuschuss Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschan- des Bundes zur monatlichen Vergütung und die Über- cen für Jugendliche in Deutschland stärken nahme der Sozialversicherungsbeiträge flankieren, – Drucksachen 15/5255, 15/5394 – konnten wir bereits im ersten Anlauf 17 000 jungen Menschen eine Chance im Betrieb geben. Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Meckelburg Die ersten Erkenntnisse aus der Begleitforschung stimmen optimistisch, dass diese Brücke in Berufsbil- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist fürdung und Berufsausbildung in vielen Fällen in einen diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu Ausbildungsvertrag mündet. Im Idealfall kann deshalb höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- die nachfolgende Ausbildung verkürzt werden. Auch in sen. diesem Jahr bedarf es des gleichen Engagements aller, um allen Schulabsolventen, die eine Ausbildung suchen, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst eine Chance zu geben. Deshalb appelliere ich an alle Ar- (B) für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatsse- (D) beitgeber: Gebt jungen Menschen eine Perspektive und kretär Gerd Andres. bildet aus!

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten minister für Wirtschaft und Arbeit: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undNur so erhalten die Betriebe die Fachkräfte von morgen Herren! Junge gut ausgebildete Menschen sind die Zu- und nur so kann Deutschland seinen Vorteil im interna- kunft unseres Landes. Nur so schaffen wir die Basis für tionalen Wettbewerb, den das duale System bietet, kon- den Erhalt der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. sequent nutzen. Vieles wurde erreicht, aber die Herausforderungen in ei- ner alternden Gesellschaft bleiben groß. Wir brauchen Dass wir auf dem richtigen Weg sind, hat zuletzt auch und haben einen umfassenden Ansatz. Dieser reicht von der Tag des Ausbildungsplatzes am 30. Mai gezeigt. verbesserten Betreuungsangeboten für Kleinkinder, dem An diesem Tag haben die Mitarbeiter der Bundesagentur Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen bis hin zum Aus- für Arbeit bundesweit über 14 000 Ausbildungsplätze bildungspakt und den Arbeitsmarktreformen der letzten eingeworben. In Industrie, Handel und Handwerk sind Jahre. bereits jetzt fast 20 000 neue Ausbildungsverträge regis- triert. Der Umbau der Bundesagentur zu einem modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt stärkt insbesondere die Um Betrieben, die allein nicht ausbilden können, Hil- Vermittlung. Für die jungen erwerbsfähigen, hilfebe- festellung zu geben, wird mit dem Programm „Jobstar- dürftigen Menschen unter 25 steht mittlerweile ein Per- ter“, für das 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen, sonalschlüssel von 1 : 75 zur Verfügung. Die Zeiten, in insbesondere durch die Förderung von Ausbildungsver- denen sich ein Vermittler um 300 bis 400 junge Men-bünden ein nachhaltiger Beitrag zur Schaffung zusätzli- schen kümmern musste, gehören der Vergangenheit an. cher Ausbildungsplätze geleistet. Mit der unveränderten Fortführung des Bund/Länder-Ausbildungsprogramms (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ost mit 14 000 Plätzen begegnen wir der nach wie vor des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schwierigen Situation in den neuen Ländern. Gemein- sam werden wir den Ausbildungspakt auch in diesem Wir haben das Ziel, die Dauer der Jugendarbeitslosigkeit Jahr zum Erfolg führen. bis zum Jahresende auf unter drei Monate zu reduzieren, vor Augen; das werden wir auch erreichen. Ich füge Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Rahmen hinzu: Die beste Zeit ist natürlich die Zeit ohne Arbeits- der Arbeitsförderung stehen in diesem Jahr für junge Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17007

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) Menschen rund 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Im rige ein. Außerdem sollen Ausbildungsverbünde in (C) Durchschnitt des Jahres 2004 haben davon 587 000 Ju- Ostdeutschland gefördert werden. gendliche profitiert. Schwerpunktmäßig werden damit Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsmaßnahmen für Aus, vorbei, nicht mehr! Jetzt will ich wirklich nicht benachteiligte und behinderte junge Menschen finan- allzu ironisch sein, aber dass arbeitslose Jugendliche bei ziert. Die Bundesagentur für Arbeit leistet damit einen diesem „handfesten“ Programmpunkt vor Begeisterung erheblichen Beitrag zur Umsetzung des Ausbildungs- mit Mut und Zuversicht vom Hocker springen, das be- paktes, aber auch zur Bewältigung der zweiten Schwelle, zweifle ich. des Übergangs von der Schule in die Ausbildung. Sie Deshalb komme ich auf die Entwicklungen der letz- wird ihre ausbildungsfördernden Maßnahmen, wie zuge- ten Monate zu sprechen: In der ersten Lesung dieses An- sagt, auf dem Niveau des Jahres 2003 fortsetzen. trags von Rot-Grün am 14. April 2005 habe ich in mei- ner Rede die richtige Prognose abgegeben: Die Aber ich füge hinzu: Ohne eine bessere Förderung, die bereits in der Schule beginnen muss, werden wir die Bürgerinnen und Bürger von NRW, vor allem auch die junge Generation, die junge Bürgerschaft, hat Zukunft, Probleme nicht nachhaltig lösen können. Rund ein Vier- hat den Wechsel und hat damit die Union gewählt. Da- tel der arbeitslosen Jugendlichen, die Leistungen der Grundsicherung erhalten, haben keinen Schulabschluss. mals habe ich noch wildesten Protest auf Ihrer Seite ge- hört. Heute kommt fast kein Zwischenruf – also ergeben Die Bundesagentur für Arbeit und die Träger der Grund- Sie sich in Ihr Schicksal. sicherung leisten durch ihre aktive Arbeitsförderung mehr, als ihnen nach der grundgesetzlichen Aufgabenzu- Ganz interessant ist auch, dass bei dieser Debatte von- ordnung zukommt. seiten der Grünen nicht einmal die Mitglieder des zu- ständigen Jugendausschusses anwesend sind – auch eine Sie finanzieren berufsvorbereitende Maßnahmen ein- interessante Variante, über Jugend und die junge Genera- schließlich des Nachholens des Hauptschulabschlusses, tion zu reden. praxisnaher Qualifizierung, Eingliederungszuschüssen und, als letzte Möglichkeit, der Beschäftigung in Ar- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE beitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnah- GRÜNEN]: Dafür bin ich ja da!) men. Diese Anstrengungen bedürfen der Unterstützung vieler vor Ort, um zu nachhaltiger Beschäftigung zu füh- – Gut, Herr Ströbele, es heißt „Ausschuss für Familie, ren. Hier kann jeder seinen Beitrag leisten. Der Pakt für Senioren, Frauen und Jugend“. die Jugend darf nicht an unterschiedlichen Vorstellungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – über die richtigen Verwaltungszuständigkeiten scheitern. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (B) (Beifall bei der SPD) GRÜNEN]: Vorsicht! Keine Altersdiskrimi- (D) nierung!) Gemeinsam sollten wir allen jungen Menschen eine Chance auf Ausbildung oder Arbeit geben. Die Wahl in NRW hat die politische Landschaft in diesem Lande verändert: Die Wählerinnen und Wähler, Herzlichen Dank. die Jugendlichen, haben Rot-Grün die rote Karte ge- zeigt; das rot-grüne Experiment wurde auf Landesebene (Beifall bei Abgeordneten der SPD) endgültig abgewählt und steht auch im Bund vor dem Aus. Wenn man Ihr Verhalten jetzt beim vorletzten Ta- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: gesordnungspunkt sieht, dann wird deutlich, dass Sie Das Wort hat nun Kollege Dr. Andreas Scheuer,schon bei eigenen Anträgen Ihre Mehrheit anzweifeln – CDU/CSU-Fraktion. auch eine interessante Variante hier im Parlament. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schon die Ankündigung vonNeuwahlen durch Müntefering und Schröder hat eine Aufbruchstimmung in unserem Land und bei der jungen Generation ausge- Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): löst. Auch wenn der Bundeskanzler nicht seine mit ge- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! wissen Schwierigkeiten behaftete Politik durchbringen Wir debattieren heute über Aufbruch und Perspektiven will, bitten wir ihn aus vollem Herzen, wenigstens Neu- der jungen Generation in unserem Land. Wenn man sich wahlen in Deutschland umzusetzen, damit wir die Si- als arbeitsloser Jugendlicher auf derHomepage der gnale im September 2005 auf Zukunft stellen können. Bundesregierung informieren möchte, um den Auf-Ich kann Bundeskanzler Schröder nur empfehlen: Wäh- bruch und die Perspektiven mit klaren politischen Plänen len Sie für die Bundesregierung den Slogan „Wir ma- und Entscheidungen der Politik nachvollziehen zu kön- chen den Weg frei“. nen, klickt man auf das 20-Punkte-Programm der Bun- desregierung. Dann muss man sich über einzelne Punkte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wie beispielsweise das 2-Gebäudesanierungspro- CO der FDP) gramm vorarbeiten, um schließlich zu dem Unterunter- punkt „Bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ zu kom- Jugendliche Bürgerinnen und Bürger sehen das. Ich men. Dann wieder ein kleiner Spiegelstrich: habe gerade eine Besuchergruppe, eine zehnte Klasse, betreut. Wenn man mit ihnen spricht, dann spürt man die Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit setzt Sorgen dieser jungen Generation. Nun werden wir, die eine erhöhte Vermittlungsaktivität für unter 25-Jäh- Opposition, immer dafür kritisiert, dass wir über die 17008 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Dr. Andreas Scheuer (A) nicht allzu rosige Grundstimmung in Deutschland reden. die Voraussetzungen für mehr Wachstum (C) und Aber das ist die Realität und wir sind nicht im Deutschen Beschäftigung geschaffen und somit die Reformen Bundestag, um ein Wunschkonzert aufzuführen, sondern am Arbeitsmarkt in ein Gesamtkonzept eingebettet um Perspektiven und Aufbruch wirklich zu vermitteln. hat; … Dazu fehlt Ihnen die Kraft, meine Damen und Herren von Rot-Grün. Auf die Fragen „Wo liegt eure Zukunft?“, Das ist ein schöner Satz. Wenn ich mir die Zahlen der „Welche Ausbildung wollt ihr machen?“ hat dieseJugendarbeitslosigkeit anschaue, weiß ich aber nicht, ob zehnte Klasse Antworten gegeben, bei denen man spü- Sie die momentane Situation in Deutschland damit rich- ren konnte, dass zu den prägenden Erfahrungen dieser tig einschätzen. Jugendlichen auch diese nicht allzu rosige Grundstim- Sehr geehrte Damen und Herren von Rot-Grün, Sie mung, die wir momentan haben, gehört. widersprechen sich am laufenden Band. Der Arbeit su- (Erika Lotz [SPD]: Bei der Rede ist das kein chende Jugendliche kann sich bei Ihnen derzeit gerade Wunder!) nicht zwischen Heuschrecken und Lohnerhöhungen ent- scheiden. Er brauchte erst einmal einenAufschwung, Am Ende von sieben Jahren rot-grüner Regierungs- um in Arbeit zu kommen. Herr Staatssekretär, Sie bewei- verantwortung versuchen Sie mit IhremAntrag „Auf- sen das ja: Hier danken Sie den Unternehmern und de- bruch und Perspektiven – Zukunftschancen für Jugend- nen, die ausbilden, und auf der anderen Seite frotzelt Ihr liche in Deutschland stärken“, die Wogen zu glätten, um Fraktionsvorsitzender gegen genau diese, die die Ausbil- noch einmal um letztes Vertrauen bei den Jugendlichen dungsplätze zur Verfügung stellen wollen, und bezeich- zu werben. Mit diesem Antrag erreichen Sie genau das net sie als Heuschrecken. Gegenteil. Hier tritt eine kraftlose, ideenlose und per- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. spektivlose Politik zutage: mit viel Schönreden, viel Klaus Haupt [FDP]) Prosa, aber nichts Konkretem. Umso peinlicher ist es, dass Kollegen im zuständigen Jugendausschuss mit ei- Vertrauen werden Sie so nicht gewinnen. Der Arbeits- nem Augenzwinkern hinter vorgehaltener Hand bestäti- markt sieht nicht nur für den Schulabgänger ohne abge- gen, dass dieser Antrag nix G’scheites ist, wie man es schlossene Schul- und Berufsausbildung, sondern mitt- auf gut Bayerisch ausdrückt. lerweile auch für den Jungakademiker, der sich als Dauerpraktikant verdingt, nicht rosig aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. [CDU/CSU]: Das war Dies sind die Realitäten der jungen Generation. Mit hochdeutsch!) Ihrer technologiefeindlichen Politik treiben Sie die gut Ausgebildeten aus dem Land. Die entscheidenden Zu- Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ich frage (B) kunftsmärkte werden mit jungen Deutschen erschlossen, (D) Sie: Welche Chancen wollen Sie in den Tagen, in denen aber leider nicht mehr in Deutschland, sondern dort, wo Ihr Kanzler um Ihr Misstrauen ringt, vermitteln und um dieses Potenzial mit offenen Armen empfangen und welches Vertrauen wollen Sie werben? 600 000 arbeits- nicht durch eine übermäßige Bürokratie gegängelt wird. losen Jugendlichen wird dies nichts helfen. Heute, da die Ich erinnere nur an die heutige Beratung im Ausschuss, Entwicklung wissenschaftlich und technisch weitergeht wo es um das Antidiskriminierungsgesetz ging. und immer schneller fortschreitet, müsste die junge Ge- neration mit diesen Chancen, Perspektiven und Heraus- Ihr Kollege Schartau spricht von einem pauschalen forderungen, die durch viele Zukunftstechnologien auf Jugendwahn am Arbeitsmarkt. Das geht an der Realität die Zukunft ausgerichtet sind, eigentlich arbeiten kön- vorbei. Die Arbeitslosigkeit betrifft alle Generationen nen. Das Plus des Standortes Deutschland war immer, und Bildungsschichten. Eines bestätigen diese Äußerun- dass wir das, was wir teurer waren, auch ein weniggen aber: Immer, wenn Sie mit Ihrer Allheilwaffe nicht schneller, flexibler und besser als die anderen waren.weiterkommen, gibt es einen, der dem anderen nichts Das war immer unser Standortvorteil. gönnt: die Jungen den Alten nicht, die Unternehmer den Arbeitern nicht usw. Sie betreiben immer eine Politik Sie schließen die junge Generation von dieser Palette mit Gegensätzen. Das ist der falsche Weg. an Möglichkeiten aus, weil Ihre Politik zukunftsfeind- lich ist und weil Sie einen Antrag nur um des Antrags Wir werden herausarbeiten müssen, dass wir in willen hier einbringen. Er ist ein Sammelsurium von be- Deutschland keine Ansammlung von Ich-AGs, die Sie kannten Behauptungen, Absichtserklärungen und jüngs- befürworten, sondern eine Wir-AG Deutschland brau- ten Abkommen. Er wird auf nur wenige Worte reduziert: chen, um Deutschland mit einem gesellschaftspoliti- Die Agenda 2010 wirkt, ihr werdet alle gerettet. Nein, schen Kraftakt wieder fit zu machen und damit die Ab- die junge Generation braucht mehr: mehr an Perspekti- stiegsfahrt unseres Landes nach sieben Jahren Rot-Grün ven, mehr an Chancen, mehr an Aufschwung und somit ins Gegenteil zu verkehren. auch ein Mehr an Beschäftigung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Haupt [FDP] – Peter Dreßen [SPD]: Klaus Haupt [FDP]) Warten wir mal ab, Junge!) In Ihrem Antrag steht: Tatsache ist, dass immer weniger Jugendliche Gele- genheit erhalten, auf dem Arbeitsmarkt Tritt zu fassen. Der Deutsche Bundestag begrüßt und stellt fest, dass: … die Bundesregierung mit der Agenda 2010 (Peter Dreßen [SPD]: Das ist endlich wahr!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17009

Dr. Andreas Scheuer (A) Herr Staatssekretär, darüber dürfen auch keineWarte- keiner ein Konzept zur Jugendpolitik vorgelegt. Die(C) schleifen bei der Berufsvorbereitung hinwegtäuschen. CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dazu eine entspre- Es ist viel geschehen, aber es gibt immer noch Warte- chende Anfrage eingebracht. Die Antwort auf diese schleifen. Das kann uns nicht zufrieden stellen. Der eine Große Anfrage enthält sehr viele Allgemeinplätze. Wir Teil scheitert an der von Ausbildungsbetrieben zuneh- haben nicht danach gefragt, wie das SPD-Parteipro- mend beklagten mangelnden Ausbildungsfähigkeit, der gramm aussieht, sondern was Sie für Perspektiven eröff- andere Teil an den Fesseln des Arbeitsmarktes. Bünd- nen wollen. Das wird in Ihrer Antwort auf die Große An- nisse wie der Pakt für Arbeit leisten einen wichtigen Bei- frage „Jugend in Deutschland“ wirklich nicht klar. trag, einem Teil der Jugendlichen Perspektiven und Sie brauchen auch keinen Gegensatz zwischen Regie- Chancen zu geben. rung und Opposition aufzumachen, wenn Sie darüber Den ausbildenden Betrieben sei an dieser Stelle aus- diskutieren, wie man die Chancen erhalten will. Regie- drücklich Dank gesagt. Ich bestärke sie in ihren Bemü- rung und Opposition in diesem Haus unterscheiden sich hungen, Jugendliche auszubilden. darin, dass wir Chancen ausbauen wollen. Diese Per- spektive und diese Hoffnung fehlt der jungen Generation (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bei Ihrer Politik. Die junge Generation kennt diesen Un- terschied genau. Vor der Bundestagswahl werden wir ein Ich denke, die Vertreter des Mittelstandes als Rückgrat Angebot machen, um Deutschland wieder fit zu machen. der Berufsausbildung würden unter besseren wirtschaft- Wir stehen für Eigenverantwortung statt Verstaatlichung, lichen Verhältnissen gern mehr ausbilden. für Entscheidungsfreiraum statt Bevormundung, für Sehr geehrte Damen und Herren von Rot-Grün, neh- Werte statt Beliebigkeit, für Strukturreformen statt men Sie bitte zur Kenntnis, dass in Insolvenz befindliche Hemmnisse und für Aufstiegstatt eines weiteren Ab- Unternehmen auch unter Androhung von Zwang nicht stiegs mit Rot-Grün. ausbilden werden und können. Herzlichen Dank. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Von welchem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Antrag reden Sie?) Die wirtschaftliche Lage muss sich bessern. Damit Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: werden auch Perspektiven eröffnet. Ein künftiges För- Nächste Rednerin ist die Kollegin Anna Lührmann, dern und Fordern macht nur Sinn, wenn arbeitsmarktpo- Bündnis 90/Die Grünen. litische Maßnahmen mit wirtschaftspolitischen Verände- rungen einhergehen und Synergien bilden. Erst dann Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) wird es möglich sein, den Arbeitsuchenden aller Genera- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ju- (D) tionen ein Angebot für Beschäftigung zu machen. gendlichen eine Perspektive zu geben heißt, ihnen einen Das jetzt festgelegte Verhältnis von 1 : 75 bei derZugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Trotz einiger Arbeitsvermittlung ist zwar ein guter Anfang. Aber ein eben beschriebener Erfolge sind in Deutschland noch guter Verwalter wird dadurch noch nicht sofort zu einem immer etwa 570 000 Jugendliche ohne Job. Das sind guten Vermittler. Protokolle von Arbeitslosen aus dem 570 000 Jugendliche zu viel. Internet – ich kann Ihnen das gerne zur Verfügung stel- Woran liegt es, dass wir dieses Problem noch immer len –, die ein Beratungsgespräch wiedergeben, vermit- nicht in den Griff bekommen? teln den Eindruck, man sei im falschen Film. Das, was in den Protokollen steht, ist teilweise dramatisch. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: An Rot- Grün!) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Deswegen haben wir ja auch gehandelt!) Dazu hat gestern das Institut für Arbeitsmarkt- und Be- rufsforschung aus Nürnberg eine Studie vorgelegt. Aus Ein junger Akademiker, der das Protokoll eines Bera- dieser Studie geht klar hervor: Je höher Quali- die tungsgesprächs im Internet zur Verfügung gestellt hat, fikation der Menschen ist, umso geringer ist ihr Risiko, kommt zu dem Schluss: Ich kümmere mich besser selber keinen Job zu bekommen. Besonders bei Jugendlichen um einen Job, weil ich von euch nicht vermitteltist dies das Problem. Fast die Hälfte aller arbeitslosen werde. – Es darf nicht sein, dass sich unter den Arbeits- Jugendlichen hat keine abgeschlossene Berufsausbil- losen eine Stimmung der Perspektivlosigkeit breitdung. Das heißt, Bildung ist der Schlüssel für den Zu- macht. Quantität ist also nicht gleich Qualität. Wir müs- gang zum Arbeitsmarkt. sen Verschiedenes anpacken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Bundesministerin Bulmahn hat bei der ersten und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Andreas Lesung und auch vorhin gesagt: Wer über Jugend und Scheuer [CDU/CSU]) Zukunft spricht, muss vor allem auch zuhören können. – Bildung fängt schon in der Schule an. Deutsche Schu- Man muss als Politiker aber auch dorthin gehen, wo man len qualifizieren vor allen Dingen Kinder aus sozial sich nicht öffentlichkeitswirksam präsentieren kann, zu schwachen Familien momentan nicht ausreichend für den Brennpunkten. Die Mitglieder der CDU/CSU-Bun- den Arbeitsmarkt. destagsfraktion haben in der Debatte zurGroßen An- frage „Jugend in Deutschland“ das Thema Zukunfts- ( [CDU/CSU]: Wer hat denn chancen auf die Tagesordnung gebracht. Von Ihnen hat 20 Jahre regiert?) 17010 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Anna Lührmann (A) In der Schulpolitik braucht es daher vernünftige pädago- fördert der Staat derzeit über 17 000 Jugendliche mit(C) gische Konzepte, mehr Zeit und auch mehr Mittel. Die Einstiegsqualifizierungsprogrammen. Dieses Jahr will Bundesregierung hat das erkannt; denn mit demGanz- sie für Ausbildung das Programm „Jobstarter“ in Höhe tagsschulprogramm stellen wir 4 Milliarden Euro für von 100 Millionen Euro auflegen. Das tut sie, weil die mehr Zeit für die Bildung zur Verfügung. Wirtschaft ihren Teil der Abmachung nicht umfassend einhält. Es fehlen nämlich immer noch 170 000 Ausbil- Die Union hingegen blockiert an allen Ecken und En- dungsplätze in Deutschland. den. Dazu drei Beispiele: (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Diese bö- Erstens. Mein Heimatland Hessen hat bisher erst sen Heuschrecken!) 10 Prozent der ihm zur Verfügung stehenden Mittel für Ganztagsschulen abgerufen. Allerdings kommt der Mittelstand seiner Verpflich- tung nach. Vor Ort gibt es ganz viele engagierte kleine (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/und mittlere Unternehmen, die alles tun, um ihren Ju- DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie dazu, Herr gendlichen eine Perspektive zu geben, und die ihrer Ver- Scheuer? – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wa- antwortung gerecht werden. rum wohl?) (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Der Staats- Zweites Beispiel: Eigenheimzulage. Wenn Sie der sekretär hat aber etwas anderes gesagt!) Abschaffung der Eigenheimzulage schon jetzt zuge- stimmt hätten, anstatt zu sagen, Sie wollten eventuell ir- Wer hingegen wie die Unternehmensverbände ständig gendwann einmal die Eigenheimzulage – am besten zur nach weniger Staat und weniger Steuern ruft, gleichzei- Entlastung der Spitzenverdiener – abschaffen, dann hät- tig aber keine Verantwortung für die Gesellschaft und für ten die Länder jetzt 2 Milliarden Euro mehr zur Verfü- die Jugendlichen übernehmen will, der lässt die Jugend- gung und könnten damit 160 000 dringend benötigtelichen im Regen stehen. Lehrerstellen schaffen. Das nenne ich Mauern auf Kos- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten der Zukunft von Jugendlichen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alle Teile der Gesellschaft müssen ihre Verantwor- und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ tung für Jugendliche übernehmen, die Politik, aber auch CSU]: Wie viele Lehrer hat denn Hessen zu- die Wirtschaft, wo sie kann. Eine Zukunftsperspektive sätzlich eingestellt nach der Regierungsüber- eröffnen wir Jugendlichen vor allen Dingen durch ein nahme, Frau Lührmann? Sagen Sie das doch klares Konzept mit einer klaren Prioritätensetzung für (B) mal!) Bildung und Forschung und nicht für Hirschgeweihe (D) und Beton. Noch ein drittes Beispiel, auch wieder aus meinem Heimatland Hessen, weil man daran schön sehen kann, (Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Nehmen Sie was eine absolute Mehrheit der CDU alles anrichten doch das Wort „Ausbildung“ mal in den kann: Die Hessische Landesregierung hat kürzlich be- Mund! Das wäre gut!) schlossen, das Erbacher Schloss zu kaufen. Der Kauf- preis beträgt 13,3 Millionen Euro, was Sie vielleicht als Deswegen hoffe ich, dass auch nach der Neuwahl Schnäppchen bezeichnen. Bundesmittel nicht für unsinnige Dinge wie das Erba- cher Schloss, sondern, wie wir es vorhaben, für Ganz- (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Worüber reden tagsschulen ausgegeben werden. Sie denn hier eigentlich?) Vielen Dank. Das Erbacher Schloss zeichnet sich vor allen Dingen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch seinen Prunksaal von europäischer Bedeutung mit und der SPD) kolossalen und abnormalen Hirschgeweihen aus, ein ganz wichtiger Punkt. Es ist ganz klar: Die Union steht für Hirschgeweihe und Betonstatt für Zukunft, meine Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Damen und Herren. Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Haupt, FDP- Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sind Sie noch ganz dabei?) Klaus Haupt (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Nach der Schule – wie wir eine bessere Schulpolitik Jugendliche sind Ausbildung und Arbeit mehr als nur machen, habe ich eben erläutert – muss den Jugendli- Grundlage für ein wirtschaftlich unabhängiges Leben. chen ein Ausbildungsplatz angeboten werden. Deswe- Sie haben auch zentrale Bedeutung für die Identitätsfin- gen hat die Bundesregierung mit der Wirtschaft einen dung, die Selbstverwirklichung und die Selbstbestim- Pakt für Ausbildung abgeschlossen. Die Bundesregie- mung. rung hat ihren Teil der Abmachung eingehalten. Statt die Ausbildungsplatzumlage einzuführen, Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik. Eine Gesell- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Abgabe!) schaft kann es sich nicht leisten, dass jungen Menschen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17011

Klaus Haupt (A) der Einstieg in das Arbeitsleben verwehrt bleibt und de- – Ihr Lachen beweist, dass Sie die gesamtwirtschaftli-(C) ren kreatives Potenzial und Arbeitskraft brachliegen. chen Zusammenhänge nicht erkennen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Die FDP will Beschäftigung und Ausbildung im ersten Wir müssen dringend die Voraussetzungen bei den Ju- Arbeitsmarkt. Aber wir wissen: Der Arbeits- und Aus- gendlichen selbst verbessern. Das geht nur mit einem bildungsmarkt sieht für Jugendliche finster aus. Rot-Bildungssystem mit flexibleren Strukturen, kürzeren Grün hat mit Hartz IV nicht nur den Arbeitslosen, son- Ausbildungszeiten und höheren Qualitätsstandards. So- dern auch den Jugendlichen viel versprochen: Jugend- wohl Hochbegabte als auch Lern- und Leistungsschwa- liche haben einen Anspruch auf Vermittlung einer Ar- che müssen gezielter als bisher gefördert werden. beits- oder Ausbildungsstelle. Laut Wirtschaftsminister Clement sollten alle Jugendliche ein Angebot bekom- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) men, das die Chance bietet, in Ausbildung oder Arbeit Es ist höchste Zeit für einen Wechsel, damit die junge integriert zu werden. Dennoch waren Ende Mai 2005Generation in Deutschland wieder Perspektiven und Zu- 568 000 Jugendliche unter 25 Jahren ohne Stelle. kunftschancen bekommt. (Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm!) Danke. Die Bundesagentur für Arbeit will in diesem Jahr fast (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 7 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendar- beitslosigkeit ausgeben. Insgesamt 1 Million Euro will die Behörde 2005 für Fördermaßnahmen zugunsten von Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Frauen und Männern aufbringen, die jünger als 25 Jahre Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist sind. Kein Jugendlicher soll bis Jahresende länger alsdie Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion. drei Monate arbeitslos sein. Doch bei den Eingliederungsvereinbarungen hinkt die Karin Roth (Esslingen) (SPD): BA gnadenlos dem Zeitplan hinterher. Junge Menschen Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- – vor allem Benachteiligte – brauchen Zugang zu Arbeit nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem und Beschäftigung. Mehr als zwei Drittel der Betroffe- Antrag der Koalition der SPD und des Bündnisses 90/ nen bringen keine Ausbildung mit; etwa ein Drittel hat Die Grünen zu den Zukunftschancen für Jugendliche nicht einmal einen Schulabschluss. Die Bundesagentur wollen wir die Verantwortung des Staates für Bildung (B) für Arbeit scheint jedoch mehr mit sich selbst und dem und Beschäftigung der Jugendlichen dokumentieren.(D) Umbau ihrer Verwaltung als mit den jungen Arbeitslosen Denn wir wissen, dass Arbeitslosigkeit gerade bei jun- beschäftigt zu sein. gen Menschen zum Verlust von Selbstvertrauen und Mo- tivation führt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Dokumen- Staatliche Beschäftigungsprogramme oder eine öf- tieren alleine hilft aber nicht!) fentliche Ausbildung über den Bedarf hinaus verschie- ben das Problem nur, statt es zu lösen. Denn nach dem Wir lassen die Jugendlichen eben nicht im Stich; viel- Ende der Ausbildung werden viele Jugendliche erneut mehr haben wir durch unsere Reformen im Bereich Aus- arbeitslos, wenn der Staat sie nicht übernehmen kannbildung und Bildung dazu beigetragen, dass sich die Ar- und es auf dem privaten Arbeitsmarkt keine Nachfrage beitsmarktchancen der Jugendlichen verbessert haben. nach ihrer Qualifikation gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist nicht damit getan, immer nur mit heißer Nadel gestrickte rot-grüne Sofortprogramme für Jugendliche in Wir haben 100 000 Jugendlichen mit dem von uns ein- die Welt zu setzen. Chancenlosigkeit und Perspektivlo- geführten Rechtsanspruch auf Beschäftigung und Qua- sigkeit bilden den Nährboden für rechts- und linksradi- lifizierung kurzfristig eine neue Chance gegeben. Die kale Rattenfänger. Zahl der jugendlichen Arbeitslosen ist inzwischen nied- riger als noch zu Jahresbeginn. Es ist richtig, dass die Mich sorgt die Abwanderung gerade junger Hoff-Zahl immer noch zu hoch ist. Am Jahresende wird sich nungsträger in den neuenBundesländern, die zur Ver- aber zeigen, ob die von uns eingeleiteten Maßnahmen greisung ganzer Regionen führt. Wir brauchen vielmehr von den Jugendlichen in Anspruch genommen werden. einen grundlegenden Wandel hin zu Rahmenbedingun- gen, in denen die Jugendlichen Chancen haben, ihre Wir haben in den letzten Wochen und Monaten zum Qualifikation, ihr Engagement, ihre Energie einbringen Beispiel auch eine Änderung des Berufsbildungsgeset- zu können. Ein wichtiger Schritt ist dabei das von mei- zes durchgeführt. Diese Maßnahme war wichtig, um das ner Partei vorgeschlagene einfache, dreigliedrigeSteu- duale Ausbildungssystem zu modernisieren und den in- ersystem mit einem Steuersatz von 15, 25 ternationalen und Anforderungen und Standards anzupassen. 35 Prozent. Das ist für die Jugendlichen, die in diesem Bereich eine Ausbildung beginnen, sehr wichtig, weil sie nun davon (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das hilft den ausgehen können, dass ihr Ausbildung deneuropäi- Jugendlichen, was?) schen Anforderungen entspricht. 17012 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Karin Roth (Esslingen) (A) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- Dort, wo es nicht von allein funktioniert, handeln wir,(C) Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zum Beispiel durch Sonderprogramme, damit die Ju- NEN]) gendlichen nicht auf der Strecke bleiben. Wir haben mit der Einführung der zweijährigen Be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rufsausbildung vor allen Dingen auch die Belangebe- DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Scheuer [CDU/ nachteiligter Jugendlicher berücksichtigt und gleich- CSU]: Sonderprogramm „Ausbildungsplatz- zeitig einen anerkannten Berufsabschluss für diese abgabe“!) Personengruppe eingeführt. Auch das ist wichtig, wenn wir über das Thema „Modernisierung der Berufsausbil- Ich möchte in diesem Zusammenhang nur darauf hin- dung“ reden. Natürlich ist es Besorgnis erregend, dass weisen, dass dieBerufsvorbereitungsmaßnahmen, 45 Prozent der Jugendlichen, die arbeitslos sind, keinen insbesondere die Deutschkurse, aber auch die Haupt- Berufsabschluss haben. Das bereitet große Sorgen, die schulabschlusskurse, wichtige Elemente sind. Das alles wir gemeinsam teilen. Deshalb müssen wir alles dafür könnte besser sein, wenn unser schulisches Ausbil- tun, dass Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekom- dungssystem besser wäre. Aber das bedeutet: Solange es men und so qualifiziert ausgebildet werden, dass sie ein nicht so ist, dürfen wir die Jugendlichen nicht im Regen Berufsabschlusszeugnis erhalten und nicht gering be-stehen lassen und müssen solche Maßnahmen anbieten. schäftigt sind. Das ist aus meiner Sicht ein wichtigerIch halte nichts davon, wenn bestritten wird, dass die Punkt. Bundesagentur für Arbeit dafür zuständig ist, mit der Absicht, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 6,5 Prozent auf 5 Prozent zu reduzieren und die Förder- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) maßnahmen zu streichen, wie es Herr Stoiber vor kur- zem in einem „Zeit“-Interview gesagt hat. Ich halte sehr An der Schwelle zwischen Schule und Arbeitsleben viel mehr davon, den Jugendlichen solche Maßnahmen brauchen Jugendliche eine Perspektive. Diese geben wir zu geben, damit sie zumindest die Chance haben, einen ihnen. Deshalb sage ich andie Adresse der Wirtschaft: Ausbildungsplatz zu erhalten. Auf dem Rücken der Ju- Die Ausbildungsplätze, die versprochen worden sind, gendlichen bei der Arbeitsmarktpolitik einzusparen halte damit Jugendliche zu Beginn ihres Arbeitslebens nicht ich für eine falsche Politik. Das sollten all diejenigen arbeitslos sind, müssen nun zur Verfügung gestellt wer- wissen, die meinen, die Vorschläge der Opposition seien den. Mich bedrückt es, dass zum Beispiel nach der neu- die bessere Alternative. Ich meine, dass es für die Ju- esten IHK-Befragung 23 Prozent der Unternehmen we- gendlichen und ihre Zukunft verheerend wäre, wenn wir niger ausbilden. das zuließen, was in den Programmen von CDU/CSU (B) (Klaus Haupt [FDP]: Warum denn wohl?) und FDP vorgesehen ist. (D) Die Unternehmen haben im Rahmen des Ausbildungs- (Beifall bei der SPD) paktes versprochen, genügend Ausbildungsplätze zur Es ist doch klar: Sie sparen zulasten der Jugendlichen, Verfügung zu stellen. Die Wirtschaft ist nun am Zug und auf Kosten ihrer Zukunftschancen. Deshalb sollten Sie muss ihre Verantwortung wahrnehmen, bei diesem Thema kleine Brötchen backen. (Klaus Haupt [FDP]: Sie machen es sich zu einfach!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) und zwar nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das ist not- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: wendig. Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit Es geht also um die Zukunft der Jugendlichen insbe- auf Drucksache 15/5394 zu dem Antrag der Fraktionen sondere in den neuen Bundesländern. Dort muss etwas von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel getan werden; darin sind wir uns einig. Die Bundesregie- „Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschancen für Ju- rung hat den neuen Bundesländern 86 Millionen Euro gendliche in Deutschland stärken“. Der Ausschuss emp- für rund 14 000 Ausbildungsplätze im Bereich der be- fiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/5255 anzunehmen. triebsnahen Ausbildung, aber auch der Verbundausbil- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer dung zur Verfügung gestellt. Nun werden wir noch ein- stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Die mal 17 Millionen Euro zur Verfügung stellen, und zwar Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition nicht nur für die neuen Bundesländer, sondern auch für gegen die Stimmen der Opposition angenommen. die strukturschwachen westdeutschen Bundesländer, damit Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhalten. (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Herr Dr. Küster, jetzt wären Sie wieder dran! – (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: So viel Dr. Uwe Küster [SPD]: Wollt ihr schon wieder Zeit haben Sie gar nicht mehr!) wissen, wie wenige ihr seid?) Wir, das heißt die Bundesregierung und die Koalitions- – Nun erfreuen sich beide Seiten noch einmal an den fraktionen, nehmen das Thema Ausbildung also ernst. einstweilen obwaltenden Mehrheitsverhältnissen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17013

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist aber (C) jetzt Haarspalterei!) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zuDie Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit dem Antrag der Abgeordneten Wolfganghat nach § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes den auto- Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Stroblmatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zur (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und der Frak- Folge. Diese Regelung oder die Ausnahme von der vor- tion der CDU/CSU her geltenden Inlandsklausel gilt seit dem 1. Januar Probleme mit der Türkei nicht ausblenden 2000, also seit In-Kraft-Treten des von uns initiierten Staatsangehörigkeitsrechts. – Drucksachen 15/4496, 15/5665 – Viele der jetzt Betroffenen haben die Wiedereinbürge- Berichterstattung: rung schon lange vor dem 1. Januar 2000 beantragt, ta- Abgeordnete Dr. Lale Akgün ten dies also in dem guten Glauben, dadurch würden sich keine rechtlichen Nachteile ergeben. Sie, liebe Kollegen Silke Stokar von Neuforn und Kolleginnen von der CDU/CSU-Fraktion, verwech- Dr. Max Stadler seln leider die Rechtsfolge und den Tatbestand des Interfraktionell ist eine Debattenzeit von 45 Minuten Rechtsmissbrauchs, weil sich der Ausdruck Rechtsmiss- vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann brauch dazu benutzen lässt, Menschen in die Nähe kri- ist das so beschlossen. mineller Handlungen zu bringen und die Türkei als Staat rechtsstaatlich zu diskreditieren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- nächst der Kollegin Dr. Akgün von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist doch zutref- Dr. Lale Akgün (SPD): fend!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Sie unterstellen uns aus reinem Wahlkampfopportunis- Titel „Probleme mit der Türkei nicht ausblenden“ ver- mus, wir würden Probleme ignorieren. Nein, es wurde folgt uns schon eine ganze Weile. Der Antragstext hat und wird gehandelt. Als erste Landesregierung hat die sich zwischenzeitlich nicht geändert, wohl aber derSPD-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen Sachstand zu den angesprochenen Themen. vor den Landtagswahlen reagiert und alle ehemaligen türkischen Staatsbürger, die seit dem 1. Januar 2000 (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schade!) (B) deutsche Staatsbürger geworden waren, befragt, ob sie(D) Von daher kann ich sehr gut verstehen, dass sich die Kol- zwischenzeitlich eine ausländische Staatsangehörig- legen und Kolleginnen der FDP in den Ausschüssen der keit angenommen hätten. 5 000 Befragte haben darauf- Stimme enthalten haben mit der Begründung, Ihr Antrag hin geantwortet, sie hätten die türkische Staatsangehö- sei durch den Zeitablauf nicht mehr auf dem aktuellsten rigkeit wieder erworben, wodurch sie die deutsche Stand. Staatsangehörigkeit verloren haben. Das war die eine Seite der Medaille, nämlich Klarheit in die Zahlen zu Bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung standen ei- bringen. nige Dinge in Ihrem Text, die schlicht falsch sind. Dies gilt insbesondere für das ThemaStaatsangehörigkeit. Die andere Seite der Medaille betrifft jedoch diejeni- Sie behaupten in Ihrem Antrag, türkischstämmige Deut- gen, die jetzt nicht mehr Deutsche sind. Auch da ist die sche würden sich mithilfe der türkischen RegierungSPD im Bund und in einigen Ländern vorangegangen, heimlich und illegal eine zweite Staatsangehörigkeit an- um die Betroffenen dabei zu unterstützen, wieder einen eignen. Dies ist und bleibt Unsinn. sicheren Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsstatus zu erhalten, und um ihnen aufzuzeigen, wie sie ihre eigene (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist die Rechtsunsicherheit beenden können, wie sie eine Auf- Wahrheit!) enthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis und eine Ich bin bei der ersten Lesung des Antrages bereits aus- erneute Einbürgerung in die deutsche Staatsangehörig- führlich auf den juristischen Sachverhalt eingegangen, keit erreichen können. lieber Kollege Koschyk. Ich muss es heute leider noch einmal tun, damit ganz klar wird, wovon wir hier eigent- Im zweiten Punkt Ihres Antrages geht es um eine Zahl lich reden. von circa 300 bis 400 Personen, die der türkische Staat ausgebürgert hat, in der Regel wegenNichtableistung Richtig ist: Es gibt keine rechtsmissbräuchliche Wie- des Wehrdienstes. Ich habe auch hierzu bereits beim dereinbürgerung. letzten Mal betont, dass wir uns völlig einig darin sind, dass wir diese Art von Ausbürgerung nicht gutheißen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber Herr Sie wissen so gut wie wir, dass zur Lösung des Problems Schily sagt doch etwas anderes!) bereits Konsultationen zwischen der deutschen und der Jede und jeder Deutsche hat das Recht, jede Staatsange- türkischen Regierung stattfinden und man versucht, hier hörigkeit jedes Staates anzunehmen. Wichtig für die, die eine Lösung zu finden. Unser Bundesinnenminister Otto dies tun, ist dieRechtsfolge, die sich für die deutsche Schily hat das Thema gut im Griff. Sie dürfen ganz ruhig Staatsangehörigkeit daraus ergibt. auf ihn vertrauen, so wie wir es auch tun. 17014 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Dr. Lale Akgün (A) Die eigentliche Absicht Ihres Antrages ist jedoch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) ganz klar: Sie haben zu dem Zeitpunkt, als Sie den An- DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/ trag stellten – drei Tage vor dem Europäischen Rat im CSU]: Nein!) Dezember 2004 –, versucht, auch noch die ausgefallens- Die EU muss ihre Hausaufgaben machen, ten Argumentationen zu bedienen, um dieBeitrittsfä- higkeit der Türkei zu verneinen. Das zeigt sich auch (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: daran, dass Sie in den Begründungen des Antrags ver- Die Türkei muss ihre Hausaufgaben machen, sucht haben, Ihr gesamtes Sammelsurium an Argumen- nicht die EU! – Dr. Andreas Scheuer [CDU/ ten gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen CSU]: Wer tritt wem bei?) noch nachträglich unterzubringen. Sie haben nämlich in muss die finanzielle Vorausschau bis 2014 und dann ab der Zwischenzeit gemerkt, dass die ursprünglich im An- 2014 beschließen. Sie muss die Inhalte des Verfassungs- trag angesprochenen Themen reine bilaterale und innen- vertrages so weit implementieren, dass ihre Strukturen politische Themen sind, die mit der Beitrittsfrage garhandlungsfähig bleiben. Spätestens im Jahr 2013 muss nichts zu tun haben. sie die Strukturen ihrer künftigen Agrarpolitik neu fest- Als Europapolitikerin muss ich mich jedoch mit Ihrer legen. Haltung zum EU-Beitritt der Türkei grundsätzlich aus- Die Türkei wird den Weg der Reformen, innen- wie einander setzen. Der Europäische Rat im Dezember hat wirtschaftspolitisch, konsequent weitergehen müssen. einstimmig und zu Recht die Aufnahme von ergebnisof- Wenn im Laufe dieser langen Periode die Beitrittsge- fenen Beitrittsverhandlungen beschlossen, mit dem Ziel spräche erfolgreich abgeschlossen werden, ist es voll- der Vollmitgliedschaft, wenn sich im Laufe dieser lang- kommen richtig, dass die Türkei mit allen Rechten und wierigen Verhandlungen zeigt, dass alle Seiten ihrePflichten Vollmitglied wird. Hausaufgaben gemacht haben. Eine Ablehnung dieser langfristig angelegten Politik Ihr so genanntes Konzept, Verhandlungen zu begin- aus populistischen und wahltaktischen Gründen weise nen, als einzig mögliches Ziel aber eine„privilegierte ich zurück. Partnerschaft“ zu akzeptieren, ist unsinnig und wider- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sprüchlich. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Im Übrigen polemisieren Sie nicht nur gegen die Türkei, DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsensondern auch gegen die bereits zugesagten Beitritte von [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ein sehr zutreffendes Rumänien und Bulgarien, denen alle Staats- und Re- Konzept ist das!) gierungschefs der EU zugestimmt haben. Sie meinen, (B) die Gunst der Stunde nutzen zu können, um das Nein der (D) Es macht keinen Sinn, Beitrittsverhandlungen zu führen, Verfassungsreferenden für Ihre Zwecke zu missbrau- von denen feststeht, dass sie nicht zum Beitritt führen chen. sollen. Ich sage aber auch ganz deutlich, dass ich das Modell der „privilegierten Partnerschaft“ ablehne. Ihr Ich versuche, mich ganz sachlich mit Ihrem Antrag Kollege Wissmann hat in den letzten Tagen dankenswer- auseinander zu setzen und ihn Punkt für Punkt abzuar- terweise konkretisiert, was Sie sich unter „privilegierter beiten. Ich möchte hier aber auch in aller Deutlichkeit Partnerschaft“ vorstellen: den Ausbau von Wirtschafts- festhalten: Ihnen geht es nicht um die Inhalte, Ihnen geht beziehungen, den Aufbau einer umfassenden Freihan- es darum, mit dem Thema Türkei und Türken eine Pro- delszone und den Ausbau der Sicherheitspartnerschaft. jektionsfläche für gesellschaftliche Ängste aller Art zu Das heißt im Klartext: Es soll eine wirtschaftliche und schaffen. Wie ein türkisches Sprichwort sagt: Ihnen geht militärische Verflechtung der Türkei mit der EU geben, es nicht darum, Weintrauben zu essen, Ihnen geht es da- aber keine Rechte und Pflichten für die Türkei, wenn es rum, den Winzer zu verprügeln. um die Verwirklichung der inneren Einheit Europas, der (Ralf Göbel [CDU/CSU]: Das verbitte ich mir institutionellen Strukturen sowie der Menschenrechts- als südpfälzischer Abgeordneter!) und Sozialcharta geht. Ich finde es schäbig, dass Sie sich die Schwächsten der Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, das ist Gesellschaft als Sündenböcke ausgesucht haben. Haben nicht das Europa, das wir uns vorstellen. Es wäre ein Eu- Sie doch endlich den Mut, offen zu sagen, worum es Ih- ropa ohne gemeinsame Werte, nur die Verwirklichung nen eigentlich geht! einer reinen Freihandelszone, die wir ja gerade nicht wollen. Wir sollten diesen Aspekt nicht vernachlässigen, Vielen Dank. nachdem gerade in Frankreich und den Niederlanden die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Referenden zur europäischen Verfassung mit einem Nein DIE GRÜNEN – Ralf Göbel [CDU/CSU]: Ich endeten, das von vielen damit begründet wurde, dass Eu- werde mich hüten, einen Winzer zu verprü- ropa zu sehr den freien und gemeinsamen Markt betont, geln!) aber keine ausreichende gemeinsame Grundlage für den sozialen Ausgleich schafft. Dies ändern wir nicht, in- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dem wir die wirtschaftliche Freihandelszone ausbauen, Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk, die politischen Gemeinsamkeiten aber an den RandCDU/CSU-Fraktion. drängen. Deshalb ist die Türkeipolitik dieser Bundesre- gierung nach wie vor richtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17015

(A) Hartmut Koschyk (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Cornelie (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sonntag-Wolgast [SPD]: Wer tut das denn, Rede der Kollegin Akgün hat gezeigt, wie wichtig unser Herr Kollege?) Antrag ist. Er hat zum einen deutlich gemacht, wie Rot- Zudem ist es beschämend und bezeichnend, dass die Grün mit dem Rechtsproblem und mit dem politischen Bundesregierung erst auf Druck der CDU/CSU über- Problem illegaler Doppelstaatler in unserem Land glaubt haupt bereit war, von der Türkei die Herausgabe der Lis- umgehen zu können. Er wirft zum anderen ein bezeich- ten mit den Namen der illegalen Doppelstaatler zu ver- nendes Licht auf die Politik der Bundesregierung zum langen. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass sich der EU-Beitritt der Türkei. Ich sage Ihnen ganz offen, Frau türkische Staat weigert, der Bundesregierung, konkret Kollegin Akgün: Das Ja zur Aufnahme von Beitrittsver- dem Bundesinnenminister, die Listen mit den Namen der handlungen mit der Türkei im Dezember 2004, forciert illegalen Doppelstaatler herauszugeben. durch die rot-grüne Bundesregierung, war eine große po- litische Fehlentscheidung für Europa. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Minister Schily war übrigens auch in einer anderen Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem wichtigen Angelegenheit gegenüber der türkischen Seite haben aber auch die Konservativen in Europa völlig erfolglos. Es ging darum, die unakzeptable türki- zugestimmt!) sche Rechtspraxis zu unterbinden, missliebigen türki- schen Staatsbürgern, die im Ausland straffällig gewor- Rot-Grün hat eine Schicksalsfrage für unser Land ent- den sind, die türkische Staatsbürgerschaft einfach zu schieden, ohne in aller Klarheit bestehende Probleme in entziehen, damit sie im Falle einer geplanten Abschie- der Türkei und mit der Türkei benannt, geschweige denn bung nicht in die Türkei zurückgenommen werden müs- gelöst zu haben. Warnungen der Politik – ich nenne nur sen. Es ist doch unannehmbar, dass Deutschland auf die- Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing –, dersen türkischen Straftätern sitzen bleibt, Wissenschaft, aber auch der beiden großen Kirchen in (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unserem Land hat Rot-Grün ignoriert NEN]: Jetzt geht es durcheinander!) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE während sich die Türkei ihrer kurzerhand mittels Aus- GRÜNEN]: Ganz Europa hat das ignoriert! bürgerung entledigt. Was ist denn mit Herrn Schüssel? Der hat das auch ignoriert!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie den Berliner Innensenator einmal gefragt (B) und sich gegenüber Mahnungen und Fakten arrogant ab- (D) weisend gezeigt. hätten, welche schweren Straftaten diejenigen begangen haben, die die Türkei ausbürgert und die deshalb nicht in Wie sehr die Staatsmänner in Europa beim Themadie Türkei abgeschoben werden können, dann wüssten Türkeipolitik jetzt, nach den Referenden in Frankreich Sie, wie gravierend dieses Problem in Wirklichkeit ist. und den Niederlanden, kalte Füße bekommen, zeigt die Schily hat es angesprochen – das wollen wir honorie- Tatsache, dass im Entwurf des Ratskommuniqués zum ren –, aber er hat in dieser Frage gegenüber seinem türki- anstehenden EU-Gipfel am Wochenende das Themaschen Amtskollegen Aksu überhaupt nichts erreicht. überhaupt keine Erwähnung mehr findet. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Dies zeigt, welchen Einfluss die rot-grüne Bundesregie- Bei der Lösung der Problematik der illegalen Doppel- rung auf die türkische Regierung hat, nämlich null Ein- staatler hat sich die Bundesregierung in der Sache und fluss. auch gegenüber dem türkischen Staat alles andere als Auch sind wir der festen Überzeugung, dass die Bun- selbstbewusst verhalten, was die Vertretung berechtigter desregierung mit der Tabuisierung und Verschleppung deutscher Interessen anbelangt. dieses Themas den türkischen Mitbürgerinnen und Mit- bürgern in Deutschland, die von dieser Problematik be- Auch die von Ihnen, Frau Kollegin Akgün, gerade pro- troffen sind, keinen Gefallen tut. Es mag im ersten Mo- pagierten Lösungsvorschläge halte ich nach wie vor für ment zwar unbequem erschienen sein, dass wir mit falsch. Weder die Hinnahme der doppelten Staatsange- unserem Parlamentsantrag auf diese Problematik hinge- hörigkeit noch Sonderregelungen für türkischstämmige wiesen haben, aber eine Tabuisierung und Verschlep- Deutsche, die wegen der Wiedererlangung der türkischen pung dieses Themas hat zur Folge, dass es nicht gelöst Staatsangehörigkeit ihre deutsche Staatsangehörigkeitwird und dass in der Bevölkerung Vorbehalte aufgebaut verloren haben, wären das richtige Zeichen. werden. (Beifall bei der CDU/CSU) In einem Punkt können Sie sich sicher sein: Die Be- völkerung in Deutschland will nicht, dass Menschen in Der türkische Staat hat den eingebürgerten türkischstäm- Deutschland an Wahlen teilnehmen, die überhaupt nicht migen Deutschen in Kenntnis und unter Missachtung un- dazu berechtigt sind, in Deutschland an Wahlen teilzu- seres Staatsangehörigkeitsrechts die türkische Staatsan- nehmen. gehörigkeit wieder zuerkannt. Darüber können und dürfen wir nicht einfach hinwegsehen. (Beifall bei der CDU/CSU) 17016 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Hartmut Koschyk (A) Deshalb muss dieses Problem gelöst werden. Es macht riyet“ seine Leser unter diesem Motto zur Akzeptanz der (C) keinen Sinn, dass wir jetzt, wie von Ihnen teilweise pro- Verfassungs- und Rechtsordnung Deutschlands pagiert, ein einfaches Verwaltungsverfahren zur Wie- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE dererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit an- GRÜNEN]: Sollen die jetzt die deutsche oder bieten. In diesen Fällen nn ka es kein privilegiertes die Berliner Fahne nehmen?) Verfahren geben. und seiner Symbole, aber auch zu einem sachgemäßen Dass Sie sich von Rot-Grün in dieser Frage auch des- Umgang mit der Armenienfrage aufrufen würde. halb schwer tun, weil vielevon Ihnen nach wie vor als Regelfall die doppelte Staatsangehörigkeit propagieren, Herzlichen Dank. ist natürlich klar. Auch der Aufruf der Grünen vor der Landtagswahl in NRW an die von dieser Frage betroffe- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer nen Menschen zeigt, dass Sie in dieser Frage dem nach- [CDU/CSU]: Das ist das Mindeste!) trauern, was wir durch unsere Unterschriftensammlun- gen verhindert haben, nämlich dass die doppelteVizepräsident Dr. Norbert Lammert: Staatsangehörigkeit so, wie Sie das ursprünglich woll- Ich erteile das Wort dem Kollegen Josef Winkler, ten, zur Regel wird. Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU) Josef Philip Winkler(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir meinen, wir müssen alles dafür tun, dass sichNEN): neue deutsche Staatsbürger durch die Annahme der deut- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst schen Staatsangehörigkeit voll zu unserem Staat und zu einmal muss gesagt werden, dass es nicht nur um ein seiner Verfassungs- und Rechtsordnung bekennen. Die Problem geht, von dem türkische Staatsbürger betrof- Einbürgerung muss Ausdruck einer innerlichen Zuwen- fen sind. Das ist Ihnen, meine Damen und Herren von dung zu Deutschland und nicht nur ein oberflächliches der Union, ja völlig entgangen. Ritual sein. Daher treten wir für eineEidesleistung bei der Einbürgerung ein. Wir fordern vom zukünftigen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE deutschen Staatsbürger ein eindeutiges Bekenntnis zur GRÜNEN]: Ja, genau! Warum eigentlich?) Werte- und Verfassungsordnung der BundesrepublikEs ist ja so, dass sich langsam, aber sicher viele türki- Deutschland. Mit der Erlangung der deutschen Staats- sche Organisationen, aber auch Mitbürgerinnen und Mit- bürgerschaft erwirbt der einbürgerungswillige Ausländer bürger von Ihnen kriminalisiert fühlen, und zwar in kein bloßes Privilegienpaket für seinen Aufenthalt inGänze. Sie haben das ja auch eben wieder gezeigt. Sie (B) Deutschland. Vielmehr muss es um eine dauerhafte Bin- vermischen hier Sachverhalte, die nichts miteinander zu (D) dung an unser Land, seine Werteordnung, seine Kultur, tun haben. aber auch seine Menschen gehen. Deshalb kann eine fei- erliche Eidesleistung bei der Einbürgerung eine erfolg- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reich absolvierte Integration unterstreichen. und bei der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Welche Sachverhalte?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: – Das Ausbürgern von Kriminellen durch die türkische So machen es die anderen Länder ja auch!) Regierung und das Verlieren der Staatsbürgerschaft durch eigenes Verschulden, indem man eine andere Ich will ein Beispiel nennen: Von mangelndem Inte- Staatsbürgerschaft annimmt, haben überhaupt nichts grationswillen zeugt zum Beispiel, wenn sich wie jetzt miteinander zu tun. Sie aber vermischen es. Das lehnen türkische Organisationen gegen den Bundestag undwir ab. seine inzwischen überparteilich eingenommene Haltung zur Armenienfrage wenden. Für den nächsten Sonntag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ruft nämlich die von den 200 000 in Berlin lebenden und bei der SPD) Türken wohl am meisten gelesene türkische Zeitung Betroffen sind zum Beispiel auch Aussiedler aus der „Hürriyet“ zu einer Großdemonstration gegen einen An- ehemaligen Sowjetunion oder auch jüdische Zuwan- trag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag auf, inderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die aufgrund ei- dem wir einvernehmlich gemeinsam den Genozid an den ner zwischenzeitlichen Niederlassung in Israel die israe- Armeniern verurteilen wollen. Zu dieser Demonstration lische Staatsangehörigkeit erworben haben. werden 50 000 Personen erwartet. Wörtlich heißt es in dem „Hürriyet“-Aufruf: Ich gebe gerne zu – das ist aber kein großer Akt von Enthüllungspolitik, Herr Kollege Koschyk –, dass die Wir werden uns den machtpolitischen Interessen Grünen schon immer der Meinung waren, dass die gene- von heute nicht beugen. relle Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit Die Demonstration steht unter dem Motto: „Schnapp dir ein integrativer Akt ist. Damit will ich aber überhaupt deine Fahne und mach mit“. nicht entschuldigen, dass – was Sie zu Recht thematisie- ren – die türkische Regierung hier rechtswidrige Infor- Schnapp dir eine Fahne und mach mit – es wäre ein mationen an deutsche Staatsbürger aus der Türkei ver- gutes Zeichen für den Integrationswillen der türkischen teilt und sie über Jahre hinweg zur doppelten Gemeinde in Berlin und in Deutschland, wenn „Hür-Staatsbürgerschaft ermuntert hat. Das eine hat mit dem Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17017

Josef Philip Winkler (A) anderen nichts zu tun. Wenn Sie uns Grünen vorwerfen, CSU]: Aber ein Kavaliersdelikt war es doch (C) wir wollten quasi durch die Hintertür illegal die doppelte auch nicht, oder?) Staatsbürgerschaft einführen, dann kann ich nur sagen: – Es geht nicht um die Delikthaftigkeit dieser Sache, So nicht! Wir sind zwar weiterhin dafür, dass sie einge- Herr Kollege Koschyk, sondern darum, dass Sie viele führt wird, aber das muss auf legalem Wege geschehen. einzelne Menschen über einen Kamm scheren. Das tun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir nicht. Es ist integrationspolitischer Nonsens, wenn sowie bei Abgeordneten der SPD) Menschen, die mit ihrer Einbürgerung schon vor Jahren gezeigt hatten, dass sie in unserer Gesellschaft, in Unabhängig davon sollte man einmal sachlich überle- Deutschland, angekommen sind, jetzt rechtlich wieder gen, dass es eine Übergangsregelung für diejenigen Mi- als Ausländer behandelt werden und unter Umständen granten geben sollte, die vor dem In-Kraft-Treten dessogar noch schlechter gestellt werden sollen, als sie es neuen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 ihrenvor ihrer Einbürgerung waren. Antrag auf Wiedererwerb einer ausländischen Staatsan- gehörigkeit gestellt hatten und diese Staatsangehörigkeit Ich denke, es ist klar, dass es hier ein Problem gibt. erst nach dem In-Kraft-Treten erhalten haben; auch diese Wir bestreiten das nicht; da gibt es auch keine Tabuisie- Fälle gibt es. rung, wie Sie eben hier behauptet haben. Der Innenmi- nister hat in dieser Hinsicht bereits verhandelt und wir Meine Damen und Herren, ich kann hier nur an die wussten um dieses Problem auch schon, bevor Sie uns Bundesländer – die wie immer durch Abwesenheit glän- darauf hingewiesen haben. Wir haben schon vorher da- zen – appellieren, dem föderalen Durcheinander bei der gegen protestiert; das wissen Sie ganz genau. Deshalb Umsetzung des § 38 des Aufenthaltsgesetzes ein Ende verwahre ich mich gegen Ihre Vorhalte. zu bereiten Wir – das kann ich für meine Fraktion und für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktion der SPD sagen – wollen diese unsere Mitbür- und bei der SPD) ger, die da einen Fehler gemacht haben, wieder zurück- und im Interesse der Betroffenen zu agieren. Hier muss haben. Herzlich willkommen zurück in Deutschland! schnell Rechtsklarheit geschaffen werden. Wir brauchen Dass die Union das ablehnt, ist für mich eine Schande. eine Vereinbarung der Länder zur pragmatischen und un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bürokratischen Handhabung der Voraussetzungen des und bei der SPD) § 38 des Aufenthaltsgesetzes und des Assoziationsrechts in Bezug auf die Türkei. Hier ist nach dem Grundsatz zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: verfahren, dass der aufenthaltsrechtliche Status vor der (B) Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der(D) Einbürgerung – in den allermeisten Fällen also ein unbe- FDP-Fraktion. fristetes Aufenthaltsrecht – wieder erteilt wird, sodass die Betroffenen schnellstmöglich wieder eingebürgert werden können. Dr. Max Stadler (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto ren! Die FDP-Fraktion wird sich bei dem Antrag der Solms) CDU/CSU, über den wir gerade debattieren, der Stimme enthalten. Das ist im Übrigen in einigen Bundesländern – wie Ber- lin und Schleswig-Holstein, und auch ein schon damals (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schade! – unionsregiertes ist dabei, nämlich Hessen – bereits so Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE vorgesehen. Zu kritisieren sind hingegen die Regelungen GRÜNEN]: Sehr mutig!) in Baden-Württemberg – die wohl dem entsprechen, was Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, dass in diesem Sie anstreben, Herr Kollege Koschyk –, wo auch die Antrag durchaus berechtigte Fragen thematisiert werden, FDP mitregiert: Dort werden die Migranten, die eine etwa die wirklich nicht akzeptable Praxis der Türkei, Wiedereinbürgerung anstreben, rechtlich so behandelt, als ob sie neu nach Deutschland eingereist seien. Es ist (Beifall der Abg. Dorothee Mantel [CDU/ einfach nicht nachvollziehbar, dass Menschen, die schon CSU]) einmal, und zwar unter Umständen vor vielen Jahren, ein Einbürgerungsverfahren erfolgreich absolviert haben, eigene Staatsbürger auszubürgern, wenn sie im Ausland jetzt wieder bei Adam und Eva anfangen sollen, dassstraffällig geworden sind. Das sehen wir genauso wie die quasi überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird,CDU/CSU. dass sie über Jahre gute deutsche Staatsbürger waren. (Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!) Aber nach diesen Regelungen müssen sie, da sie diesen Fehler begangen haben – obwohl es bei den allermeisten Wir können diesem Antrag aber nicht zur Gänze zu- gar kein Vorsatz war; schließlich werfen Sie ja der türki- stimmen, weil er zum Teil überholt ist: Er bezieht sich schen Regierung vor, dass sie falsche Informationen er- auf die Aufnahmeentscheidung der Europäischen Union teilt hat, und machen die Vorwürfe nicht diesenvom 17. Dezember 2004; insoweit ist er einfach durch Bürgern –, auf Null zurück. Das lehnen wir ab. den Zeitablauf überholt. Wir wollen diesem Antrag aber auch deswegen nicht zustimmen, weil wir glauben, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einige innenpolitische Fragen, die von der CDU/CSU und bei der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/ hier zur Debatte gestellt werden, die gesamte Dimension 17018 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Dr. Max Stadler (A) des Problems des Beitritts der Türkei zur Europäischen wir sehen nämlich, dass diese Regelung den unterschied- (C) Union nicht erfassen. Dieser Antrag ist nicht geeignet, lichen Fällen, um die es geht, nicht gerecht wird. Bei- eine neue Debatte über den EU-Beitritt der Türkei zu spielsweise haben Personen vor In-Kraft-Treten der initiieren. Neuregelung die türkische Staatsangehörigkeit aus pri- vaten Gründen beantragt, ohne dass eine Stichtagsrege- (Beifall des Abg. Josef Philip Winkler lung vorgegeben war. Es ist nicht so, dass diese Men- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schen ausgebürgert werden – dieser Gedanke kommt in Ich verweise auf die klare Haltung der FDP zu diesem vielen Briefen an uns zum Ausdruck –; vielmehr haben Thema: Wir sind für wirklich ergebnisoffene Verhand- sie die deutsche Staatsangehörigkeit schon per Gesetz lungen über den EU-Beitritt der Türkei. Diese werden verloren. sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hin- Aus diesem Grund wäre es klüger, eine Regelung zu ziehen, und wenn sie abgeschlossen sind, wird entschie- finden, die den Verlust der deutschen Staatsangehö- den. Das Ergebnis lässt sich heute nicht vorwegnehmen. rigkeit bei Erwerb einer ausländischen zwar weiterhin (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Josef grundsätzlich vorsieht, diesen Verlust aber erst mit einer Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- feststellenden Verwaltungsentscheidung in Kraft setzt. NEN]) Die Rechtsnachteile treffen ja nicht nur einzelne Perso- nen; vielmehr wirkt sich die dadurch entstehende Natürlich ist es legitim – die CDU/CSU macht dies –, Rechtsunklarheit auf unser gesamtes Gemeinwesen in der Zwischenzeit einzelne Probleme zu diskutieren. nachteilig aus. Schließlich weiß man nicht genau, wer Durch die von SPD, Grünen und FDP gemeinsam getra- wahlberechtigt ist und wer nicht, woran viele andere gene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts imRechtsfolgen anknüpfen. Angesichts dessen müsste die Jahr 2000 ist eine wirklich schwierige Situation entstan- notwendige Klarheit durch die Entscheidung einer Ver- den. Damals ist vor allem auf Wunsch der CDU/CSU an waltung hergestellt werden. dem Grundsatz festgehalten worden, dass jeder nur eine einzige Staatsangehörigkeit haben soll (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: Leider!) Damit wird in keiner Weise akzeptiert, dass manche und dass die doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell der Betroffenen die geltende Rechtslage bewusst umge- verboten ist. hen wollten. Das verkennen wir nicht. Eine solche Hal- tung wird von uns nicht akzeptiert. (B) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Schade!) Ich sage zum Schluss aus rein praktischen Erwägun- gen: Die Menschen, über die wir hier reden, wohnen Daraus erwachsen nun praktische Probleme; denn da- schon jahrelang in Deutschland. Wäre es anders, hätten mals ist folgende Regelung geschaffen worden: Deutsche sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben kön- Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz im Inland haben und nen. Diese Menschen werden weiterhin – vielleicht ihr zusätzlich eine ausländische Staatsangehörigkeit erwer- Leben lang – in Deutschland wohnen. Unsere Politik ben, verlieren mit diesem Erwerb automatisch die deut- macht doch nur dann einen Sinn, wenn wir ihnen unab- sche Staatsangehörigkeit. Der Grund für diese Regelung hängig von der Schuldfrage die Möglichkeit geben, die war natürlich folgender – daran muss man sich einmal er- deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Dies innern –: Es sollte verhindert werden, dass es entgegen der ist aber – ich sage dies in aller Deutlichkeit – nur im mit diesem Gesetz verbundenen Intention zu doppelten Rahmen der geltenden Vorschriften möglich. Staatsangehörigkeiten kommt. Ich möchte deshalb in dieser Debatte die Gelegenheit Die normale Sanktion bei diesem Regelverstoß – der nutzen, an alle Betroffenen zu appellieren, ihre türkische Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit – konnte nicht Staatsangehörigkeit wieder aufzugeben; denn anders im Gesetz verankert werden, da ein solches Vorgehen geht es nicht. Unsere Behörden sollten dann die neue durch Art. 16 des Grundgesetzes verboten ist. Diese Re- Einbürgerung wirklich schnell durchführen. gelung im Grundgesetz soll deutsche Staatsangehörige vor Rechtsverlusten schützen. Aus genau diesem Grund (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE haben wir eine viel weiter gehende Regelung geschaffen, GRÜNEN]: Und vor allem billig!) nämlich die „Fallbeilregelung“, die vorsieht, dass die Dies ist die einzig sinnvolle und praxisgerechte Lösung deutsche Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer an- des Problems. deren Staatsangehörigkeit automatisch verloren geht. Es ist etwas paradox, dass eine Schutzvorschrift – Art. 16 (Beifall bei der FDP, der SPD und dem des Grundgesetzes – zu einer eigentlich weiter gehenden BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Regelung geführt hat. Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr korrekt!) Ich wage zu bezweifeln, dass dies der Weisheit letzter Schluss war; Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär GRÜNEN]: Sicher nicht!) Fritz Rudolf Körper. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17019

(A) Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) desminister des Innern: desminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ja. zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Ich halte den Antrag der CDU/CSU, in dem ein innenpolitisches Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Thema behandelt wird, für ein absolut ungeeignetes Mit- Bitte, Herr Koschyk. tel, die EU-Tauglichkeit der Türkei infrage zu stellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hartmut Koschyk (CDU/CSU): DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/ Herr Staatssekretär Körper, wie bewerten Sie die mas- CSU]: Was? Auf was kommt es denn dann siv vorgetragenen Bedenken des Ratsvorsitzenden der an?) Evangelischen Kirche in Deutschland, aber auch des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz im Hin- Zweitens. Ich fand es sehr wohltuend, wie Herrblick auf islamistische Bestrebungen in Deutschland, Stadler mit der Frage derdoppelten Staatsangehörig- was eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU an- keit und der damit verbundenen Problematik umgegan- belangt? gen ist. Ich will in Erinnerung rufen, dass im Jahre 1999 ein Ergebnis des damaligen Gesetzgebungsverfahrens Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts die Einfüh- desminister des Innern: rung der Inlandsklausel war, womit der Regelfall der Ich habe mich in dieser Debatte bei meinen Ausfüh- doppelten Staatsangehörigkeit weggefallen ist. Lieber rungen sehr stark auf folgende Punkte konzentriert: auf Herr Koschyk, ich sage es ganz unumwunden: Ich finde die Problematik der türkischen Staatsangehörigkeit, auf es nicht gut, auf welch nseitige ei Weise Sie mit der die Gefahr des islamistischen Extremismus und die da- Frage der doppelten Staatsangehörigkeit umgehen. Ich mit verbundenen Sicherheitsrisiken sowie auf den Ge- möchte mir an dieser Stelle den Hinweis erlauben, dass sichtspunkt, dass der Beitritt einer säkular verfassten der überwiegende Teil der Menschen, die als Aussiedler Türkei zur Wertegemeinschaft der Europäischen Union zu uns kommen, die doppelte Staatsangehörigkeit haben. ein klares Signal sein könnte, mit der die von mir er- Das ist bis heute so. wähnte Auseinandersetzung unterstützt würde. Es ist wichtig, dass wir das in dieser zum Teil emotional ge- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das haben führten Debatte festhalten und diesbezüglich unseren Sie in der Antwort auf eine Anfrage selber be- Beitrag leisten. Darum bitte ich Sie. Ich denke, dass auch stritten!) diejenigen, die Sie hier erwähnt und zitiert haben, dies so (B) (D) sehen, wie ich es tue. Ich sage ganz deutlich: Siesollten sich nicht in dieser polemischen Art und Weise mit diesem Thema befassen. Meine Damen und Herren, die Menschen dürfen von Denn das hilft den ausländischen Mitbürgern in unserem der Politik eine nüchterne Analyse und entschlossenes Lande nicht. Handeln erwarten. Davon lassen wir uns leiten, was die Zusammenarbeit mit der Türkei auf den einzelnen Pro- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ blemfeldern angeht. DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung hat – das sage ich im Hinblick Zur Frage der Bewältigung aktueller und künftiger Si- auf Ihren Redebeitrag – die Problematik desWiederer- cherheitsrisiken im Rahmen des islamistischen Extre- werbs der türkischen Staatsangehörigkeit durch hier mismus kann ich im Wesentlichen auf Debattenbeiträge ansässige, eingebürgerte Deutsche türkischer Her- aus dem vergangenen Jahr verweisen. Dass sich durch kunft frühzeitig erkannt und ist dem mit allen ihr zur den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union diese Ri- Verfügung stehenden Mitteln entgegengetreten. Mit dem siken verstärken würden, ist eine infame Unterstellung. Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes vom 15. Juli 1999 ist erstmalig der noch vor der Reform mög- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ liche und folgenlose Rückerwerb der früheren Staats- DIE GRÜNEN) angehörigkeit unterbunden worden; das habe ich vorhin erwähnt. Durch die Streichung der so genannten Inlands- Das Gegenteil ist richtig: Der Beitritt einer säkular ver- klausel verlieren seit dem 1. Januar 2000 auch in fassten Türkei zur Wertegemeinschaft der Europäischen Deutschland lebende Deutsche mit dem Erwerb einer an- Union wäre nach meinem Dafürhalten ein klares Signal deren Staatsangehörigkeit automatisch ihre deutsche an die islamische Welt, das die geistig-politische Ausei- Staatsangehörigkeit und sind wieder Ausländer, in der nandersetzung mit dem Islamismus wesentlich unterstüt- Regel zunächst ohne Aufenthaltsrecht. Über diese zen könnte. Allerdings müssen die Ängste der Menschen Rechtsfolgen wurden alle seit In-Kraft-Treten dieses in Deutschland und in anderen europäischen Staaten be- Gesetzes neu eingebürgerten Deutschen informiert. rücksichtigt werden. Als der Bundesregierung die Verschleierungspraxis türkischer Registerbehörden bekannt wurde, hat sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sofort gehandelt. Die türkische Regierung hat sich ko- Herr Kollege Körper, erlauben Sie eine Zwischen-operativ verhalten und bereits im März 2004 die ein- frage des Kollegen Koschyk? schlägigen Runderlasse ihrer Vorgängerregierungen 17020 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper (A) aufgehoben und die darauf beruhende Praxis bei den Re- nen angesprochene Abkommen. Einen entsprechenden (C) gisterauszügen abgestellt. Auch hat sie die Anzahl der Entwurf wird Minister Schily in Kürze dem türkischen seit 2000 Rückeingebürgerten mitgeteilt. Innenminister unterbreiten. Die Bundesregierung setzt weiterhin auf die Kooperation der türkischen Regierung An dieser Stelle muss auch klargestellt werden, dass und wird auch auf Fachebene die Gespräche mit der Tür- der Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit und der kei fortsetzen. Wiedererwerb der früheren Staatsangehörigkeit an sich nicht rechtsmissbräuchlich sind. Es steht jedem Deut- Auch in der Frage derAusbürgerungen türkischer schen frei, eine andere Staatsangehörigkeit zu erwerben. Staatsangehöriger wegen nicht abgeleisteten Wehrdiens- Es sollte ihm jedoch klar sein, dass damit kraft Gesetzes tes steht die Bundesregierung seit längerem im Gespräch automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit verloren mit der türkischen Regierung. Sie hat dabei wiederholt geht, wenn er nicht zuvor eine behördliche Beibehal-und unmissverständlich klargestellt, dass diese Praxis tungsgenehmigung erhalten hat. für die deutsche Seite inakzeptabel ist, soweit die Rück- führung von Personen, die sich unberechtigt in Deutsch- Hat jedoch ein türkischer Familienvater – ich finde es land aufhalten, hierdurch unmöglich gemacht wird. Ich wichtig, dass wir da ein Stück differenzieren – für sich denke, diese Position ist klar. Es wurde zugesagt, dieses und seine gesamte Familie wieder türkische Pässe er-Problem in der Türkei durch einen Entwurf eines Geset- worben, kann nicht automatisch unterstellt werden, dass zes zur Abschaffung der Ausbürgerungsvorschrift, der sich auch Ehefrau und Kinder der rechtlichen Konse-dem türkischen Parlament bereits zugeleitet worden ist, quenzen dieses Schrittes bewusst waren. Auch den Per- zu lösen. sonen, Herr Koschyk, die bereits vor dem 1. Januar 2000, als dies noch folgenlos war, einen Antrag auf Wie- Meine Damen und Herren, Sie sehen also, dass der dererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gestelltWeg der Kooperation und des Dialogs zwischen uns und hatten, deren Einbürgerung von türkischer Seite aber erst der Türkei nicht fruchtlos ist. Er ist zielorientiert und nach dem Wegfall der Inlandsklausel erfolgte, ist derwird gute Ergebnisse bringen. Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht vorzu- werfen. In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerk- samkeit. Bei dem Gespräch zwischen den Ministern Schily und Aksu am 11. April 2005 in Berlin wurde deutlich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gemacht, dass eine gesetzliche Amnestieregelung, die DIE GRÜNEN) von türkischer Seite gefordert wurde, nicht infrage kommt. Denn sachgerechte Lösungen sind bereits nach Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D) (B) dem derzeit geltenden deutschen Recht möglich. Die mit Das Wort hat der Kollege Ralf Göbel von der CDU/ dem Zuwanderungsgesetz eingeführten Regelungen in CSU-Fraktion. § 38 des Aufenthaltsgesetzes sind jedoch nicht als Son- derregelungen für den hier betroffenen Personenkreis (Beifall bei der CDU/CSU) türkischer Herkunft geschaffen worden, sondern verhel- fen allen ehemaligen Deutschen, die – aus welchem Ralf Göbel (CDU/CSU): Grund auch immer – ihre deutsche Staatsangehörigkeit Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kolle- kraft Gesetzes verloren oder auf sie verzichtet haben, zu gen! Vor ziemlich genau fünf Monaten haben wir uns einem Aufenthaltstitel. Bei den Türken gilt zudem die hier in erster Lesung mit dem vorliegenden Antrag unse- Besonderheit des Beschlusses des zwischen der EG und rer Fraktion beschäftigt. Zwischenzeitlich ist eine Ent- der Türkei bestehenden Assoziationsrates. scheidung auf EU-Ebene erfolgt; da gebe ich Herrn Ob anschließend eine erneute deutsche Einbürgerung Stadler Recht. Der Inhalt des Antrags ist deswegen aber möglich ist, richtet sich für alle nach den aktuellen, all- nicht unrichtig geworden; denn alle drei im Antrag ge- gemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen, die insbe- nannten Punkte stellen nach wie vor Probleme dar, die sondere ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, der uns in Deutschland beschäftigen. veränderten Sicherheitslage angepasste Vorkehrungen (Beifall bei der CDU/CSU) gegen Extremisten und die erneute Aufgabe der zwi- schenzeitlich erworbenen fremden Staatsangehörigkeit Deswegen ist es richtig, dass wir heute noch einmal über vorsehen. dieses Thema diskutieren. Zwar hat Innenminister Aksu in dem Gespräch mit Wenn man sich den Verlauf der letzten Debatte vor Minister Schily eine Übergabe derDaten der Betroffe- Augen führt, kann man erkennen, dass sich einige Red- nen an deutsche Behörden mit Hinweis auf den Daten- ner heute ähnlich verhalten haben. Es wird nämlich we- schutz abgelehnt; wir bemühen uns aber weiter, dieseniger auf den Inhalt eingegangen. Vielmehr wird ver- Personendaten zu bekommen. sucht, den Antrag so zu deuten, als werde darin gegen die Türkei polemisiert, oder gar, wie es der Kollege Die türkische Seite hat sich bereit erklärt, mit derWinkler gemacht hat, als werde die türkische Bevölke- Bundesregierung über ein bilaterales Abkommen zum rung damit kriminalisiert. Austausch von Einbürgerungsmitteilungen zu verhan- deln – ich denke, das ist auch wichtig –, das den deut- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Anforderungen besser gerecht wird als das von Ih- NEN]: Wenn man nicht genau zuhört!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17021

Ralf Göbel (A) Ich kann dazu nur sagen: Es ist im politischen Wettstreit einzelnen Fall betrachten, auf jeden Einzelnen zugehen (C) nicht fair, und ein großes Verwaltungsverfahren einleiten müsste. Da hätte ich mir von unserem Partner Türkei mehr Ent- (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei gegenkommen erwartet, als es derzeit der Fall ist. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) wenn man die Argumente anderer, die im Übrigen auch von der Bundesregierung als Problem anerkannt werden, Ich bin sehr gespannt, wie die von Ihnen, Herr benutzt, um in der Bevölkerung den Eindruck zu erwe- Körper, genannten Abkommen aussehen werden und ob cken, hier werde ein Volk kriminalisiert. Die Bevölke- dieses Problem einer effektiven Lösung zugeführt wird rung der Bundesrepublik Deutschland hat es satt, dass oder ob man wieder im Rahmen von Aktionen, Flugblät- ein Problem jedes Mal, wenn es offen angesprochentern und Ähnlichem daran arbeiten muss, dass die Be- wird, auf irgendeine Art und Weise ins Hinterstübchen troffenen selbst auf uns zukommen. befördert wird und nicht mehr debattiert werden soll. Im Übrigen ist diese Situation auch für die Betroffe- Das wollen die Leute in unserem Land nicht mehr. nen nicht besonders glücklich: Sie sind in Deutschland, (Beifall bei der CDU/CSU) wissen gegebenenfalls nicht, dass sie keine deutschen Staatsbürger mehr sind, nehmen eventuell an Wahlen teil Deswegen müssen wir uns mit diesen Punkten noch ein- und haben einen Rechtsstatus, der ihnen hier Schwie- mal sehr intensiv beschäftigen. rigkeiten bereiten kann. Ich glaube, es gehört zur Pflicht Die Bundesregierung hat ja eingestanden, dass es sich einer Regierung – vielleicht auch zur Pflicht der Regie- hier tatsächlich um Probleme handelt. Die Frau Parla- rung, die die Betroffenen dazu animiert hat, ihre ehema- mentarische Staatssekretärin Voigt hat – nicht zu Ihrer lige Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen –, diese Freude – auf die Frage des Kollegen Strobl Menschen in die Lage zu versetzen, in Deutschland oder in der Türkei – je nachdem, wie sie sich entscheiden – (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wo wieder einen ordentlichen staatsbürgerlichen Status zu ist sie eigentlich?) erlangen. bestätigt, dass das, was wir in den ersten beiden Punkten (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE unseres Antrags benannt haben, tatsächlich Probleme GRÜNEN]: Inzwischen gibt es in der Türkei sind und dass sie auch der Bundesregierung Sorge berei- eine neue Regierung!) ten; denn sie war damals noch weit von einer Lösung entfernt. Ich frage jetzt: Sind wir der Lösung inzwischen Deswegen ist es wichtig, dass wir die Bundesregie- näher gekommen? rung nach wie vor fragen: Wie ist der Stand der Dinge? (B) Wie weit seid ihr gekommen? Was können wir den Men- (D) In der Bundesrepublik Deutschland gibt es etwaschen, die hier sind, anbieten? 50 000 Menschen, die deutsche Staatsbürger waren und vom Verlust ihrer Staatsbürgerschaft betroffen sind. In (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Nordrhein-Westfalen wurde darauf in Flugblättern, die GRÜNEN]: Das hätten Sie auch in der Frage- man in deutscher, in russischer und in türkischer Sprache stunde beantwortet haben können!) verteilt hat, hingewiesen. Diese Flugblätter waren nicht Das ist der Inhalt unseres Antrages, den ich zu begrün- ganz ideologiefrei. Auch hätte man sich gewünscht,den hatte. dass, da es sich um deutsche Staatsangehörige handelt, die deutsche Sprache ausreichend gewesen wäre. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Aber die Frage ist – hier setzt meine Kritik an –: Wie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- erfährt man überhaupt, wer die Betroffenen sind? Die neten der FDP) Einzige, die in der Lage gewesen wäre, uns exakt darü- ber zu informieren, wer betroffen ist, wäre die türkische Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Regierung gewesen. Das Wort hat jetzt der Kollege Carl Eduard von Bismarck von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja, das (Beifall bei der CDU/CSU) wäre die türkische Regierung gewesen! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Carl Eduard von Bismarck (CDU/CSU): NEN]: Es sind aber nicht nur Türken, um die Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte, liebe Kol- es geht! Was ist denn mit der ehemaligen Sow- leginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eine jetunion?) Reihe von anhaltenden Problemen mit der Türkei, die Aber die türkische Regierung hat sich hinter daten-große Zweifel an der Bereitschaft der Bundesregierung schutzrechtlichen Regelungen verschanzt und uns diese aufwerfen, strittige Punkte in unserem bilateralen Ver- Information bislang verweigert. Das ist noch immerhältnis gegenüber unseren türkischen Freunden offen Stand der Dinge. und ehrlich anzusprechen und sie auch zu klären. Dies scheint mir aber vor dem Hintergrund der aktuellen De- Meine jüngste Auskunft vom rheinland-pfälzischen batte über eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei Innenminister ist, dass man in einem sehr aufwendigen von herausragender Bedeutung zu sein. Denn in unserer Verwaltungsverfahren die Register durchschauen, jeden Bevölkerung und in ganz Europa herrschen große 17022 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Carl Eduard von Bismarck (A) Sorgen und Ängste vor einer Überdehnung und damit (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (C) einer Überforderung der EU durch eine Erweiterungs- Das fängt bei den Menschenrechten an!) politik nach dem Prinzip „Augen zu und durch“. Lassen Sie uns deshalb auf die Stimme des Realismus (Beifall bei der CDU/CSU) hören und Abstand nehmenvon Beitrittsszenarien, die weder der aktuellen Lage in der Türkei noch den Interes- Wir lösen keine Probleme, indem wir sie ignorieren. sen der EU entsprechen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Genau richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU) Übrigens verbessern wir durch eine solche Vogel- Strauß-Politik auch nicht die Chancen einer wirklichen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Annäherung zwischen der Türkei und der EU. Die in Herr Kollege von Bismarck, ich gratuliere Ihnen im Frankreich und in den Niederlanden gescheiterten Refe- Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut- renden über den europäischen Verfassungsvertrag ha- schen Bundestag. ben die Gefahren einer derartigen Europapolitik offen gelegt. In beiden Ländern wurde doch in Wahrheit nicht (Beifall) der Verfassungsvertrag abgelehnt, den wir in diesem Haus aus gutem Grund mit überwältigender Mehrheit ra- Ich schließe die Aussprache. tifiziert haben. Vielmehr haben die Franzosen und die Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus- Niederländer gegen eine Europapolitik gestimmt, dieschusses auf Drucksache 15/5665 zu dem Antrag der ihre Befürchtungen ignoriert. Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Probleme mit der Türkei nicht ausblenden“. Der Ausschuss empfiehlt, den (Beifall bei der CDU/CSU) Antrag auf Drucksache 15/4496 abzulehnen. Wer stimmt Wir werden die Bürgerinnen und Bürger nicht für Eu- für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – ropa begeistern können, wenn wir, gerade auch mit Blick Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den auf die Türkei, Probleme und berechtigte Zweifel igno- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen rieren. der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Frak- tion angenommen. Erlauben Sie mir hierzu aus europapolitischer Sicht einige Anmerkungen. Morgen tritt in Brüssel der Euro- Ich rufe Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: päische Rat zusammen. Man darf gespannt sein, was uns a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (B) der Bundeskanzler zu diesem Thema vortragen wird. richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,(D) Wie jedenfalls in den letzten Tagen zu hören ist, werden Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) die Schlussfolgerungen des Gipfels das Thema Türkei mit dem Mantel des Schweigens bedecken, obwohl die – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- Verhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober dieses Jah- ten Manfred Helmut Zöllmer, Michael Müller res eröffnet werden sollen. (Düsseldorf), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (Zuruf von der CDU/CSU: Und was macht SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, man? Man geht auf Tauchstation!) Dr. Reinhard Loske, Cornelia Behm, weiterer Ich werte dies als eines von vielen Zeichen, dass in Eu- Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- ropa ein Umdenkungsprozess stattfindet. Die Beitrittseu- NISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrich- phorie ist einer sachlicheren Debatte gewichen, und das tung durch die Bundesregierung ist auch so gut. Verbraucherpolitischer Bericht 2004 (Beifall bei der CDU/CSU) – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Niemand in diesem Haus bestreitet, dass die Türkei rung eine europäische Perspektive hat. Diskutiert wird nur, Verbraucherpolitischer Bericht 2004 wie wir diese Perspektive konkretisieren. CDU und CSU haben sich stets dafür ausgesprochen, einen realistischen – Drucksachen 15/4865, 15/4499, 15/5611 – Weg zu wählen, einen Weg, der den Interessen der Tür- Berichterstattung: kei, aber vor allem auch den Interessen der EU gerecht Abgeordnete Manfred Helmut Zöllmer wird. Wir wollen der Türkei nicht die Tür vor der Nase Ursula Heinen zuschlagen; aber wir wollen eben auch die vielfältigen Ulrike Höfken Probleme einer Vollmitgliedschaft der Türkei nicht leug- Gudrun Kopp nen. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) richts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Für uns ist klar: Wir halten eine privilegierte Partner- schaft für den besten Weg zur Anbindung der Türkei an – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- die EU. Wie diese Debatte zeigt, ist die Türkei auf zahl- ten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, reichen Politikfeldern beileibe noch nicht europareif. Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeord- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17023

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) neter und der Fraktion der SPD sowie der Ab- bensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ging, gezeigt, (C) geordneten Ulrike Höfken, Volker Beck (Köln), was sie meint und was sie darunter versteht, wenn sie Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der sagt: Wir wollen die Verbraucher informieren. Sie hat Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nämlich mal eben dafür gesorgt, dass in diesem Gesetz der Verbraucherinformationsteil gestrichen wurde. zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Eine neue Ernährungsbewegung für Deutsch- NEN]: Das heißt also Freiheit bei der CDU! – land Zurufe von der SPD: Das ist ein Skandal! – Schämt Euch!) – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- ten Hans-Michael Goldmann, Dr. ChristelEndlich wissen wir, was drin ist, wenn wir CDU „kau- Happach-Kasan, Rainer Brüderle, weiterer Ab- fen“. geordneter und der Fraktion der FDP Ich verstehe eines nicht: Warum wollen Sie nicht, zu der Abgabe einer Erklärung durch diedass Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was Bundesregierung drin ist? Warum wollen Sie nicht, dass die Verbrauche- Eine neue Ernährungsbewegung für Deutsch- rinnen und Verbraucher die notwendigen Informationen land haben, um richtige Entscheidungen – auch preisange- messene Entscheidungen – für sich und ihre Familien – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula treffen zu können? Das ist das schnelle Ende der „neuen Heinen, Julia Klöckner, Peter H. Carstensen Ehrlichkeit“. Ich habe jetzt nicht mehr im Kopf, wann (Nordstrand), weiterer Abgeordneter und der diesen Satz sprach, sage aber: Eine er- Fraktion der CDU/CSU schreckend und beeindruckend kurze Halbwertszeit! Das Über-, Fehl- und Mangelernährung wirksam ist der Beweis, dass es Ihnen überhaupt nicht um neue bekämpfen Ehrlichkeit geht, sondern um Desinformation. Sie wol- len die Verbraucher allein stehen lassen. Das haben Sie – Drucksachen 15/3323, 15/3324, 15/3310,bei Gentechnik gezeigt, das haben Sie bei den Health 15/3987 – Claims gezeigt und das zeigen Sie bei Verbraucherpoli- Berichterstattung: tik allgemein. Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ursula Heinen und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Skan- Ulrike Höfken dal!) (B) Hans-Michael Goldmann (D) Was ich daran beeindruckend finde: dass die CDU/CSU, Zum Verbraucherpolitischen Bericht liegt ein Ent- die sich gerne als wirtschaftskompetente Partei zeigt, an schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. dieser Stelle wieder einmal zeigt, dass sie nicht verstan- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die den hat, wie Binnenkonjunktur eigentlich funktioniert. Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sie wis- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sen ja, dass es sich hier um eine Berliner Stunde handelt, Genau! – Zurufe von der CDU/CSU) deren Berechnungsbasis in dieser Legislaturperiode eine Stunde à 62 Minuten ist; die Berliner Stunde ist also et- – Na ja, es gibt ja Unternehmen, die selbst Sie kritisie- was länger als die Zeitstunde. – Ich höre keinen Wider- ren – trotz aller Abtauchversuche von Frau Merkel. spruch. Dann ist so beschlossen. Eine starke Binnenkonjunktur setzt immer voraus, Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- dass die Verbraucher bei ihren Alltagsgeschäften in der nerin der Bundesministerin Renate Künast das Wort. Lage sind, eine verantwortbare Entscheidung zu treffen. Sie müssen ein Gefühl von Sicherheit bei der Entschei- Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- dung haben, Geld für ein bestimmtes Produkt oder eine schutz, Ernährung und Landwirtschaft: bestimmte Dienstleistung auszugeben. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- An dieser Stelle kann man die Verbraucherpolitik als ren! Wir haben im Bereich Verbraucherschutz bzw. vor- Chance begreifen, die Konsumfreude zu animieren. Wo- sorgender Verbraucherschutz bei den Lebensmitteln in her kommt es denn, dass wir derartig hohe Spareinlagen den letzten Jahren, zum Teil auch mit Zustimmung der haben und dass gleichzeitig ungeheure Zurückhaltung Opposition, eine Neuaufstellung vorgenommen. Sie lief besteht, Geld auszugeben? nach dem Motto „Wissen, was drin ist“. Das war für uns selbstverständlich: dass die Verbraucher wissen, was in (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Von Ihrer Poli- dem Produkt, das sie kaufen, drin ist. tik!) Heute stehe ich hier und kann in Richtung Opposition Sie können erkennen, dass es auch in diesen wirt- und gerade CDU/CSU ein lautes Bravo rufen; dennschaftlich schwachen Zeiten durchaus Unternehmen in heute hat die Opposition ihr Glanzstück, ihr Meister-Deutschland gibt, die mit einer guten und transparenten stück in Sachen Verbraucherpolitik vollbracht. Sie hat Information schwarze Zahlen schreiben. Schauen Sie gerade im Vermittlungsausschuss, als es um das Le- sich allein den Bereich E-Commerce an. 17024 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Bundesministerin Renate Künast (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zen und sagen: Wenn ich für mein Alter Geld investiere, (C) und bei der SPD – Marlene Mortler [CDU/ will ich dafür auch eine Leistung haben. CSU]: Freiwillig und ohne Verordnung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich muss Ihnen sagen: Meine These ist, dass sich die und bei der SPD – Marlene Mortler [CDU/ CDU immer noch in der kleinen Welt des 19. Jahrhun- CSU]: Deshalb haben Sie den größten Schul- derts befindet. denberg aller Zeiten angesammelt! – [CDU/CSU]: Ich würde eine schönere (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Abschiedsrede halten!) – Ja. Sie haben sich nämlich immer noch nicht mit den Das unterscheidet uns. Hier zeigen sich der tiefe Graben komplexen Strukturen der Alltagsverträge im 21. Jahr- zwischen uns und unsere unterschiedlichen Richtungen. hundert beschäftigt. Sie empfehlen die Marktwirtschaft aus der Erhard-Zeit. Angefangen bei den Lebensmitteln haben wir die Pro- duktsicherheit erhöht. Auch beim Schutz vor unlauterem (Julia Klöckner [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Wettbewerb haben wir Verbesserungen erreicht. Ich Diese Zeit gibt es aber garnicht mehr. Die Zeit, in der nenne nur die Stichworte Spam und Schlussverkaufs- sich das Geld und die Unternehmen lediglich im nationa- recht. Im Bereich der Telekommunikation haben wir bei len Rahmen bewegt haben, ist doch längst vorbei. Tatsa- den 0190er-Nummern – ebenfalls gegen Ihren Wider- che ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, die stand – dafür gesorgt, dass die Verbraucher abgesichert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Wesentlichen sind. in ihrem Land leben, während sich das Geld und die Pro- duktion bewegen können. Genau in diesem Zusammen- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das stimmt doch hang empfehlen Sie eine Wirtschaftspolitik aus den gar nicht! Was erzählen Sie denn jetzt?) 60er- und 70er-Jahren. – Mein Gott, jetzt, nach Jahren, sind auch Sie endlich so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weit. Trotzdem darf ich darauf hinweisen, dass Sie eine sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider- Mauer sind, die verhindert hat, dass wir das bereits frü- spruch bei der CDU/CSU) her geregelt haben. An Ihre eigenen Aussagen sollten Sie sich schon noch erinnern. – Ja, doch. Sie alle sitzen hier und tragen Kleidung, die irgendwo – ich weiß nicht, wo – hergestellt wurde. Inso- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fern sollten eigentlich auch Sie einen Hauch von Bezug und bei der SPD) (B) zu diesem Thema haben. Die 0190er-Nummern waren immer ein Vorteil für die (D) Die Realität sieht so aus, dass wir eine immer größere schwarzen Schafe – vielleicht noch für Sexanbieter –, Vielzahl von Produkten und Angeboten sowie eine im- aber nicht für den Mittelstand und die Verbraucher. Wei- mer größere Anzahl unterschiedlicher Vertrags- und Ge- terhin nenne ich: vertragliche Informationspflichten bei schäftsstrukturen haben. Gleichzeitig müssen die Men- Finanzdienstleistungen, Patientenbeteiligung, Datenschutz schen ihr Leben immer mehr inEigenverantwortung und bessere Tarife bis hin zum Kinderhandy. Das alles planen und organisieren. Deshalb geht es an dieser Stelle sind tatsächlich Verbesserungen. definitiv nicht nur um wirtschaftliche Freiheit, sondern (Gudrun Kopp [FDP]: Datenschutz? Das ist ja auch um die Verantwortung der Wirtschaft. Verantwor- wohl ein Hohn! Gläserner Bankkunde! – Peter tung der Wirtschaft muss an dieser Stelle bedeuten, dass Bleser [CDU/CSU]: Wer schaut denn auf die es Leitplanken gibt. Das ist das gute Recht der Verbrau- Konten der Leute?) cherinnen und Verbraucher. – Ja, die Konten der Leute. Jetzt kam wieder der be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rühmte Zwischenruf der Partei der Besserverdiener. Sie und bei der SPD) werden Ihr Image nie los. Wozu brauchen Sie das Bank- Es ist schon so: Das Leben im Jahre 2005 entspricht geheimnis denn? Sie brauchen es doch nicht für diejeni- nicht dem Leben im Jahre 1960 und wir wissen, dass wir gen, die nur 100 Euro auf dem Konto haben. Sie wollen heute, 2005, die Probleme von heute lösen und uns aber das Bankgeheimnis für diejenigen erhalten, die auch auf die Probleme von übermorgen vorbereiten müs- 100 000 Euro oder 1 Million Euro auf ihrem Konto ha- sen. Die jungen Leute, die hier oben auf der Tribüne sit- ben. Wir sind aber gegen Steuerhinterziehung. zen, fragen sich zum Beispiel, wie sie an das Standbein private Altersvorsorge herankommen. Wofür geben sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denn ihr Geld aus? und bei der SPD) (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie haben die Leute mit Wir haben das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz, Ihrer Koalition doch arm gemacht!) das Sie 16 Jahre lang vor sich her geschoben haben, end- lich geschaffen. Jetzt gibt es endlich eine durchgehende Sie haben dazu überhaupt nichts geboten außer der Frei- Kette vom Futtermittel bis hin zur Ladentheke. Wir heit der Versicherungsvermittler – mehr nicht. Es ging schaffen damit für die Verbraucher mehr Sicherheit bei Ihnen um die Freiheit derer, die eine Provision habenden Lebensmitteln, während Sie schon wieder sagen: wollen, und nicht um die Freiheit derer, die hier oben sit- Verbraucherinformationen können wegfallen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17025

Bundesministerin Renate Künast (A) Ich weiß schon, dass Sie nachher sagen werden, Sie Rede selten so viele nicht ganz richtige Tatsachen gehört (C) wollten ja Verbraucherinformation, sogar mehr als wir. wie heute in Ihrer Rede. Dabei werden Sie aber hinter Ihrem Rücken die Finger überkreuzen; denn danach werden Sie erklären: Das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werden wir später machen, also in 100 Jahren, oder wir Ich möchte Ihnen das gerne einmal darlegen. lassen es über Brüssel laufen. – Die Verbraucher wollen aber nicht 15 Jahre warten, bis diese Angelegenheit in Fangen wir mit dem Beispiel der 0190er-Nummern Brüssel entschieden wird. Sie wollen schon heute Infor- an, deren Verbot Sie sich plötzlich auf Ihre Fahnen mationen über die Lebensmittel haben, die sie für ihrschreiben. Ich weise noch einmal darauf hin: Wenn Sie Geld kaufen. öfter einmal in den Ausschuss gekommen wären – Sie sind nämlich, glaube ich, in dieser Legislaturperiode ins- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesamt nur zweimal im Ausschuss für Verbraucher- und bei der SPD) schutz gewesen –, hätten Sie auch die Beratungen über Auch das Themadigitaler Verbraucherschutz ist dieses Gesetz mitbekommen. wichtig. Nehmen wir zum Beispiel die RFID-Chips, mit (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Eine Stunde, denen Großhandelsunternehmen ihr Warenmanagement wenn es hoch kommt!) gestalten. Auch bei diesem Thema sind der Handel und die Wirtschaft längst weiter als die Opposition. Sie ha- Dann hätten Sie erfahren, dass es die CDU/CSU gemein- ben entschieden: Die Chips sind nur bis zur Kasse les- sam mit der FDP gewesen ist, die in der Frage der bar; denn danach geht es um das Recht der Verbraucher 0190er-Nummern Tempo gemacht hat. auf Datenschutz, sodass sie nach dem Kauf keine Infor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mationen preisgeben. Das ist eine moderne Verbraucher- schutzpolitik. Das entspricht meines Erachtens dem Der zweite Punkt betrifft dasVerbraucherinforma- Grundgesetz, weil das Grundgesetz auch die Aufgabe tionsgesetz. Dazu möchte ich etwas über den Hergang in hat, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Nicht der parlamentarischen Beratung sagen. Wir haben be- nur bei der eigenen Existenz muss Verbraucherschutz so gonnen, über ein Lebensmittel- und Futtermittelgesetz- funktionieren, dass man sich eigenständig und informiert buch zu sprechen. Sie haben es in erster Lesung einge- entscheiden kann. bracht. Das war aufgrund einer europäischen Vorlage Ihre Verbraucherpolitik ist so ausgerichtet, dass Sie notwendig. Dazu haben wir richtigerweise nach der ers- eigentlich das C aus Ihrem Namen streichen müssten. ten Lesung eine Anhörung mit Vertretern von Verbänden Ich sehe gerade, dass Frau Hasselfeldt leider nicht da ist. im Ausschuss durchgeführt. Diese haben uns ihre Mei- (B) Sie hat hier neulich gesagt: Wer soll bewerten, was ethi- nung dazu gesagt und wir haben das aufgenommen.(D) sche Aspekte sind? Meine Damen und Herren, wennKurz bevor dieses Lebens- und Futtermittelgesetzbuch selbst Sie mit dem C im Namen es nicht wissen, dann in die zweite und dritte Lesung kam – das war haar- kann ich nur sagen: Gute Nacht! scharf –, wurde ein Abschnitt 11, Verbraucherinforma- tion, in einer Nacht- und Nebelaktion aufgenommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Bundesrat!) Wir wissen, dass auch ethische Aspekte bei der verbrau- – Ihr Zwischenruf ist völliger Quatsch; denn es ging im cherpolitischen Information eine Rolle spielen. Wir wis- Bundesrat nur darum, zu regeln, wann die Öffentlichkeit sen, es geht um Freiheit, aber nicht nur um die Freiheit in bestimmten Fällen informiert wird. Es ging nicht um der Wirtschaft, sondern auch die Freiheit der Kunden, die Verbraucherinformation. wählen und entscheiden zu können. Sie wollen wissen, (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- was das richtige Produkt ist. NEN]: Da hat aber jemand ein schlechtes Ge- (Gudrun Kopp [FDP]: Eben!) wissen!) Es geht um Ehrlichkeit und Wahrheit. Es geht um eine Wir haben gesagt: So, wie das Thema Verbraucherinfor- Wirtschaft, die mit Verbraucherpolitik schwarze Zahlen mation in das Gesetz eingebracht wurde, passt es schreiben wird. schlicht und ergreifend nicht hinein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP]) und bei der SPD) Sie hätten Ihre Koalitionsvereinbarung umsetzen und ein eigenständiges Verbraucherinformationsgesetz vorlegen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sollen, über das man dann in der Breite hätte diskutieren Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen von derkönnen. Sie aber fummeln es in irgendein Gesetz hinein, CDU/CSU-Fraktion. in das es absolut nicht hineinpasst. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich freue mich, Ursula Heinen (CDU/CSU): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Kollegen! Frau Ministerin Künast, ich habe in einer NEN]: So ist die CDU!) 17026 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Ursula Heinen (A) dass wir heute in dieser Debatte die Möglichkeit haben Auf die Frage, ob Süßigkeiten ohne Zustimmung(C) – insofern muss man den Verbraucherpolitischen Bericht der Erziehungsberechtigten in Kindergärten und loben –, darüber zu diskutieren, wie das Verbraucherbild Schulen verteilt werden sollten, möchte ich an die- von Rot-Grün auf der einen Seite und wie das Verbrau- ser Stelle nicht näher eingehen. cherbild der Union auf der anderen Seite aussieht. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das muss man (Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Sie haben sich einmal vorstellen!) doch gar keins!) Jetzt frage ich mich: Was geht eigentlich in den Köp- Geht es um den selbstständigen Verbraucher, der durch fen der Beschäftigten in Ihrem Haus vor? Haben sie politisches Handeln, durch Rahmenbedingungen oder nichts Besseres und nichts Wichtigeres zu tun, auch Leitplanken, wie Sie es formuliert haben, in die Lage versetzt wird, eigenständig zu entscheiden, oder (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Bevormun- geht es darum – das ist die Politik, die Sie in den vergan- dung!) genen sieben Jahren gemacht haben –, den Verbraucher als einem Bürgermeister zu sagen, was er zu tun und zu zu bevormunden und ständig mit dem moralisch erhobe- lassen hat? nen Zeigefinger vor ihm zu stehen und ihm zu sagen, was er zu tun oder zu lassen hat? (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Bleser [CDU/CSU]: Die sind durchgeknallt!) Ich möchte gerne ein kleines Beispiel aus derober- bergischen Stadt Hückeswagenzitieren, das, als Dürfen Kinder keine Schokolade mehr essen? Also schaue man durch ein Brennglas, zeigt, was Sie unterdoch: gute Lebensmittel, schlechte Lebensmittel. Das, Verbraucherpolitik verstehen. Im April dieses Jahres hat was Sie von Ausgewogenheit erzählen, ist kompletter der Bürgermeister der Stadt Hückeswagen von seinerQuatsch. Ihr Haus weist in diesem Schreiben noch da- belgischen Partnerstadt eine große Menge echter belgi- rauf hin, Hückeswagen solle sich gefälligst an denBe- scher Schokolade geschenkt bekommen, wegungsprogrammen des Bundesministeriums beteili- gen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) um diese an gemeinnützige Organisationen, an Kinder- gärten und Altenheime zu verschenken. Es war einfach Ich kann Ihnen sagen: Die Grundschulen in Hückeswa- eine schöne Idee, im Rahmen der Partnerschaftsbezie- gen haben ganz erfolgreich an dem Landesprogramm hung zwischen den beiden Städten so etwas zu machen. „Schulen in Bewegung“ teilgenommen. Daher können 400 Menschen haben so Schokolade bekommen, die Kinder dort ab und zu auch einmal ein bisschen (B) Schokolade essen. (D) (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Finde ich Klasse!) (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das beruhigt auch!) vorwiegend Kinder und Senioren, die sozial etwas schwächer gestellt waren. Die Sache kam gut in Hückes- Ich habe dieses Beispiel deshalb so ausführlich er- wagen an, leider aber nicht in Berlin; denn diese schöne zählt, weil es zeigt, wie Sie denken und was Sie vorha- Aktion in Hückeswagen – ich bin sicher, Sie wissenben. Sie wollen nämlich die Leute nicht frei entscheiden noch nicht einmal, wo das ist – nahm das Bundesminis- lassen, sondern Sie wollen sie bevormunden; Sie wollen terium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- sie ständig in eine Ecke drängen. schaft zum Anlass, dem Bürgermeister einen Brief zu (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schreiben. NEN]: Das muss gerade die Partei sagen, die (Peter Bleser [CDU/CSU]: Reif für eine Kap- die Gentechnik einführen will!) pensitzung!) Das finde ich unverschämt. Dieses Verbraucherbild wird Ich möchte gerne aus diesem Brief zitieren: es mit uns nicht geben und ist mit uns nicht zu machen. Sehr geehrter Herr Bürgermeister, durch Zusendung (Beifall bei der CDU/CSU) eines Zeitungsartikels wurde ich über Ihre Aktion, Ich glaube ohnehin, dass Sie in die Geschichte dieser zwei Zentner Süßwaren an Schulen und Kindergär- Republik als größte Ankündigungsministerin aller Zei- ten zu verschenken, informiert. ten eingehen. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie wollte auch (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Schily!) was!) Was haben Sie denn nicht alles angekündigt und nicht Sicher ist die Aktion bei den Kindern gut angekom- umgesetzt! men. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass eine derartige Aktion allen Bemühungen, Übergewicht (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei Kindern vorzubeugen und eine ausgewogene NEN]: Warum jammern Sie dann die ganze Ernährung sicherzustellen, entgegenwirkt. Zeit so laut?) Zum Schluss wird dem Herrn Bürgermeister auchWo waren Sie denn bei wichtigen Themen, zum Beispiel noch gedroht: als es um dieEnergiepreise gegangen ist? Wo waren Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17027

Ursula Heinen (A) Sie, als es um Fahrgastrechte gegangen ist? Sie behaup- voll. Dies ist eine Erfolgsgeschichte dieser Bundesregie- (C) ten, Sie hätten sich rung. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des NEN]: Sie haben Verbraucherrechte abge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lehnt!) Wir sind den Weg von einem rein reagierenden Ver- um die Handys und die Telekommunikation gekümmert. braucherschutz hin zu einer gestaltenden Verbraucher- Es waren aber doch die anderen. Die Federführung lag politik gegangen. Unser Ziel ist eine aktive Verbrau- doch beim Wirtschaftsausschuss und selbst in Ihrencherpolitik, die auch eine wichtige Funktion im Fraktionen lag die Federführung bei den Wirtschaftspo- Wirtschaftssystem übernimmt. litikern und nicht bei den Verbraucherpolitikern. Verbraucherinnen und Verbraucher können und sollen (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: So ein selbst entscheiden, liebe Kollegin Heinen, und ihre Ent- Tinnef!) scheidungen auch selbst verantworten. Aber sie können Es war doch so, dass Sie das Thema erst dann aufgegrif- dies nur, wenn ihnen der Markt Transparenz und Infor- fen haben, als Sie gemerkt haben, dass es pressewirksam mationen bietet, damit sie ihre Entscheidungen bewusst ist. treffen können. Sie können dies nur, wenn sie nicht be- trogen und über den Tisch gezogen werden. Ein weiteres Thema – darauf können Sie gleich ant- worten – sind die Schrottimmobilien. (Marlene Mortler [CDU/CSU]: So wie beim Biosiegel!) Sie haben im November groß angekündigt, was Sie alles tun wollen. Dass die Federführung beim Justiz-Die Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen des- ministerium liegt, hat Sie nicht interessiert. Sie haben Ihr halb gesetzlich verankerte Rechte, die sie wirksam Interview gegeben und gesagt, Sie tun etwas. Das wurde durchsetzen können, damit sie auf gleicher Augenhöhe auch im Bericht angekündigt. Es ist aber nichts gesche- als Marktteilnehmer agieren können. hen. Was machen Sie in diesem Bereich? Das interessiert mich wirklich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Die Wähler bekommen hof- fentlich bald die Chance, darüber zu entscheiden, wer Unser Ziel ist es, das real existierendeUngleichge- die bessere Verbraucherpolitik macht, wer sie ernsterwicht zwischen organisierter Anbietermacht und in- nimmt, wer sich intensiver kümmert, wer sie nicht be- dividualisierter Nachfragemacht zu beseitigen. Paul (B) vormundet und ihnen die Freiheit lässt, selbst zu ent-A. Samuelson, ein bekannter amerikanischer Wirt-(D) scheiden, was sie tun und lassen wollen. schafts-Nobelpreisträger, hat es einmal so ausgedrückt: „Der liebe Gott hat uns zwei Augen gegeben, um Ange- Danke schön. bot und Nachfrage zu betrachten.“ Nur wer Beides im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Blick hat, kann einen wirksamen Wettbewerb fördern und gestalten. Eine aktive Verbraucherpolitik ist deshalb für uns ein zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Unternehmen, die den Verbraucherschutz nicht ernst Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer von der nehmen, verlieren Marktanteile und Arbeitsplätze. SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Manfred Helmut Zöllmer (SPD): beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Lassen Sie mich jüngste Beispiele nennen. Kürzlich Herren! Liebe Kollegin Heinen, Sie haben versucht, die wurde in den USA von Marktforschern ermittelt, dass verbraucherpolitische Löwin zu geben. sich 39 Millionen Amerikaner vom Onlineshopping zu- (Ursula Heinen [CDU/CSU]: Ich bin Waage!) rückgezogen haben, weil sie Angst vor „identity theft“ – also vor Identitätsdiebstahl – hatten. Leider enden Sie dabei in politischer Hinsicht wieder als Bettvorleger. (Ursula Heinen [CDU/CSU]: Das hat es schon vorher gegeben!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ein ganz neuer In Deutschland sind 250 000 Jugendliche zwischen Spruch!) 15 und 20 Jahren überschuldet. Dabei spielt fast immer das Handy eine große Rolle. Deshalb bekommt es bei Wenn wir hier über die richtigen Konzepte streiten, vielen Eltern ein zunehmend schlechtes Image. dann spielt die Verbraucherpolitik eine wichtige Rolle. Die Menschen im Lande sollen erfahren, wer der Anwalt Viele telefonische Mehrwertdienste und Internetange- ihrer Interessen ist und wer sie im Stich lässt, indem er bote wurden und werden zum Teil genutzt, um in dreis- ihre Rechte und Interessen ignoriert. Die Verbraucherpo- ter Weise Kunden zu betrügen und über den Tisch zu zie- litik ist in Deutschland unter dieser rot-grünen Bundesre- hen. Jeder kennt entsprechende Beispiele; die Medien gierung ein essenzieller Bestandteil unseres politischen waren voll davon. Dies bedroht seriöse Geschäftsmo- Handelns geworden. Der Bericht belegt dies eindrucks- delle und damit Arbeitsplätze in einem Zukunftsmarkt. 17028 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Manfred Helmut Zöllmer (A) Derartige Erscheinungen können und wollen wirgeben: Das Defizit der CDU/CSU in der Verbraucherpo- (C) nicht hinnehmen. litik ist nicht zu leugnen. Ihr Hauptproblem ist aber: Es wird immer größer. Es gibt keine einzige vorwärts wei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sende Idee von Ihnen. Immer wenn es konkret wird, DIE GRÜNEN) kneifen Sie. Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode viele Ge- setzesvorhaben auf den Weg gebracht – das macht der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bericht auch deutlich –, sei es das Gesetz gegen den DIE GRÜNEN) Missbrauch von Mehrwertdiensterufnummern, das no- Die FDP hat Bedenken gegen alles, was auch nur ir- vellierte UWG oder das Telekommunikationsgesetz.gendwie nach Verbraucherschutz aussieht. Dies wird auf sehr gute Art und Weise dokumentiert und dargestellt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir wollen einen Ausgleich zwischen Anbieter- und Herr Kollege Zöllmer, erlauben Sie eine Zwischen- Nachfrageseite schaffen. Wir wollen die Verbraucherin- frage der Kollegin Heinen? nen und Verbraucher in ihren Rechten stärken. Wir wol- len für Information und Transparenz sorgen, dabei aber Manfred Helmut Zöllmer (SPD): die Wirtschaft nicht als Gegner, sondern als Mitstreiter – wo immer möglich – einbeziehen. Ich erlaube eine Zwischenfrage. Wir werden auf der anderen Seite nicht zulassen, dass Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: aufgrund eines unzulänglichen Verbraucherschutzes Ver- braucherinnen und Verbraucher abgezockt, gleichzeitig Bitte, Frau Heinen. Geschäftsmodelle beschädigt und ökonomische Zu- kunftschancen vertan werden. Hier ist staatliches Han- Ursula Heinen (CDU/CSU): deln notwendig. Hier haben wir gehandelt. Das werden Kollege Zöllmer, könnten Sie dem Parlament bitte wir auch in Zukunft so machen. noch einmal erklären, von wem die ersten Initiativen ka- men, beispielsweise im Bereich von Spam oder gegen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den Missbrauch bei den 0190er-Nummern etwas zu un- DIE GRÜNEN) ternehmen? Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie kommen ständig – das haben Ihre heutigen Reden wie- Manfred Helmut Zöllmer (SPD): der deutlich gemacht – mit den gleichen Standardargu- (B) Ihr Problem ist: Sie sind zwar sehr groß im Ankündi- (D) menten. Das eine lautet – das verwendet insbesondere gen; aber im Ergebnis bleibt nichts übrig. Das gilt für die FDP –: Ein freier Markt regelt sich alleine und trennt alle von Ihnen hier genannten Fälle. gewissermaßen automatisch die Spreu vom Weizen. Das andere lautet: Verbraucherschutz belastet die Wirtschaft (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und führt zu Überregulierung, mehr Bürokratie und Be- DIE GRÜNEN) vormundung. – Auch wenn Sie diese Argumente dau- ernd wiederholen, bleiben sie falsch. Der Staat ist in sei- Das Interesse der FDP am Verbraucherschutz und an ner gestaltenden Funktion dort gefordert, wo der Markt Verbraucherinformation ist gleich null. Frau Kopp, Sie versagt. Es gibt viele Beispiele für Marktversagen. haben das zum Beispiel im Zusammenhang mit den Zigaretten deutlich gemacht. Ihnen geht es nur um die In Wirklichkeit sind Ihre Argumente nur vorgescho- wirtschaftlichen Interessen. Die Verbraucherinnen und ben und inhaltslos. Sie wollen in Wahrheit keinen wirk- Verbraucher sind Ihnen vollkommen gleichgültig. samen Verbraucherschutz. Dies haben Sie an vielen Punkten deutlich gemacht. Das Auseinanderdriften von (Widerspruch bei der CDU/CSU – Gudrun Wort und Tat bei Ihnen lässt sich an vielen Beispielen Kopp [FDP]: Das betrifft mich überhaupt sehr gut belegen. Das Stichwort „Verbraucherinforma- nicht!) tionsgesetz“ ist ja hier schon gefallen. In der letzten Le- Das ist ein verbraucherpolitischer Offenbarungseid. gislaturperiode haben wir den Entwurf eines Verbrau- cherinformationsgesetzes vorgelegt – liebe Frau Heinen, Was Sie von der Bundesregierung auf diesem Politik- hören Sie zu! –, das umfassend regeln sollte. Aber Sie feld präsentiert bekommen, ist eine moderne und aktive haben diesen Gesetzentwurf im Bundesrat abgelehnt. Verbraucherpolitik des 21. Jahrhunderts. Das dient den seriösen Unternehmen, sichert Märkte und Arbeitsplätze (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des in Deutschland und nutzt den Verbraucherinnen und Ver- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) brauchern. Danach haben Sie uns permanent aufgefordert, in die- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sem Bereich endlich etwas zu tun. Wir haben dann etwas DIE GRÜNEN) getan. Wir haben mit dem Lebensmittel- und Futtermit- telgesetzbuch einen neuen Anlauf unternommen. Das Ergebnis ist: Wieder wird es von der CDU/CSU abge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lehnt, und zwar mit gänzlich fadenscheinigen Argumen- Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der ten. Ich muss Ihrer Parteivorsitzenden einfach RechtFDP-Fraktion. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17029

(A) Gudrun Kopp (FDP): Sie jedoch nur sagen: Das müssen wir jetzt erst einmal(C) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da- prüfen. – Das ist eine tolle Geschichte. Sie haben daraus men! Lieber Herr Kollege Zöllmer, nicht der Markt ver- eine Riesenshow gemacht, aber der Informationswert für sagt, den Verbraucher war gleich null. Es ist wirklich nichts anderes als eine große Mogelpackung, denn schließlich (Jella Teuchner [SPD]: Sondern die FDP!) weiß jeder, dass Rauchen nicht nur gefährlich ist, son- sondern die rot-grüne Bundesregierung hat versagt und dern auch tödlich sein kann. ist am Ende. Sie haben immer wieder Riesenlisten vorgelegt und (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der dem Verbraucher zu sagen versucht, was er tun und wie CDU/CSU) er sich verhalten soll; Sie haben Landwirte gegängelt Zu dieser letzten Runde mit Frau Künast als Verbrau-und gegeißelt; Sie haben Biolandwirte gegen konven- cherministerin tionell wirtschaftende Landwirte auszuspielen versucht; Sie haben gegen Billigkäufe gewettert. Aber Sie haben (Jella Teuchner [SPD]: Freuen Sie sich nicht beim Thema „Der Staat als Kostentreiber“ keine Aktion zu früh!) gestartet. Sie haben sich niemals wirklich eingemischt kann ich Ihnen nur sagen: Sie veranstalten hier eine ver- bei hohen Energiepreisen, die Arbeitsplätze kosten und braucherpolitische Märchenstunde, die wirklich kaum Verbraucher und Firmen hoch belasten. noch zu ertragen ist. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist (Jella Teuchner [SPD]: Das muss Ihnen ja be- doch nicht wahr!) kannt sein! Das machen Sie ja schon seit Jah- Sie haben immer mehr Bürokratielasten, die eben auch ren!) Kosten bedeuten, aufgebürdet und sich nicht auf das Herr Kollege Zöllmer, es ist richtig, wenn Sie sagen: wirklich Notwendige beschränkt. Seien Sie versichert: Unternehmen, die Verbraucherschutz nicht ernst neh-Die meisten Verbraucher sind erwachsen und selbstbe- men, verlieren Marktanteile. Sehr richtig! Und weil das stimmt und wissen selber, was für sie gut und richtig ist. so ist, ist jedes seriöse Unternehmen – dazu zählt der überwiegende Teil der Unternehmen – von sich aus da- (Beifall bei der FDP – Waltraud Wolff [Wol- ran interessiert, Verbraucher zu informieren und zufrie- mirstedt] [SPD]: Deshalb sind sie auch für die den zu stellen, Informationen dankbar!) (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Typisch Beim Thema Forschung ist vieles nachzuholen. (B) FDP! Der Markt wird es schon richten!) Wenn ich daran denke, dass sie sogar für Werbever- (D) damit es Marktanteile behalten und überhaupt existieren bote gestritten haben, kann ich Ihnen nur sagen: Legale kann. Produkte müssen auch beworben werden dürfen oder aber die Produkte haben vom Markt zu verschwinden. (Beifall bei der FDP – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Und was machen wir mit den Den ersten Gesetzentwurf zumVerbraucherinfor- anderen?) mationsgesetz mussten Sie zurückziehen, weil Sie da- mit die Behörden der Städte, Gemeinden und Kreise Das hat natürlich auch etwas mit der furchtbar desola- enorm belastet hätten. ten Wirtschaftslage hier in Deutschland zu tun. Frau Ministerin Künast hat eben von der hohen, inzwischen (Jella Teuchner [SPD]: Der ist doch gar nicht zweistelligen Sparquote gesprochen. Gründe dafür sind zurückgezogen worden! Er ist im Bundesrat die hohe Arbeitslosigkeit und die Unsicherheit der Men- abgelehnt worden!) schen hinsichtlich ihrer Zukunft, was Bildung, Arbeits- plätze und wirtschaftliche Prosperität betrifft. Die Men- Die haben Ihnen den Garaus gemacht und haben sich be- schen glauben, sie haben null Chancen. Deshalb bin ich dankt für immer mehr Belastungen im Zusammenhang ziemlich sicher, dass wir dieses Desaster recht bald be- mit Informationen, die für die Verbraucher nur geringen enden werden. Nährwert haben. Sehr geehrte Frau Ministerin Künast, Sie haben sich Ich kann Ihnen nur sagen: Kümmern Sie sich in Zu- in der zurückliegenden Legislaturperiode als wahrekunft vermehrt um Bürgerrechte! Kümmern Sie sich da- Aktionskünstlerin dargestellt. Ein paar Beispiele sind rum, dass die Bahn als Dienstleister ihre Kunden im hier schon genannt worden; ich füge noch eines hinzu: Schadensfall oder im Beschwerdefall rechtsgleich be- Sie haben vor kurzem in einer Riesenaktion den staunen- handelt! Kümmern Sie sich darum, dass Menschen mit den Medien Listen mit über 1 000 Inhaltsstoffen präsen- Behinderungen in unserer Gesellschaft auch als Verbrau- tiert, die in Zigarettentabaken enthalten sind. cher gesehen werden! Kümmern Sie sich darum, dass Bürgerrechte wieder etwas gelten! Ich erwähne hier nur (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Etwas ganz das Stichwort „gläsernes Bankkonto“ und denke dabei Neues!) nicht an die Inhaber großer Konten. Es geht einfach da- Das haben Sie als die Sensation verkauft. Auf die Frage rum: Wer guckt in die Konten? Wer darf sich hinter dem nach der wissenschaftlichen Erprobung dieser Erkennt- Rücken der Kontoinhaber Informationen verschaffen? nisse und den Wirkungen dieser Inhaltsstoffe konnten Ich bin gegen einen Schnüffelstaat. Ich finde, das ist eine 17030 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Gudrun Kopp (A) Verbraucherpolitik, die Verbraucher in höchstem Maße Zweites Beispiel: das Präventionsgesetz. Mit dem(C) missachtet, anstatt ihre Interessen zu vertreten. Präventionsgesetz wollen wir die Vorbeugung von Krankheiten verbessern. Die Verbraucherzentrale be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zeichnete den Gesetzentwurf übrigens als Meilenstein. Mich beruhigt am heutigen Tag, dass viele Verbrau- Ein wichtiger Bereich ist e di Prävention von Überge- cher Sie längst durchschaut haben und bei Ihrer nächsten wicht bei Kindern. Die CDU/CSU-regierten Länder si- Aktion gelassen bleiben; denn wir wissen: Das ist bald gnalisierten lange Zeit Zustimmung. Als es dann jedoch vorüber. Der September wird den Wechselwind bringen. zum Schwur kam: Blockade. Herzlichen Dank. Im Bereich derFinanzdienstleistungen sieht Ihre Politik nicht besser aus. Erstes Beispiel: Altersvorsorge. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir wollen, dass die Menschen für das Alter besser vor- sorgen. Mit der Reform des Alterseinkünftegesetzes ha- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ben wir 2004 die Weichen gestellt. Betriebliche Renten Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm von und Riester-Renten-Produkte wurden für Verbraucherin- der SPD-Fraktion. nen und Verbraucher attraktiver gemacht. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Die wollen sie ja (SPD): Gabriele Hiller-Ohm gar nicht! – Gudrun Kopp [FDP]: Die haben Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als zu wenige Informationen!) bei der Opposition ist Verbraucherschutz bei der rot-grü- nen Bundesregierung in guten Händen. Gleichzeitig haben wir das Privileg der Steuerbefreiung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von Kapitallebensversicherungen zusammengestrichen. DIE GRÜNEN) Warum war das nötig? Kapitallebensversicherungen sind kein geeignetes Mittel zur Altersvorsorge. 70 Prozent Wir haben ein schlagkräftiges Verbraucherschutzminis- der Verträge werden vorzeitig gekündigt. Durch die steu- terium geschaffen. erliche Vergünstigung werden aber die viel wirksameren Riester-Produkte auf dem Markt benachteiligt. Das (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da werden Leute musste geändert werden. Und wieder einmal stießen wir rausgeworfen! Sehr schlagkräftig!) auf Widerstand bei der Opposition. Warum? Kapital- Sie waren dazu nicht in der Lage. Wir haben wichtige lebensversicherungen sind für Besserverdienende ein in- Regelungen zur Stärkung der Verbraucherrechte auf den teressantes Instrument zur Vermeidung von Steuern. (B) Weg gebracht. CDU und CSU hingegen lassen sich ein- (D) seitig von Lobbyinteressen leiten und treten, wenn es (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie haben doch zum Beschluss kommt, auf die Bremse. Entscheidungen überhaupt keine Ahnung!) des Bundestages werden mit Ihrer Mehrheit im Bundes- Zweites Beispiel: Versicherungsvertragsrecht. In rat dann wieder zurückgedreht. Deutschland sind viel zu viele Menschen falsch ver- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie werden verbes- sichert. Dies liegt auch daran, dass sie nicht richtig bera- sert!) ten werden. Mit der Reform des Versicherungsvertrags- rechtes wollen wir den Abschluss von Versicherungen So sieht es aus. transparenter machen. Unter anderem fordern wir ein Ich nenne zwei Beispiele aus demErnährungsbe- Protokoll der Beratungsgespräche. Dadurch werden fal- reich. Erstes Beispiel: nährwert- und gesundheitsbezo- sche Beratungen und unseriöse Angebote aufgedeckt. gene Angaben auf Lebensmitteln. Wir unterstützen auf Die Position der Union ist hier sehr schwammig. Sie EU-Ebene ein Verbot von irreführenden gesundheitsbe- warten auf grünes Licht aus der Versicherungswirtschaft. zogenen Angaben auf Kinderlebensmitteln. Bedienung von Lobbyinteressen und Blockade wich- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Bürokratie bis zum tiger verbraucherpolitischer Projekte – so, meine Damen Exzess!) und Herren von der Opposition, machen Sie Politik. Wir machen das anders. Wir nehmen die Menschen ernst Aufdrucke wie „ohne Fett“ oder „mit wertvollen Vitami- nen“ haben auf einer Tüte zuckriger Gummibärchen (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Und wie nichts zu suchen. ernst!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und haben trotz des Widerstands der Union für die Ver- Diese Angaben suggerieren einen positiven Nährwertge- braucherinnen und Verbraucher in Deutschland sehr viel halt – irreführend, meine Damen und Herren; denn bei auf den Weg gebracht. Naschzeug ist der hohe Zuckergehalt das Problem. Der (Zuruf von der CDU/CSU: Was denn?) verschwindet auch nicht durch den Zusatz von Vitami- nen oder die Reduzierung von Fett. Sie, meine Damen Diese Politik setzen wir fort. und Herren von der Opposition, sagen Nein zu unserem Vorschlag. Warum? Die Lobbygruppen der Ernährungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ industrie intervenierten und zeigten die rote Stoppkarte. DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17031

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Im gemeinsamen Binnenmarkt sind europaweite(C) Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Mortler von Regelungen des Wettbewerbsrechts erforderlich. der CDU/CSU-Fraktion. ... Abweichende nationale Regelungen … werden nach dem derzeitigen Stand ausgeschlossen … (Beifall bei der CDU/CSU) Warum dann nicht auch europaeinheitliche Standards in der Lebensmittelproduktion? Die Praxis zeigt doch, Marlene Mortler (CDU/CSU): dass die Wirtschaft und die Landwirtschaft jederzeit be- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und reit sind, Lebensmittel mit höheren Standards zu liefern, Kollegen! Jahrelang hat Ministerin Künast den Agrarpo- wenn der Markt und wenn der Verbraucher dies wün- litischen Bericht für ihre verbraucherpolitischen Zwe- schen, cke, für ihre Propaganda missbraucht. Heute liegt uns ein eigenständiger Verbraucherpolitischer Bericht vor. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gudrun Kopp [FDP]) (Jella Teuchner [SPD]: Toll! Unser Erfolg!) aber auf freiwilliger Basis und eigenverantwortlich, Ich sage Ihnen eines: Es hat sich nichts geändert; denn ohne Gängelung. Frau Ministerin ist ihrem Ruf als Verbrauchertäu-Ministerin Künast hat in all den Jahren auf Gängelung schungsministerin gerecht geworden. gesetzt. Ich nenne das Beispiel: Verfütterungsverbot für (Beifall bei der CDU/CSU und tierische der Fette. Das gilt nur in Deutschland. FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es gibt eine gewisse Kultur, Marlene Mortler, NEN]: Da freuen sich die Verbraucher! – und die haben auch die Leute von der CSU Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einzuhalten! – Weiterer Zuruf von der SPD: NEN]: Wollen Sie das aufheben?) Bayerische Holzhackermethoden!) Ich nenne das Beispiel: Pflicht zum BSE-Test bereits bei Mit diesem Bericht verbinde ich die große Hoffnung, Rindern ab 24 Monaten, in allen anderen EU-Ländern dass es der letzte Bericht ist, den Sie abliefern. Deutsch- erst ab 30 Monaten. land braucht nicht nur einen Regierungswechsel; Deutschland braucht eine Änderung in der Verbraucher- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das hat politik, Verbrauchervertrauen geschaffen!) Das verursacht Kosten. Ich nenne das Beispiel „niedri- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Und eine Ver- gere Mykotoxingrenzwerte für Getreide und Getreideer- (B) braucherbefreiung!) (D) zeugnisse“ oder das Beispiel „niedrige Rückstands- eine Politik, die Verbraucher wirklich und ehrlich infor- grenzwerte für Pflanzenschutzmittel“. miert und nicht verdummt und nicht gängelt. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Fragen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie mal die Leute, warum, Frau Mortler!) Amtliche Verbraucherpolitik heißt für uns: für Wahr- All diese Werte sind in Deutschland wesentlich niedri- heit und Klarheit sorgen ger. (Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das ist gut (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Ja von we- so!) gen! Beleidigungen ausstoßen und sonst nichts!) Man muss sich das einmal vorstellen: In Deutschland darf das Fleisch von heimischen Rindern, die älter als und jede amtliche Täuschung vermeiden. Was haben Sie 24 Monate sind, nur dann auf den Teller, wenn diese getan? Sie haben in den Jahren Ihrer AmtszeitEU-Vor- Tiere entsprechend getestet worden sind. gaben im Inland ständig verschärft, haben dem Verbrau- cher/der Verbraucherin aber bewusst verschwiegen, dass (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lebensmittel mit niedrigeren Standards aus dem EU- NEN]: Wir verwenden das als Wahlkampfrede Binnenmarkt ungehindert auf unsere deutschen La- für uns!) dentheken kommen. Frau Ministerin sagt aber nicht, dass das Fleisch von (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- französischen Rindern auf unseren Teller kommen darf, NEN]: Bauen wir doch neue Mauern,auch wenn dort, wie EU-weit, Tests erst für Tiere ab oder? – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Wol- 30 Monaten vorgeschrieben sind. len Sie jetzt aus der EU austreten?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Diese nationalen Alleingänge werden im Bericht als Gudrun Kopp [FDP]) nationale Ergänzungsregelungen umschrieben, ohneDas ist Verbrauchertäuschung und hat nichts mit Ver- dass sie begründet werden. Warum verschleiern Sie,braucherschutz zu tun. Frau Ministerin? Warum nennen Sie das Kind nicht beim Namen? (Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das ist Unsinn! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE Ich habe im Bericht nachgelesen. Auf Seite 13 steht: GRÜNEN: So ein Quark!) 17032 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Marlene Mortler (A) Ministerin Künast propagiert einseitig Freilandhal- (Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Wurscht ist (C) tung von Legehennen. Sie sagt aber nicht, dass gerade ihr der Verbraucherschutz! Das haben Sie ja diese Haltungsform eine stärkere Dioxinbelastung der deutlich gemacht!) Eier mit sich bringt. sehr wichtig, wir setzen aber auf Eigenverantwortung. (Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan Verbraucherschutz hört für uns dann auf, wenn er nur [FDP] – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE noch Geld kostet, aber nichts mehr bringt. GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) In Wahrheit ist der Ökolandbau für Ministerin Künast Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nur Mittel zum Zweck gewesen, denn seit der Einfüh- Vielen Dank, Frau Kollegin Mortler. rung des deutschen Biosiegels kommen immer mehr ausländische Ökoprodukte in unsere Ladenregale. Marlene Mortler (CDU/CSU): Danke schön. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Kollegin Mortler, erlauben Sie eine Zwischen- frage der Abgeordneten Künast? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Marlene Mortler (CDU/CSU): Renate Künast das Wort. Ich müsste leider Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Präsident! Ich muss an dieser Stelle ganz kurz DIE GRÜNEN) auf zwei Punkte eingehen: auf die internationalen Grenz- – nein, ich kneife nicht – schon seit 18 Uhr zu einemwerte bezüglich Pestizideinsatz und auf das Thema Rin- wichtigen Termin im Büro sein. Ich bitte um Verständ- der. nis. Erstens möchte ich klarstellen, dass wir uns in der Europäischen Union auf einem Weg der Harmonisierung Frau Künast hätte in den letzten Monaten zum Thema befinden. In den nächsten Jahren soll es einheitliche Ökolandbau längst Stellung nehmen können. Da war Grenzwerte bezüglich erlaubter Rückstände aufgrund das Thema immer auf der Tagesordnung. Die Bundesre- von Pestizidnutzung in Lebensmitteln geben. Ich sage gierung hat dazu bewusst geschwiegen, gerade zum ganz klar: Ich bin stolz darauf, dass bei all den Untersu- deutschen Biosiegel. Das ist Fakt. (B) chungen, die von NGOs durchgeführt werden und bei(D) Meine Damen und Herren, seitdem leiden die heimi- denen sie immer wieder – im Augenblick zum Beispiel schen Ökobauern an geringeren Erlösen und der Ver-bei Erdbeeren oder bei Paprika – Rückstände finden oder braucher tappt immer noch im Dunkeln darüber, wo die- Überschreitungen der Rückstandshöchstwerte feststel- ses Ökoprodukt, das das deutsche Biosiegel trägt, denn len, landwirtschaftliche Produkte aus Deutschland nicht nun wirklich herkommt, weil die Kennzeichnung bezüg- genannt werden. lich der Herkunft nicht eindeutig geregelt ist. Gerade ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben wir noch von Ministerin Künast gehört, dass es ihr und bei der SPD) darum geht, zu wissen, was drin ist. So viel zur Verbrau- chertäuschung. Weil es den Markt für diese guten Produkte schon gibt, meine ich, es wäre falsch, jetzt vor einer europäischen Harmonisierung die Werte für die deutschen Produkte Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: hochzusetzen. Das würde am Ende nämlich deren Ab- Frau Kollegin Mortler, kommen Sie bitte satz zum gefährden. Außerdem glaube ich, dass wir längst ein Schluss. Qualitätsniveau erreicht haben, von dem andere noch träumen. (CDU/CSU): Marlene Mortler (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Sicherheit heimischer Nahrungsmittel war noch und bei der SPD) nie so hoch wie heute. Das bestätigen auch seriöse Wis- senschaftler. Trotzdem sind die Verbraucher und die Er- Zweitens habe ich den Eindruck, dass Sie ausBSE zeuger immer wieder gegeneinander ausgespielt worden. nichts gelernt haben. Unsere BSE-Politik, das systemati- sche Bemühen um die Herstellung von Sicherheit, be- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Frau ruht, wenn ich sie einmal mit einer Hose vergleiche, da- Mortler, denken Sie an Ihren Termin!) rauf, quasi diese Hose mit Gürtel und Hosenträgern zu Die Produkte sind schlecht geredet worden, man hatsichern. So haben wir zum einen klar definiert, was Risi- Angst erzeugt und Panikmache betrieben und mit Stim- komaterialien sind, die nicht verzehrt werden dürfen, mungsmache auch Wählerstimmen eingefangen. Ich bin und zum anderen klar geregelt, dass ab dem 24. Monat aber sicher, der Wähler wird Ihnen das nicht mehr durch- getestet wird. Im Ergebnis haben wir so relativ schnell gehen lassen. Verbrauchervertrauen hergestellt. Wenn Sie, liebe Frau Mortler, am Rednerpult etwas behaupten, dann sollten Für die Union ist Verbraucherschutz Sie versuchen, wenigstens in der Tendenz, Ihre Ausfüh- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17033

Renate Künast (A) rungen auch mit einem Hauch Wahrheit zu versehen.ist das ein Widerspruch, den Sie den Verbrauchern nie(C) Diese BSE-Politik ist eine Erfolgsgeschichte. Der Rind- erklärt haben und auch nie erklären wollten. fleischmarkt ist ungefähr da, wo er auch vorher war, und die Rindfleischpreise sind seit Anfang des Jahres um (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wollen 70 Cent pro Kilo gestiegen. Das ist die Erfolgsge- Sie jetzt DDR-Planwirtschaft haben, einge- schichte. grenzt, oder was?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zu Ihrem Beispiel mit den Pestiziden, Frau Ministe- und bei der SPD) rin. Bereits vor Ihrer Zeit hat die Lebensmittelüberwa- chung und -kontrolle in Deutschland funktioniert. Das Ich kann gar nicht glauben, dass ich an der Stelle den ist Fakt. Sie sprechen von Harmonisierung. Die Bemü- Verbraucherinnen und Verbrauchern sagen soll, dass wir hungen um eine Harmonisierung im Bereich der Pesti- jetzt die Standards senken,in der Hoffnung, dass sie zide und in anderen Bereichen ziehen sich hin. Solange dann immer noch einkaufen. Was Sie hier vorgeschlagen die Harmonisierung nicht wirklich erreicht ist, hat un- haben, ist für die bäuerlichen Betriebe ein Vernichtungs- sere Land- und Ernährungswirtschaft eklatante Nach- modell. teile. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Jella Teuchner von der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: SPD-Fraktion. Frau Kollegin Mortler, zur Erwiderung? – Bitte schön. (Beifall der Abg. Waltraud Wolff [Wol- mirstedt] [SPD]) Marlene Mortler (CDU/CSU): Danke schön. Jella Teuchner (SPD): (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Der Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Termin, Frau Mortler!) Sehr geehrte Frau Kollegin Mortler, auch das, was Sie hier gesagt haben, stimmt – das muss man einfach ein- – Man hat mir gesagt, dass ich auf alle Fälle auf diese In- mal feststellen – zu 98 Prozent nicht. tervention zu antworten habe; deshalb antworte ich jetzt (B) pflichtgemäß. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Jetzt geht (D) sie!) Frau Ministerin, zum Thema Vernichtungsmaschine- rie für die Landwirtschaft. – Viel Glück bei Ihrem Termin im Büro! Einen richtigen Halbsatz haben Sie gesagt, nämlich: Wir brauchen kei- (Zurufe von der SPD: Was?) nen Regierungswechsel. Das war der einzig richtige Bei- Ich finde es schon ungeheuerlich, wenn Sie das uns in trag in Ihrer Rede. die Schuhe schieben. Was haben Sie denn in den letzten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sieben Jahren gemacht? Seit Ihrer Amtsübernahme hat DIE GRÜNEN) sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft noch be- schleunigt. Mit unserem Verbraucherpolitischem Bericht bele- gen wir den hohen Stellenwert und die zentrale Bedeu- Sie sind auch nicht dafür verantwortlich, dass der tung, die die Verbraucherpolitik in unserer politischen Rindfleischpreis gestiegen ist. Dazu haben Sie mit Si- Arbeit hat. Er zeigt Problemfelder auf und beschreibt cherheit nichts beigetragen. Ziele unserer verantwortlichen und zukunftsorientierten (Beifall bei der CDU/CSU – Jella Teuchner Politik. Dabei ist für uns ganz klar: Verbraucherinnen [SPD]: Aber Sie auch nicht!) und Verbraucher wollen Informationen, gerade wenn es um Lebensmittel geht. Pestizide kann man nicht sehen, Noch einmal zum Stichwort Verbrauchertäuschung. Acrylamid nicht schmecken. Verbraucher brauchen Ver- Meine Intention war, zum Ausdruck zu bringen, dass Sie trauen in die Lebensmittel. Dafür müssen wir die nötige immer wieder Ankündigungen gemacht haben, anderer- Transparenz schaffen. Das ist unsere Aufgabe; die haben seits aber die Verbraucher immer wieder bewusst ge-wir angepackt und packen sie weiterhin an. täuscht haben. Wenn ich mir den Antrag der Union anschaue, dann (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist ja stelle ich fest, dass dort zu diesem Thema überhaupt eine Frechheit! Das ist unglaublich! Nichts als nichts steht. Im Gegenteil, Sie reden von Pseudoinfor- Injurien von dieser Frau!) mation, Bevormundung durch Beratungspflichten und Das versteht doch kein Mensch – ich wiederhole es –: einem Informationschaos. Dabei merken Sie noch nicht Wenn ein Rind in Deutschland bereits mit 24 Monaten einmal, dass Sie an der Realität total vorbeischreiben: getestet werden muss, aber zum Beispiel in Frankreich Sie schwadronieren von einer Vielzahl von Biolabeln. erst mit 30 Monaten, Fleisch dieses französischen Rin- Haben Sie eigentlich schon bemerkt, dass wir mittler- des jedoch trotzdem auf den deutschen Teller darf, dann weile ein funktionierendes, den Verbrauchern bekanntes 17034 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Jella Teuchner (A) und vom Handel akzeptiertes Biolabel haben? Das Bio- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) siegel ist ein Erfolg, ob Sie das akzeptieren oder nicht. Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir brauchen keinen Regie- In Ihrem Antrag steht aber auch rein gar nichts zum rungswechsel!) Verbraucherinformationsgesetz. Dabei sind Transparenz und Vertrauen ohne Information nicht möglich. Behör- (CDU/CSU): den sind eben keine Geheimgesellschaften. Die Men- Julia Klöckner schen wollen wissen, was die Behörden bei ihren Kon- Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen trollen herausfinden. und Kollegen! Frau Teuchner, Sie haben eben vom Schattenkabinett der Union gesprochen: Da wissen Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mehr als wir. Die einzigen Schatten, die ich bisher sehe, sind auf der Regierungsbank. Wenn es um Dinge geht, die die Menschen betreffen, dann sollten sie auch das Recht auf diese Information ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/ ben. Dank Ihrer Taktik und Ihrer Blockade haben sie es CSU – Jella Teuchner [SPD]: Da müssten Sie aber nicht. Sie werden es auch in Zukunft nicht haben, mal Zeitung lesen!) weil Sie, Union und FDP, dies einfach nicht wollen. Sie – Zum Zeitunglesen: Vielleicht sollte man sich auch in- können noch so viele Sonntagsreden halten und Schau- formieren. fensteranträge schreiben: Wenn es zum Schwur kommt, dann stimmen Sie mit Nein. Das war in der letzten Le- (Jella Teuchner [SPD]: Genau das habe ich ge- gislaturperiode so und das ist in dieser Legislaturperiode tan!) wieder so. Union und FDP sind dafür verantwortlich,– Das haben Sie getan. Wir werden uns darüber nachher dass die Verbraucherinnen und Verbraucher von den Be- gern unterhalten können. Vielleicht sind Sie einer Ente hörden keine Antwort erwarten können. Sie sagen den aufgesessen; aber das ist mir relativ gleich. Sehen wir Verbraucherinnen und Verbrauchern, die Informationen einmal, was nach der Wahl kommt. Ich glaube, Sie wer- über ihre Lebensmittel haben wollen, lapidar: Das geht den dann ganz andere Dinge zu bewältigen haben. dich nichts an. – Es geht sie aber sehr wohl etwas an. Ich möchte auf das ThemaBSE-Tests zu sprechen Vertrauen schafft man nur durch Transparenz, undkommen. Mit Blick auf unsere deutschen Produzenten (B) zwar durch diejenige Transparenz, die wir im Lebens- möchte ich natürlich, dass vorwiegend deutsches Fleisch (D) mittel- und Futtermittelgesetz verankern wollten. Union gekauft wird. Frau Künast wie auch Herr Ostendorff ha- und FDP haben das wieder herausgestrichen. Das ist das ben eben Zwischenrufe gemacht: Man soll gerade des- Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Sie, Union und halb deutsches Fleisch kaufen, weil in Deutschland FDP, wollen keine Transparenz. Sie werden nicht an Ih- BSE-Tests für alle Rinder über 24 Monate bei der ren Worten gemessen, sondern an Ihren Taten. Das, was Schlachtung vorgeschrieben sind. Frau Mortler eben zum Besten gegeben hat, ist das beste Beispiel dafür. Sie müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass das Fleisch der deutschen Bauern neben dem Fleisch aus Ar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gentinien oder aus Frankreich liegt. In Frankreich sind DIE GRÜNEN) BSE-Tests erst für alle Rinder über 30 Monate bei der Schlachtung vorgeschrieben. Dadurch kann es viel güns- Sonntagsreden sind etwas Nettes. Während der Wo- tiger als das Fleisch aus Deutschland sein. Wir können che lassen Sie die Verbraucherinnen und Verbraucheruns das deutsche Fleisch sicherlich leisten; aber abblitzen. Sie haben die Verbraucherinformation wiederholt abgelehnt. Wenn man sich Ihr Schattenkabi- (Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!) nett anschaut, dann sieht man, dass Sie vorhaben, sich aber es gibt außerhalb dieser „heiligen Hallen“ viele von der Verbraucherpolitik ganz zu verabschieden: Bürgerinnen und Bürger, die es sich nicht leisten können und sich überlegen müssen, was sie kaufen. Angesichts (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da wissen Sie dessen ist es – gerade als Partei der Besserverdienen- aber mehr als wir!) den – sehr arrogant, zu sagen: Dann kaufen wir das deut- Sie wollen den gesundheitlichen Verbraucherschutz dem sche Fleisch. Gesundheitsministerium und den rechtlichen Verbrau- (Beifall bei der CDU/CSU und der cherschutz der Justiz unterordnen. Das sind drei Schritte FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: zurück. Wir werden dafür sorgen, dass die Verbrauche- Was ist denn das jetzt für ein Plädoyer?) rinnen und Verbraucher wissen, was sie von Ihnen zu er- warten haben: keine Informationsrechte, keine Unter- Frau Künast, Sie haben in der Debatte über den Ver- stützung, einfach gar nichts. braucherpolitischen Bericht 2004 ein Resümee dessen gezogen, was Sie in Ihrer Regierungszeit zum Verbrau- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ cherschutz gemacht haben. Dabei ist mir eines aufgefal- DIE GRÜNEN) len: Sie haben gar nichts zu den Energiepreisen gesagt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17035

Julia Klöckner (A) Wenn jemand von hohen Energiepreisen betroffen ist, Apropos Alleingang. Frau Künast, wir erinnern uns(C) dann sind es doch wohl alle privaten Haushalte, die klei- noch an Ihr Buch „Die Dickmacher“. Ich habe bis heute nen wie die großen Familien. Mich wundert es schon, nicht verstanden, wie unter diesem Titel Ihr Konterfei dass die Verbraucherministerin nichts zu den steigenden auf den Buchdeckel gedruckt werden konnte. Ihr Buch Energiepreisen gesagt hat. Stattdessen treten Sie, Frau hat eine Auflage von 30 000, aber es ist – mit Verlaub – Künast – das mag auch interessant sein –, für nachhalti- ein Rohrkrepierer geworden. Zu diesem Schluss kommt ges Waschen ein. man, wenn man bei den Buchhandlungen und beim Ver- lag nachfragt. Die Fachleute auf dem Gebiet der Ernäh- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rung haben den Inhalt Ihres Buches angegriffen. Es herrscht also Stille im Ministerium zu den steigen- Frau Künast, Sie sind eine Freundin des Bücher- den Energiepreisen. Ich kann mir schon vorstellen, wa- schreibens. Zurzeit suchen Sie einen Autor zum Thema rum Sie dazu nichts gesagt haben. Zum einen hat Minis- Wein und Riesling. Dieses Thema macht sich ganz gut. ter Clement Ihnen verboten, sich dazu äußern. Zum Ich weiß, Stuart Pigott hat abgesagt. Aber es gibt noch anderen wissen Sie natürlich, dass der Bumerang zu- eine gute Autorin in Köln.Sie stürzen sich immer auf rückkommen kann. Innerhalb Ihrer Regierungszeit sind Themen, die sich gut für PR eignen. beispielsweise die Stromkosten aufgrund der staatlichen Belastungen von 2,2 Milliarden Euro um mehr als das Wir sind der Meinung, dass man dieGesundheits- Fünffache auf 12 Milliarden Euro gestiegen. Weil dies aufklärung und die Ernährungsaufklärung ganzheit- gegen die Interessen der Verbraucher ist, halten Sie bei licher sehen muss und dass man die Plattform etwas neu diesem Thema den Mund und reden beispielsweise lie- justieren muss. Es sollen hinsichtlich der Gewichtspro- ber über Schrottimmobilien. bleme nicht nur die Kinder und die Jugendlichen ange- Es gibt noch ein zweites Kabinettstück. Schauen wir sprochen werden, sondern auch die Erwachsenen. uns einmal das Werbeverbot für Zigaretten an. Die EU (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das tun beschloss ein Werbeverbot für Zigaretten. Auf der einen wir doch!) Seite wetterte Minister Clement dagegen und zog sogar vor den Europäischen Gerichtshof. Auf der anderenDie Erwachsenen müssen mit gutem Beispiel vorange- Seite möchten Sie zeitgleich im nationalen Alleingang hen. ein Werbeverbot erwirken. Es ist schon interessant, dass Sie sich alle Möglichkeiten offen lassen wollen. Es wäre (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. aber schon gut, Sie würden Ihre Arbeit besser koordinie- Gudrun Kopp [FDP]) ren. (B) Ich möchte Sie zum Schluss noch bitten, nicht nur das (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Übergewicht im Fokus zu haben. Es gibt auch die Gudrun Kopp [FDP]) Untergewichtigen sowie die Fehl- und Mangelernähr- ten. In meine Sprechstunde kam eine Mutter, deren Die Schwächen in der Koordinierung zeigen sich beim Tochter magersüchtig ist. Auch das Problem der Mager- Thema Ernährung noch gravierender. Dazu haben wir sucht müssen wir neben dem Problem des Übergewichts heute nur relativ wenig von Ihnen gehört. Verbraucher- bei Kindern im Auge behalten. Dieses ist ein psycho- schutzministerium und Gesundheitsministerium wissen soziales und pädagogisches Problem, das eindeutig zu nicht, wer die Zügel in die Hand nehmen soll. Es gibtwenig beachtet wird. Ich weiß, dass man damit keine teure Doppelstrukturen. Das Gesundheitsministerium Wahlen gewinnen kann. Wir müssen uns aber dennoch legt ein Programm im Zusammenhang mit Ernährung für darum kümmern. Wir brauchen nicht nur eine Bauernbe- rund 2 Millionen Euro auf. Ihr Ministerium, Frau Künast, freiung, sondern auch eine Verbraucherbefreiung. gibt wiederum 9 Millionen Euro für Aufklärungskampa- gnen und Wettbewerbe im Zusammenhang mit Überge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wicht aus. Das Familienministerium wiederum legt ein Projekt „Qualitätssicherung in Beratung und ambulanter Therapie von Frauen und Mädchen mit Essstörungen“ Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: auf. Das eine Ministerium lässt Broschüren drucken und Ich schließe die Aussprache. das andere Ministerium hat ähnliche Broschüren schon einmal über die Bundeszentrale für gesundheitliche Auf- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- klärung verteilen lassen. Trotzdem sagen Sie, Sie hätten ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- nicht genug Geld. schaft auf Drucksache 15/5611 zu dem Entschließungs- antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Dass Übergewicht und Fettleibigkeit ein ProblemDie Grünen zum Verbraucherpolitischen Bericht 2004. sind, sind wir uns ja einig. Wir brauchen einheitliche Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Verbraucher- Strategien. Es muss auch ressortübergreifend zusam-politischen Berichts 2004 auf Drucksache 15/4499, den mengearbeitet werden. Frau Ministerin Künast, es bringt Entschließungsantrag auf Drucksache 15/4865 anzuneh- nichts, wenn Sie mit PR-Kampagnen vorpreschen und men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- alles an die große PR-Glocke hängen, wenn andere Mi- genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- nisterien ähnlich verfahren. Wir müssen bei der Ernäh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen rungsberatung und Ernährungsaufklärung in Deutsch- die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion ange- land unsere Aktivitäten endlich bündeln. nommen. 17036 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Abstimmung über den Entschließungsantrag derschuss gewandt. Dies ist eine beachtliche Steigerung(C) Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/5678. Wer gegenüber den Vorjahren. Sie macht deutlich, welches stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt Vertrauen dieser Ausschuss in der Bevölkerung hat. dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan- trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei In fünf Minuten eine angemessene Bewertung der Ar- Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltungbeit des Petitionsausschusses vorzunehmen ist für mich der FDP-Fraktion abgelehnt. als Vorsitzenden unmöglich. Deswegen verweise ich an dieser Stelle auf den schriftlichen Bericht, der dem Bun- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-destag vorliegt und den die Bürgerinnen und Bürger im schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- Internet nachlesen oder aber beim Sekretariat des Peti- wirtschaft auf Drucksache 15/3987. Der Ausschuss emp- tionsausschusses anfordern können. fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Entschließungsantrages der Fraktionen der Bei allem Verständnis für die Zwänge der derzeitigen SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-parlamentarischen Situation: Ich finde, das Parlament sache 15/3323 zu der Erklärung durch die Bundesregie- sollte sich künftig auch hier im Plenum für dieSorgen rung mit dem Titel „Eine neue Ernährungsbewegung für und Nöte der Bürger wieder mehr Zeit nehmen. Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- fraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der NISSES 90/DIE GRÜNEN) FDP-Fraktion angenommen. Festzuhalten bleibt jedenfalls: Der Petitionsaus- Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung schuss ist der politische Seismograph der Nation. Die des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP aufgroßen Themen in der Politik spiegeln sich auch in der Drucksache 15/3324 zu der genannten Erklärung durch Arbeit des Petitionsausschusses wider. Allein im Ge- die Bundesregierung. Wer stimmt für diese Beschluss- sundheitsbereich war bei den Neueingaben eine Steige- empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die rung um fast 150 Prozent auf mehr als 4 000 Einzelpe- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- titionen zu verzeichnen. Aber auch zum Beispiel bei tionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und Themen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Ren- der FDP-Fraktion angenommen. tenversicherung oder dem Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums der Justiz gab es beachtliche Zuwächse. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3987 die Aus der Bandbreite der Eingaben möchte ich einen (B) Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Einzelfall herausgreifen: Es hat mich besonders gefreut, (D) Drucksache 15/3310 mit dem Titel „Über-, Fehl- und dass im Berichtsjahr 2004 Bürger, die Hilfsgüter in Kri- Mangelernährung wirksam bekämpfen“. Wer stimmt für sengebiete transportieren, aufgrund einer Änderung des diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent- Mautgesetzes von der Autobahnmaut befreit wurden. haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist wiederumDies war vorher nur für professionell arbeitende Hilfsor- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieganisationen vorgesehen. Die Arbeit des Petitionsaus- Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion an- schusses, so meine ich, hat dazu beigetragen, dass bür- genommen. gerschaftliches Engagement jetzt in angemessener Weise durch den Staat unterstützt wird. Das zeigt, dass Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: ein Bürgerbrief eine Gesetzesänderung herbeiführen Beratung des Berichts des Petitionsausschusses kann. Der Petitionsausschuss nimmt jede Eingabe ernst, (2. Ausschuss) nicht nur solche, die von einer Reihe von Unterschriften begleitet werden. Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag In 19 Sitzungen hat sich der Petitionsausschuss dem Die Tätigkeit des Petitionsausschusses desenormen Arbeitsanfall gestellt und entsprechend den Zu- Deutschen Bundestages im Jahr 2004 wächsen beim Posteingang erheblich mehr Petitionen abschließend behandelt als in den Jahren zuvor. Allein – Drucksache 15/5570 – die Zahl der Beschlussempfehlungen an das Plenum Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die konnte um 40 Prozent gesteigert werden. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Dies war nur durch eine gute fraktionsübergreifende keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der möglich. Sie hat dazu geführt, dass in circa 90 Prozent Vorsitzende des Petitionsausschusses, Dr. Karlheinzder Fälle ein einheitliches Votum gefunden werden Guttmacher von der FDP-Fraktion, das Wort. konnte. Hierfür möchte ich allen Kolleginnen und Kolle- gen aus den Fraktionen meinen allerherzlichsten Dank sagen. Ich möchte mich aber auch bei dem Ausschuss- Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP): dienst sehr herzlich bedanken, ohne den diese Arbeit Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- nicht hätte bewältigt werden können. nen und Kollegen! Rund 230 000 Bürgerinnen und Bür- ger haben sich im Berichtsjahr 2004 an den Petitionsaus- (Beifall im ganzen Hause) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17037

Dr. Karlheinz Guttmacher (A) Ich kann nur hoffen, dass die dort vorhandenen Ressour- ger unseres Landes den Petitionsausschuss seit seinem(C) cen zumindest erhalten bleiben. Wir haben uns im Peti- Bestehen im Jahr 1949 ausgesprochen ernst nehmen, tionsausschuss gerade in letzter Zeit mehr Aufgabendass sie ihn annehmen und sich mit ihren Sorgen und gestellt. Dazu ist es erforderlich, dass wir im Ausschuss- Nöten an ihn wenden. Das verdeutlicht allein die Zahl dienst personell gut besetzt sind. der Eingaben, die im letzten Jahr an den Petitionsaus- schuss herangetragen wurden: Es waren 17 999 Einga- Wer den Sumpf trockenlegen will, darf damit nicht ben. Auch wenn sich dahinter viel mehr Bürgerinnen die Frösche beauftragen; wir kennen diesen alten und Bürger verbergen – der Vorsitzende hat darauf hin- Spruch. Mit dem Petitionsausschuss haben wir ein effi- gewiesen –, ist diese Zahl beachtlich. zientes Instrument, Bürgerbeschwerden nachzugehen. Beauftragte der Bundesregierung können diese Arbeit Als jemand, der schon ein paar Jahre Mitglied des Pe- nicht in gleicher Weise erfüllen; denn sie sind Teil der titionsausschusses ist – ich glaube, ich bin seit sechs Jah- Exekutive, ihnen fehlt die Unabhängigkeit eines parla- ren dabei; das ist für den Petitionsausschuss schon eine mentarischen Gremiums. ungewöhnlich lange Zeit –, will ich den Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern desAusschussdienstes herzlich Es sei gestattet, noch einen kurzen Blick in die Zu- danken. Die Mitarbeiter meines Büros sagen mir, dass kunft zu werfen. Der Petitionsausschuss stellt sich den sie immer dann, wenn es notwendig ist, vom Sekretariat Herausforderungen moderner Medien. Ab dem 1. Sep- angemessen bedient werden, sodass es mir möglich ist, tember 2005 wird es für die Bürgerinnen und Bürger denjenigen, die sich an mich wenden, immer sachgerecht möglich sein, sich mit einer E-Mail an den Petitionsaus- und gut informiert zu antworten. schuss zu wenden. Zugleich wagen wir den Einstieg in das Zeitalter des elektronischen Parlaments. Als zusätz- Ich möchte ein paar Zahlen – die man fast seismogra- liches Angebot wird es möglich sein, Petitionen ins In- phisch nennen kann – anführen, die dem Bericht zu- ternet zu stellen und öffentlich darüber zu diskutieren. grunde liegen: Es gab 17 999 Eingaben; dahinter stehen Damit werden wir noch bürgerfreundlicher; denn der50 000 Bürgerinnen und Bürger. Das sind 15 Prozent Zugang zum Petitionsausschuss wird noch einfacher. So mehr als im vorigen Berichtsjahr. Dabei muss man aber stärken wir Elemente der direkten Demokratie. auch sehen, dass es immerhin 18 Prozent weniger waren als zehn Jahre zuvor. Die Entwicklung verläuft also in Zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung: Dies einem ständigen Auf und Ab. In den ersten Regierungs- ist der letzte Bericht, den ich als Vorsitzender des Peti- jahren der rot-grünen Koalition hatten wir sogar einen tionsausschusses zu verantworten habe. Ich danke allen Stand erreicht, der vor dem Stand der Wendezeit lag, Kolleginnen und Kollegen, die mir die Arbeit im Peti- also vor dem von 1990. Das werte ich natürlich als Zei- tionsausschuss sehr leicht gemacht haben. chen der guten Politik, die wir gemacht haben und mit (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ der die Bürgerinnen und Bürger zufrieden waren. DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ja, wie man Das Plenum bitte ich, den Ausschuss ernst zu neh- heute merkt!) men, auch dann, wenn wir nicht gerade eine Debatte zum Jahresbericht führen. Allen Bürgerinnen und Bür- Eine letzte interessante Zahl aus dieser Statistik gern rufe ich zu: Haben Sie weiter Vertrauen in die Ar- möchte ich noch nennen: Knapp 10 Prozent aller Einga- beit unseres Ausschusses, auch dann, wenn wir Ihnen ben erfüllten nicht die verfassungsmäßigen Vorausset- möglicherweise in Einzelfällen nicht helfen können! zungen einer Petition. Dennoch sind sie angenommen worden. Sie sind eine Art Stimmungsbarometer für das, Vielen Dank. was die Menschen in unserem Lande bedrückt, für ihre (Beifall im ganzen Hause) Nöte, Anregungen und Hoffnungen. Diese sollten wir ernst nehmen; denn ich glaube, aus dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über das Petitionswesen kann Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: man eine ganze Menge lernen. Das hat zum Beispiel bei Das Wort hat der Kollege Uwe Göllner von der SPD- mir dazu geführt, dass ich schon so lange Mitglied des Fraktion. Petitionsausschusses bin; denn dadurch kommt es zu ei- ner gewissen Verwurzelung, die man als Abgeordneter Uwe Göllner (SPD): sehr leicht zu verlieren geneigt ist. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Wie vital der Petitionsausschuss seiner Arbeit im letz- altes deutsches Sprichwort will uns weismachen, dass ten Jahr nachgekommen ist, zeigt sich an folgenden Fak- der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Im letzten Be- ten: den Ortsterminen, der Teilnahme an Messen, der richtsjahr war der Herr Vorsitzende in unserem Auftrag engen Zusammenarbeit mit den Beauftragten der Peti- in Québec, wo sich die Vorsitzenden der Ombudsräte, tionsausschüsse der Landtage, den Delegationsreisen un- die Ombudsleute und die Vorsitzenden der Petitionsaus- serer Mitglieder nach Bulgarien, Rumänien, Tschechien schüsse trafen. Dort ist ihmwiederholt gesagt worden, und Kanada, unserer Teilnahme an internationalen Ta- dass unser System der parlamentarischen Petitionsarbeit gungen des Petitionswesens und den Empfängen auslän- als vorbildlich gilt. Also gilt der Prophet außerhalb des discher Delegationen hier in Berlin, die aus Usbekistan, eigenen Landes wohl eine ganze Menge. aus China, aus vielen afrikanischen Staaten, aus der Dass dieses Sprichwort nur sehr eingeschränkt Gel- Ukraine, den Niederlanden, Ägypten, Jordanien, Kuwait tung hat, zeigt sich daran, dass die Bürgerinnen und Bür- und vom Balkan kamen. 17038 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Uwe Göllner (A) Ich will Ihnen von einer Petition erzählen, die ausMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdiens- (C) meinem Wahlkreis kommt und an der man sieht, dasstes für ihre fleißige und sachkompetente Arbeit ganz man auch als Wahlkreisabgeordneter durchaus etwas da- herzlich danken. von haben kann: Von der Umgehung einer Autobahn, die (Beifall im ganzen Hause) mit einer Ortsumgehung verbunden wurde, war ein Kleingartenverein tangiert, der in seiner 60-jährigen Ge- Ich möchte mich aber auch bei allen Kolleginnen und schichte schon dreimal durch öffentliche Planungen ver- Kollegen des Ausschusses bedanken, die über Fraktions- legt worden war. Daraufhin wandte man sich an mich. grenzen hinweg weitgehend gut zusammenarbeiten. Wir haben gemeinsam eine ganze Reihe von Petitionen für Ich habe dem Verein empfohlen, eine Petition an den unsere Bürger bearbeiten und klären können. Ein beson- Deutschen Bundestag zu richten, weil der Bundesver- derer Dank gilt auch unserem Ausschussvorsitzenden, kehrsminister an dieser Umgehungsstraße auf bestehen- Karlheinz Guttmacher, der mit hoher Sachkompetenz die der Rechtsgrundlage Lärmschutz und Spritzschutz ange- Ausschusssitzungen geleitet hat. bracht hatte und nicht bereit gewesen war, zugunsten des Vereins von diesen Vorschriften insoweit abzurücken, (Beifall im ganzen Hause) dass das Vereinsleben an diesem Ort hätte weitergeführt Nur durch das kollegiale Miteinander war es möglich, werden können. Im Wege der Petition ist es dann gelun- unzähligen Bürgern in unserem Lande zu helfen oder zu- gen, dies durchzusetzen, und das hat auch nur relativ mindest weitestgehend entgegenzukommen. kurze Zeit, weniger als ein halbes Jahr, gedauert. Die Bürgerinnen und Bürger haben den Petitionsausschuss Ich bedaure, dass sich in den letzten Wochen das als etwas erlebt, was ihnen weiterhilft. Ich glaube, wir Klima im Ausschuss etwas verschlechtert hat. Wir haben alle sind gut beraten, wenn wir, obwohl es in den nächs- zum Beispiel bei Petitionen zumSED-Unrecht keine ten Monaten ja etwas zugespitzt zugehen wird, miteinan- gemeinsame Linie mehr gefunden. Ich hätte mir das ge- der so umgehen, dass diejenigen, die den Herbst „überle- wünscht, gerade weil wir morgen den 17. Juni begehen. ben“, auch im 16. Deutschen Bundestag so angenehm Selbst Kompromissangebote oder kleinere Zeichen, die zusammenarbeiten, wie das im Petitionsausschuss in den wir hätten setzen können, waren nicht möglich. Ich letzten Jahren möglich war. denke, wir haben hier das Petitionsrecht nicht mehr voll genutzt. Danke schön. In den beiden letzten Sitzungen hat die rot-grüne Aus- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schussmehrheit in Abkehr von bisherigen Zeitplänen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Entscheidungen über drei Initiativen herbeigeführt, mit CDU/CSU und der FDP) denen sich der Ausschussdienst und auch wir Abgeord- (B) (D) neten seit Ende letzten Jahres beschäftigt haben. Die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: CDU/CSU-Fraktion hat die Vorschläge ernsthaft geprüft Das Wort hat der Kollege Günter Baumann von der und sich entschieden, sinnvolle Änderungen gemeinsam CDU/CSU-Fraktion. mit der Regierungskoalition mitzutragen. Meine Frak- tion hat dem Verfahren der Einreichung vonE-Mail- Günter Baumann (CDU/CSU): Petitionen ab 1. September 2005 zugestimmt. Ich Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- denke, angesichts der steigenden Zahl von privaten In- ren! Dem Grundrecht nach Art. 17 Grundgesetz, Petitio- ternetanschlüssen und der Weiterentwicklung der techni- nen an den Deutschen Bundestag zu richten, kommt,schen Ausstattung vieler Haushalte haben wir hier eine denke ich, in der heutigen Zeit eine besondere Bedeu- vernünftige Sache beschlossen. Der Ausschuss hat hier- tung zu. Ich bedauere es deshalb sehr, dass wir in diesem für ein zuverlässiges Verfahren ausgearbeitet; auch dafür Jahr nur 30 Prozent der Zeit, die wir im letzten Jahr hat- ganz herzlichen Dank. Unsere Forderungen nach hinrei- ten, zur Verfügung haben, um darüber sprechen zu kön- chender Sicherheit sind dabei zuverlässig erfüllt worden. nen. Dass heute Abend nicht gerade die attraktivste Sit- Auch einem Modellversuch, Petitionen im Internet un- zungszeit ist, sehen wir ja auch an der Teilnehmerzahl. terzeichnen zu können, haben wir heute zugestimmt. Dagegen haben wir im Hinblick auf die Privilegie- Meine Vorredner sagten bereits: fast 18 000 Petitio- rung von Massenpetitionen, die die Koalition heute ge- nen im Jahr 2004, mit denen sich Bürger mit Bitten und gen uns durchgesetzt hat, schwerwiegende Bedenken: Beschwerden an den Deutschen Bundestag, den Ort der Wir befürchten nicht vertretbaren verwaltungstechni- Gesetzgebung, gewandt haben. Das ist ein deutlicher schen Aufwand. Art. 17 Grundgesetz ist ein Grundrecht Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Auch diesmal ist der für jedermann, also für jeden einzelnen Bürger; er stärkt Anteil der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bun- die Teilhabe des Einzelnen. Ein Anhörungsrecht für desländern prozentual wieder am höchsten. Gerade in Massenpetitionen, zum Beispiel ab 50 000 Unterschrif- den neuen Bundesländern gibt es, auch 15 Jahre nach der ten, gibt, denke ich, einen falschen Anschein besonderer deutschen Einheit, leider immer noch zahlreiche beson- Bürgernähe. dere Problemfelder, die aus Sicht der Petenten noch nicht befriedigend gelöst werden konnten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Die gewachsene Zahl der Petitionen hat dem Aus- schussdienst wieder besonders viel abverlangt. Deshalb Tatsächlich werden dadurch Millionen von Bürgern, die möchte ich an dieser Stelle wie meine Vorredner denes organisatorisch niemals schaffen, eine solche Massen- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17039

Günter Baumann (A) petition einzureichen, vor den Kopf gestoßen und fak- keine Möglichkeit haben, diese Zahlen irgendwoher zu (C) tisch benachteiligt. erhalten. Es gibt bald ein neues Buch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich denke, das letzte positive Beispiel zeigt eindeutig: Der Petitionsausschuss kann den Bürgern im Land hel- Meine Vermutung – in Anführungsstrichen – lautet:fen. In vielen Fällen gelingt das. Er ist ein Mittel, das Diese Veränderung wird im nächsten Deutschen Bundes- Vertrauen in die Demokratie zu stärken. Wir sollten die- tag bestimmt keinen Bestand haben. sen Dienst am Bürger in unserer Gesellschaft auch in Der Petitionsausschuss sollte sich aus meiner Sicht Zukunft mit gleichem Einsatz fortsetzen. intensiver mit demBeauftragtenunwesen beschäfti- Herzlichen Dank. gen, welches in der letzten Zeit ziemliche Ausmaße an- genommen hat. Angesichts einer kaum überschaubaren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zahl öffentlicher und privatwirtschaftlicher Schlich- tungsstellen, Ombudseinrichtungen und spezieller Be- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: auftragter in unserem Lande ist es für die Bürger immer Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Winkler, Bünd- schwieriger, zu entscheiden, an welche Adresse sie sich nis 90/Die Grünen. mit ihren Begehren wenden und wo sie am sinnvollsten Hilfe erhalten können. Josef Philip Winkler(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die CDU/CSU-Fraktion betrachtet die Entwicklung NEN): des Beauftragtenwesens im Bereich der Bundesregie- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und rung und deren organisatorische und stellenmäßige Aus- Herren! Keine Skandale, relativ wenig Gezänk, kein stattung sehr kritisch. Während es in den letzten Jahren Hollywood, sondern eine solide und erfolgreiche Ar- im Bereich vieler Ausschüsse zu einem Stellenabbau ge- beit – das ist der Petitionsausschuss des Deutschen Bun- kommen ist – auch beim Petitionsausschuss musste man destages, und zwar parteiübergreifend. das zur Kenntnis nehmen –, gibt es beim Beauftragten- (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So unterschied- wesen einen beträchtlichen Stellenaufwuchs. Ich denke, lich kann die Wahrnehmung sein, lieber die Bedeutung des Art. 17 Grundgesetz – ich habe es Josef!) mehrmals gesagt – und die parlamentarische Bearbei- tung von Bitten und Beschwerden sollten im Mittelpunkt Damit das so ist, braucht man einen sehr guten Aus- stehen. Mit all unseren Möglichkeiten sollten wir dafür schussvorsitzenden. Dafür möchte ich mich ganz sorgen, dass es in unserem Land zu keiner Untergrabung herzlich bei Ihnen persönlich bedanken, Herr (B) unserer parlamentarischen Arbeit im Petitionsausschuss Dr. Guttmacher. Ich bedanke mich im Namen meiner(D) durch das Beauftragtenwesen kommt. Fraktion sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Mein Resümee: Der Petitionsausschuss als Gremium FDP) des Deutschen Bundestages kann die Probleme der Bür- ger immer noch am besten parteiübergreifend lösen. Lei- Mein ganz besonderer Dank gilt natürlich auch den der gibt es einige Fälle, bei denen wir in der letzten Zeit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ausschussdienst keinen Konsens gefunden haben. Als Beispiel möchte unter der Leitung von Dr. Rakenius für ihre fleißige und ich nennen, dass es nicht möglich war, dieUngleich- kompetente Zuarbeit. Auch bei den allermeisten Kolle- behandlung der Alleinerziehenden, die Leistungen ginnen und Kollegen aus allen Fraktionen kann ich mich nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten, und der für die gute und sachliche Zusammenarbeit im Sinne der Alleinerziehenden, die einen Unterhaltsanspruch nach Bürger bedanken. BGB haben, zu beseitigen. Das ist bedauerlich, weil das Einen Wermutstropfen – Herr Kollege Baumann, Sie für die Alleinerziehenden, die Leistungen nach demhaben eben schon damit angefangen, etwas Wasser in UVG erhalten, eine Ungleichbehandlung bedeutet; sie den Wein zu gießen – muss ich am Ende meiner Rede al- werden benachteiligt. Dafür gibt es eigentlich keinelerdings doch noch aufgreifen. Die Hauptverantwortli- Rechtfertigung. Das ist eine widersprüchliche Familien- chen für diesen großen Erfolg des Petitionsrechts und politik. Ich denke, das ist ein Schlag ins Gesicht von al- auch des Petitionsausschusses sind natürlich unsere Bür- lein erziehenden Müttern. Hier besteht dringender Hand- gerinnen und Bürger. Die Zahl wurde bereits genannt: Es lungsbedarf. waren knapp 18 000 Petitionen. Unter vielen Petitionen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stehen natürlich mehrere Unterschriften, manchmal so- gar viele Tausend, Herr Baumann. Wir behandeln sie na- Zum Abschluss noch ein positives Beispiel: Mehrere türlich alle gleich gut und gleich ordentlich. Jahre lang haben wir gemeinsam gegen die Regierung (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber?) und die Deutsche Post darum gekämpft, dass nach über zehn Jahren wieder einPostleitzahlenbuch aufgelegt Bei jeder zweiten Petition konnte etwas für den Petenten wird. Wir haben den Erfolg jetzt mit allen Mitteln er-erreicht werden; das ist ausdrücklich zu begrüßen. Ich reicht. Ich denke, in den nächsten Wochen werden wir begrüße es auch, dass die Bürgerinnen und Bürger das das neue Buch in den Händen halten. Wir können damit Recht, das sie haben, so nutzen, wie sie es möchten: vielen Bürgern helfen, die keinen Internetanschluss und manchmal alleine, manchmal mit mehreren, manchmal 17040 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Josef Philip Winkler (A) getragen durch eine Organisation und manchmal durch (Günter Baumann [CDU/CSU]: Alle wollen (C) Privatpersonen. Es ist ausdrücklich nicht festgelegt, dass mitarbeiten!) eine Beteiligung von Verbänden untersagt ist. – Die Begründung können Sie ja gleich noch nennen. Wir sind also ein Magnet für gute Ideen, für Reform- Dadurch kommt es zu erheblichen Zeitverzögerungen. und Verbesserungsvorschläge der Bürgerinnen und Bür- In Wirklichkeit schränken Sie das Petitionsrecht des ein- ger. Damit die Anziehungskraft dieses Magneten Peti- zelnen Bürgers täglich ein, weil Sie Ihre Kolleginnen tionsrecht noch größer wird, haben wir die Weiterent- und Kollegen aus dem Petitionsausschuss abziehen. wicklung des Petitionsrechts mit Unterstützung der FDP auf den Weg gebracht. Teilweise hat uns auch die Union (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist schon unterstützt, aber in den meisten Fällen haben wir gegen die zweite Falschaussage, lieber Josef!) den Widerstand der Union gehandelt. Das führte in etlichen Fällen zu monatelangen Verzöge- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) rungen. Das muss hier einmal gesagt werden. Ich denke, Sie sollten diese Art des Umgangs mit dem Es stimmt nicht, Herr Kollege Baumann, dass Sie den Petitionsrecht einstellen. Hören Sie auf, uns, weil wir Vo r s ch l a g, Petitionen per E-Mail zuzulassen, unter- das Petitionsrecht erweitern und etwas intelligenter ge- stützt haben. Im Protokoll des Ausschusses können Sie stalten wollen, indem wir auf die modernen Medien ein- nachlesen – ich nehme an, hier ist Ihnen ein bedauerli- gehen, vorzuwerfen, dass wir das Petitionsrecht ein- cher Irrtum unterlaufen –, dass die Unionsfraktionen ge- schränken. Wir haben neue Möglichkeiten geschaffen gen die Zulassung von E-Mail-Petitionen gestimmt ha- und keine einzige abgeschafft. Es tut mir Leid, dass ich ben. Das ist auch Teil meiner Abschlussbemerkung. das in dieser Form sagen muss. Aber Sie waren es, der Darin gehe ich auf eine Pressemitteilung ein, die Sie über den Ticker eine solche Pressemitteilung herausge- heute übers Netz geschickt haben. schickt hat. Wir haben die Vorgaben unseres Koalitionsvertrages Herzlichen Dank. erfüllt, teilweise – das betone ich noch einmal – mit Un- terstützung der Opposition. Wir haben die Stärkung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Massenpetitionen durchgesetzt. Wir haben die doch et- sowie bei Abgeordneten der SPD – Sibylle was antiquierte Auslegung des Petitionsrechts, wonach Pfeiffer [CDU/CSU]: Josef, irgendetwas reitet eine Petition unbedingt eigenhändig unterzeichnet sein Dich doch heute!) muss, im Zeitalter von E-Mail und Internet geändert. Man darf im Internet auch die Petition eines anderen un- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (B) terstützen. All das ist modern. Ich finde es etwas lach- (D) haft, dass sich die Union dem verschlossen hat. Nun hat sich der Kollege Baumann, wie ausdrücklich erwünscht, für eine Kurzintervention zu Wort gemeldet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei mache ich den Kollegen Winkler darauf aufmerk- sam, dass die Ankündigung von Beschimpfungen ei- Ich komme nun zu einer Meldung, die 18.05 Uhr von gentlich zu präventiven Ordnungsrufen führen müsste, der Deutschen Presse-Agentur verbreitet wurde. Dieworauf ich nur aus ausgeprägter persönlicher Sympathie glatte Unwahrheit, durch die sich diese Meldung aus-verzichte. zeichnet, verbuche ich jetzt einmal als Irrtum Ihrerseits. Darin steht, dass Sie die Einführung von E-Mail-Petitio- (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der nen unterstützt haben. Allerdings ist es schon relativ hef- CDU/CSU und der FDP) tig, was Sie uns vorwerfen. Darüber habe ich mich ge- ärgert. Deswegen muss ich das hier jetzt ausbreiten. Bitte schön, Herr Kollege Baumann.

(Abg. Günter Baumann [CDU/CSU] meldet Günter Baumann (CDU/CSU): sich zu einer Zwischenfrage) Herr Präsident! Kollege Winkler, wir haben im Peti- – Lassen Sie mich das erst ausführen. Sie können ja hin- tionsausschuss fast drei Jahre gut und sachlich zusam- terher eine Kurzintervention machen. Ich werde Sie da- mengearbeitet. Vor etwa drei Wochen kam eine etwas für ausreichend beschimpfen, Herr Kollege Baumann. andere Stimmung auf. Warum das bei Ihnen so ist, mag dahingestellt sein. Der erste Punkt ist: Sie werfen Rot-Grün vor, dass wir dem Petitionsrecht einen Bärendienst erwiesen hätten. (Ute Kumpf [SPD]: Bei uns?) Der zweite Punkt: Mit diesem Beschluss würde das Peti- Dadurch kam es zu einer Reihe unsachlicher Diskussio- tionsgrundrecht für die einzelnen Bürger entwertet. Dazu nen. muss ich in aller Kürze, weil sich meine Redezeit dem Ende nähert, etwas sagen. Sie als Unionsfraktionen be- Es ist nachzulesen, dass ich im Obleutegespräch der trachten die Arbeit im Petitionsausschuss offensichtlich Möglichkeit, eine Petition per E-Mail einzureichen, ein- als Strafe – das muss im Protokoll des Deutschen Bun- deutig zugestimmt habe. Im Ausschuss haben Sie vor destages einmal vermerkt werden –; denn viele Ihrerder Abstimmung eine unsachliche Diskussion begonnen. Landesgruppen ziehen im Halbjahres- oder Jahrestakt Daraufhin haben wir uns der Stimme enthalten, aber wir ihre Mitglieder zurück, weil die Arbeit angeblich unzu- haben nicht dagegen gestimmt. Sie haben in den darauf mutbar und zu hart sei. folgenden Tagen eine falsche Pressemitteilung Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17041

Günter Baumann (A) gestreut. – Es müsste im Protokoll nachlesbar sein. Ich Deutschland hat mit dem Art. 17 des Grundgesetzes (C) bitte Sie, doch zur Sachlichkeit zurückzukehren. die Voraussetzung für ein bestens funktionierendes Peti- tionswesen. Darauf kann man auch schon einmal stolz (Beifall bei der CDU/CSU) sein. Uns allen erscheint es zwar als selbstverständlich, doch nicht überall auf der Welt genießen die Menschen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: solch ein Grundrecht, das auch wirklich etwas bewirken Herr Kollege Winkler. kann und schon vieles bewirkt hat. Das sollten wir er- kennen und wir sollten darauf achten, dieses Recht zu Josef Philip Winkler(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nutzen, zu pflegen und auch zu erweitern. Das Petitions- NEN): recht bietet den Bürgern wahrlich eine Möglichkeit mit- Danke, Herr Präsident, auch für die unterbliebene Er- zuwirken, den Gesetzgeber aufmerksam zu machen, ja, mahnung. – Herr Kollege Baumann, wir können uns da- ihm auch einmal auf die Finger zu klopfen. Dies umso rüber streiten. Dann werden wir das Protokoll halt immehr, als wir ein Plebiszit in unserer Verfassung nicht nächsten Jahresbericht nachreichen. Ich unterstreiche, haben. Leider konnten wir Liberale uns bisher mit unse- dass wir lange und gut zusammengearbeitet haben, aber rem Wunsch nach mehr plebiszitären Elementen nicht in diesem Fall – das muss ich sagen – hat die Union an- durchsetzen. ders abgestimmt. Zumindest haben Sie nicht zuge-Nicht ganz zufrieden sind wir mit der Gestaltung des stimmt, Petitionsrechts im europäischen Verfassungsvertrag. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Ich meine das jetzt nicht als generelle Kritik; aber gerade ein geeintes Europa müsste für die Probleme seines Sou- was Sie eben in Ihrer Rede gesagt haben. Ich habe das veräns mehr Gehör zeigen können, als dies gegenwärtig Protokoll nicht nachgelesen, aber ich habe ja gesehen, der Fall ist. Aber wir wollen das positiv sehen. Das ist dass Sie dagegen gestimmt haben. eine Chance für Europa, sich weiter zu entwickeln. (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn du das zwei- Bei der konkreten Arbeit als Abgeordneter im Petiti- mal behauptest, wird es nicht richtiger!) onsausschuss ist man dann gut, wenn man sich in die Wenn das als Enthaltung gewertet worden sein sollte,Lage der Leute versetzen kann, deren Anliegen man als dann ist es gut. Jedenfalls haben Sie nicht zugestimmt. Berichterstatter bearbeitet. Das haben wir im Ausschuss Eine Enthaltung ist doch wohl eine recht schwache Form wohl alle getan. Dennochsind wir nicht immer einer der Zustimmung, oder, Herr Baumann? Meinung gewesen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber wir konnten doch häufig etwas bewirken, konnten Wer hier eiert, das ist eine ganz andere Frage. Wir von (B) Ungerechtigkeit abschaffen, konnten die Eingaben der(D) der Koalition haben klar im Koalitionsvertrag gesagt,Petenten aufgreifen und die Resultate in die Gesetzge- dass wir das Petitionsrecht erweitern wollen und diebung einbringen. Bürger mehr Möglichkeiten haben sollen. Das haben wir beschlossen. Ich bleibe dabei: Die Union hat nicht zuge- Ein Wort an meine Landsleute von der Saar: Das stimmt. Saarland hat mit Baden-Württemberg bundesweit die wenigsten Eingaben. Machen Sie ruhig häufiger Ge- (Günter Baumann [CDU/CSU]: Basta! – Wei- brauch von Ihrem Petitionsrecht, auch was die Bergschä- terer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist etwas den betrifft! anderes als dagegen gestimmt, mein Lieber!) (Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Wo die CDU regiert, sind alle glück- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: lich!) Nun hat das Wort der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion. Das Ziel bleibt natürlich eine Änderung des Bundesberg- gesetzes, sprich: Der Bergbau unter bewohntem Gebiet Dr. Karl Addicks (FDP): muss endlich aufhören. Ich beziehe mich da auf eine Pe- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undtition aus meinem Wahlkreis, die leider keinen Erfolg Herren! Vor kurzem hat der Petitionsausschuss seinen hatte. Allerdings ruht unsere Hoffnung hier auf einer an- Jahresbericht an den Herrn Bundestagspräsidenten über- deren Bundesregierung. geben. Mehr als 15 000 Einzelpetitionen wurden im (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Jahr 2004 abschließend bearbeitet, eine gewaltige Zahl, die im Vergleich zu den Vorjahren noch deutlich zuge- Vielen Dank noch an meine Kollegen vom Petitions- nommen hat. Darin spiegeln sich auch die hausgemach- ausschuss für die im Großen und Ganzen doch gute und ten Wirtschaftsprobleme wider, die auch und vor allem einvernehmliche Zusammenarbeit. auf die Sozialgesetzgebung durchschlagen und die diese Vielen Dank für Ihrer aller Aufmerksamkeit. Bundesregierung zu verantworten hat. Im Gegensatz zur Bundesregierung hat der Aus- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schussdienst eine hervorragende Arbeit geleistet; ich sage es an dieser Stelle noch einmal. Dafür möchte ich Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: allen Ausschussdienstmitarbeitern ganz herzlichdan- Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Lösekrug- ken. Möller für die SPD-Fraktion. 17042 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Fälle betrüben uns. Ich denke, wir werden in Zukunft(C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!viel tun müssen, damit wir auch in solchen Einzelfällen, Meine Damen und Herren! Ich stelle mir Folgendes vor: bezogen auf bestimme Fragestellungen, mehr helfen Wir behandeln den Jahresbericht 2005. Es ist Donners- können, als es zurzeit der Fall ist. tag, 10 Uhr, und wir haben hinreichend Zeit, Sind wir ein parlamentarischer Leuchtturm oder ein (Günter Baumann [CDU/CSU]: Ventil, um Dampf abzulassen? Letzteres Bild wurde von Zwei Stunden!) Adenauer herangezogen. Ich gebe zu, dass ich mich lie- darüber zu reden, was unsere Arbeit so bedeutsamber als Leuchtturm als ein Ventil sehe; denn als Leucht- macht. Ich lege mein ganzes Vertrauen in jene Mehrheit turm habe ich den Überblick und biete Orientierung. – ich glaube zu wissen, wie die Mehrheit beschaffen sein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wird; die jetzige wird nämlich bestehen bleiben –, dass DIE GRÜNEN) wir das endlich einmal hinbekommen. Dieses Vorwort wollte ich meiner kurzen Rede vorausschicken. Orientierung haben wir auch in Bezug auf die Modernisierung des Petitionswesens gegeben, wie be- Als Nächstes schließe ich mich meinen Vorrednern an reits angeklungen ist. Wir von Rot-Grün haben, um end- und danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deslich auf die Höhe der Zeit zu kommen, drei Änderungen Petitionsausschusses. Wir haben gut und zuverlässig zu- in Gang gebracht. Wir haben – auch mit großer fachli- sammengearbeitet. Das ist sicherlich einen großen Dank cher Unterstützung des Ausschussdienstes – unsere Ver- wert. fahrensgrundsätze geändert. Ich will das an dieser Stelle (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE nicht im Einzelnen erläutern. Ich halte alle drei Ände- GRÜNEN und der FDP) rungen für richtungweisend und sinnvoll. Es wurde schon hinreichend dargestellt, dass im Dass der Opposition dann aber in entscheidenden Fra- Jahr 2004 mehr Petitionen eingegangen sind und vongen der Mut fehlte, ist nicht neu; das kennen wir schon uns bearbeitet wurden als in den Vorjahren. Ich denke, es aus anderen Zusammenhängen. ist völlig klar: In einer Gesellschaft, die sich in einem so starken Wandel befindet wie unsere und in der so viele Für uns heißt das, dass wir in der Ausweitung des Pe- Reformen erforderlich sind, müssen das Parlament und titionsrechts das Internet ab 1. September in einer ange- die Bürgerinnen und Bürger in einen stärkeren Dialog messenen Weise nutzen können. Ich finde das Klasse eintreten. Das schlägt sich auch in der Zahl der Petitio- und bin sehr stolz darauf. Das gebe ich zu. nen nieder. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (B) (D) Für uns ist jede Petitiongleich wichtig. Das galt in GRÜNEN und der FDP) der Vergangenheit; das trifft heute zu und das wird auch künftig der Fall sein, lieber Herr Kollege Baumann. Uns Ich will abschließend festhalten, dass wir zwar vieles erscheint kein Anliegen zu groß oder zu klein, keinein Übereinstimmung geregelt haben, aber nicht alles. Bitte zu laut oder zu leise und keine Beschwerde zuWenn ich in die Vergangenheit zurückblicke, dann kompliziert, erst recht nicht zu einfach. Das haben wir möchte ich – das meine ich ehrlich – unserem derzeiti- unter Beweis gestellt. gen Vorsitzenden großen Respekt zollen und Dank sa- gen. Er hat das schwierige Handling immer zum Wohle Dass wir uns dabei bei Ministerien und Behördenvon Petenten hinbekommen. Ich meine, sein heute ange- nicht gerade Sympathien verschaffen oder unsere Be- führtes Beispiel, dass jemand, der einen Sumpf trocken liebtheit steigern, ist logisch. Wir knüpfen oftmals an ei- legen will, nicht die Frösche beauftragen dürfe, zeigt, nen Leidensweg von Bürgern und Bürgerinnen an, die wie liebenswert er auch Kritik formulieren kann. mit ihrem Wunsch nicht durchdringen konnten und mit ihrem Anliegen keinen Erfolg hatten. Aber wir nehmen Ich sehe das mit den Fröschen aber etwas anders. Ich diesen Weg gerne auf uns. Wir freuen uns wie alle über glaube nicht, dass alle grün sind; ich kenne auch sehr jeden Erfolg und sind meines Erachtens auch in schein- viele rote Frösche. Ich bin überzeugt davon: Genauso bar hoffnungslosen Angelegenheiten sehr hartnäckig.wie es in der Vergangenheit schwarze und gelbe Frösche Deshalb leisten wir gute Arbeit. gab, wird es in Zukunft bei den Beauftragten bunt sein. Hier lernen wir alle den Unterschied zwischen den Äm- Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben es ge-tern, die eine Regierung zu vergeben hat, und dem, was schafft, einer gehörlosen jungen Frau eine angemessene das Parlament tut. Ich bin ganz optimistisch: Wir, der Ausbildung zukommen zu lassen, indem wir uns dafür Petitionsausschuss, bleiben sicherlich gut und nahe an eingesetzt haben, dass ihr ein Gebärdendolmetscher zur den Bürgerinnen und Bürgern. Seite gestellt wurde. Soviel zum Thema „laute und leise Bitten“. Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele Ich komme zum Schluss. Meine lieben Kolleginnen anführen. und Kollegen von der CDU/CSU, ich glaube, es bleibt so: Ein Ja ist ein Ja, ein Nein ist ein Nein und eine Ent- Aber wir stoßen auch in manchen Fällen an unsere haltung bleibt eine Enthaltung, egal was man später sagt. Grenzen. Ich glaube, darin stimmen wir überein, Herr Dr. Addicks. Zum Beispiel konnten wir es einer Chine- (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] sin – eine praktizierende Falun-Gong-Anhängerin – [CDU/CSU]: Das hätten wir ohne Sie nicht ge- nicht ermöglichen, in Deutschland zu bleiben. Solche wusst! Danke für die Belehrung! Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17043

Gabriele Lösekrug-Möller (A) – Herr Kauder, den Eindruck hatte ich ebenfalls. Des- merhin von 45 000 Menschen aus ganz Europa unter-(C) halb schien es mir geboten zu sein, darauf hinzuweisen: stützt worden. Keine Kante an einer Enthaltung macht daraus ein Ja. Das zeigt aus meiner Sicht zweierlei: Zum einen Vielen Dank. stimmt das Gerede über die Ichbezogenheit unserer Ge- sellschaft zumindest nicht zu hundert Prozent. Zum an- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deren erfüllt der Petitionsausschuss neben seinem ur- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sprünglichen Zweck noch eine andere Funktion, nämlich FDP) Fragen aufzuwerfen und Probleme anzusprechen, für die es woanders vielleicht kein Forum gibt. Weil wir diese Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: zusätzliche Funktion offensichtlich haben, weil wir Vor- Das Wort hat der Kollege Holger Haibach für diebild für viele Einrichtungen ähnlicher Art sind und weil CDU/CSU-Fraktion. unser Ausschuss ganz offensichtlich den Ruf genießt – das habe ich zumindest im Ausland so vernommen –, Holger Haibach (CDU/CSU): nicht parteipolitisch, sondern in der Sache zu entschei- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- den, tun wir bei aller Notwendigkeit zur Veränderung ren! Es ist mir eigentlich zu viel, die ganze Diskussion und bei allem verständlichen Willen zur öffentlichen noch einmal aufzurollen. Aber was der Kollege Winkler Darstellung gut daran, unsere Glaubwürdigkeit dadurch über den Wechsel meiner Kolleginnen und Kollegen ge- zu erhalten, dass wir das, was ich das „hohe Gut“ ge- sagt hat, ist erstens falsch und lässt zweitens eine andere nannt habe, wirklich hochhalten und es nicht durch un- Interpretation zu. Im Petitionsausschuss sind zehn Kolle- bedachte Änderungen oder durch Parteipolitik diskredi- ginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Sieben davon tieren. sind seit Beginn der Legislaturperiode dabei. Aber Sie Bisher hatte ich meistens den Eindruck, dass dem haben den Eindruck erweckt, als hätten wir gewechselt auch so ist. Ich will nur hoffen, dass möglicherweise et- wie andere Leute täglich ihre Unterhosen. Bei uns sind was stürmischere Zeiten diesen Eindruck nicht verwi- natürlich einige Landesgruppen, zum Beispiel die Bay- schen. ern, vertreten, die sehr viele Abgeordnete haben. Bei uns soll jeder in den Genuss kommen, im Petitionsausschuss Herzlichen Dank. zu arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der CDU/CSU) des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Denn das Petitionsrecht ist ein großes Recht und beileibe (B) keine Selbstverständlichkeit. (D) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Welch hohes Gut das Petitionsrecht tatsächlich ist, Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist habe ich in Palästina gelernt. Ich bin dort letztes Jahr ge- die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. wesen und habe vor Vertretern der palästinensischen Re- gierung und des Legislativrates über die Arbeit und die Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Erfahrung mit dem deutschen Petitionsrecht gesprochen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! weil man dort so etwas wie die Einrichtung eines Peti- Lassen Sie bitte folgenden Fall einfach einmal auf sich tionsbüros plant. Dabei ist mir klar geworden – das ist wirken. Sie bearbeiten eine Petition und stellen fest: Der mir auch deutlich gesagt worden; das ist schon ange-Petent hat Recht. Da ist etwas passiert, was nicht in Ord- klungen –, dass das deutsche Petitionsrecht sowie dienung ist. Ihr Votum lautet: Wir überweisen den Fall an Art und Weise, wie wir damit umgehen, Vorbildcharak- die Bundesregierung zur Erwägung. Bei weiterem Nach- ter für viele haben. Wenn wir das Petitionsrecht, dieses schauen stellen Sie fest: Der Ausschussdienst hat Ähnli- hohe Gut, das keine Selbstverständlichkeit ist, weiterent- ches wie Sie festgestellt und votiert auch, zur Erwägung wickeln wollen, dann müssen wir sehr vorsichtig sein zu überweisen. Auch die Berichterstatterin der Regie- und genau darauf achten, was wir bewirken, wenn wir rungskoalition – Frau Marks, Sie wissen, worum es Änderungen herbeiführen. geht – (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Zuruf von der SPD: Das wissen wir alle!) Uwe Göllner [SPD]) kommt nach einigen klärenden zusätzlichen Informatio- Jedenfalls scheint mir, dass in Deutschland vom Peti- nen zu der Erkenntnis: Jawohl, dem Petenten ist Unrecht tionsrecht sehr rege Gebrauch gemacht wird, einmalgeschehen, ihm muss geholfen werden. Das Votum: zur mehr, einmal weniger; das ist schon angeklungen. Ich Erwägung an die Bundesregierung. Die Abstimmung im finde es spannend, zu sehen, dass sich sehr viele Men- Petitionsausschuss – logischerweise einstimmig –: Die schen für Dinge einsetzen, die nichts mit ihrem persönli- Petition soll der Bundesregierung zur Erwägung über- chen Umfeld zu tun haben. Das reicht von Fragen betref- wiesen werden. fend das Umweltrecht bis hin zu Informationsfragen. Manche Petitionen beschäftigen sich beispielsweise mit Fazit: Alle Prüfungen, sowohl die der Ausschussmit- Genitalverstümmelungen bei Frauen und Mädchen inarbeiter als auch die aller Berichterstatter sowie aller Afrika oder mit der Aufarbeitung historischen Unrechts Ausschussmitglieder, haben ergeben: Diesem Petenten im damaligen Osmanischen Reich. Diese Petition ist im- muss geholfen werden. Die Regierung muss aufgefordert 17044 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Sibylle Pfeiffer (A) werden, Entsprechendes in die Wege zu leiten. Und dann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) passiert das Unfassbare: Die Regierung sieht keinen Handlungsbedarf. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Abg. Caren Marks [SPD] meldet sich zu einer Ich schließe die Aussprache und nutze gern die Gele- Zwischenfrage) genheit, sicher im Namen des ganzen Hauses, allen Mit- gliedern des Petitionsausschusses für eine Arbeit zu – Herr Präsident, ich beantworte die Frage gern. danken, die im Unterschied zu manchen anderen Aufga- benfeldern weniger auffällig, aber ganz besonders wich- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: tig ist. Bitte schön. Wir machen gerade einen Modellver- (Beifall im ganzen Hause) such, ob Debatten notfalls auch ohne Beteiligung eines amtierenden Präsidenten funktionieren. Das verdient gerade bei einer solchen Gelegenheit fest- gehalten zu werden. (Heiterkeit) Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 9 auf: Bitte schön, Frau Kollegin. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Caren Marks (SPD): Wohnungswesen Vielen Dank. – Frau Pfeiffer, Sie haben eben behaup- (14. Ausschuss) tet, mein Votum habe in diesem Fall gelautet, dass dem – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Petenten Unrecht widerfahren sei. Dem möchte ich in al- Beckmeyer, Klaus Brandner, Dr. Michael ler Deutlichkeit widersprechen. Ich habe in Übereinstim- Bürsch, weiterer Abgeordneter und der Frak- mung mit Ihnen dahin gehend votiert, dass der Fall dem tion der SPD sowie der Abgeordneten Albert entsprechenden Ministerium zur Erwägung überwiesen Schmidt (Ingolstadt), Anja Hajduk, Volker werden sollte. Das ist auch geschehen. Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Meine Frage: Wie kommen Sie angesichts der Ant- Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN wort des Ministeriums zu der Feststellung, dass eine ein- Investitionskräfte stärken – Neue Impulse stimmige Überweisung an das Ministerium automatisch für Wachstum und Beschäftigung dahin gehend zu interpretieren ist, dass dem Petenten Unrecht widerfahren ist? – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dietrich Austermann, Eduard (B) Oswald, weiterer Abgeordneter und der Frak- (D) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): tion der CDU/CSU Weder noch; das ist nicht das Thema. Darin, liebe Kol- legin Marks, besteht genau unsere Aufgabe: zu erkennen, Notwendige Investitionen in die deutsche welchen Petenten in der Sache – obwohl unter Umstän- Verkehrsinfrastruktur bereitstellen den vom geltenden Recht gedeckt – Unrecht getan wor- – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst den ist, zum Beispiel weil Angaben nicht stimmten, weil Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Behörden sich falsch verhalten haben, weil Ämter wider- Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und sprochen haben, obwohl die Fristen eingehalten wurden. der Fraktion der FDP Unsere Aufgabe ist es, solches Unrecht – und zwar nicht im juristischen Sinne – zu erkennen und zu korrigieren. Infrastrukturinvestitionen erhöhen – Neue Ich denke, das ist eine schöne Aufgabe. Wege bei Finanzierung und Betrieb der Bundesfernstraßen (Beifall bei der CDU/CSU – Günter Baumann [CDU/CSU]: Das war ein Eigentor!) – Drucksachen 15/5340, 15/5325, 15/5338, 15/5650 – Ich komme zurück zu meinem Fall. Ich hatte ausge- führt, dass die Bundesregierung trotz allem also keinen Berichterstattung: Handlungsbedarf sieht. Das stimmt mich ziemlich trau- Abgeordnete Uwe Beckmeyer rig, weil in einem Fall, wieich ihn eben näher erläutert Horst Friedrich (Bayreuth) habe, mir der Petent Leid tut. Obwohl alle feststellen, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für dass gehandelt werden muss, handelt die Bundesregie- diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Diese rung nicht. benötigen wir nicht, weil die Kollegen Uwe Beckmeyer, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Ergebnis Georg Brunnhuber, Renate Blank, Albert Schmidt und unserer Arbeit so aussieht, dass wir einstimmig der Mei- Horst Friedrich ihre Reden zu Protokoll geben.1) Somit nung sind, etwas müsse abgestellt werden, aber trotzdem muss ich die Aussprache nicht eröffnen und kann gleich nichts getan wird, dann arbeiten wir so gut wie umsonst. zu den Beschlussempfehlungen kommen. Wenn das Ergebnis unserer Arbeit nicht anerkannt wird, Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- dann können wir uns alle Diskussionen und die Bearbei- lung auf Drucksache 15/5650 unter Nr. 1 die Annahme tung der Akten sparen. Vielen Dank. 1) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17045

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnis- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (C) ses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5340 mit demKollegen! Ich freue mich, dass wir mit unserem rot-grü- Titel „Investitionskräfte stärken – Neue Impulse fürnen Antrag heute eine Magna Charta der europäischen Wachstum und Beschäftigung“. Wer stimmt für dieseFinanzmarktintegration beraten können. Dies hat Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa red- enthält sich der Stimme? – Das Erste war die Mehrheit, lich verdient. die Beschlussempfehlung ist angenommen. Durch die Umsetzung des FSAP auf europäischer Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung Ebene sind verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache worden, welche die europäischen Finanzmärkte und den 15/5325 mit dem Titel „Notwendige Investitionen in die Finanzplatz Deutschland vorangebracht haben und wei- deutsche Verkehrsinfrastruktur bereitstellen“. Werter voranbringen werden. Gerade Deutschland ist einer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt der bedeutendsten Produktionsstandorte für Finanz- dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Beschluss- dienstleistungen in Europa. Der heutige Antrag trägt ent- empfehlung ist mit Mehrheit angenommen. scheidend dazu bei, unser Gewicht bei unseren Partnern in der EU angemessen einzubringen. Die Integration der Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- europäischen Finanzmärkte stärkt auch ganz besonders ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland, der Fraktion der FDP auf der Drucksache 15/5338 mit sie fördert Wirtschaftswachstum und führt letztlich auch dem Titel „Infrastrukturinvestitionen erhöhen – Neuezu mehr Arbeitsplätzen. Wege bei Finanzierung und Betrieb der Bundesfernstra- ßen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Klar ist aber auch: Von einem mündigen und infor- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit leichten mierten Bürger kann bei der komplexen Vielfalt von Fi- Variationen im Abstimmungsverhalten ist diese Be-nanzprodukten nicht der gleiche Wissensstand erwartet schlussempfehlung mit Mehrheit angenommen. werden wie bei einem Einkauf im Supermarkt. Unsere Aufgabe wird es daher sein, dafür zu sorgen, dass die In- Nun rufe ich die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf: teressen der Finanzmarktakteure in einem angemessenen a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenVerhältnis zueinander stehen. Somit gewährleisten wir Dr. Hans-Ulrich Krüger, Florian Pronold, Ingrid mit unserem Antrag einen effektiven und leistungsfähi- Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und dergen Verbraucherschutz. Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jutta Dies wird offenbar, wie ich den Zwischenrufen ent- Krüger-Jacob, Christine Scheel, Kerstin Andreae, nehme, (B) weiterer Abgeordneter und der Fraktion des (D) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Hat doch keiner etwas gesagt!) Europäische Finanzmärkte – Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen von den Fraktionen der FDP und der CDU/CSU so nicht mitgetragen. Ansonsten wären bestimmte Dinge nicht – Drucksache 15/5679 – erklärbar. b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenIm Einzelnen begrüßen wir im Basel-II-Prozess, dass Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, es Leo nach langwierigen Verhandlungen gelungen ist, einen Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und dertragfähigen Rahmen für die Eigenkapitalanforderungen Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten international tätiger Banken zu schaffen. Auch die sehr Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms,ausgewogene Lösung zur nkenaufsichtsrechtlichen ba Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und Behandlung von Krediten an die mittelständische Wirt- der Fraktion der FDP schaft ist hier zu nennen.Nun kommt es im Wesentli- Europäische Finanzmärkte – Integration durch chen darauf an, diese Verhandlungserfolge bei der EU- Wettbewerb und Vielfalt voranbringen Umsetzung zu sichern. – Drucksache 15/5677 – Der Zugang der Bevölkerung und der Unternehmen zur Vielfalt der modernen Finanzdienstleistungen ist zu Auch hier ist eine halbstündige Aussprache vorgese- garantieren. Es bestehen hier auf EU-Ebene durchaus hen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so noch Schwierigkeiten beim grenzüberschreitenden elek- beschlossen. tronischen Vertrieb sowie bei der Zulassung der grenz- überschreitenden Kontoeröffnung durch das Internet. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Hier muss durch die EU-weite Umsetzung der bereits Kollegen Hans-Ulrich Krüger für die SPD-Fraktion das vorhandenen Richtlinien eine Vereinfachung für die Ver- Wort. braucher und letztlich auch für die Banken geschaffen (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der kann ei- werden. Beide Gruppen werden dieses Angebot dankend nem Leid tun!) annehmen und sich entsprechend verhalten. Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem die deutsche Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Finanzindustrie zu den Champions zählt, ist der der Ich danke für den Trost vorab, Herr Dautzenberg. Erst- und Rückversicherungsunternehmen. Damit die 17046 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Dr. Hans-Ulrich Krüger (A) Marktstellung dieser Unternehmen nicht gefährdet wird, CSU]: Ich habe Sie bisher für seriöser gehal- (C) gilt es, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu er- ten!) halten, zu sichern und zu fördern. – Sie haben gleich die Möglichkeit, etwas dazu zu (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – Leo sagen. – Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das ist konse- Dautzenberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!) quenter. Im Hinblick auf die vorzuhaltenden Eigenmittel und an- Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Thema zuwendenden Berechnungsverfahren dürfen diese Un- „Clearing and Settlement“ verlieren. Für uns ist es sehr ternehmen nicht überfordert werden. Gleiches gilt auch wichtig, dass bestehende und funktionierende Markt- in Bezug auf unnötige bürokratische Hindernisse. Aus- strukturen nicht durch Maßnahmen aufgrund vorgescho- drücklich begrüßen wir, dass die von der EU geplante bener Wettbewerbsargumente in Mitleidenschaft gezo- Verschärfung der Solvenzvorschriften für Rückversiche- gen werden und dass vor einem Tätigwerden der rungen für das Lebensrückversicherungsgeschäft kein Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse erfolgt. Thema mehr ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie wissen, ist Zur Regulierung von Ratingagenturen hat der Deut- mit Beschluss des Europäischen Parlaments vom sche Bundestag bereits im Jahr 2004 beschlossen, inter- 31. Mai 2004 das Lamfalussy-Verfahren auf die ge- nationale Verhaltensregeln zu fördern. Erfreulich ist,samte EU-Finanzmarktrechtsetzung ausgeweitet wor- dass die in dem Beschluss formulierten Forderungen bei den. Was wir mit unserem Antrag aufgreifen und angrei- der Arbeitsgruppe der Vereinigung der Wertpapierauf- fen, ist die nach wie vor mangelnde demokratische sichtsbehörden Gehör gefunden haben und im Entwurf Legitimation der so genannten Level-3-Committees im eines Wohlverhaltenskodex für Ratingagenturen berück- Rahmen des Lamfalussy-Verfahrens. In Deutschland ha- sichtigt sind. Wir werden in den kommenden Jahren sehr ben wir ein gutes Forum geschaffen, auf dem gemein- genau prüfen, wie die Entwicklung auf dem Ratingmarkt same Aufsichtsstandards entwickelt werden. So muss vorangeht, und gegebenenfalls auch Vorschläge für eine die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen bezüglich europäische Lösung unterbreiten. ihrer Mitarbeit in den Level-3-Ausschüssen dem Bun- desministerium der Finanzen berichten, welches wie- In der jüngeren Vergangenheit ist das eher kurzfristig derum dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages angelegte Engagement einiger Hedgefonds zu Recht in- Bericht erstattet. Langfristig muss aber ein demokratisch frage gestellt worden. Wie die „Wirtschaftswoche“ ak- legitimiertes System einer europäischen Finanzaufsicht tuell titelt, drohen dem mit 1 000 Milliarden US-Dollar etabliert werden, das Aufsichtskonvergenz garantiert. Eigenkapital ausgestatteten Markt der Hedgefonds (B) Schieflagen, die das weltweite Finanzsystem ins Wanken Der vorliegende Antrag ist mit allen vorgetragenen(D) bringen können. Das muss ein deutliches WarnsignalGrundsätzen und Überlegungen insgesamt ein würdiges auch an die deutsche Politik sein. Arbeitsprogramm für die EU-Finanzmarktintegration und die Rolle Deutschlands in diesem Prozess. Es ist da- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) her schade, dass dieser Antrag von Rot-Grün nicht ein- stimmig von allen Fraktionen dieses Hauses verabschie- Es ist deshalb notwendig, alles dafür zu tun, dass in- det werden kann. ternationale Hedgefonds die gleiche Sicherheit bieten wie deutsche. Mit dem Investmentmodernisierungsge- (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das hättet ihr setz ist es gelungen, moderne Bedingungen für Hedge- machen können!) fonds zu schaffen, Gleichwohl ist der Tag der Einbringung unseres Antrags (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Für ein guter Tag für Deutschland und, ich denke, auch ein Deutschland, ja!) guter Tag für Europa. die für die europäische Regulierung von Hedgefonds Ich danke Ihnen. wegweisend sein müssen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ So gibt es bei uns strenge Zulassungsprüfungen und DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der es wird eine ständige Aufsicht über das Management CDU/CSU und der FDP – Heinz Seiffert verlangt. Es bleibt daher darauf zu achten, dass es zu ei- [CDU/CSU]: Das war unser Antrag!) nem ausgewogenen Ausgleich zwischen Anlegerschutz und Entwicklungsmöglichkeiten für den Kapitalmarkt Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: kommt. Hierbei muss allerdings zusätzlich über Trans- Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg, CDU/ parenzgebote und Offenlegungspflichten diskutiert wer- CSU-Fraktion. den. Auch dieses Anliegen sollte von Ihnen, meine Da- men und Herren von der Opposition – so meine Bitte –, (CDU/CSU): in Gänze mitgetragen werden, sodass ich Sie auffordern Leo Dautzenberg möchte: Ziehen Sie Ihren gleich lautenden Antrag zu- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe rück! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Krüger, all das, was Sie vorgetragen haben, war in der Tat Inhalt unseres (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Unserer war der gemeinsamen Antrages. Aber gerade die kritischen erste, Herr Kollege! – Leo Dautzenberg [CDU/ Punkte, die dazu geführt haben, dass Ihre Partei und die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17047

Leo Dautzenberg (A) Grünen ausgestiegen sind, haben Sie im Grunde genom- gemeinsamen Status gehalten haben und in den letzten(C) men nicht erwähnt und erläutert. drei Jahren vorzeigbare Ergebnisse erzielt haben. (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ist halt doch ein Am 24. Mai, dem Tag der letzten Berichterstatter- anderer Antrag!) gespräche, hatten wir uns auf einen Kompromiss geei- nigt. Die Grundlagen für diesen gemeinsamen Status ha- Vielmehr haben Sie nur darauf abgestellt, was wir bis zu ben Kollege Krüger, Frau Krüger-Jacob, Kollege einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsam erarbeitet hat- Wissing, meine Wenigkeit und Kollege Fahrenschon ge- ten. Dass wir heute über zwei unterschiedliche Anträge meinsam erarbeitet. Sie haben alle Punkte genannt. diskutieren, zeigt, wie kaputt die rot-grüne Koalition Schwerpunkte waren Basel II, die Bankenstruktur in wirklich ist. Es herrschen Chaos, Konzeptionslosigkeit Europa, Regelungen für das Retailbankengeschäft, und Konfusion. Schaffung eines Rechtsrahmens für Zahlungsverkehr in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – einem einheitlichen Zahlungsraum, Solvency II für das Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Und uns Blockade Versicherungswesen, Regulierung der Ratingagenturen vorwerfen!) und der Hedgefonds, Clearing und Settlement, Bewer- tung des Lamfalussy-Verfahrens – dabei waren wir der Das sieht man an der Entstehungsgeschichte der beiden Auffassung, dass der demokratische Prozess darin ge- vorliegenden Anträge. stärkt werden muss und es nicht einzelnen Spezialisten, Lieber Herr Kollege Krüger, man kann das, was Sie die durch nichts demokratisch legitimiert sind, überlas- zu den einzelnen Schwerpunkten unserer beiden Anträge sen werden darf, nachher Regulierungen vorzunehmen – vorgetragen haben, voll unterstützen. und eben auch die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Europäischem Parlament. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was ist aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in Bis vor zwei Wochen gab es nämlich einen gemeinsa- der Zwischenzeit passiert? Die Finanzpolitiker von SPD men Antrag der Fraktionen. Er beruhte insbesondereund Grünen sind in der eigenen Fraktion niedergestimmt auch auf umfassenden Vorarbeiten der Union. Wir füh- und bloßgestellt worden. len uns natürlich geehrt, wenn Sie in der Einleitung zu Ihrem Antrag davon sprechen, er stelle geradezu eine (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ist Magna Charta für den europäischen Finanzmarkt dar. das! Nicht das erste Mal!) Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie sind (Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Und im Grunde fast schon zu bedauern, dass dies so gesche- (B) Verbraucherschutz!) hen ist. (D) Sie aber haben die Umsetzung erschwert und sind von Zwei weitere Punkte möchte ich in diesem Zusam- der eigenen Fraktion über den Tisch gezogen worden, menhang noch festhalten: Erstens. Wir werden uns für die kommende Legislaturperiode merken, dass die Zu- (Zuruf von der SPD: Waren Sie dabei?) sammenarbeit bei Finanzmarktthemen von Ihrer Seite als es darum ging, die Bestimmungen zum Verbraucher- unnötigerweise aufgekündigt worden ist. schutz neu zu formulieren. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Sehr bedauerlich!) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist das!) Zweitens ist es schon ein Bubenstück, wenn man den Wie war jetzt die zeitliche Abfolge? Unser Antrag gesamten Antrag, der überwiegend von uns konzipiert „Europäische Finanzmärkte – Integration durch Wettbe- worden ist, übernimmt und nur bei den Themenberei- werb und Vielfalt voranbringen“ stammt vom letztenchen Verbraucherschutz, Hedgefonds und Bankenstruk- Jahr. Am 16. Dezember 2004 gab es darüber im Plenum tur Verschärfungen vornimmt. die erste Debatte. Trotz des inkompetenten Vortrages Ih- (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Und dann sagt, res Kollegen Pronold waren wir bereit, gemeinsame Be- wir sollen den Antrag zurücknehmen!) richterstattergespräche zu führen, die man normaler- weise nach dem Vortrag des Kollegen Pronold so nicht Es ging darum, dass wir ein – das ging mit auf Ihre geführt hätte. Ziel der Berichterstattergespräche war es, Formulierung zurück, Herr Krüger angemessenes – gemeinsame Positionen des Deutschen Bundestages zum Verbraucherschutzniveau haben wollen, weil wir wis- Wohle des Finanzplatzes Deutschland in einem inte-sen, dass zwischen Anbieter und Nachfrager ein gesun- grierten Finanzplatz Europa zu formulieren; denn Fi-der Interessenausgleich bestehen muss. Je höher der Ver- nanzmarktgesetzgebung war für uns Volkswirtschaftler braucherschutz angesiedelt wird, desto teurer wird er für immer sehr bedeutend und ist nach unserer Auffassung den Verbraucher. Wenn Sie da so hohe Hürden aufbauen, nicht für den politischen Streit geeignet. Dieser Vorstel- schließen Sie von vornherein automatisch Produkte aus, lung haben wir in der Vergangenheit, wenn auch manch- die es für die Verbraucher sonst auf dem Markt gäbe. mal nach langem Ringen, immer entsprochen. Nicht akzeptabel ist „hohes Verbraucherschutzniveau“. Ihre Verbraucherschützer mögen damit zufrieden gestellt Im Zusammenhang mit der Finanzmarktgesetzge-worden sein; aber das kann an sich nur eine hohle Phrase bung will ich auch einmaldie Mitarbeiter des Bundes- sein. finanzministeriums und die Kollegen von SPD und Grü- nen loben, die dazu beigetragen haben, dass wir diesen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 17048 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Leo Dautzenberg (A) Zweitens zur Konsolidierung des Bankenmarktes.– Doch, Ihr Antrag enthält die Forderung nach zusätzli- (C) Wir haben klar postuliert, dass unsere Bankenstruktur chen Regulierungen in unserem Land; wir teilen diese – das berühmte Dreisäulenmodell – in der Vergangenheit Auffassung nicht. – Wir wären wirklich ein großes Stück sehr positiv, auch international, auf unsere Volkswirt-weiter, wenn diese Produkte hier produziert würden. Wir schaft gewirkt hat. Ebenso haben wir postuliert, dasssollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass unsere Ba- sich die Politik, was die zukünftige Struktur anbelangt, sis auch die Basis auf europäischer und internationaler hier sehr reserviert verhalten sollte. Nicht die PolitikEbene ist. sollte hier maßgebend sein, sondern die Strukturen müs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen sich bei den Banken selber und über die Eigentümer entwickeln. Als Bund haben wir in Bezug auf die Ban- Da Sie von einer anderen Diskussion – Stichwort „Kapi- kenstruktur vom rechtlichen Rahmen her auch nur die talismuskritik“ – eingeholt worden sind: Wir sollten die Möglichkeit, über § 40 KWG, wo es um den Schutz der Behinderungen in Deutschland nicht wiederum zum Sparkassen von der Bezeichnung her geht, Einfluss zu Maßstab machen. nehmen. Sonst ist diese eine Säule, der öffentliche Be- reich, zum größten Teil Länderrecht. Dieses Recht ist in Man hat Vorgänge bei der Deutschen Börse AG zum den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt. DieAnlass genommen, Hedgefonds zu kritisieren. Es gab in Eigentümer der Institutionen sollten von sich aus über manchen Bereichen Missstände. Diese Missstände müs- Strukturveränderungen befinden. Da sollte sich die Poli- sen wir abstellen. Die Vorgänge bei der Deutschen tik tunlichst nicht einmischen. Börse AG taugen aber gerade nicht als Beispiel für das stark kritisierte Wirken der Hedgefonds. Die Hedge- Wenn Sie diese Position streichen, dann bekunden Sie fonds haben ihren negativen Einfluss dort gar nicht gel- damit, dass Sie doch politisch Einfluss auf die zukünf- tend gemacht; vielmehr war ihre Beteiligung normal. tige Struktur nehmen wollen. Es ist für uns eine Grund- Empörender ist – das sollte uns Anlass zur Kritik satzfrage, wenn solche Veränderungen in einem bisher geben –, dass der Aufsichtsrat – ihm gehören auch Ge- gemeinsamen Papier vorgenommen werden sollen. Des- werkschaftsvertreter an – Abfindungsverträge mit Vor- halb kann das von unserer Seite nicht gutgeheißen und standsvorsitzenden, die keinem Maßstab standhalten, zu mitgetragen werden. verantworten hat. Ich wiederhole: Gewerkschaftsvertre- Dann fordern Sie, dass manche Produkte und manche ter haben daran mitgewirkt. Wenn Sie das in die Kapita- Vorhaben im Bankenbereich einer stärkeren Aufsichtlismuskritik einbeziehen, dann wären wir einen großen unterzogen werden. Wir haben die BaFin als Allfinanz- Schritt weiter. aufsicht. Ich komme zum Schluss. Mit dem Antrag, den wir (B) gemeinsam mit der FDP vorgelegt haben, ist eine gute(D) (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Die reicht!) Grundlage für eine Magna Charta – so haben Sie es ge- Sie ist geschaffen worden, um den gesamten Finanz-nannt – geschaffen. Sie haben das Ganze durch Ihre ein- markt Deutschlands – den Bankenbereich, den Versiche- seitigen, überzogenen Forderungen in Bezug auf Ver- rungsbereich, den Wertpapierbereich – zu beaufsichti- braucherschutz und Regulierung von Hedgefonds gen. Was wollen Sie da – nach all den Diskussionen, die – Stichwort „Bankenstruktur“ – konterkariert. Deshalb wir, gerade auch in Bezug auf die BaFin, geführt haben, können wir dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die bis hin zu Fachgesprächen mit Vertretern der Kreditwirt- Grünen nicht zustimmen; wir bleiben bei unserem An- schaft und der BaFin, nachallem, was in dem Bereich trag. Es wäre für die Fraktionen der SPD und des schon erreicht worden ist – an Aufsicht noch toppen?Bündnisses 90/Die Grünen gut, ihren Finanzpolitikern Teilweise muss man eher feststellen, dass für die Ent- zu folgen; denn sie waren auf dem richtigen Weg. wicklung der Märkte schon zu viel Regulierung existiert. Vielen Dank. Der dritte Punkt betrifft die Hedgefonds. Mit Recht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haben Sie darauf hingewiesen – deshalb kann ich das relativ kurz machen –, dass wir den Bereich derVizepräsident Dr. Norbert Lammert: Hedgefonds mit dem Investmentmodernisierungsgesetz Das Wort hat nun die Kollegin Jutta Krüger-Jacob, national rechtlich gut geregelt haben. Es war immer das Bündnis 90/Die Grünen. Bestreben sowohl der Kreditwirtschaft, der Finanz- marktseite, als auch – durch konstruktives Handeln – des Bundesfinanzministeriums, hier eine gemeinsameJutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grundlage zu finden. Wenn jetzt wieder mehr Regulie- NEN): rung verlangt wird, dann wäre es sinnvoll, wenn der Herr Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge- Bundeskanzler sich dafür einsetzen würde, den Maßstab, mäß dem Titel des vorliegenden Antrags muss es unser den wir jetzt national gefunden haben, zumindest auch gemeinsames Ziel sein, Integration durch Wettbewerb europaweit und sogar international einzuführen. Dasund Vielfalt der europäischen Finanzmärkte voranzu- muss unser allgemeines Anliegen sein und nicht mehr bringen. Wie ich Ihren Ausführungen entnehme, besteht Regulierung auf nationaler Ebene, was Sie mit Ihren Än- hierüber noch immer Einigkeit, auch wenn die intensi- derungen erreichen wollen. Das wäre der falsche Weg. ven Bemühungen aller Mitwirkenden letztendlich nicht zu einem interfraktionellen Antrag geführt haben, was (Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Nein!) ich persönlich bedauere. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17049

Jutta Krüger-Jacob (A) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was ja wir ein hohes Verbraucherschutzniveau anstreben – ein (C) nicht unsere Schuld ist! – Dr. Volker Wissing Aspekt, den keine Fraktion unterschätzen sollte, da nur [FDP]: Das ist ja nicht unsere Schuld!) die Sicherheit aller Marktteilnehmer zur Stabilität des gesamten Finanzwesens führt. Nicht zuletzt wegen einer gemeinsamen Zielsetzung konnten gemäß dem 1999 verabschiedeten EU-Aktions- Aus diesem Grund müssen wir auch darauf hinwir- plan für Finanzdienstleistungen bislang mehr als zwei ken, europaweit einheitliche Aufsichtsstrukturen zu Drittel der Maßnahmen zur Integration der europäischen schaffen. Das heißt nicht unbedingt eine singuläre Auf- Finanzmärkte abgearbeitet werden. Auch mit der Umset- sichtsbehörde; wichtiger sind harmonisierte, zusammen- zung in nationales Recht liegen wir sehr gut im Zeitplan: wirkende Aufsichtsstrukturen, wie wir sie bei den Fi- Wir haben die Hälfte der Vorhaben hierzu im deutschen nanzkonglomeraten durchgesetzt haben. Recht implementiert; der Rest ist in Bearbeitung. Vor dem Hintergrund eines Anspruchs auf Sicherheit Die europäischen Finanzmärkte zählen zu den führen- und Transparenz, dessen hohen Stellenwert die Diskus- den und leistungsfähigsten der Welt, auch wenn diesionen der letzten Wochen deutlich gemacht haben, ist rechtliche und tatsächliche Integration noch Divergen- für uns die Regulierung vonHedgefonds ein wichtiges zen zeigt. Noch immer kann sich kaum ein BürgerAnliegen. Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz vorstellen, eine nicht deutsche Lebens-, Unfall- oderhaben wir Regelungen geschaffen, die wegweisend für Haftpflichtversicherung abzuschließen oder für seineeine europäische Regulierung sind. Wir müssen gerade Baufinanzierung ein ausländisches Produkt auszuwäh- angesichts der jüngsten Ereignisse und dem Finanzvolu- len. Es wird unsere Aufgabe sein, diese Lücke durchmen, das Hedgefonds zwischenzeitlich verwalten, darauf Förderung von Transparenz zu schließen. achten, dass für diese Fonds eine gemeinsame europäi- sche Regulierung aufgebaut wird, und zwar im Einklang Wir müssen den Implementierungsprozess vorantrei- mit effizienten Entwicklungsmöglichkeiten für den Ka- ben, weitere Hemmnisse beseitigen, gesetzliche Rege- lungen vereinfachen und dabei den Anlegerschutz stär- pitalmarkt und den Anlegerschutz. ken. Die deutsche Finanzwirtschaft hat aufgrund der Danke schön. Größe der nationalen Volkswirtschaft, der modernen technischen Infrastruktur und der gut ausgebildeten Mit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arbeiter beste Voraussetzungen, um neue Standards in und bei der SPD sowie des Abg. Heinz Seiffert Europa entscheidend mitzubestimmen. [CDU/CSU]) Der Finanzmarkt ist ein Schlüsselfaktor für Wachs- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: tum und Arbeitsplätze unserer Volkswirtschaft. Trotz- (B) Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker Wissing (D) dem besitzt Deutschland vor allem im Bereich der für die FDP-Fraktion. Finanzdienstleistungen noch Wachstumspotenzial: Das durchschnittliche Finanzvermögen pro Haushalt beträgt bei uns 37 000 Euro, während es in den Niederlanden Dr. Volker Wissing (FDP): bei 67 000 Euro und in Großbritannien bei 93 000 Euro Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! liegt. Dass Rot-Grün heute den Antrag zu den europäischen Finanzmärkten gegen die Stimmen der Opposition in (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das liegt an den Deutschen Bundestag einbringt, sagt viel über den Rot-Grün!) Zustand der Regierungskoalition aus. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung in Deutsch- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es! – Heinz land und der dadurch bedingten voraussichtlich zurück- Seiffert [CDU/CSU]: Da hat er Recht!) gehenden Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungs- systeme wird auch hier eine höhere individuelleSeit Beginn der Kapitalismusdebatte wird der finanzpo- Sparleistung nötig werden. litische Sachverstand von Rot-Grün immer mehr zurück- gedrängt. Ich darf daran erinnern: Wir hatten ein abge- Bedarf besteht ebenso für die Unternehmen, die den stimmtes Papier. Wandel vollziehen müssen, weg vom klassischen Bank- kredit hin zu einer stärker kapitalmarktorientierten Un- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) ternehmensfinanzierung. Die Marktkapitalisierung ist in Alle Fraktionen im Finanzausschuss waren sich einig, Deutschland bei weitem nicht so fortgeschritten wie in bis Ihre Verbraucherschützer über das Papier hergefallen anderen europäischen Ländern. Mit derzeit lediglich sind. 39 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen wir zum Beispiel weit hinter Spanien mit 76 Prozent. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bei all unseren Bemühungen müssen wir stets auch Es ist doch geradezu bezeichnend, dass das Leitbild die Interessen des einzelnen Bürgers im Auge behalten. eines mündigen Verbrauchers, der sich selbstständig Quasi jeder von uns ist vom Finanzmarkt betroffen, sei informieren und eigenverantwortlich entscheiden kann, es als Arbeitnehmer, Aktionär, Bankkunde oder Versi- in Ihrem Antrag nicht mehr vorkommt. Das Leitbild von cherungsnehmer, sei es beim Aufbau von Vermögen für SPD und Grünen ist doch offenbar nicht der mündige Investitionen oder die Altersvorsorge. Gemessen an der Verbraucher, sondern der von Rot-Grün bevormundete Bedeutung der Märkte für den einzelnen Bürger müssen Verbraucher. Rot-grüner Verbraucherschutz gaukelt den 17050 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Dr. Volker Wissing (A) Menschen eine Sicherheit vor, die es auf den Finanz-Sie haben vergessen, dass die Menschen mündige Bür- (C) märkten nicht gibt. Ihr Verbraucherschutz ist kontrapro- ger sind und nicht von Ihnen bevormundet werden wol- duktiv. len. Sie haben den Hinweis gestrichen, dass sich die Bür- Unser Antrag ist besser. Wir haben die Nase vorn. gerinnen und Bürger selbstständig informieren und ei- genverantwortlich entscheiden müssen. Ich frage mich: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was haben Sie eigentlich für ein Bild von den Menschen in unserem Land? Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieser Debatte erhält das Wort die Kol- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) legin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. Kein staatliches Handeln kann Eigenverantwortung und mündige Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die hat das ersetzen. Ding zu Fall gebracht! – Heinz Seiffert [CDU/ CSU]: Mit der wären Sie doch fertig gewor- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) den, Herr Kollege Krüger! – Gegenruf der Ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis sich diese Abg. Ute Kumpf [SPD]: Eine solche Äuße- Erkenntnis bei Ihnen endlich durchsetzt. rung dürfen Sie sich als Landrat nicht erlau- ben!) Für die FDP steht Verbraucherschutz – wie bei Ihnen – im Vordergrund. Aber er besteht für uns nicht Gabriele Hiller-Ohm (SPD): darin, gebetsmühlenartig das Wort Verbraucherschutz zu Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die An- wiederholen und in Anträge zu schreiben. Wer für die träge der Opposition und der Koalition stimmen in wei- Verbraucher etwas tun möchte, muss sie offensiv infor- ten Teilen überein; das ist richtig. An einigen Punkten mieren und auf Gefahren hinweisen. gehen die Forderungen an den europäischen Finanz- Auch an anderer Stelle sind Ihre Änderungen bemer- markt jedoch deutlich auseinander. kenswert. Es war unter den Finanzpolitikern aller Frak- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Also doch!) tionen Konsens, dass Konsolidierungsprozesse auf den Finanzmärkten – Herr Kollege Dautzenberg hat das Wir wollen im Gegensatz zur Opposition auf EU- Thema schon angesprochen – eine Voraussetzung fürEbene ein hohes Verbraucherschutzniveau schaffen. Wachstum und neue Arbeitsplätze sind. Wir waren uns auch einig, dass diese Prozesse von der Politik nicht be- (Dr. Volker Wissing [FDP]: Fragen Sie einmal Ihre (B) hindert werden sollten. Auch diesen Satz kann ich in Ih- Finanzpolitiker, was die dazu sagen!) (D) rem Antrag nicht mehr finden. Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass gute Stan- Was soll denn das für ein Signal sein? Planen Sie In- dards in Deutschland dem Ziel eines gemeinsamen terventionen à la Holzmann auf den europäischen Fi-Finanzmarktes geopfert werden. nanzmärkten? Wir sind gespannt, wie Sie Konsolidie- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sie vertrauen rungsprozesse in diesem Bereich aufhalten wollen. Mit der Position des Kollegen Krüger nicht!) einem neuen Staatsinterventionismus werden Sie keine Arbeitsplätze schaffen. Wachstum erreicht man mit dem Warum ist eine gute Verbraucherpolitik in Europa Markt und nicht gegen den Markt. wichtig? (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist das! – Leo Erstens. Verbraucherschutz fördert den Wettbewerb. Dautzenberg [CDU/CSU]: Vielleicht die SPD Er macht die Vorgänge auf dem Markt transparent und als Hedgefonds!) verständlicher. Unseriöse Anbieter haben dann deutlich geringere Chancen. Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot- Grün, mag zwar zu der Heuschreckenrhetorik passen, Zweitens. Von einem gemeinsamen Finanzmarkt für die Sie in die politische Debatte gebracht haben. Er ist die Menschen in Europa sind wir noch weit entfernt. aber kein mutiger Schritt nach vorne. Er ist ein Schritt Grenzüberschreitende Angebote werden nur zögerlich zurück. Er ist kein Schritt hin zu einem wettbewerbsfähi- wahrgenommen. Warum? Es fehlt das Vertrauen. Wenn gen Finanzplatz Europa. Deswegen haben nicht Sie,sich die Menschen darauf verlassen können, dass überall Herr Kollege Krüger, die Magna Charta eingebracht,in der EU das gleiche hohe Verbraucherschutzniveau sondern die CDU/CSU und die FDP. gilt, wird sich das Vertrauen in den gesamten Binnen- markt zum Nutzen aller entwickeln. (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Genau!) EU-weite Finanzdienstleistungen sind deshalb bei uns Ihr Antrag ist Ausdruck rot-grünen Bedenkenträgertums. Verbraucherschutzpolitikerinnen und -politiker in den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Fokus gerückt. Wir haben wichtige Pflöcke eingeschla- Gabriele Frechen [SPD]: Sie haben die Men- gen, um Transparenz, Vergleichbarkeit und Informa- schen vergessen!) tionsmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbrau- cher zu verbessern. Ich nenne als Beispiele die – Wir haben die Menschen nicht vergessen. Richtlinien zum Fernabsatz von Finanz- und Wertpapier- (Gabriele Frechen [SPD]: Aber sicher!) dienstleistungen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17051

Gabriele Hiller-Ohm (A) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das war aber position, haben die Chance, unserem Antrag zuzustim- (C) nicht Gegenstand dieses Antrages!) men. Tun Sie es doch einfach! Tun Sie etwas für den Fi- nanzplatz in Europa! Hier wurden klare Verfahrensregeln und Informations- pflichten europaweit eingeführt. Diesen Weg werden wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weiterverfolgen. DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]: Aus Liebe zu Deutschland nicht!) Zum Thema Hedgefonds. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Franz Müntefering haben es deutlich ge- macht: Mächtige Spekulanten gefährden unsere soziale Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Marktordnung. Ich schließe die Aussprache. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie haben die doch Wir kommen zu den Abstimmungen. Jetzt können wir mal begrüßt!) einmal sehen, wer welchen Empfehlungen zum Abstim- mungsverhalten folgt. Hedgefonds spielen in diesem Zusammenhang eine zen- trale Rolle. Über ihre Sonderrechte können sie mit wenig Zusatzpunkt 3 a: Wir stimmen zunächst ab über den Eigenkapital große Summen an Fremdkapital bewegen. Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Weltweit verwalten mehr als 8 000 Hedgefonds etwaGrünen auf Drucksache 15/5679 mit dem Titel 1 Billion Dollar. Die Kapitalmenge von Hedgefonds„Europäische Finanzmärkte – Integration durch Wettbe- nimmt schnell Größenordnungen an, mit denen diewerb und Vielfalt voranbringen“. Wer stimmt für diesen Fonds den gesamten Finanzmarkt beeinflussen und Un- Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der ternehmen durch Aktienkäufe unterwandern können. Stimme? – Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen. Das passiert auch. Ich nenne ein Beispiel: Hedge- fonds und andere Spekulanten haben sich in das deut- Zusatzpunkt 3 b: Abstimmung über den Antrag der sche Industrieunternehmen IWKA, ein gesundes Unter- Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Druck- nehmen mit rund 15 Prozent Kapitalrendite, eingekauft sache 15/5677 mit dem Titel „Europäische Finanz- und den Vorstand zum Rücktritt gezwungen. märkte – Integration durch Wettbewerb und Vielfalt vo- ranbringen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer ent- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Diese Mög- hält sich? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist lichkeit müsste man mal bei der Bundesregie- abgelehnt. rung haben!) Ich rufe nun den Zusatzpunkt 4 auf: Geplant ist nun eine weitreichende Zerschlagung der Unternehmensstruktur, und dies, obwohl das Unterneh- Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD (B) (D) men Gewinn gemacht hat. Was dies für die Mitarbeite- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- rinnen und Mitarbeiter bedeutet, kann man sich sehr leb- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung haft vorstellen. der nachhaltigen Finanzierung der Versor- gung sowie zur Änderung dienstrechtlicher Die große Gefahr ist die Intransparenz, mit der sich Vorschriften (Versorgungsnachhaltigkeitsge- die Fonds auf dem Markt bewegen. Deshalb ist es rich- setz – VersorgNG) tig, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder die Offenle- gungspflichten für Hedgefonds europaweit und interna- – Drucksache 15/5672 – tional verschärfen will. Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/ Landwirtschaft CSU]: Welche denn?) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Konkret heißt dies, dass Meldepflichten bei der Aktien- Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO leihe und beim Erwerb wesentlicher Beteiligungen an Hierzu war eine halbstündige Debatte vorgesehen. Aktienunternehmen eingeführt werden sollen. Wir unter- Die Kolleginnen und Kollegen Siegmund Ehrmann, stützen dies mit unserem Antrag. Clemens Binninger, Hannelore Roedel, Silke Stokar von In den USA, dem Land des „ungezügelten Kapitalis- Neuforn und Dr. Max Stadler sowie für die Bundesregie- mus“, rung der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper geben ihre Reden zu Protokoll.1) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wie ist das ei- gentlich in Russland? – Weitere Zurufe von Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- der FDP: Heuschrecken!) wurfs auf Drucksache 15/5672 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den ist man da übrigens schon ein Stück weiter. Dort gibt es Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- diese Meldepflichten bereits. Bei Hedgefonds sind also abschätzung vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor- nicht die USA, sondern ist die EU der unregulierteschläge? Dies ist eine der letzten Gelegenheiten, Streit Markt. Das, meine Damen und Herren, muss sichanzufangen. – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über- schnellstens ändern – im Interesse europäischer Unter- weisung so beschlossen. nehmen, europäischer Arbeitsplätze und des europäi- schen Finanzmarktes. Deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht. Sie, meine Damen und Herren von der Op- 1) Anlage 15 17052 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Ich wünsche Ihnen allen und auch den Gästen auf der (C) ordnung. Besuchertribüne noch einen schönen Abend. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Die Sitzung ist geschlossen. destages auf morgen, Donnerstag, den 16. Juni, 9 Uhr, ein. (Schluss: 20.03 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17053

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 mit Wirkung zum 15. April 2005 eine neue Abteilung mit der Bezeichnung „EU-Angelegenheiten, Internatio- Liste der entschuldigten Abgeordneten nale Angelegenheiten, Planung“ gebildet wurde. Diese Abteilung EP setzt sich zusammen aus dem Planungs- stab und den Referaten der Unterabteilung 61 aus der entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich bisherigen Abteilung 6 ,,EU-Angelegenheiten, Interna- tionale Angelegenheiten, Fischerei“. Die organisatori-

* schen Maßnahmen waren insbesondere im Hinblick auf Adam, Ulrich CDU/CSU 15.06.2005 die EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland im 1. Halb- jahr 2007 übernehmen wird, notwendig, um die komple- Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 15.06.2005 xen Aufgaben effektiv wahrnehmen zu können und die Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 15.06.2005 insgesamt zu erwartende hohe Arbeitsbelastung im Joseph DIE GRÜNEN BMVEL durch effiziente ganisatorische or Strukturen und Rahmenbedingungen abzufedern. Neben der ver- Heynemann, Bernd CDU/CSU 15.06.2005 stärkten inhaltlichen Arbeit ist während der Präsident- schaft insbesondere mit zusätzlichem Koordinierungs- Dr. Hoyer, Werner FDP 15.06.2005 aufwand zwischen den beiden Dienststellen Bonn und Berlin sowie dem Referat Verbraucherschutz, Ernährung Jonas, Klaus Werner SPD 15.06.2005* und Landwirtschaft bei der StäV in Brüssel zu rechnen. Durch die neue Organisationsstruktur werden die Felder Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 15.06.2005 Grundsatzarbeit, Politikplanung und -steuerung sowie die erforderliche Koordinierung innerhalb der EU und Lengsfeld, Vera CDU/CSU 15.06.2005 mit internationalen Organisationen in einer Abteilung gebündelt. Letzgus, Peter CDU/CSU 15.06.2005* Da nach den besoldungsrechtlichen Vorgaben Amt Lintner, Eduard CDU/CSU 15.06.2005* und Funktion, insbesondere bei Abteilungsleitern obers- ter Bundesbehörden, nicht auseinander fallen sollen, ist Multhaupt, Gesine SPD 15.06.2005 kurz nach der Bestellung des neuen Abteilungsleiters (B) auch seine Beförderung zum Ministerialdirektor in die(D) Nitzsche, Henry CDU/CSU 15.06.2005 Wege geleitet worden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass keine zusätzli- Otto (Godern), Eberhard FDP 15.06.2005 che B-9-Stelle geschaffen, sondern eine vorher nicht be- Piltz, Gisela FDP 15.06.2005 setzte Stelle in dieser Wertigkeit besetzt wurde.

Dr. Pinkwart, Andreas FDP 15.06.2005 Anlage 3 ** Rauber, Helmut CDU/CSU 15.06.2005 Antwort Scheffler, Siegfried SPD 15.06.2005 des Parl. Staatssekretärs Gerald Thalheim auf die Frage der Abgeordneten Gitta Connemann(CDU/CSU) (Drucksache 15/5660, Frage 2): * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Welche Beförderungen erfolgten im BMVEL im höheren sammlung der NATO Dienst nach dem 22. Mai 2005 und welche sind in den nächs- ten drei Monaten im höheren Dienst geplant? Nach dem 22. Mai 2005 erfolgten Beförderungen in Anlage 2 folgendem Umfang: drei Planstelleneinweisungen nach B 3 BBesO; neun Ernennungen zu Ministerialrätinnen/ Antwort Ministerialräten (A 16 BBesO); zwei Ernennungen zum des Parl. Staatssekretärs Gerald Thalheim auf die Frage Oberregierungsrat (A 14 BbesO) und einer Ernennung der Abgeordneten Gitta Connemann(CDU/CSU) zum Ministerialdirektor (B 9 BBesO) und einer zum (Drucksache 15/5660, Frage 1): Ministerialdirigenten (B 6 BBesO) hat das Bundeskabi- Wurde im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Er- nett am 8. Juni 2005 zugestimmt. Die Beförderungsmaß- nährung und Landwirtschaft, BMVEL, die bisherige Abtei- nahmen sind noch nicht vollzogen. lung „EU-Angelegenheiten, Internationale Angelegenheiten, Fischerei“ geteilt und ein weiterer Leiter in der Besoldungs- Alle genannten Maßnahmen sind bereits Ende April/ stufe B 9 bestellt, und wenn ja, aus welchen Gründen? Anfang Mai eingeleitet worden. Es trifft zu, dass im Bundesministerium für Verbrau- Beförderungsabsichten in den nächsten drei Monaten cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) bestehen wie folgt: drei Einweisungen in Planstellen der 17054 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Besoldungsgruppe B 3 BBesO; zwei Beförderungen zu wird sich einem nationalen Konsens der somalischen(C) Ministerialräten (A 16 BBesO); drei Beförderungen zur politischen Kräfte in dieser Frage anschließen. Die im- Regierungsdirektorin/zum Regierungsdirektor (A 15mer wieder ausbrechenden gewaltsamen Auseinander- BBesO) und zwei (eventuell weitere abhängig vom Er- setzungen zwischen Puntland und Somaliland insbeson- gebnis von Beurteilungen) Beförderungen zur Ober-dere in den Regionen Sanaag und Sool haben eine regierungsrätin/zum Oberregierungsrat (A 14 BBesO). potenziell destabilisierende Wirkung auf die Sicherheits- Auch diese Beförderungen waren bereits vor demsituation in Somalia und auf die Sicherheitslage am Horn 22. Mai 2005 von der Verwaltung des BMVEL vorgese- von Afrika insgesamt. Die Bundesregierung weist daher hen worden. Zudem werden in einzelnen Fällen tarif-in ihren Kontakten mit den somalischen Gesprächspart- rechtliche Höhergruppierungen geprüft. nern auf die Notwendigkeit einer nationalen Versöh- nungspolitik hin, die dem Misstrauen der Volksgruppen entgegenwirkt. Die Bundesregierung geht davon aus, Anlage 4 dass es eine der zentralen Aufgaben des somalischen Übergangsparlaments, des Übergangspräsidenten (und Antwort ehemaligen Präsidenten der Provinz Puntland) Yusuf so- der Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid auf die Frage des wie der Übergangsregierung unter Premierminister Gedi Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Druck- ist, diesen Versöhnungsprozess in Gang zu bringen. sache 15/5660, Frage 6): Welche Erfahrungen bezüglich der Steuerungsfähigkeit und realen Entscheidungsfreiheit der Entwicklungsländer Anlage 6 wurden bis jetzt in Bezug auf die anstehende Entscheidung der Bundesregierung gewonnen, ob die mit dem Welternäh- Antwort rungsprogramm für die Jahre 2004 und 2005 befristete Ver- einbarung, dass mit den von Deutschland zur Verfügung ge- des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Fragen der stellten Mitteln keine Nahrungsmittelhilfe finanziert werden Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth(CDU/CSU) darf, die genetisch manipulierte Organismen enthält, beibe- (Drucksache 15/5660, Fragen 12 und 13): halten oder revidiert wird? Erwartet die Bundesregierung Mehrausgaben in Höhe von Die Steuerungsfähigkeit und reale Entscheidungsfrei- 10 Milliarden Euro aufgrundvon Hartz IV (vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 28. Mai 2005), und heit der Entwicklungsländer ist durch folgende Tatsa- wenn ja, wie beurteilt sie vordiesem Hintergrund ihre ur- chen gewährleistet: Vor Transport der Nahrungsmittel in sprüngliche Kostenkalkulation? die Entwicklungsländer werden diese über die Art des Welche Finanzposten verursachen diese Mehrbelastung, Beitrages, welche Nahrungsmittel geliefert werden sol- bzw. an wen oder was fließen diese zusätzlichen öffentlichen (B) len und woher sie stammen, informiert. Nahrungsmittel- Ausgaben? (D) lieferungen des Welternährungsprogrammes (WEP) un- terliegen dem Codex Alimentarius. Das WEP respektiert Zu Frage 12: die nationale Entscheidungsfreiheit der Entwicklungs- Die Bundesregierung geht aufgrund der aktuellen länder, insbesondere nationale Regelungen zu genmodi- Entwicklung davon aus, dass die tatsächlichen Ausgaben fizierten Nahrungsmitteln (GMO). Jede Regierung hat des Bundes für die Grundsicherung für Arbeitsuchende das Recht genmodifizierte Nahrungsmittel zu akzeptie- schätzungsweise 7 Milliarden Euro bis 9 Milliarden ren oder abzulehnen. Das WEP respektiert gleichfalls Euro über den ursprünglich veranschlagten Ausgaben Anweisungen der Geber und setzt diese um. liegen werden. Der Unsicherheitsbereich ergibt sich auf- grund des zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbaren Ergebnisses der Revision, in deren Rahmen die Höhe der Anlage 5 Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft festge- Antwort legt wird. der Staatsministerin Kerstin Müller auf die Frage des Die absehbaren Mehrausgaben sind sowohl darin be- Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Druck- gründet, dass es eine höhere Zahl von Bedarfsgemein- sache 15/5660, Frage 7): schaften und Leistungsbeziehern als auch höhere durch- Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der schnittliche Leistungsausgaben in der Grundsicherung Unabhängigkeitsbestrebungen der somalischen Provinz So- für Arbeitsuchende gibt. Diese Entwicklung war bei der maliland und die Auseinandersetzungen um die Regionen Aufstellung des Haushaltes für das Jahr 2005 in dieser Sanaag und Sool mit der bereits teilautonomen Provinz Punt- Form nicht vorhersehbar. Bei der Haushaltsaufstellung land auf die regionale Sicherheit am Horn von Afrika, die auf- wurde auf alle zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung ste- grund der eingeschränkten Handlungsfähigkeit der somali- schen Regierung durch deren Exil in Kenia (Transitionalhenden Informationen – dabei handelt es sich um die So- Federal Government) gefährdet ist? zialhilfestatistik 2002 und die Arbeitslosenhilfestatistik 2003 – zurückgegriffen. Auf dieser Basis wurde eine Die Provinz Somaliland hat sich unter anderem ange- Schätzung zur Zahl der Bedarfsgemeinschaften abgelei- sichts fehlender somalischer Zentralbehörden seit 1991 tet. zu einem quasi autonomen staatsähnlichen Gebilde ent- wickelt, das jedoch nicht völkerrechtlich anerkannt wird. Zu Frage 13: Es hängt vom Willen der zukünftigen gesamtsomali- schen Institutionen ab, welchen endgültigen Status diese Die erwarteten Mehrbelastungen gegenüber der Provinz letztlich erhalten wird. Die BundesregierungHaushaltsaufstellung ergeben sich aufgrund der höheren Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17055

(A) Ausgaben des Bundes für Arbeitslosengeld II. Dabeigerichts vom 16. Dezember2003 (B 12 KR 20/01 R;(C) spielen sowohl die sich abzeichnende höhere Zahl von veröffentlicht in „Neue Zeitschrift für Sozialrecht“ 2004, Bedarfsgemeinschaften in der Grundsicherung als auch Seite 537) von Studierenden kein Beitrag zu entrichten. die höheren durchschnittlichen Ausgaben für Arbeitslo- Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bezüglich der sengeld II pro Bedarfsgemeinschaften eine Rolle. Den 400-Euro-Regelung für Studierende besteht daher nicht. Mehrbelastungen bei den unmittelbar vom Bund zu tra- genden Ausgaben für Arbeitslosengeld II stehen voraus- Die Beschäftigung eines Studierenden als Arbeitneh- sichtlich Minderausgaben bei der Beteiligung des Bun- mer mit einem Arbeitsentgelt oberhalb von 400 Euro des an den Kosten der Unterkunft gegenüber. Es sind vor führt auch für Studierende, die wegen Überschreitens der allem zwei Ursachen zu nennen, die dafür verantwort- Altersgrenze oder der Fachstudienzeit nicht mehr Mit- lich sind, dass die Höhe der Bundesbeteiligung trotz ei- glied der studentischen Pflichtversicherung (§ 5 Abs. 1 ner höheren Zahl von Bedarfsgemeinschaften vermutlich Nr. 9 SGB V) sind, zur Anwendung der so genannten geringer als derzeit veranschlagt ist. Erstens ist der An- Werkstudentenregelung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V). Dies stieg der Leistungsbezieher in der Grundsicherung für hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom Arbeitsuchende auch dem Anstieg der ehemaligen Sozi- 23. September 1999 (Az.: B12 KR 1/99 R) festgestellt. alhilfebedarfsgemeinschaften geschuldet. Daher werden Danach sind Studierende und damit auch solche nach die Kommunen bei den Ausgaben für erwerbsfähige So- Ende ihrer Versicherungspflicht als Studierende versi- zialhilfebedarfsgemeinschaften tendenziell stärker ent- cherungsfrei, die eine an und für sich versicherungs- lastet als ursprünglich angenommen. Der zweite Grund pflichtige Beschäftigung als Arbeitnehmer ausüben, ist, dass die Kosten der Unterkunft pro Bedarfsgemein- wenn das Studium weiterhin den Schwerpunkt der Tätig- schaft in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach keit bildet. Die Bundesregierung sieht für eine unverzüg- den gegenwärtig vorliegenden Informationen weit unter liche Rechtsänderung keine Veranlassung. Studierende den ursprünglichen Annahmen liegen. üben häufig zeitlich begrenzte Beschäftigungen während des Studiums aus. Zeiten ohne und mit einer Beschäfti- gung als Arbeitnehmer wechseln daher typischerweise bei Studierenden einander ab. Die Probleme, die durch Anlage 7 einen solch ständigen Wechsel entstehen, rechtfertigen Antwort die Versicherungsfreiheit der Werkstudenten während der gesamten Dauer des Studiums. Eine isolierte Rechts- der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die änderung ist daher nicht geplant. Im Rahmen einer Fragen der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin Bürgerversicherung würden aber grundsätzlich alle Ein- (SPD) (Drucksache 15/5660, Fragen 14 und 15): wohner, und damit auch alle Studierenden, versiche- (B) Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass der rungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. (D) Ausschluss immatrikulierter Studierender, die wegen Vollen- Es würde daher dann nur noch um die Frage gehen, wel- dung des 30. Lebensjahres bzw. nach dem 14. Fachsemester nicht mehr in der studentischen Krankenversicherung versi- chen Beitrag Studierende zahlen sollten. Dabei wäre zu chert sind, aus der geltenden 400-Euro-Regelung zu Nachtei- prüfen, ob die beitragsrechtlichen Grundsätze einer Bür- len führt, und wenn ja, dassdie Regelungen im Interesse der gerversicherung ohne Änderungen auf Studierende über- betroffenen Studierenden unverzüglich geändert werden müs- tragbar sind. sen? Wann nimmt die Bundesregierung die entsprechenden Ge- setzesänderungen in Angriff? Anlage 8 Studierende nach Abschluss des 14. Fachsemesters Antwort oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres sind nur Pflichtmitglied in der studentischen Krankenversiche- der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die rung (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V), wenn die Art der Ausbil- Fragen des Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust (CDU/ dung oder familiäre sowie persönliche Gründe dieCSU) (Drucksache 15/5660, Fragen 16 und 17): Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fach- Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Äuße- studienzeit rechtfertigen. Ist dies nicht der Fall, sind sie rungen von homöopathisch tätigen Ärzten, wie zum Beispiel in der Regel freiwilliges Mitglied einer gesetzlichen die des Münchner Kinderarztes Dr. S. R., wonach „… Krankenkasse oder privat krankenversichert. Für alle Masern-Partys nicht generell abgelehnt würden, da eine be- wusst herbeigeführte Ansteckung im Alter zwischen etwa drei Studierenden gilt, dass die Aufnahme einer geringfügigen und acht Jahren, unter Abwägung der möglichen Nebenwir- Beschäftigung als Arbeitnehmer mit einem Arbeitsentgelt kungen einer Impfung mit den Risiken einer Erkrankung, eine bis zu 400 Euro monatlich keine Versicherungspflicht in Überlegung wert sei“ – vergleiche hierzu dpa-Meldung vom der gesetzlichen Krankenversicherung begründet. Studie- 8. Juni 2005 –, und mit welchen gesundheitspolitischen Fol- rende, die eine 400-Euro-Beschäftigung ausüben, wer- gen solcher „Masern-Partys“ rechnet die Bundesregierung? den daher gegenüber anderen Personen mit einer solchen Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung in diesem Zu- sammenhang auch aus den Äußerungen des Münchner Kin- Beschäftigung nicht benachteiligt. Freiwillig in der ge- derarztes Dr. S. R., wonach „… die Masernimpfung im Hin- setzlichen Krankenversicherung versicherte Studierende, blick auf Nebenwirkungen eine der problematischsten unter die ausschließlich eine geringfügige Beschäftigung aus- den empfohlenen Schutzimpfungen sei und dass die Risiken üben, zahlen den Mindestbeitrag, der je nach Kranken- von Impfnebenwirkungen in Deutschland unzureichend erfasst kasse zwischen circa 90 und 120 Euro monatlich beträgt. würden, welches vielleicht jaauch politisch nicht ungewollt sei“ – vergleiche hierzu dpa-Meldung vom 8. Juni 2005 –, und Aus dem Arbeitsentgelt der geringfügigen Beschäfti- was wird die Bundesregierung diesbezüglich unternehmen, gung ist aufgrund einer Entscheidung des Bundessozial- um die Bevölkerung hierüber unverzüglich aufzuklären? 17056 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Zu Frage 16: lastbare Aussagen über deren Häufigkeit und Ursache(C) sind wichtige Argumente in der Diskussion um die Stär- Weltweit sind die Masern mit jährlich 31 Millionen kung des Impfgedankens. Erkrankungen und 614 000 Todesfällen (2002) weiterhin eine der Hauptursachen für Todesfälle im Kindesalter, Mit dem am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Infek- die durch Impfung vermeidbar wären. Vor diesem Hin- tionsschutzgesetz (IfSG) ist durch § 6 Abs. 1 Nr. 3 IfSG tergrund erscheinen Aussagen wie die des in der Frage die Meldepflicht des Verdachts einer über das übliche zitierten Kinderarztes zynisch und in keiner Weise dem Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheit- Ernst der möglichen Komplikationen einer Maserner- lichen Schädigung neu eingeführt worden, um die Da- krankung gerecht. Eine derartige Äußerung lässt dentenlage über Impfschäden zu verbessern. Dass bei Schluss zu, dass immer noch der Irrglaube weit verbrei- Schutzimpfungen, im Unterschied zu sonstigen Arznei- tet ist, dass es gut sei, alle Kinderkrankheiten „auf natür- mitteln, derartige Gesundheitsschäden überhaupt in die lichem Wege“ durchzumachen. Ein Vergleich der mögli- Melde- und Übermittlungspflichten einbezogen sind, chen Komplikationen, die bei einer Impfung bzw. beiträgt der gesteigerten Verantwortung des Staates Rech- einer Masernerkrankung auftreten können, macht deut- nung, die er dadurch hat, dass Schutzimpfungen von lich, dass Impfungen sehr viel geringere Komplikations- staatlichen Stellen ausdrücklich gefördert und in vielen raten aufweisen als die Erkrankungen selbst. So erkran- Fällen öffentlich empfohlen werden. Der dem Gesund- ken zum Beispiel nach einer Infektion mit heitsamt dem gemeldete Verdacht einer über das übliche Aus- Masernvirus 98 Prozent der Empfänglichen. Bei einem maß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitli- von 1 000 bis 2 000 der Erkrankten entwickelt sich dabei chen Schädigung sowie der dem Gesundheitsamt eine Enzephalitis (Gehirnentzündung), die eine Letalität gemeldete Fall, bei dem der Verdacht besteht, dass ein (Tödlichkeit) von 20 Prozent aufweist und in 30 Prozent Arzneimittel (also auch ein Impfstoff) die Infektionsquelle der Fälle mit Dauerschäden einhergeht. Im zeitlichenist, sind vom Gesundheitsamt nach § 11 Abs. 2 IfSG un- Zusammenhang mit einer Impfung gegen Masern wird verzüglich der zuständigen Landesbehörde und der nach dagegen das Risiko, an einer Enzephalitis zu erkranken, § 77 Arzneimittelgesetz jeweils zuständigen Bundes- bei unter 1 zu 1 Million beobachtet. oberbehörde zu übermitteln. Die Übermittlung muss, so- Immer wieder treten auch in Europa, wie zuletzt in weit ermittelbar, alle notwendigen Angaben, wie Be- Italien, der Schweiz und in Deutschland, Masernepide- zeichnung des Produktes, Name oder Firma des mien wegen unzureichender Durchimpfungsraten auf. pharmazeutischen Unternehmers und die Chargen- Oftmals fanden diese Epidemien ihren Ursprung in Kin- bezeichnung, bei Impfungen zusätzlich den Zeitpunkt dergärten und Schulen, die überwiegend von Kindernder Impfung und den Beginn der Erkrankung enthalten. impfkritischer Eltern besucht wurden. Dabei hat sich ge- Über den gemeldeten Patienten sind ausschließlich das (B) zeigt, dass die genannten,vor der Impfära ermittelten Geburtsdatum, das Geschlecht sowie der erste Buch-(D) Komplikationsraten auch heute noch Gültigkeit besitzen stabe des ersten Vornamens und der erste Buchstabe des und an sich vermeidbare Todesfälle und Dauerschäden ersten Nachnamens anzugeben. Die Ständige Impfkom- in Kauf genommen werden müssen. Um die Zirkulation mission hat Kriterien zurAbgrenzung einer üblichen von einheimischen Masernviren dauerhaft zu unterbin- Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß einer den, sind Impfraten von über 95 Prozent erforderlich.Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädi- Die Impfraten sind in den vergangenen Jahren zwar lau- gung entwickelt. Die Meldeverpflichtungen nach ärztli- fend angestiegen, erreichen aber immer noch nicht die- chem Standesrecht gemäß der Musterberufsordnung an ses für die Maserneliminierung notwendige Niveau. Es die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist erklärtes Ziel der WHO Region Europa, die Masern (AkdÄ) in Köln bleiben unberührt. Die AkdÄ hat sich bis zum Jahr 2010 nachhaltig durch Steigerung der Impf- einverstanden erklärt, das vorliegende Berichtsblatt auch raten in den einzelnen Mitgliedstaaten mit dem Ziele der für diese Meldeverpflichtung zu verwenden. Daneben ist Eliminierung zu bekämpfen. Die Veranstaltung und der der pharmazeutische Unternehmer nach § 29 Arzneimit- Besuch so genannter Masernpartys und die damit ver- telgesetz gesetzlich verpflichtet, dem Paul-Ehrlich-Insti- bundene Ablehnung von Schutzimpfungen bedeuten, dass tut ihm bekannt gewordeneVerdachtsfälle schwerwie- es immer wieder zu größeren Masernausbrüchen gender in Nebenwirkungen als Einzelfallbericht innerhalb Deutschland kommen wird – wie kürzlich in Hessen und von 15 Tagen anzuzeigen. Von einer schwerwiegenden Bayern – und so der erfolgreiche Beitrag Deutschlands Nebenwirkung spricht man, wenn sie lebensbedrohend zu dem erklärten WHO-Ziel der Maserneliminierung in- oder tödlich verläuft, zu dauerhafter Arbeitsunfähigkeit frage gestellt wird. oder einer erheblichen Behinderung führt oder eine stationäre Behandlung erfordert bzw. eine solche verlän- Zu Frage 17: gert. Die an die Gesundheitsämter und von diesen an das Aus einer solchen Äußerung kann der Schluss gezo- Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Verdachtsfälle von gen werden, dass der besagte Kinderarzt nur unzurei-Impfkomplikationen eignen sich nicht direkt für allge- chend informiert ist. Schutzimpfungen sind die wirk-meinen Aufklärungskampagnen. Sie dienen aber der Be- samste Methode, vor Infektionskrankheiten zu schützen. wertung von Risiken und bilden somit eine Grundlage Dennoch ist nicht auszuschließen, dass eine Impfung in für Aufklärungskampagnen. Die Meldung der Impfkom- sehr seltenen Fällen zu Nebenwirkungen oder Impfschä- plikationen soll in erster Linie zur Verbesserung der Dif- den führen kann. Für die Bewertung des Nutzens einer ferentialdiagnostik bei Verdachtsfällen sowie zur Unter- Impfung ist die umgehende Klärung von Verdachtsfällen stützung des möglicherweise geschädigten Bürgers bei einer ungewöhnlichen Impfreaktion unverzichtbar. Be- der Beantragung einer Entschädigung dienen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17057

(A) Anlage 9 Zu Frage 20: (C) Antwort Bei der Umsetzung des Sanierungsprogrammes wurde bewusst auf eine Länderquote verzichtet, da eine der Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens auf die Fra- Quotierung im Widerspruch zum tatsächlichen Bedarf gen des AbgeordnetenKlaus Hofbauer (CDU/CSU) der Lärmbelastung an den bestehenden Schienenwegen (Drucksache 15/5660, Frage 18): des Bundes steht. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Anlage 2 des auch Ihnen vorliegenden Ge- Welche Möglichkeiten der Förderung oder Hilfestellung bei der Finanzierung existieren für Kommunen, die an der samtkonzepts, in der die vorhandene Lärmsituation gra- Trasse der Bundesautobahn A 6 liegen und in Zusammenhang fisch dargestellt ist. Das Lärmsanierungsprogramm hat mit deren Fertigstellung ihre Feuerwehreinheiten modernisie- das Ziel, flächendeckend sanierungsbedürftige Härte- ren und an die veränderte Lage anpassen müssen, um bei Un- fälle zu identifizieren und abzuarbeiten. Hierfür ist ein fällen und Katastrophen auf der Autobahn optimal und situa- streckenbezogenes Vorgehen erforderlich. Die Priorisie- tionsangepasst reagieren zu können? rung erfolgt bundesweit, um dem tatsächlichen Bedarf Der Brand- und Katastrophenschutz und damit auch auf der Grundlage des Verkehrsaufkommens Rechnung die Modernisierung von Feuerwehreinheiten ist einezu tragen. Die Emission einer Strecke geht mit hohem reine Landesaufgabe. Aus dem allgemeinen Lastenver- Gewicht in die Priorisierung ein. Weiteres Kriterium ist teilungsgrundsatz des Art. 104 a des Grundgesetzeseine hohe Bevölkerungsdichte in dem Bereich, der von folgt, dass Bundesaufgaben ausschließlich aus Bundes- Grenzwertüberschreitungen betroffen ist. Damit wird mitteln und Landesaufgaben ausschließlich aus Landes- eine hohe Wirksamkeit der eingesetzten Mittel gewähr- mitteln zu finanzieren sind. Dieser finanzverfassungs- leistet. rechtliche Grundsatz ist kein dispositives Recht, sondern von Bund, Ländern und Kommunen zwingend zu beach- ten. Anlage 11 Antwort Anlage 10 der Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens auf die Fra- gen des AbgeordnetenJörg Tauss (SPD) Antwort (Drucksache 15/5660, Fragen 21 und 22): der Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens auf die Fra- Trifft es zu, dass das Eisenbahn-Bundesamt bundesweit in bestehende Planungen für Lärmschutzmaßnahmen an Bahn- gen des AbgeordnetenHenry Nitzsche (CDU/CSU) strecken eingreift, und wenn ja, aufgrund welcher Veranlas- (B) (Drucksache 15/5660, Fragen 19 und 20): sung? (D) Beabsichtigt die Bundesregierung, die in dem vom Bun- Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass die desministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vor- Eingriffe in Planungen für Lärmschutzwände zu Mehrkosten gelegten Gesamtkonzept derLärmsanierung angegebenen im Bereich der passiven Lärmschutzmaßnahmen führen? 3 034 Sanierungsabschnitte (Ortsdurchfahrten) an bestehen- den Bahnstrecken des Bundes auf der Grundlage der zurzeit Zu Frage 21: gültigen Betriebsprognose 2015 neu zu berechnen und insbe- sondere Sanierungsabschnitte (Ortsdurchfahrten) mit einem Das Eisenbahn-Bundesamt ist Bewilligungsbehörde Nachtemmissionswert größer als 75 dB(A) wegen des Tatbe- für Zuwendungen im Rahmen des Lärmsanierungspro- standes der Gesundheitsgefährdung sofort in die laufende Pla- nung und Sanierung aufzunehmen? gramms an Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes. Eine Finanzierung von Lärmsanierungsmaßnahmen der Ei- Ist die Bundesregierung bereit, in das Gesamtkonzept zur senbahnen des Bundes als Zuwendungsempfänger wird Lärmsanierung eine Länderquote zur Gleichbehandlung der Bundesländer aufzunehmen, mit dem Ziel einer flächen- durch Zuwendungsbescheide des Eisenbahn-Bundesamtes deckenden Abarbeitung – Sanierung – der Lärmbelastungs- ermöglicht. spitzen, und werden in allen Bundesländern zuerst die Sanie- rungsabschnitte bevorzugt niert, sa die den höchstenZu Frage 22: Emissionswert aufweisen? Diese Unterstellung trifft nicht den Sachverhalt. Die Zu Frage 19: Erfahrung mit Lärmschutzmaßnahmen zeigt, dass pas- sive Lärmschutzmaßnahmen in der Regel preiswerter Das Gesamtkonzept zur Lärmsanierung ist sind am als der Bau von Lärmschutzwänden bzw. deren hö- 1. April 2005 allen Mitgliedern des Deutschen Bundes- here Dimensionierung. Das Problem der Rechtfertigung tages vorgelegt worden und beinhaltet die aktuelle Be- einer teureren Maßnahme ist von der Förderrichtlinie standsaufnahme zur Lärmsituation an den bestehenden zur Lärmsanierung erfasst: Die Abwägung zwischen Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes. Eine Ak- aktiven und passiven Maßnahmen erfolgt nach Nutzen- tualisierung des Konzepts ist alle 5 Jahre vorgesehen. Kosten-Gesichtspunkten, wobei die zusätzliche Bei der konkreten Planung der notwendigen Lärmsanie- Schutzwirkung aktiver Maßnahmen berücksichtigt rungsmaßnahmen wird die Verkehrsentwicklung berück- wird. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe und der sichtigt. Zielsetzung des Lärmsanierungsprogramms ist örtlichen Situation kann das Eisenbahn-Bundesamt Fi- zudem, Sanierungsabschnitte mit hohen Grenzwertüber- nanzierungsanträge auch für solche Lärmschutzwände schreitungen und einer hohen Zahl betroffener Personen bewilligen, die in einem reinen Kostenvergleich mit ent- vorrangig zu sanieren. sprechenden passiven Maßnahmen teurer sind. Die 17058 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Angemessenheit teurerer Maßnahmen kann jedoch nur Anlage 14 (C) unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts vor Ort geprüft werden. Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die Fragen des AbgeordnetenHartmut Koschyk (CDU/ Anlage 12 CSU) (Drucksache 15/5660, Fragen 30 und 31): Antwort Trifft es zu, dass bei der Verbeamtung von zum Zoll über- geleiteten ehemaligen Angestellten der Bundesagentur für Ar- der Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens auf die beit (BA) bei der Würdigung der Lebens- und Berufserfah- Frage des Abgeordneten Michael Kretschmer (CDU/ rung im Sinne des § 38 Abs. 1 der Bundeslaufbahnverordnung CSU) (Drucksache 15/5660, Frage 27): als zu berücksichtigende Vordienstzeiten nur Zeiten in der Ar- beitsmarktinspektion und inder allgemeinen Verwaltung, Welche Schritte wurden vor dem Hintergrund der EU-Ost- nicht aber Zeiten in der Leistungsabteilung oder der Arbeits- erweiterung zur zügigen Realisierung des deutsch-polnischen vermittlung, berücksichtigt werden, und welche Gründe wa- Grenzübergangs Deschka/Penzig von der Bundesregierung in ren gegebenenfalls hierfür ausschlaggebend? den vergangenen Monaten unternommen? In welchem Umfang könneninsoweit ehemalige Ange- Der Grenzübergang ist nach Abschluss der völker- stellte der BA nicht als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft nach § 14 Abs. 1 des Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetzes rechtlichen Vereinbarung in die Anlage 2 zum Abkom- tätig werden und inwieweit behindert dies die effektive Arbeit men zwischen der Regierung der Bundesrepublik der Schwarzarbeitsbekämpfung durch den Zoll? Deutschland und der Regierung der Republik Polen über Grenzübergänge und Arten des grenzüberschreitenden Zu Frage 30: Verkehrs vom 19. November 1992 (Verzeichnis der zur Eröffnung vorgesehenen Grenzübergänge) aufgenom- Bei der Verbeamtung von zum Zoll übergeleiteten men. Die deutsch-polnischen Abstimmungen in derehemaligen Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit Frage der Errichtung eines Straßengrenzüberganges für gelten als berücksichtigungsfähige Vordienstzeiten für den Personenverkehr (Fußgänger, Radfahrer) in der§ 38 Bundeslaufbahnverordnung einerseits die Zeiten in Nähe des vorgesehenen Grenzübergangs Deschka/der Zollverwaltung seit 1. Januar 2004. Andererseits Penzig sowie der Notenwechsel sind seit kurzem abge- werden auch Zeiten von Tätigkeiten bei der Bundesan- schlossen. stalt für Arbeit anerkannt, die mit Tätigkeiten in der Ziellaufbahn – also mittlerer und gehobener Zolldienst – inhaltlich vergleichbar sind. Dies sind in begrenztem Anlage 13 Rahmen Tätigkeiten in der allgemeinen Verwaltung (< 50 Prozent der gesamt anzurechnenden Zeit) und Tä- (B) Antwort tigkeiten aus der Leistungsabteilung bei der BA, sofern (D) der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die sie im Betätigungsfeld der Bekämpfung von Schwarzar- Fragen des Abgeordneten Bernhard Kaster(CDU/ beit bzw. illegaler Beschäftigung verübt wurden. Über CSU) (Drucksache 15/5660, Fragen 28 und 29): Zeiten in den Arbeitsmarktinspektionen, die erst seit Welche vertraglichen Verpflichtungen unterhält die Bun- 2002 existieren, wird damit deutlich hinausgegangen. desregierung mit den Regierungsberatern Prof. Dr. KarlDies kann bis in das Jahr 1982 zurückreichen, wo die Lauterbach und Klaus-Peter Schmidt-Deguelle? BA unter der Bezeichnung BillBG schon illegale Be- Welche Laufzeit haben die geschlossenen Verträge, und schäftigung bekämpfte. Dass die anrechenbaren Vor- welche Kündigungsmöglichkeiten sehen die Verträge bei ei- dienstzeiten inhaltlich vergleichbar mit der angestrebten ner von Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits angekündig- Laufbahn sein müssen, ist Bestandteil der Entscheidungs- ten, möglichen Neuwahl im Herbst dieses Jahres vor? leitlinien des Bundespersonalausschusses. Der Ausschuss ist für die Zuerkennung der Laufbahnbefähigung nach Zu Frage 28: § 38 Bundeslaufbahnverordnung zuständig. Für die Vor- Staatssekretär a. D. Herr Schmidt-Deguelle ist – wie dienstzeiten fordert er eine langjährige berufliche Tätig- Ihnen bekannt und im Haushaltsausschuss bereits mehr- keit, die nicht nur der beabsichtigten Verwendung, son- fach erläutert wurde – im Rahmen eines Beratervertrages dern auch in Fachrichtung, Breite und Wertigkeit dem für Bundesfinanzminister tätig. Aufgabenspektrum Herr der künftigen Laufbahn entspricht. Prof. Dr. Lauterbach ist auf Basis eines WerkvertragesDieses Erfordernis ist bei Vortätigkeiten zum Beispiel in Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der der BA-Abteilung Arbeitsvermittlung nicht gegeben. Entwicklung im Gesundheitswesen auf der Grundlage des Die dort auszuführenden Tätigkeiten sind mit denen im §142SGBV. Zolldienst nicht zu vergleichen.

Zu Frage 29: Zu Frage 31: Das Beratungsverhältnis mit Herrn Schmidt-Deguelle § 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Intensivierung der Be- ist bis 31. August 2005 befristet. Der laufende Vertrag kämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhän- mit dem Sachverständigenrat – der regelmäßig für vier gender Steuerhinterziehung ist gesetzliche Grundlage für Jahre von der Bundesregierung berufen wird – gilt vom die Wahrnehmung von Polizeivollzugsbefugnissen durch 1. Juli 2003 bis zum 30. Juni 2007. Gesonderte Kündi- von der BA übergeleitete Angestellte. Nach dieser Norm gungsregelungen für einzelne Mitglieder sind im Vertrag dürfen diese Angestellten im Bereich der Finanzkon- nicht vorgesehen. trolle Schwarzarbeit Vollzugsbefugnisse ausüben, wenn Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17059

(A) sie mindestens 21 Jahre alt sind, am 31. Dezember 2003 Strukturwandel und das wachsende Verkehrsaufkom-(C) im Dienst der BA gestanden haben und dort mindestens men. Bis zum Jahr 2015 wird allein der Güterverkehr in zwei Jahre lang zur Bekämpfung der Schwarzarbeit oder Deutschland um 64 Prozent wachsen. Das bedeutet für der illegalen Beschäftigung eingesetzt waren. Die zuletzt Deutschland Chance und Herausforderung zugleich. Wir genannte Voraussetzung wird von etwas mehr als 200 dürfen den Anschluss nicht verlieren. Die Qualität der übergeleiteten, an sich vollzugstauglichen, Angestellten Verkehrsinfrastruktur ist ein Schlüsselfaktor im interna- nicht erfüllt. In Anbetracht der sehr geringen Anzahl an tionalen Standortwettbewerb. Was wir brauchen, sind betroffenen Personen wird die effektive Arbeit bei der daher Investitionen auf hohem Niveau. Nur so können Schwarzarbeitsbekämpfung durch die Zollverwaltung wir baureife Projekte ohne Verzögerung fertig stellen. hierdurch nicht behindert. Das Aufgabengebiet der FKS Nur so können wir Baustopps vermeiden. Nur so können der Zollverwaltung umfasst nicht nur solche Aufgaben, wir unser Verkehrssystem zukunftsfest machen. die die Beschäftigten als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft wahrnehmen. Darüber hinaus steht Wer bei der Infrastruktur spart, schadet dem Wachs- gerade solchen Beschäftigten die Möglichkeit einer Ver- tum und der Beschäftigung von morgen. Die SPD-ge- beamtung offen, nach der sie wiederum Tätigkeiten, die führte Bundesregierung steht zu ihrer Infrastrukturver- hoheitsrechtliche Befugnisse voraussetzen, durchführen antwortung: mit dem Milliardenprogramm für mehr dürfen. Verkehrsinfrastruktur, das 82 Straßen-, Schienen- und Wasserstraßenprojekte neu ermöglicht oder beschleu- nigt; mit der Gesetzesinitiative zur Beschleunigung von Anlage 15 öffentlich-privaten Partnerschaften, das eine stärkere Einbindung der Privatwirtschaft bei öffentlichen Bau- Zu Protokoll gegebene Reden vorhaben ermöglicht. zur Beratung der Anträge: Teltowkanal, Rhein-Ruhr-Express, Farger Straße – – Investitionskräfte stärken – Neue Impulse drei Verkehrsprojekte in verschiedenen Ecken unseres für Wachstum und Beschäftigung Landes, ein Gedanke: Die zusätzlichen Mittel sorgen da- für, dass sich die Auftragsbücher der Bauunternehmen – Notwendige Investitionen in die deutsche wieder füllen. Mit dem Sofortprogramm Infrastruktur Verkehrsinfrastruktur bereitstellen kurbeln wir die Binnennachfrage an. – Infrastrukturinvestitionen erhöhen – Neue Entscheidend ist, dass das Geld nun rasch fließt. Des- Wege bei Finanzierung und Betrieb der halb stellt die Bundesregierung schon im laufenden Bundesverkehrsstraßen (B) Haushaltsjahr 2005 die erste Tranche von 500 Millionen (D) (Tagesordnungspunkt 9) Euro bereit. Die Mittel sollen in großem Umfang in Stra- ßenbau und Schienenwege gehen. Aber auch der Ver- kehrsträger Wasserstraße wird angemessen berücksich- (SPD): Wir machen den Weg frei – Uwe Beckmeyer tigt. für mehr Wachstum und Beschäftigung. Den Reformprozess, den Bundeskanzler Gerhard Ich bin mir sicher, dass die Milliardeninvestitionen Schröder vor zwei Jahren mit der Agenda 2010 angesto- ihre stimulierende Wirkung auf Wachstum und Beschäf- ßen hat, wollen wir entschlossen fortsetzen, mit einem tigung nicht verfehlen werden. Das Sofortprogramm ist Handlungspaket, das die Investitionskräfte in unserem das richtige Signal. Land fordert und die Wettbewerbsfähigkeit des Standor- Doch der Staat kann nicht alles alleine regeln. Er tes Deutschland stärkt: 20 Maßnahmen zur Fortsetzung braucht Kooperationspartner. Will er auch künftig seine der Agenda 2010 – 20 Maßnahmen, die Deutschland vo- Infrastrukturaufgabe erfüllen, muss er stärker als bisher ranbringen! auf privates Kapital und Know-how zurückgreifen. Pri- Und das im Wortsinne: Wir wollen den Infrastruktur- vate Finanzierungsmodelle im Verkehrssektor sind bereich aus seinem Schattendasein herausholen. Ver-nichts wirklich Neues. Bereits seit zehn Jahren können kehrsinfrastruktur meint mehr als nur Asphalt, GleisePrivate Brücken, Tunnel oder Gebirgspässe im Zuge von und Brücken. Verkehrsinfrastruktur, das heißt vor allem Bundesfernstraßen bauen, betreiben und finanzieren. Mobilität, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze. Wir Aber seinen europäischen Nachbarn hinkte Deutschland müssen deutlich machen, welche Wachstumspotenziale, in Sachen öffentlich-private Partnerschaften bislang hin- welche enormen Perspektiven und Entwicklungen für terher. unsere Wirtschaft darin stecken. Mobilität ist lebens- wichtig für unser Land, fürden Export ebenso wie für Die rot-grüne Koalition ist nun entschlossen auf den die Binnenwirtschaft. Nur wenn wir über leistungsfähige Zug aufgesprungen. Mit dem vorliegenden Gesetzent- Verkehrswege verfügen, können wir den Austausch von wurf beseitigen wir Investitionshemmnisse bei der Rea- Personen und Waren organisieren. Die Infrastruktur bil- lisierung von ÖPP-Projekten. Das ÖPP-Programm ist det das Rückgrat unseres Verkehrs- und damit auch un- ein wesentlicher Schritt hin zu einer neuen Arbeitstei- seres Wirtschaftssystems. lung zwischen Staat und Wirtschaft im Verkehrswege- bau. Mit dem Einstieg in die LKW-Maut haben wir An- Doch wir stehen vor neuen Aufgaben: durch die euro- fang des Jahres einen Paradigmenwechsel eingeleitet: päische Integration und die EU-Osterweiterung, dendie Abkehr von der alleinigen Finanzierung über Steuer 17060 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) und Eurovignette und der Übergang zu einer ergänzen- Im Haushaltsjahr 2005 sind die Verkehrsinvestitionen (C) den Nutzerfinanzierung. Diesen Weg müssen wir konse- trotz erwarteter zusätzlicher Einnahmen aus der LKW- quent fortsetzen. Maut in Höhe von 3 Milliarden Euro um 600 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr gekürzt worden. Die dra- Es gilt zu prüfen, ob wir durch Finanzierungen über matischen Folgen für die Verkehrsinfrastruktur werden private Gesellschaften zu einer Verstetigung der Infra- durch die Mittelfristplanung offenbart. Demnach sinken strukturinvestitionen kommen. Das Beispiel Österreich die investiven Ausgaben: für die Bundesfernstraßen von zeigt, dass ein solches Modell grundsätzlich möglich ist. 4,8 Milliarden Euro (Soll 2004) auf 4,3 Milliarden Euro Eines muss allerdings klar sein: Wo, wann und welche (2008); für die Eisenbahnen des Bundes von 4,0 Milliar- Autobahnen gebaut werden, entscheidet der Bund. Diese den Euro (Soll 2004) auf 2,2 Milliarden Euro (2008); für Aufgabenverteilung ist politisch gewollt. Nur so lassen die Bundeswasserstraßen von 0,6 Milliarden Euro auf sich gleiche Lebensbedingungen im ganzen Land garan- 0,5 Milliarden Euro. tieren. Andernfalls würden weniger gut ausgestattete Landstriche abgehängt. Das kann nicht unser Ziel sein. Dies alles ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Verkehrsminister der Länder – auch die Ihren – noch im Nur wenn wir unsere Verkehrsinfrastruktur auf eine Frühjahr dieses Jahres gefordert haben, die Finanzmittel solide Basis stellen, kann Deutschland auch weiterhin ab 2005 auf ein bedarfsgerechtes Niveau anzuheben. seine Rolle als zentraler Mobilitätsstandort in EuropaDieses wurde übrigens mit 5,8 Milliarden Euro für die spielen. Bundesfernstraßen und 4 Milliarden Euro für die Schie- nenwege beziffert. Schon bisher hat Rot-Grün die Weichen dafür gestellt, die Infrastrukturen ebenso wie die Verkehrsträger zu mo- Da ich gerade die LKW-Maut angesprochen habe, dernisieren und leistungsfähig für die Zukunft zu ma- möchte ich auch dazu IhrenKoalitionsvertrag zitieren. chen: mit der Einführung der LKW-Maut als Einstieg in An der entsprechenden Stelle heißt es: „Die LKW-Maut die Nutzerfinanzierung; mit der konsequenten Fortset- werden wir 2003 einführen, um Güterverkehr von der zung der Bahnreform, um die Schiene gegenüber derStraße auf die Schiene und Wasserstraße zu verlagern, Straße wettbewerbsfähig zu machen; mit dem „Mariti- die Umwelt zu entlasten und Staus zu verhindern. Die men Bündnis“, um die maritime Verbundwirtschaft zu Einnahmen aus der LKW-Maut werden überwiegend in fördern und den Verkehrsträger Schiff unter deutscher die Verkehrsinfrastruktur reinvestiert.“ Flagge als echte Alternative zu etablieren. In Wirklichkeit ist die Mauteinführung in Deutsch- Politik für die Mobilität der Zukunft bedeutet, dieland zu einem signifikanten Beispiel Ihrer Chaospolitik (B) Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für einengeworden. Der wegen der Bundestagswahl 2002 voreilig (D) leistungsfähigen Verkehr zu schaffen. Im Interesse des geschlossene Vertrag hat Sie – wie sich gezeigt hat – in Standortes Deutschland! enorme Schwierigkeiten gebracht. Die Folge: Statt 2003 wurde die Mauteinführung erst zum 1. Januar 2005 reali- siert, und dann auch nur in einer abgespeckten Version. Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Schon oft haben wir hier gestanden und über Verkehrsinfrastrukturfinan- Für die Bundesrepublik Deutschland entstand durch den zierung gesprochen. Eines ist allerdings neu: Früher als Wegfall der erwarteten Mauteinnahmen ein immenser erwartet können wir eine Bilanz der scheidenden rot-materieller Schaden. Darüber hinaus ging der Mautskan- grünen Bundesregierung in Sachen Verkehrspolitik zie- dal zulasten des Ansehens des Technologiestandorts Deutschland. hen. Unter dem Strich bleibt dabei leider nicht viel Brauchbares übrig. Was wurde von Ihnen nicht alles an- Der größte rot-grüne Vertrauensbruch in der Ver- gekündigt! Noch im Koalitionsvertrag aus dem Jahrkehrspolitik ist und bleibt aber die Mautlüge. Im Ver- 2002 haben Sie Ihre hehren Ziele wortgewaltig festge- mittlungsverfahren wurde in § 11 ABMG ausdrücklich schrieben. Mit Ihrer Erlaubnis Herr Präsident, darf ich festgelegt, dass die Mauteinnahmen zusätzlich zu beste- aus diesem Werk einmal ein paar Beispiele dieser „Ver- henden Haushaltsansätzen für die Verkehrsinfrastruktur sprochen-Gebrochen-Liste“ zitieren: „Investitionen des zur Verfügung stehen sollten. Bundes in Straße, Schiene, Wasserstraße werden auf dem erreichten hohen Niveau beschäftigungswirksam Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Verkehrshaushalt fortgesetzt.“ wurde voreilig ab Ende 2003 im Hinblick auf die erwar- teten Mauteinnahmen abgesenkt. Unter dem Strich ist Wie sieht die Realität aus: Nur durch die noch von der dies ein klarer Rechtsbruch und ein Nullsummenspiel unionsgeführten Bundesregierung erzielten Erlöse aus zulasten der Verkehrswege in Deutschland. der UMTS-Versteigerung konnte bis 2003 ein relativ ho- hes – wenngleich nicht ausreichendes – Investitionsni- Das hat Sie aber nicht davon abgehalten, mit immer veau gehalten werden. Ab 2004 hat Rot-Grün die Inves- neuen Programmen den Menschen in den vergangenen titionen – trotz zusätzlicher Mauteinnahmen – dannJahren Sand in die Augen zu streuen: „Mit einem 90-Mil- schonungslos heruntergefahren. So standen 2004 statt liarden-,Zukunftsprogramm Mobilität’ werden wir die der geplanten 9,5 Milliarden Euro nach Abzug der Ein- Steigerung der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sparauflagen lediglich noch rund 8,8 Milliarden Euro für bei allen Bundesverkehrswegen verstetigen.“ Das haben den Erhalt und Neubau von Verkehrswegen zur Verfü- Sie im Jahr 2002 noch großartig verkündet. Dazu kann gung. ich nur sagen: Außer Spesen nichts gewesen! Außer in Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17061

(A) der Koalitionsvereinbarung findet sich davon keinekommen und der finanziellen Absicherung der Ausbau- (C) Spur. notwendigkeiten kann doch nur als verkehrspolitische Bankrotterklärung dieser rot-grünen Bundesregierung Man kann inzwischen förmlich darauf warten: Pünkt- bezeichnet werden. Ursachen sind letztlich die in der lich vor Wahlen kommt von Ihnen ein neues Programm. Verkehrspolitik gemachten Fehler, ein Beispiel: das Ver- Seit 1998 gab es: ein Investitionsprogramm, ein Zu- sagen bei der Mauteinführung – Controlling –, außerdem kunftsinvestitionsprogramm, ein Anti-Stau-Programm, die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sie haben ein Programm „Bauen jetzt“ und nun aktuell ein 2-Mil- die Haushaltsprobleme nicht im Griff und sparen im in- liarden-Programm. Keines dieser Programme wurde bis- vestiven Bereich, weil sie im konsumtiven Bereich zu- her tatsächlich komplett realisiert. Im Gegenteil, Pro-viel ausgeben. jekte wurden von dem einen Programm in das nächste Die Situation hat sich inzwischen doch dramatisch verlagert, ganz nach dem Motto „Alter Wein in neuen verschlechtert und die Bevölkerung ist zunehmend ver- Schläuchen“. unsichert. Sie können doch nicht länger die unbestreit- Im Gegensatz zu Ihren Verlautbarungen haben Sie für bare Wechselwirkung zwischen Mobilität, Wirtschafts- all die Programme auch keine neuen oder zusätzlichen wachstum und Beschäftigung außer Acht lassen. Sie Gelder zur Verfügung gestellt, sondern lediglich nicht haben sich in Ihrer Regierungszeit nur als Bremser betä- abgerufene beziehungsweise nicht verbaute Bundesmit- tigt und nie den Zusammenhang erkannt, dass eine ge- tel umgeschichtet. Das jetzt verkündete 2-Milliarden-samtwirtschaftliche Produktivität und damit das Wert- Programm macht dies mehr als deutlich. Zunächst wur- schöpfungspotenzial wesentlich von der Qualität und den im Haushalt 2005 die Mittel um 600 Millionen Euro Kapazität der Verkehrsinfrastrukturen abhängen. gegenüber dem Vorjahr abgesenkt und nun verkaufen Wann lernen Sie endlich, dass Mobilität eine elemen- Sie eine Aufstockung um 500 Millionen Euro als Erfolg. tare Voraussetzung unserer arbeitsteiligen Wirtschafts- Dabei stellen Sie nicht einmal die ursprünglichen Haus- ordnung und ein Schlüsselfaktor für Wachstum und Be- haltsansätze wieder her. Das Geld dafür stammt – und schäftigung ist und es deshalb eine originäre Aufgabe das dürfte besonders den Kollegen Albert Schmidt be- des Staates ist, für die Bereitstellung moderner, leis- sonders betrüben – aus in 2004 nicht verbauten Schie- tungsfähiger Verkehrsinfrastrukturen zu sorgen, um nenmitteln. Für die Folgejahre sind die Aufstockungen Wohlstand und Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu si- um 500 Millionen Euro noch nicht einmal vom Haushalt chern? Denken Sie vielleicht einmal ab September in der gedeckt; denn bisher haben Sie noch keinen rechtskräfti- Opposition über die Wechselwirkung zwischen Wirt- gen Haushaltsplan für 2006 vorgelegt. schaftswachstum und Verkehrsleistungen nach. (B) Es fehlt bei Ihrer Verkehrsinvestitionspolitik schlicht Nun zu Ihrem Antrag „Investitionskräfte stärken –(D) an der angekündigten und notwendigen Verstetigung der Neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung“. Unab- Mittel. Im Ergebnis bedeutet das: keine Planungssicher- hängig davon, dass er nach unserem Antrag „Notwen- heit für Straße, Schiene und Wasserstraße. Auf eine sys- dige Investitionen in die deutsche Verkehrsinfrastruktur tematische und nachhaltige Zukunftsplanung für die Ver- bereitstellen“ eingebracht wurde, bin ich über einige kehrsinfrastruktur wartet Deutschland heute noch. Aussagen in Ihrem Antrag doch sehr verwundert. Sie tun Eines kann ich aber schon jetzt versprechen: Dasja gerade so, als wären Sie nicht sieben Jahre an der Re- Warten hat bald ein Ende. Nach der Regierungsüber-gierung bzw. in der Regierungskoalition. nahme im Herbst werden wir die aufgezeigten Probleme Sie stellen in Ihrem Antrag fest, dass eine leistungsfä- zügig angehen und die Verkehrsinfrastrukturfinanzie-hige integrierte Verkehrsinfrastruktur die Voraussetzung rung wieder auf eine solide Grundlage stellen. Als einen für Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Wohl- der ersten Schritte werden wir die VIFG endlich zu einer stand sei und unsere Binnenwirtschaft auf die Leistungs- unabhängigen Finanzierungsgesellschaft umbauen und fähigkeit einer gut ausgebauten Infrastruktur angewiesen ihr die LKW-Mauteinnahmen zweckgebunden zuleiten. sei. Ja, warum haben Sie denn nicht gehandelt? Damit werden wir den von Rot-Grün chronisch unterfi- nanzierten Bundesverkehrswegeplan zügig und kontinu- Sie haben doch die Verkehrswege in Deutschland ver- ierlich abarbeiten. kommen lassen. Wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, sehen Sie sich doch auf Straßen, Schienen und Wasser- Rot-Grün hatte seine Chance. Sie haben Sie nicht ge- wegen um. Aus den Straßen sind „Hoppelpisten“ gewor- nutzt. Nun lassen Sie es uns besser machen. den, in das Schienennetz wird immer weniger investiert – die Haushaltszahlen belegen dies – und die Schleusen Renate Blank (CDU/CSU): Rot-Grün hat Deutsch- in den Kanälen brauchen dringend eine Sanierung. land verkehrspolitisch – aber nicht nur verkehrspolitisch, sondern in allen Bereichen – an die Wand gefahren. Die Ferner stellen Sie fest, dass gerade für eine nachhal- geplanten Neuwahlen sind dringend notwendig; denn je- tige Mobilität und die wirtschaftliche Entwicklung unse- der Tag, an dem Rot-Grün regiert, ist ein verlorener Tag rer Volkswirtschaft die Transitkorridore von Bedeutung für die Menschen in Deutschland. sind. Ein sehr gutes Beispiel Ihrer Handlungsunfähigkeit ist hier die ICE-Trasse Nürnberg–Erfurt, die ein Teil- Die Probleme sind doch offenkundig: Einer massiven stück der Magistrale von Kopenhagen bis Rom ist und Verkehrszunahme steht eine restriktive Investitionspoli- sich zum wahren Trauerspiel entwickelt hat. Zuerst tik gegenüber. Die Diskrepanz zwischen Verkehrsauf- Nein, dann nach einem Ja des Bundeskanzlers im Jahre 17062 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) 2002 führen Sie aus, dass diese Verbindung dringendSubventionen, nämlich Eigenheimzulage und Pendler-(C) notwendig sei, und jetzt sind Sie bei einem „vielleicht“ pauschale, hat die Union dagegen weitgehend ungescho- gelandet. Das ist keine glaubwürdige Verkehrspolitik. ren gelassen, um jetzt im Vorwahlkampf durchblicken zu lassen, man werde sie doch abschaffen. Das hätten wir Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass in Deutsch- längst machen können. Dadurch hätten wir Milliarden an land die Zeiträume von der Planung bis zur Realisierung staatlichen Subventionen einsparen können. Geld, das von Verkehrsprojekten vielfach zu lang sei – wie wahr. wir an anderer Stelle viel nutzbringender einsetzen Und das merken Sie erst jetzt nach sieben langen Jahren könnten, wenn sich die Union nicht bis heute stur ver- Regierungszeit. Aber der wahre Grund für Ihr Nicht- weigert hätte. handeln ist doch, dass Sie sich innerhalb der Koalition nicht auf eine Planungsbeschleunigung einigen konnten. Durch das 2-Milliarden-Programm werden die Inves- Hier sind die Grünen die großen Bremser. Es wird doch titionen des Bundes in dieVerkehrsinfrastruktur wieder endlich Zeit, dass Stellungnahmen von Vereinen künftig auf das unter Rot-Grün erreichte Rekordniveau angeho- innerhalb der Frist vorgelegt werden müssen, die für Ei- ben, und zwar bei investiver Gleichstellung von Straße gentümer gelten. Gleichbehandlung von Bund, Natur- und Schiene! Gerade diese Gleichbehandlung von schutz und Eigentümern. Schiene und Straße bei den Investitionen unterscheidet Sie haben in den vergangenen Jahren nur von An- uns fundamental von dem, was die Opposition vorhat. kündigungen gelebt. Ich denke hier an die Vielfalt Ihrer Mit dankenswerter Offenheit haben das die Herren Dirk Programme, die vor Wahlen großartig angekündigt wur- Fischer und Horst Friedrich ja mehrfach mitgeteilt, zum den. Das Anti-Stau-Programm, das Zukunftsinvesti-Beispiel in der „Financial Times Deutschland“. Wenn tionsprogramm und das Programm „Bauen jetzt – In- die FDP will, dass die Verteilung der Bundesinvestitio- vestitionen beschleunigen“ – alles Luftschlösser undnen die aktuellen Marktanteile der einzelnen Verkehrs- Wunschträume; denn wenn man die Wirklichkeit be-träger widerspiegelt, dann heißt das doch im Klartext: trachtet, dann ist sehr wenig davon umgesetzt worden. 80 Prozent des Geldes für die Straße. Das bedeutet, dass Reden und Handeln sind bei Ihnen diametral entgegen- die Bahn noch nicht mal genug Geld erhalten soll, um gesetzt. auch nur das Bestandsnetz zu erhalten, ganz zu schwei- gen von Neu- und Ausbau. Und warum die FDP das Auch die Ankündigung – rechtzeitig zur NRW-will, sagt Herr Friedrich dann auch gleich dazu. Ich zi- Wahl –, 2 Milliarden Euro mehr für die Verkehrsinfra- tiere die „Financial Times Deutschland“ vom 14. Mai struktur zur Verfügung zu stellen, ist wieder eine Null- 2005: „Es ist reines Wunschdenken und rot-grüne Ideo- nummer; denn zuerst kürzen Sie den Verkehrsetat um logie zu glauben, dass eine nennenswerte Verlagerung rund 600 Millionen Euro und jetzt verkaufen auf Sie die Schiene möglich ist.“ Was heißt das in der Kon- (B) 500 Millionen Euro per annum als großen Erfolg – kein sequenz? Dass die Bahn in den Augen der FDP ein Rest- (D) Erfolg für die Infrastruktur, sondern ein riesiges „Täu- verkehrsmittel ist und bleibt, das man durch Investitions- schungsmanöver“. stopp getrost austrocknen und abwickeln kann. Da kann ich nur sagen: Gute Nacht, moderne Bahn, aber auch Auch der Bundesverkehrswegeplan ist Makulatur. Im Gute Nacht, flüssiger Straßenverkehr. Denn ohne Ver- Zeitraum 2001 bis 2015 wird ein jährliches Investitions- kehrsverlagerung zum Beispiel im Gütertransport be- volumen von 10 Milliarden Euro für erforderlich gehal- kommen wir auch den Dauerstau auf der Autobahn, weil ten. Die mittelfristige Finanzplanung sieht jedoch für die mehr LKW nicht nur die rechte Spur verstopfen. Jahre 2004 bis 2008 nur einen durchschnittlichen Mit- telansatz von 7,7 Milliarden Euro vor. Auch Sie müssten Die Privilegierung der Straße bei Union und FDP rechnen und erkennen können, dass sich hier eine Fi-steht übrigens auch in eklatantem Widerspruch zur Poli- nanzlücke von jährlich 2,3 Milliarden Euro ergibt. tik der Europäischen Union, die bei den transeuropäi- schen Netzen eindeutig und sehr bewusst der Schiene Wir brauchen dringend eine investitionspolitische Vorrang einräumt, gerade weil die erwarteten Zuwächse Kurskorrektur; mit Ihrem Antrag schaffen Sie das nie. im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf die Schiene gehen sollen. Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Für das von Bundeskanzler Gerhard Zudem ist es schlichtweg falsch, dass die Bahn keine Schröder angekündigte 2-Milliarden-Euro-ProgrammMarktanteile gewinnen könne. Der Schienengüterver- zur Verstärkung der Verkehrsinvestitionen sind mittler- kehr hat im Jahr 2004 um 8 Prozent zugelegt, weit mehr weile vom Bundesverkehrsministerium die einzelnenals der LKW-Verkehr. Private Güterbahnen schreiben Projekte benannt worden. Dies zeigt: Wir reden nicht nur zurzeit zweistellige Zuwachsraten beim Umsatz wie von mehr Verkehrsinvestitionen, wir handeln. Die inauch bei der Verkehrsleistung. Ohne die Bahn würde dem Zusatzprogramm aufgeführten Projekte bringen den zum Beispiel der Hinterlandverkehr der Seehäfen zu- Verkehrswegebau spürbar voran. sammenbrechen. Es war auch notwendig und überfällig, durch dieses Das zeigt: Wenn das Schienennetz wieder chronisch Zusatzprogramm den großkoalitionären Fehler aus dem unterfinanziert ist, wie inden letzten Jahren der Kohl- Bundesrat – ich meine die Koch/Steinbrück-Kürzungen – Regierung durch Waigel und Wissmann, dann wird die zu korrigieren, durch die Investitionen in die Verkehrsin- Rede von der leistungsschwachen Schiene zu einer sich frastruktur fatalerweise zu Subventionen erklärt undselbst erfüllenden Prophezeiung. Wenn man das Netz zusammengestrichen worden waren. Die eigentlichen verkommen lässt und wenn man die Wettbewerbsbedin- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17063

(A) gungen im Vergleich mit der Straße und dem Flugver- Nutzung des Instrumentes öffentlicher-privater Partner- (C) kehr nicht angleicht, dann wird natürlich auch der Schie- schaften im Bau dokumentieren wir: Wir sind für den nenverkehr auf dem Netz schrumpfen. Da waren wirverstärkten Einsatz von Public Private Partnership, sei es schon mal, dahin wollen wir nicht zurück. Das werden beim Bau von Schulen, Kitas, Krankenhäusern oder an- wir übrigens auch im Wahlkampf sehr deutlich machen. deren öffentlichen Einrichtungen oder auch bei Bauten der Verkehrsinfrastruktur. Es muss dabei sichergestellt An dem 2-Milliarden-Programm ist für die Bahn je- werden, dass die öffentlichen Haushalte dadurch tatsäch- denfalls besonders erfreulich, dass wichtige Verbindun- lich entlastet und nicht einfach Finanzierungslasten in gen nach Mittel- und Osteuropa verstärkt ausgebaut die Zukunft verschoben werden. werden. Dies schafft die Voraussetzung dafür, Güterver- kehrsströme von der Straße auf die Bahn zu holen. Aber Das jetzt vorgelegte Gesetz ist aufgrund des Zeit- auch das Sonderprogramm zur beschleunigten Moderni- drucks mit sehr heißer Nadel genäht worden. Das Hau- sierung von Bahnhöfen in kleinen und mittleren Städten ruckverfahren, das dazu jetzt vorgeschlagen wurde, erin- durch 50 Millionen Euro an Zuschussmitteln verbessert nert mich ein wenig an die Last-Minute-Unterzeichnung die Leistungsfähigkeit des Systems Schiene: Werden die des Mautvertrags mit Toll Collect, wenige Tage vor der Bahnhöfe attraktiver, nützt das nicht nur der Bahn, son- letzten Bundestagswahl. Die Mängel des Vertrages stell- dern auch der Stadt oder Gemeinde, die eine städtebau- ten sich bekanntlich später heraus. Daher unser Rat: Bei liche Aufwertung im Innenbereich erfährt. einem derart umfangreichen Artikelgesetz muss Gründ- In der jetzt erreichten Aufstockung der Investivmittel lichkeit vor Schnelligkeit gehen, und zwar im Interesse besteht übrigens die eigentliche Beschleunigung für den der Sache. ÖPP wird nur dann zu einem Erfolg, wenn Verkehrswegebau. Unser Hauptproblem ist nicht, dass der gesetzliche Rahmen stimmt und die Risiken wie die Planungen zu lange dauern, sondern dass fertig geplante Chancen zwischen privaten Investoren und Betreibern und baureife Projekte wegen fehlender Finanzmittel in einerseits und der öffentlichen Hand andererseits trans- der Warteschlange hängen bleiben. Dennoch sind wirparent und fair aufgeteilt sind. sehr für eine Straffung des Planungsrechtes, und zwar unter klar festgelegten Bedingungen. In unserem Antrag Es gibt ein weiteres positives Signal für die Bauwirt- zur Planungsvereinfachung und -beschleunigung, heißt schaft: Wir begrüßen ausdrücklich die Fortführung des es: Wir fordern die Bundesregierung auf, „das Planungs- CO2-Gebäudesanierungsprogramms. Wir sagen aber recht zu straffen und zu vereinfachen, … ohne die Be- ebenso deutlich, dass wir uns mehr gewünscht hätten. lange der betroffenen Bürgerinnen und Bürger und der Wir Grünen wollen das Programm weiterentwickeln und natürlichen Umwelt zu beschneiden.“ Soweit der Koali- deutlich verstärken. Denn damit können wir jedes Jahr (B) tionsantrag. Wenn dann plötzlich die Einschränkung der 60 000 Arbeitsplätze in der mittelständischen Bauwirt- (D) Klagerechte für Bürgerinnen und Bürger bei einer will- schaft und im Handwerk sichern. Und wir wollen, dass kürlichen Anzahl von Projekten als eigentliches Be-spätestens 2006 Energieausweise für mehr Transparenz schleunigungsinstrument hochstilisiert wird, ist das ein- bei den Energiekosten von Wohngebäuden sorgen. Der fach falsch. Die Verkürzung des möglichen Klageweges bedarfsbasierte Energieausweis wird Investitionen in die auf nur noch eine Instanz, nämlich auf die bisherige Re- energetische Sanierung des Wohnungsbestandes be- visionsinstanz Bundesverwaltungsgericht Leipzig, hätte schleunigen und dadurch zusätzliche Arbeitsplätze in der – darauf haben der Präsident eben dieses Gerichtes und mittelständischen Bauwirtschaft schaffen. Davon sind die Präsidenten aller Oberverwaltungsgerichte mit be- wir überzeugt. Wir warnen daher die Opposition davor, merkenswerter Klarheit hingewiesen –, den gegenteili- aus wahltaktischen Gründen mit der Verabschiedung des gen Effekt: Anstatt die ortsnahen Oberverwaltungsge- Energieeinspargesetzes ein Verzögerungsspielchen zu richte entscheiden zu lassen und lediglich für diejenigen betreiben. Sie tun damit der Baukonjunktur keinen Ge- 2,5 Promille aller Verkehrsplanungen, gegen die über- fallen und machen dadurch ihre Beteuerungen, sich für haupt eine zweite Instanz angerufen wird, müsste dasarbeitsplatzschaffende Maßnahmen einzusetzen, nicht Bundesverwaltungsgericht als neue und alleinige Tatsa- glaubwürdiger. cheninstanz von Leipzig aus quer durchs ganze Land 100 Prozent aller Streitfälle durch Ortstermine bearbei- Die Bauwirtschaft steckt in der Krise. Dies gilt insbe- ten. Im Ergebnis würde das zu einer Verlangsamung statt sondere für den Wohnungsneubau. Eine alternative Per- zu einer Beschleunigung der Klageverfahren führen,spektive dazu liegt für die mittelständische Bauwirtschaft ganz abgesehen von den verfassungsrechtlichen Beden- in der Gebäudesanierung. Das Potenzial ist riesig. In ken gegen die Beschränkung von Rechten Betroffener. Deutschland gelten 24 Millionen Wohneinheiten als sanie- Also ein klassisches Eigentor, das wir vermeiden sollten. rungsbedürftig. Davon werden aber nur 600 000 Wohnein- heiten oder 2,5 Prozent pro Jahr tatsächlich saniert. Da- Im Vollzug blockiert werden viele Bauvorhaben übri- von werden nur 200 000 Wohnungen auch energetisch gens von ganz anderer Seite: Immer mehr öffentliche saniert. Um die Rahmenbedingungen für diese Investi- Bauvorhaben landen mittlerweile vor der Vergabekam- mer, weil unterlegene Bieter die Vergabe beklagen. Das tionen zu verbessern, haben wir das CO2-Gebäudesanie- kostet richtig Zeit. Hier sollte mal über Beschleunigung rungsprogramm aufgelegt. Die Bilanz kann sich sehen nachgedacht werden. lassen. Investitionen in Höhe von 2 Milliarden Euro und 230 000 komplett energetisch sanierte Wohnungen sind Mit dem in unserem Antrag angekündigten und inein großer Erfolg. Diesen Weg werden wir konsequent diesen Tagen vorgelegten Gesetz zur beschleunigtenfortsetzen und intensivieren. 17064 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Die FDP legt Ergebnis der ganzen Operation: Viel Lärm, ohne ein ein- (C) heute einen Antrag vor, mit dessen Hilfe die dringend ziges Problem wirklich zu lösen, und Sie drücken sich notwendige Verstetigung der Infrastrukturmaßnahmen, darüber hinaus auch nochum eine klare Aussage zur das heißt der zeit- und bedarfsgerechte Ausbau der Ver- PKW-Maut. kehrswege aller Verkehrsträger, besser gestaltet werden Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung kann als bei der bisherigen Politik von Rot-Grün. Sie, das Beispiel der ASFINAG in Österreich genannt. Die liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben es ASFINAG verlangt von PKW-Fahrern Gebühren. In Ih- trotz eklatant gestiegener Abgaben aus dem Straßenver- rem Antrag 15/5340 vom 20. April dieses Jahres begrü- kehr seit 1998 um insgesamt 15 Milliarden Euro mit ßen Sie die Bereitschaft der Bundesregierung, die Mög- Einführung der Maut offensichtlich nicht verstanden, für lichkeit zu prüfen, durch Finanzierungen über private eine Verstetigung der Verkehrsinvestitionen zu sorgen. Gesellschaften, wie zum Beispiel in Österreich, zu einer Von dem Sondereffekt der zusätzlichen Mittel aus der Verstetigung der Infrastrukturinvestitionen zu kommen. Versteigerung der UMTS-Lizenzen abgesehen, sind Ihre Der Bundesverkehrsminister erklärt am laufenden Band Investitionsansätze im Schnitt nicht höher als die der Re- öffentlich, eine PKW-Maut sei mit ihm nicht zu machen. gierung der CDU/CSU und der FDP in den Jahren bis Das genau ist Ihr Problem! Oder frei nach Valentin: 1998. Mögen hätten wir schon wollen, aber können haben wir Anstatt die große Chance der Maut zu nutzen und den es nicht! § 11 des Mautgesetzes tatsächlich umzusetzen, haben Wir haben Ihnen in unserem Antrag unter Druck- Sie es zugelassen, dass der Finanzminister den bisheri- sachennummer 15/5338 die notwendigen Schritte aufge- gen Haushaltsansatz entgegen den gesetzlichen Vor-zeigt. Es wird Sie deshalbnicht überraschen, wenn wir schriften genau um den Umfang reduziert hat, wie erunseren Antrag hier mit Nachdruck vertreten und Ihrem Mauteinnahmen netto erwartet. Das führt bezeichnen- Antrag die Zustimmung verweigern. Da auch der Antrag derweise im Jahre 2005 ausweislich Ihrer Haushaltspla- der Union auf Drucksache 15/5325 „völlig überra- nungen zu einem Ansatz,der um rund 600 Millionen schend“ die gleiche Zielrichtung wie der der FDP hat, Euro unter dem Haushaltsansatz für das Jahr 2004 – da werden wir diesen Antrag natürlich mittragen. allerdings noch ohne Mauteinnahmen – liegt. Diese Si- tuation wird jetzt auch nicht dadurch besser, dass Sie mit großem Getöse die Feststellung aus der Regierungser- Anlage 16 klärung des Bundeskanzlers vom März dieses Jahres öf- fentlich bejubeln, dass für eine Zeit von vier Jahren ins- Zu Protokoll gegebene Reden gesamt 2 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung (B) zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur (D) gestellt werden. Die Jahresscheibe von 500 Millionen Sicherung der nachhaltigen Finanzierung der Euro, die Sie – wenn sie denn finanziert werden kann – Versorgung sowie zur Änderung dienstrechtli- zur Verfügung stellen, reicht gerade einmal aus, die bis- cher Vorschriften (Versorgungsnachhaltigkeits- herigen Kürzungen auszugleichen. Von einer Versteti- gesetz – VersorgNG) (Tagesordnungspunkt 4) gung der Investitionen, gar von einem Signal an die Bau- wirtschaft kann aus unserer Sicht deswegen nicht geredet werden. Siegmund Ehrmann (SPD): Der Gesetzentwurf überträgt die wesentlichen Regelungen des Rentenversi- Das gilt im Übrigen auch für die Monstranz ÖPP, die cherungsnachhaltigkeitsgesetzes auf die Beamtenversor- Sie derzeit vor sich her tragen. Damit wir uns nichtgung und die tarifvertraglichen Einmalzahlungen auf falsch verstehen: Die FDP ist nicht gegen öffentlich-pri- den Beamtenbereich des Bundes. vate Partnerschaften. So wie Sie sie allerdings auf das Ich komme zunächst auf die beabsichtigten Änderun- Gleis setzen, wird es nicht zu dem erhofften Investitions- gen im Beamtenversorgungsrecht zu sprechen: schub und schon gar nicht zu der von Ihnen angedachten Sicherung von Arbeitsplätzen im Baubereich kommen. Richtschnur dabei ist der grundlegende Beschluss des Sie bleiben nach wie vor die Antwort schuldig, wie Sie Deutschen Bundestages, Reformen in der gesetzlichen es denn tatsächlich umsetzen wollen. Die so genannten Rentenversicherung in engem zeitlichen Zusammenhang A-Modelle, also der Anbau weiterer Spuren an beste-wirkungsgleich auf öffentlich finanzierte Alterssiche- hende Autobahnen, die Sie bis zu 50 Prozent der Bau- rungssysteme wie die Beamtenversorgung zu übertra- kosten durch die Abtretung der LKW-Maut finanzieren gen. An diesem Leitgedanken orientiert, ist dies bei der und zu den restlichen 50 Prozent durch die klassische Fi- Beamtenversorgung seit 1992 stets geschehen: nanzierung aus dem Staatshaushalt, werden zumindest So wurden 1998 Versorgungsrücklagen bei Bund und den Beschäftigungseffekt nicht bringen, den Sie sich Ländern vorgeschrieben, Elemente der Kapitaldeckung vorstellen. Es kann bestenfalls zu einer kurzfristigen An- flossen in die Beamtenversorgung ein. reizsituation bei den Baufirmen kommen, weil jetzt Auf- träge vergeben werden können, die ansonsten noch län- Mit dem Versorgungsänderungsgesetz 2001 wurde gere Zeit in Wartestellungliegen müssten. Mittelfristig zum Beispiel parallel zur Rentenreform der Anstieg der bedeutet das aber lediglich eine Verschiebung von Inves- Versorgungsbezüge ab dem Jahre 2003 abgeflacht, akti- titionen. Wenn Sie also die Finanzierung nicht versteti- ven Beamten die gesetzliche Förderung einer privaten gen, bricht Ihnen die Baukonjunktur am Ende dieserkapitalgedeckten Altersvorsorge eröffnet, die Hinterblie- Phase genauso wieder weg, wie sie jetzt unsicher wird. benenversorgung bei gleichzeitiger Einführung eines Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17065

(A) Kindergeldzuschlages zum Witwengeld abgesenkt, die an der seit Jahren gegebenen Debattenlage ist dies aber (C) Versorgungsrücklage weiter ausgebaut. offenkundig mehr als illusorisch. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf überträgt den Nachhaltigkeitsfaktor des Rentenversicherungsnachhal- Clemens Binninger (CDU/CSU): Was die Bundes- tigkeitsgesetzes auf die Versorgung mit der Folge, dass regierung als „wirkungsgleiche Übertragung des RV- der 2001 als Zielwert angestrebte Höchstruhegehaltssatz Nachhaltigkeitsgesetzes auf die Beamten“ bezeichnet, nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes in fünf Schritten ist in Wahrheit ein überproportionaler Einschnitt in der auf 71,13 Prozent sinkt, begrenzt die Hochschulausbil- Beamtenversorgung; von Nachhaltigkeit kann keine dungszeiten von jetzt 1095 Tage auf künftig 855 Tage. Rede sein, und schließlich werden die Länderhaushalte bis zum Jahr 2010 zusätzlich belastet. Um es kurz zu sa- Wenn wir uns an die Diskussionen aus dem Jahregen: Das Gesetz ist miserabel gemacht, dürftig im Inhalt 2001 erinnern – so sah Herr Kollege Stadier die Rege- und katastrophal in der Wirkung. Deshalb lehnen wir lungen zum Witwengeld „mindestens an der Grenze zur dieses Gesetz ab. Verfassungswidrigkeit“: Verletzung der Alimentations- pflicht –, taucht der Einwand „erheblicher verfassungs- Aber im Einzelnen: Rot-Grün versucht, den in der ge- rechtlicher Bedenken“ über den Antrag des Freistaates setzlichen Rentenversicherung eingeführten Nachhaltig- Bayern an den Innenausschuss des Deutschen Bundesra- keitsfaktor auf die Alterssicherung bei Beamten zu über- tes aktuell wieder auf. Manwendet eine überproportio- tragen, und scheitert prompt: Diese Maßnahme würde nale Belastung der Versorgungsempfänger ein, lehnt die bis 2010 zu einer Minderung des Versorgungsniveaus eingeschänkte Berücksichtung der Studienzeiten als ru- bei gleichzeitiger Einfügung einer gesetzlichen Evalua- hegehaltsfähige Dienstzeiten ab und reklamiert, der Auf- tionsklausel mit dem Ziel der Fortführung der Absen- bau der Versorgungsrücklage erfolge nicht nachhaltig. kung des Versorgungsniveaus bis zum Jahr 2030 führen. Argumente, die uns heute im Plenum wieder begegnen. Ein Irrsinn! Doch wo liegt Ihr Gegenentwurf? Fehlanzeige, nichts wird von Ihnen angeboten! Die gesetzliche Rente stellt nur eine Säule der Alters- sicherung für Arbeitnehmer dar, die zunehmend durch Schauen Sie einfach mal in den Versorgungsbericht zusätzliche – in der Regel betriebliche – Versorgungs- 2005, Ende Mai veröffentlicht. Die Versorgungsausga- leistungen ergänzt wird. Diese Ergänzungen der Alters- ben werden je nach Berechnungsvariante von heute rund versorgung sind für Beamte nicht eröffnet. Die Beamten- 25 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 auf 74,6 bisversorgung muss deshalb so bemessen sein, dass ein 137,1 Milliarden Euro ansteigen und weit über die heu- amtsangemessener Lebensunterhalt der Ruhestandsbe- tige Quote hinaus öffentliche Mittel binden. Nicht nur amten sichergestellt wird. Sie vereint Elemente der (B) die „vergleichende Gerechtigkeit“ zwischen den Alters- Grundsicherung und einer betrieblichen Altersvorsorge (D) sicherungssystemen, sondern auch die Gestaltungsprin- und unterscheidet sich von ihrer Funktion und ihrem Si- zipien der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit cherungsziel her signifikant von der gesetzlichen Ren- gebieten unser Handeln. tenversicherung. In Ordnung; diese Überlegungen sind zu sehr an der Die Anpassung der gesetzlichen Rente orientierte sich Sache orientiert und wahrscheinlich in Ihren Handlungs- bis einschließlich des Jahres 2000 an der Bruttolohnent- parametern kaum „wahlkampftauglich“. wicklung unter Berücksichtigung der Veränderungen bei Ähnliches wiederholt sich bei den Einmalzahlungen der Einkommensteuerbelastung und bei den Sozialversi- für die Jahre 2005 bis 2007. Bund und Kommunen ha- cherungsbeiträgen. Mit Wirkung ab dem Jahr 2003 ben sich tarifrechtlich mit ihrem Gegenüber vereinbart. wurde der so genannte Altersvorsorgeanteil eingeführt, Der Bund ist verpflichtet, der Verantwortung gegenüber mit dem das Rentenniveaubis 2011 abgesenkt wird. seinen Beamtinnen und Beamten nachzukommen. Wenn Diese Absenkung soll von den Versicherten durch steu- die Länder als öffentliche Arbeitgeber sich durch denerlich geförderte private Vorsorge ausgeglichen werden, Tarifabschluss nicht haben präjudizieren lassen, wieso Stichwort „Riester-Rente“. Die künftige Entwicklung soll dann das Handeln des Bundesgesetzgebers die Län- der Rente wird weiter durch die Beitragssatz-Verände- der präjudizierend beeindrucken? Dieser Einwand läuft rung und durch den Nachhaltigkeitsfaktor, der mit dem von seiner Logik her ins Leere. Und wenn dann gesagt Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz eingeführt wird, „eine undifferenzierte Übertragung des Tarifergeb- wurde, beeinflusst. Der voraussichtliche Umfang der nisses für den Bereich des Bundes auf die Länder wird Abflachung der gesetzlichen Rente wird nach wissen- grundsätzlich abgelehnt“, hätte ich gerne den Hinweis schaftlichen Schätzungen – Rürup-Kommission – bei auf die Norm, die die Länder in Zugzwang setzt. 15 Prozent bis zum Jahre 2030 liegen. Alles in allem: Der beamtenversorgungsrechtliche Berücksichtigt man die bereits getroffenen Maßnah- Teil des Gesetzentwurfes ist in sich schlüssig und konse- men zur Kürzung der Beamtenversorgung in den Versor- quent. Die Regelung der Einmalzahlungen ist auch ein gungsänderungsgesetzen aus den Jahren 1998 und 2001, Gebot der Fairness gegenüber den Bundesbeamtinnen würde das Versorgungsniveau mit der angekündigten und -beamten. Übertragung des Nachhaltigkeitsfaktors bis 2030 in ei- ner Größenordnung von bis zu 18 Prozent abgesenkt. Ich würde mich freuen, wenn wir in der knappen ver- bleibenden Zeit bei diesem Gesetzgebungsverfahren Die angekündigte Absenkung der Beamtenversor- noch eine gemeinsame Linie finden würden. Gemessen gung geht damit schon bei einer nominalen Betrachtung 17066 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) deutlich über die Leistungseinschränkungen in der ge- Aristoteles hat die Frage nach der Gerechtigkeit damit (C) setzlichen Rentenversicherung hinaus. Das geht so nicht. beantwortet, dass „Gleiches gleich und Ungleiches un- gleich behandelt“ werden müsse. Diesem Grundsatz Zudem wird in der Beamtenversorgung im Vergleich wird in Ihrem Entwurf nicht ausreichend Rechnung ge- zur gesetzlichen Rentenversicherung – jedenfallstragen, sodass sich letztlich unterschiedliche finanzielle bisher – auch deutlich schneller abgesenkt. Aufgrund der Auswirkungen auf die Betroffenen ergeben. Denn die „zu übertragenden Maßnahmen“ aus der Anpassung der von Ihnen vorgesehenen Maßnahmen schießen weit über Renten der gesetzlichen Rentenversicherung ist das Ni- das Ziel hinaus und führen zu einer überproportionalen veau der Beamtenversorgung bis heute schon um rund Belastung der Versorgungsempfänger. 2,22 Prozent gemindert. In der gesetzlichen Rentenversi- cherung haben die Maßnahmen dagegen erst mit rund So stellt die gesetzliche Rente nur eine Säule der Al- 0,61 Prozent gegriffen. Damit wird deutlich, dass dertersversorgung für Arbeitnehmer dar, die zunehmend vorliegende Gesetzentwurf über das Ziel hinausschießt. durch die betriebliche Altersversorgung ergänzt wird. Diese bewegt sich beispielsweise im öffentlichen Dienst Im Gegensatz zur Darstellung in der Gesetzbegrün- in einer Größenordnung von rund einem Drittel der Ge- dung wird es keine Ausgabenminderung geben. Viel- samtversorgung. Ähnliches gilt auch für den Anteil der mehr kommt es anstelle der ausgeführten Entlastung von betrieblichen Altersversorgung bei Banken und Versi- ca. 600 Millionen. Euro zu Mehrbelastungen der Länder- haushalte von rund 2,8 Milliarden Euro! cherungen. Da die betriebliche Altersversorgung jedoch nicht von den Niveauabsenkungen in der gesetzlichen Rot-Grün hat hier weder sorgfältig noch gewissenhaft Rentenversicherung betroffen ist, gewinnt sie relativ ge- gerechnet! Denn der Unterschiedsbetrag aus den Absen- sehen in Zukunft stärker an Gewicht. kungen der Besoldungsanpassungen soll ebenso wie der Unterschiedsbetrag aus der Absenkung des Versorgungs- Die Situation bei den Beamtinnen und Beamten ist niveaus künftig in voller Höhe in das Sondervermögen eine völlig andere. Deren Versorgung stellt eine Vollver- „Versorgungsrücklage“ fließen; früher flossen nursorgung dar. Wenn Sie planen, Einschränkungen in der 50 Prozent dieses Betrages in die Versorgungsrücklage. gesetzlichen Rentenversicherung in die Beamtenversor- gung zu übertragen, dann können sie nicht die Bifunktio- Dem Gesetzentwurf kann nicht zugestimmt werden. nalität der Beamtenversorgung, das heißt Regel- und Zu- Er stellt gerade keine wirkungsgleiche Übertragung der satzversicherung in einem System, und das Gebot der Rentenreform dar, sondern führt zu überproportionalen Einheitlichkeit von Besoldung und Versorgung einfach Belastungen der Versorgungsempfänger. Er entziehtignorieren. außerdem den Haushalten der Länder zunächst in erheb- Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist (B) lichem Umfang Mittel. Mit dem Gesetzentwurf wird we- (D) der eine langfristige Stabilisierung der Versorgung noch stets zu beachten, dass die Verpflichtung des Dienstherrn Verlässlichkeit für die betroffenen Versorgungsempfän- zur Alimentation die Gewährleistung eines angemesse- ger geschaffen. nen Lebensunterhalts für den Beamten und seine Familie auch im Ruhestand umfasst. Besoldung und Versorgung basieren auf einheitlichen Grundlagen, sodass sich die Hannelore Roedel (CDU/CSU): Die alarmierende Höhe der Versorgung vorrangig an den Bezügen des zu- Situation des überproportionalen Anstiegs der Versor- letzt ausgeübten Amtes orientiert. Daher unterliegt die gungsausgaben in den nächsten Jahrzehnten ist nicht von Höhe der Alimentation nicht der Beliebigkeit, die Lage den Beamtinnen und Beamten „verschuldet“ worden,der öffentlichen Haushalte darf nicht der einzige Maß- auch wenn sich einem dieser Eindruck bei Ihrem Gesetz- stab sein. entwurf aufdrängen kann. Vielmehr liegt die Ursache hierfür in der personellen Ausweitung des öffentlichen Bei der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors kann Dienstes seit den 70er-Jahren. Die Beamtinnen und Be- keinesfalls von einer wirkungsgleichen Übertragung ge- amten haben sich in dem Vertrauen auf eine angemes- sprochen werden. Denn in der gesetzlichen Rentenversi- sene Alimentierung im Ruhestand in ein lebenslanges cherung werden mithilfe des Nachhaltigkeitsfaktors das Dienst- und Treueverhältnis begeben. Dies ist bei derVerhältnis von Rentnern und Beitragszahlern ermittelt Reform der Beamtenversorgung stets zu berücksichti- und das Ausmaß der Dämpfung und der aktuelle Wert je- gen, Herr Schily! des Jahr neu ermittelt. Die Entwicklung auf dem Ar- beitsmarkt hat somit jeweils auch Auswirkungen auf die Aufgrund der demographischen Entwicklung stehen sowohl die überwiegend beitragsfinanzierte gesetzliche Renten. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf schreiben Rentenversicherung als auch das steuerfinanzierte Sys- Sie die Absenkung des Versorgungsniveaus unabhängig tem der Beamtenversorgung vor der gleichen Aufgabe, von der wirtschaftlichen Entwicklung bereits fest. die Finanzierung der Altersversorgung auf eine verlässli- Wie fällt aber nun konkret der Vergleich über das che und langfristig sichereGrundlage zu stellen. Die Ausmaß der Absenkung des Versorgungsniveaus aus? CDU/CSU-Bundestagsfraktion bestreitet keineswegs die Notwendigkeit, die durchgeführten Reformen der ge- Der voraussichtliche Umfang der Abflachung der ge- setzlichen Rentenversicherung wirkungsgleich auf die setzlichen Rente hängt von der langfristigen Entwick- Beamten-, Richter- und Soldatenversorgung zu übertra- lung ab und ist daher nicht exakt zu prognostizieren. Be- gen. Unser Grundsatz lautet dabei: Keine Privilegierung rücksichtigt man die Annahme der Rürup-Kommission der Beamten gegenüber Rentnern, aber auch keine Be- zur Entwicklung des Rentnerquotienten von derzeit nachteiligung. 52 auf 67 Prozent im Jahr 2030 und das Ziel der Bundes- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17067

(A) regierung, die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversiche- Das Ziel einer wirkungsgleichen Übertragung der Ren- (C) rung bis zum Jahr 2030 nicht über 22 Prozent anzuheben, tenreform wird eindeutig verfehlt. Außerdem werden die ergibt sich in etwa eine Absenkung des Rentenniveaus Länderhaushalte bis 2010 wegen der höheren Zuführung von etwa 15 Prozent. in einer schwierigen finanzpolitischen Gesamtsituation zusätzlich belastet. Um diese Absenkung wirkungsgleich auf die Beam- tenversorgung zu übertragen, dürfte diese höchstens im Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass auch der öf- Umfang von zwei Dritteln der prozentualen Lohnabsen- fentliche Dienst vor weit reichenden Veränderungen kung der gesetzlichen Rentenversicherung vorgenom- steht, die auch die Alterversorgung betreffen. Dabei dür- men werden. Denn schließlich steht den Beamtinnen und fen wir aber nicht vergessen, dass unsere arbeitsteilige, Beamten keine zweite Säuleder Altersversorgung zur moderne Gesellschaft auf einen leistungsfähigen öffent- Verfügung. lichen Dienst angewiesen ist, für den wir motivierte Be- amtinnen und Beamten brauchen. Daher dürfen wir nicht Das Versorgungsnachhaltigkeitsgesetz führt jedoch zu das Kind mit dem Bade ausschütten und die in ihrer viel weiter gehenden Einschnitten, da Ihr Gesetzentwurf überwiegenden Anzahl leistungsfähigen und leistungs- unzulässigerweise sämtliche versorgungsverschlechtern- bereiten Beamtinnen und Beamten mit unverhältnismä- den Änderungen der Vergangenheit ausblendet: die Kür- ßigen Einschnitten bei deren Altersversorgung vor den zung der Bemessungsgrundlage durch das Versorgungs- Kopf stoßen. reformgesetz 1998, die bereits erfolgte Niveauabsenkung durch das Versorgungsänderungsgesetz 2001 sowie die Kürzung der Versorgung durch teilweisen Wegfall der Silke Stokar von Neuforn(BÜNDNIS 90/DIE Sonderzahlung. GRÜNEN): Bei Verabschiedung des Rentenversiche- rungsnachhaltigkeitsgesetzes haben wir angekündigt, Unter Berücksichtigung der bereits getroffenen Maß- alle Maßnahmen, soweit sie übertragbar sind, wirkungs- namen mit dem Versorgungsreformgesetz und dem Ver- gleich auf das Beamtenversorgungssystem zu übertra- sorgungsänderungsgesetz würde die geplante Übertra- gen. gung des Nachhaltigkeitsfaktors das Versorgungsniveau bis 2030 um etwa 11,5 Prozent absenken. Bezieht man Dies tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. hierbei noch die Verminderung der jährlichen Sonder- Lassen Sie mich die beiden wichtigsten Punkte nen- zahlung mit ein, so würde dies je nach Ausgestaltung der nen: Erstens. Wir übertragen den Nachhaltigkeitsfaktor Regelungen beim Bund und den jeweiligen Ländern so- des Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetzes auf die gar zu einem Volumen von rund 13,5 bis 18 Prozent füh- Versorgung. Über den bereits abgeflachten Versorgungs- ren. Ihr erklärtes Ziel einer wirkungsgleichen Übertra- (B) anstieg hinaus sollen jetzt noch bei den nächsten fünf(D) gung des Nachhaltigkeitsfaktors wird zulasten derAnpassungen der Versorgungsbezüge Kürzungen um je Beamtinnen und Beamten eindeutig verfehlt. 0,2 Prozentpunkte pro Anpassungsschritt erfolgen. Der Auch die Verringerung der Berücksichtigung von Zei- Höchstruhegehaltssatz wird danach im Jahre 2010 vo- ten einer Hochschulausbildung als ruhegehaltfähigeraussichtlich nur noch 71,13 vom Hundert betragen. Dienstzeit auf 855 Tage ist äußerst fragwürdig. Denn es Zweitens begrenzen wir die Berücksichtigung von werden ohnehin nur Ausbildungszeiten berücksichtigt, Ausbildungszeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten von die für eine Übernahme in das Beamtenverhältnis zwin- bisher drei Jahren auf nur noch 855 Tage. gend vorgeschrieben sind. Es macht schlichtweg keinen Sinn, die aufgrund des beamtenrechtlichen Laufbahn- Dass dies Unwillen bei den Betroffenen hervorruft, ist rechts geforderte Qualifikation im Nachhinein zu bestra- uns bewusst. Wir kennen die Argumente der Verbände. fen. Dennoch sind wir der Meinung: Genauso wie wir zum Beispiel mit der Übertragung des Tarifvertrages auf die Auch aus haushaltspolitischen Gesichtspunkten leh- Beamtenbesoldung versuchen, ein Höchstmaß an nen wir den vorgelegten Gesetzentwurf ab. Mit der nun- Gleichbehandlung zwischen Arbeitnehmerschaft und mehr geforderten 100-prozentigen Zuführung der Er-Beamtentum zu gewährleisten, genauso wollen wir ei- sparnisse zum Sondervermögen „Versorgungsrücklage“ nen annähernd finanziellen Gleichklang zwischen den werden die Länderhaushalte in den kommenden Jahren Renten- und Versorgungsbelastungen herstellen. über Gebühr belastet. Nach Zahlen des Bayerischen Fi- nanzministeriums würde dies in den nächsten fünf Jah- Wir mussten den Rentnerinnen und Rentnern Ein- ren den Landeshaushalt in Bayern mit rund 282 Millio- schnitte abverlangen. Die Entwicklung der Versorgungs- nen Euro belasten. Hochgerechnet auf alle Bundesländer ausgaben – das zeigt der Versorgungsbericht – ist ähn- ergeben sich für diesen Zeitraum zusätzliche Aufwen- lich denen der Rente. Es ist also nicht einsichtig, warum dungen von rund 2,8 Milliarden Euro. Was dies in einer diese Einschnitte nicht auch den pensionierten Beamtin- Zeit bedeutet, in der rund die Hälfte aller Bundesländer nen und Beamten abverlangt werden könnten. keinen verfassungsgemäßen Haushalt aufstellen können, müsste jedem hier im Hause eigentlich klar sein. Als letzten Punkt möchte ich die Einmalzahlungen er- wähnen. Ich habe es anfangs schon erwähnt, dass wir Ich fasse zusammen: Die CDU/CSU-Bundestagsfrak- stets um einen Gleichklang bemüht sind. Deshalb wollen tion lehnt den Gesetzentwurf ab, da er weder eine lang- wir ausgehend vom Tarifergebnis, das für die Empfänge- fristige Stabilisierung der Versorgung noch Verlässlich- rinnen und Empfänger von Dienst- und Amtsbezügen im keit für die betroffenen Versorgungsempfänger schafft. Bereich des Bundes in den Jahren 2005, 2006 und 2007 17068 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005

(A) Einmalzahlungen in Höhe von jeweils 300 Euro vor-gegen anders lautenden Zusagen dem Deutschen(C) sieht, dies jetzt auch auf die VersorgungsempfängerBundestag bis heute nicht zur Beratung zugeleitet wor- übertragen. Die Länder bekommen die Möglichkeit,den. über die Gewährung vonEinmalzahlungen in diesen Jahren selbst zu entscheiden. Aus liberaler Sicht ebenfalls zu kritisieren ist das Feh- len des nachhaltigen Aufbaus der Versorgungsrücklage. Die FDP hat sich stets dafür ausgesprochen, zur langfris- Dr. Max Stadler (FDP): Dass die Einsparungen in tigen Sicherung der Beamtenversorgung die Kapitalde- der Rentenversicherung auf die Beamtenversorgung zu ckung der Versorgungskosten auszubauen und für neu übertragen sind, wird von niemandem ernsthaft in Ab- berufene Beamtinnen und Beamte Versorgungsrückla- rede gestellt. Hierbei handelt es sich um ein Gebot sozia- gen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu ler Symmetrie. Alles andere entfachte eine neue Neid- bilden, die generationengerecht und haushaltsfest sind. Debatte, an der die Beamtinnen und Beamten, Außerdem die hat sich die FDP stets für eine Erweiterung Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger des Anlagespektrums ausgesprochen. Eine weitere For- am allerwenigsten Interesse haben dürften; wäre siederung ist die Ausschreibung der Verwaltung und die doch Wasser auf die Mühlen jener, denen das Berufsbe- Schaffung der Möglichkeit, die Verwaltung privaten amtentum seit langem ein Dorn im Auge ist und die es Dritten zu übertragen. am liebsten abgeschafft sähen. Erfreulicherweise hat die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf für derartige Weitere Fragwürdigkeiten des Gesetzentwurfes wer- Überlegungen der von ihr eingesetzten Bull-Kommis- den in der parlamentarischen Beratung zu erörtern sein. sion nunmehr die Quittung erhalten. Dies gilt für die Auswirkungen einer nur eingeschränk- ten Berücksichtigung von Studienzeiten als ruhegehalt- Der rot-grünen Bundesregierung ist zumindest zuzu- fähigen Dienstzeiten auf den gesellschaftlich erwünsch- gestehen, dass sie sich die Sache nicht einfach macht. ten und wirtschaftlich notwendigen Erwerb von Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen wird dieQualifikationen in einer Wissensgesellschaft. Dies gilt Frage der Wirkungsgleichheit der Übertragungsmaßnah- für die vorgesehene Gewährung von Einmalzahlungen men sein. Diese Frage ist zum einen nominal und zum an Bundesbeamte und eine sich hieraus möglicherweise anderen unter Rückgriff auf die Besonderheiten der Be- ergebende Präjudizwirkung für die Tarifverhandlungen amtenversorgung zu beantworten. Wir alle kennen die der Länder. Das gilt schließlich für die Einbeziehung des Empfehlung des federführenden Ausschusses für Innere Altersgeldes nach dem Gesetz über die Alterssicherung Angelegenheiten des Bundesrates. Der Ausschussder Landwirte in die Ruhensregelung des Beamtenver- kommt zu dem Ergebnis, dass es schon nominal in der sorgungsgesetzes. Beamtenversorgung im Vergleich zu der gesetzlichen (B) Rentenversicherung aktuell keinen Nachholbedarf gibt. Die FDP wird sich konstruktiven Beratungen nicht(D) entziehen. Wir sind daher auf die Gegenäußerung zur zu Das Niveau der Beamtenversorgung sei seit 1999 um erwartenden Stellungnahme des Bundesrates sehr ge- 4,31 Prozent gesunken. Mittelfristig betrage die Niveau- spannt. absenkung gut sieben Prozent. Hingegen belaufe sich die Niveauabsenkung in der Rentenversicherung auf maxi- Parl. Staatssekretär beim Bun- mal sechs Prozent. Die weiteren Beratungen werden zei- Fritz Rudolf Körper, desminister der Inneren:Mit dem Gesetzentwurf der gen müssen, ob diese Zahlen belastbar sind oder ob es Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wer- sich hierbei um politische Zahlen handelt, um im Wahl- den die Maßnahmen der Rentenreform 2004, insbeson- kampf zu punkten. dere der Nachhaltigkeitsfaktor, wirkungsgleich auf die Neben der rein nominalen Betrachtung darf die Be- Versorgung übertragen. Ziel des Gesetzentwurfs ist sonderheit der Beamtenversorgung nicht aus dem Blick – wie in der gesetzlichen Rentenversicherung – die lang- geraten. Die Beamtenversorgung ist Grundsicherung und fristige Stabilisierung der Versorgung. Zusatzsicherung zugleich. Sie ist bifunktional. Der An- Es ist schwer verständlich, dass sich die Unionsmehr- teil der Pensionen, der der Zusatzversicherung dient und heit der Länder im Bundesratsverfahren zum Regie- hierin der betrieblichen Altersversorgung vergleichbar rungsentwurf den vorgesehenen Maßnahmen zur Ausga- ist, muss daher grundsätzlich von Übertragungsmaßnah- bendämpfung verweigert, zumal gerade die Länder in men ausgenommen bleiben. der Zukunft die größten Probleme bei der Finanzierung Auch kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Versorgung haben werden. Ich sehe darin ein weite- von Rot-Grün, an dieser Stelle einen grundsätzlichenres Beispiel für die absurde Blockadepolitik der CDU/ Vorwurf nicht ersparen: Ihre Politik im Bereich der Be- CSU; denn die Ablehnung steht offenkundig im Wider- amtenversorgung war eine Politik der tausend Nadel-spruch zu den eigenen Interessen der Länder. stiche: Hier eine Maßnahme, dort eine Maßnahme; eine Ich kann daher nur an die Union appellieren, ihre Ent- Gesamtschau unterblieb. Die FDP hat daher stets gefor- scheidung vor dem Hintergrund der demographischen dert, Umfang und Wirkung aller Maßnahmen aus versor- Entwicklung und der schwierigen Lage der öffentlichen gungsrelevanten Reformen differenziert und im Zusam- Haushalte noch einmal sorgfältig zu überdenken. menhang darzustellen sowie in ihren Auswirkungen vorauszuberechnen. Dies wäre Aufgabe des Dritten Ver- Die Daten und Vorausberechnungen der Bundesregie- sorgungsberichts gewesen. Leider ist der Dritte Versor- rung zeigen, dass der Gesetzentwurf vor allem im Inte- gungsbericht trotz mannigfacher Erinnerungen und ent- resse der Länder und Gemeinden liegt. Die Zahl der Ver- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Juni 2005 17069

(A) sorgungsempfänger wird bei den Ländern bis 2030 um schen Kollegen nicht, wie heute in der „FAZ“ zu lesen(C) rund 600 000 steigen und sich damit verdoppeln. Dem- war. Auch die Daten und Fakten sprechen eine andere gegenüber geht die Zahl der VersorgungsempfängerSprache. beim Bund unter Einschluss von Bahn und Post langfris- tig auf die Hälfte zurück. Die Versorgungsausgaben wer- Von 1990 bis heute sind die Pensionen um 31 Prozent den gerade bei den Ländern stark ansteigen und einen gestiegen, die Renten um 29 Prozent. Dabei ist die Kür- wachsenden Teil der Steuereinnahmen in Anspruch neh- zung der Sonderzahlung durch Bund und Länder berück- men. Eine nachhaltige Finanzierung der Beamtenversor- sichtigt. Es trifft somit offensichtlich nicht zu, dass die gung ist vor allem im Länderbereich nach Auffassung Beamten schon in der Vergangenheit stärker belastet namhafter Experten nicht gesichert. Der Sachverständi- worden sind als die Rentner. genrat spricht von einer verdeckten Staatsschuld, die auf Eine überproportionale Belastung sieht der Gesetz- die nachfolgenden Generationen verschoben werde. entwurf auch für die nächsten fünf Anpassungen nicht Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ist vor. Mithilfe einer Evaluationsklausel werden überpro- die Nachhaltigkeitslücke mit dem Rentenversicherungs- portionale Belastungen der Beamten ausgeschlossen. gesetz 2004 weitgehend geschlossen worden. Hinsicht- Der Gesetzentwurf sieht im Übrigen vor, dass die ein- lich der Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer des öf- gesparten Mittel den Versorgungsrücklagen zufließen; fentlichen Dienstes haben sich die Tarifparteien desdamit wird Vorsorge für künftige Generationen getrof- öffentlichen Dienstes schon im Jahre 2002 auf einefen. grundlegende Reform mit vergleichbaren Leistungsein- schränkungen verständigt. Es reicht nicht aus, nur über die Herausforderungen der demographischen Entwicklung zu reden. Wir alle Mit dem Entwurf des Versorgungsnachhaltigkeitsge- müssen Einsicht in die Notwendigkeiten zeigen und setzes wird für die Beamtenversorgung nur nachvollzo- – was noch viel wichtiger ist – auch dementsprechend gen, was für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes handeln. Ich fordere die Oppositionsfraktionen auf, den mit den Leistungsanpassungen in der gesetzlichen Ren- mit der vorliegenden Fraktionsinitiative beschleunigten tenversicherung und der Zusatzversorgung des öffentli- Weg mitzugehen. chen Dienstes bereits auf den Weg gebracht worden ist. Wie bei den Renten soll auch der Anstieg der Pensionen Ohne Einbeziehung der Beamten in die Reform der künftig geringfügig gedämpft werden. Pensionskürzun- Alterssicherungssysteme würde die Akzeptanz der Be- gen sind ebenso wenig vorgesehen wie Rentenkürzun- völkerung für eine eigenständige und vergleichsweise at- gen. traktive Beamtenversorgung aufs Spiel gesetzt. (B) Wenn jetzt behauptet wird, die Beamten würden über- Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht und stimmen (D) proportional belastet, sie hätten bereits Vorleistungen er- Sie dem Gesetzentwurf zu! Es geht darum, dass die Pen- bracht, die nicht angemessen berücksichtigt würden, so sionen finanzierbar bleiben und Beamte sich ebenso wie trifft das nicht zu. Der sächsische Finanzminister teiltdie Rentner auf einen gesicherten Lebensunterhalt im übrigens die entsprechende Auffassung seines bayeri- Alter verlassen können.

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