Plenarprotokoll 18/245

Deutscher

Stenografscher Bericht

245. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Inhalt:

Präsident Dr. ...... 25255 A , Bundesministerin BMAS . . 25281 A Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ neten , Klaus Brähmig, des Par- DIE GRÜNEN) ...... 25283 B lamentarischen Staatssekretärs , (Peine) (SPD) ...... 25285 C der Abgeordneten Axel Schäfer (Bochum), Helga Kühn-Mengel, Günter Baumann, Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister und Dr. Hans-Peter Uhl. . . 25257 D BMF ...... 25286 C Begrüßung der neuen Abgeordneten Thomas Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Jepsen und ...... 25257 D Bulmahn ...... 25289 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Dr. , Bundesministerin nung...... 25261 C BMFSFJ ...... 25290 C (CDU/CSU) ...... 25292 A Zur Geschäftsordnung , Bundesminister AA . . . . 25295 A (DIE LINKE) ...... 25258 A (CDU/CSU) ...... 25298 C Dr. (CDU/CSU) . . . . . 25259 A Sigmar Gabriel, Bundesminister AA . . . . 25299 A Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 25260 B Dr. (CDU/CSU) ...... 25299 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Hubertus Heil (Peine) (SPD) ...... 25300 C DIE GRÜNEN) ...... 25261 B Dr. (DIE LINKE) ...... 25302 A

Tagesordnungspunkt 1: Zusatztagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutsch- a)–h) land ...... 25261 D Beratung der Beschlussempfehlungen des Dr. , Bundeskanzlerin . . . . 25261 D Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 462, 463, 464, 465, 466, 467, 468 und Dr. (DIE LINKE) ...... 25267 A 469 zu Petitionen (SPD) ...... 25269 B Drucksachen 18/13490, 18/13491, 18/13492, 18/13493, 18/13494, 18/13495, Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . 25271 B 18/13496, 18/13497...... 25302 C Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 25272 D Tagesordnungspunkt 2: (CDU/CSU) ...... 25275 D Wahlvorschlag des Wahlausschusses für die Dr. (DIE LINKE) . . . . . 25278 A Richter des Bundesverfassungsgerichts: Wahl II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 einer Richterin oder eines Richters des Bun- Richters des Bundesverfassungsgerichts teil- desverfassungsgerichts genommen haben Drucksache 18/12822 ...... 25303 C (Tagesordnungspunkt 2)...... 25305 B

Wahl ...... 25303 D Anlage 3 Ergebnis ...... 25304 A Neudruck der zu Protokoll gegebenen Rede des Abgeordneten (Havel- land) (DIE LINKE) zur Beratung des Antrags Vizepräsident . . . . 25304 A der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE: Anlage 1 Weltfriedenstag als europäischer Feiertag Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . 25305 A (237. Sitzung, Tagesordnungspunkt 21, Anla- ge 16) ...... 25308 A

Anlage 2 Anlage 4 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl eines Amtliche Mitteilungen...... 25309 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25255

(A) (C)

245. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Beton gegossen waren. Wenn wir, liebe Kolleginnen und Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Kollegen, in diesem Jahr, wie in jedem Jahr, am 9. No- vember an den Fall der Mauer 1989 erinnern, dann ist Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Ich seitdem so viel Zeit vergangen, wie die Mauer überhaupt begrüße Sie alle herzlich zur letzten Plenarsitzung des gestanden hat: 28 Jahre. Deutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode. Für vie- Der Bau wie der Fall der Mauer waren das Symbol le Kolleginnen und Kollegen – auch für mich – ist dies der politischen Kräfteverhältnisse in Europa und ihrer zugleich die letzte Sitzung als gewählte Abgeordnete hier Veränderungen. Auch der Deutsche Bundestag hat sich im Hohen Haus. Nicht wenige von uns haben in der Zeit in dieser Zeit, vor und nach der Wiederherstellung der ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag mit der deutschen Einheit und nach dem Umzug von Parlament Überwindung der Teilung unseres Landes die größte, und Regierung von Bonn nach Berlin, natürlich immer spektakulärste und zugleich friedliche Veränderung in wieder verändert, sich immer wieder neu zusammenge- (B) der jüngeren Geschichte unseres Landes nicht nur miter- setzt; aber im Wesentlichen arbeitet er in Berlin ganz ge- (D) lebt, sondern auch aktiv mitgestaltet. nau so, wie es in Bonn eingeübt worden war. Vieles hat Um zu würdigen, was wir heute längst für selbstver- sich verändert, vieles hat sich bewährt und ist geblieben. ständlich halten, muss man gelegentlich daran erinnern, Der Deutsche Bundestag ist im Vergleich zu anderen wie es vorher war. Als ich 1980 zum ersten Mal in den Parlamenten innerhalb und außerhalb der Europäischen Deutschen Bundestag gewählt wurde, war Deutschland Union in seinen verfassungsmäßigen Aufgaben, in seiner geteilt und Europa auch, in zwei rivalisierenden Mili- Zusammensetzung und in seiner Ausstattung stärker und tärbündnissen organisiert, die sich bis an die Zähne be- einfussreicher als die meisten Parlamente auf diesem waffnet an einer durch Mauer und Stacheldrahtzäune Globus. Für Minderwertigkeitskomplexe besteht kein befestigten deutsch-deutschen Grenze gegenüberstan- Anlass. Aber der Deutsche Bundestag ist nicht immer so den. Damals, Anfang der 1980er-Jahre – Bundeskanzler gut, wie er sein könnte und vielleicht auch sein sollte. war Helmut Schmidt –, wurde innerhalb und außerhalb Dass Parlamente Regierungen nicht nur bestellen, son- des Parlamentes leidenschaftlich über den sogenannten dern auch kontrollieren, ist im Allgemeinen unbestritten; NATO-Doppelbeschluss gestritten, den die einen für den im konkreten parlamentarischen Alltag ist der Eifer bei Anfang vom Ende der westlichen Zivilisation hielten der zweiten Aufgabe nicht immer so ausgeprägt wie bei und bekämpften und die anderen für die Voraussetzung der ersten. der territorialen Integrität der westlichen Staatengemein- schaft. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Unter den Bedingungen des Kalten Krieges und – wie geordneten der CDU/CSU) fast alle glaubten – den damit verbundenen unverrück- baren Verhältnissen im eigenen Land wie in Europa ha- Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages … ben wir in den 1980er-Jahren im Deutschen Bundestag sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und vorsichtig damit begonnen, dem zunächst in einer ehe- Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen maligen Pädagogischen Akademie provisorisch unter- unterworfen. gebrachten Deutschen Bundestag angemessene Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem bedingungen zu verschaffen, und haben schließlich den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Bau eines neuen Plenarsaales beschlossen, der, als er fer- geordneten der LINKEN) tig war, nicht mehr gebraucht wurde. Denn inzwischen war die Mauer in Berlin gefallen und mit der Mauer zu- So steht es im Grundgesetz. Und ganz genau so ist es gleich die Verhältnisse, die scheinbar ein für alle Mal in auch gemeint. 25256 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Dass die Regierungsbefragung in jeder Sitzungswo- und hier im Bundestag heißt auch hier im Bundestag, (C) che des Deutschen Bundestages noch immer zu den The- nicht in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundes- men stattfndet, die die Regierung vorgibt und nicht das tages. Parlament, ist unter den Mindestansprüchen, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) geordneten der CDU/CSU) Verlässlich kann und muss es in dem gemeinsamen, aber die ein selbstbewusstes Parlament für sich gelten lassen nicht immer präsenten Bewusstsein schlagen, dass eine muss. vitale Demokratie nicht daran zu erkennen ist, dass am Ende Mehrheiten entscheiden, sondern daran, dass auf (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Guter Mann!) dem Weg bis zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechte wahrnehmen können. Das wird auch dadurch nicht völlig ausgeglichen, dass es inzwischen immerhin gelungen ist, sicherzustellen, (Beifall im ganzen Hause) dass leibhaftige Mitglieder der Bundesregierung an der Dafür zu sorgen, ist die nicht immer einfache, aber nach Regierungsbefragung teilnehmen. meinem Verständnis vornehmste Aufgabe des Parla- (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der mentspräsidenten. SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- Umso dankbarer bin ich Ihnen, liebe Kolleginnen und SES 90/DIE GRÜNEN) Kollegen dieser wie der beiden vorhergehenden Legisla- turperioden, dass Sie mich gleich dreimal, für insgesamt Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem zwölf Jahre, in dieses Amt gewählt haben. Ich habe es Haus zweifellos immer wieder herausragende Debatten gerne, nach besten Kräften und gelegentlich auch mit ei- erlebt; aber bei selbstkritischer Betrachtung sollten wir nem gewissen Vergnügen ausgeübt, einräumen, dass in der Regel hier im Hause immer noch zu häufg geredet und zu wenig debattiert wird. (Heiterkeit) (Beifall im ganzen Hause) und ich empfnde es als Privileg meiner Biografe – neben dem Glück, in einem freien Lande zu leben –, meinem Wir beraten in jeder Legislaturperiode einige Hundert Land an dieser prominenten Stelle dienen zu können. Gesetzentwürfe; ich glaube, eher zu viele als zu wenige. (Beifall im ganzen Hause) (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Eine schönere, anspruchsvollere Aufgabe hätte es für (D) sowie der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜND- mich nicht geben können. Deswegen möchte ich mich NIS 90/DIE GRÜNEN]) bei allen bedanken, die mich dabei in diesen Jahren be- Dass wir gelegentlich offensichtlich Dringliches verta- gleitet und unterstützt haben: bei Ihnen, liebe Kollegin- gen und dafür weniger Wichtiges für dringlich erklären, nen und Kollegen, bei den Fraktionen, bei den Parteien, dazu fällt mir mindestens ein prominentes Beispiel ein, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundes- das ich jetzt nicht mehr ausdrücklich vortrage. tagsverwaltung, den vielen Unsichtbaren, ohne die die- ses Parlament nicht so leistungsfähig sein könnte, wie es Wir haben uns, meine Damen und Herren, liebe Kol- glücklicherweise ist, leginnen und Kollegen, von der Asylgesetzgebung in (Beifall im ganzen Hause) den 1990er-Jahren über die Föderalismusreformen bis hin zum kürzlich verabschiedeten neuen Länderfnanz- bei den Medien für mal diese und mal andere Berichter- ausgleich einen allzu großzügigen Umgang mit unserer stattungen Verfassung angewöhnt (Heiterkeit) (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) und insbesondere bei den Wählerinnen und Wählern. und sie häufger und immer umfangreicher, regelmäßig Vieles aus diesen Jahren wird mir und vermutlich all auch komplizierter verändert, als es ihrem überragenden denen, die dabei gewesen sind, ganz gewiss in Erinne- Rang und dem Respekt entspricht, den wir dem Gestal- rung bleiben: die erste Rede eines deutschen Papstes vor tungsanspruch künftiger Parlamente und ihrer Mehrhei- einem gewählten deutschen Parlament, ten schulden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der wollte (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- sogar auf Ihren Platz!) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- – auch das –, die denkwürdige gemeinsame Sitzung des NEN) Deutschen Bundestages mit der französischen Natio- Hier im Deutschen Bundestag schlägt das Herz der nalversammlung hier im Reichstagsgebäude aus Anlass Demokratie, des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrages – damals konn- te man gewissermaßen besichtigen, wie nahe wir uns (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem inzwischen sind und wie gründlich sich dieses Europa BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- verändert hat –, die großen Ansprachen zum Beispiel geordneten der LINKEN) des israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres oder Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25257

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) des damaligen polnischen Staatspräsidenten Bronislaw die Regel für die ganz große Mehrheit der heute auf die- (C) Komorowski zur Erinnerung an traumatische Ereignisse sem Globus lebenden Menschen. Viele Millionen Men- unserer gemeinsamen Geschichte, aber auch die Auftritte schen in aller Welt beneiden uns um die Einfussmög- von Navid Kermani und Wolf Biermann zum Geburtstag lichkeiten, die wir haben und die ihnen vorenthalten sind. des Grundgesetzes und zum Jahrestag des Mauerfalls, (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Autoritäre Regime brauchen kein bürgerschaftliches GRÜNEN] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na Engagement. Sie mögen es nicht, sie behindern es, und ja!) wenn es nicht anders geht, verbieten sie es. Die Demo- kratie braucht es. die sich jeweils auf ihre Weise von dem bei solchen Ge- legenheiten im Hohen Haus Erwarteten und Üblichen (Beifall im ganzen Hause) deutlich unterschieden. Und wir wissen aus noch nicht ganz so lange zurücklie- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der genden Phasen der deutschen Geschichte, dass auch De- CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- mokratien ausbluten können, dass sie ihre innere Kraft SES 90/DIE GRÜNEN) verlieren, wenn sie die Unterstützung der Menschen ver- Und dass mal den einen dies und mal den anderen jenes lieren, für die es sie gibt. Die Demokratie steht und fällt nicht nur gefallen hat, das war zugegebenermaßen ein- mit dem Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger. Das gepreist. ist die wichtigste Lektion, die ich in meinem politischen Leben gelernt habe, Ich weiß nicht, ob es kühn ist, nach dem Dank zum Schluss noch eine Bitte vorzutragen – oder am liebsten (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) gleich zwei. und dieser Einsicht und dieser Verantwortung werde ich (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) verpfichtet bleiben. In diesem Sinne bleiben wir ganz si- Zunächst an die Mitglieder des nächsten und künftiger cher miteinander verbunden. Bundestage: Bewahren Sie sich bitte, wenn eben mög- lich, die nach den Abstürzen unserer Geschichte mühsam Herzlichen Dank. errungene Fähigkeit und Bereitschaft, über den Wettbe- (Langanhaltender Beifall im ganzen Hause – werb der Parteien und Gruppen hinweg den Konsens der Die Anwesenden erheben sich) Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten für (B) noch wichtiger zu halten. – Herzlichen Dank. (D) (Lebhafter Beifall im ganzen Hause) Wir haben aber tatsächlich auch noch ein paar dienst- Ich habe in den vergangenen Jahren viele, viele Par- liche Angelegenheiten zu erledigen. Bevor ich zum Ernst lamente kennengelernt und erlebt, und wenn ich auf ir- der Dinge komme, habe ich noch einige Geburtstage zu gendetwas tatsächlich stolz bin, dann darauf, dass dieses erwähnen und dafür Gratulationen zu übermitteln. In der Parlament, mehr als irgendein anderes, das ich je erlebt parlamentarischen Sommerpause gab es einige beson- habe, bereit und in der Lage ist, wenn es wirklich wichtig ders zu erwähnende Geburtstage: Die Kollegin Karin ist, das gemeinsame Suchen und Vertreten gemeinsamer Binder und der Kollege Klaus Brähmig haben ihren Lösungen für noch wichtiger zu halten als den üblichen 60. Geburtstag gefeiert. Konkurrenzrefex. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- – Es sind noch ein paar mehr. – Der Parlamentarische geordneten der LINKEN) Staatssekretär Peter Bleser und der Kollege Axel Schäfer haben ihren 65. Geburtstag gefeiert. Ihren Es muss auch in Zukunft möglich sein, bei den ganz gro- 70. Geburtstag feierten die Kollegin Helga Kühn- ßen Problemen und Streitfragen, die polarisieren und das Mengel, der Kollege Günter Baumann und der Kollege Land zu spalten drohen, Mehrheiten in diesem Parlament Martin Patzelt. Schließlich hat der Kollege Hans-Peter zu suchen und zu fnden, die größer oder anders sind als Uhl seinen 73. Geburtstag gefeiert. Ihnen allen im Na- die Mehrheiten, über die eine jeweilige Koalition ohne- men des ganzen Hauses geballte gute Wünsche und alles hin verfügt. Gute für das neue Lebensjahr! Dann habe ich eine Bitte an die Wählerinnen und (Beifall) Wähler: Nehmen Sie bitte das Königsrecht aller Demo- kraten, in regelmäßigen Abständen selbst darüber befn- Für die ausgeschiedene Kollegin Sabine Sütterlin- den zu können, von wem sie regiert werden wollen, so Waack und den ausgeschiedenen Kollegen Alexander ernst, wie es ist. Funk sind der Kollege Thomas Jepsen und der Kollege (Beifall im ganzen Hause) Markus Uhl als Mitglieder des Deutschen Bundesta- ges nachgerückt. Wenn sie den Plenarsaal gefunden ha- Das ist für uns heute scheinbar eine Selbstverständlich- ben, keit; aber dieser Zustand ist, wie wir alle wissen, weder der Normalzustand der deutschen Geschichte, noch ist es (Heiterkeit) 25258 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) möchte ich sie im Namen aller Kolleginnen und Kolle- Ich knüpfe an die Aussage von Professor Lammert an, (C) gen herzlich begrüßen und für die übersichtliche verblei- der gesagt hat, wem Sie hier eigentlich verpfichtet sind: bende Zeit eine gute Zusammenarbeit wünschen. Ihrem Gewissen. Wenn Aufrüstung keine Gewissensfra- ge ist, dann weiß ich es auch nicht. Deswegen sollten wir (Heiterkeit und Beifall) darüber entscheiden. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach dem (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tagesordnungspunkt 1 mehrere Beschlussempfehlungen [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE des Petitionsausschusses ohne Debatte zu beraten. Von GRÜNEN]) der Frist für den Beginn der Beratungen soll abgewichen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstan- Zum Zweiten. Wie Sie alle wissen – auch das spielt ge- den? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. rade eine große Rolle in der Öffentlichkeit und im Wahl- kampf –, gibt es in Deutschland zahlreiche US-amerika- Bevor wir nun in die verabredete Tagesordnung ein- nische Atomwaffen. Wir alle wissen natürlich – Politik treten, müssen wir zwei Geschäftsordnungsanträge ist so schnelllebig in dieser Zeit; Sie kennen die Krisen behandeln. Die Fraktion Die Linke hat fristgerecht bean- in der Welt –: Wenn diese jemals zum Einsatz kommen tragt, die Tagesordnung um die Beratung ihres Antrages sollten, dann bliebe von Europa und Deutschland nichts auf der Drucksache 18/13481 mit dem Titel „Aufrüstung mehr übrig. Der Kalte Krieg ist zu Ende. Wir haben heu- ablehnen und Atomwaffen aus Deutschland abziehen“ te die Chance, mit einer Mehrheit hier im Parlament die zu erweitern und dies in Verbindung mit dem Tagesord- US-amerikanische Regierung aufzufordern, ihre Atom- nungspunkt 1 zu beraten. – Das Wort zur Geschäftsord- waffen endlich abzuziehen. Das wäre ein richtiges Zei- nung erhält Herr Korte. Bitte schön. chen. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will deutlich sagen: Heute gibt es die Chance, Nachdem alle wieder aus dem TV-Duell erwacht sind, eine historische Entscheidung in dieser Hinsicht zu tref- wollen wir heute vielleicht etwas wirklich Wichtiges ent- fen. Wie oft wurde darüber diskutiert? Was denken die scheiden. Wir wollen die Chance dazu an diesem letzten Wählerinnen und Wähler, wenn dies nicht geschieht, Sitzungstag nutzen. Deswegen möchte ich begründen, obwohl von den drei Parteien, die zusammen in der warum wir es für sinnvoll halten, unseren Antrag „Auf- Mehrheit sind, immer wieder gesagt wird: „Wir wollen rüstung ablehnen und Atomwaffen aus Deutschland ab- diese Atomwaffen hier nicht“? Wenn wir heute darüber ziehen“ heute aufzusetzen. entscheiden, würde das die Menschen mobilisieren und (B) motivieren. Das würde auch zeigen: Hier wird kontro- (D) (Beifall bei der LINKEN) vers gestritten. Sie wissen, die Bundesregierung plant massive Auf- Es gibt in diesem Parlament nun einmal folgende rüstungen im Verbund mit der NATO mit einem Volumen Konstellation: SPD, Linke und Grüne sind gegen die von rund 37 Milliarden Euro. Sie, die Sie jetzt alle in den US-Atomwaffen hier, CDU und CSU sind für die Atom- Wahlkreisen unterwegs sind, kennen die Situation in den waffen. Das ist doch eine übersichtliche politische Kon- Kommunen, Sie wissen, wie marode die Schulen und die stellation. Deswegen wäre es, auch für die anstehenden Kitas sind, wie unterfnanziert die Kommunen sind. Wir Wahlen, ein gutes Zeichen, wenn hier heute nach Über- sagen: Wir haben die Chance, diesen Aufrüstungswahn- zeugung abgestimmt und so Demokratie erlebbar und sinn heute hier zu stoppen und das Geld in die Zukunft spannend gemacht würde. unseres Landes zu stecken. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall bei der LINKEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das wäre ein gutes Zeichen für die Wählerinnen und NEN]) Wähler so kurz vor der Wahl. Wir wissen nicht, wie die Wahl ausgeht; keiner weiß Ich will begründen, warum es sinnvoll ist, das heute das. Wir wissen nicht, wie die Mehrheiten sein werden; hier zu entscheiden. Wenn die Aussagen stimmen, die das ist völlig unklar. Es kann übrigens auch sein, Frau gerade insbesondere von den Freunden von der SPD und Bundeskanzlerin, dass Sie nicht mehr Bundeskanzlerin den Grünen und natürlich von uns, den Linken, gemacht sein werden. werden, dann gibt es in diesem Hause heute offenbar eine (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Mehrheit, um gegen diesen Aufrüstungswahn ein Stopp- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Theo- zeichen zu setzen. retisch!) (Beifall bei der LINKEN) All das kann in einer Demokratie passieren. Um das zu Der Kollege Oppermann schließt eine Regierungsbetei- befördern und die Auseinandersetzungen, die es in die- ligung aus, wenn es diese Aufrüstung gibt. Eine solche sem Hause gibt, spannend zu machen, wäre es sinnvoll, Abstimmung jetzt, vor der Wahl, ist etwas, was die Poli- heute unseren Antrag aufzusetzen. Wenn SPD, Linke und tik wirklich spannend machen würde. Grüne zu ihren Worten stehen, dann können wir heute Taten folgen lassen. Das wäre eine verdammt gute Sache. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Klares Es würde die Demokratie stärken. Es würde übrigens Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün!) auch zeigen, dass wir unabhängig – auch von den Verei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25259

Jan Korte (A) nigten Staaten von Amerika – und souverän sind und hier sammenkommen. Aber jeder weiß, dass das, was wir (C) unsere eigene Politik machen. normalerweise mit solchen Anträgen machen, nicht mehr geschehen kann: eine Ausschussüberweisung und eine (Beifall bei der LINKEN) erneute Debatte im Bundestag. Sollten Sie es allerdings heute ablehnen, über diesen Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sprechen Sie Antrag kontrovers zu diskutieren, weil es dazu unter- in diesem Zusammenhang nicht von Glaubwürdigkeit. schiedliche Auffassungen gibt, dann haben Sie natürlich ein Problem mit Ihrer Glaubwürdigkeit, und zwar nicht (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) nur Sie. Vielmehr glaube ich, dass Sie damit die Glaub- würdigkeit der Politik insgesamt beschädigen würden. Machen Sie unseren Bundestag, der ein Arbeitsparlament ist, nicht schlechter, als er ist. (Zurufe von der SPD: Oh!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Lasst uns deswegen heute darüber streiten. Lasst ordneten der SPD) uns diesen Antrag aufsetzen und ein wichtiges Zeichen für Abrüstung und den längst überfälligen Abzug der Wir tun unsere Arbeit in den Ausschüssen, machen aber US-Atomwaffen aus der Bundesrepublik setzen. Das keine Klamauk-Hüftschüsse in der letzten Sekunde vor wäre doch eine wirkliche Motivation für die Wahl; denn der Bundestagswahl. dabei geht es endlich einmal um eine Sachfrage. Darüber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- können wir heute entscheiden. In diesem Sinne: Die Lin- neten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: ke stimmt zu. Setzen wir es auf. Streiten und entscheiden! Ganz schwach!) Danke. Drittens. Es gibt keine Eilbedürftigkeit. Diese Be- (Beifall bei der LINKEN) schlüsse sind nicht neu. Sie sind 2002 unter der Bun- deskanzlerschaft von Gerhard Schröder erstmalig in der NATO vereinbart worden, danach 2006 mit Außenminis- Präsident Dr. Norbert Lammert: ter Steinmeier und 2014 in Wales auf einem NATO-Gip- Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Johann fel erneut mit Außenminister Steinmeier. Sie sind also Wadephul das Wort. unter höchstrangiger Beteiligung der Sozialdemokra- ten – darauf darf ich hinweisen, liebe Freunde von der Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Koalitionspartei SPD – auf NATO-Ebene beschlossen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- worden; auch das soll hier einmal festgehalten werden. ren! Spätestens nachdem der Bundestagspräsident noch (Beifall bei der CDU/CSU) (B) einmal auf den Minderheitenschutz im Deutschen Bun- (D) destag hingewiesen hat, ist es notwendig, darzulegen, Diese Beschlüsse sind in das Weißbuch eingefossen. warum wir empfehlen, den Antrag heute nicht zu behan- Es handelt sich dabei übrigens – das hat der Wissen- deln. schaftliche Dienst bestätigt, und das ist eine Selbstver- ständlichkeit – um politische Aussagen und politische (Zuruf von der LINKEN: Sie sind ja keine Abmachungen im Rahmen der NATO, nicht um bilatera- Minderheit!) le mit den USA. Es wird ja in den letzten Wahlkampfwo- – Der Antrag wird ja von der Minderheit gestellt. chen der Eindruck erweckt, wir würden hier etwas tun, was die USA von uns verlangen. In dieser Wahlperiode hatte die Große Koalition eine sehr große Mehrheit von 80 Prozent der Abgeordneten. (Jan Korte [DIE LINKE]: Oh nein, Sie doch Wir haben das im Sinne dessen, was der Bundestagsprä- nicht!) sident gerade noch einmal betont hat, als Auftrag emp- Nein, das sind Vereinbarungen im Rahmen der NATO. funden, die Minderheitenrechte zu wahren. In dieser Gerade die von Ihnen oft nicht beachteten Staaten bei- Wahlperiode sind die Oppositionsrechte in großem Maße spielsweise des Baltikums legen größten Wert darauf, gestärkt worden. Darauf können wir stolz sein. Sie hat- dass diese Vereinbarungen eingehalten werden. Deswe- ten in dieser Wahlperiode jede Möglichkeit, Ihre Anträge gen ist Bündnistreue an dieser Stelle eine wichtige Sache, einzubringen und Ihre Untersuchungsausschüsse einzu- jedenfalls für die Union. setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Widerspruch bei der LINKEN) Es gibt überhaupt keinen Anlass, sich zu beklagen. Sie Vierter Punkt. Die Bundesregierung verfolgt eine um- hatten alle Möglichkeiten. Wenn Sie sie nach eigenem fassende und auf Nachhaltigkeit angelegte Außen- und Empfnden nicht vollständig genutzt haben, dann müssen Sicherheitspolitik, die zunächst auf Diplomatie setzt. Sie das mit sich selbst ausmachen. Was haben wir in dieser Legislaturperiode erlebt? Es kam durch die Bundeskanzlerin zur Eingrenzung des (Beifall bei der CDU/CSU) Ukraine-Konfikts im Normandie-Format, was zu den Minsker Beschlüssen geführt hat. Außenminister Gabriel Wir haben alles getan, was wir tun konnten. hat – trotz kurzer Amtszeit – auf der Arabischen Halb- Zweitens. Der Bundestagspräsident hat darauf hin- insel schon gezeigt, dass deutsche Diplomatie gefragt gewiesen: Es ist eine gute Sitte, dass wir, auch wenn ist. Dazu gehört auch die wirtschaftliche Zusammenar- Wahlen bevorstehen, noch einmal für eine Sitzung zu- beit. Bundesminister Dr. Müller hat das Thema Afrika 25260 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Dr. Johann Wadephul (A) in Deutschland präsent gemacht, es in der Bundespolitik ben, stimmt überhaupt nicht mit dem eingebrachten An- (C) verankert und mit dafür gesorgt, dass wir es mit Zahlen trag überein. hinterlegt haben; darauf können wir stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben also eine Sicherheits- und eine Außenpo- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fordern die litik, die auf Diplomatie fußen, die die wirtschaftliche Bundesregierung auf, die politische Erklärung eines Zusammenarbeit im Blick haben und in deren Rahmen 2‑Prozent-Ziels zurückzunehmen. Ich sage sehr selbstbe- unsere Soldatinnen und Soldaten gut gerüstet in die ge- wusst: Das kann die Bundesregierung vielleicht erklären, fährlichen Einsätze geschickt werden, meine sehr verehr- aber wir, das Parlament, beschließen über den Bundes- ten Damen und Herren. haushalt. Ich fnde, diesem Parlament steht das Selbst- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – bewusstsein, diese Frage im Zusammenhang mit dem Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nicht schicken, Haushalt zu besprechen, gut zu Gesicht. sondern zurückbringen ist wichtig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn wir über Atomwaffen reden, dann muss man der CDU/CSU) letztlich sagen: Das Schlimmste, was geschehen ist, war Ich kann Ihnen sagen: Nur eine starke SPD-Bundestags- leider die Annexion der Krim. fraktion kann mit dafür sorgen, dass eine solch ungeheu- (Jan Korte [DIE LINKE]: Ach ja?) erliche Steigerung nicht Realität wird, meine Damen und Herren. Wir alle kämpfen dafür, dass es weniger Atomwaffen gibt. (Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na, dann macht es doch!) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein, nicht alle!) Deswegen sage ich für meine Fraktion: Die Wahl ist klar. Auf der einen Seite steht eine Bundeskanzlerin und Aber es war wirklich bedrückend, dass die Ukraine, der CDU-Vorsitzende, die sich dem 2‑Prozent-Diktat des im Budapester Memorandum ihre territoriale Integri- amerikanischen Präsidenten unterordnet tät zugesagt wurde, miterleben musste, dass Russland die Krim rechtswidrig annektiert hat. Dass Sie von der (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ Linksfraktion auf diesem Auge absolut blind sind, haben CSU: Oh! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ wir festgestellt. CSU]: Das haben doch Ihre Genossen verein- bart!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Sie hätten sich besser damals aufgeregt, als Ihre Vorsit- (B) Sie könnten aber etwas gegen Atomwaffen tun, nämlich zende dies erklärt hat; diese politische Debatte wäre auf (D) indem Sie an dieser Stelle zu einer klaren Position, auch Ihrem Parteitag notwendig gewesen –, gegenüber Russland, kämen. Ihren Antrag brauchen wir hier und heute nicht zu behandeln. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Rufen Sie einmal Herrn Steinmeier an!) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. und auf der anderen Seite steht Martin Schulz. Mit ihm (Beifall bei der CDU/CSU) an der Spitze – das sage ich Ihnen als Vertreter einer selbstbewussten Fraktion – werden wir den Aufrüstungs- Präsident Dr. Norbert Lammert: wahn dieser Bundesregierung nicht unterstützen. Ich will daran erinnern, dass der Sinn von Geschäfts- (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der ordnungsdebatten darin besteht, darzulegen, ob und wa- CDU/CSU) rum man eine Debatte führen oder nicht führen will, Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin weiß (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- vieles, aber sie sagt nicht alles. Am 28. Juni haben die KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- sozialdemokratischen Minister in einer Protokollnotiz er- NEN) klärt, dass sie den Entwurf des Finanzministers in dieser nicht aber darin, die Debatte stellvertretend selber zu be- Frage nicht unterstützen. Ich fnde, das muss in diesem ginnen. Parlament auch einmal gesagt werden, und Sie sollten das wissen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN) Die Linken sagen, wir müssten Verhandlungen mit Der Kollege Mützenich ist der nächste Redner für die den USA aufnehmen. Wir sagen Ihnen sehr eindeutig: SPD-Fraktion. Auch diese Forderung wird längst erfüllt. Denn es war der Außenminister Frank-Walter Steinmeier, (Beifall bei der SPD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Dr. Rolf Mützenich (SPD): das 2-Prozent-Ziel vereinbart hat!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und der innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusam- Kollegen! Ihr Antrag ist unseriös und schludrig erarbei- menarbeit in Europa eine Verhandlungsrunde auch mit tet. Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie eben erzählt ha- den USA über die konventionelle Abrüstung in Europa Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25261

Dr. Rolf Mützenich (A) eingeleitet hat, weil die Disparität in dieser Waffenkate- Fraktion sehr herzlich für die Zeit, in der Sie uns beglei- (C) gorie – das wissen Sie, und Sie sollten es irgendwann tet haben –, auch einmal sagen – es bisher verhindert hat, dass man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer Verabredung kommen konnte, wonach alle tak- und bei der LINKEN) tischen Atomwaffen aus Europa abgezogen werden kön- nen. Deswegen ist auch dieser Teil Ihres Antrages nicht können wir jetzt doch auch inhaltlich über diese so wich- realitätsgerecht und, wie ich fnde, unseriös. tige Frage diskutieren. Deshalb werden wir als Fraktion der Aufsetzung heute zustimmen. Wir sind der Meinung, dass dieser Antrag in die Fach- ausschüsse überwiesen und dort debattiert werden muss. Wir sind inhaltlich für ein atomwaffenfreies Deutsch- Am Ende muss in den Haushaltsberatungen hier im land und ein atomwaffenfreies Europa. Deutschen Bundestag über ihn abgestimmt werden; denn ( [SPD]: Wir auch!) das ist Ausdruck der Souveränität dieses Parlaments. Wir glauben, das ist der richtige Weg, und deswegen sind wir Dafür setzen wir uns ein. Darüber könnten wir unserer für die Überweisung. Auffassung nach heute und hier gerne diskutieren. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. NEN]: Das steht heute gar nicht zur Debatte!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In der Tat – alle Abgeordneten haben das angespro- chen –: Es legt sich wieder ein nuklearer Schatten über diese Welt – durch Nordkorea, aber insbesondere auch Präsident Dr. Norbert Lammert: durch einen fahrlässig daherredenden US-Präsidenten, Wir stimmen über den Geschäftsordnungsantrag ab. der diesen nuklearen Schatten verstärkt. Frau Bundes- Wer für die Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes ist, kanzlerin, ich fnde, es wäre aller Ehren wert, einem sol- den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- chen amerikanischen Präsidenten in der verbleibenden gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Aufsetzungsan- Amtszeit deutlich zu widersprechen. trag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Vielen Dank. Es gibt einen zweiten Antrag zur Erweiterung der Ta- gesordnung, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Beifall bei der SPD) ebenso fristgerecht gestellt hat. Die Fraktion wünscht, die erste Beratung ihres Gesetzentwurfes auf der Druck- sache 18/13426 zur Einführung von Gruppenverfahren (B) Präsident Dr. Norbert Lammert: im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 2 mit einer (D) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol- Debattenzeit von 38 Minuten aufzusetzen. legin Britta Haßelmann das Wort. Danach stimmen wir Dazu wird nicht das Wort gewünscht, sodass wir über über den Geschäftsordnungsantrag ab. diesen Geschäftsordnungsantrag sofort abstimmen kön- nen. Wer stimmt diesem Aufsetzungsantrag zu? – Wer Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stimmt dagegen? – Bei gleichen Mehrheiten ist auch die- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ser Aufsetzungsantrag abgelehnt. Kollegen! Wir stimmen heute der Aufsetzung des An- Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1: trages der Linken zu. – Herr Mützenich, es geht nicht darum, ob wir den Antrag heute überweisen oder direkt Vereinbarte Debatte über ihn abstimmen, sondern bei der folgenden Abstim- zur Situation in Deutschland mung geht es ausschließlich darum, ob wir der Aufset- zung einer Debatte zum Thema Atomwaffenfreiheit hier Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für im Deutschen Bundestag zustimmen oder nicht. diese Aussprache 180 Minuten, also drei Stunden, vorge- sehen. – Das ist offenkundig einvernehmlich. Also kön- (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist sehr for- nen wir so verfahren. mell!) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Danach können wir ja inhaltlich debattieren. Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir führen jetzt hier zwar eine Geschäftsordnungsde- batte, aber sowohl die Rede des Vertreters der SPD als auch die Rede des Vertreters der CDU/CSU haben ge- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: zeigt, dass es genug inhaltlichen Stoff gibt, über den wir Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! diskutieren sollten. Gestatten Sie, lieber Herr Präsident, dass ich Ihnen zu Beginn im Namen der Bundesregierung meinen herzli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen Dank übermittle; das ist mit dem Vizekanzler ab- und bei der LINKEN) gestimmt. Da wir heute sowieso zusammengekommen sind – wir (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und haben gerade Ihre letzte Rede als Bundestagspräsident der SPD sowie bei Abgeordneten der LIN- hören dürfen, Herr Dr. Lammert, und bedanken uns als KEN) 25262 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Wir haben Ihre Arbeit immer geschätzt. Wenn nötig, ha- Aber ich habe das Gefühl, dass wir wieder an einer (C) ben Sie uns den im Grundgesetz festgelegten Platz zuge- Schwelle zu einer neuen Etappe stehen. Diese hat ganz wiesen, und wir haben nach bestem Wissen und Gewis- wesentlich mit dem Treiber unserer heutigen Entwick- sen versucht, uns daran zu halten. lung zu tun: mit dem digitalen Fortschritt. Ich erinnere mich in den letzten drei Legislaturperio- Das, was wir zurzeit in der Automobilindustrie erle- den an dramatische Situationen, etwa in der weltweiten ben, zeigt – wie in einem Brennglas – die Summe der Finanzkrise, in der Euro-Krise und in der Flüchtlingskri- neuen Herausforderungen. Die Automobilindustrie ist se, als viele Flüchtlinge zu uns kamen. In diesen Krisen eine der Säulen des deutschen wirtschaftlichen Erfolgs. ist es Regierung und Parlament trotz großer Zeitnot und Die deutsche Automobilindustrie ist weltweit anerkannt. trotz drängendster Entscheidungen immer gelungen, in Die Produkte der deutschen Automobilindustrie verkör- einem guten Einvernehmen und bei einer schrittweisen pern das, was weltweit unter „Made in Germany“ ver- Stärkung der Rolle des Parlaments Lösungen zu fnden, standen wird. In der Automobilindustrie haben im Üb- die, glaube ich, für uns als Bundesrepublik Deutschland rigen 800 000 Menschen und mehr ihren Arbeitsplatz. richtig und gut waren, aber auch Lösungen zu fnden, die Diese Menschen haben sich nichts zuschulden kommen uns als verlässlichen Partner in Europa und in der Welt lassen; sie haben gut, sehr gut oder gar hervorragend ge- dargestellt haben. Dafür möchte ich von Herzen danken. arbeitet. Aber sie sind jetzt in der Gefahr, dass das, was an Vertrauensverlust durch die Führung von Automobil- Für mich war eine der emotionalsten Situationen, als konzernen entstanden ist, auf sie zurückschlägt. wir vor kurzem über den Bund-Länder-Finanzausgleich abgestimmt haben; im Gegensatz zum heutigen Tag war Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch die Bundesratsbank gut besetzt. Das waren wirklich Fehler beim Namen zu nennen, aber auch gleichzeitig schwierigste Verhandlungen, in denen es um die Fragen die Zukunft der deutschen Automobilindustrie sichern zu ging: Welche Rolle spielt der Bund? Welche Rolle spie- helfen. len die Länder? Dass dies trotz aller Kontroversen in ei- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der ner so guten Atmosphäre verhandelt werden konnte, LINKEN: Gesetzesverstöße!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war ein Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen – durch vernünf- emotionaler Moment?) tige Rahmenbedingungen, wie wir das auch mit der In- dustrie 4.0 in unserer Digitalen Agenda getan haben –, spricht für unser Land. Daran haben Sie, lieber Herr dass die Voraussetzungen für den Übergang der Pro- Lammert, lieber Norbert, einen ganz entscheidenden An- duktion in ein digitales Zeitalter geschaffen werden, in teil. Danke dafür! dem nicht nur die Menschen durch Smartphones vernetzt (B) sind, sondern in dem alle Gegenstände miteinander ver- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- netzt werden – das ist das Internet der Dinge –, damit die neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- Produktion auch weiter erfolgreich erfolgen kann. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden noch auf Jahre und Jahrzehnte Verbren- Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und nungsmotoren brauchen, und trotzdem werden wir Herren, wir haben in den letzten vier Jahren vieles er- gleichzeitig den Weg in eine neue Mobilität mit neuen reicht. Unbestritten geht es Deutschland in vielen Berei- Antrieben gehen müssen. Wir von der Christlich-Demo- chen gut. Aber wir dürfen uns auf diesen Erfolgen kei- kratischen Union und von der CSU sagen: nesfalls ausruhen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es spricht die (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha!) CDU-Vorsitzende, nicht die Bundeskanzle- rin!) Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Entwicklungsetappe stehen. Wir müssen Wir arbeiten nicht mit Verboten, sondern wir wollen sol- jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutsch- che Übergänge vernünftig ermöglichen, mit Blick auf die land auch in 10 oder 15 Jahren wirtschaftlich erfolgreich Beschäftigten und auf den technologischen Wandel. und sozial gerecht ist und noch mehr Menschen eine gute (Beifall bei der CDU/CSU) und sichere Arbeit haben. Ich bin überzeugt, dass dies auch der Ansatz der gesam- Wir haben eben den Blick auf die Zeit der deutschen ten Bundesregierung ist. Einheit zurückschweifen lassen. Seitdem sind 27 Jahre vergangen. Deutschland hatte Anfang der 90er-Jahre die Meine Damen und Herren, wir haben gestern seitens Kraft, die deutsche Einheit gut zu bewältigen. Ein Jahr- der Bundesregierung ein Gespräch mit den Kommunen zehnt später waren wir der kranke Mann Europas. Es gehabt, die unter Grenzwertüberschreitungen leiden und ist uns dann gelungen – ganz wesentlich mit der Agen- die von Fahrverboten bedroht sind. Ich sage ausdrücklich da 2010, die wir von CDU/CSU immer unterstützt ha- für die ganze Regierung: Wir werden alle Kraft darauf ben –, wieder die Kraft zu fnden, aufzuholen. Wir sind lenken, dass es zu solchen Verboten nicht kommt. heute Wachstumsmotor. Wir sind heute ein Land mit der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) höchsten Beschäftigungsquote, die wir jemals hatten, und in Europa erfahren wir dafür sehr viel Anerkennung. Wir müssen den Menschen, die sich im Übrigen im guten Glauben und von uns auch ermuntert Dieselautos (Beifall bei der CDU/CSU) gekauft haben, die Möglichkeit geben, dass sie diese Au- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25263

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) tos auch nutzen können. Im Übrigen ist es so, dass wir straffen müssen. Wir sind nicht in allen Bereichen Spitze (C) den Kauf von Dieselautos – davon gibt es etwa 15 Mil- weltweit, was den digitalen Fortschritt und die Einfüh- lionen in Deutschland – deshalb empfohlen haben, weil rung entsprechender Maßnahmen anbelangt. Wir haben dadurch CO2-Emissionen eingespart wurden. Gegen den im Bereich der Wirtschaft vieles erreicht, insbesondere Diesel vorzugehen, bedeutet gleichermaßen auch, gegen bei den großen Unternehmen. Die Bundesregierung hat die CO2-Ziele, die wir uns gesetzt haben, vorzugehen. mittelständischen Unternehmen viel Hilfestellung ge- Und das darf nicht passieren. geben. Sie hat in dieser Legislaturperiode die Start-ups gefördert, sodass wir sagen können: Wir stehen deutlich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) besser da als vor vier Jahren. Aber die Welt schläft nicht. Deshalb brauchen wir saubere Dieselautos, Die Welt entwickelt sich in rasantem Tempo. Deshalb wird es notwendig sein, hier weiterzuarbeiten. Wir haben (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: früher das MP3-Format erfunden. Wir haben den ersten So ein Quatsch!) Computer gebaut. Aber wir wollen als Deutschland nicht und wir brauchen den Übergang zu einer modernen Mo- im Technikmuseum enden, sondern wir wollen vorne da- bilität. bei sein, wenn es um die Entwicklung neuer Güter und neuer Produktionsmöglichkeiten geht. Da haben wir viel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht nicht (Beifall bei der CDU/CSU) wieder gut, dass in der Automobilindustrie unverzeihli- che Fehler vorgefallen sind. Deshalb können wir auch Das bedeutet auch, dass wir seitens des Staates und nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Aber das be- seitens der Verwaltung vorangehen müssen. Ich bin sehr rechtigt uns nicht, sozusagen die gesamte Branche ihrer dankbar, dass es im Rahmen der Verhandlungen zu den Zukunft zu berauben. Bund-Länder-Finanzbeziehungen möglich war, sich zu einigen und das Grundgesetz so zu ändern, dass Bund, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Länder und Kommunen ein gemeinsames Bürgerportal GRÜNEN]: Das Gegenteil ist der Fall! – erarbeiten werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen, Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dobrindt hat um das umzusetzen, sind von der Bundesregierung ge- sich vier Jahre nicht gekümmert!) schaffen worden. Wir haben uns einen Zeitraum von fünf Jetzt geht es darum, mit Maß und Mitte die richtigen Jahren vorgenommen, in dem wir das erreichen wollen. Wege zu fnden. Und dafür steht diese Bundesregierung, Wenn es zum Ende der nächsten Legislaturperiode ge- meine Damen und Herren, mit Blick auf die Beschäftig- schafft ist, wäre es noch besser. Die Bürgerinnen und (B) ten und die Wirtschaftskraft Deutschlands. Bürger müssen spüren, dass auch ihre Beziehung zum (D) Staat endlich dem digitalen Fortschritt entspricht. Da ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben wir gemeinsam noch sehr viel vor uns. Beim Thema Auto zeigen sich die großen Herausfor- derungen, denen wir entgegensehen. Ich nenne stich- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da hätte Herr wortartig nur die Bereiche „autonomes Fahren“ und de Maizière ja etwas tun können!) „neue Antriebe“, die wir technologieoffen fördern soll- – Die geschaffenen rechtlichen Voraussetzungen sind ten. Gleichzeitig gibt es große Herausforderungen hin- gut; Herr Heil, das wissen Sie auch. sichtlich des Klimaschutzes. Wenn wir Hochtechnologieland bleiben wollen, haben Wir werden dies alles natürlich auch mit Blick auf das wir die Aufgabe, Forschung und Entwicklung weiter zu Pariser Klimaschutzabkommen vom Dezember 2015 um- fördern. Die europäischen Staaten haben sich noch in zusetzen haben. Deshalb hat die Bundesregierung einen der Zeit von Bundeskanzler Schröder im Jahr 2000 vor- Klimaschutzplan vorgelegt. Es ist schon absehbar, dass genommen, dass jedes europäische Land 3 Prozent des in der nächsten Legislaturperiode, gleich im Jahre 2018, Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung dieser Klimaschutzplan spezifziert werden muss. Wie- ausgibt. der wollen wir das nicht gegen die Betroffenen machen, sondern im Gespräch mit den Betroffenen. Wenn wir ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zum Beispiel über Braunkohlegebiete sprechen und den NEN]: Und für Bildung?) Ausstieg fordern, ohne den Menschen in irgendeiner Weise eine Perspektive zu geben, dann fördert das nicht – Das heißt nicht, dass man für Bildung nichts ausgibt. die Bereitschaft, sich für den Klimaschutz einzusetzen, Das heißt einfach, dass man für Forschung und Entwick- sondern verhindert sie. Deshalb sind wir dafür, mit den lung 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgibt, und Betroffenen Alternativen zu erarbeiten und erst dann Ent- das ist auch richtig so. Wir freuen uns, dass wir 17 Jahre scheidungen zu treffen. Ich fnde, das sind wir den Men- später dies erreicht haben schen schuldig. So haben wir es im Übrigen auch bei der (Beifall bei der CDU/CSU) Steinkohle gemacht, um es einmal ganz klar zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) und eines der wenigen Länder in der Europäischen Union sind, die das geschafft haben. Allerdings müssen wir auch Wir haben mit der Digitalen Agenda vieles vorange- zur Kenntnis nehmen, dass es skandinavische Länder bracht. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode da gibt, die bereits 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansetzen müssen und manches noch beschleunigen und für Forschung und Entwicklung ausgeben, genauso wie 25264 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Südkorea und . Deshalb dürfen wir uns auch hier Wir haben gemeinsam eine Regierung gestellt. Wir (C) nicht ausruhen, sondern müssen das weiterentwickeln. haben uns im letzten Wahlkampf eine Lohnuntergrenze vorgenommen. Sie haben den einheitlichen Mindestlohn In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der angestrebt. Wir haben uns zum Schluss darauf geeinigt, Bund – die Bundesregierung und das Parlament haben dass wir den einheitlichen Mindestlohn einführen. Mil- dem zugestimmt – die BAföG-Zahlungen voll über- lionen von Menschen haben heute mehr in der Tasche, nimmt. und darüber können wir uns alle freuen. Auch die Fachar- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war nicht beiterinnen und Facharbeiter haben mehr. Die Reallöhne die CDU-Position! Das hat die SPD durch- sind gestiegen; das drückt sich auch in der Steigerung der gesetzt, Frau Bundeskanzlerin, gegen Ihren Renten aus. Willen! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Heil, der Wahlkampf fndet (Beifall bei der CDU/CSU) nicht hier statt! – Lachen bei der LINKEN und Ich glaube, darüber freuen sich viele Menschen in unse- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rem Land. – Herr Heil, ich achte sehr wohl die Zahl der Abgeord- Meine Damen und Herren, die vernetzte Welt, die sich neten Ihrer Fraktion. Aber gegen meinen Willen und den im digitalen Fortschritt zeigt, spiegelt sich natürlich auch Willen der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parla- in der Außenpolitik wider. Die Grenzen von Wirtschafts-, ment echt nichts durchsetzen. Das muss man jetzt einfach Finanz-, Handels- und Sicherheitspolitik verschwimmen akzeptieren. immer mehr; das sehen wir an vielen Krisenherden die- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dietmar ser Welt. Deshalb beschäftigt uns im Augenblick leider Bartsch [DIE LINKE]: Das hätten sie ge- natürlich in ganz besonderer Weise die Situation im asi- konnt, wenn sie gewollt hätten!) atischen Raum, wo die Nukleartests Nordkoreas eine fagrante Verletzung aller internationalen Gegebenheiten Vielleicht, Herr Heil, waren Ihre Argumente so gut, dass sind. Es ist richtig, dass der UN-Sicherheitsrat klare Po- sie mich überzeugt haben. Oder besser gesagt: Es waren sitionen bezieht. Ich sage ausdrücklich, auch im Namen die Argumente des Ersten Bürgermeisters , der ganzen Bundesregierung: Hier kann es nur eine fried- die mich schlussendlich überzeugt haben. Daran sehen liche diplomatische Lösung geben, für die wir allerdings Sie, wie gut ich zuhören kann, wie ich auf gute Argumen- mit allen Kräften eintreten müssen. te eingehen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der SPD) (B) Insofern ist es ein guter, gemeinsamer Erfolg von uns al- (D) len. Deshalb, meine Damen und Herren, habe ich am Sonntag mit dem französischen Präsidenten telefoniert. Hier haben wir viel Wert darauf gelegt, dass möglichst Der Bundesaußenminister ist im Kontakt mit seinem alle Länder die freiwerdenden Mittel anschließend wie- Kollegen. Es wird am Wochenende ein Außenminister- der für Bildung in den Hochschulen eingesetzt haben. Da treffen in Gymnich geben, wo wir über weitere Sankti- waren wir nicht vollständig erfolgreich. Aber für die uni- onen von europäischer Seite gegenüber Nordkorea bera- onsregierten Länder kann ich sagen: Da hat es so stattge- ten werden; das ist auch dringend erforderlich. Ich habe funden, und darauf sind wir stolz. darüber gestern mit dem südkoreanischen Präsidenten und auch mit dem amerikanischen Präsidenten Donald (Beifall bei der CDU/CSU) Trump gesprochen. Beide unterstützen diese europäi- Meine Damen und Herren, wir haben durch gute Wirt- schen Bemühungen außerordentlich. Die Tatsache, dass schaftspolitik, auch durch die Tatsache, dass wir vier Jah- Nordkorea eine gewisse Entfernung zu uns hat, sollte uns re lang keine Schulden gemacht haben, zeigen können, nicht davon abhalten, mit aller Entschiedenheit hier für dass solide Haushaltspolitik und Wirtschaftswachstum eine diplomatische Lösung einzutreten. Europa hat eine Hand in Hand gehen können, dass dadurch nachhaltiges wichtige Stimme in der Welt und muss diese Stimme in Wirtschaftswachstum entstehen kann. Die letzten vier dieser Situation nutzen. Jahre sind dadurch gekennzeichnet, dass der Wachstums- motor in Deutschland nicht mehr der Export ist, sondern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Binnenkonsum. Das sieht man auch an den Lohnstei- neten der SPD und der Abg. gerungen. [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weil Andrea GRÜNEN]) Nahles den Mindestlohn durchgesetzt hat!) Meine Damen und Herren, uns beschäftigt aus trauri- – Erstens sind Sie nachher noch an der Reihe. Und zwei- gem Anlass – zwölf deutsche Staatsbürger befnden sich tens: Freuen Sie sich doch mit uns oder mit mir. aus politischen Gründen in der Türkei in Haft – die Ent- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) wicklung in der Türkei in ganz besonderer Weise. Diese Entwicklung ist mehr als besorgniserregend. Die Türkei Ich kann überhaupt nicht verstehen, was Sie hier machen. verlässt immer mehr den Weg der Rechtsstaatlichkeit, Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten gar nichts gemacht und das zum Teil in einem sehr schnellen Tempo. Wir in dieser Regierung. Das wäre auch nicht schön gewesen. haben die Aufgabe – das Auswärtige Amt und wir alle Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25265

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) tun alles dafür –, die deutschen Staatsbürger freizube- Die gleiche Entschiedenheit, die wir im Umgang mit (C) kommen. der türkischen Regierung, mit dem Präsidenten haben, müssen wir auch haben, wenn es darum geht, den Blick Ich will exemplarisch Frau Tolu nennen, die mit einem auf die vielen zu haben, die in der Türkei mit der au- zweijährigen Kind im Gefängnis sitzt; auch ihr Mann be- genblicklichen politischen Entwicklung nicht zufrieden fndet sich in Untersuchungshaft. Ich kann genauso Deniz sind. Wir müssen den Blick auch auf die vielen tür- Yücel und Herrn Steudtner und andere nennen. Erstens kischstämmigen Bürgerinnen und Bürger der Bundesre- sollten wir niemanden von ihnen vergessen. Zweitens publik Deutschland haben, weil es unsere Bürgerinnen sollten wir allen die bestmögliche Betreuung zukommen und Bürger sind, auch auf diejenigen, die mit türkischer lassen. Drittens sollten wir auf allen Ebenen alles in unse- Staatsbürgerschaft seit langem hier leben. Sie tragen zum rer Macht Stehende versuchen – und zwar Tag für Tag –, Wohlstand unseres Landes bei. Wir dürfen sie nicht vor um diese Menschen, die nach unserer Überzeugung un- den Kopf stoßen. Wir müssen auch mit ihnen das Ge- schuldig in Untersuchungshaft sitzen, freizubekommen. spräch über die weiteren Entwicklungen führen; denn Ich glaube, das ist unser aller Anliegen. sie sind Teil unseres Landes, und das sollten wir ihnen (Beifall im ganzen Hause) auch deutlich machen. Insofern ist es eine sehr verant- wortungsvolle Aufgabe, die vor uns liegt und der wir uns Dieser Umgang mit deutschen Staatsbürgern, aber natürlich stellen werden. auch die Gesamtsituation in der Türkei veranlassen uns natürlich, darüber nachzudenken, wie wir die Beziehun- Meine Damen und Herren, ein Weiteres, in dem sich gen zur Türkei neu ordnen. Die Bundesregierung hat auch wieder symbolhaft die Situation, die globalen He- erste Schritte unternommen; das hat der Bundesaußen- rausforderungen spiegeln, das ist die Lage der Flücht- minister anlässlich der Verhaftung von Herrn Steudtner linge weltweit. Hier haben wir vieles unternommen. ausführlich dargelegt. Wir haben die estnische Präsident- Ich will darauf heute im Einzelfall nicht eingehen, will schaft gebeten, in den nächsten Monaten, solange die Si- allerdings sagen, dass mir die Partnerschaft mit Afrika tuation so ist, keinerlei Verhandlungen über eine Erwei- besonders wichtig ist. Wir haben jüngst mit dem italie- terung der Zollunion auf die Tagesordnung zu setzen; das nischen und dem spanischen Premierminister sowie dem schließt sich aus. Wir werden auch über die zukünftigen französischen Präsidenten über die Partnerschaft mit der Beziehungen zur Türkei beraten – ich werde dazu vor- Einheitsregierung in Libyen, über die Partnerschaft mit schlagen, dass das im Oktober auf dem Europäischen Rat Niger, über die Zusammenarbeit mit Tschad und anderen stattfndet –, eingeschlossen auch die Frage, die Verhand- afrikanischen Ländern gesprochen. lungen zu suspendieren oder zu beenden. Hierzu braucht (Zuruf von der LINKEN) man Mehrheiten in Europa. Dies ist ein Vorgang, der na- (B) (D) türlich entschieden, aber auch wohlbedacht durchgeführt – Ich habe nicht behauptet, dass es sich um eine Demo- werden sollte. kratie nach unserem Vorbild handelt. Trotzdem müssen Die Beziehungen zur Türkei sind strategischer Na- wir mit diesen Ländern reden. tur. Wenige Tage bevor ich Bundeskanzlerin wurde, (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. am 3./4. Oktober 2005, sind durch meinen Vorgänger Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gerhard Schröder die Beitrittsverhandlungen mit der NEN] – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE Türkei aufgenommen worden. Dem ging ein langer LINKE]) Diskussionsprozess voraus; die Grundentscheidung war schon Ende 2004 gefallen. Wir von der Unionsfraktion Es hat keinen Sinn, zu glauben, dass durch simple Ver- waren immer skeptisch oder dagegen, diese Beitrittsver- urteilung im Deutschen Bundestag die Welt sich zum handlungen aufzunehmen. Besseren ändert, sondern wir müssen Menschen im Blick haben: ( [Aachen] [SPD]: Kohl aber dafür!) (Zuruf von der LINKEN) Ich habe dennoch im Sinne einer großen außenpoliti- Menschen, die durch die Sahara fiehen, Menschen, die schen Kontinuität – pacta sunt servanda – immer diese durch Niger gehen, Menschen, die nach Libyen kommen. Verhandlungen geführt. Wir haben Kapitel eröffnet. Wir All diese Länder sind sicherlich nicht Demokratien, wie haben seit langem keine Kapitel mehr geschlossen. Die wir sie uns vorstellen, und trotzdem müssen wir mit die- Beziehungen zur Türkei sind von großer Bedeutung. sen Ländern reden und Partnerschaft mit ihnen aufbauen. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel entschieden vorgehen, dass wir aber mit unseren euro- [DIE LINKE]: Aber keine Milizen trainieren!) päischen Partnern vorgehen und darüber sprechen; denn nichts wäre erstaunlicher, als wenn wir uns in Europa Meine Damen und Herren, wir werden am Jahresende über die Frage des zukünftigen Umgangs mit der Türkei einen EU-Afrika-Gipfel haben, und auf diesem EU-Af- vor den Augen des Präsidenten Erdogan öffentlich zer- rika-Gipfel werden die Weichen für mehr fairen Handel streiten. Das würde Europas Position dramatisch schwä- mit Afrika und für mehr wirtschaftliche Entwicklung in chen. Davon kann ich uns nur abraten. Afrika gestellt werden müssen – (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie haben gar NIS 90/DIE GRÜNEN) nichts gemacht bisher!) 25266 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) so wie Wolfgang Schäuble das mit seinem Compact über Blauhelmeinsätze und Hilfe für andere Länder, zum (C) with Africa im Rahmen der G-20-Präsidentschaft vor- Beispiel bei der Ausrüstung und beim Training von Sol- geschlagen hat; darauf zielen auch viele Initiativen der datinnen und Soldaten. Wirtschaftsministerin und anderer Minister, die von uns eingeleitet wurden. Insofern gibt es in der gesamten Bun- Dann habe ich zu meiner Nicht-Freude gehört, desregierung eine sehr vernetzte Zusammenarbeit, um diesen afrikanischen Ländern zu helfen. (Thomas Oppermann [SPD]: Nicht-Freude!) Meine Damen und Herren, wenn es um Sicherheit in dass dieses Ziel nicht mehr akzeptiert wird. Dann habe der Welt geht, dann spielt natürlich auch das Thema Ver- ich, diesmal zu meiner Freude, gehört, dass der Kanzler- teidigung eine Rolle. Wir hatten hierzu heute Morgen ja kandidat der Sozialdemokratischen Partei sich bei seinen schon eine bemerkenswerte Diskussion. Deshalb möchte Experten für Verteidigung Rat gesucht hat, zum Beispiel ich dazu auch etwas sagen. bei , und dass der ihm empfohlen hat, dass Im Jahre 2002 hat die NATO beschlossen, dass neue man pro Jahr 3 bis 5 Milliarden Euro mehr für die Bun- Mitgliedstaaten nur dann in die NATO aufgenommen deswehr einsetzen sollte. Da habe ich meine mathemati- werden, wenn sie sich vorher verpfichten, bereits im schen Fähigkeiten zusammengenommen Zuge des Membership Action Plans, also vor dem eigent- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ lichen Beitritt, 2 Prozent ihres Budgets für die Verteidi- CSU – Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) gung auszugeben. Dies blieb natürlich nicht ohne Folgen für die Diskussion über die Höhe der Verteidigungsaus- und habe mir gedacht: Wenn es 3 Milliarden sind, be- gaben der bereits langjährig der NATO angehörenden wegen wir uns schnell in Richtung 2-Prozent-Ziel. Wenn Mitgliedstaaten. Deshalb haben die Verteidigungsminis- es 5 Milliarden sind, haben wir das 2-Prozent-Ziel wahr- ter 2006 diesen Beschluss wiederholt, deshalb spielt es scheinlich 2024 erreicht. – Also: kein Problem, kein Dis- seitdem eine zentrale Rolle. Und in der gesamten Amts- sens. Ich bin froh und hoffe, dass das Wort des Kanzler- zeit des amerikanischen Präsidenten Barack Obama gab kandidaten Martin Schulz gilt. es ein immer wiederkehrendes Thema, und das hieß: Ihr Deutsche könnt nicht davon ausgehen, dass auf Dauer (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) andere für euch ein Stück Sicherheit schaffen, ohne dass ihr den Anstrengungen, zu denen wir uns gemeinsam Um die Quelle zu nennen, Herr Heil: Es war beim Forum verpfichtet haben, folgt. von Deutschlandfunk und Phoenix. – Da wurde darü- (Dr. [DIE LINKE]: Sicher- ber hinaus noch behauptet, ich wolle 30 Milliarden Euro mehr einsetzen, was von einem Jahr aufs andere ergeben (B) heit?) (D) hätte, dass wir das 2-Prozent-Ziel erfüllt hätten, was ja Daraufhin hat man sich dann in Wales – auch sehr nun – – Nur, damit alles klar ist. stark unter dem Eindruck des Ukraine-Konfikts – ent- schieden, zu sagen – und diese Position hat die Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) regierung gemeinsam getragen –: Auch die Länder, die das 2-Prozent-Ziel heute noch nicht einhalten – die neu- Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich nur noch en Mitgliedstaaten tun das ja weitestgehend –, sollen den kurz darauf hinweisen, weil meine Zeit nämlich so gut Richtwert 2 Prozent in Betracht ziehen und sollen sich wie vorbei ist, dass wir – – deshalb bis 2024 in Richtung von Verteidigungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des Budgets entwickeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der LINKEN: Schlimm genug!) NEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Dieses wiederum spiegelt sich wider in dem Weißbuch, Ein bisschen platt!) das von der gesamten Bundesregierung verabschiedet wurde, und zwar im Juli 2016. Das sind alles Beschlüs- – Ich meine meine Redezeit hier. Mein Gott, wie weit se, die vor der Wahl in den USA gefasst wurden, in der sind wir jetzt eigentlich schon gekommen? Leute, Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten kommt, es sind noch wenige Tage bis zur Wahl! Lassen von Amerika gewählt wurde. Sie uns diese erfolgreiche Regierungsarbeit wenigstens am heutigen Tage einigermaßen gelten lassen! Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU) nämlich wirklich eine Menge miteinander erreicht.

Meine Damen und Herren, wir haben dann moderate (Beifall bei der CDU/CSU) Erhöhungen des Verteidigungsetats vorgenommen, re- gelmäßig begleitet von Kommentaren unserer Verteidi- Wir haben eine Menge Unterschiede; das ist überhaupt gungsexperten sowohl aus der Fraktion der CDU/CSU keine Frage. Diese zeigen sich auch in den Regierungs- als auch aus der Fraktion der SPD, dass dies dringendst programmen; das ist auch keine Frage. Aber das, was wir notwendige Erhöhungen seien, allerdings immer noch geschafft haben, sollten wir den Menschen schon sagen. nicht ausreichende Erhöhungen, Und damit schließe ich. (Zuruf von der LINKEN: Aha!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. weil uns alleine schon die Ausrüstung der Bundeswehr in vielerlei Hinsicht fordert. Da rede ich noch gar nicht (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25267

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: in den letzten zehn Jahren – also genau in Ihrer Amtszeit, (C) Nächste Rednerin ist die Kollegin Sahra Wagenknecht Frau Merkel – mehr als verdoppelt hat. Ich fnde, mit so für die Fraktion Die Linke. einer Bilanz „Für gute Arbeit und gute Löhne.“ zu plaka- tieren, ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Wenn Sie gute Löhne wollen, dann hätten Sie doch Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! zwölf Jahre lang die Möglichkeit gehabt, den von Rot- Lieber Herr Dr. Lammert, als Erstes möchte ich Ihnen, Grün unter Gerhard Schröder geschaffenen Niedrig- natürlich auch im Namen meiner Fraktion, unsere Aner- lohnsektor wieder einzudämmen. Sie hätten doch unsere kennung und unseren Dank für Ihre faire Amtsführung Vorschläge umsetzen können, grundlose Befristungen aussprechen. Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles zu verbieten und der Lohndrückerei über Leiharbeit und Gute. Werkverträge die gesetzliche Grundlage zu entziehen. Sie hätten dafür sorgen können, dass der Mindestlohn (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mehr ist als ein Armutslohn, den der Steuerzahler mit neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE 10 Milliarden Euro an Aufstockerleistungen jedes Jahr GRÜNEN) subventionieren muss. Der französische Präsident Macron ist bekanntlich mit der Bewegung La République en Marche an die Macht (Beifall bei der LINKEN) gekommen. Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, eine Wahl- Aber nichts davon haben Sie getan. Stattdessen erzäh- plattform gründen würden, müsste die wohl eher „La Ré- len Sie uns gemeinsam mit der SPD das Märchen, die publique en transe“ heißen. Wer in Trance ist, der nimmt Agenda-2010-Gesetze hätten die Arbeitslosigkeit dra- bekanntlich die Realität nur noch sehr eingeschränkt matisch verringert. Der Wirtschaftsweise Peter Bofnger wahr, und der neigt ab und an zu anlassloser Euphorie. hat Ihnen daraufhin zu Recht „ökonomische Ignoranz“ (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) vorgeworfen. Einlullend, inhaltsleer, demobilisierend – so beschrei- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ben viele Journalisten Ihren Wahlkampf, Frau Bundes- „Familien sollen es kinderleichter haben.“, lese ich kanzlerin. Dass Sie in einer Zeit, in der auch im reichen auf Ihren Plakaten. Wunderbar! Warum haben Sie denn Deutschland unzählige ungelöste Probleme den Wohl- nichts daran geändert, dass Kinder das Armutsrisiko stand der Bürgerinnen und Bürger bedrohen, in einer Zeit Nummer eins in diesem Land sind? Warum lassen Sie großer weltpolitischer Gefahren versuchen, mit einem (B) es seit Jahren zu, dass steigende Mieten gerade Familien (D) Schönwetter-Wohlfühl-Wahlkampf eine demokratische aus den Innenstädten vertreiben, weil sie schlicht keine Debatte über die Lösung dieser Probleme von vornhe­ bezahlbare Wohnung mehr fnden können? Und warum rein zu verhindern, das fnden wir – ich glaube, nicht nur stört es Sie nicht, dass bundesweit 350 000 Kitaplätze wir – wirklich empörend. fehlen und viele Kinder in maroden Schulen lernen müs- (Beifall bei der LINKEN) sen, wo wegen chronischen Lehrermangels noch nicht einmal der Schulstoff geschafft wird? Sie erzählen den Leuten, Deutschland ginge es so gut wie nie zuvor. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist Natürlich wissen auch wir, dass Bildung Ländersache doch wahr!) ist. Wir wissen aber auch, dass die Finanzen, die die Län- der zur Verfügung haben, von der Steuerpolitik des Bun- Wer aus der Trance aufwacht, der stellt fest: Nach den des abhängen und dass Ihre Steuerpolitik, Frau Merkel, Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung immer darauf hinauslief, die Mittelschicht zu belasten, haben heute sage und schreibe 40 Prozent der Bevölke- aber Konzerne und Superreiche steuerlich zu schonen. rung in Deutschland weniger Einkommen als Ende der 90er-Jahre. Gehört für Sie fast die Hälfte der Bevölke- (Beifall bei der LINKEN) rung nicht zu Deutschland? Was ist denn das für eine So hat man auf die Milliardeneinnahmen verzichtet, die Anmaßung! man aber braucht, wenn man gute Bildung, gute Pfege (Beifall bei der LINKEN) und eine gute Gesundheitsversorgung fnanzieren will. Da plakatiert die Union allen Ernstes: „Für gute Ar- „Für Sicherheit und Ordnung.“ werben Sie auf Ihren beit und gute Löhne.“ Ja, es gibt in Deutschland viele Plakaten. Was ist das für eine Ordnung, in der Großbe- erfolgreiche Unternehmen. Es gibt hochqualifzier- trüger in Banken und Konzernen immer wieder damit te Arbeitskräfte, und es gibt zum Glück auch viele gut durchkommen, die Allgemeinheit massiv zu schädigen, bezahlte Arbeitsplätze; aber das war früher auch schon ohne für die Folgen zur Verantwortung gezogen zu wer- so. Neu ist, dass selbst im Wirtschaftsboom immer mehr den? ungesicherte, schlecht bezahlte Jobs entstanden sind und (Beifall bei der LINKEN) dass sich inzwischen sogar die Bundesbank angesichts der schwachen Lohnentwicklung in Deutschland Sorgen Das jüngste Beispiel dafür ist doch der Dieselskandal. macht. Neu ist, dass sich der Anteil derer, die trotz Arbeit Ich fnde, es ist wirklich blamabel, dass die Große Koali- ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle beziehen, tion nicht das Rückgrat hat, Autobauer, die in den letzten 25268 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Dr. Sahra Wagenknecht (A) fünf Jahren 111 Milliarden Euro Gewinn gemacht haben, und wenn man insbesondere die Unterschiede zwischen (C) zur Nachrüstung der Motoren zu verpfichten. SPD und CDU wirklich mit der Lupe suchen muss. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rufe von der CDU/CSU und der SPD) Auch mit Ihrer Außenpolitik haben Sie die Sicher- Das wurde ja beim Kanzlerduell, das alles andere als ein heit in unserem Land nicht erhöht. Im Gegenteil: Sie Duell war, mehr als deutlich. haben die gute Tradition der Entspannungspolitik auf- (Beifall bei der LINKEN – Christine gegeben und sich – anders als Ihre Vorgänger Willy Lambrecht [SPD]: Sie waren aber auch ganz Brandt, Helmut Schmidt, und auch Gerhard nahe bei der AfD!) Schröder – von den USA in eine Konfrontationspolitik gegenüber Russland Wie groß die Sehnsucht nach einem Wechsel tatsäch- lich ist, das konnte man, denke ich, nach der Nominie- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: rung von Martin Schulz erleben. Warum sind denn die Freundschaft!) Umfragewerte der SPD damals so nach oben gegangen? Weil viele Menschen die Hoffnung hatten, die SPD wür- hineintreiben lassen, die unsere Sicherheit gefährdet und de mit dem neuen Kanzlerkandidaten auch ihre Politik unsere Wirtschaft schädigt. verändern, sie würde wieder eine sozialdemokratische Partei werden. Und das hat ihre Umfragewerte hochge- (Beifall bei der LINKEN) trieben. Aber danach haben Sie wirklich alles dafür ge- Herr Lammert hat vorhin an die deutsche Wiederver- tan, diese Hoffnung zu zerstören. einigung erinnert. Es hatte doch auch einiges mit Ent- (Beifall bei der LINKEN) scheidungen in Moskau zu tun, dass das alles auf diese Art so friedlich geschehen konnte. Dazu muss ich sagen: Wer an Leiharbeit, an Niedrig- löhnen, an Hartz IV überhaupt nichts mehr ändern will, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) wer sich nicht einmal traut, eine Vermögensteuer für Su- perreiche zu fordern, der sollte wirklich aufhören, von Frau Merkel, Sie haben unsere Soldaten immer wie- sozialer Gerechtigkeit zu reden. der in neue gefährliche Kriege geschickt, obwohl wir seit dem Beginn des Krieges in Afghanistan erleben – ich er- (Beifall bei der LINKEN) innere an Kunduz –, dass Bomben und zivile Opfer die „Damit die Rente nicht klein ist …“, das lese ich auf (B) Dschihadisten stärken und nicht schwächen. Gibt es Ih- SPD-Wahlplakaten, illustriert durch das Bild einer fröhli- (D) nen nicht zu denken, dass es 2001, vor Beginn des ersten chen Rentnerin. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der sogenannten Antiterrorkrieges, weltweit wenige Hun- SPD, meinen Sie wirklich, die Wähler haben vergessen, dert gefährliche islamistische Terroristen gab und dass dass die schlimmsten Rentenkürzungen unter Ihrer Ver- es heute Hunderttausende sind? Der „Islamische Staat“, antwortung stattgefunden haben, dass Sie mit der Absen- dessen Anschläge jetzt immer öfter auch Europa treffen, kung des Rentenniveaus, mit dem Riester-Betrug und mit ist doch das Produkt des verbrecherischen Irakkrieges, an der Rente erst ab 67 dafür gesorgt haben, dass die Renten dem Sie sich damals sogar noch beteiligen wollten. für viele verdammt klein geworden sind? Jeder sechste Rentner lebt heute unter der Armutsgrenze. Daran wol- (Beifall bei der LINKEN) len Sie noch nicht einmal etwas ändern. Der einzige Un- Während viele Menschen vor neuem Terror füchten, terschied zur Union ist, dass Sie die Rente nicht noch liefern Sie den Chefs der islamistischen Gefährder, den weiter kürzen wollen. Das ist wirklich eine hinreißende Kopf-ab-Diktatoren am Golf und dem türkischen Des- Alternative. Dabei können wir in unserem Nachbarland poten Erdogan unverändert Waffen und Kriegsgerät frei Österreich sehen, wie man den Menschen einen sorgen- Haus. Ich fnde, das ist wirklich überhaupt nicht akzep- freien Lebensabend ermöglichen kann. Dort zahlen alle tabel. in einen Rententopf ein: Selbstständige, Beamte und Po- litiker. Im Ergebnis bekommt ein Durchschnittsrentner (Beifall bei der LINKEN) 800 Euro mehr im Monat. Das wollen Sie den Menschen in unserem Land vorenthalten? Insoweit ist es auch Ihre Verantwortung, Frau Merkel, dass sich die Lebensunsicherheit und die Zukunftssorgen Bei der Außenpolitik würden wir uns natürlich darüber vieler Bürgerinnen und Bürger in den zurückliegenden freuen, wenn die Übernahme unserer Forderungen nach zwölf Jahren erheblich gesteigert haben. Und dennoch Abrüstung und nach einem Abzug der Atomwaffen aus soll es keine Wechselstimmung geben? Ich denke, es ist Deutschland durch Martin Schulz ernst gemeint gewe- eher so, dass die meisten Menschen die Hoffnung auf ei- sen wäre. Niemand braucht diese gefährlichen Waffen in nen echten Wechsel aufgegeben haben. Wo soll denn eine Deutschland. Niemand braucht weitere Aufrüstung. Das Wechselstimmung herkommen, wenn alle Parteien außer ist völlig richtig. Aber das, was Sie heute früh wieder hier der Linken signalisieren, dass sie eigentlich gar nichts abgezogen haben, zeigt doch, wie wenig ernst Sie das Grundlegendes ändern wollen, meinen, was Sie jetzt auf den Marktplätzen und auf den Straßen erzählen. Sie haben verhindert, dass ein Antrag (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von uns nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt wur- NEN) de, mit dem wir mit der jetzt noch vorhandenen Mehrheit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25269

Dr. Sahra Wagenknecht (A) im Bundestag genau das hätten beschließen können. Ich hier das Herz der Demokratie schlägt und dieses Haus (C) fnde das wirklich traurig. Auftraggeber und nicht Vollzugsorgan ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) So gesehen wäre es tatsächlich ungerecht, der Bun- Dass es dabei nicht nur steif und trocken zugehen muss, deskanzlerin die alleinige Verantwortung dafür zu geben, haben Sie in vielen launigen Bemerkungen und Reden dass dieser Wahlkampf in gepfegter Langeweile dahin- bewiesen. Dabei haben Sie manchmal selbst die Regie- plätschert. Wer hat denn die SPD daran gehindert, ein rungserklärung gleich miterledigt. Das hat nicht immer glaubwürdiges Alternativangebot zum Weiter-so-Wahl- alle in Ihrer Fraktion erfreut kampf der Kanzlerin zu unterbreiten? Sie haben es nicht (Jürgen Coße [SPD]: Aber uns!) getan. und Ihnen den Beinamen „der Unfehlbare“ eingebracht. (Thomas Oppermann [SPD]: Dann reden Sie einmal über Ihre Angebote!) ( [SPD]: Aber in Anfüh- rungszeichen!) Und damit sind Sie mitverantwortlich dafür, dass die Wählerinnen und Wähler wieder nicht zwischen alterna- Das mit dem Unfehlbaren würden wir so nicht unter- tiven Regierungen mit klar unterschiedenem Programm schreiben, aber fehlen werden Sie uns schon. entscheiden können. Das untergräbt tatsächlich die De- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mokratie. der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das NISSES 90/DIE GRÜNEN) ist doch Unsinn!) Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles erdenklich Gute. Wer sich ein Deutschland wünscht, in dem wirklich Meine Damen und Herren, diese Regierung hat in den alle gut und gerne leben können, ein Deutschland ohne letzten vier Jahren viel bewegt. Wir haben zahlreiche Niedriglöhne und Altersarmut, in dem Politiker sich Gesetze beschlossen, die das Leben vieler Menschen in nicht mehr von Konzernen kaufen lassen und Geld für diesem Land spürbar besser gemacht haben. Bildung statt für Panzer ausgegeben wird, der kann heute tatsächlich nur noch die Linke wählen. (Dr. h. c. [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Beifall bei der LINKEN) Wir haben den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt und Ich bin auch überzeugt: Nur ein Weckruf durch eine die Leih- und Zeitarbeit begrenzt. Wir haben eine Frau- deutlich gestärkte Linke kann vielleicht verhindern, dass (B) enquote für die Besetzung von Aufsichtsräten in großen (D) sich die SPD nach ihrer Wahlniederlage in der nächs- Unternehmen durchgesetzt, aber auch die Situation der ten Großen Koalition verkriecht – Herr Mützenich hat Alleinerziehenden deutlich verbessert. Wir haben die Martin Schulz schon einmal nur zum Fraktionsvorsitzen- Renten in Ost und West angeglichen, den gemacht; ich fand interessant, was Sie vorhin gesagt haben – und so der Union ein Zeitlosticket für die Fahrt (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein!) im Schlafwagen an die Macht verschafft. Wir wünschen und wir haben das erste Integrationsgesetz in der Ge- uns, dass sich das endlich verändert. schichte dieses Landes verabschiedet. Ich muss sagen: (Beifall bei der LINKEN) Ich bin stolz darauf, was wir gemeinsam erreicht haben. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber zur Wahrheit gehört auch: All diese Vorhaben Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege Thomas mussten von uns hart erkämpft werden, und zwar gegen Oppermann das Wort. die Kollegen und Kolleginnen von CDU und CSU, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- spruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Thomas Oppermann (SPD): Nissen [SPD]: Bei der Mietpreisbremse zum Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist die Beispiel!) voraussichtlich letzte Bundestagssitzung des Präsiden- und viel zu häufg auch gegen Sie selbst, Frau Merkel. ten, aber auch der Vizepräsidenten Johannes Singhammer und Edelgard Bulmahn. Ich möchte Ihnen, auch im Na- Ich räume ein: Nicht immer haben wir uns gegen Sie men meiner ganzen Fraktion, für viele Jahre souveräner durchsetzen können. Einige der Projekte, die mehr Ge- Sitzungsleitung ganz herzlich danken. rechtigkeit bringen sollten, haben Sie bis zur Unkennt- lichkeit beschädigt, zum Beispiel die Mietpreisbremse. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Sie, Frau Merkel, haben vor einigen Wochen beklagt, wie bei Abgeordneten der LINKEN und des dass die Mietpreisbremse nicht funktioniert, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Dr. Peter Tauber [CDU/ Lieber Norbert Lammert, Sie haben in drei Wahlpe- CSU]) rioden mit Witz, Ironie und Charme durch die Tages- ordnung geführt, dabei aber vor allem immer den Rang aber Sie haben nicht gesagt, warum sie nicht funktioniert. dieses Parlamentes verteidigt. Sie haben klargestellt, dass Das ist so, weil Sie als Bundeskanzlerin ganz persönlich 25270 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Thomas Oppermann (A) dafür gesorgt haben, dass es für die Vermieter heute ganz Frau Merkel, Sie sind jetzt 12 Jahre Bundeskanzlerin. (C) leicht ist, das Gesetz zu umgehen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Voll- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – zeit!) Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!) Deutschland als Industriemacht liegt bei der Übertra- gungsgeschwindigkeit im Internet weltweit auf Platz 25 Deshalb tragen Sie persönlich Mitverantwortung für vie- hinter Lettland, Rumänien und Bulgarien. Sie haben eben le unangemessene Mieterhöhungen in diesem Land. gesagt: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht im Tech- (Beifall bei der SPD) nikmuseum enden. Beim Thema Internet, Frau Merkel, müssen Sie aufpassen, dass Sie aus dem Technikmuseum Sie reden von Zusammenhalt, aber Ihr Handeln sieht herauskommen, in dem wir uns im Augenblick befnden. anders aus. Eine solidarische Mindestrente ist mit Ihnen nicht zu machen. (Beifall bei der SPD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hal- Sie haben dieses Zukunftsthema total verschlafen. lo?! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Völlig verschlafen haben Sie auch das Thema „digi- Da widerspricht sogar die Linke!) tale Bildung“. Es ist unfassbar, dass Bildungsministe- Sie lassen die Leute mit den kleinen Renten im Stich. rin Johanna Wanka erst ein 5‑Milliarden-Programm für Ich fnde: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der hat eine die Computerausstattung an den Schulen ankündigt und anständige Rente verdient. dann – ich kann es immer noch nicht glauben – einräu- men muss, dass sie vergessen hat, das Geld beim Finanz- (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald minister zu beantragen. So, Frau Merkel, verspielen Sie [DIE LINKE]: Ja, macht’s doch mal!) die Zukunft dieses Landes. Die Union ist nicht bereit, über ein Einwanderungs- (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: gesetz auch nur zu verhandeln. Stattdessen tragen Herr Peinlich! -Christine Lambrecht [SPD]: Un- Seehofer und Frau Merkel einen jahrelangen Streit über fassbar!) die Obergrenze aus. Ich sage Ihnen: Dieser Streit ist einer der Tiefpunkte der politischen Kultur in dieser Wahlpe- Sie reden von „Bildungsrepublik Deutschland“, aber riode. Sie weigern sich, mehr Geld in die Bildung zu inves- tieren, stattdessen verteidigen Sie das Kooperationsver- (Beifall bei der SPD) bot. Aber dieses Kooperationsverbot ist ein unseliger Sie haben verhindert, dass Arbeitnehmer das Recht Anachro­nismus und muss endlich abgeschafft werden. (B) (D) bekommen, von der Teilzeit in die Vollzeit zurückzukeh- (Beifall bei der SPD) ren. Es ist Ihre Verantwortung, dass Millionen Frauen in der Teilzeitfalle festsitzen. Wir wollen, dass der Bund mehr in Bildung inves- tiert: in Ganztagsschulen und in gebührenfreie Bildung (Beifall bei der SPD) von der Kita bis zur Meisterprüfung, und zwar fächen- Nicht zuletzt gilt das für die Öffnung der Ehe. Da ha- deckend; denn das ist eine Investition in Menschen, in ben Sie sich erst offen gezeigt, dann aber, als es darauf Werte, eine Investition in die Zukunft, aber auch in Ge- ankam, dagegengestimmt. So was kommt vor. Dumm ist rechtigkeit. Alle Kinder müssen unabhängig von ihrer nur, wenn das innerhalb einer Woche passiert; denn dann Herkunft oder von ihrem Wohnort die Chance auf einen merkt es jeder. guten Schulabschluss und eine gute Ausbildung in die- sem Lande haben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Deshalb, meine Damen und Herren: Dieses Land braucht keine Bundeskanzlerin, die nur sozialdemokratisch redet, Wir brauchen einheitliche Bildungsstandards überall dieses Land braucht einen Bundeskanzler, der sozialde- in Deutschland. Es kann doch nicht sein, dass der Um- mokratisch handelt. zug mit Kindern in ein anderes Bundesland regelmäßig in einem schulischen Chaos endet, weil jedes Land völlig (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer andere Lehrpläne und Standards hat. Diese Kleinstaaterei [CDU/CSU]: Dieses Land ist noch nicht reif auf dem Rücken von Eltern und Kindern muss endlich für einen Mann als Kanzlerin!) ein Ende haben. Deutschland hat eine starke Wirtschaft, aber das kam (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ nicht von selbst, und das bleibt auch nicht automatisch CSU]: Von Bremen sollte man nicht nach so. Da braucht man schon den Mut, die Zukunft zu ge- Sachsen umziehen!) stalten, und diesen Mut sehe ich bei Ihnen nicht. Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein wohl- (Lachen des Abg. Christian Freiherr von habendes Land, aber dieser Wohlstand kommt nicht bei Stetten [CDU/CSU]) allen an. Wir brauchen ein gerechteres Steuersystem. Seit Monaten bunkert Ihr Finanzminister Schäuble Deshalb wollen wir den Soli für kleine und mittlere 6 Milliarden Euro Überschuss aus 2016. Wir wollen die- Einkommen, für Normalverdiener sofort abschaffen. ses Geld für Investitionen zur Verfügung stellen, zum Finanzminister Schäuble will sich dafür zehn Jahre Zeit Beispiel für den Breitbandausbau. nehmen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25271

Thomas Oppermann (A) Wir wollen eine gerechte Finanzierung der Kranken- gerechnet haben, was passieren wird, wenn das Renten- (C) kassenbeiträge. Sie hingegen wollen an der ungerechten niveau auf 43 Prozent sinkt? Finanzierung der Zusatzbeiträge festhalten und damit die Kosten für den gesamten medizinischen Fortschritt allein (Zurufe von der SPD: Oh!) den Arbeitnehmern aufbürden; da war ja Bismarck schon Was Sie jetzt mit Ihrer sogenannten Stabilisierung des fortschrittlicher. Deshalb müssen die Arbeitgeber endlich Rentenniveaus vorschlagen, bedeutet nichts anderes, als wieder die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge zah- dass Sie die Rentenkürzungen der vergangenen 15 Jah- len. re festschreiben. Das wiederum bedeutet, dass ein Stan- dardrentner oder eine Eckrentnerin 139 Euro brutto im (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Matthias Monat weniger Rente hat, als sie haben könnten, wenn W. Birkwald [DIE LINKE] und Jürgen Trittin wir wieder ein Rentenniveau von 53 Prozent hätten. Das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wäre auch fnanzierbar. Sind Sie bereit, das zuzugeste- Aber am meisten hat mich erstaunt, wie Sie mit den hen? Dann bin ich auch bereit, zu konzedieren, Sorgen der Menschen um eine sichere Rente und der (Zurufe von der SPD) Angst vor Altersarmut umgehen, Frau Merkel. Sie haben gesagt, dass Sie da überhaupt nichts machen wollen. dass Sie wenigstens nicht den Unsinn der Union mitma- chen, das Rentenniveau weiter abzusenken. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Viel- leicht sollte man das auch Frau Nahles sagen!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber schon in wenigen Jahren wird das System der Ren- Thomas Oppermann (SPD): tenversicherung durch die Alterung der Gesellschaft in eine Schiefage geraten. Wenn wir nicht gegensteuern, Sehen Sie, durch unsere gute Arbeitsmarktpolitik ha- sinkt das Rentenniveau von 48 auf 43 Prozent. Sie wollen ben wir im Augenblick folgende Situation: Der Stand an der Rente bis zum Jahr 2030 nichts ändern. Sie wollen der Beschäftigung ist heute so hoch wie nie zuvor in nichts tun, wenn das Niveau absinkt, und Sie nehmen be- Deutschland. Die Zahl der Beitragszahler ist gestiegen. wusst steigende Beiträge in Kauf. Ich sage Ihnen: Das ist (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die eine Kampfansage an die jüngere Generation. LINKE gewandt: Das hat er vorhin vergessen (Beifall bei der SPD) zu erwähnen!) Dadurch haben wir ein Rentenniveau von 48 Prozent. Meine Damen und Herren, es gibt nur ein großes Ziel, Das ist ein relativ gutes Niveau. (B) für das CDU und CSU viel Geld ausgeben wollen. Dieses (D) Ziel heißt Aufrüstung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn die Linke nachfragt, ist es doch alles nicht so schlimm!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege Birkwald Wir sagen ganz klar: Wir wollen dieses Niveau stabili- eine Zwischenfrage stellen? sieren; aber das bedeutet eine Kraftanstrengung. (Dr. [DIE LINKE]: Na und?) (SPD): Thomas Oppermann Dazu müssen wir, wenn nicht gleichzeitig die Beiträge Ja. uferlos steigen sollen, einen steuerfnanzierten Demogra- fezuschuss in unsere Rentenversicherung einzahlen. Das ist das Konzept von Andrea Nahles: die doppelte Halte- Präsident Dr. Norbert Lammert: linie, für das Rentenniveau und für die Rentenbeiträge. Bitte schön. Das ist ein fairer Ausgleich zwischen den Generationen. Dafür arbeiten wir. Das ist die Politik der SPD. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD) Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Was Sie vorschlagen, sind völlig unrealistische Ver- Oppermann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie sprechen. haben gerade völlig korrekt dargestellt, dass, wenn es nach CDU und CSU geht, die zukünftigen Rentner im- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das stimmt mer weniger Rente bekommen werden und bald viele, doch nicht! Österreich!) viele Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, in die Nähe der Grundsicherung im Alter, also in die Nähe Sie stellen Summen in den Raum, die überhaupt nicht zu des Rentner-Hartz‑IV kommen werden. Sind Sie erstens fnanzieren sind. Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufga- bereit, zuzugestehen, dass Sie diese Regelung, nach der ben, und dann melden Sie sich wieder. das Rentenniveau bis 2030 auf bis zu 43 Prozent absin- (Beifall bei der SPD) ken darf, mitbeschlossen haben? Und sind Sie zweitens bereit, zuzugestehen, dass Sie Ihre jetzige Aussage, das Die Union will Geld für Aufrüstung ausgeben. Frau Rentenniveau solle bei 48 Prozent bleiben, nicht freiwil- Merkel, Sie wollen den deutschen Wehretat – das haben lig tätigen, sondern weil wir Linken immer wieder vor- Sie eben noch einmal bestätigt – bis zum Jahr 2024 von 25272 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Thomas Oppermann (A) heute 1,2 Prozent auf 2 Prozent anheben. Das wäre fast stört, in einer Zeit, in der Donald Trump den Rassismus (C) eine Verdoppelung der Militärausgaben. in den USA wieder hoffähig macht. Ich sage: In einer solchen Zeit müssen wir alles, aber auch wirklich alles (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der dafür tun, dass die Europäische Union zusammenbleibt, Beschluss ist von Herrn Steinmeier!) zusammenhält und die westlichen Werte verteidigt. Das bedeutete am Ende, dass Deutschland ab 2024 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 30 Milliarden Euro pro Jahr mehr für Waffen ausgeben der CDU/CSU) müsste. Donald Trump propagiert den Egoismus der Nationen. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Fragen Sie Amerika zuerst, Großbritannien zuerst – dieser Nationa- mal den Herrn Steinmeier!) lismus kann keine Grundlage für das friedliche Zusam- Ich sage: Das wäre die größte Aufrüstung, die Europa seit menleben der Völker im 21. Jahrhundert sein. Deshalb Jahrzehnten erlebt hat. Das, Frau Merkel, macht unser kämpfen wir für den Zusammenhalt der Europäischen Land nicht sicherer, sondern das wäre der unheilvolle Union. Beginn eines neuen Wettrüstens. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Nationalismus und Menschenverachtung gibt es auch Daran ändern auch Ihre mathematischen Rechenküns- bei uns. Wenn Alexander Gauland über unsere Staats- te nichts. Sie wollen sich der Aufrüstungspolitik von ministerin Aydan Özoğuz sagt, er wolle sie in Anatolien Donald Trump unterwerfen. Aber das wird Ihnen nichts entsorgen, nutzen. (Zuruf von der SPD: Widerlich!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn! Wie kann man das ernsthaft dann ist das ein unsäglicher Rassismus. behaupten?) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Denn dieser Bundestag hat diese 2 Prozent niemals be- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- schlossen. Ich sage Ihnen: Er wird sie auch nicht be- geordneten der CDU/CSU) schließen. Eine Partei, die so etwas sagt, ist keine Alternative; sie (Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans ist ganz klar eine Schande für Deutschland. Deshalb ist Michelbach [CDU/CSU]: Wider besseres es ein schwerer Fehler gewesen, dass die CDU in Sach- Wissen!) sen-Anhalt mit der AfD gemeinsame Sache gemacht hat. (B) Klar ist aber auch, dass wir deutlich mehr Geld ausgeben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) müssen, um die Bundeswehr bestmöglich auszurüsten. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Da besteht Nachholbedarf. GRÜNEN) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was Wir werden alles dafür tun, dass diese völkische Partei denn jetzt?) mit ihrem rassistischen Geist unser schönes Land nicht kaputt macht. Dafür muss Deutschland stark bleiben und In den letzten zwölf Jahren hat die Bundeswehr vier gerechter werden. Verteidigungsminister von CDU und CSU erlebt. Diese vier haben eines gemeinsam: Mit jedem Minister ist es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für die Bundeswehr schlimmer geworden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau von der Leyen hat noch einen draufgelegt und Cem Özdemir ist der nächste Redner für die Fraktion der ganzen Truppe pauschal ein Haltungsproblem be- Bündnis 90/Die Grünen. scheinigt. Eine der ersten Aufgaben der nächsten Bun- desregierung wird sein, einen gewaltigen Scherbenhau- Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fen beiseitezuräumen und der Bundeswehr wieder eine Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bessere Ausrüstung, mehr Personal und vor allem eine Kollegen! Präsident Erdogan der Republik Türkei wur- verlässliche politische Führung zu geben. de hier mehrmals genannt. Ich stelle mir die Frage: Hat (Beifall bei der SPD) dieser Mann den Titel „Präsident“ wirklich verdient? Ich habe noch gelernt, dass Präsident etwas mit Würde und Wir leben in einer Zeit, in der überall auf der Welt Po- Respekt zu tun hat. Ich habe den Eindruck, wir haben es pulisten und Autokraten unsere Werte einer offenen Ge- hier mit einem ganz normalen Geiselnehmer zu tun, der sellschaft und liberalen Demokratie angreifen, in einer deutsche Geiseln nimmt. Ich will für meine Partei und – Zeit, in der Wladimir Putin durch die Annexion der Krim das hoffe ich – für alle hier erklären: Die Bundesrepublik die europäische Friedensordnung infrage gestellt hat, Deutschland ist durch einen Geiselnehmer, der sich Prä- (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE sident nennt, nicht erpressbar. LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in einer Zeit, in der ein autokratischer Präsident Erdogan sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der den Rechtsstaat und die Demokratie in der Türkei zer- SPD und der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25273

Cem Özdemir (A) An die Adresse der Großen Koalition will ich sagen: Die Fähigkeit, Klartext zu sprechen, wäre gelegentlich (C) Hören Sie auf, zu prüfen, ob man Hermesbürgschaften auch in der deutschen Außenpolitik vonnöten. aussetzen kann! Hören Sie auf, zu prüfen, ob man die (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was passiert Zollunion nicht vielleicht doch ausweitet! Hören Sie auf, denn in Baden-Württemberg an den Schulen?) zu prüfen, ob man die Reisewarnungen vielleicht ver- schärfen sollte! Tun Sie es endlich! – Sie können gerne eine Frage stellen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) NEN]: Oh nein, lieber nicht!) denn dann verlängert sich meine Redezeit. Was muss dieser Erdogan denn noch machen, damit Sie endlich aufwachen und aufhören, mit ihm zu kuscheln? (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Deswe- Dies ist die einzige Sprache, die Erdogan versteht. gen stellen wir keine Frage!) Wenn wir alle miteinander noch einen Rest an Glaub- Klartext müsste man gelegentlich aber auch mit dem würdigkeit bewahren wollen – hier geht es nicht nur um einen oder anderen Konzernführer sprechen. In den letz- die Große Koalition, sondern auch um unser Land –, ten Jahren habe ich das Gefühl gehabt, dass es eine Part- dann erklären Sie bitte klar, dass wir uns eindeutig gegen nerschaft gab, die so aussah: Die einen tun so, als ob sie das Projekt von Rheinmetall, sich in der Türkei am Bau Grenzwerte einhalten würden, und die anderen tun so, einer Panzerfabrik zu beteiligen, stellen. als ob sie die Grenzwerte kontrollieren würden; dann hofft man, dass das unentdeckt bleibt und dass dieses (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geschäftsmodell immer weitergeht. Das Problem ist nur: sowie bei Abgeordneten der SPD und der In Amerika hat die Umweltbehörde kontrolliert und fest- LINKEN) gestellt, dass beim Diesel betrogen wurde. Ich sage Ihnen: Ihre Krokodilstränen für die deutschen Da haben deutsche Unternehmer nichts verloren, zu- Autofahrer können Sie sich wirklich sparen. Denn Sie mal in dieser Zeit. Für diejenigen, die es vielleicht nicht sind diejenigen, die durch Ihr Nichtstun Fahrverbote er- wissen – die Öffentlichkeit sollte das erfahren –: Der zwingen, meine Damen und Herren. Chef­obbyist für das Auslandsgeschäft von Rheinmetall ist kein Geringerer als der ehemalige Entwicklungshil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) feminister von der FDP, . Das sagt einiges Wenn Sie wirklich ein so großes Herz für die Dieselfah- darüber aus, was uns erwarten würde, wenn diese Partei rer haben, dann sagen Sie doch bitte einmal im Klartext: zusammen mit der CDU/CSU die nächste Bundesregie- Die Dieselfahrzeuge müssen sauber, nachprüfbar und f- (B) rung stellen sollte. (D) nanziert von der deutschen Automobilindustrie, die das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Problem schließlich verursacht hat, nachgerüstet werden. sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] – Dann hätten Sie ein Herz für die Dieselfahrer. Den Rest Jan Korte [DIE LINKE]: Oder mit euch!) können sich die Leute schenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will diese Gelegenheit nutzen, um auf eine Sache hinzuweisen, die uns alle umtreiben sollte. Zu mir kom- Sagen Sie bitte auch, dass wir dringend die blaue Pla- men in letzter Zeit viele Deutschtürken, die in Opposition kette brauchen, damit der Irrsinn aufhört, dass die Ge- zu Erdogan stehen, sich zum deutschen Grundgesetz be- richte bald einen Flickenteppich in Deutschland erzeugt kennen und sich fragen: Beschützt uns Deutschland vor haben werden, weil man in die eine Stadt hineinfahren dem langen Arm Erdogans? Darauf kann es – hoffent- darf, in die andere aber nicht. Wer in Deutschland Chaos lich – nur eine einzige klare, gemeinsame und parteiüber- haben will, der ist bei Ihnen gut aufgehoben. Wer will, greifende Antwort geben, die lautet: Der lange Arm dass der Diesel nachgerüstet wird und dass Mutter und Erdogans hat in der deutschen Innenpolitik nirgendwo – Vater, die ihre Kinder mit dem Diesel zur Schule fah- in keiner Moschee, in keinem türkischen Verein – etwas ren, nachher nicht diejenigen sind, die den Preis für Ihr verloren. Ich würde mir wünschen, dass diese Ansage Nichthandeln zahlen müssen, der ist bei uns besser auf- auch einmal von der Regierungsbank in dieser Deutlich- gehoben. keit gemacht würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist nicht nur das Thema Auto, bei dem Sie versa- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gen; bei der Mobilität geht es ja um ein bisschen mehr als SPD und der LINKEN – Heike Hänsel [DIE nur um das Auto. LINKE]: Was macht denn Kretschmann?) (Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: – Der ist in dieser Frage ja wohl mit am klarsten. Wenn Kretschmann!) Sie sich einmal informieren und nicht nur Russia Today Der Verkehrsminister ist auch für den öffentlichen Ver- schauen würden, wüssten Sie das. kehr zuständig. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und GRÜNEN]: Wo ist er eigentlich? Er ist ja der SPD) schon wieder nicht da!) 25274 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Cem Özdemir (A) Schauen wir uns doch einmal die Situation bei der Meine Damen, meine Herren, hier wurde das Thema (C) Rheintalbahn an. Normalerweise würde man in einem „Zukunft der Mobilität“ angesprochen. Wir kritisieren solchen Fall sagen: Schlimm genug, weil sie die wich- Sie doch nicht, um hier irgendjemanden zu ärgern. Frau tigste Nord-Süd-Verkehrsachse ist, aber dann fahren wir Merkel, ich habe Sie einmal nach China begleitet und auf Ausweichstrecken. – Das Problem ist nur: Die Aus- das doch schon mitbekommen: Ich nehme an, in den Ge- weichstrecken sind nicht elektrifziert. Vielleicht muss sprächen in der Volksrepublik China geht es auch darum, Herrn Dobrindt einmal jemand sagen, dass die Elektri- dass dort gerade mit staatlichen Subventionen in Milliar- fzierung der Eisenbahn schon erfunden ist. Wir sind im denhöhe ein riesiger Markt der Elektromobilität aufge- 21. Jahrhundert, Herr Dobrindt. Es wird Zeit, dass der baut wird. Wenn Sie in die USA gehen, dann sehen Sie: technische Fortschritt auch auf der Regierungsbank an- Dort wird das nicht mit staatlichen Geldern, sondern mit kommt. Risikokapital gemacht. Auch dort wird ein riesiger Markt der Elektromobilität aufgebaut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN sowie des Abg. [DIE Ja, wir haben vor 130 Jahren den Verbrennungsmotor LINKE]) erfunden, und wir sind stolz darauf. Wir haben damals eine großartige Erfndung gemacht. Das Problem ist nur: Ich kann Ihnen das Sündenregister von Herrn Dobrindt Es kann doch nicht sein, dass die wichtigste Innovation nicht ersparen: Dazu gehört die A 1. Die Rheintalbahn aus Deutschland der letzten Jahre die Sitzheizung war. habe ich schon genannt. Außerdem hat er die Deutsche Bahn systematisch unterfnanziert und so dafür gesorgt, (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass keine Ausweichstrecken existieren und Eisenbahn- NEN) strecken nicht elektrifziert wurden. Auch der fehlende Es ist Zeit, dass das nächste große Projekt ebenfalls aus Ausbau des Breitbandinternets ist hier zu nennen. Der Deutschland kommt. Ich will, dass das Elektroauto hier schlechteste Verkehrsminister, den dieses Land je hatte, in Deutschland gebaut wird. heißt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Wenn man Ihre Politik konsequent zu Ende denkt, LINKEN) dann wird Kaiser Wilhelm II. im Nachhinein doch noch recht behalten. Er hat damals, als das Auto aufkam, Ich sage das auch im Namen der Lehrerinnen und nämlich gesagt, dass das Auto, der Verbrennungsmotor, Lehrer, die versuchen, ihren Kindern in der Schule bei- keine Chance – ich zitiere sinngemäß – gegen die Pfer- zubringen, dass man sich anstrengen muss und dass sich dekutsche hat. Kaiser Wilhelm II. hatte unrecht. Kaiser (B) Leistung wieder lohnen muss – das sagen Sie doch ger- Wilhelm II. kann man aber gerade hier auf dieser Regie- (D) ne –: Ich fnde, Qualifkation darf künftig in Deutschland rungsbank bewundern; denn von dort heißt es, dass der kein Hinderungsgrund mehr sein, um Verkehrsminister Verbrennungsmotor noch hundert Jahre fahren wird. Wer zu werden. Das muss hier doch einmal deutlich werden. das sagt, der will das deutsche Auto im Museum bewun- Wenn wir unseren Kindern sagen, sie sollen feißig ler- dern. nen, dann kann es doch nicht sein, dass so einer bei uns Verkehrsminister wird. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will, dass Deutschland Automobilproduktions­ Wir haben es hier aber auch mit einer sozialpoliti- standort bleibt. Das wird nur gehen, wenn das Auto der schen Sauerei zu tun. Diejenigen, die sich im guten Glau- Zukunft emissionsfrei ist und in Deutschland, von unse- ben einen Diesel gekauft haben, werden die Zeche für Ihr ren deutschen Ingenieuren, hergestellt wird. Nichthandeln zahlen müssen, und diejenigen, die das mit eingebrockt haben, erhalten zum Teil 3 000 Euro – nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Monat, sondern am Tag. Wie wäre es denn einmal Meine Damen, meine Herren, zur Fairness im Wahl- damit, dass die, bitte schön, zur Kasse gebeten werden? kampf gehört, auch zu sagen: Wenn man den G‑20-Gip- Wie wäre es denn einmal damit, dass Sie Gruppenklagen fel mit Herrn Trump, Herrn Erdogan und Herrn Putin ge- einführen und den Geschädigten die Möglichkeit geben, sehen hat, dann erscheint die Bundeskanzlerin schon fast bis zum Jahresende eine Klage einzureichen? Das wäre wie eine Lichtgestalt. Das muss man zugeben, doch einmal eine praktische Tat und mehr als Rhetorik. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das wäre ein guter Schlusssatz gewesen! – sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das Sie machen das aber schon sehr geschickt. Chapeau, „fast“ hätten Sie weglassen müssen!) meine Damen und Herren! Herr Seehofer sagt, er will das wenn man das Trio Infernale dort gesehen hat. Vergnü- auch. Andere von der Großen Koalition sagen das auch. gungsteuerpfichtig war das sicher nicht. Sie verzögern das aber so lange, bis die Klagefristen zum Jahresende abgelaufen sind. „Hut ab“, kann man da Wenn Herr Trump seine Unterlagen zur Abwechslung nur sagen. Man muss sich erst einmal trauen, mit dieser einmal gelesen und sich vorbereitet hätte, dann hätte er Chuzpe Politik zu machen. die Bundesregierung und die Große Koalition aber sehr einfach auskontern können. Er hätte nämlich sagen kön- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen: Ich habe das Pariser Klimaschutzabkommen zwar Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25275

Cem Özdemir (A) gekündigt, aber was machen Sie? Sie unterschreiben Bundesrepublik Deutschland in einem großartigen Land. (C) es, und seit acht Jahren gehen die CO2-Emissionen in Dieses Land hat nichts mit der AfD zu tun. Deutschland nicht zurück. – Deutschland ist Weltmeister bei der Nutzung der Braunkohle. Diese Politik schadet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem schmelzenden Eis in der Arktis genauso wie die Po- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der litik von Herrn Trump. CDU/CSU und der LINKEN) Ich sage ganz bewusst als jemand, dessen Vorfahren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zwar nicht in der Bundesrepublik Deutschland geboren sowie bei Abgeordneten der LINKEN – sind, der aber selbst in Deutschland geboren ist und der Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn die Schwäbische Alb genauso seine Heimat nennt wie je- Sie den Diesel abschaffen, geht das noch der andere auch, der von dort kommt: Eine Partei, deren schneller!) Loyalität zu einem autoritären Herrscher wie Putin höher Nur, damit wir einmal Klartext darüber reden, was ist als deren Loyalität zum deutschen Grundgesetz, diese Regierung unter Hightech versteht: Wir reden hier (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: zum Teil über Kohlekraftwerke aus der Zeit von Sepp Meinen Sie Schröder?) Herberger. Für die, die es nicht mehr wissen: Er war ein- mal Fußballnationaltrainer in Deutschland. soll bitte schön nicht für sich in Anspruch nehmen, dass sie irgendetwas mit deutschen Tugenden zu tun hat, mei- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Oberlehrer!) ne Damen und Herren. – Herr Kauder, auch als Baden-Württemberger kann es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht Ihr Ernst sein, dass Kohlekraftwerke mit einem Volker Kauder [CDU/CSU]: Haben Sie Wirkungsgrad von 30 Prozent – das sollten Sie wissen – von Schröder gesprochen? – Dr. h. c. Hans unser Hightechprojekt sein sollen. Das können unsere Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie Schröder Ingenieure besser. Seien Sie nicht so ingenieursfeindlich! gemeint?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ent- Lammert! Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich wer- scheidend ist auf dem Platz!) de Ihren Scharfsinn und Ihren Humor sehr vermissen. Meine Damen, meine Herren, wir haben das TV-Du- Herzlichen Dank für Ihre kluge und zuweilen auch fröh- ell gesehen. Vielleicht sollte ich besser von einem „Duett liche Amtsführung. Ich hoffe, dass wir noch viel von Ih- mit Dissonanzen“ sprechen, die quasi in Stein gemei- nen hören werden. (B) ßelte Alternativlosigkeit. Aber es kann noch schlimmer Herzlichen Dank. (D) kommen als eine Große Koalition, nämlich wenn sich Schwarz und Gelb miteinander verbünden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Schwarz- der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Grün!) letzte Satz war sehr gut! – Michael Grosse- Dann kommen zu denjenigen, die schon jetzt nichts tun, Brömer [CDU/CSU]: Das mit der Kanzlerin noch welche, die die Reise nach hinten antreten wollen. und der Lichtgestalt war auch gut!) Die FDP hat einen Vorschlag gemacht – ich will fair sein –, wie man mit dem Problem der Dieselgrenzwerte Präsident Dr. Norbert Lammert: und mit den Stickoxiden in der Stadt umgehen soll. Sie Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ will einfach die Grenzwerte aufweichen. So kann man CSU-Fraktion. das natürlich auch machen. Eine einfache Lösung, aber halt auch eine sehr dumme Lösung, meine Damen und (Beifall bei der CDU/CSU) Herren! (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Volker Kauder Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Es scheint momentan so zu sein, als würde das Hohe Herren! Auch ich möchte zunächst dem Präsidenten im Haus am 24. September dieses Jahres durch den Einzug Namen meiner Fraktion herzlich danken. Wir haben ihn einer weiteren Fraktion einschneidend verändert werden. schon gestern in unserer Fraktionssitzung mit stehendem Ich will mich ausdrücklich dem Kollegen Oppermann Applaus gewürdigt. Ich glaube, man kann sagen: Dieser anschließen. Egal, wie man zu wem auch immer hier in Deutsche Bundestag kann wirklich stolz darauf sein, ei- diesem Haus und zu seinen Äußerungen steht: Ein Mit- nen solchen Präsidenten gewählt zu haben. glied dieses Hauses wird nicht in Anatolien entsorgt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) Lieber Norbert Lammert, wir wünschen alles Gute; Ich will auch für meine Fraktion klar sagen: Das Men- Gottes Segen begleite Sie. Ich bin ganz sicher: Wir wer- schenbild der AfD hat mit dem Menschenbild der Bun- den vom ehemaligen Präsidenten immer wieder etwas desrepublik Deutschland nichts zu tun. Wir leben in der hören. Vor allem wenn ihm wegen des einen oder ande- 25276 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Volker Kauder (A) ren die Hutschnur platzt – so kenne ich ihn –, wird er Was eine funktionierende Wirtschaft bedeutet, hat der (C) nicht schweigen können. Deswegen freuen wir uns na- Kollege Oppermann – allerdings erst auf Nachfrage aus türlich – die Sitzungen der CDU/CSU-Fraktion sind für der Fraktion Die Linke – erklärt. Ich kann nur den Kopf jeden ehemaligen Kollegen offen – über jeden Besuch. darüber schütteln, wie dort das eine oder andere diskutiert wird, zum Beispiel die Rente. Wir haben in der letzten (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Großen Koalition auf Vorschlag von Franz Müntefering DIE GRÜNEN]: Unsere auch!) ein Rentenkonzept bis zum Jahr 2030 entwickelt. Dass – Gut, wenn ich in Pension bin, dann komme ich einmal die SPD jetzt nicht immer dazu stehen will, wundert bei euch vorbei. mich nicht; denn sie will sich von allem verabschieden, was sie einmal gemacht hat, auch von den Dingen, die (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der richtig waren, was selten genug der Fall ist. CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber selbst von denen will sie sich verabschieden. Vielleicht gehen wir am besten zusammen hin, um Jetzt muss ich sagen: Ja, es ist ja richtig: Als Angela größere Zusammenstöße zu vermeiden. Merkel zum ersten Mal Bundeskanzlerin geworden ist, (Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ hat sie 5 Millionen Arbeitslose im Gepäck gehabt, die CSU]: Ich bringe euch dorthin!) sie geerbt hat. Heute sehen die Zahlen ganz anders aus. Das Ergebnis sieht man: Dass 44 Millionen Menschen beschäftigt sind und in die Sozialkassen einzahlen, führt Volker Kauder (CDU/CSU): dazu, dass wir eine Situation in unseren Sozialversiche- Das können wir einmal probieren. – Meine sehr ver- rungssystemen haben, wie wir sie schon lange nicht mehr ehrten Damen und Herren, wenn man heute auf unser hatten. Auch dies ist ein gutes Ergebnis unserer Regie- Land schaut, dann muss man zugeben, dass es wahr- rung. scheinlich kein einziges Land auf der Welt gibt, in dem Klar ist auch: Je mehr Menschen in Arbeit sind und es den Menschen im Schnitt so gut geht wie bei uns in Beiträge zahlen, desto stabiler ist das Rentenversiche- Deutschland. rungssystem, und damit werden auch die 48 Prozent ge- (Beifall bei der CDU/CSU) halten. Dies hat etwas mit einer großen Gesamtleistung von fei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ßigen Bürgerinnen und Bürgern, von Unternehmern, die (B) Alles andere ist Quatsch. In der Zeit der rot-grünen Re- (D) risikofreudig sind und investieren, und einer guten Poli- gierung mit 5 Millionen Arbeitslosen wäre ein Renten- tik zu tun. niveau von 48 Prozent nicht einmal mit einem Milliar- Es mag ja sein, Herr Kollege Oppermann, dass nicht denaufwand möglich gewesen. Deswegen: Sorgen wir alles hundertprozentig gelungen ist. Aber ich kann nur für eine gute wirtschaftliche Situation! Dann sind die sagen: Ich bin stolz auf das, was wir in diesen vier Jahren Renten- und auch die Sozialversicherungssysteme in in dieser Regierung für unser Land geleistet haben. Ordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das war doch viel höher! Sie Jetzt kann ich eine Erfahrung anführen, die ich schon haben keine Ahnung) mit meinem Freund Peter Struck besprochen habe und über die er in seinem Buch berichtet hat: Wenn man mit- Dass man den Mut hat, hier aufzutreten, und den ei- einander in einer Regierung ist, dann muss man sich zu genen Kanzlerkandidaten im Regen stehen lässt, das ist dieser Regierung bekennen. Auf jeden Fall wird es nicht wohl typisch sozialdemokratisch. Ich will darauf hinwei- gelingen – das werden wir am 24. September sehen –, sen: Es ist absolut nicht in Ordnung, Thomas Oppermann, gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein. Dies sich hierhinzustellen und zu sagen: Die CDU/CSU will funktioniert nicht. aufrüsten. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist die Oppermann [SPD]: Seehofer!) Wahrheit! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Wahrheit!) Peter Struck hat in seinem Buch auch bestätigt, dass dies ein Fehler gewesen sei. Und der wird jetzt wiederholt. Das ist absolut nicht in Ordnung. Ich zitiere Martin Schulz im Phoenix-Interview: Bei dem, was wir in den nächsten vier Jahren vorha- Die Experten sagen mir: Zwischen 3 und 5 Milliar- ben, sind ein paar Projekte von besonderer Bedeutung. den braucht die Bundeswehr jährlich mehr. Ja, unbe- Eines – das zentrale überhaupt – heißt: Wir müssen un- dingt; sollten wir tun. sere Wirtschaft darin unterstützen, dass sie wachsen kann und vorankommt. Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Sich dann hierhinzustellen und etwas anderes zu sagen, Wirtschaft ist alles nichts, meine sehr verehrten Damen ist schäbig, um das einmal so offen zu formulieren. und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25277

Volker Kauder (A) Es bleibt dabei, dass wir mit dieser Regierung unter und Kommunen, um zu helfen, dass Schulen an das In- (C) Angela Merkel dem Land einen guten Dienst erwiesen ternet angeschlossen werden. haben, vor allem deshalb, weil wir neue Chancen und neue Möglichkeiten für die nächste Regierung und auch (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das Geld habt für die junge Generation geschaffen haben. Es ist er- ihr vergessen dabeizulegen!) staunlich – eigentlich ist es das nicht –, dass die SPD da- Aber wir haben immer gesagt, dass die Verantwortung rüber nicht spricht. Aber wahrscheinlich eine der größten für das, was in der Schule geschieht, bei den Ländern Leistungen dieser Koalition – nicht nur der Regierung – verbleiben muss. Das wird sich auch in Zukunft nicht än- ist, dass wir dreimal hintereinander einen Haushalt ohne dern. Doch nur weil man im SPD-regierten Bremen so neue Schulden geschafft haben. miserable Ergebnisse bei der Bildungspolitik hat, muss (Beifall bei der CDU/CSU) man nicht für einheitliche Standards in ganz Deutschland plädieren. Nein, es ist bereits das vierte Mal hintereinander. Nun (Beifall bei der CDU/CSU) sind wir beim fünften Haushalt. Dass wir keine neuen Schulden gemacht haben, und dies, ohne die Steuern zu Man sollte nur nicht, wenn man in Bremen Kinder in der erhöhen, das ist eine großartige Leistung. Das ist etwas, Schule hat, den Versuch unternehmen, mit denen nach was wirklich generationengerecht ist. Sachsen umzuziehen; denn die Bremer haben selber ge- sagt, sie seien beim Abitur eineinhalb Jahre zurück. Da- (Beifall bei der CDU/CSU) ran muss man schon auch in den Ländern etwas ändern. Es muss dabei bleiben, dass Verantwortung und Kompe- Es ist auch die Wahrheit: Als wir einen Haushaltsüber- tenzen zusammengehören. Es geht auf gar keinen Fall, schuss nicht für die Rücklage, sondern zur Reduzierung Kompetenzen für sich zu beanspruchen und sich dann, der Schulden nehmen wollten, hat die SPD nicht mitge- wenn es schiefgeht, Geld beim Bund abholen zu wollen. macht, sondern gesagt: Wir wollen nicht die Schulden So funktionieren die Dinge wirklich nicht. senken, sondern geben das Geld lieber aus. – Das ist so typisch: Anstatt die Schulden zu senken, Geld ausgeben, (Beifall bei der CDU/CSU) obwohl wir in diesem Land genügend investieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin zu- (Beifall bei der CDU/CSU) versichtlich, dass wir dieses Land auch in den nächsten vier Jahren in eine gute Zukunft führen können. Aber Die Rede des Kollegen Oppermann habe ich in vielen manche aufgeregte Diskussion darf nicht darüber hin- Punkten so verstanden, als ob der Bund mehr und mehr (B) wegtäuschen, dass wir es mit Risiken in der Außenpo- (D) Aufgaben der Länder übernehmen sollte und die Länder litik zu tun haben. Wenn wir uns Amerika oder Nordko- damit abgeschafft werden sollten. Ich kann nur sagen: rea anschauen, wenn wir die Art und Weise, wie Putin Bildungspolitik ist zunächst einmal Aufgabe der Länder. Politik macht – nicht nur in der Ukraine, sondern auch Dort, wo die Union regiert, läuft es wesentlich besser als in anderen Bereichen –, anschauen, dann müssen wir dort, wo ihr regiert. feststellen: Man muss sich wirklich Sorgen machen. Da kann ich nur sagen: Es kommt darauf an, dass man mit (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Bun- Ruhe, klarer Einsicht, Kompetenz und auch Mut an die desministerin Andrea Nahles) Sachen herangeht. Jetzt kann ich nur sagen: Die oberste aller Tugenden ist die Klugheit und nicht das politische – Auf der Regierungsbank, Frau Nahles, hat man ruhig Rabaukentum. zu sein. Sie können sich ja ins Plenum setzen. Aber auf der Regierungsbank ist man zunächst einmal friedlich. (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sagt der Richtige!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Keine Beleh- Wenn ich so sehe, wie sich die Positionen im Wahl- rungen bitte!) kampf verändern, dann kann ich nur dringend davor war- nen, wegen einer Wahl Positionen über Bord zu werfen, Es ist doch bezeichnend, dass die SPD-Bundestags- die man noch vor vier Tagen, nämlich bis zum letzten fraktion und insbesondere der Kollege Oppermann Freitag, für richtig erkannt hat. Wenn ich mir das alles mehrfach gesagt haben: Wir brauchen ein Programm zur anschaue – so sehen es auch viele Menschen in unserem Sanierung von Schulen und für fnanziell notleidende Land –, bin ich mir ganz sicher, dass gerade die schwieri- Städte, vor allem wegen Nordrhein-Westfalen. – Dort gen außenpolitischen Aufgaben nirgendwo besser aufge- habt ihr viele Jahrzehnte regiert. Das Ergebnis kann man hoben sind als bei Angela Merkel. besichtigen. Gott sei Dank hat sich das in diesem Jahr geändert. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der CDU/CSU) Der Bundestagspräsident hat gemahnt, dass wir uns gemeinsam für die Demokratie einsetzen, auch über den Im Übrigen haben wir überhaupt nichts gegen eine Wahlkampf hinaus; das ist richtig. Deswegen teile ich verstärkte Zusammenarbeit. Wir haben das Grundgesetz alles, was hier zur AfD gesagt wurde. Aber man muss geändert, um zusammenarbeiten zu können. Wir haben sagen: Es gibt auch Gefahren von anderer Seite. Es hat auch gesagt: Wir wollen einen Bildungspakt mit Ländern mich schon sehr gestört, dass das Thema eines zuneh- 25278 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Volker Kauder (A) mend gewaltbereiten Linksextremismus hier überhaupt schaffung der Möglichkeit der sachgrundlosen Befris- (C) noch nie angesprochen worden ist. tung hatten Sie sogar vereinbart. Nicht einmal das haben Sie geschafft. Und jetzt tun Sie so, als wenn Sie das al- (Beifall bei der CDU/CSU) les hätten anders machen wollen. Das ist, ehrlich gesagt, Das, was in Hamburg geschehen ist, hat mit rechts we- nicht ehrlich, meine Damen und Herren. niger zu tun als mit links. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) NEN]: Wir haben immer noch keine Antwort auf die G-20-Anfrage!) Ich will die Frage stellen – bei allen Krisen dieser Welt; darüber ist geredet worden; da ist manches zu un- Ich rate dringend, Kollege Oppermann und auch Kol- terstützen –: Warum eigentlich kann Europa in dieser Si- legen von den Grünen, auf keinem Auge blind zu sein. tuation nicht eine andere Rolle spielen? Ich frage einmal Extremismus, der unsere Gesellschaft gefährdet, ob von ganz nüchtern: Ist Europa heute eigentlich ein besseres links oder von rechts, muss beiderseits bekämpft werden. als vor zwölf Jahren, als Angela Merkel Kanzlerin ge- (Beifall bei der CDU/CSU) worden ist? Wie ist denn die Situation? Den Brexit haben wir. Die Finanzmarktkrise ist nicht bewältigt. Wir haben Wenn wir dies schaffen – wir sind dazu bereit –, dann das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremisti- tun wir unserem Land einen großen Dienst. scher Parteien. Wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit in (Beifall bei der CDU/CSU) den Südländern von über 50 Prozent – in Griechenland das vierte Jahr. Da wächst eine Generation der Hoff- nungslosigkeit heran. Der desolate Zustand in Europa hat Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: aber mit Ihrer Politik, mit der Politik von Angela Merkel Als nächster Redner hat Dietmar Bartsch für die Frak- und Wolfgang Schäuble, zu tun. Das hat zur Entsolida- tion Die Linke das Wort. risierung geführt, meine Damen und Herren. Das ist die (Beifall bei der LINKEN) Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Herr Kauder hat gesagt: Hier ist über einiges nicht ge- Lammert hat ja angemahnt, wir sollten weniger reden, redet worden. – Ja, das ist mir auch aufgefallen. Hier ist sondern mehr debattieren. Da muss ich selbstverständ- über einiges nicht geredet worden. Wenn ich in meinem lich auf Herrn Kauder und auch auf Herrn Oppermann Wahlkreis in Rostock bin, höre ich ganz andere Themen, (B) eingehen. Herr Kauder, Sie haben eben gesagt, Sie woll- über die geredet wird. Es gab in unserem Land mal den (D) ten gar nicht aufrüsten, es sei schäbig, das zu sagen. Ja, schönen Satz: Unseren Kindern soll es einmal besser ge- was ist es denn, wenn man den Verteidigungsetat von hen. – Wir hatten gerade die Einschulung in Brandenburg 37 Milliarden Euro auf letztlich 70 Milliarden Euro an- und in Mecklenburg-Vorpommern; jetzt am Sonnabend heben will? Das ist Aufrüstung, das ist nichts anderes. ist sie auch in Berlin. Wir sind uns doch einig, dass ei- gentlich alle diese kleinen Kinder in unserem Land die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gleichen Chancen haben sollten. Aber das Ergebnis Ih- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rer Politik ist, dass sie nicht die gleichen Chancen ha- Wenn man den Verteidigungsetat jedes Jahr um 3 Milli- ben. Das ist die Realität. Unsere Kinder haben nicht die arden Euro erhöht, ist das auch nichts anderes. Was hat gleichen Chancen, und das hat natürlich zuallererst mit denn das mit schäbig zu tun? Das ist das, was Sie vorha- Elternarmut zu tun. ben. Darüber muss man doch reden. Die Menschen müs- sen wissen: Sie wollen deutlich mehr für Verteidigung Sie sagen so schön: Im Schnitt geht es Deutschland ausgeben. Sie wollen auch weiter Waffen exportieren, gut. – Ja, das ist wie mit der Kuh, die in dem Teich, der und es gibt andere, die deutlich dagegen sind. 50 Zentimeter tief war, ertrunken ist. Es gibt perversen Reichtum und Armut in unserem Land. Das ist die Re- (Beifall bei der LINKEN) alität. Herr Oppermann, 3 Milliarden Euro jedes Jahr mehr für (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- den Verteidigungsetat ist auch Aufrüstung; das ist nichts neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) anderes. Es gibt aber eine Partei, die einen Abrüstungs- wahlkampf führt. Die Kanzlerin hat angeführt: Mit den Arbeitsplätzen ist es deutlich besser. – Bei jedem Arbeitsplatz, der gut ( [CDU/CSU]: Der Friede bezahlt wird, unterstützen wir das. In Kommunen und muss doch bewaffnet sein, Herr Bartsch! Das Ländern machen wir etwas, Unternehmen und Gewerk- haben wir doch gelernt vor 30 Jahren!) schaften arbeiten daran. Aber es ist doch eine Frage zu Eins muss ich Ihnen auch sagen: Sie haben hier so beantworten: Hat denn das alles in unserem Land zu mehr wunderbare Vorschläge gemacht. Ich habe gedacht, das Armut oder nicht geführt? Das ist eine zentrale Frage. Da ist eine Liste der Anträge der Linken. Ich frage mich, kann ich nur eines feststellen: Als Angela Merkel Kanz- wieso Sie nur ein einziges Mal in dieser Legislatur – bei lerin wurde, lag die Armutsrisikoquote bei 14 Prozent. der Ehe für alle – den Mut hatten, wenigstens die Dinge, Jetzt liegt sie bei 15,7 Prozent. Bei den Beschäftigten ist die im Koalitionsvertrag stehen, umzusetzen. Die Ab- das Risiko, in Armut zu kommen, obwohl sie vollzeitbe- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25279

Dr. Dietmar Bartsch (A) schäftigt sind, von 6,8 Prozent auf 9,7 Prozent gestiegen. für, dass nach Veröffentlichung der Panama Leaks nichts (C) Da ist doch etwas nicht in Ordnung in unserem Land. passiert ist? Das alles lag in der Hoheit des Finanzmi- nisters. Da gehen die Mittel verloren, die wir eigentlich (Beifall bei der LINKEN) für Investitionen in Bildung, für Investitionen im Pfege- Besonders skandalös ist, dass es in unserem reichen bereich, für Investitionen in erneuerbare Energien brau- Land Kinderarmut gibt, meine Damen und Herren. chen. Da haben Sie Fehler gemacht. Da muss es Verände- rungen geben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die Zahl ist in den letzten Jahren gestiegen. Das hat doch und des Abg. Dr. [SPD]) etwas mit Politik zu tun. Warum haben Sie da nichts ge- tan? In Ihrem Koalitionsvertrag kommt dieses Wort nicht Dann höre ich hier auch sehr viel zu den Themen Die- vor. Ich hoffe, im nächsten, egal, wer ihn schreibt, kommt selgate, Abgasskandal usw. Nun sind diese Absprachen dieses Thema endlich vor. Diesen unhaltbaren Zustand und all das andere auch so schon ein Riesenskandal. Aber muss man endlich beenden. wie die Politik, wie die Regierung damit umgeht, das ist doch auch ein Skandal. Sie, meine Damen und Herren Wie ist es mit der Altersarmut? Es ist eine ähnliche von der Regierung, sitzen mit den Verursachern der Krise Situation. Die Zahl der Menschen, die auf Grundsiche- zusammen, rung angewiesen sind, ist in den letzten zehn Jahren von 365 000 auf 525 000 gestiegen. Das sind 44 Pro- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) zent. Warum gibt es bei uns nicht eine Mindestrente von aber nicht mit denjenigen, die betroffen sind. Das alles 1 050 Euro? Das können wir doch fnanzieren, wenn wir haben doch Leute zu verantworten, die ganz fette Milli- wollen, wenn es eine ordentliche Rentenreform gibt. onenverträge hatten. Der Winterkorn hat 17,1 Millionen (Beifall bei der LINKEN) Euro verdient; der war immer stolz, dass er am allermeis- ten verdient. Wo wird denn so jemand mal zur Verant- Es bleibt dabei: In einem Land, in dem Alleinerzie- wortung gezogen? Da glaubt doch kein Mensch, dass hende Zukunftsangst haben, in dem Kinderreichtum zum das ohne Mitwisserei des Wirtschaftsministeriums oder Armutsrisiko wird und in dem alte Menschen Flaschen nachgeordneter Regierungsbehörden möglich war. sammeln, kann man von Sozialstaat nicht reden. Am 24. September geht es auch um die Wiederherstellung des (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sozialstaats in unserem Land, meine Damen und Herren. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) (Beifall bei der LINKEN) Ich meine, das ist ein Betrug, ein Kartell der Wirtschaft. (D) Ich habe jetzt wenigstens verstanden, wieso das in den Die andere Seite der Medaille kennen wir alle: Das Stadien Bandenwerbung heißt: Ja, das heißt aus gutem ist dieser Reichtum. Die Zahl der Milliardäre in unserem Grund Bandenwerbung, meine Damen und Herren. Land steigt. 186 Milliardäre! Die 500 reichsten Familien haben von 2011 bis 2016 ihr Vermögen von 500 Milli- (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie arden Euro auf 692 Milliarden Euro gesteigert. Das ist bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE obszön, meine Damen und Herren. Als Norddeutscher GRÜNEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der weiß ich: Die Steuern heißen auch so, weil wir damit das SPD) Land steuern. Da muss etwas passieren. Wir haben das Steuersystem des vergangenen Jahrhunderts, und diese Im Wahlkampf fragen jetzt viele Menschen: Wie ist Koalition hat in den letzten Jahren auf diesem Gebiet es eigentlich mit den Verantwortlichen? Wieso steht hier nichts bewegt. Es gehört Mut dazu, sich mit den Mächti- eigentlich keiner vor Gericht? In den Vereinigten Staaten gen anzulegen. Aber diesen Mut haben Sie nicht. ist das doch so. Es ist irgendwie komisch, dass das bei uns nicht passiert. – Da wird immer mehr gefragt. Die Leute (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. kommen auf einen zu und fragen: Wie ist es eigentlich Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE mit Verfristungen? – Die Arbeiter, ob in Wolfsburg oder GRÜNEN]) Leipzig, ob in Chemnitz oder Hannover, bangen teilwei- se um ihre Zukunft. Sie von der Regierung haben das al- Es wird immer über den ausgeglichenen Haushalt ge- les zulasten der Umwelt, zulasten der Verbraucherinnen sprochen. Wir haben gar nichts dagegen, dass es ausge- und Verbraucher, zulasten der Zulieferindustrie, letztlich glichene Haushalte gibt. Aber wir müssen an der Spitze auch zulasten des Standortes Deutschland mitzuverant- noch etwas abholen. Ich könnte Ihnen jetzt zur Erbschaft- worten. Bei den Sammelklagen lassen Sie jetzt einen steuer und zur Vermögensteuer vortragen. Das kann man Verschiebebahnhof auf die Zeit nach der Wahl zu. Das ist alles im Wahlprogramm nachlesen. Aber eines will ich doch alles unverantwortlich. So verlieren die Menschen schon noch sagen, weil hier immer über die Riesenleis- den Glauben an die Politik, meine Damen und Herren. tung des Finanzministeriums geredet wird: Wer ist denn eigentlich verantwortlich für den Skandal der Brennele- Was sagen Sie eigentlich den Tausenden von Ingeni- mentesteuer? eurstudentinnen und ‑studenten, ob nun in Rostock oder (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dresden, die an Technik und an Fortschritt glauben und dafür arbeiten wollen? Sie, Frau Merkel, haben von made Wer ist denn eigentlich verantwortlich für die Cum/ in Germany gesprochen und davon, dass sie ihr Leben Ex-Geschäfte? Wer ist denn eigentlich verantwortlich da- damit verbinden sollen. Das ist ja sehr gut. Aber ist es 25280 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Dr. Dietmar Bartsch (A) jetzt wirklich so, dass man dazu immer noch eine Riesen- werden müssen, dürfen doch nicht in Ost und West un- (C) portion Zynismus braucht: Erwischt? Pech gehabt, aber terschiedlich bezahlt werden, meine Damen und Herren. dann weiter so! – Das kann doch wohl nicht wahr sein. Da müssen doch auch von hier andere Signale kommen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Es ist doch unsere Aufgabe, hier nachhaltig Druck zu ma- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) chen, dass genau das nicht passiert.

Ich habe jetzt am Wochenende viel über Fluchtursa- Besonders skandalös ist natürlich, wie es in den neuen chen gehört. Das ist auch so ein Punkt. Ich glaube, wir Ländern um das Thema Breitbandausbau und ‑netze be- haben hier im Haus ganz großen Konsens darüber, dass stellt ist. Herr Dobrindt, was haben Sie in den vergange- wir da wirklich etwas tun müssen. Es kann aber doch nen vier Jahren gemacht! Ich habe mir noch einmal Ihre nicht sein, dass wir ernsthaft – – Liebe Frau Merkel, Ankündigungen durchgelesen, nicht zur Vorbereitung es mag zwar spannend sein, sich mit Herrn Kauder zu auf heute, sondern zur Vorbereitung der gestrigen Sen- unterhalten, aber es wäre vielleicht auch eine gute Idee, dung. Davon ist ja nichts realisiert worden. Das Netz ist einmal einen Moment zuzuhören – einen Moment nur! schlechter als in Georgien, Rumänien oder Peru. Das ist doch wirklich unhaltbar. Was haben Sie in den vier Jah- (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des ren gemacht? Das Entscheidende ist doch, dass endlich Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) etwas passieren muss. Jetzt machen Sie im Wahlkampf – Sie sollten auch nicht einfach so abwinken, Herr so weiter; ein Schlafwagen-Wahlkampf. Kauder. Es könnte passieren, dass man später auch ein- Ein Land, in dem man gut und gerne leben kann – das mal in der Opposition sitzt. – Aber gut. unterschreiben wir alle. Gute Arbeit, gute Löhne – das (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn Sie mit unterschreiben wir alle. Aber Auseinandersetzungen um mir reden wollen, gehen wir gleich raus!) die Zukunft unseres Landes müssen geführt werden: Es geht darum, ob der soziale Zusammenhalt in diesem – Wir können gerne rausgehen, wir beide. Das machen Land wiederhergestellt wird. Es geht um die Zukunft wir einmal. Das wäre doch einmal eine Sache. Europas, damit dieses Projekt – es war ein Friedenspro- jekt – nicht scheitert. Dabei hat diese Koalition in den (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt letzten vier Jahren wenig bis gar nichts geleistet. Deswe- sofort!) gen wäre es sehr sinnvoll, wenn am besten beide Parteien nicht mehr in Regierungsverantwortung kommen, meine Also, ich fnde es für die Große Koalition inakzepta- Damen und Herren. (B) bel, über Fluchtursachen zu reden, nachdem sie in dieser (D) Legislaturperiode so viele Waffenexporte wie noch nie (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. genehmigt hat. Es ist unglaubwürdig, vor diesem Hinter- Dr. [BÜNDNIS 90/DIE grund ernsthaft zu sagen: Wir wollen Fluchtursachen be- GRÜNEN] – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ kämpfen. – Ich fnde, das geht überhaupt nicht. Wenn Sie DIE GRÜNEN) weiterhin auch noch Waffen in die Türkei exportieren, ist das ein ganz großer Skandal. Frau Präsidentin, da so viel gedankt worden ist, nehme ich mir diese Besonderheit heraus und danke den Vize- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- präsidenten ebenfalls für ihre Arbeit. Alles Gute auf allen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wegen!

Im Übrigen kann ich mich hinsichtlich der Aussagen (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) über die Staatsministerin in dem Fall der Kanzlerin, Cem Özdemir und auch Thomas Oppermann nur anschließen. Das ist völlig inakzeptabel. Wir werden jedenfalls bis Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: zum letzten Tag kämpfen, dass hier in diesem Hause kei- ne rechtspopulistische Partei vertreten ist. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der Danke schön. auch nicht vorkommt, nämlich die Angleichung der Lebensverhältnisse. Frau Merkel, es ist nun einmal die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wahrheit – das erleben wir doch alle –, dass die „blühen- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Landschaften“ und die „Chefsache Ost“ bei vielen als – na ja, auf gut Deutsch – Verarschung ankommen. Sie wollen offensichtlich nicht darüber reden. Es gibt je- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: doch weiter einen riesigen Lohnabstand, es gibt weiter- Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea hin riesige Defzite bei Landärzten, es gibt Defzite in der Nahles, hat als nächste Rednerin für die Bundesregierung Pfege. Und jetzt wird tatsächlich ein unterschiedlicher das Wort. Mindestlohn für das Pfegepersonal in Ost und West ver- einbart. Pfege und Zuneigung für Menschen, die gepfegt (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25281

(A) Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So- nicht im Koalitionsvertrag verabredet, Herr Bartsch. Das (C) ziales: hätten wir gerne gewollt, aber das hat unser Koalitions- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! partner verhindert. Versuchen Sie einmal mit einem be- Ja, diese Regierung hat erfolgreich gearbeitet, insbeson- fristeten Arbeitsvertrag – 45 Prozent der Einstellungen dere in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. erfolgen heute auf befristeten Arbeitsverträgen – in Ber- lin, in Hamburg, in München, in Stuttgart oder irgendwo (Beifall bei der SPD) sonst eine Wohnung zu bekommen. Versuchen Sie ein- Die Beschäftigung boomt. Wir haben die niedrigste Ar- mal, einen Kredit zu bekommen. Versuchen Sie einmal, beitslosenquote. Sogar die niedrigen Löhne steigen dank ein Auto zu kaufen. Sie werden feststellen, dass das fak- des Mindestlohns wieder. tisch unmöglich ist. Junge Leute können auf befristeten Verträgen keine Familienplanung aufbauen. Wir brau- Trotzdem fnde ich es reichlich abgehoben, Frau chen die sachgrundlose Befristung in diesem Land nicht Merkel, wenn Sie sich heute hierhinstellen und in Selbst- mehr. Deswegen gehört sie abgeschafft. zufriedenheit erklären: „Darüber dürfen wir uns freuen.“ Was glauben Sie, wie ich mich gefreut habe, als ich den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mindestlohn nach monatelangem, zähem Ringen mit Ih- DIE GRÜNEN) rer Fraktion durchbekommen habe? Was ist einer der Hauptgründe für niedrige Löhne in (Beifall bei der SPD) diesem Land? Das ist die Teilzeit. 46 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit, teilweise unter 20 Stunden. Aber der Mindestlohn ist kein guter Lohn. Deswegen muss unser Ehrgeiz über diesen Mindestlohn hinausge- (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Vielleicht hen. Mindestlohn heißt doch noch lange nicht, dass die wollen die das auch!) Leute anständige Löhne für ihre harte Arbeit bekommen. Warum machen die Frauen das? Die Frauen machen das Fragen Sie einmal den Hermes-Boten, ob er bekommt, für die Familie, für die Kinder. Die machen das, weil sie was er verdient, die Altenpfegerin oder den Altenpfeger, nicht Kinder bekommen, um sie dann direkt wegzuor- ob sie bekommen, was sie verdienen. Dabei werden Sie ganisieren – das verstehe ich als Mutter sehr gut. Wenn feststellen: Nein. Deswegen wollen wir anständige Löh- sich Frauen also für Teilzeit, für die Familie entschei- ne, von denen die Leute leben und eine anständige Rente den, wie reagieren wir in diesem Land darauf? Mit einer bekommen können. doppelten Bestrafung. Erstens. Wenn sie zurückkommen (Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans wollen, stellen sie oft fest: Oh, die Jungs haben sich die Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie was von Claims schon wieder neu abgesteckt, Rückkehr ist gar (B) Tarifpartnerschaft gesagt?) nicht möglich. – Zweitens. Aus der Karriereplanung und (D) aus der Weiterbildung sind sie raus. Und dann kriegen sie Wie schaffen wir das? Wir haben einiges auf den Weg als Bonbon, als doppelte Bestrafung, wenn sie jahrzehn- gebracht: den Missbrauch bei Leiharbeit eingedämmt, telang Teilzeit gearbeitet haben, am Ende natürlich auch für die Werkarbeitnehmer endlich einen Rechtsanspruch keine Vollzeitrente. Ich sage Ihnen: Es ist ein Skandal, für die Betriebsräte durchgesetzt. Aber wir brauchen in dass wir eines der größten Potenziale in diesem Land, diesem Land vor allem wieder mehr Arbeitgeber, die ta- unsere gut ausgebildeten Frauen, die sich phasenweise rifgebunden sind. Helfen Sie uns dabei, dafür zu sorgen, für die Familie entscheiden, am Ende so hängen lassen. dass im nächsten Jahr bei den Betriebsratswahlen auch dort Betriebsratswahlen stattfnden, wo heute noch gar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kein Betriebsrat existiert! des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie und niemand anders hat das Gesetz zur Rückkehr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) von Teilzeit in Vollzeit, das fertig in der Schublade liegt, verhindert, höchstpersönlich. Frau Merkel hat gesagt: Wir brauchen an dieser Stelle Unterstützung. Wir wollen das erst ab einer Betriebsgröße von 200 Be- Wir brauchen aber auch einen Pakt für anständige schäftigten. Löhne. Denn eines ist klar: Gerade in den sozialen Beru- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: fen bekommen die Leute nicht die Wertschätzung, die sie Hätten Sie mal zugegriffen!) verdienen. Derzeit wird der Kosten- und Wettbewerbs- druck in der Pfege, im Bereich der sozialen Berufe ein- Ich sage Ihnen: Dann hätte dieses Gesetz 7,3 Millio- zig auf den Schultern der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gar nichts nehmer in diesem Land abgeladen. Deswegen müssen gebracht. So ein Gesetz machen wir doch nicht. Wir wir auch die Kirchen, die freien Träger mit ins Boot neh- machen doch keine Gesetze, damit sie auf dem Papier men. Wir brauchen eine Anstrengung, damit hier endlich stehen. Wir machen Gesetze für die Realität, damit die wieder tarifiche Strukturen existieren, die die Menschen Frauen in diesem Land etwas davon haben. schützen und ihnen anständige Löhne garantieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) W. Birkwald [DIE LINKE]) In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen: Lieber Martin Aber was wir in Deutschland nicht brauchen, ist sach- Schulz – in Klammern: Mann – und Andrea Nahles – in grundlose Befristung. Deren Abschaffung haben wir Klammern: Frau – als Angela Merkel – in Klammern: 25282 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Bundesministerin Andrea Nahles (A) Frau –; denn für die Frauen bringt es in dieser Frage am Gilt die klare Aussage „keine Rente mit 70“ auch für die- (C) Ende eindeutig mehr, wenn sie Martin Schulz wählen. se Forderung? Das wäre meine Frage, Frau Merkel; (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Was ich Ihnen ganz offen und klar sagen muss, ist Fol- denn das ist es, was eigentlich diskutiert wurde in den gendes: Sie haben ein sehr schönes Ziel ausgerufen. Ich letzten Monaten, übrigens auch in der Rentenkommissi- persönlich bin sehr dafür. Wir wollen Vollbeschäftigung. on, die ich letztes Jahr geleitet habe. Sie haben auch gesagt, dass Sie das erreichen wollen. (Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE Wenn man aber Vollbeschäftigung erreichen will, dann GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- muss man endlich auch den Mumm haben, die verfestigte ge) Langzeitarbeitslosigkeit anzupacken.

(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Michelbach [CDU/CSU]: Sie kommen in die Frau Nahles, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Arbeitslosigkeit!) Sie, Frau Merkel, und Herr Schäuble haben es wirk- Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So- lich geschafft, mich am langen Arm verhungern zu las- ziales: sen, was das Programm zur Förderung öffentlicher Be- Nein, jetzt nicht. schäftigung und sozialer Teilhabe angeht. Gerade einmal 20 000 Plätze konnte ich im Rahmen dieses sehr erfolg- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: reichen Programmes besetzen. In diesem Land warten Oh!) aber Hunderttausende von Langzeitarbeitslosen darauf, Wir haben klar gehört, was Sie zur Rente gesagt ha- endlich eine Chance zu bekommen. ben. Ich nehme Sie jetzt einmal beim Wort, dass es keine (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rente mit 70 geben wird. Die eigentliche Frage, über die NEN]: Warum habt ihr nichts getan, verdammt wir hier die ganze Zeit reden, ist aber doch nicht die des noch mal?) Renteneintrittsalters. Die eigentliche Frage ist, ob wir das Gesetz ändern. Jetzt ist die Rechtslage ja so: Dieses Dass sie Arbeit im öffentlich geförderten Bereich fn- Gesetz wurde Anfang der 2000er-Jahre auch mit sozial- den, ist ihre einzige Chance. Wir brauchen mindestens demokratischen Stimmen gemacht, 100 000 Plätze, um in der Fläche zu Erfolgen zu kom- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aha!) men. Das kostet 2 Milliarden Euro. (B) weil wir 5,3 Millionen Arbeitslose hatten, weil die Frauen­ (D) (Beifall bei der SPD) erwerbstätigkeit niedrig war, die Zuwanderung minimal Und jetzt sagen Sie mir: Wollen Sie die 2 Milliarden und weil die Älteren ab 55 zum alten Eisen geschoben Euro in die Hand nehmen, ja oder nein? Das ist doch wurden. Das war die Lage Anfang der 2000er-Jahre. ganz einfach. Das können Sie den Wählern doch vor der (Michaela Engelmeier [SPD]: In der Tat!) Bundestagswahl erzählen. Sie könnten den Wählern vor der Bundestagswahl sagen: Jawohl, es gibt 2 Milliarden Die Lage ist mittlerweile völlig anders. Wir haben die Euro mehr für Langzeitarbeitslose. – Dann wären wir höchste Frauenerwerbstätigenquote mit 74 Prozent. doch glücklich. Dann wären wir doch schon zufrieden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schö- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir ne Erfolge!) haben mal 5 Millionen Arbeitslose gehabt!) Wir haben tatsächlich keinen Unterschied mehr be- Aber das werden Sie nicht tun; denn bisher haben Sie es züglich der Beschäftigung von 60-Jährigen gegenüber auch nicht gemacht. Wir hätten das ja gerne gemeinsam 50-Jährigen oder 40-Jährigen. Die sind alle gleicherma- umgesetzt. Es ist ja nicht so, dass es an uns gescheitert ßen in Beschäftigung. wäre. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schö- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ne Erfolge! – [CDU/CSU]: NEN]: Ach so!) Erfolge der Union!) Wir haben eine wesentlich bessere Situation bei der Zu- Darüber hinaus gibt es leere Versprechungen aller Art, wanderung, und zwar auch schon vor der Flüchtlingskri- auf die ich jetzt nicht eingehen will. Aber dass Sie sich zu se. Vor allem haben wir nur noch 2,5 Millionen Arbeits- einem Punkt klar bekannt haben, war ja wirklich überra- lose. Das befähigt uns, ein Versprechen zu geben, das das schend. Sie sind jetzt gegen die Rente mit 70. Okay, das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung in die- wird ja jetzt gar nicht so diskutiert. Herr Schäuble, Herr sem Land wiederherstellt; denn dieses Vertrauen ist bei Spahn und andere diskutieren ja eher über eine Koppe- den jungen Leuten weg, das ist einfach zerstört. lung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Das ist eine andere Mechanik. Das ist so eine Art Auto- (Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans matismus der Renteneintrittsaltererhöhung. Michelbach [CDU/CSU]: Warum denn?) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Bei der Bundestagswahl am 24. September geht es noch schlimmer!) darum: Wollen wir, dass das Rentenniveau weiter sinkt, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25283

Bundesministerin Andrea Nahles (A) oder wollen wir eine gesetzlich festgelegte Haltelinie Ihnen: So werden Sie in den nächsten Jahren nicht wei- (C) einziehen, damit das Rentenniveau auch für die jüngeren terregieren können. Leute gleich bleibt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Über Wenn Sie das mit uns machten, hätten wir viel gewon- den Niedergang der Grünen hat sie auch nicht nen. Aber das haben Sie abgelehnt. Ich fnde aber, dass gesprochen!) man das den Leuten vor der Wahl ganz klar sagen muss. Da ist nichts Frisches mehr, bei Ihnen nicht und – das (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die muss man ehrlicherweise sagen, auch wenn sich Frau glauben Ihnen doch nichts mehr!) Nahles hier wirklich sehr angestrengt hat – auch nicht bei der Großen Koalition. Wir erleben den Muff aus zwölf Die jüngere Generation ist die Gelackmeierte. Sie bezahlt Jahren Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot. Da mehr Beiträge – das können wir wegen der Babyboomer, hat sich nichts mehr bewegt. Deutschland braucht end- die zusätzlich in Rente kommen, nicht verhindern –, aber lich frischen Wind. Deutschland verdient in vier Jahren hat, wenn es nach Ihnen geht und wir nichts machen, un- eine andere Regierungserklärung hier an diesem Pult. term Strich überhaupt nichts davon. Sie zahlt mehr und bekommt weniger Rente. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In vier (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, wenn ihr re- Jahren?) giert, dann haben die nichts! Das ist richtig!) Ich will Ihnen sagen, was ich wünsche, was darin Das zerstört auf Dauer das Vertrauen in die wichtigste vorkommt. Darin muss vorkommen: Ja, wir haben die Säule unseres Sozialsystems, die Rente. Zukunft unserer Kinder endlich angepackt. Wir haben (Beifall bei der SPD) erkämpft, dass Kinderarmut in diesem Land keine Rolle mehr spielt. – Das will ich in vier Jahren hören und keine Deswegen ist die Sicherung des Rentenniveaus für uns Ignoranz mehr. erste Priorität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihren Versprechen glaubt niemand!) Ich will in vier Jahren hören, dass wir gemeinsam ange- packt haben, dass die Luft klar ist, dass Wasser sauber Ja, wir haben an vielen Stellen sehr gut regiert; aber und bezahlbar ist und dass das Essen gesund ist. Bei uns Deutschland braucht mehr und Deutschland kann mehr, stehen das Tierwohl und eine intakte Natur im Mittel- vor allem soziale Gerechtigkeit. (B) punkt und nicht mehr nur die alte Agrarlobby, über die (D) Vielen Dank. Sie immer die Hände halten. (Anhaltender Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will, dass wir sagen können, dass wir das Sterben im Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Mittelmeer endlich beendet haben, dass wir im Umgang Als nächste Rednerin hat Katrin Göring-Eckardt für mit Flüchtlingen über uns hinausgewachsen sind, und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. zwar noch einmal, mit den Bürgerinnen und Bürgern die- ses Landes, dass Schluss ist mit Abschottungspolitik und Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass wir endlich für Integration in diesem Land sorgen, NEN): und zwar ehrlich, mit Anstrengung und mit Klarheit, so- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass wir hier wirklich gut zusammenleben können. Das Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute hier sehr lange ist der Unterschied zu Ihnen, Frau Merkel. darüber geredet, was die Erfolge der Großen Koalition (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind und wie gut es dem Land geht. Eine ehrliche Bilanz wäre gewesen, klar zu sagen, was (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie alles haben laufenlassen, was zu stoppen gewesen Genau! Sehr richtig!) wäre. Die Autoindustrie, die Energieindustrie, die Agrar- Sie haben aber vergessen, was die zentralen Fragen die- industrie, sie alle haben, gemeinsam mit Ihnen und Ihren ses Landes sind. Sie haben den Abgasskandal wieder ein- Ministern, jegliches Maß verloren, von Mitte ganz zu mal heruntermoderiert nach dem Motto: Mich geht das schweigen. Sie haben es zugelassen, dass Herr Dobrindt doch nichts an. – Doch die Bürgerinnen und Bürger in und Herr Schmidt, die beiden Herren von der CSU, die diesem Land geht es etwas an. Infrastruktur und die Landwirtschaft in diesem Land in eine richtig große Krise gebracht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie haben weggelassen die Kinderarmut und die Mie- SES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abge- tenexplosion, Sie haben weggelassen die Skandale um ordneten der CDU/CSU) NSA. Sie haben nicht über NSU geredet, und Sie haben nicht über den Maut-Murks geredet. Die Milchkrise, die – Entschuldigung, ich fnde das nicht lächerlich; denn Bankenkrise, das Extremismuserwachen, all das ist in einerseits haben wir einen Minister, der unfassbar viel Ihrer Rede nicht vorgekommen, Frau Merkel. Ich sage Geld für Infrastruktur hat und vier Jahre lang nichts an- 25284 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Katrin Göring-Eckardt (A) deres macht, als sich um eine Maut zu kümmern, die ver- mit der Energiewirtschaft. Deswegen will ich an dieser (C) mutlich nie kommen wird, Stelle schon einmal sagen, was uns bevorsteht, wenn wir eine Regierung bekommen, wie es in Nordrhein-West- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – falen der Fall ist. Dort wird es keine Windkraftinvestiti- Widerspruch des Abg. [CDU/ onen mehr geben. Dort wird es mehr Braunkohle, mehr CSU]) Verschmutzung geben. Dort sind 18 500 Arbeitsplätze in und andererseits können sich die Menschen in diesem Gefahr – es sind die Arbeitsplätze der Zukunft –, weil Land nicht sicher sein, dass sie kein Gift im Essen haben man weiter in die Vergangenheit blickt. Das ist es, was und dass kein Läusegift in den Eiern ist, weil das nicht uns bevorsteht, wenn Sie gemeinsam mit der FDP in die- mal kontrolliert wird, sondern Herr Schmidt Entwarnung sem Land regieren. gibt, bevor er überhaupt sicher sagen kann, dass in die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sem Land alles in Ordnung ist. Darüber kann ich nicht lachen. Das muss ich Ihnen klar sagen. Sie reden immer gerne davon, dass Sie konservativ sind. Für mich hat das sehr viel mit Heimat und Bewah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren zu tun. Sie haben in zwölf Jahren Landwirtschafts- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) politik zugelassen, dass sich die Agrarindustrie zulasten Was wir auch erleben, ist, dass die Große Koalition unserer Heimat selbst pervertiert. Das müssen übrigens seit Sonntag nichts anderes zu tun hat, als miteinan- nicht Sie ausbaden; das müssen die Verbraucherinnen der zu kuscheln und gleichzeitig zu versuchen, dass es und Verbraucher ausbaden, von Gammelfeisch bis hin nicht auffällt. Das ist irgendwie wie bei Teenagern, die zu Läusegifteiern. Was ist eigentlich mit Gentechnik auf zu Hause nicht zugeben können, dass sie jetzt eine neue dem Teller? Was ist mit Glyphosat? Die Menschen wis- Freundin haben. sen das nicht, weil Sie nicht bereit waren, zuzulassen, dass man weiß, was im Essen drin ist. Sie haben nicht die Frau Nahles, Sie haben eben gesagt, dass es für die Bereitschaft gehabt, zuzulassen, dass es Lebensmittel- Frauen in diesem Land besser wäre, sie würden Martin kennzeichnungen in diesem Land gibt. Es muss doch das Schulz wählen. Ich habe mir dieses Duell ja angeguckt. Mindeste sein, dass die Verbraucherinnen und Verbrau- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie cher wissen, woher das Essen kommt, wie die Tiere ge- hatten auch einen anderen Eindruck, oder?) halten worden sind, wie die Pfanzen hergestellt worden sind, wenigstens wissen, was drin ist. Das ist das Min- Da wundert es mich doch schon sehr, dass die Frauenpo- deste, was ich von Ihnen verlange: dass die Verbrauche- litik oder die Gleichstellung von Frauen oder die Gehälter rinnen und Verbraucher die Chance haben, endlich frei von Pfegekräften oder die Situation der Alleinerziehen- zu entscheiden. (B) den kein einziges Mal vorgekommen sind, Frau Nahles. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe es am Anfang schon gesagt: Es hat mich sehr Wenn Sie das hier sagen, dann geht es wohl nicht um bewegt, Frau Merkel, dass Sie hier kein Wort über das Martin Schulz, sondern vielleicht um die nächste Kanz- Sterben im Mittelmeer verloren haben, auch kein Wort lerkandidatin der SPD; vielleicht werden Sie, Frau darüber, dass humanitäre Seenotretter aufgeben müs- Nahles, das sein. Aber mit Herrn Schulz hat all das je- sen, weil Sie stillschweigend zuschauen, wenn sie von denfalls nichts zu tun. der libyschen Küstenwache beschossen werden. Es wird Meine Damen und Herren, Schwarz-Rot waren ver- davon berichtet – Herr Gabriel hat das für die Bundes- lorene Jahre im Kampf gegen die Klimakrise. Man kann regierung getan –, dass die Lager in Libyen derzeit KZs und muss Donald Trump dafür kritisieren, dass er aus ähneln. Es herrschen unhaltbare Zustände. 97 Prozent der dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist. Aber Frauen berichten von sexuellen Übergriffen, von Verge- wenn Sie sich hierhinstellen, Frau Merkel, und sagen, waltigungen, von brutaler Gewalt. Sie, Frau Merkel, ha- dass wir den Verbrenner noch jahrzehntelang haben wer- ben in der Bundespressekonferenz gesagt, das sei „sicher den, dann sind Sie auch ausgestiegen, zwar nicht, weil noch nicht ideal“. Es gibt Punkte, Frau Merkel, wo Mo- Sie Ihre Unterschrift zurückgenommen hätten, sondern, deration wohlfeil und Nonchalance zynisch ist. weil Sie das Abkommen nicht umsetzen. So ehrlich muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN man dann auch sein. Wer die Klimakrise bekämpfen will, sowie der Abg. [DIE der muss es auch machen, der muss endlich handeln in LINKE]) diesem Land. Benennen Sie, worum es geht! Das sind Menschen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rechtsverletzungen, das ist eine Katastrophe! Ich sage Ih- Jetzt muss man natürlich ehrlicherweise sagen, was nen: Mit einem solchen Land, mit Libyen, darf es keinen uns möglicherweise bevorsteht. Nach zwölf Jahren des Flüchtlingsdeal geben. Der Deal mit der Türkei ist ohne- Verschlafens, nach Wiedereinstieg in die Braunkohle, hin schon gescheitert. Zu versuchen, mit einem Land, das beispielsweise in Brandenburg, droht ja, dass im Sep- gar keine Regierung hat, weiter Abschottungspolitik zu tember zwei Parteien in den Bundestag einziehen, die betreiben, mit autokratischen Ländern Deals zu machen harte Klimaleugner sind. Die eine ist die AfD, die sich und ihnen Waffen liefern zu wollen, damit die Grenzen mit Herrn Trump gemeinmacht, die andere ist die FDP. Europas in die Mitte Afrikas verlegt werden, das ist doch Die Generalsekretärin der FDP behauptet ja auch, die keine realistische Flüchtlingspolitik, das ist das Gegen- Klimakrise gäbe es gar nicht. Diese FDP kumpelt weiter teil davon! Das hat mit Menschlichkeit nichts zu tun, und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25285

Katrin Göring-Eckardt (A) das hat mit Planbarkeit nichts zu tun. Sie wollen, dass war die Bundesarbeitsministerin! Die Nummer mit „Hal- (C) diese Menschen aus den Augen und aus dem Sinn sind. tet den Dieb!“ lassen wir Ihnen nicht durchgehen, meine Damen und Herren. Ich sage Ihnen: Ich will, dass wir eine menschliche Flüchtlingspolitik machen, und zwar ohne Obergrenze. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will, dass wir wissen, wer in Europa ist, dass das re- gistriert wird, dass die Menschen sicher hierherkommen können und, ja, dass diejenigen, die hier kein Asyl be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: kommen, auch wieder zurückkehren müssen. Aber ich Frau Göring-Eckardt, lassen Sie eine Zwischenfrage will nicht, dass wir so tun, als ob wir Fluchtursachen zu? bekämpfen und dabei selber eine Fluchtursache bleiben. (Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- LINKE]) NEN): Der somalische Kleinbauer, der nach Deutschland Herr Heil muss es jetzt wieder richten. Machen Sie! kommt, ist auch deswegen zum Flüchtling geworden, weil von uns hochsubventioniertes tiefgefrorenes Hüh- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: nerfeisch geliefert wird und er deswegen seine Hühner- Herr Heil. farm aufgeben musste. Wir sind Teil der Fluchtursachen. Dieser Tatsache endlich ins Auge zu blicken, das verlan- ge ich von Ihnen, wenn Sie über realistische Flüchtlings- Hubertus Heil (Peine) (SPD): politik reden. Liebe Katrin Göring-Eckardt, es geht einfach nur da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rum, zwischen Bündnis 90/Die Grünen und SPD nicht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Unterschiede aufzuzeigen, wo es gar keine Unterschiede gibt. Es war schon nett, am Sonntag zu beobachten – auch heute konnten wir es hier beobachten –, dass sich Union Ich bitte Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Frau und SPD darauf geeinigt haben, dass wir eine Erhöhung Merkel hat vorhin ein Zitat aus dem Zusammenhang ge- der Rüstungsausgaben um 2 Prozent brauchen. rissen und verfälscht, und das möchte ich klarstellen. ( [SPD]: Quatsch! Auf gar (Widerspruch bei der CDU/CSU) keinen Fall! Das stimmt ja nicht!) – Wir wollen hier Argumente austauschen und sollten (B) – Ja, doch. Verschiedene Menschen aus der Union haben nicht Dinge unterstellen, die nicht gesagt wurden. (D) verschiedene führende Sozialdemokraten zitiert. Das ist so. Martin Schulz hat deutlich gemacht, dass er für eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr ist und dafür 3 bis (Bettina Hagedorn [SPD]: Fake News! – 5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen will, Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Fake News!) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: – Nein, es sind keine Fake News. Hört! Hört!) (Bettina Hagedorn [SPD]: Doch, das sind Fake News!) und zwar insgesamt, aber nicht aufwachsend Jahr für Jahr. Das ist der Unterschied zum 2-Prozent-Ziel von – Moment! Das ist das, was Sie im Kabinett beschlossen Frau Merkel. Sie will Jahr für Jahr mehr und ab 2024 haben. 30 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geben. Es geht darum, dass auf der einen Seite die Ausgaben Frau Göring-Eckardt, Sie als Grüne haben vielen Aus- im Etat des Auswärtigen Amts und im Entwicklungsetat landseinsätzen zugestimmt. Wenn wir im Interesse unse- sinken, aber auf der anderen Seite die Verteidigungsaus- rer Soldatinnen und Soldaten für eine bessere Ausrüstung gaben steigen. Was ist denn das anderes als eine Schwer- der Bundeswehr sind, dann ist das das eine. Wenn Frau punktverlagerung? Aus der Nummer kommen Sie nicht Merkel für eine massive Aufrüstung der Bundeswehr ist, mehr raus, meine Damen und Herren. dann ist das etwas anderes. Ich bitte Sie, diesen Unter- schied klarzumachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) (Beifall bei der SPD) Liebe Frau Nahles, ich muss noch einmal zu Ihnen Frau Merkel hat zitiert, was Martin Schulz in einer kommen; denn Sie tun ja so, als hätten Sie gar nichts mit Phoenix-Sendung gesagt hat. Darin hat er deutlich ge- dem zu tun, was Sie hier alles beschlossen haben. macht, dass ihm Experten sagen – ich fnde, die haben recht –, dass unsere Bundeswehr 2, 3, bis zu 5 Milliar- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie ist den Euro mehr für Ausrüstung braucht, aber nicht Jahr nur Ministerin!) für Jahr aufwachsend, sondern dauerhaft. Frau Merkel, Wer hat denn im Kabinett zugestimmt, dass es Kürzun- das ist der Unterschied. Sie wollen – das haben Sie im gen bei der Förderung der Langzeitarbeitslosen gab? Das Wahlprogramm der CDU deutlich gemacht – ab 2024 25286 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Hubertus Heil (Peine) (A) zusätzlich 30 Milliarden Euro. Das ist Aufrüstung, nicht für, dass die Demokratie wieder lebendig wird und dass (C) Ausrüstung. diese eingeschlafene Große Koalition – Herr Kauder, durch Schulterklopfen wachen die Leute nicht wieder (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Fra- auf – endlich Geschichte wird. Die Richtung dieses Lan- ge! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist des, die Richtung der Politik ab Herbst dieses Jahres wird überhaupt nicht wahr! Ich habe hier das Ori- sich bei Platz drei entscheiden. Ich möchte gerne, dass es ginalzitat!) nach vorne geht, dass wir Verantwortung für die Zukunft Das ist der Unterschied, Frau Göring-Eckardt. Bitte übernehmen, dass wir Verantwortung tragen für Klima- machen Sie sich nicht zum verlängerten Arm dieser fal- schutz in diesem Land, für die Zukunft unserer Kinder, schen Informationspolitik von Frau Merkel. Das ist mei- für die Zukunft des Planeten, auch wenn Ihnen das viel- ne herzliche Bitte. leicht zu pathetisch ist. Mir geht es darum, dass wir kei- ne FDP in der Regierung haben, die dafür steht, dass die (Beifall bei der SPD) Löhne sinken, die Pfegerin keinen Stich bekommt und die Mieten noch stärker steigen. Ich will Klimaschutz Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Gerechtigkeit. Das müssen die Markenzeichen der NEN): nächsten Bundesregierung werden. Darum Grün wählen. Nein, nein, nein, Herr Heil. Niemals würde ich mich So einfach ist das. auf Informationen von Frau Merkel verlassen. Ich habe mich einfach auf das verlassen, was Sie gemeinsam beim Vielen Dank. Haushalt beschlossen haben. Genau darüber habe ich ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sprochen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Beim Haushalt haben Sie beschlossen: Die Etats für die Als nächster Redner hat der Bundesminister für Fi- Außenpolitik und die Entwicklungspolitik sinken, der nanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, für die Bundesregierung Wehretat steigt. Dabei ging es nicht um Ausrüstung oder das Wort. die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten – da wären (Beifall bei der CDU/CSU) wir uns ja ganz schnell einig –, sondern es ging um einen echten Aufwuchs. Herr Heil, eines muss klar sein: Sie müssen wenigstens zu den Sachen stehen, bei denen Ihre Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- Leute im Kabinett die Hand gehoben haben – jenseits zen: von Phoenix-Sendungen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (B) Herren! Frau Göring-Eckardt, das, was Sie zum Schluss (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihrer Rede gesagt haben, dass wir uns auch im Wahl- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – kampf darum bemühen sollten, unsere Prinzipien ein- Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU], an zuhalten – das hat der Parlamentspräsident am Anfang den Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] ge- dieser Debatte schon gesagt –, erfordert meines Erach- wandt: Das war ein Satz mit x, nix!) tens auch, dass wir im Wahlkampf versuchen, die Lage Ich will am Schluss auf etwas eingehen, was hier schon unseres Landes mit all den Problemen und Herausforde- mehrere benannt haben, und will deutlich sagen, dass ich rungen so realistisch wie irgend möglich zu beschreiben, glaube, dass wir tatsächlich vor einer historischen Wahl dass wir keine Illusionen schüren und keine unerfüllba- stehen. Es steht zu befürchten, dass im Herbst hier Abge- ren Versprechen geben; denn das ist der Nährboden der ordnete sitzen werden, die all das infrage stellen, was wir Demagogen. gemeinsam in 70 Jahren Nachkriegsdemokratie inklusi- (Beifall bei der CDU/CSU) ve der friedlichen Revolution erarbeitet haben: Anstand, harte, aber faire Auseinandersetzungen, das Streben nach Unser Land ist in einer guten Lage, auch mit all den Interessenausgleich. Ich bitte Sie alle, auch jenseits des Problemen. Wir werden übrigens immer, solange Men- Wahlkampfes, in dem wir diese harte Auseinanderset- schen Gesellschaften bilden – das Paradies auf Erden zung führen müssen: Lassen wir uns nicht von Rechtsex- werden wir nicht haben –, Probleme haben, und wir tremen in unserer Mitte beirren, und zeigen wir der AfD, werden uns anstrengen müssen, sie zu lösen. Das ist fast dass wir geschlossen sind gegen Hass, gegen Hetze, ge- eine Grundbedingung menschlicher Existenz und politi- gen Fake News, gegen Spaltung, gegen Rassismus bis in schen Handelns. Aber dass unser Land und die meisten unsere eigenen Reihen! Machen wir das gemeinsam für Menschen in unserem Land in einer besseren Lage sind die Demokratie, meine Damen und Herren! als die meisten anderen auf dieser Welt und zu früheren Zeiten und dass wir in Europa und weit darüber hinaus (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Linken darum beneidet werden, das sollte man auch zweieinhalb auch!) Wochen vor der Bundestagswahl nicht in Abrede stellen. Auch dabei, Herr Lammert, werden Sie uns fehlen. Alles andere macht keinen Sinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie des Abg. Joachim Poß [SPD]) Im Übrigen, liebe Frau Nahles: Wir haben vier Jahre Denjenigen, die am 24. September 2017 wählen kön- nebeneinander gesessen; das war nett. Der Wettbewerb in nen, sage ich: Gehen Sie bitte zur Wahl. Sorgen Sie da- Ihrer Partei um die künftigen Führungspositionen muss Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25287

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) schon sehr heftig sein, wenn ich Ihre Rede richtig ver- Deswegen müssen wir auch in Europa dabei bleiben: (C) standen habe; denn es war völlig anders. Solange die Entscheidungen für Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in den Mitgliedstaaten (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) getroffen werden – das kann man ändern, wenn man die Wir haben vieles zusammen erreicht. Mehrheit dafür hat; diese haben wir aber derzeit nicht –, müssen die Mitgliedstaaten auch die Verantwortung für Nun kommt das eigentliche Problem. Unser Land, die Folgen ihrer Entscheidungen tragen. Sonst treffen sie so gut die Lage auch ist, steht vor großen Herausforde- die falschen Entscheidungen. rungen. Die Bundeskanzlerin hat es in ihrer Rede ganz (Beifall bei der CDU/CSU) am Anfang beschrieben. Das Tempo der Veränderungen, der schnelle Wandel in Wissenschaft und Technik, die Das ist kein Mangel an Solidarität, sondern die Voraus- Digitalisierung und Informationstechnik machen Men- setzung dafür, dass wir in Europa Solidarität leisten. schen Angst. Die Globalisierung hat sich durch diese Das gilt auch im Bundestag. Ich glaube, Herr technische Entwicklung ebenso wie durch das Ende der Oppermann, wenn Sie nicht mehr im Wahlkampf sind Ost-West-Teilung vor 27 Jahren wahnsinnig beschleu- und alles geklärt ist, was die Sozialdemokraten sonst so nigt. Das macht den Spielraum, in dem wir politische beschäftigt, werden Sie wieder zu der Erkenntnis kom- Entscheidungen treffen, so viel komplizierter. Das sind men: Unser föderales System hat natürlich Schwächen. die Herausforderungen. Dafür ist unser Land durch die Wir haben uns in den Bund-Länder-Verhandlungen auch erfolgreiche Entwicklung in den letzten vier Jahren gut gerieben und wissen, dass da manches suboptimal ist. gerüstet; das ist auch die Aufgabe für die nächsten vier Jahre. Ein Grund für die Überlegenheit des deutschen Mo- dells ist doch im Kern, dass wir in Deutschland nicht al- Im Wahlkampf ist es wichtig, sich daran zu erinnern les zentralisieren und vereinheitlichen. So macht der Mit- und sich klarzumachen, wie das geht. telstand die Stärke der deutschen Wirtschaft aus, nicht Erstens. Volker Kauder hat gesagt: Ohne Wirtschaft nur ein paar Großunternehmen. Es geht um Vielfalt: Es ist alles nichts. Ich würde „fast“ hinzufügen. Aber wirt- gibt die kommunale Selbstverwaltung, starke Länder und schaftliche Erfolge sind nicht Erfolge der Politik. Die einen starken Bund. Allerdings muss jeder seine Aufga- Politik kann in der Regel wirtschaftliche Erfolge verhin- ben richtig wahrnehmen. Dafür muss man die richtigen dern; das hat sie oft genug bewiesen. Ansonsten kann sie, Anreize setzen. wenn sie es gut macht, einen Rahmen setzen, dass Ar- (Beifall bei der CDU/CSU) beitnehmer, Unternehmer und Verbraucher so miteinan- Der Ansatz, in der Bildungspolitik möglichst viel zu (B) der arbeiten, dass es zum wirtschaftlichen Erfolg beiträgt. (D) Das haben wir in den letzten Jahren erfolgreich gemacht. vereinheitlichen, wird die Situation nicht besser machen. Dazu gehört übrigens ganz entscheidend das Vertrauen in (Bettina Hagedorn [SPD]: Es geht nicht um die Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit von Politik, auch das Allgemeine, es geht um Investitionen!) in die Finanzpolitik und in die Nachhaltigkeit öffentli- cher Haushalte und in die sozialen Sicherungssysteme. Frankreich ist – hoffentlich – auf dem Weg, stärker zu Deswegen ist solide Finanzpolitik eine Voraussetzung für werden; das wäre im Interesse Europas und im Interesse wirtschaftliches Wachstum und dafür, dass es den Men- Deutschlands. In Frankreich diskutiert man sehr ernst- schen besser geht. haft über die Nachteile der zu starken Zentralisierung des dortigen Systems; wir sollten das nicht vergessen. Auch (Beifall bei der CDU/CSU) im Föderalstaat gilt, dass jeder seine Aufgaben optimal und richtig erfüllen, dass sich jeder daran messen lassen Zweitens. Man muss die Systeme so gestalten, dass und dafür die Verantwortung übernehmen muss. Für die die Menschen die richtigen Entscheidungen treffen. Bildungspolitik sind in erster Linie die Länder zuständig. Das gilt in den Bundesländern und der Bundesrepublik Sie müssen ihre Aufgaben wahrnehmen. Man kann die Deutschland, und das gilt in Europa. Natürlich sind wir Ergebnisse vergleichen. Dort, wo sie schlecht sind, wäh- in diesem Bundestag uns alle – oder fast alle – darin ei- len die Wählerinnen und Wähler die jeweilige Landes- nig: In dieser globalisierten Welt werden wir nur durch regierung ab und entscheiden sich für eine bessere. Das ein starkes und handlungsfähiges Europa die großen He- war in diesem Jahr gar nicht so schlecht. rausforderungen der Zukunft besser bewältigen können. Dass wir hier noch viel zu leisten haben, ist gar keine (Beifall bei der CDU/CSU) Frage. Aber man muss Europa richtig machen. Ich werbe dafür, dass wir bei diesen Prinzipien bleiben Wir alle haben vor zehn Jahren unter den Folgen der und sie nicht aus den Augen verlieren. Im Übrigen: Wenn Finanz- bzw. Banken- und dann der Wirtschaftskrise wir uns die Zahlen anschauen – sie spielen in dieser De- gelitten. Was war die Ursache? Haftung und Entschei- batte fast gar keine Rolle –, dann ist es wirklich jenseits dungszuständigkeit in den Finanzmärkten waren ausei- jeder Realität, zu behaupten, der Bund habe den Ländern nandergefallen. Das war die Ursache. Alle haben gesagt: und Kommunen – das gilt übrigens für die letzten zwei Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Die, die ent- Legislaturperioden – nicht mehr geholfen als jede Bun- scheiden, müssen für die Folgen ihrer Entscheidungen desregierung zuvor. Jeder Vertreter einer kommunalen haften. Interessenvertretung oder eines kommunalen Verbandes sagt, nie zuvor sei eine Bundesregierung so kommu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nalfreundlich gewesen wie die Bundesregierungen in den 25288 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) letzten beiden Legislaturperioden. Das gilt im Übrigen werden wir ganz andere wirtschaftliche Zahlen haben, (C) auch für die Länder. Alle 16 Ministerpräsidenten haben als wenn wir die erfolgreiche, von Angela Merkel ge- sehr gefeiert, dass sich der Bund in den Bund-Länder-Fi- führte Regierung fortsetzen können. nanzverhandlungen für die Länder eingesetzt hat, sodass sie mit dem Ergebnis zufrieden waren. Nun muss man (Beifall bei der CDU/CSU) aber auch sagen: Erfüllt eure Aufgaben, anstatt die eige- ne Verantwortung – kaum dass die Verhandlungen abge- Frau Göring-Eckardt, ich will auch noch eine Be- schlossen sind – wieder zum Bund zu schieben, und löst merkung zum Thema Migration machen. Ich habe vor eure Probleme selbst! zwei Jahren von einem „Rendezvous mit der Globalisie- rung“ gesprochen. Diese Welt wird durch technologische (Beifall bei der CDU/CSU) Entwicklungen und durch Informationen immer enger zusammenrücken. Wenn die 8 Milliarden Menschen Jetzt will ich, liebe Frau Nahles, noch eine Bemerkung auf dieser Welt immer stärker spüren, wie groß die Un- zu Ihnen machen. Ich bin zwar nicht jeden Tag so sehr terschiede sind, dann werden wir eine gute Zukunft in mit Sozial- und Arbeitsmarktpolitik befasst, aber ein paar Deutschland und in Europa natürlich nur dann haben, Grundprinzipien habe ich gelernt und ganz gut verstan- wenn wir uns stärker dafür engagieren, dass auch andere den. Ich glaube, es ist eine Stärke des deutschen Sozial- eine bessere Chance haben. systems, dass die sozialen Sicherungssysteme im Prinzip von Arbeitgebern und Arbeitnehmern partnerschaftlich Wir haben den Etat für wirtschaftliche Zusammenar- fnanziert werden, und zwar in Selbstverwaltung. Da sind beit in dieser Legislaturperiode übrigens um rund 35 Pro- wir wieder bei dem Prinzip: Wer entscheidet, der muss zent erhöht. Daneben haben wir in dieser Legislaturperi- auch die Verantwortung tragen; denn wenn das auseinan- ode übrigens auch den Etat für Verkehrsinvestitionen um derfällt, ist man furchtbar großzügig. gut 39 Prozent erhöht. Nur so viel zum Sachverhalt! (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gilt das auch für Volkswagen?) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist damit passiert?) Deswegen: Lassen Sie uns bei der Rente um Gottes wil- len an dem bewährten Prinzip der Drittelfnanzierung Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt: Erinnern durch Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Steuerzahler fest- Sie sich noch daran, dass Bundespräsident Joachim halten. Gauck 2015 gesagt hat: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich“, oder dass Papst Franziskus (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie wäre es bei seiner Begegnung mit der obersten Repräsentantin bei der Krankenversicherung mit der Parität?) der lutherischen Weltkirchen, der schwedischen Bischö- (B) (D) Ich sage Ihnen: Wenn Sie hier eine Verschiebung vorneh- fn, Deutschland für seine so große Hilfsbereitschaft im men und alles in die steuerfnanzierte Rente überführen, Gegensatz zu anderen gelobt hat? Wir werden noch in dann wird die wirtschaftliche Leistungskraft Deutsch- Jahrzehnten stolz darauf sein, dass sich unser Land un- lands wesentlich geringer und die Rente unsicherer sein. ter der Führung von Angela Merkel mehr als andere Weil wir das nicht möchten, halten wir an diesem Prinzip als hilfsbereit gegenüber Schwächeren gezeigt hat. Das fest. bleibt für Deutschland wesentlich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD] – Katrin Göring-Eckardt Zur demografschen Entwicklung. Wir haben schon in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht den 90er-Jahren im Rahmen der Rentenversicherung ei- mit Libyen, Herr Schäuble!) nen demografschen Faktor eingeführt. Dabei ging es um das System der dynamischen Rente. Auch Rentner sollen – Ich versuche gerade, etwas zu sagen. Ich habe Sie auch am Fortschritt der wirtschaftlichen Entwicklung teilha- reden lassen und nicht unterbrochen. Ganz ruhig! ben; denn die Rente ist auch der Lohn für die Lebensleis- tung. Wenn sich das Verhältnis von Älteren und Jüngeren (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE verändert, muss man das natürlich berücksichtigen. Ich GRÜNEN]: Ich bin da nicht ruhig!) glaube, es ist völlig unsinnig, zu sagen: Egal wie sich die Lebenserwartung entwickelt, das Rentenalter bleibt Ein solches Problem gab es auch schon bei der Wie- für alle Zeiten unveränderbar. – Das ist leider jenseits al- dervereinigung 1990/1991. Damals hatten wir auch über ler Regeln. Sie haben das gerade gesagt, aber das ergibt eine halbe Million Asylbewerber in Deutschland, und keinen Sinn. wir mussten in einer fürchterlichen Auseinandersetzung schließlich eine Grundgesetzänderung erringen – sie hat Wir haben gemeinsam verabredet, dass das Renten- uns viel gekostet –, um die Rechtspraxis in Deutschland eintrittsalter bis 2030 jedes Jahr um einen Monat bis zum an die Genfer Flüchtlingskonvention anzupassen. Alter von 67 Jahren angehoben wird. Da Sie selber ge- sagt haben, wie sehr sich die Annahmen für die Renten- Wir können nicht jeden, dem es auf dieser Welt versicherung in den nächsten Jahren durch die Beschäf- schlecht geht, das Recht geben, auszuwählen, wo er le- tigungszahlen verändern werden, macht es gar keinen ben will, Sinn, dass wir jetzt eine Debatte über die Jahre zwischen 2030 und 2050 führen. Keiner weiß, was bis dahin ist. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Wenn wir eine rot-rot-grüne Regierung bekommen, dann GRÜNEN]: Das sage ich auch nicht!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25289

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) sondern wir müssen die Migration steuern, und das geht Wir haben das in den letzten Jahren gut gemacht. Wir (C) nur in Zusammenarbeit. brauchen alle Kraft, um in den nächsten Jahren weiter- zugehen. Ich plädiere dafür, verehrte Kolleginnen und (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Kollegen, dass wir dies unseren Mitbürgerinnen und Mit- GRÜNEN]: Aber mit wem?) bürgern im Wahlkampf jeden Tag sagen. Wenn sie dann Deswegen brauchen wir drei Dinge: Wir müssen die eine gute Wahlentscheidung treffen, dann ist das gut für Migration in Zusammenarbeit mit den Anrainerländern Deutschland und Europa. im Mittelmeer steuern, wir müssen natürlich dafür sor- Herzlichen Dank. gen, dass die Vereinten Nationen – der Flüchtlingskom- missar – dort die Verantwortung übernehmen – genau (Beifall bei der CDU/CSU) das macht die Bundesregierung; genau darüber hat die Bundeskanzlerin mit den anderen geredet; ohne das geht Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: es nicht –, und wir müssen – das habe ich schon vor zwei Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da dies meine letzte Jahren gesagt, und das sage ich in jeder Haushaltsrede; Sitzung im Deutschen Bundestag sein wird, weil ich für eigentlich soll das heute ja eine Haushaltsdebatte sein – den neuen Bundestag nicht mehr kandidiere, bitte ich da- sehr viel mehr für die Stabilisierung unserer Nachbar- rum, einige Worte sagen zu können. schaft in Afrika investieren. Ich bin Abgeordnete in einer sehr spannenden Zeit ge- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE wesen. Als ich im Januar 1987, vor über 30 Jahren, das GRÜNEN]: Aber nicht mit Waffen!) erste Mal in den Deutschen Bundestag gewählt worden Deswegen sollten Sie hier keine solchen Reden halten, bin, habe ich mir nicht vorstellen können, einige Jahre als könnten wir unbegrenzt Geld verteilen, weil es uns später in einem geeinten Land leben zu dürfen. Ich hätte gut geht. Nein, wir müssen wirtschaftlich leistungsfähig mir überhaupt nicht vorstellen können, dass ich an die- bleiben, um Frieden und Stabilität in diesem Land auch sem Prozess sogar mitwirken konnte: als Abgeordnete, in der Zukunft zu gewährleisten. Es muss uns gelingen, unter anderem im Ausschuss für Deutsche Einheit. Ich die Migration entsprechend zu steuern, und es muss uns hätte mir einige wenige Jahre später aber auch nicht vor- gelingen, die Menschen, die kein Recht haben, hier zu stellen können, dass die Hoffnungen, die ich und auch bleiben, oder die sich nicht an unsere Gesetze halten, viele andere 1990/1991/1992 hatten, endlich in einem auch schnell wieder abzuschieben. Deswegen müssen Zeitalter des Friedens leben zu können, so schnell wieder wir Algerien, Marokko und Tunesien auch zu sicheren zerstört werden. Herkunftsländern erklären. Stimmen Sie da endlich zu! (B) 30 Jahre lang die Möglichkeit zu haben, als Abgeord- (D) (Beifall bei der CDU/CSU) nete, mehrmals als Ausschussvorsitzende, als Sprecherin meiner Fraktion, als Bundesministerin für Bildung und Wenn Sie Toleranz, Offenheit, Demokratie, Men- Forschung und jetzt als Vizepräsidentin Politik aktiv ge- schenwürde in diesem Land für die Zukunft bewahren stalten zu dürfen, habe ich genau wie Norbert Lammert wollen, dann müssen Sie in der Lage sein, verantwortli- immer als ein Privileg empfunden und wahrgenommen. che Entscheidungen zu treffen. Ein Staat, der die Grund­ Das ist es auch. Das kann nicht jeder. Politik wirklich anforderungen seiner Bürger – die Gewährleistung von aktiv gestalten zu können, zu beeinfussen, die Zukunft Sicherheit und von einem Mindestmaß an Berechenbar- gestalten zu können, Weichen zu stellen, die weit in die keit – nicht erfüllen kann, wird schnell ein Opfer von De- Zukunft hineinreichen, wie mir das mit dem Ganztags- magogen. schulprogramm, mit der Nachwuchswissenschaftlerför- derung, mit der grundlegenden Reform des BAföG und (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE der Exzellenzinitiative gelungen ist, um nur einiges zu GRÜNEN]: Dazu gehört nicht, dass wir Waf- nennen, das ist eine wirklich wunderbare Möglichkeit, fen an Autokraten liefern!) für die ich außerordentlich dankbar bin. Deswegen noch einmal: Sie können nicht politische Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass all Verantwortung tragen, ohne sich schuldig zu machen. das nicht ohne Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegen Helmut Schmidt ist vor einiger Zeit gestorben. Er hat geht. Ich glaube, das weiß jeder, egal in welcher Funktion immer gesagt: Als Politiker wird man schuldig, wann man ist. Deshalb möchte ich mich bei Ihnen allen ganz immer man entscheidet. – Das sage ich zu Ihnen, Frau herzlich bedanken. Göring-Eckardt, die Sie in der evangelischen Kirche eine große Verantwortung getragen haben. Das muss man Ich weiß, lieber , dass du dich da- wissen. Aber dem auszuweichen, ist der falsche Weg. mals als Minister für Forschung und Technologie wahr- Wer eine Zukunft in Sicherheit, in Stabilität, in Toleranz scheinlich manches Mal über die junge Abgeordnete und Demut für unser Land will, Bulmahn geärgert hast. Im Übrigen wurde auch ich von anderen geärgert. Aber ich glaube, eines war klar, näm- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE lich dass es immer um die Sache ging. GRÜNEN]: Der macht keine Deals mit Auto- kraten!) Deshalb möchte ich diesen Dank an Sie alle für diese langen Jahre der Zusammenarbeit mit zwei Bitten ver- der muss bereit sein, die notwendigen Entscheidungen zu binden. Ich möchte ihn mit der Bitte verbinden, dass die- treffen. ses Parlament auch in Zukunft wirklich mit aller Kraft 25290 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) und mit allem Engagement für eine starke und stabile Ich möchte mich auch ausdrücklich bei den Mitarbei- (C) Demokratie kämpft. In dieser leben wir nämlich. terinnen und Mitarbeitern bedanken, nicht nur bei denje- nigen, die hinter mir sitzen, sondern bei all denjenigen, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem die uns unsere Arbeit erleichtern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) Vor allen Dingen wünsche ich Ihnen aber auch Erfolg bei Ihrer Arbeit, heftigen Streit in der Sache, aber auch, Nichts kommt von selbst. dass man zu Ergebnissen kommt. Alles Gute für die Zu- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) kunft! Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich Ich werde weiterhin mit Interesse beobachten, mit ein mir, dass dies ein Parlament bleibt, das sehr viel Selbst- bisschen Wehmut gehen, aber auch mit Freude darüber, bewusstsein hat, das debattierfreudig ist, das seine Rech- dass ich so lange mitmachen und mit Ihnen gemeinsam te, aber auch seine Verantwortung wahrnimmt, und dass die Zukunft dieses Landes gestalten konnte. dies ein Parlament bleibt, in dem das Argument und die Leidenschaft für die Sache zählen und nicht Pöbelei, Danke. Rassismus, Ausgrenzung oder Hass an der Tagesordnung (Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die sind. Abgeordneten der SPD erheben sich) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Ja, jetzt muss der Kollege Singhammer kommen. – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann hat die Ministerin Katarina Barley für die Bundes- Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen Sie strei- regierung das Wort. ten; denn das fällt nicht vom Himmel. (Beifall bei der SPD) Ich habe eine zweite Bitte. Viele wissen, dass mein Herz für Bildung, Wissenschaft und Forschung brennt – Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie, immer noch. Ja, wir investieren viel in Wissenschaft und Senioren, Frauen und Jugend: Forschung. Darüber, dass uns das gelungen ist, bin ich sehr, sehr froh, und wir müssen dies fortsetzen. Auch das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ist richtig. Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Wir Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema müssen noch mehr tun. Aber wir müssen noch viel, viel heute ist die Situation in Deutschland, und ich will mich mehr in Bildung investieren. vor allen Dingen meinem Amt entsprechend auf die Situ- ation der Frauen beziehen. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eines vorweg: Für die Frauen in diesem Land hat sich in den letzten vier Jahren viel zum Positiven verän- Es gibt kaum etwas, von dem die Lebenschancen ei- dert. Das hat viel mit der sehr guten Arbeit von Manuela nes Menschen so stark abhängen wie von den Bildungs- Schwesig zu tun, der ich für ihren Einsatz an dieser Stelle chancen, und es gibt keinen anderen Bereich, von dem auch noch einmal ganz herzlich danken möchte. unsere Zukunft so abhängt wie von Bildung, Wissen- schaft, Forschung und dem, was wir können, was unsere (Beifall bei der SPD) Kompetenz ausmacht. Ich will jetzt nicht viel aufzählen, aber was mir ganz Deshalb, sehr geehrter Herr Schäuble: Ja, wir leben besonders am Herzen liegt, ist die Reform des Unter- in einem föderalen Staat, und er hat wirklich sehr vie- haltsvorschusses, die ganz vielen, vor allen Dingen le Stärken. Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt, weiblichen, Alleinerziehenden und deren Kindern zugu- diesen föderalen Staat immer wieder zu stärken und zu tekommt. So viel zum Positiven. unterstützen. Aber wir leben auch in einer sozialen De- Politik beginnt aber, um den großen Sozialdemokra- mokratie, und zu einer sozialen Demokratie gehört auch, ten Kurt Schumacher zu zitieren, mit dem Betrachten der dass man sich gegenseitig unterstützt, Wirklichkeit. Da muss ich schon sagen: In den letzten (Beifall bei der SPD) Wochen gab es in einem anderen Punkt den Versuch, ein großes Problem kleinzureden, nämlich die Lohnlücke dass man auch diejenigen unterstützt, die dieses Ziel un- zwischen Männern und Frauen. Die ungeschönte Lohn- ter schlechteren Rahmenbedingungen erreichen müssen. lücke beträgt 21 Prozent. Wer das leugnet, wie zuletzt Der Wert und die Stärke einer Demokratie zeigen sich der CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der das als Fake auch daran, wie viel sie in ihre Kinder und ihre Zukunft News bezeichnete, zeigt damit, dass er nicht einmal im investiert. Ansatz willens ist, dieses Problem ernsthaft anzugehen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir hier noch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mehr tun müssen: Wir müssen mehr investieren, und es Das Problem liegt offen zutage. 6 Prozent ist der rich- sind mehr Anstrengungen nötig, auch vom Bund. Auch tige Wert, wenn man einen Mann und eine Frau auf exakt dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, lohnt es sich zu demselben Arbeitsplatz hat. Dann beträgt die Lohnlücke streiten. 6 Prozent. Schon das ist doch nicht nachzuvollziehen. (Beifall bei der SPD) Bei 2 000 Euro Einkommen bekommt man 120 Euro we- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25291

Bundesministerin Dr. Katarina Barley (A) niger, nur weil man eine Frau ist. Mir soll einmal jemand dann sei alles in Ordnung. Nun sind wir am Ende der (C) erklären, warum das richtig sein soll. Legislaturperiode. Schauen wir zurück. Die SPD hat den Koalitionsvertrag umgesetzt, vor allen Dingen wenn es (Beifall bei der SPD) um Frauen und die Quote ging, und zwar gegen Ihren Aber es kommen weitere Faktoren hinzu: Teilzeit als Widerstand. Und CDU/CSU? Sie haben den Koalitions- Karrierefalle, die dafür sorgt, dass man bei Beförderun- vertrag gebrochen, vor allen Dingen dort, wo es um die gen nicht mehr berücksichtigt wird, und vor allen Dingen Frauen ging. die deutlich schlechtere Bezahlung der sogenannten tra- ditionellen Frauenberufe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Pfui!) Die Lohnlücke, die sich auf insgesamt 21 Prozent summiert, hinterlässt natürlich Spuren bei der Altersver- Sie haben, als es um Entgelttransparenz ging, den Aus- sorgung. Dass Frauen trotz Arbeit von Altersarmut be- kunftsanspruch, der Frauen erst in die Lage versetzt, zu droht sind, ist eine der größten Ungerechtigkeiten in die- erfahren, wie viel die Männer verdienen, so verwässert, sem Land. Das ist keine statistische Lappalie. Das beste dass er nur für Frauen gilt, die in großen Unternehmen Mittel gegen Altersarmut sind gute Löhne; das wissen arbeiten. wir alle. Die SPD wird deshalb weiterhin gegen anhal- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihr tenden Widerstand – auch von CDU/CSU – gegen die könnt doch allein nichts beschließen!) Lohnungerechtigkeit bei Männern und Frauen kämpfen. Als es um das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nach einer (Beifall bei der SPD) Phase der Teilzeit ging, hat Andrea Nahles eins zu eins Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bedeutet, das Recht die Vereinbarung im Koalitionsvertrag in einen Gesetz- zu haben, zu wissen, was die männlichen Kollegen im entwurf gegossen. Aber Sie haben ihn abgelehnt. Durchschnitt verdienen, und die gleiche Wertschätzung für die geleistete Arbeit zu bekommen. Das betrifft vor (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli allen Dingen die Berufe im Sozial- und Gesundheitswe- Nissen [SPD]: Buh!) sen, die Erzieherinnen und Erzieher, die Altenpfegerin- Schließlich sah der Koalitionsvertrag eine Solidar- nen und Altenpfeger, die Hebammen sowie die Kran- rente für diejenigen vor, die lange gearbeitet haben und kenpfegerinnen und Krankenpfeger. Ich nenne beide trotzdem eine kleine Rente beziehen. Das wäre vor al- Geschlechter, aber 80 Prozent derjenigen, die diese Be- lem Frauen zugutegekommen. Von Anfang an haben Sie rufe ausüben, sind Frauen. Wenn wir schon von Lebens- nicht den geringsten Mut erkennen lassen, dieses Vorha- leistung sprechen, Herr Schäuble, dann sollten wir nicht ben tatsächlich umzusetzen. Sie haben dieses Vorhaben (B) vergessen, dass die in diesen Berufen geleistete Arbeit am langen Arm verhungern lassen. (D) körperlich schwer ist, oft emotional belastend ist und viel Schichtarbeit erfordert. Die Menschen, die solche Berufe (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ausüben, haben es verdient, einen anständigen Lohn zu Wir können festhalten: Wo immer es um die Rech- bekommen und dann eine anständige Rente im Alter zu te der Frauen geht, steht die SPD klar auf der Seite der beziehen. Frauen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir haben angepackt. Wir haben angefangen bei der Reform der Pfegeberufe. Dass man Schulgeld mitbrin- Die CDU und die CSU fallen, wenn es hart auf hart gen muss, wenn man sich ausbilden lassen will, dass man kommt, den Frauen in den Rücken. Daher hilft es auch keine Ausbildungsvergütung bekommt wie im Beruf der nichts, auf den letzten Metern sein Herz für Frauen zu Erzieherin, in dem vier von fünf Jahren Ausbildung keine entdecken. Es hilft noch nicht einmal, wenn man selber Vergütung gezahlt wird, gäbe es wahrscheinlich in Beru- eine Frau ist, Frau Merkel; denn Frauen sind weder wei- fen, die überwiegend von Männern ausgeübt werden, von nerlich noch blöd. vornherein nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frauen kennen ihre Rechte, und Frauen wollen ihr Recht. Viel wäre noch zu sagen zur Vereinbarkeit von Beruf Frauen wollen die Hälfte der Welt, und das ist ganz rich- und Familie, zu guter Bildung und insbesondere – das tig so. Frauen verdienen mehr, und Deutschland verdient hat Edelgard Bulmahn angemerkt – zur frühkindlichen mehr. Wenn alle Frauen ihr Recht am 24. September gel- Bildung. tend machen, dann ist mir nicht bang. Aber, Herr Kauder, ich würde gern noch ein Wort zu Vielen Dank. Ihnen verlieren. Sie haben sich in der letzten Woche in die Reihe der Quotenbefürworter eingereiht. Sie haben (Beifall bei der SPD) doch eben gesagt, dass man auf den letzten Metern vor der Wahl seine Meinung nicht um 180 Grad ändern dürfe. Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich erinnere Sie nur daran, was Sie über meine Vorgän- Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin gerin gesagt haben, als sie sich für die Quote eingesetzt Gerda Hasselfeldt. hat: Die Frau Familienministerin solle nicht so weiner- lich sein, sondern solle den Koalitionsvertrag umsetzen; (Beifall bei der CDU/CSU) 25292 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

(A) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): richtig gelegen haben, nämlich solider Haushalt, keine (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Steuererhöhungen, stabile Sozialversicherungsbeiträge, so mancher Rede heute, gerade auch bei der letzten, habe Investitionen zielgerichtet in die Infrastruktur, in Digi- ich mich immer wieder gewundert, wie man eigene Er- talisierung und auch in Bildung und Forschung. Das wa- gebnisse, eigene Arbeitserfolge einfach so schlechtreden ren die Maßnahmen, die zum Erfolg geführt haben. Wir kann und sich von dem, was man gemeinsam in dieser brauchen nichts Neues zu beginnen, sondern wir müssen Koalition zum Wohl der Menschen beschlossen hat, dis- an diesem Kurs festhalten. Das ist die erste große He- tanziert und dann verpuffen lässt. Wir haben erfolgreich rausforderung. regiert. Dazu kommt eine zweite große Herausforderung, die (Beifall bei der CDU/CSU) zu bewältigen wir in dieser Legislaturperiode durchaus begonnen haben. Ich denke an die Umbrüche in der Ar- Ich habe mich bei so mancher Rede, die ich heute beitswelt: an die Digitalisierung und die Modernisierung vonseiten der Opposition, aber auch vonseiten mancher der Infrastruktur im Verkehrsbereich. Gerade in diesen Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion gehört beiden Sektoren sind in dieser Legislaturperiode Wei- habe, auch gewundert, wie das Land dargestellt wird. Da chen gestellt worden. Gerade in diese beiden Sektoren frage ich mich manchmal: In welchem Land leben Sie werden wir auch künftig investieren. eigentlich? Von welchem Land reden Sie? (Ulli Nissen [SPD]: Wir sehen mit offenen Der Finanzminister hat es vorhin angesprochen: Augen, was in dieser Welt passiert!) 35 Prozent mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruk- tur, eine Zunahme der Investitionen in die Breitband- Tatsache ist, dass es den Menschen im Land gut geht, struktur. Wenn dann gerade vonseiten der Grünen – wie dass es ihnen besser geht als vorher, und das spüren sie vorhin von Herrn Özdemir – auch noch beklagt wird, auch. dass durch das Verkehrsministerium die Weichen nicht richtig gestellt worden wären, dann fordere ich Sie auf, (Beifall bei der CDU/CSU) doch einmal in die Regionen zu schauen: Wer blockiert Wer das nicht wahrhaben will, der braucht bloß einmal denn vor Ort die Verkehrsprojekte? die Situation nach der Abwahl der rot-grünen Regierung im Jahr 2005 – Angela Merkel übernahm die Regierungs- (Beifall bei der CDU/CSU) verantwortung – und die jetzige Situation zu vergleichen: Das sind nicht wir; das sind in weiten Bereichen die Grü- Damals 5 Millionen Arbeitslose, heute weniger als die nen. Hälfte; damals, zwischen 2002 und 2005, 1,5 Millionen (B) weniger sozialversicherungspfichtig Beschäftigte, seit Wir haben aber auch noch andere Situationen. Wenn (D) 2005 plus 5 Millionen sozialversicherungspfichtig Be- es darum geht, die Beschäftigungssituation zu verbes- schäftigte; sern, nennen wir das Stichwort „Automobilindustrie“. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, das, was da an Manipulationen vorgefallen ist, hat viel Vertrauen zerstört: Vertrauen in eine wichtige, wenn damals viermal in Folge die Maastricht-Kriterien ver- nicht sogar die wichtigste Branche unserer Wirtschaft. fehlt, während der gesamten abgelaufenen Legislaturpe- Worum geht es jetzt? Jetzt geht es darum, die Grenz- riode keine neue Verschuldung. Das ist die Bilanz dieser werte einzuhalten und gleichzeitig die Arbeitsplätze von Regierung im Vergleich zur Bilanz der letzten SPD-ge- Hunderttausenden von Menschen in der Automobilbran- führten Regierung. che nicht zu gefährden, und es geht darum, 16 Millionen Diesel-Kfz-Besitzer nicht zu beschädigen. Diese Aufga- (Beifall bei der CDU/CSU) be steht vor uns: Umwelt, Arbeitsplätze und Menschen Dass die Menschen Rot-Grün und Rot-Rot-Grün nicht vor Ort, die Dieselautos fahren. vertrauen, weil sie dies noch im Hinterkopf haben, weil sie Erfahrungen mit den Jahren bis 2005 gemacht haben, (Beifall bei der CDU/CSU) das ist meines Erachtens verständlich. Aber machen Sie Die Maßnahmen, die dazu jetzt auf den Weg gebracht bitte nicht den Fehler, dass Sie das Land schlechtreden werden, sind meines Erachtens die richtigen: Maßnah- und dass Sie damit den Fleiß der Menschen schlecht- men, die gestern auf den Weg gebracht worden sind, und reden; denn dieser Erfolg, der Erfolg der letzten Jahre, auch Maßnahmen, die auf dem vergangenen Gipfel an- hängt auch mit dem Fleiß der Menschen im Land zusam- gesprochen wurden und im November realisiert werden men, und er hängt mit einer guten Regierung in Berlin sollen. zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu kommt noch ein Weiteres. Es ist heute vielfach die Rede gewesen von Armut, von Alterssicherung, von Aber wir werden uns darauf nicht ausruhen. Jeder der Frage: Wie kommen wir mit den Langzeitarbeitslosen Arbeitslose ist einer zu viel, und es ist unbestritten: Die zurecht? Ja, jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Nur, mit beste Sozialpolitik ist, den Menschen Arbeit und Be- den Mitteln, mit denen die Sozialdemokraten die Proble- schäftigung zu geben. Deshalb ist auch unser Ziel Voll- me zu lösen meinen, werden wir sie nicht lösen, näm- beschäftigung. Dafür brauchen wir das Rad aber nicht lich mit einem Weiterbildungskonto von 20 000 Euro für neu zu erfnden; denn die Erfolge dieser Legislaturperio- jeden oder auch mit der Verlängerung des Arbeitslosen- de zeigen, dass wir mit unseren Zielen und Maßnahmen geldbezugs. Meine Damen und Herren, das bringt keinen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25293

Gerda Hasselfeldt (A) zusätzlichen, aber auch wirklich keinen einzigen zusätz- Das unterscheidet uns ganz wesentlich von den Vorschlä- (C) lichen Arbeitsplatz; es kostet aber, gen der Sozialdemokraten und vieler anderer. Wir wollen eine Entlastung für alle: vom Facharbeiter (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ge- nau!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bis zum Mil- lionär!) und zwar ganz gewaltig: Mehrere Hunderte von Milliar- den sind da im Gespräch. bis zum Mittelständler. Wir wollen nicht eine Belastung der Leistungsträger unserer Gesellschaft, wie sie in den (Beifall bei der CDU/CSU) Vorschlägen der SPD vorgesehen ist. Man hat da ja den Eindruck, dass die Leistungsträger unserer Gesellschaft Das alles ist das übliche Muster der Sozialdemokraten, bei der SPD die Melkkuh der Nation sind. nämlich: Verschuldung, Verschuldung, Verschuldung. Es macht ja nichts aus. Das Geld kommt von irgendwoher. – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Irgendwo hatte Frau Thatcher, die frühere Premierminis- Widerspruch bei der SPD) terin, schon recht, als sie einmal sagte: Das Problem der Zur steuerlichen Entlastung gehört aber auch die Ent- Sozialisten ist, dass ihnen irgendwann einmal das Geld lastung der Familien. Ich halte nichts davon, dass man anderer Leute ausgeht. – Genau das trifft den Kern. immer über einzelne Aspekte diskutiert. Das, was wir (Beifall bei der CDU/CSU) unseren Kindern und Enkelkindern in der Tat mitgeben können, sind vielmehr die beste Bildung, die beste Erzie- Es wurde vorhin auch mehrfach von der Rentensituati- hung und intakte Familien, die auch materiell in der Lage on gesprochen. Wir haben Rentenreformen, die unter dem sind, für sie zu sorgen. Kanzler Schröder und dem Arbeitsminister Müntefering (Beifall bei der CDU/CSU) beschlossen wurden, zugestimmt. Die Eckwerte, die da- mals die Grundlage waren – vom Rentenniveau bis hin Deshalb ist es erstens notwendig, dass wir im Bil- zum Rentenbeitragssatz –, sind heute günstiger, sogar dungsbereich nicht nur Forderungen an wen auch immer günstiger, als sie damals für heute prognostiziert wurden. stellen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wie es man- Das ist die Wahrheit. che in Form von Forderungen an den Bund tun, sondern dass auch jeder seine Verantwortung an der Stelle wahr- (Beifall bei der CDU/CSU) nimmt, an der er sie trägt. Warum sind in Bayern bei- Deshalb sollte man gerade dieses Thema, das in der spielsweise die Schulen intakt? Warum gibt es in Bayern Vergangenheit immer in großem Konsens des Parla- keine maroden Schulen, (B) ments, meines Erachtens zu Recht, entschieden wurde, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) (D) nicht zu Wahlkampfzwecken missbrauchen und die Leu- te nicht verunsichern. Wir haben momentan hier keinen dagegen aber in Nordrhein-Westfalen? Handlungsbedarf, nicht zuletzt aufgrund der guten wirt- (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Bund-Län- schaftlichen Entwicklung. Das, was wir in künftigen Jah- der-Finanzausgleich 38 Jahre zugunsten von ren zu entscheiden haben, soll in einer Kommission mit Bayern!) Fachleuten und Politikern erarbeitet werden – in der Zeit, die man sich dafür nimmt, nicht im Hauruckverfahren. Warum gibt es Unterrichtsstundenausfälle insbesondere Das sind wir der jüngeren Generation, den Beitragszah- in Nordrhein-Westfalen und anderen SPD-regierten Län- lern, und der älteren Generation schuldig. Beides gehört dern? Verantwortung wahrnehmen – der Finanzminister gerade bei der Rentenversicherung beachtet. hat es vorhin deutlich gemacht – gehört zur Kompetenz dazu. (Beifall bei der CDU/CSU) (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Lassen Sie mich aber auch einige Worte zu einem Darauf müssen wir immer wieder achten. Das gilt im pri- Thema verlieren, das heute in der Debatte, wenn ich das vaten Bereich genauso wie im öffentlichen Bereich. richtig verfolgt habe, kaum eine Rolle gespielt hat. Das ist das Thema: Wie gehen wir mit der Steuerbelastung in (Beifall bei der CDU/CSU) unserem Land um? Ich habe vorhin davon gesprochen: Der zweite Punkt: Wir wollen die Familien stärken. Wir wollen auch künftig den Kurs fortsetzen: keine neu- Deshalb wollen wir in der nächsten Legislaturperiode en Schulden, keine Steuererhöhung. das Kindergeld erhöhen, und zwar kräftig – um 25 Euro Durch die Solidität der Wirtschafts- und Finanzpo- im Monat –, und wir wollen auch den Kinderfreibetrag litik der letzten Jahre und auch, weil die Wirtschaft so an den Freibetrag der Erwachsenen anpassen; denn Kin- gut läuft, haben wir jetzt den Spielraum, dass wir den der sollten beim Freibetrag steuerlich genauso behandelt Steuerpfichtigen etwas zurückgeben können. Deshalb ist werden wie die Erwachsenen. Das ist unser Ziel. Wir es 27 Jahre nach der Wiedervereinigung an der Zeit, den werden das im Rahmen der fnanziellen Möglichkeiten Solidaritätszuschlag abzuschaffen, und es ist an der Zeit, realisieren. eine Einkommensteuerreform mit einer Entlastung der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einkommensteuerzahler zu machen, und zwar mit einer Entlastung für alle. Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren und besonders in den letzten Monaten haben wir deutlich ge- (Beifall bei der CDU/CSU) merkt: Terrorismus, Gewalt, Kriminalität, all das macht 25294 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Gerda Hasselfeldt (A) an den nationalen Grenzen nicht halt. – Wir alle mitei- „Wir sind, so wie jetzt auch, ein Hort der Stabilität und (C) nander haben bei all den Anschlägen immer wieder er- des Wohlstands. Darauf sind wir stolz.“ fahren – das erleben wir ja nun fast tagtäglich –, dass unsere Sicherheitskräfte, dass unsere Polizeibeamten (Beifall bei der CDU/CSU) genauso wie die Soldaten im Ausland und im Inland, Zu diesem Erfolg haben viele Debatten hier im Haus aber auch die haupt- und ehrenamtlich Tätigen in den Si- beigetragen – Debatten, die heute mit großer Leiden- cherheitsorganisationen eine ungemein wichtige, aufop- schaft geführt werden. Trotz dieser Leidenschaft habe ferungsvolle Arbeit leisten. Sie verdienen unseren Dank ich überwiegend den Eindruck, dass diese Debatten im und unsere Anerkennung. gegenseitigen Respekt geführt wurden und werden. Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- möchte sehr herzlich dafür danken, dass diese Debatten ordneten der SPD) in einem Haus stattfnden konnten, das großes Ansehen in der Bevölkerung genießt und dessen Ansehen vonsei- Aber davon alleine haben sie noch nichts. ten der Bevölkerung in den letzten Jahren noch gestiegen Wir müssen auch für die entsprechende personelle ist. Ausstattung, für ihre sachliche Ausstattung, für ihre Be- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Seit fünf Mi- fugnisse arbeiten. Wir müssen darum kämpfen, dass all nuten überzieht sie!) dieses auch zur Verfügung gestellt wird. Da geht es um Videoüberwachung, da geht es um Abschiebehaft, da Das haben wir wesentlich dem Bundestagspräsidenten geht es um die elektronische Fußfessel, da geht es um Norbert Lammert zu verdanken. Deshalb möchte auch Schleierfahndung. Ich habe mich schon oft gefragt, wa- ich ihm sehr herzlich für seine Führung des Hauses dan- rum in Bayern diese Instrumente angewandt werden und ken und ihm alles erdenklich Gute wünschen. in anderen Bundesländern nicht. Die Sicherheit der Men- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schen ist in allen Bundesländern gleich viel wert, und die ordneten der SPD) Verantwortlichen vor Ort müssen diese Instrumente auch anwenden können. Ich danke Ihnen für die kollegiale Zusammenarbeit, für die vielen interessanten Diskussionen und Begegnun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen ebenso wie für die streitigen Diskussionen. Ich emp- Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, wenn in fnde die 30 Jahre, die ich in diesem Parlament mitarbei- Berlin in Bezug auf die Videoüberwachung rumgeeiert ten durfte, als großes Geschenk. Ich bin dankbar für die wird. Möglichkeit, meinem Land und den Menschen im Land so lange dienen zu dürfen. Ich wünsche allen, die künf- Bei alledem, genauso bei der Einbruchskriminalität, (B) tig in diesem Hause arbeiten, eine glückliche Hand und (D) haben wir in der Union nie einen Hehl daraus gemacht, Gottes Segen, und denen, die mit mir ausscheiden, viele dass uns die Sicherheit der Menschen von ganz eminen- glückliche und gesunde Jahre. ter und großer Bedeutung ist. Das ist Markenkern unse- rer Politik. Deshalb haben wir in vielen Verhandlungen – (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- das gehört zur Wahrheit – innerhalb der Koalition hart fall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN dafür gekämpft. Beispielsweise musste es in Bezug auf und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – die Abschiebehaft von Gefährdern leider den Anschlag Die Abgeordneten der CDU/CSU erheben am Breitscheidplatz geben, damit die Sozialdemokraten sich – Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bereit waren, diese Politik mitzugehen. Das ist die Wahr- und Bundesminister Alexander Dobrindt gra- heit. tulieren der Abg. Gerda Hasselfeldt) (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dafür sollten Sie sich schä- Vizepräsident Johannes Singhammer: men! Warum haben denn so viele Anschläge in Liebe Gerda Hasselfeldt, das war Ihre letzte Rede Bayern stattgefunden? – Zuruf von der SPD: nach 30 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Hohen Haus. In Das ist die Musik! – Axel Schäfer [Bochum] diesen 30 Jahren haben Sie höchste Staatsämter und Par- [SPD]: Unglaublich! Was war in München mit lamentsämter innegehabt: Bundesministerin für Raum- dem Oktoberfest?) ordnung, Bauwesen und Städtebau, Bundesministerin für Gesundheit, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, – Regen Sie sich doch nicht so auf, es ist ja nur die Wahr- Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestags- heit, was ich gesagt habe. fraktion und, natürlich, Vorsitzende der CSU-Landes- (Beifall bei der CDU/CSU – Axel Schäfer gruppe. In diesen 30 Jahren hat sich Deutschland in enor- [Bochum] [SPD]: Vor allem, was Sie ver- mer Weise verändert. Als Sie vor 30 Jahren Ihre Tätigkeit schweigen!) begonnen haben, feierte die Stadt Berlin ihr 750-jähriges Bestehen, damals geteilt durch eine Mauer. Jetzt sind wir Meine Damen und Herren, die erfolgreichen Jahre die- Glückskinder der deutschen Einheit, und Deutschland ist ser Legislaturperiode und der Jahre davor sind ein Stück auf der Sonnenseite der Geschichte angekommen. Für weit verbunden mit unserer Arbeit hier im Parlament. diese große Lebensleistung unseren herzlichen Dank! Wir möchten, dass die Menschen nach der nächsten Le- gislaturperiode sagen können: „Ja, es geht uns gut.“ Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- möchten, dass sie sagen können: „Es geht uns besser als ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ vorher“, dass sie auch nach vier Jahren sagen können: DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25295

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Nächster Redner für die Bundesregierung ist Bundes- ben wir über all das verhandelt, was heute hier Thema (C) minister Sigmar Gabriel. war. Aber was kam dann? Es begann mit der großen Kri- se in der Ukraine und dem russischen Einmarsch auf der (Beifall bei der SPD) Krim. Bis heute beschäftigt uns das Thema Ostukraine. Hatten Sie, Frau Merkel, und der französische Staats- Sigmar Gabriel, Bundesminister des Auswärtigen: präsident Hollande stellvertretend für Europa gerade Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist die irgendwie halbwegs Containment organisiert – ich fand letzte Sitzung dieser Legislaturperiode, in der ich Stell- übrigens, dass es ein Akt der Emanzipation war, dass Sie vertreter von Frau Merkel in der Großen Koalition ge- stellvertretend mit Hollande für Europa gehandelt ha- wesen bin. Deswegen will ich am Anfang etwas machen, ben und den Ukraine-Konfikt nicht Russland und den was in einer solchen, durch den Wahlkampf aufgeheizten USA überlassen haben –, kam die Griechenland- bzw. Atmosphäre vielleicht unüblich ist: Ich will mich bedan- Euro-Krise. Die ist dann ganz schnell überholt worden ken, vor allen Dingen bei den Koalitionsfraktionen, die durch über 1 Million füchtende Menschen, die zu uns die Regierung getragen, geschoben, manchmal auch er- gekommen sind. Wenn Sie mir vor einem Jahr oder vor litten haben, speziell bei Thomas Oppermann und Volker zwei Jahren gesagt hätten, dass das Land bei über 1 Mil- Kauder. Ich fand die Zusammenarbeit in den schwierigs- lion zu uns kommender Menschen so stabil bleiben wür- ten Phasen immer besonders gut; das will ich einmal aus- de, wie es stabil geblieben ist, dann hätte ich das kaum drücklich sagen. für denkbar gehalten. Diese Stabilität ist auch eine große Leistung unseres Landes. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will mich auch bei der Opposition bedanken, weil mir die Debatten Spaß gemacht haben Die Terroranschläge, der Rechtspopulismus, die tota- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- le Verunsicherung durch das, was in den USA passiert NEN]: Das stimmt!) ist, all das haben wir ja eigentlich nicht im Auge gehabt, als wir eine Koalitionsvereinbarung geschlossen haben. – uns beiden zum Beispiel in unterschiedlichsten Funkti- Da haben wir über Innenpolitik geredet. Dass wir es ge- onen. – Ich möchte mich aber auch bei den Kolleginnen schafft haben, in dieser rauen See mit großen Verunsiche- und Kollegen im Kabinett und ausdrücklich auch bei Ih- rungen Deutschland und damit in großen Teilen Europa nen, Frau Dr. Merkel, bedanken; denn ich fand, dass die auf Kurs zu halten: dieses Ergebnis ist für mich jedenfalls Zusammenarbeit mit Ihnen in diesen vier Jahren immer der eigentliche Erfolg der Großen Koalition mit Blick auf fair, immer belastbar und gerade in den schwierigen Si- das, was um uns herum und in der Welt passiert ist. (B) tuationen ausgesprochen vertrauensbildend gewesen ist. (D) Herzlichen Dank! Ich will das am Anfang dieser Debatte Ich nehme für uns in Anspruch, dass wir mit Frank- gerne sagen. Walter Steinmeier, mit den Ministerinnen und Ministern der SPD und mit den Kolleginnen und Kollegen der In der Tat: Wir haben eine Menge erreicht; das CDU – das Parlament insgesamt – darauf wirklich stolz stimmt. Thomas Oppermann hat das vorgetragen. Je nach sein können. Ich kenne nicht viele Länder, in denen diese Schwerpunkt haben andere das auch gesagt. Eine Sache, Verunsicherung so viel Stabilität übrig gelassen hat, wie Frau Merkel, kann ich dann aber doch nicht so stehen es in Deutschland bis heute der Fall ist. Das wollte ich am lassen, wenn Sie sagen, gegen Ihren Willen sei das alles Anfang der Debatte einmal sagen. nie denkbar gewesen. Ich kann mich daran erinnern, dass die SPD gelegentlich – gar nicht so selten – helfen muss- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie te, dass Sie gegen Seehofer und Schäuble einen Willen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE haben durften. GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Michael Es geht auch um die Fragen: Wie wird es in Zukunft Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Wille ist sein? Schaffen wir es, diese Balance weiter zu halten? immer da!) Sind wir richtig aufgestellt? Hier kann man all denen zustimmen – Thomas Oppermann, Volker Kauder und Von daher: Ich fnde, wir haben gut auf Sie aufgepasst. anderen –, die gesagt haben: Im Kern muss es darum ge- Das kann man nicht anders sagen. hen, dass wir den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes (Heiterkeit bei der SPD – Katrin Göring- behalten, weil wir nur dann die Balance und Stabilität Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt behalten und wir deshalb übrigens auch nur ernst genom- küssen!) men werden. Ehrlich gesagt ist es leider nicht so, dass in Washington, Moskau oder Peking die Europäische Union Insofern glaube ich wirklich, dass es Grund gibt, zu sa- besonders als Schwergewicht wahrgenommen wird, son- gen, dass wir gut regiert haben. Ich will das aber in erster dern im Kern konzentriert man sich oft auf Deutschland, Linie gar nicht auf die, wie ich fnde, zu Recht erwähnten ein bisschen mehr wieder auf Deutschland und Frank- großen Erfolge, vom Mindestlohn über die Rente nach reich. Das muss sich ändern. Den Chinesen müssen wir 45 Versicherungsjahren bis zur Verdreifachung der Woh- sagen: Wir verstehen die Ein-China-Politik, aber es wäre nungsbaumittel und vieles andere mehr, beziehen. Ich ganz gut, es gäbe auch eine Ein-Europa-Politik und nicht will einen anderen Grund nennen, warum wir, glaube ich, den Versuch, uns aufzuspalten. erfolgreich waren. Wir haben etwas gemacht, was beim Abschluss des Koalitionsvertrages keiner wusste. Da ha- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 25296 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Aber die wirtschaftliche Stabilität dieses Landes ist die men. Gott sei Dank haben Sie und andere ihn daran ge- (C) zentrale Voraussetzung dafür, dass wir im Land, aber hindert, diese Politik weiter zu betreiben. auch von außen betrachtet, unsere Bedeutung behalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber das ist natürlich Irrsinn. In welcher Lage wären wir heute? Heute würden die Finanzmärkte gegen Spa- Dafür allerdings muss man auch Entscheidungen treffen, nien, Italien, Portugal wetten, wir wären beim Auseinan- die das rechtfertigen. Hier ist der Unterschied zur Union. derfiegen des Euros und ganz Europas. Deswegen sage Wir glauben jedenfalls nicht, dass es die Zeit ist, in der ich Ihnen: Wir werden unsere ganze Erzählung über Eu- man große Steuersenkungsversprechen machen kann und ropa ändern müssen, diese dumme Erzählung, wir seien übrigens auch keine unglaublich hohen Rüstungsausga- der Lastesel der Europäischen Union, wir wollten nur ben versprechen kann. Schulden vergemeinschaften. Wir sind die fnanziellen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und wirtschaftlichen Gewinner der Europäischen Union. Das ist die Wahrheit. Kollegin Hasselfeldt – ich habe sie nie als Anhänge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rin von Maggie Thatcher kennengelernt; ich habe sie viel DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der friedlicher und sozialer kennengelernt; so bleibt es auch CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ in meiner Erinnerung – hat vorhin gesagt – das stimmt CSU]: Da steht Leistung dahinter!) natürlich nicht mit den Grundrechenarten überein –: kei- ne Steuern erhöhen, Steuern senken, mehr Geld für Rüs- – Natürlich steht Leistung dahinter. Aber wenn man erst tung, mehr Geld für Bildung, mehr Geld für Infrastruk- einmal in Europa Exportweltmeister ist, dann scheint es tur. Hier muss jemand bei den Grundrechenarten nicht so zu sein, dass man mehr Waren in andere Länder bringt aufgepasst haben. und von denen mehr Geld bekommt als umgekehrt. Das scheint doch irgendwie logisch zu sein. Dann ist die For- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia derung, mehr in Europa zu investieren – in den Kampf Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gegen Jugendarbeitslosigkeit, NEN]) (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Das funktioniert nicht. Deswegen sagen wir: Zuerst geht in die Digitalisierung in Europa, in Forschung und Ent- es darum, in Bildung, in Forschung, in Entwicklung, in wicklung. Kein Strohfeuer für die Konjunktur, das soll Infrastruktur, in digitale Technik, in die Zukunftsfähig- die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents erhöhen. Dann keit dieses Landes zu investieren. Es geht nicht, wenn Sie (B) ist das doch eine Investition in die Zukunft unserer eige- (D) versprechen, in einem Haushalt von 300 Milliarden Euro nen Kinder und Enkelkinder und keine Geldverschwen- einen Block von 70 Milliarden Euro und mehr allein für dung in Europa. Rüstung ausgeben zu wollen, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tom (Beifall bei der SPD) Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) es sei denn, Sie folgen dem Kollegen Spahn – er ist quasi Die Erzählung, man müsse die Nettozahlungen verrin- derjenige, der das sagt, was Herr Schäuble denkt –, der gern, hat in dieser Legislaturperiode – weil Sie das mit sagt, man soll es im Sozialetat einsparen. Da hat Frau der FDP mal gemacht haben – dazu geführt, dass wir we- Merkel, weil sie eine kluge Wahlkämpferin ist, sofort niger Geld in den Fördertöpfen für Ostdeutschland hatten gesagt: Das mache ich nie. – Sie haben allerdings auch und sie deshalb mit zusätzlichen deutschen Steuermitteln einmal gesagt: Sie schaffen die Wehrpficht nicht ab, ver- auffüllen mussten. Also, ehrlich gesagt, das ist auch ein längern die Laufzeit der Atomkraftwerke und führen die Umgang mit Geld – so ähnlich wie bei der Landesregie- Maut nicht ein. Insofern sage ich Ihnen: Ich nehme es rung von Nordrhein-Westfalen, die Sie gerade so gerne sehr ernst, wenn jemand in der Union als neuer Rising loben. Was macht Schwarz-Gelb? Sie kriegen keinen Star erklärt, die Rüstungsausgaben wolle man dadurch ausgeglichenen Haushalt hin. fnanzieren, dass man die Sozialausgaben senkt. Das je- (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] denfalls ist ein Thema, das – das werden Sie gestatten – [SPD]) wir im Wahlkampf nicht verschweigen werden. Das kann so nicht sein. Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn der schwarze Finanzminister schlechter agiert als der rote, dann lässt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der westfälische Bauer den Hund von der Kette – da kön- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen Sie sicher sein. Das fndet der komisch. Es geht also darum, in die Zukunft des Landes zu in- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) vestieren. Dann geht es natürlich um die Frage: Wie ge- Sie haben über das Thema innere Sicherheit gespro- hen wir damit in Europa um? Hier muss ich Ihnen sagen: chen. Ich kann mich ganz gut daran erinnern, wer im Es ist natürlich Zeit, dass wir so etwas wie eine koperni- Bundeskabinett beantragt hat, Mittel für ein paar Tausend kanische Wende in unserer eigenen Europapolitik hinbe- zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei zur Verfügung kommen. Der Kollege Schäuble ist Ende letzten Jahres zu stellen. bei mir gewesen und war der Überzeugung, man müsse Griechenland immer noch aus dem Euro herausbekom- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25297

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Ich kann mich gut daran erinnern, weil ich es selber In diesem Zusammenhang fndet die Debatte über die (C) gewesen bin. Denn kurz vorher hatte die Gewerkschaft Frage statt: Sollen wir wirklich 2 Prozent unseres Brut- der Polizei uns allen geschrieben, dass in den letzten toinlandsproduktes für Verteidigung, für Rüstung ausge- zwölf – damals elf – Jahren immerhin 14 000 Stellen bei ben? der Bundespolizei nicht besetzt wurden. Dann zu plaka- tieren, man wolle mehr für die innere Sicherheit tun, ist Die NATO hat – Sie haben das richtig zitiert – nie be- wenigstens mal mutig. Aber mit der Wahrheit darüber, schlossen, dass es 2 Prozent sein sollen. Übrigens hat die NATO beschlossen, dass Haushaltsfragen und anderes was in der Koalition passiert ist, hat das wenig zu tun. eine Rolle spielen. Es geht doch darum: Erstens ist der (Beifall bei der SPD) Beschluss – wenn auch Sozialdemokraten diesen Kom- promiss damals mitgetragen haben – an sich schon irre. Jetzt zu der Frage, was darüber hinaus passiert. Ich Warum? Weil es doch nicht zuerst um die Frage gehen glaube, es lohnt sich in der Tat, im Bundestag eine De- muss, wie viel wir ausgeben, sondern um die Frage, wo- batte darüber zu führen – nicht kurz vor Ende der Le- für wir es ausgeben. gislaturperiode, aber, wer auch immer dann die Regie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rung bildet, in der Zeit danach –: Was steckt eigentlich hinter unserer Kontroverse über die Rüstungspolitik? In Diese Frage wird gar nicht beantwortet. Die Verteidi- der Analyse kommen wir vermutlich gemeinsam zu dem gungsausgaben in Europa betragen ungefähr 45 Prozent Ergebnis, dass wir, wenn sich das Beispiel Nordkorea der Verteidigungsausgaben der USA, aber wir erzielen durchsetzt, in einer ganz gefährlichen Welt leben, weil nur eine Effzienz von 15 Prozent. Da würde ich doch andere diesem Beispiel folgen würden. Wir erleben doch erst einmal beschließen, die Effzienz zu verdoppeln, in der Welt gerade eine Phase, in der ausschließlich über statt den Haushalt für Verteidigung zu verdoppeln. Das Aufrüstung geredet wird: In China, in Indien, Lateiname- ist doch verrückt. rika, den USA, Russland, Europa, Afrika, überall reden (Beifall bei der SPD) wir nur über Aufrüstung; nirgendwo in der Welt wird über etwas anderes diskutiert. Wenn man sich in einer Das Zweite. Steckt eigentlich die richtige Strategie da- NATO-Sitzung meldet und sagt: „Ich fnde, wir müssten hinter? Die richtige Strategie erklärt Ihnen jeder Soldat, auch mal über Abrüstung und Rüstungskontrolle reden“, der aus dem Auslandseinsatz zurückkommt. Ich frage die dann merkt man richtig, dass man die Veranstaltung stört Soldaten immer danach – Frau von der Leyen garantiert und es nur irgendwo unter „ferner liefen“ auftaucht. auch –, und die Antwort ist immer die gleiche: Ja, man braucht auch Militär. Aber, lieber Herr Gabriel, glauben Im Kern wird das eine ziemlich gefährliche Welt, vor Sie bloß nicht, durch noch mehr Verteidigungs- und Mi- (B) allen Dingen dann, wenn es so weitergeht, dass erst Russ- litärausgaben für Frieden und Stabilität sorgen und gegen (D) land, dann die NATO und die USA die Friedensdividen- die Fluchtbewegungen vorgehen zu können. Sie müssen de, die wir übrigens schon vor der deutschen Einheit dank den Hunger, die Armut, die Hoffnungslosigkeit und die Gorbatschow und Reagan erhalten haben, in Trümmer Zukunftslosigkeit bekämpfen. Das müssen Sie machen. legen. In einem kleinen, weißen Haus in Reykjavík auf Island haben sie damals den Doppelbeschluss verhandelt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der meine Partei fast zerrissen hat, am Ende aber richtig der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE gewesen ist. Man hat gesagt: Wir wollen verteidigungs- GRÜNEN) fähig sein, aber wir machen ein Rüstungskontroll- und Die Redner heute Morgen – zuerst war es, glaube ich, Abrüstungsangebot. – Seitdem ist es verboten, in Europa Herr Mützenich – haben zu Recht auf den Haushaltsent- landgestützte atomare Mittelstreckenraketen zu stationie- wurf hingewiesen, den der Finanzminister vorgelegt hat. ren. Wir erleben gerade, dass Russland dabei ist, diesen Der Verteidigungshaushalt soll um 14 Prozent steigen, Vertrag zu unterlaufen, und dass die USA und die NATO und zwar nur in den nächsten vier, fünf Jahren, und die diskutieren, darauf genauso zu reagieren. Wir erleben, Mittel für die Entwicklungshilfe sollen um 1,4 Prozent dass die USA das Iran-Abkommen mit dem Nukleardeal steigen. Wenn die Infationsrate etwas steigt, dann neh- eigentlich nicht mehr wollen, und wir sind nicht sicher, ob men die Ausgaben sogar ab. Da hilft es nicht, wenn Sie der Vertrag über die Abrüstung atomarer Langstreckenra- ein Zitat von Martin Schulz aus dem Kontext reißen. Es keten noch Bestand haben wird. Das heißt, wir sind in wäre fair, wenn Sie das ganze Interview vortragen wür- einer Phase, in der wir nicht nur über konventionelle Auf- den, rüstung reden, sondern über eine Rückkehr in die dun- kelsten Zeiten des Kalten Krieges. Deswegen sage ich: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das politische Symbol, die politische Handlung, die von dann würden Sie nämlich merken, dass für uns völlig Deutschland ausgehen muss, kann doch nicht sein, dass klar ist: Natürlich müssen wir die Ausrüstung der Bun- wir bei diesem Rüstungswettlauf mitmachen. Das Signal deswehr verbessern, übrigens unter anderem, weil an der Deutschlands – und zwar egal, wer dieses Land regiert Bundeswehr seit zwölf Jahren herumgespart wird. Der hat – war doch immer, dass Deutschland die Stimme des größte Held dabei war der, der 5 Milliarden Euro pro Jahr Friedens und Friedensmacht in der Welt sein will und bei bei der Bundeswehr einsparen wollte; das ist der, dessen der Aufrüstung nicht mitmacht. Rückkehr die bayrische CSU gerade organisiert, nämlich Herr zu Guttenberg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 25298 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Ich bin ja für Resozialisierung – deswegen habe ich Abrüstung und Entspannung geglaubt hat, hatte Brandt (C) nichts dagegen –, den Mut, zu sagen: Wir wollen eine neue Abrüstungs- und Ostpolitik. – Die jetzigen Zeiten sind ähnlich gefähr- (Heiterkeit bei der SPD) lich, wenn nicht gefährlicher. Deutschlands Aufgabe ist aber er ist mit der Bundeswehr ungefähr so sorgsam um- es, genau diese Politik jetzt erneut auf die Tagesordnung gegangen wie mit seiner Doktorarbeit. zu setzen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist dabei herausgekommen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Aufgrund dieses Zusammenhangs glaube ich, dass Der Abgeordnetenkollege Jens Spahn hat um eine Deutschland eine andere Politik betreiben muss, dass wir Kurzintervention gebeten. die Stimme der Rüstungskontrolle und der Abrüstung (Zurufe von der SPD: Oh! – Gegenruf des sein müssen. Natürlich müssen wir gleichzeitig vertei- Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Er hat das digungsfähig sein – das ist gar keine Frage –, aber wir Recht dazu!) müssen das Thema Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder auf die Tagesordnung bringen, und das tun wir Dazu erteile ich ihm das Wort. derzeit nicht ausreichend stark. Ich jedenfalls habe von der CDU/CSU dazu noch keinen einzigen Wortbeitrag Jens Spahn (CDU/CSU): gehört, sondern ausschließlich eine Verteidigung der Aufrüstung in Deutschland. Das fnde ich falsch. Herr Präsident! Lieber Herr Gabriel, ich hätte mich gar nicht gemeldet, wenn Sie nicht für Fairness und ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten richtiges Zitieren der Aussagen von Herrn Schulz gewor- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ben hätten. Ich bin sehr für richtiges Zitieren, auch im Es ist sowieso komisch, dass wir in der Lage sind, Wahlkampf. uns bei Militärausgaben quantitative Ziele zu setzen, (Zuruf von der SPD: Das sagt der Richtige!) aber zum Beispiel bei Bildungsausgaben nicht. Nach OECD-Angaben geben wir 4 Prozent für Bildung aus; Deshalb möchte ich, nachdem Sie seit Wochen auf selbst Frankreich gibt 5,5 Prozent aus. Warum verdop- Marktplätzen und an anderen Orten immer dieselbe peln wir nicht die Bildungsausgaben statt die Rüstungs- Behauptung aufstellen, die Gelegenheit nutzen, Ihnen (B) ausgaben in Deutschland? zu sagen, was ich gesagt habe. Sie können das falsch (D) fnden – das ist okay –; aber es ist nicht so, wie Sie es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ständig behaupten. Ich habe gesagt, dass wir in Zukunft der LINKEN) angesichts dessen, was um uns herum in Europa und der Bei allem, was wir geschafft haben, werden drei Din- Welt los ist – jetzt wörtliches Zitat –, in dem einen oder ge unsere Zukunft bestimmen: erstens die wirtschaftli- anderen Jahr weniger stark Sozialleistungen werden er- che Leistungsfähigkeit unseres Landes; Investitionen höhen müssen – Zitat Ende –, um mehr in Sicherheit zu sind wichtig; zweitens, dass wir Europa zusammenhalten investieren. und nicht weiter spalten, wie das in den letzten Jahren (Ulli Nissen [SPD]: Die Infationsrate macht mit erhobenem Zeigefnger quer durch Europa der Fall ein Minus, Herr Spahn! – Weitere Zurufe von gewesen ist; drittens, dass dieses Land die Stimme für der SPD) Rüstungskontrolle und für Abrüstung erhebt, ganz egal, ob das gerade modern ist; übrigens auch dafür, eine neue Sie können sagen, dass Sie das anders sehen, dass Sie, Entspannungspolitik zu beginnen. nachdem wir in den letzten Jahren viele Erhöhungen bei den Sozialleistungen gehabt haben, die alle gut und rich- Natürlich ist eine Voraussetzung dafür, dass Russland tig waren, noch mehr Erhöhungen wollen. Das ist auch wenigstens einen Waffenstillstand in der Ukraine orga- okay. Aber Sie können vielleicht mit mir konform gehen, nisiert. Ich lese gerade auf Hinweis der Kanzlerin, dass dass „etwas weniger stark erhöhen“ etwas anderes be- Herr Putin öffentlich angeboten hat, was wir beide von deutet als „kürzen“. ihm seit Wochen und Monaten fordern, er aber bisher abgelehnt hat: nämlich eine Blauhelmmission in der Ost- Ich weiß, Sie sind verzweifelt in diesem Wahlkampf, ukraine zur Durchsetzung des Waffenstillstandes. Wenn weil nichts so richtig zündet. das wirklich eine Chance ist, dann lassen Sie uns diese Chance ergreifen. Wir brauchen mehr und nicht weniger (Widerspruch bei der SPD) Entspannungspolitik. Das ist unsere Aufgabe. Jetzt versuchen Sie, ob es um die Lohnlücke, die Mit- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tel für Langzeitarbeitslose oder die Rentenpolitik geht, DIE GRÜNEN) an verschiedenen Stellen mit Halb- und Unwahrheiten Stimmung zu machen. Das spüren wir überall. Das haben Die Entspannungspolitik hat unter in den wir auch in dieser Debatte erlebt. dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges begonnen. 1968, als die Truppen des Warschauer Paktes unter Führung (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der Sowjetunion in Prag einmarschiert sind und keiner an der SPD und der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25299

Jens Spahn (A) Aber da Sie darum bitten, Herrn Schulz richtig zu zi- Lieber Herr Bartsch, Sie müssen das nicht unterschrei- (C) tieren, habe ich eine einfache Bitte für die nächsten drei ben. Wenn Sie diesen Satz richtig fnden, müssen Sie Wochen: Wenn Sie weiterhin, wie in den letzten Wochen, CDU oder CSU wählen. diesen Baustein in Ihren Reden haben, zitieren Sie mich einfach richtig. Um mehr bitte ich gar nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ist das (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der blöd!) SPD und der LINKEN) Herr Özdemir von den Grünen hat versucht, über In- novationen zu sprechen, und sich dann über Sitzheizun- Vizepräsident Johannes Singhammer: gen lustig gemacht. Lieber Herr Özdemir, ja, wir müs- Herr Minister, darauf können Sie antworten. sen dringend darüber reden, was wir tun müssen, damit die Welt im 21. Jahrhundert noch deutsche Autos kauft. Sigmar Gabriel, Bundesminister des Auswärtigen: Diese Autos müssen so innovativ und so modern sein, Herr Kollege Spahn, ich weiß, was Sie meinen, wenn mit alternativen Antrieben, dass die Welt sie wirklich Sie sagen „nicht erhöhen“. Es weiß doch jeder, dass wir haben will. Wahr ist aber auch: Das Rückgrat unserer bei dem, was wir in den Bereichen Rente, Bildung, Pfe- Volkswirtschaft sind der Mittelstand, das Handwerk und ge und Gesundheit vor uns haben, über Mehrausgaben die kleinen innovativen Unternehmen. Deswegen ist Ihr reden müssen, wenn wir wenigstens das Leistungsniveau Vergleich ziemlich daneben; denn der Weltmarktführer von heute halten wollen. für Sitzheizungen ist ein deutscher Mittelständler mit 4 000 Arbeitsplätzen in Deutschland und in Europa. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch das Elektroauto – da bin ich mir ziemlich sicher – der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE wird noch eine Sitzheizung haben. GRÜNEN) Was die SPD betrifft, muss ich sagen: Ich verstehe, Wenn Sie das nicht wollen – und Sie wollen es nicht –, ehrlich gesagt, warum so viele Bürgerinnen und Bürger dann heißt das de facto, dass Sie die derzeitigen Leistun- ratlos sind, wenn sie Sie im Wahlkampf beobachten. gen kürzen wollen. Haben Sie doch den Mumm, das zu sagen! (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie hätten bes- ser nicht reden sollen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie reden über Bildungspolitik, und Frau Schwesig Sie sind doch derjenige in der CDU/CSU, der den nati- schickt ihr Kind auf eine Privatschule. Sie reden über onalkonservativen Flügel als junger Mann neu beleben Abrüstung, sind sich aber selbst nicht darüber im Kla- (B) will. Haben Sie nicht so viel Angst davor, zu sagen, was ren, was Sie eigentlich wollen. Da wir gerade dabei sind, (D) Sie eigentlich sagen wollen, nämlich dass Sie glauben – zu zitieren, lese ich Ihnen gerne noch einmal vor, was das sagen Sie auch sonst im Finanzministerium –, wir Martin Schulz gesagt hat. Er hat gesagt: gäben zu viel Geld für Soziales aus, und dass Sie nicht wollen, dass die Steigerungsraten, die nötig sind, um das Die Experten sagen mir: Zwischen 3 und 5 Milliar- Leistungsniveau in den nächsten Jahren zu halten, vollzo- den braucht die Bundeswehr jährlich mehr. gen werden. Sie wollen das Geld für eine Verdoppelung (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jährlich!) des Rüstungshaushaltes unter anderem aus dem Bereich Soziales holen, um es dem Verteidigungsministerium zu Ja, unbedingt; sollten wir tun. geben. Das ist das, was Sie vorhaben. Im selben Interview wiederholt er auf Nachfrage noch Und machen Sie sich keine Sorgen: Verzweifelte Leu- einmal diese Position. Er sagt mit Blick auf die beiden te sehen anders aus als ich. Verteidigungspolitiker der SPD: (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Das sind gerade die Experten, die mich ja auch be- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE raten, Rainer Arnold und Hans-Peter Bartels, also GRÜNEN) unsere Verteidigungspolitiker, die mir sagen: Zwi- schen 3 und 5 Milliarden für die Bundeswehr mehr Vizepräsident Johannes Singhammer: pro Jahr, das ist das, was wir brauchen. Ganz klar … Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Kollege Dr. Peter Tauber. DIE GRÜNEN]: Aber nicht 30!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie müssen sich irgendwann entscheiden: Regierung und Opposition in einem, das funktioniert nicht. Lieber Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Herr Gabriel, dass Sie so relativ entspannt sind, liegt Gut drei Wochen vor der Bundestagswahl ist diese De- vielleicht auch daran, dass Sie ganz froh sind, dass Sie batte eine Standortbestimmung. Wenn man das Gehörte auf der Regierungsbank sitzen und damit relativ weit zusammenfassen will, dann bleibt eigentlich nur hängen: weg von Ihrer Fraktion. Sahra Wagenknecht liest die Slogans der CDU-Plakate (Beifall bei der CDU/CSU) vor, wahrscheinlich weil die ihr besser gefallen als die ei- genen. Dietmar Bartsch sagt, er würde „Für ein Deutsch- Ansonsten bleibt festzuhalten: Nur die Redner der land, in dem wir gut und gerne leben“ unterschreiben. Unionsfraktion haben über die Zukunft gesprochen. Die 25300 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Dr. Peter Tauber (A) Redner der anderen Fraktionen haben nur Vergangen- ter erfolgreich zu sein, und Sie arbeiten sich an Ihrer ei- (C) heitsbewältigung betrieben. genen Vergangenheit ab. Darüber können die Menschen am 24. September abstimmen. Ich bin zuversichtlich, Ich will Ihnen sagen, was die Menschen erwartet, dass sie klug und richtig abstimmen werden. wenn sie am 24. September CDU oder CSU wählen: (Zuruf von der SPD: Stillstand!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden weiter daran arbeiten, dass Bildung und For- schung ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist; denn der Etat Vizepräsident Johannes Singhammer: des Bundes dafür ist ein Rekordetat. Wir haben noch nie Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kol- so viel für Bildung und Forschung ausgegeben wie ak- lege Hubertus Heil für die Fraktion der SPD. tuell. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Hubertus Heil (Peine) (SPD): um 15 Milliarden Euro entlasten. Wir werden mit dem Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Abbau des Solis beginnen. Wir werden an der soliden ren! Herr Tauber, Deutschland ist ein starkes Land, und Haushaltspolitik und an der schwarzen Null festhal- niemand redet dieses Land schlecht. Aber zur Wahrheit ten. Gerade heute können Sie die Meldung lesen, dass gehört auch: Deutschland investiert zu wenig in die Zu- Deutschland für Investitionen ein sicherer Ort ist. Das kunft. Deutschland ist auch ein wohlhabendes Land. liegt auch an unserer Finanzpolitik. Aber nicht alle haben gleichermaßen am Wohlstand teil; Wir werden in moderne Technologien investieren, ein das ist der Unterschied. Glasfasernetz fächendeckend in Deutschland schaffen, Wir haben deutlich gemacht, was wir für die Zukunft den 5G-Standard einführen und ausbauen. dieses Landes brauchen. Wir brauchen beispielsweise Und wir werden die Familien auf eine bisher nicht da- Investitionen in Bildung. Sie verweigern diese Investi- gewesene Art und Weise entlasten: mit dem Kindergeld, tionen in Deutschlands Schulen. Tun Sie doch nicht so, mit dem Baukindergeld, mit dem Kinderfreibetrag und als gäbe es hier keine Unterschiede. Demokratie braucht mit einem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz gute Alternativen und eine Auswahl im demokratischen auch im Grundschulalter. Spektrum. Wenn Sie so tun, als gäbe es keine Unterschie- de, stärken Sie die politischen Ränder. Genau das kann Diese konkreten Dinge sind das eine. Aber die Wähle- Deutschland nicht gebrauchen, meine Damen und Her- (B) rinnen und Wähler entscheiden auch über die großen Li- ren. (D) nien, über Haltung und über grundsätzliche Überzeugun- gen. Auch darin unterscheiden wir uns teilweise. Nicht in (Beifall bei der SPD) allen Fragen, aber doch in manchen. Ich will an die Adresse der Bundeskanzlerin sa- Wenn wir selbst und die Welt im Jahr 2017 auf unser gen: Wer im Fernsehduell ständig versucht, sich hinter Land schauen, dann können wir feststellen: Vor 100 Jah- SPD-Ministern zu verstecken, ren war unser Land mit dem Rest der Welt im Krieg, vor 75 Jahren war unser Land mit dem Rest der Welt im (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Krieg, vor 50 Jahren war unser Land geteilt und besetzt. Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja lächer- Heute ist dieses Deutschland ein Ort der Demokratie, des lich!) Rechts und der Freiheit. Viele sagen: Gott sei Dank sind die Deutschen so, wie sie sind. – Darauf können wir stolz und wer hier und heute versucht, ein Zitat falsch zu inter- sein. Das hat übrigens etwas mit Politik zu tun, angefan- pretieren, der will davon ablenken, dass Sie keinen Plan gen bei der Politik von Konrad Adenauer über Helmut für die Zukunft haben. Kohl bis heute zu Angela Merkel. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ich will Ihnen sagen, Herr Tauber: Wir als SPD haben Zurufe von der SPD: Oh! – deutlich gemacht – Martin Schulz hat das auch in dem [SPD]: Wir sind doch nicht bei Plasberg!) Interview deutlich gemacht –, dass wir für eine gute Wir sollten deswegen – bei allem Streit in der Sache; Ausrüstung der Bundeswehr sind, und zwar im Umfang über die genannten Punkte wie Kindergeld etc. können von 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich, aber nicht aufwach- wir immer gerne streiten – aufhören mit dem, was Sie send – das ist der Unterschied –, sondern strukturell. alle permanent machen in diesem Wahlkampf, nämlich unser Land schlechter zu reden, als es ist. Es ist das beste (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland, das es je gab. Sie wollen das 2-Prozent-Ziel einhalten. Das bedeutet, (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Sie wollen 30 bis 40 Milliarden Euro ab 2024 Jahr für der SPD) Jahr. Es ist gut, dass wir diese Debatte führen. Man kann Es gibt noch einen Unterschied: Wir wollen das Geld sich noch einmal ein Bild machen. Wir reden über die lieber in Bildung investieren, also in Deutschlands Schu- Zukunft und über das, was Deutschland braucht, um wei- len und in die Chancen von Kindern und Jugendlichen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25301

Hubertus Heil (Peine) (A) in diesem Land, die alle eine Chance brauchen, und das Forschung, in Infrastruktur, in die Verbindung von ländli- (C) unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. chen und städtischen Räumen, was die Mobilität betrifft. (Beifall bei der SPD) Den Haushalt zu sanieren, Herr Schäuble, ist in Ord- nung. Auch wir wollen an der Schuldenbremse festhal- Wenn wir in diesem Land über die Zukunft reden, dann ten. Aber wenn wir nicht investieren und kein Geld in die reden wir vor allen Dingen über die nachwachsende Ge- Hand nehmen, dann verrottet die Infrastruktur in diesem neration. Dass in unserem wohlhabenden Land trotz al- Land, und dann schaffen wir keine zukunftsfähige Infra- ler Anstrengungen der Geldbeutel von Papa und Mama struktur für die kommenden Generationen. Auch das ist und die soziale Herkunft stärker über die Bildungs- und ein Unterschied zwischen Ihnen und uns. Lebenschancen von Kindern entscheiden als Talent und Leistung, ist eine Schande. (Beifall bei der SPD – [CDU/ (Max Straubinger [CDU/CSU]: Auch in die- CSU]: Dann bauen Sie doch die A 39!) ser Lautstärke wird es nicht besser!) – Für die sind wir, Herr Kollege. Das ist nicht zukunftsfähig. Deshalb muss auch der Bund (Henning Otte [CDU/CSU]: Ach was, das ist Mittel investieren. ja wohl ein Witz!) (Beifall bei der SPD) Ich will Ihnen deutlich sagen: Was die Frage der Ge- Worum geht es dabei? Wir haben das Kooperations- rechtigkeit in diesem Land betrifft, haben wir erlebt – verbot gegen Ihren Widerstand ein Stück weit aufgebro- Andrea Nahles hat das deutlich gemacht –, dass Sie bei chen, um Schulen zu sanieren. Aber das reicht uns nicht. der Rente nichts ändern wollen. Das wird dazu führen, Zuständigkeitsdebatten interessieren die Menschen nicht, dass das Rentenniveau für die heute arbeitende Genera- weder die Eltern noch die Lehrer noch die Kinder. Alle tion herunterkrachen wird. Wir wollen das Rentenniveau Kinder brauchen eine Bildungschance, unabhängig von stabil halten. Wer sichere Renten und mehr Bildungsin- Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht. vestitionen will, der muss am 24. September die SPD stark machen. Mit der Union ist das nicht zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Sie brauchen gleiche Chancen, die nicht, wie in diesem Land, an der Herkunft kleben. Dafür muss man Geld Eine abschließende Bemerkung zu Frau Merkel. Ich in die Hand nehmen. Wir wollen dafür sorgen, dass die kann mich noch an den Satz „Sie kennen mich“ aus dem Schulen nicht nur saniert werden; sie müssen moderni- Fernsehduell vor der letzten Wahl erinnern. Ich würde sa- siert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass es einen gen, nach zwölf Jahren Angela Merkel kann man Folgen- (B) Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz gibt, zu- des feststellen: Viele Menschen glauben, Angela Merkel (D) mindest an Grundschulen. Das können Bund, Länder und zu kennen – manchmal ist man angesichts der Wechsel Kommunen nur gemeinsam schaffen. und des Zickzackkurses ihrer Politik ja überrascht –, aber keiner weiß wohl wirklich, wohin sie dieses Land führen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) will. Das ist der Unterschied. Den Investitionsstau an den Schulen in Höhe von 34 Mil- Am 24. September, meine Damen und Herren, sagen liarden Euro können wir nur gemeinsam aufösen. Auch wir: Deutschland kann mehr, und es ist Zeit für mehr das ist ein Unterschied zwischen Ihnen und uns. Gerechtigkeit in diesem Land. Deshalb kämpfen wir mit Meine sehr geehrten Damen und Herren, am 24. Sep- Martin Schulz für eine starke SPD. Dieses Land kann tember steht dieses Land vor der Wahl. Es geht darum, mehr und braucht mehr Gerechtigkeit, Innovationen und sich mit der Gegenwart abzufnden oder die Vergangen- Zukunft und nicht die Verwaltung des Gegenwartszu- heit zu verwalten. stands und der Vergangenheit. Das ist der Unterschied, um den es am 24. September geht. (Henning Otte [CDU/CSU]: Sie wollen eine linke Republik!) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Frau Merkel hat keinen Vorschlag für die Zukunft dieses (Beifall bei der SPD) Landes gemacht, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vizepräsident Johannes Singhammer: Henning Otte [CDU/CSU]: Sie wollen mit den Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir zu der an- Linken!) schließenden Wahlhandlung kommen, gibt es noch eine Reihe von Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Ich weder zur Zukunft der Kinder und zu ihren Bildungs- bitte, das bei dem Prozess des Wartens und Anstehens zu chancen – sie will, dass sich der Bund da heraushält – berücksichtigen. noch zur Frage, woher das Geld kommen soll, das wir brauchen, um in ganz Deutschland endlich eine Breit- Zunächst kommen wir aber noch nicht zum Schluss bandinfrastruktur hinzubekommen. dieser Aussprache, sondern ich erteile das Wort für eine Kurzintervention dem Kollegen Dr. Gysi. Sie sagen zwar, dass Sie die steuerliche Forschungs- förderung wollen; Sie sagen aber nicht, wie. Wir haben (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie- einen klaren Vorschlag gemacht. Wir brauchen einen so? Ist er denn angesprochen worden? – Wei- Vorrang für Investitionen in diesem Land: in Bildung, in tere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) 25302 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

(A) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): den Sie bloß nicht so viel über Krankheiten. Das macht (C) Vielen Dank, Herr Vizepräsident. – In den Reden nicht gesund. vieler Rednerinnen und Redner wurden heute die aus- Nun will ich Ihnen als Letztes – ich hoffe, im Namen scheidende Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn und der des ganzen Hauses, aber vor allem in meinem Namen – ausscheidende Vizepräsident Johannes Singhammer in jeder Hinsicht Wohlergehen für Ihren neuen Lebens- gewürdigt, und ihnen wurde Dank ausgesprochen. Ich abschnitt wünschen und einfach ein Wort sagen: Danke! schließe mich dem selbstverständlich an. Ich bin auch den beiden Fraktionsvorsitzenden meiner Fraktion dank- (Beifall im ganzen Hause) bar dafür, wie sie sich bei ihnen, aber vor allen Dingen auch beim Bundestagspräsidenten Professor Dr. Norbert Vizepräsident Johannes Singhammer: Lammert bedankt haben. Auch dem schließe ich mich an. Aufgrund des Verhältnisses zwischen dem Herrn Bun- Herr Kollege Gysi, dieses Hohe Haus dankt Ihnen destagspräsidenten und mir fnde ich aber, dass ein paar für die Worte, die Sie für unseren Präsidenten Norbert persönliche Worte zum Abschied vielleicht doch ange- Lammert gefunden haben. bracht sind. Damit schließe ich die Aussprache. Sie, Herr Professor Dr. Lammert, gehören dem Bun- Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten a bis h. Es destag seit 1980, also seit 37 Jahren, an und sind seit 2005 handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitions- Präsident des Bundestages. Ich kann mir vorstellen, wie ausschusses, und wir hatten vereinbart, dass eine Aus- schwer es ist, wenn man aus einer Partei und einer Frak- sprache dazu nicht stattfndet. tion kommt und plötzlich die Zuständigkeit für alle Ab- geordneten erhält, die ganz andere Herkünfte und ganz Zusatzpunkt a: andere politische Auffassungen haben. Man soll ja der Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Präsident für alle sein. Das gelingt wirklich nicht jedem, onsausschusses (2. Ausschuss) aber ich muss sagen: Ihnen ist es wirklich gut gelungen. Sammelübersicht 462 zu Petitionen Ich habe Sie sehr respektiert, als Sie verschiedene Abgeordnete und verschiedene Fraktionen gegen den Drucksache 18/13490 türkischen Präsidenten Erdogan verteidigt haben, der sie beschimpft hat. Das hat Mut gezeigt. Wer dafürstimmt, den bitte ich jetzt um ein Hand- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sie haben Reden gehalten, die auch mich erstaunt ha- Niemand. Die Sammelübersicht 462 ist damit mit allen ben. Sie konnten von der CSU bis zur Linken akzeptiert Stimmen des Hohen Hauses angenommen. (B) werden. Das muss man erst einmal hinkriegen. Aber das (D) ist Ihnen eigentlich fast immer gelungen, muss ich sagen. Zusatzpunkt b: (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Sie haben sogar Auseinandersetzungen mit den Medi- en geführt; das heißt, Sie waren und sind auch bereit, sich Sammelübersicht 463 zu Petitionen unbeliebt zu machen. Auch das ist nicht selbstverständ- Drucksache 18/13491 lich. Sie waren auch nie parteiisch und nie der verlänger- te Arm irgendeiner Koalition. Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Ihr eigentliches Verdienst besteht darin, dass Sie so Auch die Sammelübersicht 463 ist mit den Stimmen des sehr Präsident des Parlaments waren, dass Sie dem Par- gesamten Hohen Hauses angenommen. lament eine andere Stellung in der Gesellschaft gegeben haben. Das verdanken wir gerade Ihnen, weil Sie bewie- Zusatzpunkt c: sen haben: Man kann Präsident des Parlaments sein und Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- keine andere Aufgabe dabei wahrnehmen. – Dafür, fnde onsausschusses (2. Ausschuss) ich, gebührt Ihnen Respekt. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Sammelübersicht 464 zu Petitionen Sie haben, Herr Bundestagspräsident, immer die Rech- Drucksache 18/13492 te der Regierungsfraktionen geachtet, aber genauso die Wer für diese Sammelübersicht stimmt, den bitte ich Rechte der Oppositionsfraktionen, und Sie haben auch um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- heute wieder über Minderheitenrechte gesprochen, die hält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 464 ist da- so wahnsinnig wichtig sind. Wenn eine Mehrheit meint, mit mit allen Stimmen angenommen. die Kontrolle über sich reduzieren zu dürfen, hat sie die Demokratie nicht verstanden. Sie haben sie verstanden. Zusatzpunkt d: Weil ich älter bin als Sie, möchte ich Ihnen zum Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Schluss noch zwei weise Ratschläge mitgeben; dazu bin onsausschusses (2. Ausschuss) ich ja berechtigt. Der erste Ratschlag ist: Sie müssen sich Sammelübersicht 465 zu Petitionen ganz bewusst entscheiden, das Alter zu genießen. Alles andere hat keinen Sinn. Mein zweiter Ratschlag ist: Re- Drucksache 18/13493 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25303

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wahl einer Richterin oder eines Richters des (C) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sam- Bundesverfassungsgerichts melübersicht 465 ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Drucksache 18/12822 Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Der Wahlausschuss schlägt auf der Drucksa- Zusatzpunkt e: che 18/12822 Herrn Dr. Josef Christ vor. Diesen Wahl- vorschlag hat der Wahlausschuss mit der gemäß § 6 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Absatz 5 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erfor- onsausschusses (2. Ausschuss) derlichen Mehrheit beschlossen. Sammelübersicht 466 zu Petitionen Ich bitte Sie jetzt noch um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Drucksache 18/13494 Die Wahl erfolgt mit verdeckten Stimmkarten, also Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – geheim. Zum Richter des Bundesverfassungsgerichts ist Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Keine. gewählt, wer eine Mehrheit von zwei Dritteln der abge- Die Sammelübersicht 466 ist damit mit allen Stimmen gebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen des Hohen Hauses angenommen. der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigt. Zusatzpunkt f: Sie benötigen jetzt für die Wahl Ihren blauen Wahlaus- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- weis, den Sie bitte, soweit Sie es noch nicht gemacht onsausschusses (2. Ausschuss) haben, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen können. Wie üblich gilt die Bitte, nochmals zu prüfen, ob der Sammelübersicht 467 zu Petitionen Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die für die Wahl gültige Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag erhalten Drucksache 18/13495 Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Ausgabetischen neben den Wahlkabinen. Das Verfahren Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammel- ist bekannt. übersicht 467 ist damit angenommen mit den Stimmen Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlka- von CDU/CSU und SPD sowie der Fraktion Die Linke binen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen hier vor dem Zusatzpunkt g: Rednerpult. Die Stimmkarte dürfen Sie bitte nur in der (B) Wahlkabine ankreuzen, und Sie müssen ebenfalls noch in (D) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- der Wahlkabine die Stimmkarte in den Umschlag legen. onsausschusses (2. Ausschuss) Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpfich- tet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlka- Sammelübersicht 468 zu Petitionen bine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurück- Drucksache 18/13496 zuweisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Aber ich bitte Sie, Wer für die Sammelübersicht 468 stimmt, den bitte auf diese Wiederholung zu verzichten. ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 468 ist damit an- Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei genommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stim- sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der men auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkar- Fraktion Die Linke. ten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Zusatzpunkt h: Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- fen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis den Schrift- onsausschusses (2. Ausschuss) führerinnen und Schriftführern an der Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Sammelübersicht 469 zu Petitionen Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Drucksache 18/13497 Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist der Fall. dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 469 Dann eröffne ich hiermit die Wahl und bitte, zum Emp- ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU fang der Stimmkarte zu den Ausgabetischen zu gehen. und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke so- Gibt es jetzt noch jemanden im Saal, der die Wahl- wie Bündnis 90/Die Grünen. Damit haben wir diese Zu- handlung abschließen möchte, aber dazu bisher nicht die satzpunkte abgeschlossen. Gelegenheit hatte? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 2: ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Gleichzeitig Wahlvorschlag des Wahlausschusses für die unterbreche ich jetzt die Sitzung für einige Minuten, ver- Richter des Bundesverfassungsgerichts mutlich für zehn Minuten. Ich werde dann das Ergebnis 25304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) der Wahl bekannt geben und noch einige abschließende tarische Arbeit nicht leisten. Deshalb ein ganz herzliches (C) Worte sagen. Dankeschön. (Unterbrechung von 13.49 bis 14.14 Uhr) (Beifall) Ich selber werde auch mit dieser letzten Sitzung aus Vizepräsident Johannes Singhammer: dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Es war für mich Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die wie auch für alle anderen ausscheidenden Kolleginnen unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. und Kollegen ein Privileg, diesem Hohen Haus anzuge- Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und hören. Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Rich- Der Bundestag ist die erste Gewalt im Staat, nicht die ters des Bundesverfassungsgerichts bekannt: abgegebene zweite und nicht die dritte. Wir sind, so denke ich, eine Stimmzettel 586. Mit Ja haben gestimmt 455, mit Nein verantwortungsbewusste Volksvertretung. Die Menschen haben gestimmt 57 Abgeordnete, Enthaltungen 74. Herr erwarten zu Recht einen klaren Standpunkt im Wettstreit Dr. Josef Christ hat damit die erforderliche Mehrheit von um die besseren Ideen. Gleichwohl ist die Fähigkeit zu zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mindestens einem ehrlichen Kompromiss unverzichtbar. Wer einen 316 Jastimmen erreicht.1) Er ist damit zum Richter des notwendigen Kompromiss als Knieweichheit verspottet, Bundesverfassungsgerichts gewählt. Ich gratuliere dazu der hat Demokratie nicht verstanden. Unser Mittel in der herzlich. politischen Auseinandersetzung als Parlamentarier ist (Beifall im ganzen Hause) das Wort. Ich fnde, dass Reiner Kunze eine zutreffende Formulierung getroffen hat: „Wort ist Währung – Je wah- Damit nähern wir uns dem Ende dieser letzten Sitzung rer, desto härter“. des Deutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode. Vier Jahre parlamentarische Arbeit liegen hinter uns. Die Ar- Ich erinnere mich an meine erste Sitzung im Deutschen beit ist getan. Bundestag. Meine erste Rede habe ich zur Familienpoli- tik gehalten. Danach hat der damalige Vizepräsident, wie Ich möchte an dieser Stelle noch an etwas erinnern und es bei uns üblich ist, diese erste Rede entsprechend ge- ein Dankeschön aussprechen. Wir haben vor vier Jahren würdigt und hat zu mir als sechsfachem Vater gesagt, das mit unserer Arbeit begonnen. Einige Kollegen sind heute sei jetzt eine „Jungfernrede“ gewesen. Das damalige Pro- nicht mehr unter uns, weil Krankheit und Tod in den ver- tokoll vermerkte damals dann „Heiterkeit“. Unabhängig gangenen Jahren nach ihnen gegriffen haben. Ich nenne davon ist Familienpolitik, die Politik für Familien und die Namen der Kollegen, die durch Tod aus der Mitte für Kinder, für mich immer von ganz besonderer Bedeu- ihres Mandats abberufen worden sind. Das sind die Kol- tung gewesen. (B) legen und Philipp Mißfelder und (D) aus der Mitte des Präsidiums Vizepräsident , Ich wünsche dem neuen Bundestag, den Kolleginnen den wir erst vor neun Monaten zu Grabe getragen haben. und Kollegen, die am 24. September 2017 gewählt wer- Ich denke auch an die Kolleginnen und Kollegen, die in den, viel Glück. Aus meiner Erfahrung muss es nicht un- früheren Legislaturperioden Verantwortung getragen ha- bedingt ein Nachteil sein, wenn man in der politischen ben und die in den vergangenen vier Jahren heimberufen Arbeit die Menschen in unserem Land so annimmt, worden sind. wie sie sind. Wer die Deutschen oder die Menschen in Deutschland nicht so richtig mag, tut sich schwer, eine Ich möchte jetzt aber vor allem ein Dankeschön rich- gute Politik für sie zu gestalten. ten an die Kolleginnen und Kollegen, die ausscheiden, weil sie nicht mehr kandidieren, die sich nicht mehr in Wir wissen: In allem politischen Wollen und Handeln den Wahlkampf eingebracht haben, weil sie einfach das stoßen wir auch an Grenzen. Der Blick auf eine andere Mandat nicht mehr erneuert wissen wollen. Ich denke da- Instanz schadet nicht. Nach Zeiten tiefster menschlicher bei auch an diejenigen, die kämpfen und nicht wissen, ob Erniedrigung in unserer Geschichte haben die Väter und sie gewählt werden oder nicht. Mütter des Grundgesetzes die Konsequenzen gezogen. Deshalb beginnt unsere Verfassung, das Grundgesetz, Mein Dank gilt all denjenigen, die bei der sehr inten- mit den Worten: siven Arbeit im Mandat mitgewirkt haben. Wir haben vieles gemeinsam auf den Weg gebracht und auch abge- Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und schlossen. Die Ausübung eines parlamentarischen Man- den Menschen … dats und die damit verbundene Arbeit sind kaum möglich Deshalb sage ich: Möge Gott unser Vaterland behüten. Es und auch nicht vorstellbar, wenn nicht das Zusammen- lebe die parlamentarische Demokratie! spiel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf eine ganz herausragende Weise gelingt. Deshalb möchte ich Die Sitzung ist geschlossen. in dieser letzten Sitzung insbesondere den Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Ohne sie könnten wir als Abgeordnete unsere parlamen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der LINKEN) 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 (Schluss: 14.21 Uhr) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25305

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Fabritius, Dr. Dr. h. c. CDU/CSU 05.09.2017 Scheuer, Andreas CDU/CSU 05.09.2017 Bernd Schmidt (Fürth), CDU/CSU 05.09.2017 Flisek, Christian SPD 05.09.2017 Christian

Franke, Dr. Edgar SPD 05.09.2017 Schwabe, Frank SPD 05.09.2017

Gerdes, Michael SPD 05.09.2017 Stein, Peter CDU/CSU 05.09.2017

Heveling, Ansgar CDU/CSU 05.09.2017 Steinbach, Erika fraktionslos 05.09.2017

Lamers, Dr. Dr. h. c. CDU/CSU 05.09.2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 05.09.2017 Karl A. Thönnes, Franz SPD 05.09.2017 Lauterbach, Dr. Karl SPD 05.09.2017 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ 05.09.2017 Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 05.09.2017 DIE GRÜNEN Graf Weinberg (Hamburg), CDU/CSU 05.09.2017 Müller, Bettina SPD 05.09.2017 Marcus (B) (D) Poschmann, Sabine SPD 05.09.2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 05.09.2017

Rachel, Thomas CDU/CSU 05.09.2017 Zöllmer, Manfred SPD 05.09.2017

Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Richters des Bundesverfassungsgerichts teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 2)

CDU/CSU Thomas Dörfinger Dr. Hans-Peter Friedrich Peter Bleser Marie-Luise Dött (Hof) Dr. Maria Böhmer Michael Donth Hansjörg Durz Dr. Michael Fuchs Iris Eberl Hans-Joachim Fuchtel Dorothee Bär Klaus Brähmig Jutta Eckenbach Ingo Gädechens Thomas Bareiß Michael Brand Hermann Färber Dr. Dr. Günter Baumann Dr. Dr. Josef Göppel (Börde) Dr. Ingrid Fischbach Ursula Groden-Kranich Dirk Fischer (Hamburg) Hermann Gröhe Dr. André Berghegger Axel E. Fischer (Karlsru- Klaus-Dieter Gröhler Dr. Cajus Caesar he-Land) Michael Grosse-Brömer Dr. Astrid Grotelüschen Alexandra Dinges-Dierig Klaus-Peter Flosbach Markus Grübel Alexander Dobrindt Monika Grütters 25306 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

(A) Manfred Grund Stefan Müller (Erlangen) Johannes Singhammer (C) Dr. Fritz Güntzler Carsten Körber Dr. Jens Spahn Dr. Carola Stauche Hartmut Koschyk Helmut Nowak Dr. Dr. Georg Nüßlein Dr. Wolfgang Stefnger Rainer Hajek Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Günter Krings Florian Oßner Rüdiger Kruse Dr. Christian Freiherr von Henning Otte Stetten Dr. Stefan Heck Dr. Roy Kühne Dr. Martin Pätzold Dr. Günter Lach Rita Stockhofe Andreas G. Lämmel Uwe Lagosky Martin Patzelt (Chemnitz) Dr. Norbert Lammert Ulrich Petzold Max Straubinger Mark Helfrich Dr. Uda Heller Ulrich Lange Sibylle Pfeiffer Thomas Stritzl Jörg Hellmuth Barbara Lanzinger Lena Strothmann Dr. Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Marion Marga Herdan Dr. Alois Rainer Dr. Astrid Timmermann-Fechter Dr. Dr. Dr. Hans-Peter Uhl Robert Hochbaum Dr. Markus Uhl Dr. Mathias Edwin Höschel Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Volker Ullrich Alexander Hoffmann Matthias Lietz Iris Ripsam (Dort- Johannes Röring (B) mund) Dr. Kathrin Rösel (D) Dr. Norbert Röttgen Michael Vietz Franz-Josef Holzenkamp Wilfried Lorenz Erwin Rüddel (Kleinsaara) Dr. Dr. Jan-Marco Luczak Sven Volmering Margaret Horb Anita Schäfer (Saalstadt) Christel Voßbeck-Kayser Bettina Hornhues Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Wolfgang Schäuble Charles M. Huber Karl Schiewerling Dr. Johann Wadephul Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Mahlberg Norbert Schindler Karl-Heinz Wange Dr. Thomas de Maizière Thomas Jepsen Gabriele Schmidt (Ühlingen) Sylvia Jörrißen HonD Dr. Egon Jüttner Hans-Georg von der Marwitz Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Dr. Ole Schröder Peter Weiß (Emmendingen) Dr. (Altötting) Dr. Kristina Schröder (Wies- Sabine Weiss (Wesel I) Reiner Meier baden) Bartholomäus Kalb Dr. Bernhard Schulte-Drüggelte Karl-Georg Wellmann Hans-Werner Kammer Dr. Klaus-Peter Schulze Steffen Kanitz Waldemar Westermayer Dr. h. c. Hans Michelbach (Weil am Dr. Rhein) Peter Wichtel Bernhard Kaster Karsten Möring Christina Schwarzer Annette Widmann-Mauz Volker Kauder Heinz Wiese (Ehingen) Volker Mosblech Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Dr. Dr. Gerd Müller Dr. Becker Carsten Müller (Braun- Bernd Siebert Jürgen Klimke schweig) Dagmar G. Wöhrl Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25307

(A) Barbara Woltmann Dr. Rolf Mützenich Martina Stamm-Fibich (C) Uli Grötsch Andrea Nahles Heinrich Zertik Gabriele Groneberg Christoph Strässer Michael Groß Ulli Nissen Dr. Wolfgang Gunkel Mahmut Özdemir (Duisburg) Gudrun Zollner Bettina Hagedorn Aydan Özoğuz Dr. Karin Thissen Rita Hagl-Kehl Thomas Oppermann Carsten Träger SPD Rüdiger Veit Ulrich Hampel Dirk Vöpel Jeannine Pfugradt Ingrid Arndt-Brauer Michael Hartmann (Wa- Rainer Arnold ckernheim) Joachim Poß Bettina Bähr-Losse Andrea Wicklein (Minden) Marcus Held Dr. Wilhelm Priesmeier Heinz-Joachim Barchmann Waltraud Wolff (Wol- mirstedt) Dr. Katarina Barley Dr. Barbara Hendricks Dr. Gülistan Yüksel Heidtrud Henn Dr. Simone Raatz Dr. Gabriele Hiller-Ohm Dr. Jens Zimmermann Sören Bartol Stefan Rebmann Bärbel Bas Dr. Eva Högl Gerold Reichenbach (Heidelberg) Matthias Ilgen Dr. Carola Reimann DIE LINKE. Christina Jantz-Herrmann Jan van Aken Sönke Rix Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Dietmar Bartsch Petra Rode-Bosse Marco Bülow Herbert Behrens René Röspel Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Karin Binder Johannes Kahrs Matthias W. Birkwald (B) Dr. (D) Dr. Dr. Jürgen Coße Michael Roth (Heringen) Petra Crone Eva Bulling-Schröter Marina Kermer Susann Rüthrich Bernd Rützel Sevim Dağdelen Dr. Dr. Diether Dehm Dr. Karamba Diaby Annette Sawade Birgit Kömpel Dr. Hans-Joachim Martin Dörmann Dr. Bärbel Kofer Schabedoth Wolfgang Gehrcke Elvira Drobinski-Weiß Axel Schäfer (Bochum) Siegmund Ehrmann Dr. Michaela Engelmeier Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Gregor Gysi Dr. h. c. Angelika Krüger-Leißner Heike Hänsel Petra Ernstberger Christine Lambrecht Dr. Dorothee Schlegel Dr. André Hahn Christian Lange (Backnang) Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Karin Evers-Meyer Steffen-Claudio Lemme Matthias Schmidt (Berlin) Inge Höger Dr. (Wetzlar) Dr. Gabriele Lösekrug-Möller (Erfurt) Sigrid Hupach Elke Ferner Elf Scho-Antwerpes Dr. Ute Finckh-Krämer Kirsten Lühmann Susanna Karawanskij Dr. Birgit Malecha-Nissen (Spandau) Jan Korte Sigmar Gabriel Dr. Katrin Kunert Rita Schwarzelühr-Sutter Iris Gleicke Angelika Glöckner Detlef Müller (Chemnitz) Norbert Spinrath Michelle Müntefering 25308 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

(A) Anja Hajduk (C) Dr. Gesine Lötzsch Birgit Wöllert Britta Haßelmann Cem Özdemir Jörn Wunderlich Bärbel Höhn Birgit Menz Sabine Zimmermann Dr. Anton Hofreiter Cornelia Möhring (Zwickau) Brigitte Pothmer Tabea Rößner Norbert Müller (Potsdam) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Katja Keul Claudia Roth (Augsburg) Dr. Alexander S. Neu NEN Sven-Christian Kindler Corinna Rüffer Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Elisabeth Scharfenberg Harald Petzold (Havelland) Sylvia Kotting-Uhl Ulle Schauws Richard Pitterle Marieluise Beck (Bremen) Dr. Stephan Kühn (Dresden) (Köln) Dr. Michael Schlecht Christian Kühn (Tübingen) Dr. Dr. Petra Sitte Renate Künast Kordula Schulz-Asche Monika Lazar Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Dr. Ekin Deligöz Steff Lemke Azize Tank Katja Dörner Dr. Hans-Christian Ströbele Frank Tempel Katharina Dröge Nicole Maisch Dr. Harald Terpe Dr. Peter Meiwald Dr. Thomas Gambke Jürgen Trittin Beate Müller-Gemmeke Dr. Dr. Sahra Wagenknecht Kai Gehring Özcan Mutlu Beate Walter-Rosenheimer Halina Wawzyniak Katrin Göring-Eckardt Dr. Dr. Valerie Wilms

Anlage 3 losigkeit zu kämpfen. Das Europa der Regierungen und EU-Institutionen funktioniert nicht mehr. Neudruck der zu Protokoll gegebenen Rede des (B) Abgeordneten Harald Petzold (Havelland) (DIE Gespräche fnden heute in der Regel zwischen Re- (D) LINKE) gierungsvertretern und EU-Beamten statt, weniger zwi- zur Beratung des Antrags der Abgeordneten schen Bürgerinnen und Bürgern. Das muss sich ändern! Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Sahra Wagenknecht und der Frakti- Europa braucht Impulse von Europäerinnen und Euro- on DIE LINKE: Weltfriedenstag als europäischer päern, die ein Europa mit menschlichem Antlitz wollen. Feiertag (237. Sitzung, Tagesordnungspunkt 21, Ein Europa von unten kann entstehen, wenn die Men- Anlage 16) schen miteinander ins Gespräch kommen und Ideen für ein friedliches und solidarisches Europa austauschen. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Es gibt in Europa keinen gemeinsamen Feiertag – einen Tag, an Deshalb schlagen wir vor, den Weltfriedenstag als eu- dem sich Menschen aus ganz Europa treffen können, um ropäischen Feiertag zu begehen. Ein gemeinsamer euro- sich kennenzulernen, sich auszutauschen und Ideen für päischer Feiertag bietet den Menschen die Möglichkeit, ein gutes Leben in Europa zu entwickeln. Das können grenzüberschreitend vielfältige spontane und organisier- wir gemeinsam mit unserem Antrag ändern. Der Austritt te Begegnungen zu erleben. Großbritanniens aus der Europäischen Union ist ein Pau- kenschlag. Er macht den Niedergang der EU deutlich. Der Weltfriedenstag, der 1. September, ist ein geeig- Der Kontinent ist in Ost und West, Nord und Süd ge- netes Datum für einen europäischen Feiertag. Trotz aller spalten. Krieg, Sanktionen, Rentenkürzungen und Entso- Differenzen in Europa will die Mehrheit der Menschen lidarisierung prägen Europa. Das politische Personal der ein friedliches Miteinander. Der 1. September, der Welt- Europäischen Union ist mit der Krise völlig überfordert friedenstag, erinnert uns an den Beginn des schreck- und reagiert kopfos. Kommissionspräsident Juncker ist lichsten Krieges in der Geschichte der Menschheit – des nicht in der Lage, gemeinsame europäische Lösungen zu Zweiten Weltkrieges, der von deutschem Boden ausging. fnden. Es wäre eine zivilisatorische Leistung, wenn es ge- Die Regierungen der EU-Mitgliedsländer haben einen lingen würde, viele Menschen aus anderen Ländern zu entscheidenden Anteil an der Krise. Insbesondere die überzeugen, einen europäischen Feiertag zu beschließen. Bundesregierung hat mit ihrer Kürzungspolitik großen Dabei soll sich dieser Feiertag nicht nur auf die EU-Mit- Schaden angerichtet. Griechenland ist in einer dramati- glieder beschränken. Einen wirklichen europäischen Fei- schen Dauerkrise. Spanien, Portugal, Italien und Frank- ertag gibt es nur, wenn sich möglichst alle Staaten Euro- reich haben mit hohen Staatsschulden und Jugendarbeits- pas dieser Initiative anschließen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25309

(A) Anlage 4 die verfassungsfeindlichen Aktivitäten der NPD fnan- (C) zieren müssen. Die berechtigten Verfassungsorgane Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung sollten daher rasch von ihrem neuen Antragsrecht Ge- Der Bundesrat hat in seiner 959. Sitzung am 7. Juli brauch machen. 2017 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- – Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersver- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 sorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Be- des Grundgesetzes nicht zu stellen: triebsrentenstärkungsgesetz) – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- – Gesetz über den Abschluss der Rentenüberleitung kel 21) (Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz) – Gesetz zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Par- Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- teien von der Parteienfnanzierung fasst: Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem vorliegenden ßung gefasst: Gesetz die Rentenüberleitung zu einem Abschluss Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, dass die gebracht wird. Ein einheitlicher Rentenwert ist NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und daher nur durch das Eingreifen der Politik erreichbar. von der staatlichen Parteienfnanzierung ausgeschlossen Der Bundesrat fordert seit Längerem, dass spä- werden muss. Das Gesetz zum Ausschluss verfassungs- testens 30 Jahre nach der Deutschen Einheit ein feindlicher Parteien von der Parteienfnanzierung bietet einheitliches Rentenrecht verwirklicht sein sollte nach Inkrafttreten dem Bundesrat, der Bundesregierung (BR-Drucksache 563/14 (Beschluss), 206/15 (Be- und dem Deutschen Bundestag die Möglichkeit, eine schluss), 585/15 (Beschluss)). entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsge- 2. Der Bundesrat erkennt an, dass durch das Gesetz richts herbeizuführen. nun sichergestellt wird, dass die Rentnerinnen und Der Bundesrat wird einen Antrag auf Verfahrensein- Rentner in den neuen Ländern auch bei künftigen leitung beim Bundesverfassungsgericht vorbereiten, Rentenanpassungen nicht hinter der realen Lohn- damit das entsprechende Verfahren zügig eingeleitet und Gehaltsentwicklung in Ostdeutschland zurück- werden kann, nachdem die rechtlichen Voraussetzungen bleiben. Auf diese Weise ist es möglich, dass die gegeben sind. Er strebt dabei einen gemeinsamen Antrag Angleichung der Rentenwerte gegebenenfalls auch der drei antragsberechtigten Organe an. schneller vorankommt als im Gesetz vorgesehen. 3. Der Bundesrat geht davon aus, dass die sukzessiven Begründung: (B) Wirkungen des Wegfalls der Hochwertung der Ent- (D) Der Bundesrat hat in seiner 953. Sitzung am 10. Fe- gelte ab dem 1. Januar 2025 in den neuen Ländern bruar 2017 seiner Auffassung Ausdruck verliehen, vermieden werden können, wenn Politik, Wirtschaft dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und und Tarifpartner diesen Zeitraum nutzen, um bei der deswegen von der staatlichen Parteienfnanzierung Tarifbindung, der Eindämmung des Niedriglohn- ausgeschlossen werden muss (vgl. BR-Drucksache sektors, der Durchsetzung des „Equal-Pay-Grund- 95/17 (Beschluss)). Mit Inkrafttreten der Gesetze (vgl. satzes“ und bei der Zurückdrängung von prekären BR-Drucksachen 508/17 und 509/17) wird es möglich, Beschäftigungsverhältnissen deutliche Fortschritte beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Aus- zu erzielen. Dementsprechende Erfolge kämen allen schluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staat- Beschäftigten zu Gute. lichen Parteienfnanzierung zu stellen. Antragsberech- Begründung: tigt sind der Deutsche Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung. Materielle Voraussetzung für Sowohl die Angleichung des Rentenwerts Ost als den Ausschluss ist, dass die Partei nach ihren Zielen auch die Abschmelzung der Höherwertung der Ent- oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerich- gelte Ost werden bis zum Jahr 2025 gestreckt. Die tet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung Rentnerinnen und Rentner beziehungsweise die ren- zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Be- tennahen Generationen in den neuen Ländern haben stand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. damit Klarheit und Transparenz über den Zeitpunkt Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom der vollständigen Rentenangleichung. Mit dem neu 17. Januar 2017 (2 BvB 1/13) die Verfassungsfeind- eingefügten § 255a Absatz 2 SGB VI ist sicherge- lichkeit der NPD bereits festgestellt. Um im Rahmen stellt, dass die Rentenanpassungen der Jahre 2018 eines Antrags auf Ausschluss der NPD von der staat- bis 2023 mindestens der aktuellen Lohnentwicklung lichen Parteienfnanzierung an diese Feststellung des in den neuen Ländern folgen wenn diese günstiger Bundesverfassungsgerichts anknüpfen zu können, ist verläuft als mit den Anpassungsschritten in Absatz rasches Handeln geboten. Bei einer zeitlichen Nähe 1 festgelegt. Wie die Rentenanpassung zum 1. Juli der Antragstellung zum Urteil vom 17. Januar 2017 2017 zeigt, ist es damit möglich, dass die Renten- müsste nur für einen relativ kurzen Anschlusszeitraum angleichung insgesamt schneller abgeschlossen sein nachgewiesen werden, dass sich an der festgestellten kann als zum 1. Juli 2024. Mit der gestreckten Ab- Verfassungsfeindlichkeit der NPD nichts geändert schmelzung der Entgelthochwertung bei der Ren- hat. Es gilt für die Zukunft zu verhindern, dass Bür- tenberechnung entsteht ein größeres Zeitfenster, um gerinnen und Bürger mit ihren Steuern und Abgaben Differenzen im Verdienstniveau weiter abzubauen. 25310 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

(A) Unter diesen Voraussetzungen stellt das Gesetz ei- den auch der Länder und Kommunen nach Bundes- (C) nen Kompromiss zwischen den Interessen der Rent- recht zu erfolgen hat, ohne dass eine diesbezügliche nerinnen und Rentner sowie denen der Arbeitneh- Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet merinnen und Arbeitnehmer dar. wird. Nach Auffassung des Bunderates bleibt zu klären, ob es sich bei diesen Regelungen um Fra- – Gesetz zur Verbesserung der Leistungen bei Ren- gen des Steuerverwaltungsrechts im Sinne von Arti- ten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur kel 108 GG handelt, die der Gesetzgebungskompe- Änderung anderer Gesetze (EM-Leistungsverbes- tenz des Bundes unterliegen würden. serungsgesetz) 6. Der Bundesrat bittet darum, dafür Sorge zu tragen, – Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgeset- dass die verfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte zes und anderer Vorschriften der Länder in zukünftigen Gesetzgebungsverfahren Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- zur Anpassung des bereichsspezifschen Daten- fasst: schutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 um- fassend gewahrt werden. Zum Gesetz allgemein 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zur Ge- 1. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der Deut- währleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung sche Bundestag das bereits laufende Gesetzge- zu klären, in welchem Verhältnis die in Artikel 17 bungsverfahren zum Bundesversorgungsgesetz Nummer 3 (§ 32e AO) in Bezug genommen Betrof- kurzfristig durch umfangreiche bereichsspezifsche fenenrechte nach Artikel 12 bis 15 der Verordnung datenschutzrechtliche Regelungen außerhalb des (EU) 2016/679 sowie die diesbezüglich getroffenen Versorgungsrechts ergänzt hat, um diese an die Ver- beschränkenden Regelungen der Abgabenordnung ordnung (EU) 2016/679 anzupassen. zu den Ansprüchen auf Informationszugang nach 2. Der Bundesrat hält angesichts der Relevanz der den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes oder getroffenen Regelungen für die Landes- und Kom- der Länder stehen. munalbehörden und der grundlegenden Eingriffe in Begründung: die Verwaltungs- und Aufsichtsstrukturen der Län- der im Bereich der Steuerverwaltung das gewähl- Zu den Nummern 1 und 2: te Verfahren für ungeeignet, um den Ländern eine Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom umfassende Beteiligung zu ermöglichen und ihre 10. März 2017 unter anderem unter Bezugnahme Mitwirkungsrechte umfassend wahrzunehmen. Der auf die Anpassungserfordernisse im Sozialdaten- Bundesrat verweist insoweit auch auf Ziffer 1 sei- schutz deutlich gemacht, dass bei der Anpassung (B) ner Stellungnahme vom 10. März 2017 (vergleiche (D) des bereichsspezifschen Datenschutzrechts an die BR-Drucksache 110/17 (Beschluss)). Verordnung (EU) 2016/679 eine umfassende und Zu Artikel 17 (Änderung der Abgabenordnung) frühzeitige Beteiligung der Länder geboten ist, da die Regelungen unmittelbare Auswirkungen auf die 3. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Verlagerung Tätigkeit der Landes- und kommunalen Behörden der Zuständigkeit für die Aufsicht über die Länderf- haben. Diese Beteiligung ist unterblieben. Mit der nanzbehörden sowie über die Kommunen hinsichtlich Entschließung bekräftigt der Bundesrat seine Hal- der Verarbeitung personenbezogener Daten im An- tung zur Frage der Länderbeteiligung im Anpas- wendungsbereich der Abgabenordnung von den nach sungsprozess des bereichsspezifschen Datenschutz- Landesrecht zuständigen Aufsichtsbehörden auf die rechts an die EU-Datenschutzgrundverordnung. oder den Bundesbeauftragte(n) für den Datenschutz und die Informationsfreiheit die bisherige Kompe- Zu den Nummer 3 bis 6: tenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Die Regelung der Aufsicht über die Finanzbehör- Datenschutzaufsicht über Bundes- beziehungsweise den (Artikel 17 Nummer 11 (§ 32h Absatz 1 AO) Länderbehörden in Frage stellt, ohne dass hierfür bis- in Verbindung mit Artikel 17 Nummer 2 (§ 1 Ab- lang die Notwendigkeit oder die Gesetzgebungskom- satz 2 Nummer 1 AO)) sieht eine Verlagerung der petenz des Bundes dargelegt wurden. Zuständigkeit für die Aufsicht über die Landesf- 4. Der Bundesrat stellt fest, dass die Zuständigkeits- nanzbehörden sowie über kommunale Finanzbehör- konzentration der Datenschutzaufsicht auch in die den von den Landesdatenschutzbeauftragten auf die Rechte der Länderparlamente eingreift, indem für Bundesdatenschutzbeauftragte vor. Durch die Kon- einen Teil der administrativen Tätigkeiten der Lan- zentration der Aufsicht bei der Bundesdatenschutz- desbehörden die Wahrnehmung der parlamentari- beauftragten sollte sichergestellt werden, dass die schen Kontrollrechte insoweit erschwert wird, als Aufsicht im Anwendungsbereich der Abgabenord- die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die nung immer nach den gleichen Vorgaben erfolge. In Informationsfreiheit gegenüber den Länderparla- den Gesetzesmaterialien wird weder dargelegt, dass menten keine Berichte abgibt und von den Länder- die bisherige Regelung zu Problemen geführt hat, parlamenten nicht um Stellungnahmen zu konkreten noch ist den Gesetzesmaterialien eine Begründung Angelegenheiten gebeten werden kann. der Gesetzgebungskompetenz des Bundes in dieser Frage zu entnehmen. 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Benennung von Datenschutzbeauftragten in den Finanzbehör- Durch diese Zuständigkeitsverlagerung werden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25311

(A) erstmalig Länderkompetenzen zur Regelung des – Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen (C) Datenschutzes im Bereich der Landesverwaltung Überwachung übertragbarer Krankheiten beschnitten, die mit einer Beschränkung der parla- Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- mentarischen Kontrollrechte einhergehen. Mit der fasst: Entschließung soll deutlich gemacht werden, dass die Länder dieser Beschränkung ihrer Kompetenzen Mit § 38 Absatz 2 Satz 1 IfSG wird das Bundesminis- kritisch gegenüber stehen. Es wird insbesondere die terium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverord- Gefahr gesehen, dass mit der Zuständigkeitskonzen- nung zu bestimmen, welchen Anforderungen das Wasser tration der Datenschutzaufsicht im Bereich der Ab- in Schwimm- oder Badebecken oder in Schwimm- oder gabenordnung ein Präzedenzfall geschaffen wird, Badeteichen entsprechen muss. der den Weg für weitere zukünftige Zuständigkeits- Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zeitnah verlagerungen von den Ländern zum Bund bereiten eine Rechtsverordnung vorzulegen, die den aktuell vor- könnte. Dem soll mit der Entschließung entgegen liegenden wissenschaftlichen Kenntnisstand in Verbin- getreten werden. dung mit dem aktuellen Regelwerk berücksichtigt. Wegen des Erfordernisses des Inkrafttretens der Re- Begründung: gelungen insgesamt bis zum 25. Mai 2018 erscheint nach Abwägung aller Umstände ein Verlangen auf In Ermanglung einer gegenwärtigen Regelung gestützt Anrufung des Vermittlungsausschusses gemäß Ar- auf das IfSG werden zur Überwachung der Schwimm- tikel 77 Absatz 2 Satz 1 GG in diesem Falle jedoch oder Badebeckenwasseranlagen ordnungsrechtliche nicht opportun. Vorgaben im Rahmen der allgemeinen Verkehrssiche- rungspfichten herangezogen. Zur Sicherstellung des Zu Nummer 7: Gesundheitsschutzes sind aber insbesondere Regelun- Nach Artikel 17 Nummer 11 (§ 32e AO) sollen gen des Fachrechts erforderlich, deren Einhaltung auf- Informationsansprüche nach dem Gesetz zur Re- grund der fachlichen Qualifkation durch die Gesund- gelung des Zugangs zu Informationen des Bundes heitsbehörden überwacht wird. beziehungsweise den Informationsfreiheitsgesetzen Das in der Verordnung über die Qualität von Schwimm- der Länder unter entsprechender Anwendung der und Badebeckenwasser (Schwimm- und Badebecken- für die Wahrnehmung der Betroffenenrechte bezie- wasserverordnung – SchwBadebwV, vgl. BR-Druck- hungsweise Informationspfichten der verantwort- sache 748/02) geregelte Verfahren ist gegenwärtig lichen Stelle nach der Verordnung (EU) 2016/679 noch offen. In der 783. Sitzung des Bundesrates am und den diesbezüglich getroffenen beschränkenden 29. November 2002 wurde der Punkt (TOP 34) von (B) Regelungen der AO beurteilt werden. Diese Gleich- der Tagesordnung abgesetzt. Allein Bedenken hin- (D) setzung der Betroffenenrechte nach der Verordnung sichtlich der Kostenauswirkungen für Betreiber von (EU) 2016/679 mit allgemeinen Informationszu- Anlagen, die eventuell den Vorgaben der Verordnung gangsrechten wirft Auslegungsfragen auf, die zu nicht gerecht werden, ließen das Verfahren damals nicht unerheblichen Anwendungsproblemen führen nicht zum Abschluss bringen. 15 Jahre später sollten dürften. Ungeklärt ist beispielsweise, welchen In- allein fskalische Aspekte keine Rolle spielen. Ansons- formationsansprüchen nach den Informationsfrei- ten würde daraus gesundheitspolitisch das Signal aus- heitsgesetzen die in Bezug genommenen Informati- gesendet werden, dass der Gesundheitsschutz der Be- onspfichten nach Artikel 13 und 14 der Verordnung völkerung im Zusammenhang mit der Nutzung solcher (EU) 2016/679 entsprechen sollen. Ebenso bedarf Schwimm- oder Badebeckenanlagen in die Beliebig- es einer Klärung, an wen die Information in entspre- keit der fnanziellen Aufwände der Betreiber solcher chender Anwendung von § 32c Absatz 5 AO erfol- Anlagen gestellt wird. gen soll. Eine Zuständigkeit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit im Unter Umständen könnte auch die notwendige Über- Geltungsbereich landesrechtlicher Informationszu- wachung den haushalterischen Einsparungen soweit gangsgesetze dürfte jedenfalls nicht bestehen. unterliegen, dass der Schutz der Bevölkerung vor wasserbürtigen Erkrankungen nicht mehr gewährleis- – Gesetz zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozial- tet ist. Um dem entgegenzuwirken ist das oben ge- kassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsge- nannte Bundesratsverfahren mit einer aktualisierten richtsgesetzes Rechtsverordnung unter Beachtung des mittlerweile fortgeschriebenen Regelwerkes (hier: DIN 19643 vom – Gesetz zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiens- November 2012) „Aufbereitung von Schwimm- und terichtlinie Badebeckenwasser“ und unter Beachtung der Empfeh- – Zweites Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- lung des Umweltbundesamtes (UBA) „Hygieneanfor- und des Stromsteuergesetzes derungen an Bäder und deren Überwachung“ neu zu beleben und zügig zum Abschluss zu bringen. – Gesetz zur Aufhebung der Gesetze über Bergmann- siedlungen Obwohl eine Ermächtigung des Bundes zum Erlass von Regelungen für Schwimm- oder Badeteiche (Kleinba- – Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der deteiche) durchaus bestand, wurde damals (2002) von Abstammung bei heterologer Verwendung von Sa- der Ermächtigung kein Gebrauch gemacht, da der da- men malige vorliegende wissenschaftliche Kenntnisstand 25312 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

(A) es nicht erlauben würde, konkrete Anforderungen an – Gesetz zur Einbeziehung von Polymerisationsanla- (C) die Qualität des Wassers in solchen künstlich angeleg- gen in den Anwendungsbereich des Emissionshan- ten Badeteichen festzulegen, die das gesundheitliche dels Risiko bis auf ein vertretbares Maß reduzieren wür- – Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgeset- den. Insoweit bestand entsprechender Forschungsbe- zes darf. Es wurde hingegen „nur“ auf eine Empfehlung des UBA „Hygienische Anforderungen an Kleinba- – Erstes Gesetz zur Änderung des Intelligente Ver- deteiche“ (vgl. Bundesgesundheitsbl-Gesundheits- kehrssysteme Gesetzes forsch-Gesundheitsschutz 6-2003) verwiesen. Mit der oben genannten Bitte zur Anpassung der Rechtsver- – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den ordnung an den wissenschaftlich-technischen Fort- Deutschen Wetterdienst schritt, können Regelungen auch zu Schwimm- oder – Gesetz zur Einführung eines Wettbewerbsregisters Badeteichen im erforderlichen Umfang aufgenommen und zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbe- werden. werbsbeschränkungen – Gesetz zur Fortschreibung der Vorschriften für – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Blut- und Gewebezubereitungen und zur Ände- Akkreditierungsstelle rung anderer Vorschriften – Erstes Gesetz zur Änderung des Schornsteinfe- – Gesetz zur Reform der Pfegeberufe (Pfegeberufe- ger-Handwerksgesetzes reformgesetz – PfBRefG) – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) – Zweites Gesetz zur Änderung personenstandsrecht- Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des licher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Än- Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identi- derungsgesetz – 2. PStRÄndG) fzierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhe- – Gesetz zur Änderung gebührenrechtlicher Rege- bung der Richtlinie 1999/93/EG (eIDAS-Durchfüh- lungen im Aufenthaltsrecht rungsgesetz) – Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hin- – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober terbliebenengeld 2016 zur Errichtung der internationalen EU-LAK- Stiftung – Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen – Gesetz zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 (B) – Gesetz zur Reform der Straftaten gegen ausländi- zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der (D) sche Staaten Republik Moldau über Soziale Sicherheit – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – – Gesetz zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Ur- Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI kunde zur Abänderung der Verfassung der Inter- des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung nationalen Arbeitsorganisation der organisierten Kriminalität – Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Ra- – Drittes Gesetz zur Änderung reiserechtlicher Vor- tes zur Festlegung eines Mehrjahresrahmens für schriften die Agentur der Europäischen Union für Grund- rechte für den Zeitraum 2018-2022 – Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundeszentralre- gistergesetzes (7. BZRGÄndG) – Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarates vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung – Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässig- von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt keitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaß- nahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungs- – Gesetz zu dem Protokoll vom 14. November 2016 rechts von Betreuten zur Änderung des Abkommens vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik – Zweites Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte Deutschland und der mazedonischen Regierung von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Än- zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem derung des Schöffenrechts Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- – Gesetz zur Einführung einer wasserrechtlichen Ge- mögen nehmigung für Behandlungsanlagen für Deponie- – Gesetz zu dem Abkommen vom 21. November 2016 sickerwasser, zur Änderung der Vorschriften zur zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Eignungsfeststellung für Anlagen zum Lagern, Ab- Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbe- füllen oder Umschlagen wassergefährdender Stoffe steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- und zur Änderung des Bundes-Immissionsschutz- kommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen gesetzes oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr – Gesetz zur Änderung des Chemikaliengesetzes und – Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Juni 2016 zwi- zur Änderung weiterer chemikalienrechtlicher schen der Bundesrepublik Deutschland und der Vorschriften Republik Armenien zur Vermeidung der Doppel- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 25313

(A) besteuerung und zur Verhinderung der Steuerver- – Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung (C) kürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom- in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungs- men und vom Vermögen gesetz – NetzDG) – Gesetz zu dem Protokoll vom 12. November 2012 – Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschlie- zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Ta- ßung für Personen gleichen Geschlechts bakerzeugnissen – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 14. März Nr. 1143/2014 über die Prävention und das Ma- 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codier- nagement der Einbringung und Ausbreitung inva- ter Auszüge und Bescheinigungen aus Personen- siver gebietsfremder Arten standsregistern Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: – Gesetz zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weit­ Der Bundesrat begrüßt, dass eine Rechtsgrundlage ge- räumige grenzüberschreitende Luftverunreini- schaffen wurde, die EU-weiten Vorgaben zum Umgang gung betreffend persistente organische Schadstoffe mit invasiven Arten zu regeln und zügig Maßnahmen (POP) gegen die Einbringung und Ausbreitung von invasiven Arten getroffen werden können. Der Bundesrat be- – Gesetz zur Änderung des Protokolls vom 30. No- fürchtet jedoch, dass ein effektives Management durch vember 1999 (Multikomponenten-Protokoll) zu die im Gesetz enthaltende Einvernehmensregelung bei dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige jagdlichen und fschereilichen Maßnahmen mit den Jag- grenzüberschreitende Luftverunreinigung betref- dausübungs- und Fischereiausübungsberechtigen (§ 40a fend die Verringerung von Versauerung, Eutro- BNatSchG und § 28a BJagdG) erschwert wird. Zudem phierung und bodennahem Ozon werden in der Folge deutlich erhöhte Mehrausgaben auf Verwaltungsebene­ erwartet, ohne dass der Bund ange- – Gesetz zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni messene Kompensationsmaßnahmen mitbedacht hat. 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weit- Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, diese räumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung Einvernehmensregelung zeitnah auch mit Blick auf die betreffend Schwermetalle Verwaltungskosten zu evaluieren und entsprechend zu – Gesetz zu der am 15. Oktober 2016 in Kigali be- ändern. schlossenen Änderung des Montrealer Protokolls – Gesetz zur Modernisierung des Rechts der Um- (B) vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem weltverträglichkeitsprüfung (D) Abbau der Ozonschicht führen – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens über des Europäischen Parlaments und des Rates vom den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und vom 9. Mai 1980 zur Änderung weiterer Gesetze – Gesetz zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni fasst: 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren 1. Der Bundesrat begrüßt das Gesetz zur Umsetzung Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Par- Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors laments und des Rates vom 20. Januar 2016 über – Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Au- Ausgestaltung des Strafverfahrens ßenwirtschaftsgesetzes. Mit dem Gesetz wird eine verpfichtende Weiterbil- – Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der dung von 15 Stunden pro Jahr für alle Personen ein- nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher geführt, die unmittelbar Versicherungen vermitteln. homosexueller Handlungen verurteilten Personen Die bereits geltende Weiterbildungsverpfichtung und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes wird in sinnvoller Weise ergänzt. Eine ausreichende – Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung Sachkunde muss nun vor der Tätigkeit als Versiche- der Transparenz bei Genossenschaften rungsvermittler in der Kundenberatung und Versi- cherungsvermittlung nachgewiesen werden. Eine – ... Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Weiterbildungspficht von 15 Stunden pro Jahr für Wohnungseinbruchdiebstahl alle Versicherungen beratenden und vermittelnden Personen ist darüber hinaus sinnvoll. – Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der Maßnahmen bei Kindern noch zu erlassenden Rechtsverordnung zur Konkre- tisierung der Weiterbildungspficht auf unverhält- – Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die ak- nismäßige Anforderungen zu verzichten. Die Kon- tuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urhe- kretisierung der Weiterbildungsanforderung in der berrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhW­ issG) Rechtsverordnung sollte mit Augenmaß erfolgen 25314 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017

(A) und unnötige bürokratische Belastungen vermei- 3. Vor diesem Hintergrund weist der Bundesrat auf (C) den, wie unverhältnismäßige formale Anforderun- die hohe Bedeutung einer individualisierten Fort- gen an Formate, Dokumentation und Nachweis der bildungspficht, zugeschnitten auf den individuellen Weiterbildung. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Beratungsbedarf und die vermittelten Produkte, hin. aus Wirtschaftlichkeitsgründen viele bisher in der Ziel muss ein zielgruppenspezifsches Anforde- Kundenberatung tätige Personen künftig von der rungsprofl für die Weiterbildung bei Berücksich- Vermittlungstätigkeit ausgeschlossen würden. tigung der Beratungsanforderungen sein. Diesem Umstand soll mit einer konkretisierenden Rechts- Eine fächendeckende Beratung der Kunden wäre verordnung Rechnung getragen werden, die zu un- gefährdet. komplizierten, in der Praxis handhabbaren Lösun- Berücksichtigung muss auch die bestehende hetero- gen führen muss. gene Vertriebsstruktur in Deutschland fnden. Dazu gehören neben Inhabern von Versicherungsagenturen, – Gesetz zur Modernisierung der Netzentgeltstruk- Versicherungsspezialisten in Banken und Sparkassen tur (Netzentgeltmodernisierungsgesetz) auch Büroassistenzen im Innendienst von Agenturen – Gesetz zur Förderung von Mieterstrom und zur oder Allfnanzberater der Banken, die Bank-, Wert- Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerba- papier- und Versicherungsprodukte abdecken. Des- re-Energien-Gesetzes halb müssen die Vermittler berufsgruppenspezifsch individuell nach ihren tatsächlichen Anforderungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitge- in der Beratungspraxis aus- und fortgebildet werden, teilt, dass sie den Entschließungsantrag auf Drucksache auch um den unterschiedlichen Kunden der Versiche- 18/13020 zur dritten Beratung des von der Bundesregie- rungsvermittler gerecht zu werden. rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder- nisierung der Netzentgeltsstruktur (Netzentgeltmoderni- Eine pauschale Festsetzung der Ausbildungsanfor- sierungsgesetz) zurückzieht. derungen, die nur auf eine bestimmte Vermittler- tätigkeit zugeschnitten ist, sollte hier vermieden Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit werden. Vielmehr müssen anhand der oben be- und Entwicklung hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Ab- schriebenen verschiedenen Vermittlertypen Kriteri- satz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichter- en in die Rechtsverordnung aufgenommen werden, stattung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung die eine individuelle und bestmögliche Weiterbil- 15. Entwicklungspolitischer Bericht der Bundesregie- dung garantieren. rung auf Drucksache 18/12300 absieht.

(B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2017 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333