Stadtgeographische Prozesse und Strukturen in Neapel

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Naturwissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Sandra BUCHBAUER

am Institut für Geographie und Raumforschung Begutachter Ao. Univ. Prof. Dr. Peter Čede

Graz, 2018

Eidesstattliche Erklärung

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum Unterschrift

II Zusammenfassung

Zusammenfassung

Italien ist eines der beliebtesten Reiseziele der Österreicher. Die meisten verbringen ihren Urlaub eher im Norden Italiens oder in der Hauptstadt Rom. Der Ruf der Stadt Neapel gefährlich zu sein, schreckt viele ab. „Vedi Napoli e poi muori“ ist eine bekannte italienische Redewendung, die ausdrücken soll, wie schön und auch mystisch die Stadt Neapel ist.

In der vorliegenden Arbeit werden die süditalienische Stadt Neapel und dessen stadtgeographische Prozesse und Strukturen näher beleuchtet. Nach der Erläuterung der Stadtentwicklung in Nord- und Mittelitalien im Gegensatz zu Süditalien beschäftigt sich die Arbeit mit dem Städtesystem in Nord- und Mittelitalien sowie in Süditalien. Darauf folgt die stadtgeographische Analyse von Neapel, die folgende Punkte umfasst: ein geographischer Überblick über die Lage, die historische Entwicklung der Stadt, die Bevölkerungsentwicklung und -strukturen, die räumliche Gliederung Neapels, die persistenten Strukturen der Stadt, die Altstadterhaltung und –revitalisierung sowie abschließend die aktuellen Prozesse und Strukturen.

III Abstract

Abstract

Italy is one of the most popular holiday destinations for Austrians. Most of them spend their holidays in northern or in the capital city Rome. The dangerous reputation of the city of deters many. "Vedi Napoli e poi muori" is a well-known Italian idiomatic expression that is meant to convey how beautiful and mystical the city Naples is.

This paper will examine the city of Naples in the south of Italy and the city's urban structures and processes. After explaining the urban development in northern and central Italy in contrast to southern Italy, the work deals with the urban system in northern and central Italy as well as in southern Italy. This is followed by the city's geographical analysis of Naples, which includes the following points: a geographical overview of the position, the historical development of the city, the development and structures of the population, the spatial structure of Naples, the persistent structures of the city, the preservation and revitalization of the old town and finally the current processes and structures.

IV Sommario

Sommario

L'Italia è una delle destinazioni di viaggio più famosi per gli austriaci. La maggior parte trascorre le vacanze nel nord d’Italia o nel capoluogo Roma. La reputazione della città di Napoli di essere pericolosa, distoglie molti. "Vedi Napoli e poi muori" è un idioma italiano ben noto che ha lo scopo di esprimere quanto la città Napoli sia bella e mistica.

Nel presente lavoro si esamina la città italiana meridionale di Napoli e i processi e le strutture geografiche della città. Dopo aver spiegato lo sviluppo urbanistico dell'Italia settentrionale e centrale in contrasto con l'Italia meridionale, il lavoro si occupa del sistema urbano dell'Italia settentrionale e centrale così come dell'Italia meridionale. Questo è seguito dall'analisi geografica della città di Napoli, che comprende i seguenti punti: una panoramica geografica della posizione, lo sviluppo storico della città, lo sviluppo e le strutture della popolazione, la struttura spaziale di Napoli, le strutture persistenti della città, la conservazione e rivitalizzazione della città vecchia e infine i processi e le strutture attuali.

V Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung ...... II Zusammenfassung ...... III Abstract ...... IV Sommario ...... V Inhaltsverzeichnis ...... VI Abbildungsverzeichnis ...... IX Tabellenverzeichnis ...... XI

1. Einleitung ...... 12 1.1 Problemstellung und Zielsetzung ...... 12 1.2 Arbeitsgrundlagen und Methodik ...... 13 1.3 Die geographische Lage Italiens ...... 14 2. Historische Stadtentwicklung in Italien ...... 16 2.1 Die Antike in Nord-, Mittel- und Süditalien ...... 16 2.2 Die Germaneneinwanderung in Nord-, Mittel- und Süditalien ...... 19 2.3 Die Trennung der Stadtentwicklung von Nord-, Mittel- und Süditalien ...... 20 2.3.1 Die Stadtentwicklung in Nord- und Mittelitalien ...... 21 2.3.2 Die Stadtentwicklung in Süditalien ...... 25 2.4 Die Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert in Italien ...... 29 2.5 Die Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert in Italien ...... 31 2.6 Vergleich der Stadtentwicklung in Nord- und Mittelitalien zu Süditalien ...... 32 3. Das Städtesystem in Italien ...... 35 3.1 Historische Stadttypen in Italien ...... 36 3.2 Die toskanischen Städte ...... 38 3.2.1 Die Gebäudetypen im Centro Storico ...... 39 3.2.1.1 Die öffentlichen Repräsentationsbauten ...... 39 3.2.1.2 Die Wehrtürme...... 41 3.2.1.3 Die privaten Palazzi ...... 41 3.2.1.4 Die einfachen Massenwohnhäuser ...... 43 3.2.1.5 Die Borghi ...... 43 3.2.1.6 Die Klöster ...... 44 3.2.1.7 Die Neubauten ...... 44

VI Inhaltsverzeichnis

3.2.2 Die Auswirkungen der Stadtentwicklungsphasen auf die Anordnung der Gebäudetypen ...... 45 3.3 Die sizilianischen Städte ...... 50 3.3.1 Die Gebäudetypen im Centro Storico ...... 51 3.3.1.1 Die öffentlichen Repräsentationsbauten ...... 52 3.3.1.2 Die Palazzi ...... 52 3.3.1.3 Die Rücken-an-Rücken-Häuser ...... 54 3.3.1.4 Die Klöster ...... 56 3.3.1.5 Die Neubauten des 19. Jahrhunderts ...... 56 3.3.1.6 Die Hochhäuser des 20. Jahrhunderts ...... 56 3.3.2 Die Auswirkungen der Stadtentwicklungsphasen auf die Anordnung der Gebäudetypen ...... 57 3.4 Vergleich der toskanischen und sizilianischen Städte...... 58 3.5 Die Stadtregionen Italiens ...... 59 3.5.1 Die Stadtregionen Norditaliens ...... 62 3.5.2 Die Stadtregionen Mittelitaliens ...... 63 3.5.3 Die Stadtregionen Süditaliens ...... 64 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse ...... 65 4.1 Allgemeine geographische Grundlagen ...... 65 4.2 Stadtentwicklung ...... 66 4.2.1 Altertum ...... 66 4.2.2 Mittelalter ...... 67 4.2.3 Neuzeit ...... 68 4.3 Bevölkerung ...... 72 4.3.1 Region Kampanien...... 72 4.3.1.1 Bevölkerungsentwicklung in der Region Kampanien ...... 72 4.3.1.2 Bevölkerung nach Alter in der Region Kampanien ...... 73 4.3.1.3 Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Region Kampanien ...... 74 4.3.1.4 Bevölkerungsbilanz der Region Kampanien ...... 74 4.3.2 Provinz Neapel...... 75 4.3.2.1 Bevölkerungsentwicklung der Provinz Neapel ...... 75 4.3.2.2 Bevölkerung nach Alter in der Provinz Neapel ...... 76 4.3.2.3 Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Provinz Neapel ...... 77 4.3.2.4 Bevölkerungsbilanz der Provinz Neapel ...... 77

VII Inhaltsverzeichnis

4.3.3 Stadt Neapel ...... 78 4.3.3.1 Bevölkerungsentwicklung der Stadt Neapel ...... 78 4.3.3.2 Bevölkerung nach Alter in der Stadt Neapel ...... 79 4.3.3.3 Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Stadt Neapel ...... 80 4.3.3.4 Bevölkerungsbilanz der Stadt Neapel ...... 81 4.3.3.5 Die Bevölkerung in den Municipalità Neapels ...... 81 4.4 Räumliche Gliederung ...... 85 4.4.1 Quartieri ...... 85 4.4.2 Municipalità ...... 87 4.4.3 Rioni ...... 88 4.4.4 Bezirke im Zentrum und am Stadtrand ...... 89 4.4.5 Das Strukturschema der süditalienischen Stadt ...... 96 4.4.5.1 Die Altstadt ...... 97 4.4.5.2 Die Neubaugebiete ...... 100 4.5 Persistente Strukturen ...... 101 4.5.1 Aufrisselemente ...... 102 4.5.1.1 Sakrale Bauten ...... 102 4.5.1.2 Profanbauten...... 103 4.5.1.3 Bassi und Fondachi ...... 104 4.5.2 Grundrisselemente ...... 105 4.5.3 Städtische Freiräume ...... 107 4.5.3.1 Plätze ...... 107 4.5.3.2 Grünflächen ...... 108 4.6 Altstadterhaltung und -revitalisierung ...... 108 4.7 Aktuelle Prozesse und Strukturen ...... 110 4.7.1 Müllproblematik ...... 110 4.7.2 Jugendarbeitslosigkeit ...... 113 4.7.3 Camorra ...... 114 5. Zusammenschau und Schlussfolgerungen ...... 117 6. Verzeichnis der Arbeitsgrundlagen ...... 120 6.1 Literatur ...... 120 6.2 Onlinequellen ...... 122

VIII Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Verwaltungsgliederung Italiens ...... 15 Abbildung 2: Ausgrabungen in Pompeji ...... 19 Abbildung 3: Unterschiede der Stadtentwicklung in Nord- und Mittelitalien und Süditalien ...... 34 Abbildung 4: Die wichtigsten Centri Storici Italiens ...... 37 Abbildung 5: Der Palazzo Vecchio in Florenz ...... 40 Abbildung 6: Der Palazzo Pitti in Florenz ...... 42 Abbildung 7: Die Anordnung der Gebäudetypen im Bereich des Castelvecchio in Siena ...... 46 Abbildung 8: Die Herkunft der Bausubstanz aus den verschiedenen Stadtentwicklungsphasen in Siena ...... 49 Abbildung 9: Die Gebäudetypen in Catania ...... 55 Abbildung 10: Die Stadtregionen Italiens ...... 61 Abbildung 11: Die Regionen Italiens ...... 65 Abbildung 12: Die Provinzen der Region Kampanien ...... 66 Abbildung 13: Das Castel Nuovo in Neapel ...... 68 Abbildung 14: Der Palast Reggia di Capodimonte ...... 70 Abbildung 15: Bevölkerungsentwicklung der Region Kampanien von 1861 bis 2016 ...... 72 Abbildung 16: Altersverteilung in der Region Kampanien 2007 ...... 73 Abbildung 17: Altersverteilung in der Region Kampanien 2017 ...... 73 Abbildung 18: Bevölkerungsentwicklung der Provinz Neapel von 1861 bis 2016 ...... 75 Abbildung 19: Altersverteilung in der Provinz Neapel 2007 ...... 76 Abbildung 20: Altersverteilung in der Provinz Neapel 2017 ...... 76 Abbildung 21: Bevölkerungsentwicklung der Stadt Neapel von 1861 bis 2016 ...... 78 Abbildung 22: Altersverteilung in der Stadt Neapel 2007 ...... 79 Abbildung 23: Altersverteilung in der Stadt Neapel 2017 ...... 80 Abbildung 24: Die Bevölkerung („popolazione residente“) in den Municipalità 2016 ...... 82 Abbildung 25: Die Flächenausdehnung der Municipalità in km2 ...... 82 Abbildung 26: Die Bevölkerungsdichte der Municipalità 2016 ...... 83 Abbildung 27: Das Durchschnittsalter der Bewohner der Municipalità 2016 ...... 84 Abbildung 28: Der Anteil der Ausländer in den Municipalità 2016 ...... 84

IX Abbildungsverzeichnis

Abbildung 29: Die 30 Quartieri Neapels ...... 85 Abbildung 30: Die zehn Municipalità Neapels ...... 87 Abbildung 31: Die Aufteilung der Bezirke in Zentrum und Stadtrand ...... 89 Abbildung 32: Die Bezirke im Centro Storico ...... 90 Abbildung 33: Die hochrangigen Bezirke („quartieri agiati“) im Zentrum ...... 91 Abbildung 34: Die mittelrangigen Bezirke („quartieri medi“) im Zentrum ...... 92 Abbildung 35: Die niederrangigen Bezirke („quartieri disagiati“) im Zentrum ...... 93 Abbildung 36: Die nordwestlichen Bezirke am Stadtrand ...... 94 Abbildung 37: Die nördlichen Bezirke am Stadtrand ...... 95 Abbildung 38: Die östlichen Bezirke am Stadtrand ...... 96 Abbildung 39: Das Strukturschema der süditalienischen Stadt ...... 97 Abbildung 40: Wohnhaus der niedereren Schichten in der Via Carbonara im Bezirk San Lorenzo ...... 98 Abbildung 41: Offene Verkaufsfläche auf der Piazza Giuseppe Garibaldi im Bezirk Zona Industriale ...... 100 Abbildung 42: Spaccanapoli ...... 106 Abbildung 43: Müll auf den Straßen Neapels ...... 110 Abbildung 44: Müllsituation in Neapel 2018 ...... 112 Abbildung 45: 15- bis 34-jährige nicht Beschäftigte und nicht in der allgemeinen und beruflichen Ausbildung ...... 113 Abbildung 46: Die Herkunftsregionen der Mafia ...... 115

X Tabellenverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bevölkerungsbilanz der Region Kampanien 2016 ...... 74 Tabelle 2: Bevölkerungsbilanz der Provinz Neapel 2016 ...... 77 Tabelle 3: Bevölkerungsbilanz der Stadt Neapel 2016 ...... 81 Tabelle 4: Räumliche Differenzierung der Kirchen und geistlichen Institute 1836 in Prozent ...... 103

XI 1. Einleitung

1. Einleitung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

Wenn man an italienische Städte denkt, kommen einem bestimmt einige Städte in den Sinn wie zum Beispiel die „ewige Stadt“ Rom, die Renaissance-Metropole Florenz, die Lagunenstadt Venedig, die Modemetropole Mailand oder auch das am Fuße des Vesuvs liegende Neapel.

In meiner Diplomarbeit beschäftige ich mich mit der süditalienischen Stadt Neapel und dessen stadtgeographischen Prozessen und Strukturen. Zu Beginn der Arbeit wird die Stadtentwicklung in Italien erläutert und es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede Nord- und Mittelitaliens zu Süditalien aufgezeigt. Weiters beschäftigt sich die Arbeit mit dem Städtesystem in Nord- und Mittelitalien sowie in Süditalien und es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt. Darauf folgt die stadtgeographische Analyse von Neapel, die folgende Punkte umfasst: ein geographischer Überblick über die Lage, die historische Entwicklung der Stadt, die Bevölkerung in der Region Kampanien, der Provinz sowie der Stadt Neapel, die räumliche Gliederung Neapels, die persistenten Strukturen der Stadt, die Altstadterhaltung und –revitalisierung sowie abschließend die aktuellen Prozesse und Strukturen.

In erster Linie sollen im Verlauf dieser Diplomarbeit die angeführten Forschungsfragen beantwortet werden. Ziel ist es, herauszufinden wie Neapel zu der Stadt geworden ist, die sie heute ist.

Aus dieser Schwerpunktsetzung ergeben sich daher folgende Forschungsfragen:

 Inwiefern unterscheiden sich die urbanen Prozesse und Strukturen in Nord- und Mittelitalien von jenen in Süditalien?  Welche Stadtentwicklungsprozesse und –strukturen haben das Stadtbild von Neapel grundlegend geprägt?  Inwiefern prägen die aktuellen Prozesse das Stadtbild von Neapel?

12 1. Einleitung

1.2 Arbeitsgrundlagen und Methodik

Diese Arbeit basiert zum einen auf einer umfangreichen Literaturrecherche und zum anderen auf der Sichtung relevanter Internetquellen. Wichtig sind auch die Auswertungen von Statistiken. Des Weiteren ist es unerlässlich, Erhebungen direkt vor Ort zu machen, um sich einen Überblick über die gegenwärtige Lage zu verschaffen und die in der Arbeit erlangten Erkenntnisse mit Fotos zu untermauern. Dahingehend fand im März 2018 eine Exkursion in das Untersuchungsgebiet statt.

In dieser Arbeit für den Teil über Nord-, Mittel- und Süditalien sind folgende Publikationen von größter Bedeutung: Giuseppe BARBIERI, Roberto ALMAGIÀ (1971): L’Italia; Mario FAZIO (1980): Historische Stadtzentren Italiens; Klaus ROTHER, Franz TICHY (2000): Italien; Elmar SABELBERG (1984): Regionale Stadttypen in Italien; Elmar SABELBERG (1985): Die Süditalienische Stadt.

Für das Kapitel über Neapel sind die folgenden Publikationen am bedeutendsten: Vincenzo DELLE DONNE (2016): Mein Neapel – Intime Biografie einer verschmähten Stadt; Wolfram DÖPP (1968): Die Altstadt Neapels – Entwicklung und Struktur; Salvatore PISANI, Katharina SIEBENMORGEN (2009): Neapel – Sechs Jahrhunderte Kulturgeschichte; Dieter RICHTER (2012): Neapel – Biographie einer Stadt.

Hinzu kommen als methodische Arbeitsgrundlagen, die Stadtgeographien von Burkhard HOFMEISTER (1994), Heinz FASSMANN (2004) sowie Elisabeth LICHTENBERGER (2011), die eine allgemeine Basis bieten.

Um aktuelle Prozesse und Strukturen zu recherchieren, wurde zusätzlich noch auf das Internet zurückgegriffen. Weiters diente die Internetrecherche zur Gewinnung von Statistikdaten, wofür vor allem die folgenden Internetseiten als Quellen von Bedeutung sind: comuni- italiani.it, comune.napoli.it. sowie istat.it.

13 1. Einleitung

1.3 Die geographische Lage Italiens

Das im Mittelmeer liegende Italien misst vom nördlichsten Punkt zum südlichsten Punkt 1.177 km Luftlinie und auf dem Landweg vom Brennerpass bis zur Südspitze der Halbinsel bei Reggio di Calabria legt man rund 1.450 km zurück. Es ist ein maritimes Land aufgrund der geringen Breite von 125 bis 244 km. Kennzeichnend ist auch die Form des Landes, die wie ein Stiefel aussieht. (ROTHER, TICHY, 2000, S.2-3)

Norditalien, auch Festlanditalien, ist für Verkehr und Wirtschaft günstig gelegen und ist deshalb auch der reichste und produktivste Teil Italiens. Wohingegen Süditalien mit Sizilien und Sardinien nicht zum Verkehrszentrum im Mittelmeer geworden ist und verglichen mit Norditalien, der rückständigere und ärmere Landesteil ist. Vor allem in den Bevölkerungs- und Wirtschaftsstrukturen bestehen weiterhin Unterschiede und Gegensätze zwischen dem Norden und dem Süden des Landes. (ROTHER, TICHY, 2000, S.2-3)

Die beiden Landesteile werden als Italia settentrionale, der Norden des Landes, und Italia meridionale, der Süden Italiens, bezeichnet. Mittelitalien wird auch Italia centrale genannt und befindet sich zwischen den beiden anderen Teilen des Landes. Süditalien wird auch häufig Mezzogiorno genannt, wozu auch Sizilien und Sardinien zählen, die teilweise auch als Inselitalien bezeichnet werden. Man kann keine klaren Grenzen zwischen den drei Landesteilen ziehen, genauso wenig zwischen dem kontinentalen Italien im Norden und dem mediterranen Italien im Süden. (ROTHER, TICHY, 2000, S.2-3)

Die Zugehörigkeit der festländlichen Regionen, die in mehrere Provinzen unterteilt sind, lässt sich in folgende drei Bereiche unterteilen (ROTHER, TICHY, 2000, S.3-6):  Norditalien umfasst folgende acht Regionen: Piemont, Aostatal, Lombardei, Ligurien, Trentino-Südtirol (Alto Adige), Venetien, Friaul-Julisch Venetien und Emilia-Romagna.  Mittelitalien besteht aus den vier Regionen Toskana, Marken, Umbrien und Latium.  Zu Süditalien zählen die sechs Regionen Abruzzen, Molise, Kampanien, Apulien, Basilikata und Kalabrien.

14 1. Einleitung

Da es in Italien zwanzig Regionen gibt, fehlen demnach zwei Regionen und zwar Sizilien und Sardinien, die Inselitalien darstellen und nicht zu den festländlichen Regionen zählen. (ROTHER, TICHY, 2000, S.3-6)

Abbildung 1: Die Verwaltungsgliederung Italiens

Arbeitsgrundlage: ROTHER, TICHY, 2000, S.4.

15 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Die Stadtentwicklung verlief in Nord-, Mittel- und Süditalien nicht immer gleich. Die Anfänge der Stadtentwicklung waren in ganz Italien ziemlich ähnlich. Dies änderte sich jedoch im Laufe der Zeit, weshalb es auch im folgenden Kapitel Teile gibt, die auf ganz Italien bezogen sind, welche, die nur für Nord- und Mittelitalien gelten und jene, die nur auf Süditalien bezogen sind.

2.1 Die Antike in Nord-, Mittel- und Süditalien

Im 7. Jahrhundert vor Christus wurden die ersten Städte in Italien gegründet. Von den Etruskern fortgeführt, entstanden am Ende der Villanovakultur Städte in der Emilia und Etrurien. Es kam danach durch die Griechen, Phönizier und Karthager zur Gründung von Kolonien, die in Süditalien als Agrarstädte gegründet wurden und ähnlich einer Polis waren. Zu der eigentlichen Siedlung gehörte auch ein Umland, dass der Stadt gleichgestellt war. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Der Großteil der Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig und die gewerbliche und gesellschaftliche Arbeitsteilung stand am Anfang. Die Bevölkerung lebte in den Orten mit der Struktur einer Gemeindeorganisation, als gesellschaftlicher Verband zusammen, in denen die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Bedeutung war. Die Verfassung, Politeia, war die Basis dieser Gemeinschaft und wurde in der Volksversammlung, Ekklesia, die im funktionalen Siedlungsmittelpunkt, Agora, tagte, realisiert. Der Alltag der Polis basierte auf sozialer und politischer Differenzierung, da zum Beispiel ortsansässige fremde Mitbewohner, Metöken, sozial abseits standen. (WAGNER, 2011, S.28-41)

Durch den Bevölkerungsanstieg entwickelten sich das Handwerk und der Handel, was eine Arbeitsteilung im Ort voraussetzte. Diese Waren wurden dann am Markt verkauft. Hier kam es vom Warentausch zur Geldwirtschaft, was den Handel förderte. Drei Prozesse waren für die Stadtentwicklung der Polis von Bedeutung (WAGNER, 2011, S.28-41):

16 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

1. Durch Städtebünde, die zur Abwehr dienten, konnte die Polis ihre zentrale Funktion auf ein größeres Gebiet ausweiten. 2. Einige Poleis gründeten gemeinsam nach Handelsinteressen entfernt liegende Plansiedlungen, wodurch sich griechische Stadtgründungen ausbreiteten. Neugründungen waren anfangs reine Ackerbürgersiedlungen, die schnell auch städtische Strukturen anstrebten. Neue Städte wurden nun nach einem planerischen Konzept errichtet, nicht wie die Städte zuvor, die einen unregelmäßigen Aufbau und Grundriss hatten. Aristoteles und Platon nannten einige Punkte, die für diese Planung wichtig waren: Beachtung sollte den gesundheitlichen Kriterien, der Bodenbeschaffenheit, der Wasserversorgung und dem Waldbestand bei der Auswahl des Siedlungsplatzes geschenkt werden. Auch die Lage des Hafens außerhalb ist wichtig, Profit macht der Markt nur an Straßenkreuzungen und ein weiteres Muss ist ein regelmäßiges Straßennetz. Bereits hier wurde das Schachbrettsystem verwendet, denn es war am leichtesten für die funktionale Gliederung und die Aufteilung des Eigentums. 3. Die Bedeutung der griechischen Stadtkultur nahm zu. Auch in der römischen Stadt wurde das regelmäßige Straßensystem angewandt und des Weiteren in den Planstädten der italienischen Renaissance. Viele Grundrisse wurden aber auch überformt. Die verfassungsrechtliche Organisation prägte noch lange die Stadtentwicklung und das Staatsrecht.

Die römischen Städte hießen Civitas und sie wurden zur Grundlage für die Vokabel Stadt, wie zum Beispiel im Italienischen città, im Spanischen cuidad oder im Englischen city (LORENZ, 1987, S.7-13). Bei der Gründung von Civitas wurde die Polisstruktur beibehalten und das Siedlungsnetz ausgebaut. Die Stadtgemeinde, als wichtigste Gebietseinheit, bestand aus vielen kleinen ländlichen Siedlungen. Einzige Stadt in dem System war der Zentralort der Civitas, der städtische Funktionen besaß. Größere Städte hatten fünf Bereiche der Raumwirksamkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung (WAGNER, 2011, S.28-41):

1. Das Gewerbe entwickelte sich und damit Manufakturen von Metall, Textil und Keramik. Außerdem gab es Ansätze zur Arbeitsteilung, Massenfertigung und Differenzierung im Herstellungsprozess.

17 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

2. Eine gute Infrastruktur war Voraussetzung für eine wirtschaftliche Entwicklung. So wurden unter anderem Straßen ausgebaut, die Energieversorgung und Abwassersysteme verbessert und die Verwaltung ausgebaut. 3. Durch die Entwicklung des Gewerbes wurde die Zentralität noch wichtiger. Eine besonders gute Stellung hatten die Hafenstädte, die für den Fernhandel von großer Bedeutung waren. 4. Als Voraussetzung des wirtschaftlichen Wohlstandes galt das einheitliche und wertstabile Geldwesen, das sich unter Caesar entwickelte, wodurch der Handel erleichtert wurde. 5. Das soziale System ist neben den wirtschaftlichen Grundlagen von Bedeutung. Die Civitas war eine Gemeinde zum Wohl der Bürger. Das Gemeinschaftsgefühl wurde zum Beispiel durch eine gemeinsame Sprache oder ähnliche Verhaltensmuster verstärkt.

Im römischen Reich bestand das Land aus einem Bund von Stadtstaaten, die in den Municipien ausgebaut wurden. Die Stadtstaaten hatten zwar keine außenpolitische Autonomie, behielten jedoch ihre eigene Verwaltung. Schon zu dieser Zeit waren italienische Städte sozial und funktional unterschiedlich. Es gab die Oberschicht, meist Unternehmer, Großgrundbesitzer oder Händler. Die Mittelschicht arbeitete als Handwerker, Verwaltungsbeamte oder Kleinhändler und die unterste Schicht stellte das Proletariat dar, das aus Sklaven und Armen bestand. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Durch die Ausgrabungen in Pompeji ist die innere Struktur der römischen Städte genauer bekannt. Die Städte hatten ein rechtwinkeliges Straßennetz und waren von einer Mauer umgeben. Das Zentrum, damals das Forum, befand sich an der Kreuzung der wichtigsten Straßen. An dieser Stelle fand man die Verwaltungs- und Kulturgebäude sowie öffentliche Markthallen für Lebensmittel und Textilien. Nicht weit davon entfernt befanden sich Theater und Thermen sowie die Wohnbauten der Oberschicht. Diese Grundstruktur blieb großteils bis zum Ende des Römischen Reichs erhalten. Die Civitas erweiterten sich und entstanden somit auch in entlegeneren Gebieten. Im Gegensatz zu einigen urbanen Zentren gab es viele Kleinstädte am Land mit wenigen Einwohnern. Diese Kommunen waren von Bedeutung, da sie das Siedlungsgefüge prägten. (WAGNER, 2011, S.28-41)

18 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Abbildung 2: Ausgrabungen in Pompeji

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahme, 2018.

In der Spätantike blieb nur ein Teil der antiken Städte erhalten, und zwar die Städte, die von den West- und Ostgoten, Langobarden und Byzantinern zu Zentren der Macht gemacht wurden, wie in der Toskana oder am Golf von Neapel. Bestimmend für die Zeit waren die Bevölkerungsabnahme und die Wiederbelebung des städtischen Siedlungsnetzes durch die Langobarden. Besonders durch den Schutz wichtiger Straßen, Handelsplätze und der Landwirtschaft, vor allem in Norditalien, verfielen die Städte nicht. Es entstanden auch neue Machtzentren, wie zum Beispiel Mailand. (WAGNER, 2011, S.28-41)

2.2 Die Germaneneinwanderung in Nord-, Mittel- und Süditalien

Durch die Einwanderung der Germanenstämme endete das Römische Reich in Italien, wodurch die Städte Italiens großteils verfielen (LAMPUGNANI, 2017, S.23-47). Es wanderten die Goten und dann die Langobarden ein. Die Goten ließen die Städte, so wie sie waren und sie wurden weiterhin von römischen Bürgern verwaltet. Die Langobarden hingegen hatten andere Vorstellungen: neben den vorfeudalen Organisationsformen auf dem Land blieben die Städte eigenständig erhalten. Anders war dies unter der Herrschaft der Franken, die das Feudalsystem einführten und Städten keine Sonderstellung mehr zugestanden. Die Macht wurde aus den Städten hinaus auf die Castelli verlegt, jedoch behielten die Städte ihre Funktion als religiöses und wirtschaftliches Zentrum. Das Feudalsystem wurde zu diesem

19 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Zeitpunkt nur in Nord- und Mittelitalien eingeführt, was in Süditalien erst im 11. Jahrhundert durch die Normannen geschah. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Die Veränderungen betrafen die politische Stellung und weniger die innere Gliederung und Struktur der Städte Italiens. Die vielen Kriege beeinflussten die Wirtschaft sowie die Bevölkerungsdichte, die stark zurückging. Es gibt römische Städte, die seit der Antike erhalten sind. Oft sind dies Küstenstädte, die nicht von den Goten erobert wurden, sondern vom Seehandel lebten und von der Beeinträchtigung des Handelsweges über Land nicht betroffen waren. Obwohl sie freie Stadtstaaten waren, unterstanden sie formal der Oberhoheit des byzantinischen Reichs. Die Wirtschaftsstruktur, Bevölkerungsstruktur und Selbstverwaltung änderte sich zwar nicht, jedoch die innere Struktur der Städte schon. Zum Sitz des Bischofs und der städtischen Selbstverwaltung wurde das Zentrum auserkoren und die Dominanz des Überseefernhandels prägte die Städte. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Das süditalienische Binnenland wurde beherrscht von Byzanz, das jedoch zu schwach war, um etwas zu verändern. Durch das Bischofsamt bestanden Teile der römischen Selbstverwaltung in der Verfassung weiter, aber wirtschaftlich war die römische Stadtstruktur unterbrochen. Im Gegensatz zu Süditalien wurden die Städte des Binnenlandes von Nord- und Mittelitalien in das Feudalsystem eingegliedert. Die municipale Selbstverwaltung der Römer blieb durch den Bischof in der Verwaltung erhalten. Weitere römische Stadttraditionen blieben ebenfalls erhalten, wie der Fernhandel, das Handwerk und die Geldwirtschaft. (SABELBERG, 1984, S.10- 41)

2.3 Die Trennung der Stadtentwicklung von Nord-, Mittel- und Süditalien

Das Römische Reich war gemeinsamer Ausgangspunkt und bis hierhin war die Geschichte der Städte Nord-, Mittel- und Süditaliens noch ziemlich ähnlich. Durch die Einwanderung der Germanen kam es zwar zu Unterschieden zwischen Küsten- und Binnenstädten, aber es kam überall zum Verlust wirtschaftlicher Bedeutung und zum Bevölkerungsrückgang. Ebenfalls wurde die Fläche geringer und die innere Struktur wurde verändert. In den darauffolgenden Phasen entwickelten sich die Städte Nord- und Mittelitaliens anders als jene Süditaliens. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

20 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

In Nord- und Mittelitalien lösten sich die Städte von der Feudalordnung und hatten ihre politische, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit als freie Comunen. Anders als in Süditalien, wo die antiken Stadttraditionen anfangs erhalten blieben und später bis ins 19. Jahrhundert unter den Sarazenen, Normannen und Staufern in eine Art feudale Ordnung eingebunden wurden. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

2.3.1 Die Stadtentwicklung in Nord- und Mittelitalien

Durch die Befreiung der Städte Nord- und Mittelitaliens aus dem Feudalsystem entwickelten sich Stadtstaaten, indem sich die Städte auf das Umland, den Contado, ausweiteten. Diese Entwicklung fand vom 11. bis zum 13. Jahrhundert statt. Die Stadtstaaten bekämpften sich früh, sodass Flächenstaaten entstanden, die von zentralen Stadtstaaten geleitet wurden. Begleitet von politischen, verfassungsrechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen lösten sich die Städte aus dem Feudalsystem, wodurch freie Comunen entstanden. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Es wurde beschlossen, dass jedes römische Municipium einen Bischofssitz erhalten soll. Die Bischöfe waren wichtig für die kommunale Eigenständigkeit der Städte, denn sie waren konstant in der Verwaltung und stellten sich dem Feudalherrn entgegen. Vom Land aus übten die Adeligen ihre Macht aus und unterwarfen die Städte. Durch ihre Stellung als Bischofssitz behielten sie jedoch ihre religiöse, politische, militärische und wirtschaftliche Selbstständigkeit. Der Bischof als Lehnsträger wurde jedoch nach und nach von den Comunen ersetzt. (LAMPUGNANI, 2017, S.23-47)

Eine weitere politische Veränderung war die Schaffung eines Contados. Es kam zum Ausgreifen auf das agrare Umland gegen den Landadel. Diese Veränderung fand durch die Emanzipation der Städte aus dem Feudalsystem statt. Die Städte nahmen nach etlichen Auseinandersetzungen das agrare Umland in Besitz. Die Städte kamen in den Besitz der Contados meist durch die Unterwerfung des Landadels, der seine feudalen Sonderrechte aufgeben musste. Häufig zog der Landadel freiwillig in die Städte, da diese wirtschaftliche, kulturelle und politische Zentren waren oder der Landadel wurde wirtschaftlich unter Druck gesetzt. Es ging dabei nicht um die Befreiung der ländlichen Bevölkerung aus der Feudalherrschaft, sondern um die Vergrößerung des eigenen Machtbereichs. Folglich 21 2. Historische Stadtentwicklung in Italien entstanden viele rechtliche Übergangsformen, die weder der feudalen noch der nicht- feudalen Rechtsordnung zugerechnet werden konnten. Es ging aber immer um eine Entfeudalisierung der Rechtsbeziehung. Der Übergang zur Selbstverwaltung der Bürger von der Regierung des feudalen Stadtherrn zeigte sich in der inneren Verfassung. Meist gab es einen kleinen und großen Rat, denen die Gesetzgebung oblag, und es gab eine unabhängige Podestà, die die Exekutive darstellte. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Zur endgültigen Entstehung von Comunen war die wirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung. Schon im 9. Jahrhundert war der Handel weit ausgebreitet und landwirtschaftliche Produkte, wie Getreide, Wein und Öl, standen im Vordergrund, aber auch Waren wie Salz oder Safran und der Sklavenhandel waren ein gutes Geschäft. Es entstanden neue Handelsmöglichkeiten mit den Luxuswaren des Orients. Schnell erkannten die Städte das Geschäft mit der Produktion der Güter. Das Kapital wurde bald auch für Bankgeschäfte eingesetzt, womit die Gewinnmöglichkeiten stark stiegen. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Ab dem 11. Jahrhundert kam es auch zu sozialen Veränderungen, die in Verbindung mit politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen standen. Die Oberschicht bestand aus dem, vom Land in die Städte gezogenen, Adel und den Händlern, die immer reicher wurden. Diese neue Schicht wurde als signorile Schicht bezeichnet, da sie nicht mehr in die feudalrechtlichen Kategorien Adel und Bürger unterteilt werden konnten. Durch die blühende Wirtschaft gab es auch eine große Handwerkerschicht. Am Ende des 14. Jahrhundert entstanden somit freie Stadtstaaten in Nord- und Mittelitalien. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Die freien Comunen veränderten sich, vor allem in Bezug auf bauliche Strukturen, im Laufe der Zeit wesentlich. Das starke Gemeinschaftsbewusstsein der Bevölkerung spiegelte sich auch baulich in ihrer Selbstdarstellung der Stadt wieder. Im 13. Jahrhundert wurden bereits Repräsentationsbauten für die Selbstverwaltung errichtet sowie Amtsgebäude für die regierenden Familien: der Palazzo Popolo, der Palazzo Comunale oder der Palazzo Pubblico. Getrennt von den Bauten der Legislative wurden die Bauten der Exekutive, der Palazzo della Podestà, gebaut. Für das Amt der Exekutive wurde durch Misstrauen immer ein Fremder gewählt, der bereits nach einem Jahr wieder ausgetauscht wurde. Die Selbstverwaltung der Städte benötigte größere Bauten, da immer größere Verwaltungsapparate entstanden,

22 2. Historische Stadtentwicklung in Italien weshalb zum Beispiel in Florenz die Uffizien errichtet wurden. Des Weiteren wurden viele der Gemeinschaft dienenden Gebäude errichtet, die Stadtmauern entstanden auch zur Verschönerung der Städte, Straßen wurden verbreitert und der Dom wurde für das Stadtbild verschönert. Die Stadtplanung setzte im 13. Jahrhundert ein und diente ebenfalls der Schönheit der Städte. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Ab dem 11. Jahrhundert stiegen die Bevölkerungszahlen an und erreichten zu Beginn des 14. Jahrhunderts einen Höchststand. Danach kam es zu einem Abfall der Bevölkerungszahlen und anschließend stagnierte die Bevölkerung und wuchs nur langsam bis zum 19. Jahrhundert. In Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung stand immer die Wirtschaft. Die starke Bevölkerungsabnahme im 14. Jahrhundert hing mit den Pestepidemien und Hungersnöten zusammen. Durch die wachsende Bevölkerung entstanden Vorstädte, sogenannte Borghi. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Die Veränderung der inneren Struktur der Städte hatte auch mit den Veränderungen in der städtischen Wirtschaft zu tun. Die Oberschicht bestand aus Händlern und Unternehmern, aber auch Eigentümer des Agrarlandes im Contado gehörten dazu. Der Handel mit erworbenem Kapital blühte auf und somit entstanden auch viele Bankhäuser. Dies hielt aber nicht lange an, denn diese Entwicklungen fielen mit den Pestepidemien zusammen, was zu einer wirtschaftlichen Depression führte. Durch die wirtschaftlichen Veränderungen kam es aber nicht zu großflächigen Veränderungen oder Erweiterungen der Städte. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Im 15. Jahrhundert stagnierte die Wirtschaft aufgrund der geringen Ausdehnungsmöglichkeiten des Handels und der Warenproduktion. Die städtischen Landeigentümer haben in dieser Zeit damit begonnen, sich der Agrarwirtschaft und deren Verbesserung zuzuwenden und es kam zum Ausbau des Villensystems. Bedeutend für die städtische Wirtschaft waren auch die Handwerker, die sich immer mehr spezialisierten. Da die Handwerker oft zu Lohnarbeitern wurden, gab es in dieser Zeit starke soziale Konflikte. Auch baulich spiegelten sich die Ereignisse wieder, denn es gab Gebäudeformen, die für spezielle Verarbeitungszweige eingerichtet wurden. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

23 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Die Stadtstaaten waren Teil der Identität Italiens sowie dessen soziales und kulturelles Erbe, jedoch kam es durch die Vielzahl an Stadtstaaten und durch Misstrauen früh zu Kämpfen untereinander (GILMOUR, 2013, S.75-103). Durch die Kämpfe entstanden Großcomunen, da wirtschaftlich starke freie Comunen kleinere unterwarfen. Auch zwischen den Großcomunen wurde weiter gekämpft, was zu einer Dominanz von Florenz in der Toskana führte. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Durch die Eroberung der Städte durch Stadtstaaten entstand ein Städtesystem. Freie Comunen, die andere unterwarfen, profitierten von einem starken Wirtschaftswachstum, weil sie den Handel auf die Stadt konzentrierten. Nicht nur die Wirtschaftskraft wuchs, sondern die erobernden Städte veränderten auch ihre innere Struktur, da zum Beispiel die Oberschicht der eroberten Städte aufgrund der wirtschaftlichen Situation in die erobernden Städte zog. Dies galt jedoch nur für größere Städte, denn in kleineren blieb der Großteil wie zuvor. Somit entstanden zwei Schichten von Städten, die Unterschiede in der Größe, Wirtschaftsstruktur und Bauform aufwiesen. Damalige Großcomunen wurden größtenteils zu Provinzhauptstädten, die ihre Sonderstellungen behielten. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Durch den Kampf der freien Comunen entstand auch die Schicht der kleinsten Städte. Die Stadtstaaten gründeten daraufhin kleine befestigte Städte in ihrem Contado, die Terre Murate, die vor allem militärische, aber auch wirtschaftliche Funktionen hatten. Die Bevölkerung umliegender Gebiete wurde zusammengefasst und in Viertel nach Herkunftsorten aufgeteilt, wodurch die Terre Murate entstanden. Sie wiesen Merkmale der Planstädte auf: ein regelmäßiger Rechtecksgrundriss, Aufteilung der Baublöcke in gleich große Parzellen und der Marktplatz sowie die Hauptkirche im Zentrum. Terre Murate mit besonders günstiger Lage an den Fernhandelsstraßen oder mit besonderer Wichtigkeit als Verteidigungsstadt konnten selbstständige Handelsstädte werden. Es gab aber auch jene, dessen Funktionen so gering waren, dass sie zu bäuerlichen Siedlungen absanken. Durch diese Entwicklungen entstand ein Städtesystem. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Die freien Comunen entwickelten sich in ihrer territorialen Ausdehnung von Großcomunen zu Flächenstaaten. Die Entwicklung von der Selbstverwaltung führte verfassungspolitisch durch eine Oligarchie zur Signorie und die Wirtschaft verlagerte sich vom Fernhandel und den

24 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Bankgeschäften auf die Handwerksproduktion und die Landwirtschaft. Die Kriege zwischen den Großcomunen fanden ihr Ende durch die Unterwerfung Sienas durch Florenz. Durch die Unterwerfung der fast ganzen Toskana wurden die Medici zu Großherzögen. Florenz, zum Territorialstaat geworden, bewahrte wesentliche Elemente der Stadtstaaten. Die eroberten Städte behielten zwar ihre Selbstverwaltung, wurden von Florenz jedoch als ihr Contado angesehen. Durch das Verbot gewisser Gewerbe in den eroberten Städten zogen viele Menschen nach Florenz, was für die dortige Wirtschaft von Vorteil war. In oberitalienischen Stadtstaaten zeigten sich ähnliche Entwicklungen: auch hier wurde die Struktur des Stadtstaates nicht aufgegeben. Da es zu Städten mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen kam, entstand eine Städtehierarchie. Verfassungspolitisch entwickelten sich die norditalienischen Städte bereits im 14. Jahrhundert zu Signorien. Die oligarchische Selbstverwaltung wurde von einer Familie verdrängt, die die Macht dazu hatte. In der Toskana geschah dies erst im 15. und 16. Jahrhundert und Änderungen in der Verfassung gab es erst nach dem Entstehen des Großherzogtums Florenz. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Folgen der Umwandlung zur Signorie konnte man in der Baustruktur und Funktionsgliederung erkennen. Auf den Wohnsitz der Herrscherfamilie wurde die Grundstruktur der Städte ausgerichtet. Die freien Comunen haben Strukturformen von Residenzstädten angenommen. Weiterhin bestanden aber die Wirtschaftsstruktur und die Sozialschichtung sowie die Gebäudesubstanz der freien Comunen. Die Stadtstruktur der freien Comunen blieb durch die Bildung der Signorie erhalten, jedoch änderten sich die innerstädtischen Strukturen. Auch wirtschaftlich kam es zu Veränderungen in den freien Comunen. Kapitalgeschäfte der Oberschicht wurden häufiger, der Handel ging zurück und die gewerbliche Produktion stagnierte. Die Oberschicht zog sich aus den Geldgeschäften zurück und investierte in die Landwirtschaft. Diese Bedeutungsverschiebung in der Wirtschaft wirkte sich jedoch nicht stark auf die Struktur der Städte aus. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

2.3.2 Die Stadtentwicklung in Süditalien

Die Stadtgeschichte Süditaliens verlief anders als jene Nord- und Mittelitaliens. Der Süden Italiens war lange Zeit unter fremder Herrschaft, wodurch das Zentrum des Mittelmeers von verschiedenartigen Kulturen geprägt wurde. Es gab also viele Völker, die eine bedeutende Rolle in der Stadtentwicklung Süditaliens spielten. (FAHMÜLLER, 1988, S.7-10). 25 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Die vielen Eroberer sind auch noch im Stadtbild der süditalienischen Städte zu erkennen. In den Städten lebte die einheimische Bevölkerung und aufgrund der vielen unterschiedlichen Herrscher mit der Zeit auch Juden, Araber, Spanier und Afrikaner. Diese brachten viele Neuerungen in wissenschaftlicher und kultureller Hinsicht mit, auch was das Handwerk betrifft. Die Tatsache, dass Süditalien bis zum Ende des Mittelalters Vorbild für andere europäische Städte war, ist hingegen nicht mehr zu sehen. (HAUSMANN, 2009, S.75-103)

Ende des 6. Jahrhunderts eroberte Byzanz Italien zurück, wodurch der Süden großteils unter byzantinischer Verwaltung stand. Trotz der Gründung dreier Herzogtümer der Langobarden blieb ihr Einfluss in Süditalien von geringer Bedeutung. Im 9. Jahrhundert wurde Sizilien von den Sarazenen erobert. Trotz dieser unterschiedlichen Herrschaften verlief die Stadtgeschichte in ganz Süditalien ähnlich. Bischöfe übernahmen die Verwaltung und die Grundstrukturen der römischen Municipien blieben erhalten. Es kam aber in Folge von Kriegen, Eroberungen und Zerstörungen zum Rückgang der Bevölkerung und des städtischen Handels. Es kam zur Gründung von neuen Orten in Schutzlage und zur Wiederbesiedelung von Höhlenwohngebieten, da alte Siedlungsplätze verlassen wurden. Die innere Selbstverwaltung von antiker Stadtherkunft blieb erhalten. Es entwickelten sich wirtschaftlich reduzierte Municipien, mit Ausnahme von einigen Küstenstädten, dessen Oberschicht meist nur mehr aus Grundeigentümern bestand. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Sizilien hatte eine Sonderentwicklung in Italien. Die Region wurde durch die Sarazenen erobert und die Wirtschaft entwickelte sich prächtig. Vor allem durch den Handel und das Handwerk entstand ein Reichtum, das Einfluss auf die Bevölkerungszahlen und auch auf die Bauten der Städte hatte. Nur wenige Bauwerke dieser Zeit blieben erhalten, da es zu radikalen Veränderungen kam. Die Struktur der Städte und die rechtliche Verbindung von Stadt und Land bleiben unklar. Durch arabische Reisebeschreibungen der Stadt Palermo kann die innere Struktur der Städte erahnt werden. Die Burg, La Halisah, stand im Zentrum, wo sich die militärische Führung befand und die Oberschicht wohnte. Die Stadt nahm eine wichtige Funktion für den Warenaustausch zwischen den islamischen Ländern ein. Sie war baulich in fünf ethnische und religiöse Stadtbereiche unterteilt und zur Versorgung gab es Basare, die sich in ähnlicher Lage befanden wie die heutigen Märkte. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

26 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Die antike Stadtentwicklung fand ihr Ende durch die Eroberung Süditaliens durch die Normannen, die eine dem Feudalsystem ähnliche Verwaltung einrichteten. Normannische Ritter bekamen Landkomplexe, die sie selbstständig verwalteten, wodurch sie Barone genannt wurden, womit aber keine Stellung in einer Lehnshierarchie beschrieben werden sollte. Ihre Macht war durch die Finanzverwaltung, die Kriminal- und Feudalgerichtsbarkeit, die weiter im Aufgabenbereich der Zentralmacht lag, eingeschränkt. Für die normannische Herrschaft charakterisierend war auch die Toleranz gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen mit anderer Religionszugehörigkeit. Der wirtschaftliche Aufschwung setzte sich fort, da die Küstenstädte die Handelswege weiterhin beherrschten. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Die Staufer hatten beträchtlichen Einfluss auf die Verwaltung Süditaliens und deren Entwicklung. Friedrich II. versuchte durch die „Konstitution von Melfi“ 1231 die alte Feudalverwaltung und die stadtstaatliche Selbstständigkeit durch einen absolutistischen, zentralregierten Beamtenstaat zu ersetzen. Gegen die Macht der Barone war dies aber nicht umzusetzen. Durch das Vorhaben der Einsetzung von selbstgewählten Staatsoberhäuptern wurden einige Städte in Sizilien von Friedrich II. zerstört. Auch die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Städte wurde unterbunden, wodurch die Agrarwirtschaft florierte, aber die städtische Wirtschaft zerstört wurde. Die Städte wurden von unabhängigen Beamten kontrolliert. Durch den Untergang der staufischen Herrschaft brachen auch all diese Reformen zusammen. Daraufhin übernahmen die Barone, deren Macht weiterhin Bestand hatte, die Verwaltung der Städte. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Nach der Beendigung der Herrschaft der Staufer prägten die Anjou, die Aragonesen und die Bourbonen die Geschichte Süditaliens. Das Interesse der Fremdherrscher lag bei der wirtschaftlichen Ausbeutung des Landes. Da sie deshalb nur eine schwache Zentralregierung ausübten, wurde die Macht der Barone weiterhin nicht gebrochen. In Süditalien kam es zum wirtschaftlichen Verfall der Städte, wodurch die Latifundienwirtschaft entstand. In den Küstenstädten bot sich da kein anderes Bild, denn der Handel und das Handwerk gingen unter und die wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten übernahmen Bankhäuser Nord- und Mittelitaliens, die den Süden ausbeuteten. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Bevölkerungszahlen stagnierten. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

27 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

In dieser Zeit erhielten die süditalienischen Städte ihre Struktur. Die Bevölkerung bestand aus der Oberschicht, baronalen Latifundienbesitzern, und aus Bauern. Vom Kastell aus, das später durch Palazzi der Barone ersetzt wurde, wurde die Stadt beherrscht. In dessen Nähe befand sich auch die wichtigste Kirche der Stadt. Die Stadt bestand des Weiteren großteils aus kleinen Gebäuden. Die eigene Produktion von Luxusgütern, wie Woll- und Seidenstoffe, scheiterte und der einzig bedeutende Fernhandel war jener mit dem Getreide. (SABELBERG, 1984, S.10- 41)

Von dem Erdbeben 1693 waren vor allem die Städte in Kalabrien und Sizilien betroffen: 70 Dörfer und Städte waren zum Teil zerstört und 45 weitere waren komplett zerstört. Danach ging es vor allem um die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und die Wiedererrichtung der Städte, die durch das Erdbeben zerstört wurden. Es wurden regelmäßige Planungsgrundrisse angelegt, da es zu dieser Zeit die Vorstellung einer perfekten Stadtgeometrie gab. Die meisten wiederaufgebauten Städte hatten eine streng geometrische Anlage, vor allem die kleineren Städte. (LAMPUGNANI, 2017, S.139-167)

Durch die wirtschaftliche Wandlung und die Verfassung des spanischen Vizekönigreichs im 16. Jahrhundert gab es Änderungen der Struktur und der Anzahl der Städte in Süditalien. Die Getreidepreise stiegen Mitte des 15. Jahrhunderts in ganz Italien, da damit die Gewinnspanne zwischen Süditalien sowie Nord- und Mittelitalien sank, wurde es für die nord- und mittelitalienischen Kaufleute unattraktiv. Übernommen wurde diese Funktion von den Baronen, die als Produzenten von der Preissteigerung profitierten, wodurch der Getreideanbau intensiviert wurde. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Die Organisationsform der Masserien mit den Großpächtern, Gabelotti, bestimmte das Latifundiensystem, das sich ausdehnte. Durch den Ausbau der Latifundien wurden auch Gebiete, die entvölkert waren, wieder besiedelt. Verfassungsrechtliche Grundsätze des spanischen Vizekönigreichs wurden wirksam. Viele Privilegien der Barone waren an die Gründung von Städten gebunden und mindestens 80 Familien mussten auf dem Landbesitz des Barons leben, damit dieser einen Sitz im Ständeparlament bekam, welches über dessen Privilegien entschied. Die Barone konnten sich die Licentia Populandi, das Recht Siedlungen zu gründen, von den Vizekönigen kaufen. Dadurch und durch die Wirtschaftsentwicklung kam

28 2. Historische Stadtentwicklung in Italien es zu einer großen Städtegründungswelle. Diese Gründungsstädte wiesen viele Merkmale einer Plananlage auf: es gab meist einen Schachbrettgrundriss, wodurch sich die Städte an die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklungen anpassen konnten, die Struktur der Baronalstädte blieb weitgehend erhalten, die Piazza befand sich in der Mitte, wo sich auch die Hauptkirche und die Palazzi der Barone befanden und die anderen Gebäude waren meist einstöckig und um einen Innenhof gebaut. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Auch die innerstädtischen Strukturen veränderten sich wegen der Wirtschaftsentwicklung und der verfassungsrechtlichen Bedingungen. Die Barone verlegten ihren Wohnsitz in die wichtigen großen Städte, wie Palermo, Neapel, Messina und Catania. In den Gebieten abseits befanden sich die Barone, die in Opposition zum spanischen Vizekönigtum standen, wodurch der Absentismus entstand. Die Bevölkerung ging in die von den Baronen bevorzugten Städte, die zu Residenzstädten wurden. In diesen Städten wurden auch viele neue Palazzi und kulturelle Einrichtungen wie Theater errichtet, wohingegen die Palazzi, in den von den Baronen verlassenen Städten, meist verfielen. In den kleinen Städten kam es also zum Funktionsverlust, wohingegen es in den größeren Städten zu einer Steigerung der Funktionsbedeutung kam. Bis ins 19. Jahrhundert blieben die innere Struktur und das Anordnungsmuster in ihrer Grundstruktur bestehen. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

2.4 Die Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert in Italien

Die Industrialisierung wirkte sich in Italien nach dem Jahr 1861, der politischen Vereinigung, vor allem im Norden aus. Das Staatsgebiet bestand aus einer Vielzahl an selbständigen Herrschaftsbereichen. Man erkannte keine große Hauptstadt und auch das schnelle Wachstum der Städte blieb aus. (ALBERS, 1997, S.67-69) Durch die Industrialisierung kam es zur Umformung der Städte. Dieser Schritt geschah in Italien recht spät, da die Industrialisierung hier auch später einsetzte. In Italien kam es vor allem zu Umformungen in drei Bereichen (SABELBERG, 1984, S.10-41):

1. Die Bevölkerungszahlen stiegen im ganzen Land, was sich nur regional und lokal in der Flächenausdehnung der Stadt auswirkte. 2. Durch die Funktionsänderung der Städte kamen neue Berufe zustande. 3. In den Städten veränderte sich die bauliche Struktur. 29 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Durch das Bevölkerungswachstum kam es zu einer Wanderung vom Land in die Städte. Dieses Wachstum verstärkte sich mit der Einigung Italiens und der Industrialisierung. Davon am meisten betroffen waren die Provinzhauptorte, die sich dadurch auch extrem vergrößerten. Auswirkung davon war die Errichtung von Häusern in bestehenden Freiräumen. Die Bewohnerdichte schien dabei in Süditalien höher gewesen zu sein, als in Nord- und Mittelitalien. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

Zwischen 1830 und 1870 setzte eine Ausdehnung der Siedlungsfläche ein, die auf geplantem Grundriss stattfand und zur Verringerung der Bevölkerungsdichte führte. Poggis Pläne zur Ausdehnung von Florenz 1865 orientierten sich an der Planung Haussmanns in Paris, wie es auch in anderen italienischen Städten der Fall war. Besonders wichtig war in dieser Planung das Straßennetz, denn die Gestaltung der Ringstraße stand im Vordergrund. An der Ringstraße entstanden für die Oberschicht repräsentative Wohnbauten. Die Stadterweiterung gab es in vielen Städten, jedoch meist nicht in dem Ausmaß in dem es in Florenz der Fall war. Der Schachbrettgrundriss des 18. Jahrhunderts wurde in süditalienischen Städten meist auch im Ausbau des 19. Jahrhunderts fortgeführt. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Innenstädte durch große Sanierungsprojekte umgebaut. Auch diese Projekte hingen in gewissem Maße mit der Bevölkerung zusammen, da die Bevölkerungsdichte dadurch gesenkt werden sollte. Durch die Umstrukturierung hoffte man auch, eine Konzentration von Funktionen in der Stadt zu erreichen. Große Veränderungen gab es durch die Sanierungen in Florenz im Bereich des Mercato Vecchio: Gebäude wurden flächenhaft abgerissen und ein an den römischen Grundriss angelehntes Straßennetz errichtet. In Städten wie zum Beispiel Neapel, Palermo, und Rom wurden Straßendurchbrüche vorgenommen und in Mailand wurde die Bausubstanz großer Flächen ersetzt. Die Zentrumssanierungen, die von öffentlicher Hand saniert wurden, fanden bis in die faschistische Zeit statt. Meist ging es nicht um die Sanierung an sich, sondern darum ein prachtvolles Zentrum zu gestalten, wodurch auch die ärmere Bevölkerung in andere Wohngebiete verdrängt wurde. (SABELBERG, 1984, S.10-41)

30 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

In Nord- und Mittelitalien fand man weitaus bessere Bedingungen für die Industrialisierung als im Süden Italiens, was auch durch die größeren Umgestaltungen in Nord- und Mittelitalien zu erkennen ist. Auch die Wirtschaft florierte in den Städten Oberitaliens, wohingegen die Strukturen im Süden gleich blieben, die auf Landwirtschaft beruhten. (SABELBERG, 1984, S.10- 41)

2.5 Die Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert in Italien

Die einschneidenden Umgestaltungen der Städte des 19. Jahrhunderts setzten sich im 20. Jahrhundert fort Es kam zum Abbruch von Stadtvierteln, Denkmälern und Bauwerken, vor allem des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks. (FAZIO, 1980, S.156-163)

In Rom wurden Bauleitpläne erstellt, die es vorsahen, spekulative Neubebauungen weiterzuführen. Weitere Pläne wie der Sanjust-Plan, der unter anderem die Anlage von vier neuen Stadtachsen vorsah, wurden schlussendlich nicht realisiert. Nach dem Ersten Weltkrieg, zu Beginn der faschistischen Ära, wurden Richtlinien für Rom aufgestellt. Die arme Bevölkerung, vor allem aus den Barackenquartieren, wurde in Randgebiete umgesiedelt. Der neue Bauleitplan 1926 sah Restrukturierungsarbeiten vor, zum Beispiel die Neuanlage der Via della Croce, was unter dem Vorwand geschah, alte Stadtviertel zu schützen. Unter seinem faschistischen Statthalter bekam Rom eine neue autonome Verwaltungsstruktur und einen neuen Bauleitplan. Dieser hatte unter anderem folgende Vorhaben zum Ziel: bestehende Gebäude zwischen dem Augusteum und dem Pantheon abzureißen, Urbanstrukturen zu erneuern und zwischen Sant’Andrea della Valle und Ponte Sisto neue Gebäude zu bauen. (FAZIO, 1980, S.156-163)

Die Bevölkerung Roms wuchs weiter und übertraf 1931 die eine Million Marke. Es kam zur immer größeren Belastung des historischen Zentrums mit dem Verkehr des gesamten Stadtgebiets, was schließlich zum Zusammenbruch des Stadtverkehrssystems führte und infolgedessen die Fußgängerzone geschaffen wurde. Am Stadtrand wurden die Elendsviertel immer größer, eines dieser Viertel, San Basilio, bestand aus dutzenden Baracken und nur zwei gemauerten Gebäuden für die sanitären Anlagen. Es gab immer mehr Pendler und auch das Vorstadtproletariat wuchs. Auch in den ehemaligen Nobelvierteln, wie zum Beispiel in Parioli, nahm die Bevölkerung zu, was wiederrum einen erschwerenden Grund für die 31 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Verkehrssituation darstellte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Bauexpansion auch in den Gebieten jenseits des Monte Mario und des Gianicolo. Wieder wurden Projekte geplant, die den Abbruch und die Neubebauung ganzer Straßenzüge vorsahen, die jedoch nicht umgesetzt wurden. Ein weiterer Anlass für Bauspekulationen lieferte die Olympiade in Rom. Erst 1962 kam es zu einem neuen Bauleitplan, der durch Auflagen gegen die Einflüsse der Spekulation abschirmte, vorerst aber keine konkreten Projekte zur Sanierung machte. (FAZIO, 1980, S.156-163)

Der Aufstieg der Industrien begann in Mailand im 20. Jahrhundert. Vor allem in Sesto San Giovanni eröffneten viele neue Fabriken und auch die Einwohnerzahl Mailands nahm zu. Deshalb wurden auch zahlreiche Volkswohnbauviertel errichtet. Weiters kam es auch zur Zuwanderung aus dem Süden und es lag nun daran, eine den Erfordernissen entsprechende Industriestadt zu planen. Die Altstadt Mailands wurde mit Bürogebäuden und teuren Wohnhäusern für die Oberschicht bebaut und das Proletariat lebte am Stadtrand. Dadurch wurden nach dem Ersten Weltkrieg einige umliegende Dörfer und Städtchen eingemeindet. Der Alberti-Plan wurde auf Grundlage des Bebauungsplans von Architekt Portaluppi, der eine komplette Umgestaltung des historischen Zentrums vorsah, gefertigt. Der Alberti-Plan lieferte die technischen Voraussetzungen zur Schaffung einer zeitgemäßen City. (FAZIO, 1980, S.156- 163)

2.6 Vergleich der Stadtentwicklung in Nord- und Mittelitalien zu Süditalien

Bis zum 19. Jahrhundert kann man für die nord- und mittelitalienischen Städte folgende historische Stadtentwicklungsphasen erkennen. Bedeutend war für diese Städte die Verwaltung als Municipien in der Verbindung von Stadt und Umland. Die römisch-antike Stadtverwaltung der Bischöfe, der zum Feudalherrn wurde, bestand in den Bischofsstädten weiter. Die Kaufmannsschicht, die zur oligarchischen Selbstverwaltung wurde, verdrängte die feudale Verwaltung in der Entwicklung zur freien Comune. Durch den wiederentdeckten römisch-antiken Stadtstaatgedanken kam es zur Bildung von Stadtstaaten, dessen Wirtschaft auflebte. Den Charakter einer Residenzstadt erhielt die Stadt in der Entwicklung zur Signorie, als eine Familie alleine herrschte. Somit gelangt man zu folgender Gliederung (SABELBERG, 1984, S.10-41):

32 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

„1. Die Zeit der römisch-antiken Municipien. 2. Die Zeit der Bischofsstädte unter den Goten, Langobarden und Karolingern. 3. Die Zeit als freie Comunen. 4. Die Zeit der Signorie und residenz-ähnlichen Städte.“

Die Stadtgeschichte süditalienischer Städte sah hingegen anders aus. Die antiken Stadtstaaten der Griechen, Phoenizier und Karthager wurden von den Römern übernommen. Die Bischöfe übernahmen die antike Tradition der städtischen Wirtschaft und Verwaltung und die römischen Stadtstrukturen blieben trotz der schwankenden Wirtschaft bestehen. Besonders war die Entwicklung in Sizilien unter den Sarazenen, da es zu einer Wirtschaftsblüte durch den Fernhandel vor allem in Küstenstädten kam. Die wirtschaftliche Selbstständigkeit blieb unter den Normannen erhalten und wurde erst durch die Verwaltungsreform unter Friedrich II. aufgelöst. Durch den Einfluss der Barone, nach dem Niedergang der Staufer, löste sich die römisch-antike Stadttradition auf. Prägend in der darauffolgenden Zeit war der wirtschaftliche Niedergang. Die Barone befanden sich in der Zeit des Absentismus in den großen Städten, was teilweise zum Verfall kleinerer führte. In Süditalien kann man folgende Stadtentwicklungsphasen zusammenfassen (SABELBERG, 1984, S.10-41):

„1. Die Zeit der römisch-antiken Municipien. 2. Die Zeit der Bischofsstädte. 3. Die Zeit der arabischen und normannischen Städte. 4. Die Zeit der Baronalstädte. 5. Die Zeit des Absentismus mit Residenz- und Landarbeiterstädten.“

33 2. Historische Stadtentwicklung in Italien

Abbildung 3: Unterschiede der Stadtentwicklung in Nord- und Mittelitalien und Süditalien

ca. 600 nach Christus

ca. 1000 nach Christus

ca. 1800 nach Christus

Arbeitsgrundlage: SABELBERG, 1988. 34 3. Das Städtesystem in Italien

3. Das Städtesystem in Italien

Man kann die Struktur und Anordnung der Bauten nur aus der historischen Funktion in verschiedenen Stadtentwicklungsphasen erklären, da der Großteil der Gebäude in historischen Zentren aus der Zeit vor 1800 stammt. Um die Stadtstruktur zu verstehen, ist somit die Kenntnis der Stadtgeschichte notwendig. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Voraussetzung, um die regionalen Unterschiede der Städte durch genetische Stadttypen zu erklären, ist eine starke Beziehung zwischen Geschichte und Formelementen der Stadt. Zu erkennen ist dies an der Bausubstanz, da die historischen Zentren italienischer Städte zum Großteil aus mittelalterlichen Gebäuden zu bestehen scheinen. Öffentliche Bauten, Bauten der Ober- und auch Unterschicht sind weitgehend erhalten und weisen Stilmerkmale von der Romanik bis zum Barock auf. Die vor 1800 errichteten Gebäude in den historischen Zentren Italiens können teilweise genetisch bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden, womit die Bausubstanz zur Erforschung der Stadtentwicklungsphasen bedeutend wird. Um die bauliche Entwicklung der Städte zu interpretieren, werden die Parzellengliederung, der Straßengrundriss und die Gebäude, die sozial oder wirtschaftlich bedingt sind, herangezogen. (SABELBERG, 1984, S.5-10)

Einen weiteren Ansatz der Interpretation bietet das Denkmodell der Persistenz, das Strukturen bezeichnet, die trotz Funktionsänderung weiterbestehen. Gebäude werden in Italien häufiger der Nutzung angepasst sowie umgebaut und weniger durch Neubauten ersetzt. (SABELBERG, 1984, S.5-10)

Folgende Grundgedanken sind bedeutend für das folgende Kapitel (SABELBERG, 1984, S.5-10):

1. Durch die Unterschiede in der Stadtgeschichte kommt es zu Unterschieden zwischen den italienischen Stadttypen. 2. Die Verbindung zwischen Geschichte und Struktur besteht in einer Persistenz der Bausubstanz. 3. Eine ähnlich lange Persistenz der Gebäude in verschiedenen regionalen Stadttypen kann sich anders auf die Anordnung der Funktionen auswirken.

35 3. Das Städtesystem in Italien

3.1 Historische Stadttypen in Italien

Für die einzelnen Städte waren immer nur einzelne Phasen der Stadtgeschichte bedeutend, von denen die wichtigsten Impulse für die Entwicklung ausgingen. Durch die unterschiedlichen Stadtgeschichten kann man diese in historische Stadttypen zusammenfassen. Somit kann man vier Typen anhand ihrer Wirtschafts- und Sozialgeschichte unterteilen (SABELBERG, 1984, S.10-41):

1. Küstenstädte, in denen die römische Tradition erhalten blieb. Langen Bestand hatten auch die Händler und Handwerker der Stadt sowie die Bischofsverwaltung. Diese Städte erhielten durch den Fernhandel eine Wirtschaftsblüte. 2. Ehemalige freie Comunen, die vor allem im Binnenland in Nord- und Mittelitalien zu finden waren. Nach einer Zeit der Unterwerfung in das Feudalsystem konnten sie sich befreien und selbstständige Stadtstaaten bilden, was Städte der Römerzeit und aus dem Mittelalter betraf. Die Bevölkerung bestand aus der Oberschicht, dem entmachteten Feudaladel, Fernhändlern und Unternehmern, der Handwerker- und Arbeiterschicht. 3. Die Baronalstädte sind vor allem in Süditalien vertreten. Entstanden sind sie durch die späte Feudalisierung durch die Normannen und durch die Spanier. Durch den Landbesitz hatten die Barone Macht. Zur Oberschicht zählten wenige Landbesitzer und zur Unterschicht die agrare Bevölkerung. 4. Die Struktur der Residenzstädte war baulich und funktional auf den Wohnsitz des Landes- oder Stadtherrn orientiert. Dieser Typ ist regional nicht eindeutig zu begrenzen und wird von strukturellen Formen der Stadtstaaten und Baronalstädte geprägt. In den Bereichen Norditaliens, in denen das Feudalsystem nicht von der freien Comune abgelöst wurde, waren Residenzstädte der einzige Stadttyp. Bei der Entwicklung zur Signorie nahmen die freien Comunen Merkmale der Residenzstädte an.

36 3. Das Städtesystem in Italien

Abbildung 4: Die wichtigsten Centri Storici Italiens

0 50 100 km

Arbeitsgrundlage: FAZIO, 1980, S.13.

Die Abbildung zeigt eine Konzentration historisch bedeutender Städte in folgenden Gebieten: „in den Tälern der Alpenpässe, im piemontischen Hügelland, am nördlichen und südlichen Rand der Po-Ebene, an der ligurischen Küste, um Florenz und Siena, im nördlichen Latium, in

37 3. Das Städtesystem in Italien der Region Marken, in Kampanien nahe des Apennins und entlang der Küste Apuliens.“ (FAZIO, 1980, S.11-28)

Um 1980 gab es 826 Centri Storici, die größte Bedeutung hatten. Diese wurden regional der Größe nach folgendermaßen aufgegliedert: 149 in Sizilien, 84 in der Lombardei, 73 im Piemont, 72 in Venetien, 56 in Apulien, 54 in Ligurien, 51 in der Emilia-Romagna, 46 in der Toskana, 37 in Kampanien, 35 in Friaul-Julisch Venetien, 29 in Kalabrien, 25 in Umbrien, 23 in Latium, 22 in Trentino-Südtirol, 19 in Basilikata, 18 in Sardinien, 14 in Abruzzen-Molise, 11 in Marken und 8 im Aostatal. (FAZIO, 1980, S.11-28)

3.2 Die toskanischen Städte

Als Beispiel für die Gebäudetypen, Ordnungsprinzipien und Stadtentwicklungsphasen in den Centri Storici der toskanischen Städte dienen Siena und Florenz. Abhängig von der jeweiligen Stadtgeschichte findet man eine Dominanz verschiedener Gebäudetypen. Durch die wirtschaftlichen Einflüsse verschiedener Phasen der Stadtentwicklung überlagern sich hier verschiedene Ordnungsmuster. Das Centro Storico kann man in toskanischen Städten klar abgrenzen: der letzte mittelalterliche Mauerring bildet die äußere Grenze, der nach der Industrialisierung und auch währenddessen überschritten wurde. Innerhalb der Mauern befinden sich Gebäude, die meist vor 1800 errichtet wurden. Bis zum Zweiten Weltkrieg entstanden Neubauten, die später selten abgerissen und ersetzt wurden, im Centro Storico auf Freiflächen oder Flächen für Sanierungsprojekte. Sanierungsgebiete in Florenz gab es rund um den Mercato Vecchio oder im Viertel Santa Croce und in Siena im Salicotto-Viertel. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die aus dem Militärlager hervorgegangene rechteckige Anlage der römischen Mauer ist ideal für eine römische Stadt. Das Straßennetz weist einen rechtwinkligen Verlauf auf, bei dem es nur im Süden zu einer Veränderung gekommen ist. Der Grundriss wurde im Westen durch Sanierungen im 19. Jahrhundert hervorgehoben. Die Straßen laufen strahlenförmig auseinander, wodurch die ehemaligen Tore der Römerstadt sichtbar werden. In der byzantinischen Zeit wurde die Siedlungsfläche verkleinert und erst unter den Langobarden erweiterte sie sich wieder, doch trotzdem lag der Dombereich außerhalb der Mauer. Dieser Bereich wurde erst durch die Mathildische Mauer wieder in die Stadt eingeschlossen. Vom 12. 38 3. Das Städtesystem in Italien bis 14. Jahrhundert erweiterte sich die Stadt durch das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum der freien Comunen schnell. Durch den Zuzug der Handwerkerbevölkerung kam es zur letzten Erweiterung, da eine Stagnation des Stadtwachstums nicht mehr notwendig war. Die Bebauung überschritt erst nach 1870 die äußere Stadtmauer. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die Ausdehnung der Siedlungsfläche von Florenz verlief jedoch nicht immer im Zusammenhang mit der Ausdehnung der Stadtmauern. Die Fläche der Stadtmauern von 1173 war fast gleich groß wie die bebauten Stadtbezirke im 2. Jahrhundert nach Christus. Das Amphitheater, die Thermen und das Theater lagen außerhalb der ummauerten römischen Stadt. Das strahlenförmige Straßennetz, welches auf die Tore der Colonie hinzuverlief, orientierte sich an alten Wegen. Der Bereich außerhalb der Mauer bestand recht lange, obwohl sich das funktionale Zentrum im ummauerten Gebiet befand. Auch in langobardischen Städten wurden über die Mauer hinaus Gebiete bebaut. Der geistliche und politische Bereich befand sich außerhalb der befestigten Städte, wodurch man zu dem Schluss kommen kann, dass es auch hier Siedlungsgebiete gab. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.2.1 Die Gebäudetypen im Centro Storico

Es werden Gebäudetypen, die vor der Industrialisierung entstanden sind, im Centro Storico in den toskanischen Städten unterschieden. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.2.1.1 Die öffentlichen Repräsentationsbauten

In der Blütezeit der freien Comunen entstanden zwei Arten von öffentlichen Repräsentationsbauten in den Städten der Toskana: zum einen die Kirchen und zum anderen die öffentlichen Palazzi als Bauten der städtischen Selbstverwaltung. Die Domkirche galt schon früh als Mittel der Selbstdarstellung der Städte und hatte damals kommunale Funktionen als Versammlungsort des Bürgerrates. Es wurde hierbei sehr viel Wert auf die äußere Erscheinung des Doms und auch anderer Kirchen geachtet. Ein Beispiel dafür ist die Kuppel des Domes in Florenz. Es kam zu Rivalitäten zwischen den reichen Familien und auch den Artes, die die Kirchen unterstützten. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

39 3. Das Städtesystem in Italien

Abbildung 5: Der Palazzo Vecchio in Florenz

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahme, 2017.

Die Palazzi der städtischen Selbstverwaltung sind in zwei Gebäudetypen zu erkennen: der Palazzo del Popolo, Sitz des großen Rates, und der Palazzo del Podestà, Sitz der Exekutive und Judikative. Funktional und als Machtdarstellung konnte man die Bauten sehen, da sie wie eine Festung mit einem Turm gebaut wurden. Durch Platzanlagen wurden die öffentlichen Repräsentationsbauten zusätzlich hervorgehoben. Im 14. Jahrhundert kam es bereits zu Stadtplanungsmaßnahmen, die nur zum Teil umgesetzt wurden, um den Dom mit dem Palazzo del Popolo zu verbinden. Dies geschah durch Sichtachsen sowie durch eine einheitliche Fassadengestaltung der Gebäude, die zwischen den Bauten lagen. In der politischen und wirtschaftlichen Blütephase der freien Comunen im 13. Jahrhundert erhielten diese Bauten ihre grundlegende Gestalt, da das Bürgertum die Macht hatte und diese auch zeigen wollte. Zur Zeit der Signorie wurden sie für kulturelle Zwecke aber auch für die Verwaltung vergrößert, wie es auch in Florenz bei den Uffizien der Fall war. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Weitere Bauten für öffentliche Belange und repräsentative Gestaltungen der Stadt waren die Stadtmauer, die Quellfassungen zur Trinkwasserversorgung und die Märkte. Die Stadtmauern wurden nicht nur zum Zweck der Sicherung der Stadt, sondern auch zu dessen optischer Aufwertung errichtet. Die Trinkwasserversorgung wurde meist mit Quellhäusern überbaut, die diese Einrichtungen bei Kriegen schützen sollten und aufgrund der wichtigen Funktion

40 3. Das Städtesystem in Italien wirkungsvoll gestaltet wurden. Märkte wurden in Markthallen oder Loggien eingerichtet, damit das Warenangebot unter Dach verkauft werden konnte, wie in Florenz der Mercato Centrale. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.2.1.2 Die Wehrtürme

Der älteste Gebäudetyp ist der Wehrturm, der meist ohne Fenster ist und nur vereinzelt in seiner ursprünglichen Bauhöhe vorhanden ist. Oft heben sich die Wehrtürme nur durch ihr besonderes Mauerwerk von anderen Gebäuden ab. Sie befinden sich großteils inmitten von Baublöcken und stehen recht selten gut sichtbar an Ecken zu Plätzen. (SABELBERG, 1984, S.41- 102)

Bereits im 11. Jahrhundert wurden die ersten Wehrtürme erwähnt, die in den folgenden Jahrhunderten wie Pilze aus der Erde schossen. Dies ist nun anders, da nur mehr eine geringe Anzahl von ihnen erhalten ist. In Florenz gab es Mitte des 13. Jahrhunderts rund 300 Wehrtürme, so viele wie es heute bei weitem nicht sind. Sie wurden als Befestigungsbauten in den innerstädtischen Kämpfen errichtet. Die signorile Schicht, städtische Händler und der in die Stadt gezogene Landadel konkurrierte in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, was häufig zu bewaffneten Auseinandersetzungen führte. Die Wehrtürme dienten ihnen als Stützpunkte, aber auch als letzte Zuflucht. Sie wurden eher als Schutzbauten als als Wohnhäuser verwendet. Die Gebäudegestalt kann durch diese Funktion erklärt werden: es gab keine Fenster, nur schmale Türen, jedes Stockwerk umfasste einen Raum, die durch Leitern erreicht werden konnten. Durch die Kämpfe der Familien wurden etliche Türme abgerissen und von den Gewinnern neu errichtet. Zum Funktionsverlust kam es im 13. Jahrhundert durch die Selbstverwaltung der Bürgerschaft, da sie nun die Aufgabe hatten, Macht darzustellen. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.2.1.3 Die privaten Palazzi

Im Centro Storico befinden sich viele private Palazzi, dessen Erdgeschoss Lager, Läden und Produktionsräume beherbergte. Typisch für diese Bauten waren auch die vergitterten Fenster im Erdgeschoss. Die Oberschicht wohnte im ersten Stockwerk, dem Piano Nobile. Darüber befand sich die Loggia, in der gefeiert wurde. (LAMPUGNANI, 2017, S.23-47)

41 3. Das Städtesystem in Italien

Die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Entstehungszeit prägten das Aussehen sowie die Größe und die Struktur der Palazzi. Erbaut wurden sie zwischen Ende der Romanik und dem Barock, wobei die meisten Bauten aus der Gotik und Renaissance stammen. Die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Schichten, die die Gebäude errichteten, blieben ähnlich, da auch die Gebäude ähnliche Strukturen aufweisen, obwohl sie in verschiedenen Epochen errichtet wurden. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Abbildung 6: Der Palazzo Pitti in Florenz

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahme, 2017.

Als Darstellung des Reichtums und der Macht der Familien wurden die Palazzi immer größer, wie auch in Florenz der Palazzo Strozzi, der Palazzo Medici und der Palazzo Pitti. Zu dieser Zeit entstand die Idealform der Palazzi, deren Aufbau von den Gedanken der Renaissance vom römischen Atriumhaus abgeleitet wurde. Im 16. und 17. Jahrhundert veränderte sich die Gebäudestruktur der Palazzi unter dem Einfluss der Signorie, wodurch die Oberschicht zu einer Art Hofhaltung überging. Ebenfalls zu Veränderungen kam es in der Wirtschaft. Da der Fernhandel und die frühindustrielle Produktion stagnierten, wurde die Agrarwirtschaft zur neuen Existenzgrundlage. Die Palazzi wurden vergrößert und die Untergeschosse verloren ihren Befestigungscharakter. Durch wirtschaftliche Schwierigkeiten mussten einige Familien im 19. Jahrhundert sogar ihre Palazzi verkaufen. Die neuen Besitzer verwalteten sie aber meist mit gleichen wirtschaftlichen und sozialen Zielen. Im Centro Storico findet man einen sehr hohen Anteil an Palazzi wohingegen in den Außenbezirken nur einzelne Palazzi liegen. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

42 3. Das Städtesystem in Italien

3.2.1.4 Die einfachen Massenwohnhäuser

Weiterer Bestandteil der alten Bausubstanz bilden die einfachen vier- bis sechsstöckigen Mehrfamilienhäuser für geringe Wohnansprüche, die Stilmerkmale der Gotik und Renaissance aufweisen. Sie wurden oft als Rückseitenstraße zu den Palazzi errichtet oder die Massenwohnhäuser traten gemischt mit den Palazzi auf. Die einfachen Massenwohnhäuser kann man auch als Gegenstück zu den Palazzi verstehen, denn sie dienten als Wohnhäuser für Handwerker und Arbeiter sowie als Produktionsstätte und befanden sich in den inneren Stadtbezirken. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.2.1.5 Die Borghi

Die Gebiete mit einheitlich schmalen, kleinen Häusern für geringe Wohnansprüche am Rand der älteren Kerne der Städte der Toskana nennt man Borghi. Einen Unterschied zu den Massenwohnhäusern gibt es aufgrund der unterschiedlichen Breite der Bauten. Sie weisen vor allem Stilelemente der Gotik, der Renaissance und des Barock auf. Es handelte sich um planmäßige Anlagen, was durch die regelmäßige Parzellengliederung und die geregelte Straßenführung zu erkennen ist. Individuell war jedoch die Höhe der Bauten, die zwischen zwei bis vier Stockwerken variierte. Es können zwei Arten von Borghi aufgrund der Grundrissanlage unterschieden werden: Gebäude, die mit den Rückseiten direkt aneinander gebaut wurden und Gebäude, die durch schmale, rückwertige Versorgungsgassen getrennt wurden. Durch das Bevölkerungswachstum wurden vom 12. bis zum 14. Jahrhundert die Häuser der Borghi errichtet. Der Gebäudetyp veränderte sich im Laufe der Zeit nicht, Ausnahmen stellten Bewohner, die zu Geld gekommen waren und somit einzelne Borgohäuser mit Schmuckelementen verzierten, dar. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Durch Phasen des Stadtwachstums entstanden in Florenz auch mehrere Schichten von Borghi vor den Stadtmauern. Durch den Zuzug von Handwerkern und Arbeitern wurden die Borgogebiete weiter ausgebaut. Zur gleichen Zeit wurden teilweise Bauten innerhalb der Mauer auch von Palazzi verdrängt. 1286 war die Stadtmauer so großzügig angelegt worden, dass die Borgogebiete eingeschlossen wurden. Da die Wirtschaft im 15. Jahrhundert stagnierte, nahm auch das Bevölkerungswachstum ein Ende und somit auch die Ausweitung der Borghi. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

43 3. Das Städtesystem in Italien

3.2.1.6 Die Klöster

Klöster sind Bauten mit großzügigem Parzellengefüge, die durch die Gebäudekomplexe von Wohnhäusern, Kreuzgängen und Speicherhäusern mit vielen Freiflächen und Gärten auffallen. Die Klöster hatten nicht nur seelsorgerische und religiöse Funktion, sondern auch soziale Aufgaben. Sie versorgten Kranke, Waisenkinder und uneheliche Kinder und sorgten sich auch um deren schulische Bildung. Widerspruch bestand immer zwischen dem Einsatz für die Armen und der finanziellen Abhängigkeit von der Oberschicht und dem eigenen Grundbesitz. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Zum Teil wurden die Klöster bereits vor 1000 gegründet, ihre bauliche Ausdehnung fand jedoch erst viel später statt. Dies geschah durch Schenkungen ab dem 15. Jahrhundert und verstärkte sich im 17. und 18. Jahrhundert. Sie befanden sich am Rand der Bebauungsfläche oder inmitten der Borgogebiete. Durch das Haus Lothringen und die Reform Peter Leopolds wurde eine große Anzahl an Klöstern aufgehoben und in der Zeit Napoleons weitergeführt. Die letzte Phase dieser Aufhebungen fand nach dem Risorgimento statt. Die Säkularisierung der Klöster fand immer mit Widerstand der katholischen Kirche statt. Die Gebäude blieben meist auch nach der Auflösung weiterbestehen und wurden von den neuen Eigentümern mit neuen Nutzungen verwendet. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.2.1.7 Die Neubauten

Als Neubauten werden Gebäude bezeichnet, die nach dem Risorgimento gebaut wurden. Die Gebäude sind meist in der Gründerzeit und in der faschistischen Zeit auf großen Flächen entstanden. Die Grundstruktur der Neubauten sah wie folgt aus: große, mehrstöckige Hauskomplexe mit vielen Wohneinheiten wurden auf Grundrissparzellen errichtet. Die Fassade wirkte oft wie eine Vielzahl an Einzelpalazzi, da sie oft mit Stilelementen der Palazzi aus der Frührenaissance versehen wurde. Später wurden in Florenz zum Beispiel Stilelemente faschistischer Bauweise benutzt, wie bei den Sanierungen im Viertel Santa Croce. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Neubauten hatten die Funktion eines Mehrfamilienwohnhauses für die Oberschicht des Großbürgertums. Die Gebäude liegen meist in den Randbereichen des Centro Storicos auf zusammenhängenden, großen Flächen, die bis 1800 nicht bebaut wurden oder sich 44 3. Das Städtesystem in Italien geschlossen im Stadtzentrum in Sanierungsgebieten befanden. In den Außenbezirken wurden keine älteren Gebäude dafür abgerissen, wohingegen im Sanierungsgebiet um den Mercato Vecchio die ältere Bebauung und das Straßennetz verändert wurden. Nicht nur die Gebäude- und Bevölkerungsstruktur wurde verändert, sondern auch die wichtigsten städtischen Funktionen verlagerten sich, wie zum Beispiel der Mercato Vecchio zum Mercato Centrale. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.2.2 Die Auswirkungen der Stadtentwicklungsphasen auf die Anordnung der Gebäudetypen

Die Anordnung der Gebäudetypen der Toskana, die auch für viele andere nord- und mittelitalienische Städte gilt, führt zu Problemen in der sozial- und wirtschaftstopographischen Interpretation. Bei den Wehrtürmen ist es aufgrund der etlichen Umbauten und der unsicheren Lokalisierung schwer Ordnungsprinzipien festzulegen. Die Klöster liegen in den Randbezirken, wodurch erkennbar wird, dass es zu einer späteren Auffüllung der unbebauten Fläche kam. Durch die Überlagerung unterschiedlicher Stadtentwicklungsphasen kann man die Anordnung der Palazzi, Massenwohnhäuser und Borgohäuser erklären. Trotz gleicher Einordnung der Bauten nach Stilmerkmalen und ihrer funktionsbedingten Baugliederung in den gleichen Zeitraum, zeigen sich andere Ordnungsmuster. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Als Ordnungsprinzip der Gebäudetypen wurden die Castellare in Siena gefunden. Dies sind Bereiche, in denen Gebäudetypen für unterschiedliche Sozialgruppen entstanden sind, es haben also Unternehmerfamilien mit ihren Arbeitern zusammengewohnt. Die Palazzi und die einfachen Massenwohnhäuser bildeten eine Einheit, in dessen Mittelpunkt der Palazzo der führenden Familie anzutreffen war. Weiters war in jeder Castellare eine Kirche und meist auch ein Wehrturm zu finden. Um in die Castellare hineinzukommen, war es oft nötig, steile Straßen zu überwinden. Die Straßen waren oft flankiert von Wehrtürmen und führten manchmal zu alten Torbögen. Durch die Castellare kann man somit das Nebeneinander von verschiedenen Gebäudetypen im Centro Storico von Siena erklären. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

45 3. Das Städtesystem in Italien

Abbildung 7: Die Anordnung der Gebäudetypen im Bereich des Castelvecchio in Siena

Arbeitsgrundlage: SABELBERG, 1984, S.69.

Der von Fernhandelsstraßen geprägte Grundriss Sienas weist einige Zellen auf, in denen sich die Castellare befanden. In Florenz mussten sich die Castellare in den römischen Rechteckgrundriss einordnen. Die Familien eines Castellares bildeten eine Consorterie, eine geschlossene Gruppe, in der eine Familie die Leitung übernahm. Die Castellare wirkten sich auf die gegenwärtige Bausubstanz aus, da auch heute keine strikte Trennung von Gebäudetypen anhand der sozialen Wertigkeit vorliegt. (SABELBERG, 1984, S.41-102) 46 3. Das Städtesystem in Italien

Ein weiteres Ordnungsmuster in Siena, was die Verteilung der Palazzi und Massenwohnhäuser betrifft, sind die Palazzostraßen, welche auch in Florenz zu finden sind. Hier wurden die Gebäude für verschiedene Sozialschichten getrennt voneinander errichtet, wodurch Palazzostraßen und Rückseitenstraßen entstanden. In einzelnen Straßen dominierten hier Gebäudetypen einer Sozialschicht, wodurch es aber nicht zur Prägung eines Viertels durch eine Schicht kam. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Eine großräumige Viertelsbildung durch Handwerker- und Arbeiterwohnungen in Borgohäusern zeigt ein weiters Ordnungsmuster. Hier wurden einzelne große Gebiete von einem Gebäudetyp geprägt. In Siena wurde ein Borgobereich von einem Castellare geprägt, woraus man schließen kann, dass Castellare ihre Funktion trotz Entstehung von Borghi noch erfüllt haben, wodurch es zu einer zeitlichen Überschneidung kam. (SABELBERG, 1984, S.41- 102)

Die zeitlich aufeinanderfolgenden Ordnungsmuster sollen den genetischen Stadtentwicklungsphasen zugeordnet werden. Durch die Integration des ältesten Gebäudetyps, dem Wehrturm, können die Castellare als ältestes Ordnungsprinzip gesehen werden. Es kam im 13. Jahrhundert zur Umorientierung der Castellare zu den Palazzostraßen, denn die Familien bauten sich Palazzi, entsprechend der neuen Idee der Palazzostraße. Es kam im 13. Jahrhundert zur Neuorientierung der Bausubstanz und die Straßen wurden neu bewertet, denn zur Zeit der Castellare wurden Haupt- und Nebenstraßen nicht unterschieden. Zusammenhängend damit war der soziale Wandel in der Stadt, da sich die Fernhändler durchgesetzt hatten, wodurch einige in Castellare liegende Palazzi an Durchgangsstraßen verlegt wurden und das übrige Castellare aus einfachen Massenwohnhäusern bestand. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Der Wandel fiel auch in Florenz mit der Pflasterung der Straßen zusammen. Um die Ordnungsprinzipien der Gebäudetypen hier zu datieren, muss ein Blick auf die Ausbauphasen der Mauer gemacht werden. Innerhalb der Mauer von 1173/75 fand man die Mischgebiete der Gebäudetypen der Castellare. Später bebaute Gebiete außerhalb der Mauer wiesen eine Trennung der Gebäudetypen auf, was auch hier im 13. Jahrhundert geschah. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

47 3. Das Städtesystem in Italien

Nach der Auflösung der Castellare blieben jedoch Zellen bestehen, in denen Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten zusammenlebten. Der Besitz an Palazzi und Massenwohnhäusern, den einzelne Familien hatten, umfasste einen immer größeren geschlossenen Bereich. Trotz des Endes der Castellare blieb die Idee weiterhin bestehen. Zur fast gleichen Zeit als sich die Ordnungsprinzipien der Palazzi veränderten, lässt sich die Entstehung der Borghi datieren. In Siena stießen die ersten Borghi direkt an die Castellare und in Florenz an die Mathildische Mauer und wurden erst später in das Stadtgebiet eingegliedert. Einige Borghi wurden dann zu Palazzostraßen umgewandelt. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Es kam vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zu wenigen Veränderungen von bebauten Gebieten, aber es kam zur Auffüllung der Randbereiche des Centro Storico. Dies geschah durch Klöster und Palazzi mit Parkanlagen. In Florenz erhielten die Boboligärten, die einem Palazzo zugeordnet sind, mehr Bedeutung. Neubauten, die nach 1860 gebaut wurden, haben das Ordnungsmuster in der Toskana nicht verändert, da sie meist auf unbebauten oder abgerissenen Gebieten errichtet wurden. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die Gebäudetypen in Florenz und Siena sowie deren Anordnung lassen sich somit auf die genetischen Stadtentwicklungsphasen zurückführen, die zu dem heutigen komplizierten Verteilungsmuster führten. Der soziale Wandel fand von der Bevölkerungsgliederung in Comune Maius, der Adel, und Comune Militum, das Volk, hin zur Gliederung in Artes, also in Berufe. Das Secondo Popolo übernahm die Herrschaft des Primo Popolo. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

48 3. Das Städtesystem in Italien

Abbildung 8: Die Herkunft der Bausubstanz aus den verschiedenen Stadtentwicklungsphasen in Siena

Arbeitsgrundlage: SABELBERG, 1984, S.79.

49 3. Das Städtesystem in Italien

3.3 Die sizilianischen Städte

In den sizilianischen Centri Storici gibt es eine andere Einordnung der Gebäudetypen, als in jenen der Toskana. Neben den bis 1800 errichteten Gebäuden wurde hier eine Vielzahl an Bauten von privater Hand errichtet. Der Grundriss der sizilianischen Städte scheint sehr unregelmäßig mit vielen Sackgassen zu sein. Trotz der Wichtigkeit der Antike für die Städte ist nicht dementsprechend viel davon im Stadtgrundriss erhalten geblieben. Besonders kommt dies in Catania zum Vorschein, da zum Beispiel das ausgegrabene römische Amphitheater und die griechischen Theater keine Beziehung zu den heutigen Stadtstrukturen zeigen. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Durch den Untergang des Römischen Reichs kam es in Sizilien zu einer Verringerung der Siedlungsfläche. Auch im Mittelalter änderte sich die Größe nicht, weswegen im Grundriss auch keine Ausbauzonen zu finden sind. In nur wenigen Städten kam es unter sarazenischer Herrschaft zum Bevölkerungswachstum und einer damit verbundenen Siedlungsausdehnung. Deswegen gab es nur geringe Unterschiede im Städtewachstum in unterschiedlichen Bereichen Siziliens. Die bedeutendsten Städte befanden sich in der Antike an der Süd- und Ostküste, was am Ende der Römerzeit ein Ende nahm und auch unter den Sarazenen nicht geändert werden konnte. Diese Unterschiede im Wachstum wirkten sich jedoch nicht auf den Grundriss aus. Im Grundriss zu erkennen sind aber das Wachstum bestehender Städte und Neugründungen von Landarbeiterstädten, durch das Bevölkerungswachstum des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die alten Stadtbereiche hatten eine unregelmäßige Straßenführung, wohingegen die neuen Bereiche einen regelmäßigen Rechteckgrundriss hatten. Die Grenzen sind jedoch nicht klar definierbar, da es keine Abgrenzung durch Mauerringe gab. Diese Art des Städtewachstums setzte sich bis ins 19. und 20. Jahrhundert fort. (SABELBERG, 1984, S.41- 102)

In den älteren Bereichen des Centro Storico findet man einen sehr ausgeprägten Sackgassengrundriss vor, der nicht nur auf sarazenischen Einfluss zurückzuführen ist, da auch später immer wieder der Sackgassengrundriss in den neu gebauten Städten zu erkennen ist. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden neue Städte mit Sackgassengrundriss errichtet und die Häuser wurden um einen Innenhof mit Zugang zur Straße errichtet. Diese Art von Häusern diente der Bevölkerung, die in der Landwirtschaft tätig war, als Hofraum. Auch in den

50 3. Das Städtesystem in Italien

Bereichen, die erst 1950 bebaut wurden, ist ein Sackgassengrundriss entstanden. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

In Agrigent und Favara, in denen der Grundriss teilweise auf sarazenischen Einfluss zurückzuführen ist, ist eine andersartige Entstehung der Sackgassen wahrscheinlich. Die Sackgassen weisen eigene Strukturmerkmale im Verhältnis zur Straßenführung und Parzellengliederung auf. Die Straßen, Sackgassen und Innenhöfe verliefen meist senkrecht zueinander und die Sackgassen setzten sich in den Innenhöfen fort. Zwischen den Innenhöfen und Gassen gab es oft Verbindungen durch Tordurchgänge und schmale Verbindungswege. Durch Hausvorbauten oder auch Tore wurden diese Durchgänge allmählich zugebaut. Die Gebäude am Rand der Baublöcke wurden oft durch Baufluchten von den anderen Häusern getrennt. Diese Baublöcke am Rand wurden mit der Zeit auch innen bebaut und diese Innenbereiche weisen auf eine langsame Verdichtung hin. Dadurch kann der Sackgassengrundriss als Folge einer ungeregelten Siedlungsverdichtung interpretiert werden, wodurch Gassen zu Innenhöfen wurden, Straßen verengt wurden und die Innenfläche zugebaut wurde. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Der Ausgangsgrundriss war eine regelmäßige, gitterförmige Anlage der Straßen. Es gab zwei Anlagetypen: Baublöcke mit kleinen Häusern, die mit den Rückseiten aneinander lehnten und Baublöcke mit größeren, freien Innenhöfen. In Favara ist der Straßengrundriss der älteren Bebauungsgebiete dem der jüngeren sehr ähnlich, denn aus einem regelmäßigen, engmaschigen Gitter rechteckiger Straßen entstand durch einen Verdichtungsprozess ein Sackgassengrundriss, der somit nicht auf sarazenische Einflüsse zurückzuführen ist. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.3.1 Die Gebäudetypen im Centro Storico

Die folgenden Gebäudetypen gelten im Wesentlichen für alle sizilianischen Städte, als Beispiele wurden Agrigent und Catania herangezogen. Die Gebäudetypen sind weniger voneinander abgegrenzt und auch ihre Verteilung scheint einfacher als in toskanischen Städten. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

51 3. Das Städtesystem in Italien

3.3.1.1 Die öffentlichen Repräsentationsbauten

Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Repräsentationsbauten ist aufgrund der Einordnung sizilianischer Städte in eine ähnliche Organisation wie der Feudalordnung bis ins 19. Jahrhundert schwierig. Denn für dieses System ist es typisch, öffentliche und private Machtbefugnisse nicht zu trennen. Damit wären auch alle Wohngebäude der Oberschicht öffentliche Gebäude. Hier sind es aber nur jene Bauten, die keinen Bezug zur Privatsphäre der Oberschicht haben. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Kirchen in Sizilien wurden meist im Barock neu gebaut oder umgebaut und wurden mit großen Platzanlagen versehen. Trotz Einordnung in den Planungsgrundriss und ihrer einheitlichen Gestaltung blieben sie meist isoliert, da auch die Bevölkerung sich nicht an ihrem Ausbau beteiligte. Oft bildeten der Dom und die kirchliche Verwaltung einen eigenen abgegrenzten Bereich. Durch die Geschichte bedingt gab es keine öffentlichen Repräsentationsbauten der städtischen Selbstverwaltung. Rathäuser wurden meist erst im 19. Jahrhundert errichtet oder in älteren Gebäudetypen eingerichtet. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die wichtigsten repräsentativen Bauten der Feudalverwaltung, die Castelle, haben die Städte gegen alle Erwartungen nicht entscheidend geprägt. Ihr Einfluss auf die Stadtentwicklung und das Stadtbild ist gering. Sie befanden sich am Rand der Städte und wurden im Laufe der Zeit in einfache Wohngebäude umgebaut, wodurch ihre Struktur so verändert wurde, dass sie kaum mehr im Grundriss zu finden sind. Generell waren diese öffentlichen Repräsentationsbauten nicht prägend für die Städte, wie es in der Toskana der Fall war. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.3.1.2 Die Palazzi

Die Palazzi waren Großbauten der Oberschicht. Die Oberschicht bestand aus Großgrundbesitzern normannisch-spanischer Herkunft, die versuchten mit wenigen finanziellen Mitteln eine hohe Rendite aus der Landwirtschaft zu ziehen. Die Bauform entsprach von der Funktion her nicht den Bedürfnissen, da die Palazzi meist von toskanischen Baumeistern errichtet wurden. Rom war zwar das Vorbild in der Barockarchitektur, jedoch wurden auch hier die Palazzi nur aus dem toskanischen Palazzo weiterentwickelt. Äußerlich ähnelten die Palazzi also sehr denen in den toskanischen Städten, sie wiesen aber eine andere 52 3. Das Städtesystem in Italien

Grundstruktur, aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung der Oberschicht, auf. Wegen der andersartigen inneren Aufteilung wurden sie auch baronale Palazzi genannt. Die Wohnfunktion stand im Vordergrund und nur teilweise gab es Räume zur Lagerung und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. Wichtigste Elemente in den Palazzi stellten die herrschaftlichen Wohnräume im Piano Nobile und die aufwendigen Treppenhäuser dar. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Aufgrund des geringen Anteils der Oberschicht gab es auch dementsprechend wenige Palazzi, die auch von der Größe und Bedeutung der Stadt abhingen. In der Zeit des Absentismus waren sie vor allem in den wichtigen großen und politischen Städten anzufinden. Durch die starke Residenz- und Handelsfunktion gab es in Catania einen hohen Anteil der feudalen Oberschicht und somit auch viele Palazzi. Die Städte, die der Feudalverwaltung der Barone unterstellt waren, wiesen recht wenige Palazzi auf. Auch wenn die Oberschicht überregional eine geringe Wirtschaftskraft hatte und es auch wenige Palazzi gab, hatten diese eine gute Stellung in den Städten Siziliens, die sich auch von den massenhaft kleinen Häusern der unteren Bevölkerungsschicht abhoben. Sie galten als Entscheidungszentren der Wirtschaft und standen auch kulturell mit Festen und Theatervorstellungen im Vordergrund. Die Palazzi verloren an Bedeutung, wenn dessen Eigentumsfamilie an Macht verlor. Diese Palazzi wurden dann aber nicht von anderen übernommen, denn aufsteigende Familien hatten immer den Wunsch, sich einen eigenen Palazzo zu errichten. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Barocke Palazzi herrschen in den sizilianischen Städten vor, ältere gibt es nur vereinzelt, da der Großteil durch Erdbeben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert zerstört wurde. Die Intensität an Barockpalazzi kommt daher, dass es zu einer Umschichtung zur Zeit des Absentismus kam, wodurch neue Palazzi entstanden und es kam zum Verfall von Palazzi, die keine Funktion mehr hatten. Diese Bauten wurden dann im Barockstil errichtet, der auch den Bedürfnissen der Oberschicht gerecht wurde. Dieser Gebäudetyp diente ausschließlich als repräsentatives Wohnhaus, welches zu einem einfachen Wohngebäude umgewandelt wurde, wenn diese Funktion verloren ging. Es gab in Sizilien keine bauliche Vorform der Palazzi. Die Barone lebten ursprünglich in Castellen, dies änderte sich, nachdem sie ihre Machtstellung gesichert hatten, wodurch sie dann unbefestigte Palazzi

53 3. Das Städtesystem in Italien an den Hauptplätzen und Hauptstraßen erbauen ließen. Die Palazzi befinden sich somit an den früheren Hauptstraßen der Städte. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.3.1.3 Die Rücken-an-Rücken-Häuser

Am meisten verbreitet in den Centri Storici der sizilianischen Städte sind die Rücken-an- Rücken-Häuser. Diese wurden, auf einem rechteckigen Grundriss von fünf bis zehn Meter Länge mit den Rückseiten aneinander, für Familien gebaut. Die Gebäude wurden so aneinander gebaut, dass kein Platz für Gärten oder Höfe bestand. In jedem Stockwerk befand sich ein Raum, jedoch hatten die Häuser unterschiedliche Stockwerkszahlen. Da sie als Wohnhäuser für die arme Bevölkerungsschicht dienten und damit keine Schmuckformen besaßen, ist es schwierig ihr Alter festzustellen. Die Grundstruktur war meist gleich und sie wiesen vor allem Stilmerkmale des Barock, des 19. und 20. Jahrhunderts auf. Jedoch können sie nicht Wachstumsphasen von Siedlungsflächen zugeordnet werden. Die Häuser wurden über mehrere Zeitphasen hinweg immer wieder aufgestockt, was es weiters erschwert, diese einer Entstehungszeit zuzuordnen. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die ursprünglichen Häuser hatten nur ein Stockwerk und einen Raum, die aber selten weiter bestanden und wenn nur mehr als Stall oder Werkstatt verwendet wurden. Denn wenn die Bewohner zu Geld kamen, haben sie die Häuser auch aufgestockt. Diese Häuser sind im 19. Jahrhundert als Einraumhäuser nachweisbar, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie schon zuvor gebaut wurden. Eine kleine zeitliche Differenzierung ist möglich, da neue Rücken- an-Rücken-Häuser mehr Grünflächen besitzen und in Zusammenhang mit einem weniger verwinkelten Straßennetz stehen. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

54 3. Das Städtesystem in Italien

Abbildung 9: Die Gebäudetypen in Catania

Arbeitsgrundlage: SABELBERG, 1984, S.93.

55 3. Das Städtesystem in Italien

3.3.1.4 Die Klöster

Auch wenn die meisten Klöster bereits früher gegründet wurden, wurden sie erst im 17. und 18. Jahrhundert errichtet. Die im Barockstil gebauten Gebäudekomplexe befinden sich verstreut im Centro Storico meist zwischen Rücken-an-Rücken-Häusern. Ihre Funktion war denen der Barone ähnlich, denn sie waren Grundbesitzer und steuerten die Wirtschaft. Es kam zur Säkularisierung nach der Einigung Italiens, womit die feudalen Rechte in städtischen oder staatlichen Besitz übergingen. Jene Gebäude, die dabei erhalten blieben, sind jedoch wenig gepflegt. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.3.1.5 Die Neubauten des 19. Jahrhunderts

Es kam zu einem starken Bevölkerungswachstum und einer damit verbundenen Siedlungsausweitung, vor allem durch Rücken-an-Rücken-Häuser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Centro Storico wurden große, repräsentative Mehrfamilienhäuser für die neue bürgerliche Oberschicht erbaut. Meist dienten die an wichtigen Hauptstraßen erbauten Gebäude als luxuriöse Wohnungen für die Oberschicht, als Büroräume oder Geschäfte für höherrangige Waren. Es kam auch dazu, dass sie rein als Bürobauten oder Gebäude der staatlichen Verwaltung verwendet wurden. Somit wurden Straßen mit großteils diesem Gebäudetyp zu Corsostraßen, wie auch in Agrigent die Via Atenea und in Catania die Via Etnea. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die Gebäude wurden in Gebieten, die schon vor 1800 bebaut waren, von privater Hand errichtet, wodurch sie die ältere Bausubstanz verdrängten. Durch den Bebauungszeitschnitt 1870 wurde die Grenze des Centro Storico so angelegt, dass auch Bereiche dieser Gebäude, die sich zuvor außerhalb der Altstadt befanden, nun Teil davon waren. Straßen mit diesen Gebäuden dienen als wichtige Corso- und Geschäftsstraßen, auch wenn die Gebäude meist nicht sonderlich gepflegt sind. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.3.1.6 Die Hochhäuser des 20. Jahrhunderts

Im 20. Jahrhundert wurden viele aufwendig gebaute Hochhäuser infolge des starken Stadtwachstums errichtet. Die nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Bauten hatten alle mehr als fünf und teilweise auch mehr als zwölf Stockwerke und dienten als

56 3. Das Städtesystem in Italien

Eigentumswohnungen der reichen Oberschicht. Des Weiteren beherbergten sie Büros, Praxen, private und öffentliche Verwaltungsstellen sowie Luxusgeschäfte. Die Hochhäuser befinden sich isoliert zwischen Rücken-an-Rücken-Häusern im Centro Storico. Es gibt für die Anordnung kein Muster, denn auch in Bereichen außerhalb des Centro Storico befinden sich Hochhäuser, wo, ähnlich wie im 19. Jahrhundert, ebenfalls neue Oberschichtwohnstraßen entstanden sind. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.3.2 Die Auswirkungen der Stadtentwicklungsphasen auf die Anordnung der Gebäudetypen

Die Stadtentwicklungsphasen lassen sich nur schwer an der Bausubstanz der sizilianischen Städte erkennen. Jedoch können durch die Verteilung der Gebäudetypen Ordnungsprinzipen und damit verbunden Stadtentwicklungsphasen erschlossen werden. Die Anordnungsprinzipien sind recht einfach und es kam zu keinen Überschreitungen, wie es in der Toskana der Fall war. Der Großteil der Gebäude sind Rück-an-Rücken-Häuser, zwischen denen sich Klöster befinden. In diese Struktur sind die Gebäude der Oberschicht dicht hineingebaut worden. Dadurch gibt es eine zeitliche Abfolge, da sich die Oberschichten abgelöst haben und eigene neue Straßen angelegt haben. Im 19. Jahrhundert wurden dann andere Straßen bebaut und zur bevorzugten Wohngegend der Oberschichten, wodurch diese sich verlagert haben. Die Hochhäuser, die im 20. Jahrhundert gebaut wurden, befinden sich sowohl einzeln im Centro Storico als auch in Straßenzügen außerhalb des historischen Stadtkerns. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Es gab also eine räumliche Trennung der Sozialschichten, die sich zu unterschiedlichen Zeiten einmal auf einzelne Häuser und dann wieder auf einzelne Straßenzüge bezog. Es gab drei Stadtentwicklungsphasen, in denen die Oberschichtwohngebiete sich in anderen Bereichen der Stadt neu entfaltet haben. Bis ins 19. Jahrhundert befanden sich in den Städten wenige Palazzostraßen und massenhaft Rücken-an-Rücken-Häuser. Die Palazzostraßen verfielen und es wurden danach neue Straßen mit neuen Gebäuden errichtet, aber weiterhin Bestand hatten die Rücken-an-Rücken-Häuser. Die Hochhäuser des 20. Jahrhunderts veränderten wiederrum die Strukturen, wodurch die Oberschicht wieder neue Wohngebiete für sich fand. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

57 3. Das Städtesystem in Italien

3.4 Vergleich der toskanischen und sizilianischen Städte

Hinsichtlich ihrer Struktur und Anordnung unterscheiden sich die Gebäudetypen im Centro Storico der toskanischen und sizilianischen Städte grundlegend. In sizilianischen Städten entstanden im 19. Jahrhundert weniger Gebäudetypen, da die Sozialschichtung hier anders als in den toskanischen Städten war und dessen Gliederung eine Starrheit aufweist. In den toskanischen Städten war dies genau der umgekehrte Fall, da es eine sehr differenzierte Sozialschichtung gab, durch die sich die Wirtschaft entwickelte und sich die Herrschaftsverhältnisse änderten, womit es auch eine größere Anzahl an verschiedenen Gebäudetypen gab. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die im Mittelalter errichteten öffentlichen Repräsentationsbauten waren bestimmend für die Zentren der toskanischen Städte und wurden zur Selbstdarstellung errichtet. Dadurch bildeten sie das physiognomische und funktionale Zentrum der Stadt. Anders war es in den sizilianischen Städten, in denen die öffentlichen Repräsentationsbauten den Machtanspruch der von außen kommenden Kräfte dokumentierten. Durch den Wechsel des Machtanspruchs veränderte sich auch dessen Lage, wodurch es kein konstantes Zentrum gab. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die privaten Palazzi, dessen Funktion als Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Oberschicht die innere und äußere Struktur sowie dessen Entwicklung bestimmte, prägten in der Toskana das Centro Storico. In Sizilien dienten die privaten Palazzi ausschließlich zum Wohnen und hatten keine wirtschaftlichen Funktionen. Aufgrund des geringen Anteils der Oberschichtfamilien gab es auch dementsprechend wenige private Palazzi. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Die einfachen Wohnquartiere waren in der Toskana die Borgohäuser und in Sizilien die Rücken-an-Rücken-Häuser, die beide unterschiedliche Funktionen und Verteilungen in der Stadt hatten. Die Borgohäuser hatten den sozialen Charakter eines Handwerkerviertels. Neben ihnen gab es in der Stadtentwicklung auch andere Gebäudetypen für die Unterschicht. Die Rücken-an-Rücken-Häuser machten den größten Teil der Gebäudetypen in sizilianischen Städten aus und dienten als Wohnhäuser der Unterschicht. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

58 3. Das Städtesystem in Italien

Es kam ab dem 19. Jahrhundert zu baulichen Ausdehnungen der Siedlungsfläche, die in der Toskana von neuen Gebäudetypen bestimmt war. In Sizilien sind diese durch Rücken-an- Rücken-Häuser geprägt. Auch die Entwicklungen im Centro Storico waren unterschiedlich, denn in der Toskana kam es zu Sanierungen und in Sizilien zum Bau von Prachtbauten für die Oberschicht. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Durch die unterschiedliche Stadtentwicklung in den toskanischen und sizilianischen Städten gibt es auch Unterschiede in der Anordnung der Gebäudetypen. Im 13. Jahrhundert kam es in der Toskana zu einem Umbruch der Anordnungsprinzipien, der dessen Verteilung kompliziert machte. Anfangs gab es die Castellare, wo die Gebäudetypen und Sozialgruppen nach Gefolgschaft aufgeteilt waren. Dies ging über in eine Neuordnung nach sozialbestimmten Wohngebieten. Weiter ging es mit den Palazzostraßen der Oberschicht und den Borghi am Stadtrand, welche im Prinzip weiter erhalten blieben. In Sizilien schaute dies anders aus, denn die Ordnungsprinzipien blieben gleich: Die Oberschicht hatte ihre Straße, die im Laufe der Zeit verfiel und dann wieder neu angelegt wurde. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

Durch die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Stagnation kam es oft zu Veränderungen des Aufbaus der städtischen Strukturen Siziliens. In der Toskana gab es nach einer Neuorientierung der Bauten nach dem 13. Jahrhundert mehr Konstanz in den Gebäuden und deren Funktionen. (SABELBERG, 1984, S.41-102)

3.5 Die Stadtregionen Italiens

Die Stadtregion ist eine funktionsräumliche Einheit, die aus einer Kernstadt und einem Pendlereinzugsbereich besteht. Das Verwaltungsgebiet der zentralen Stadtgemeinde bildet die Kernstadt und ist verbunden mit dem Umland. Klassische Modelle gehen von einer Kernstadt mit einer Ergänzungszone, die daran anschließt, aus. Diese bilden das Kerngebiet und die Umlandzone schließt sich daran an. (FASSMANN, 2004, S.53-56)

Ab den siebziger Jahren wurden die Siedlungen in Italien am Rand der Städte weniger und die Einzelbebauungen im Grünen wuchsen durch Villen-Viertel heran, wie zum Beispiel San Siro in Mailand. Es kam nach dem Niedergang der kleinen Städte und ländlichen Gebiete im Zuge der Dekonzentration der Bewohner zu einer Zunahme von Gemeinden im städtischen 59 3. Das Städtesystem in Italien

Umland. Dies geschah am stärksten im Norden Italiens sowie an den Küsten, jedoch am wenigsten im Süden. Dass der Trend eine Umkehr erfahren hatte, lag daran, dass es die Krise der Stadt gab, da es Wohnungsmangel, geringe Versorgung und wenige Beschäftigungsmöglichkeiten gab. Es lag weiters auch daran, dass das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr und viele neue Industriestandorte geschaffen wurden. Somit kam es in den Stadtregionen zu einer flächenhaften Besiedlung durch die Entwicklung von Fabriken an Ausfallstraßen und Bahnlinien. Deshalb ist die geschlossen bebaute Siedlungsfläche größer als die Verwaltungseinheit der Stadtgemarkung und somit umfasst die Stadtregion viele Gemeinden, wie es auch in Mailand, Turin und Neapel der Fall ist. In anderen Großstädten ist es anders, denn städtische Siedlungsflächen haben nur einen kleinen Anteil an den großen Gemarkungen, wie es auch in Venedig, Ravenna und Rom ist. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

Es kam schnell zu Problemen durch die Verstädterung: Gemeinden unter 10.000 Einwohner konnten durch die Bauordnung von 1865 keine schärferen Kontrollen durchführen und auch die Finanzprobleme wuchsen. Ebenfalls Probleme gab es in der Verwaltung, der Versorgung, im Straßenbau, der Bodenspekulation und der Notsiedlungen. Erst 1990 waren administrative Normen für die funktionale Abgrenzung von Gemeinden und Provinzen erlassen worden. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

60 3. Das Städtesystem in Italien

Abbildung 10: Die Stadtregionen Italiens

Arbeitsgrundlage: ROTHER, TICHY, 2000, S.162.

Für das Jahr 1991 ergaben sich 25 Stadtregionen nach der Zahl und Struktur der Beschäftigten. Die sechs Stadtregionen Mailand-Bergamo-Como, Neapel-Salerno, Rom, Turin, Venedig- Padua-Treviso und Florenz-Pistoia-Prato hatten über eine Million Einwohner. Mehr als 500.000 Einwohner hatten die folgenden acht Stadtregionen: Palermo, Genua, Catania, Bari, Bologna, Modena-Reggio Emilia-Carpi, Rimini-Pesaro-Cesena und La Spezia-Massa-Viareggio. Nicht einmal 200.000 Einwohner erreichten Udine, Perugia und Empoli-San Miniato- Fucecchio. Ab 1971 kam es zum Zusammenwachsen von monozentrischen Ballungen zu Aree Metropolitane mit Kernstädten, zentralen und peripheren Gemeinden. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

61 3. Das Städtesystem in Italien

3.5.1 Die Stadtregionen Norditaliens

In Norditalien kann man die Stadtregionen in mehrere Gruppen unterteilen. Zwischen den Provinzen Turin und Udine, in der Po-Ebene, befindet sich das bedeutendste Verdichtungsgebiet des Landes. Die Hälfte der verarbeitenden Industrie befindet sich in diesem Gebiet und ein Viertel der Einwohner des Landes lebt hier auf sieben Prozent des Staatsgebiets. Im Westen befindet sich die Stadtregion von Turin mit 95 Gemeinden und 1,86 Millionen Einwohnern im Jahr 1991. Venedig-Padua-Treviso umfasst 55 Gemeinden. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

In den größeren Alpentälern nördlich der padanischen Städtezone befinden sich Klein- und Mittelstädte wie Susa, Aosta und Belluno. Es gab nur das Etschtal, in dem es Raum für ein inneralpines Städtesystem gab und die größten Zentren sind Bozen und Trient. In der südlichen Padania, in Südpiemont, in der Bassa Pianura, von den Langhe zum Astigiano und der Ebene von Alessandria, von Vercellese bis zum Polesine, ist das Städtenetz locker. Es gibt in diesen ländlichen Räumen noch eine übergangslose Trennung zwischen Stadt und Land. In Alpennähe ist das Städtenetz nicht so regelmäßig gestaltet, wie es hier der Fall ist. Es hat auch die Züge der Borghi der historischen Land- und Marktstädte bewahrt. Hier kam es nicht zur Entstehung von Großstädten. Mittelstädte wie Asti, Pavia und Mantua geraten in Abhängigkeit von den Hauptstädten ihrer Regionen. Sie dienen auch als Verbindung der meist reichen ländlichen Räume mit den Hauptstädten. An der historischen Via Aemilia entstand eine Städtereihe am Fuße des toskanisch-emilianischen Apennins. Alte Handels- und Gewerbefunktionen mit Klein- und Mittelbetrieben wurden durch moderne Industriefunktionen ergänzt, womit eine Wachstumsachse entstand. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

Eine weitere Städtereihe gibt es an der ligurischen Küste. Es gibt wenige Beziehungen zwischen den einzelnen Städten, denn diese bestehen eher zu den Stadtregionen von Turin und Mailand. Weitere Ballungsräume der ligurischen Küste haben sich zu Ferienstädten entwickelt. Da Bau- und Grundstücksspekulationen denen der Ränder von Großstädten ähneln, spricht man von der Peripherie am Meer. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

62 3. Das Städtesystem in Italien

3.5.2 Die Stadtregionen Mittelitaliens

Drei Hauptachsen heben sich aus dem Städtenetz Mittelitaliens durch ihre wirtschaftliche Bedeutung hervor. Rom bildet den Kern einer isolierten Stadtregion. Die erste Achse erstreckt sich von Livorno über Pisa nach Florenz und verbreitert sich im Becken des unteren Arno. Die Verstädterung im Gebiet ist erheblich, obwohl es viele ländliche, toskanische Räume gibt. Das Siedlungsnetz ist dicht und es befinden sich viele Klein- und Mittelbetriebe im Gebiet. Die Städtelinie geht von Ligurien aus, setzt an der toskanischen Küste fort und endet bei Piombino. Hier befinden sich Industriesiedlungen, die sich mit Ferienstädten wie zum Beispiel Forte dei Marmi oder Viareggio und Dienstleistungszentren wie Massa und Carrara abwechseln. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

Im Anschluss an die Via Emilia-Linie hat sich eine Städtereihe an der adriatischen Küste gebildet. Hier befinden sich viele Badeorte und Zweitwohnsitze. Siedlungen und die Wirtschaft aus den Binnen- und Gebirgsräumen der Marken und Abruzzen verlagerten sich an die Küste. Städte mit Industrie, Handel und Dienstleistungen wie Pesaro oder Ancona haben sich an den Hauptverkehrsachsen entwickelt. Das mittelitalienische Binnenland, von der südlichen Toskana bis ins nördliche Latium und von den Marken zu den Abruzzen, weist ein dichtes Gefüge von Klein- und Mittelstädten auf. Hier gibt es wenige Entwicklungen und wenig Wachstum, ausgenommen die Regionalhauptstädte Perugia und L’Aquila sowie das Industriezentrum Terni. Aus dem städtebaulichen Reichtum versuchen Städte wie Assisi, Viterbo und Cortona über den Fremdenverkehr und kulturelle Veranstaltungen Kapital zu schlagen. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

Als Stadtregion umfasste Rom 1991 3,54 Millionen Einwohner. Der Küstenraum Lido di Roma steht unter starkem Einfluss der Hauptstadt. Rom nimmt schon Eigenschaften der Stadt des Südens vorweg, wegen eines hohen Anteils der öffentlichen Hand am Erwerbsleben, am ungenehmigten Bauwesen und der städtischen Marginalität. Die wichtigste Stellung hat Rom als Sitz der politischen und wirtschaftlichen Leistungs- und Kontrollfunktionen. In der Urbanisierung Italiens ist Rom der Spiegel der Hauptwidersprüche, da die Stadt als Begegnungsort von Entwicklung und Unterentwicklung zwischen Norden und Süden dient. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

63 3. Das Städtesystem in Italien

3.5.3 Die Stadtregionen Süditaliens

In Süditalien gibt es sechs Stadtregionen: Neapel-Salerno, Bari, Tarent, Catania, Palermo und Cagliari. Von ihnen bilden drei größere Ballungsräume. Der größte Ballungsraum ist der der kampanischen Stadtregion mit 153 Gemeinden und der höchsten Wohndichte. Er befindet sich zwischen Caserta, Neapel und Castellammare. Um Bari, in Apulien, entstand eine Stadtregion, die an der Küste von Barletta bis Monopoli reicht. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159- 167)

Die Städtelinie, die von der Conurbazione dello Stretto ausgeht, verläuft an der Ostküste Siziliens südwärts, breitet sich um Catania und Syrakus aus und ist eine bedeutende Städtelinie. In Städten wie Tarent, Palermo und Cagliari ist es zu einer Verstädterung gekommen, was sich in neuen Industriestandorten und wachsenden Wohnsiedlungen zeigt. (ROTHER, TICHY, 2000, S.159-167)

64 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

„Vedi Napoli e poi muori“ ist eine bekannte italienische Redewendung, die ausdrücken soll, wie schön und auch mystisch die Stadt am Golf von Neapel ist. Im folgenden Kapitel geht es um die Entstehung und die Struktur von Neapel.

4.1 Allgemeine geographische Grundlagen

Neapel befindet sich im Süden Italiens in der Region Kampanien. Der Name der Region Kampanien stammt aus dem fernen Altertum und bezeichnet ein flaches Land und war bereits den griechischen Schriftstellern des 9. Jahrhunderts vor Christus bekannt. Die Region ist im Wesentlichen das Gebiet zwischen dem Monte Massico und der Halbinsel Sorrent, zwischen den Steigungen des Subapennins und des Tyrrhenischen Meeres. (BARBIERI, ALMAGIÀ, 1971, S.542-550) Die Region befindet sich im Süden des italienischen Festlandes, angrenzend an die Regionen Latium, Molise, Apulien und Basilikata.

Abbildung 11: Die Regionen Italiens

0 100 200 km Arbeitsgrundlage: WIKIMEDIA, 2012.

65 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 12: Die Provinzen der Region Kampanien

0 20 40 km

Arbeitsgrundlage: WIKIMEDIA, 2010.

Kampanien umfasst die Provinzen Caserta, Benevento, Avellino und Salerno sowie die Metropolitanstadt Neapel. Die Hauptstadt der Region ist die Stadt Neapel. Neapel befindet sich am Golf von Neapel und nicht weit von der Stadt entfernt gibt es vier Vulkane: der Somma-Vesuv, die Phlegräischen Felder, Procida und Ischia, die die geologische Landschaft rund um Neapel prägen (MELLER, DICKMANN, 2011, S.24-35). Im Osten erstreckt sich die Ebene und bietet viel Platz für die Erweiterung der Stadt im Hinterland. Im Westen befindet sich nicht nur der Hügel Posillipo, sondern auch der Golf von Pozzuoli. (BARBIERI, ALMAGIÀ, 1971, S.542-550)

4.2 Stadtentwicklung

4.2.1 Altertum

Als Beginn der Stadtgeschichte Neapel kann der Mythos der Sirene Parthenope gesehen werden. Diese wurde als erstes von Homer erwähnt. Odysseus fuhr ohne Kenntnisnahme des Gesangs der glücklosen Sirene durch die Gewässer vor der kampanischen Küste. Durch seine Zurückweisung stürzte sie sich ins Wasser und starb. Parthenope wurde dann an Land gespült und Siedler errichteten ihr ein Denkmal und um diese Stelle schien sich schnell eine neue Stadt zu bilden. Man geht davon aus, dass es das im 7. Jahrhundert vor Christus von Cumae aus gegründete Paläopolis war. Diese Stadt wuchs weiter und wurde im 5. Jahrhundert vor 66 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Christus um die Neustadt, Neapolis, erweitert. (BEYER, 2000, S.17-20) Wie der Name andeutet, ist Neapel griechischen Ursprungs: Neapolis bedeutet die Neustadt, die im Gegensatz zu Paläopolis, der Altstadt, stand. (BARBIERI, ALMAGIÀ, 1971, S.542-550)

Die Neustadt wurde mit einer Stadtmauer umgeben und wie viele andere griechische Kolonien wurde Neapolis nach einem rasterförmigen Plan errichtet. Die Straßen haben auch heute noch den gleichen Verlauf, wie sie es damals hatten. Die drei Hauptstraßen haben die Stadt von Westen nach Osten durchzogen und waren durch kleine Gassen verbunden. Die Agora, der Hauptplatz, befand sich auf der heutigen Piazza San Gaetano und die Akropolis, die Festung, war auf dem Hügel Caponapoli angesiedelt. (WIKIPEDIA, 2018)

Im 3. Jahrhundert vor Christus eroberten die Römer Neapel und die Stadt wurde Teil des Römischen Reichs. In dieser Zeit wurde Neapel zu einem wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Zentrum im Mittelmeerraum. Ebenfalls wurde die Gegend zu einem Zentrum des römischen Luxuslebens, da viele Römer Luxusvillen erbauen ließen. Trotz der Gotenkriege in Süditalien wurde Neapel nicht zerstört und hier fand die letzte Niederlage der Ostgoten statt, die das Ende der Goten in Italien besiegelte. (RICHTER, 2012, S.19-73)

4.2.2 Mittelalter

Neapel war unter byzantinischer Herrschaft und wurde byzantinisches Herzogtum. Griechische Siedler ließen sich wieder nieder und die Autorität des Papstes in Rom wurde erst später anerkannt. Ab dem 6. Jahrhundert beherrschten auch die Langobarden das Gebiet um Neapel. (RICHTER, 2012, S.19-73)

Im 11. Jahrhundert errichteten die Normannen ihr Reich in Süditalien. Nur wenige Jahrzehnte benötigten sie, um den ganzen Süden zu unterwerfen und somit erstmals ein großes Königreich in Süditalien zu erschaffen. König Roger war der erste einer langen Reihe fremder Herrscher, die über Neapel bestimmten. In Süditalien befanden sich zu der Zeit die Griechen, Langobarden, Araber und Normannen, die die Stadt prägten, was man auch im heutigen Stadtbild noch erkennen kann. Nach dem Tod des Normannenkönigs Tankred kamen die deutschen Hohenstaufen in den Süden. Durch König Friedrich II. wurde Neapel geistige Metropole des Reichs und er gründete die Universität, die nach ihm benannt wurde. Des 67 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Weiteren verstärkte er die Befestigung der Stadt und dessen Mauern und erneuerte das Castel Capuano und das Castel dell’Ovo. (RICHTER, 2012, S.19-73)

Mit dem Tod von König Friedrich II. ging die Macht durch den Papst auf die französischen Anjou über. Mit König Karl von Anjou begann in Neapel die Epoca Angioina. Bis dahin war Palermo die Hauptstadt, was sich dann änderte und dessen Funktion Neapel übernahm. Das politisch-administrative Zentrum befand sich wie auch heute zwischen dem Pizzofalcone und der antik-mittelalterlichen Altstadt. (RICHTER, 2012, S.19-73)

Die Anjou ließen innerhalb des Mauerrings die Stadt mit bedeutenden Sakralbauten bestücken, die auch heute noch prägend für das Stadtbild sind. Der Stützpunkt der Herrscher war das Castel Nuovo, welches 1279 am Hafen errichtet wurde und in dessen Nähe sich ein prachtvolles, höfisches Leben entwickelte. Im Gegensatz dazu stand die Bürgerschaft der Altstadt. Robert der Weise ließ um 1329 das Castel Sant‘Elmo über der Stadt errichten. (BEYER, 1993)

Abbildung 13: Das Castel Nuovo in Neapel

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahme, 2018.

4.2.3 Neuzeit

1442 kamen die Aragonesen unter König Alfons in Neapel an die Macht. König Alfons gab sich selbst den Titel Rex Utriusque Siciliae, König beider Sizilien. Durch dessen Herrschaft bis 1503 ließen sich viele Katalanen um den Hof herum nieder. Wie auch in anderen Städten der Renaissance wurde auch Neapel zu einem Zentrum der Künste. Die Stadt wurde zwar größer, 68 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse jedoch wurde das Stadtbild durch die Aragonesen wenig geprägt. Einzig der marmorne Triumphbogen am Castel Nuovo lässt die Hochrenaissance in Neapel erkennen. (RICHTER, 2012, S.19-73)

Franzosen und Spanier stritten sich nach dem Ende der aragonischen Erbfolge um das Königreich Neapel. Im Jahr 1503 nahmen die Spanier die Stadt in Besitz. In Folge dessen wurde Neapel Teil des spanisch-habsburgischen Reichs und wurde eines der Machtzentren. Der Vizekönig fand in Neapel seinen Regierungssitz und Spanisch wurde zur Hof- und Beamtensprache. Diese Zeit beeinflusste die Stadt nachhaltig. Nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Lebensgewohnheiten der Bewohner, die Religion und auch die Sprache veränderten sich. (RICHTER, 2012, S.19-73)

Im 16. Jahrhundert wurde Neapel zum ersten Mal bedeutend urbanistisch umgestaltet. Die Größe der Stadt wurde verdoppelt und die Nord-Süd-Achse entstand westlich der Altstadt. Sie ist eine der Hauptverkehrsadern und trägt den Namen ihres Erfinders Toledo. Die Quartieri Spagnoli entstanden parallel dazu. Sie wurden ursprünglich für spanische Soldaten gebaut und dienen heute als populäres Wohnviertel. In Neapel wurden auch die Kirchen und der Dom im barocken Stil umgestaltet. Die wohlhabenden Feudalherrn und Latifundienbesitzer zogen mit ihren Familien in die Hauptstadt. Im Gegensatz dazu gab es die verarmte Bevölkerung, die von Gelegenheitsarbeiten lebte. Die bürgerliche Mittelschicht entwickelte sich nur langsam, im Gegensatz zu anderen europäischen Metropolen, wodurch Neapel mit der Zeit den Anschluss an Entwicklungen, wie sie im Norden stattfanden, verlor. (RICHTER, 2012, S.19-73)

Im 17. Jahrhundert wurde die Stadt von der architektonischen Modernisierung, aber auch von Katastrophen gekennzeichnet. Zwischen 1631 und 1656 geschahen eine Naturkatastrophe, eine soziale Revolte und eine Epidemie. Der Vesuv brach 1631 aus, wodurch die Städte Herkulaneum und Pompeji verschüttet wurden und dessen Ausbruch 3.000 Menschenleben forderte. Die Revolte des Masaniello 1647 war die zweite Katastrophe. Der Fischhändler Tommaso Masaniello kam im Zuge einer Hunger- und Steuerrevolte für zehn Tage an die Macht und wurde am Ende von seinen eigenen Anhängern ermordet. 1656 fand die dritte Katastrophe statt, denn die Pest suchte Neapel heim und rund 200.000 Menschen starben dadurch, was die Halbierung der Bevölkerung bedeutete. (RICHTER, 2012, S.19-73)

69 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Nach dem Tod des letzten spanischen Habsburgers wurde das Vizekönigtum im Frieden von Utrecht 1713 den österreichischen Habsburgern zugesprochen. In den 27 Jahren der Herrschaft der österreichischen Habsburger änderte sich nicht viel im Stadtbild Neapels. In Folge des Spanischen Erbfolgekriegs kamen die Bourbonen an die Macht. Don Carlos wurde König unter dem Titel König beider Sizilien, womit Süditalien ein selbstständiges Königreich und Neapel zur Hauptstadt wurde. Der König verfolgte die Politik des aufgeklärten Absolutismus. Der Premierminister verringerte die Rechte der Kirche, verhinderte die Einführung römischer Inquisitionsgerichte und schickte die Jesuiten fort. Der freie Handel mit der muselmanischen Welt erfuhr eine neue Blüte, wie es bereits im Mittelalter der Fall war. Auch das Stadtbild erfuhr Veränderungen: die Uferstraße wurde angelegt und in der östlichen Verlängerung entstanden vornehme Landhäuser. Neapel wurde das Muster einer zur Landschaft hin offenen Stadt. Der König ließ oberhalb der Stadt ein neues Schloss errichten: Capodimonte, ein klassizistischer Bau. Des Weiteren ließ er das Schloss von Caserta errichten, ein weiterer klassizistischer Bau, außerhalb der direkten Reichweite der Stadt. (RICHTER, 2012, S.19-73)

Abbildung 14: Der Palast Reggia di Capodimonte

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahme, 2018.

Das Revolutionsjahr 1799 war bedeutend für die soziale und politische Entwicklung der Stadt. Als Reaktion auf die Französische Revolution wurde die Parthenopeische Republik ausgerufen, die aber nur einige Monate währte. Im Jahr 1806 wurde die Stadt von französischen Truppen

70 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse eingenommen. Napoleons Bruder Joseph regierte zuerst und auf ihn folgte Napoleons Schwager, die neue Straßen anlegten und Klöster in Schulen, Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen umfunktionieren ließen. Auch das Schulsystem wurde nach damaligem Vorbild umgestaltet. Nach dem Wiener Kongress kam wieder Ferdinand IV., Bourbonen-König, an die Macht. Die Neapolitaner freundeten sich mit den Ideen des Risorgimentos, der italienischen Einheitsbewegung, an. Dadurch und durch eine Cholera-Epidemie wurde die politische und soziale Lage weiter erschwert. 1860 kam Giuseppe Garibaldi nach Neapel und die Bevölkerung stimmte für das Königreich Italien unter der Savoy-Monarchie, was 1861 schlussendlich auch geschah. (DELLE DONNE, 2016, S.14-20)

Verkehr und Industrie waren nach der Einigung Italiens prägend für die Stadtentwicklung. Durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und durch Erdbeben kam es zu ungehemmter Bau- und Bodenspekulation sowie zum Verlust historischer Bausubstanz. Angrenzend an den Hauptbahnhof entstand eines der aufwendigsten Neubauprojekte. Es entstand ein neues Centro Direzionale, wodurch sich die administrative Baukultur vom Castel Nuovo in Richtung Vesuv verlagerte. (BEYER, 1993)

1884 führte eine Cholera-Epidemie zum Beginn eines umfassenden Sanierungsprojekts: die heruntergekommensten Häuser der armen Bevölkerung am Hafen wurden abgerissen, der Corso Umberto I. entstand und auf dem Vomero Hügel entstand ein neues Wohnviertel. Der Zweite Weltkrieg forderte 20.000 Leben und zerstörte große Teile der Stadt. Die Alliierten marschierten in Neapel ein und setzten eine provisorische Regierung ein. Die alliierten Behörden waren jedoch überfordert und baten die Mafia um Unterstützung, womit der Aufstieg der neapolitanischen Mafia, der Camorra, begann. Trotz des Volksentscheids von 1946, bei dem die Neapolitaner gegen die italienische Republik stimmten, wurde Italien zur Republik. (BONETTO, 2016, S.232-241)

1992 konnte nicht mehr über die illegalen Tätigkeiten hinweggesehen werden und die Antikorruptionskampagne Mani Pulite wurde verkündet, um Korruption und Vetternwirtschaft einzudämmen. Ein Jahr später wurde Antonio Bassolino Bürgermeister und begann mit der Stadtsanierung. Er errichtete Fußgängerzonen, es kam zur Wiedereröffnung von historischen Sehenswürdigkeiten und Museen, sowie der Verbesserung des

71 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse innerstädtischen Verkehrs. 1995 wurde das Centro Storico Neapels von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. (BONETTO, 2016, S.232-241)

4.3 Bevölkerung

4.3.1 Region Kampanien

4.3.1.1 Bevölkerungsentwicklung in der Region Kampanien

Abbildung 15: Bevölkerungsentwicklung der Region Kampanien von 1861 bis 2016

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 a.

Die Bevölkerung der Region Kampanien lag im Jahr 1861 bei 2.402.355 Personen. Diese Zahl wurde im Verlauf der Zeit immer größer, bis sie im Jahr 2017 bei 5.839.084 Personen lag. Vom Jahr 1931 bis 1991 wuchs die Bevölkerung rasant von 3.508.774 auf 5.630.280 Einwohner, wie es auch in der Grafik gut zu erkennen ist. Gut zu sehen ist auch, dass in den Jahren des Ersten und Zweiten Weltkriegs die Bevölkerungszahl weiterhin zunahm. Ab 1991 wuchs die Bevölkerung der Region nur mehr geringfügig.

72 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

4.3.1.2 Bevölkerung nach Alter in der Region Kampanien

Abbildung 16: Altersverteilung in der Region Kampanien 2007

Altersverteilung 2007

15,50% 17,30%

67,20%

0-14 15-64 65+

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 a, eigene Darstellung.

Abbildung 17: Altersverteilung in der Region Kampanien 2017

Altersverteilung 2017

18,20% 15,00%

66,80%

0-14 15-64 65+

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 a, eigene Darstellung.

Im Jahr 2007 hatte die Region Kampanien 5.790.187 Einwohner, wovon 17,3 Prozent zwischen 0 und 14 Jahre alt waren, 67,2 Prozent waren zwischen 15 und 64 Jahre alt und 15,5 Prozent waren 65 Jahre oder älter. Somit kommt man auf ein Durchschnittsalter von 38,6 Jahren. Zehn Jahre später, im Jahr 2017, bei einer Gesamtbevölkerung der Region von 5.839.084 Personen 73 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse waren 15 Prozent der Einwohner der Region zwischen 0 und 14 Jahre alt, 66,8 Prozent der Einwohner waren zwischen 15 und 64 Jahre alt und über 65 Jahre waren 18,3 Prozent der Bevölkerung. Dies bedeutet einen Anstieg des Durchschnittsalters auf 41,6 Jahre.

Da die Altersgruppe der 15- bis 64-jährigen die größte Spannweite aufweist, ist es auch nachvollziehbar, dass hier in beiden angegebenen Jahren die Bevölkerungszahlen am größten waren. Bei den Personen von 0 bis 14 Jahren konnte man einen Anstieg von 2,7 Prozent von 2007 auf 2017 verzeichnen, wohingegen die Bevölkerung über 65 Jahre in zehn Jahren um 2,3 Prozent abnahm.

4.3.1.3 Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Region Kampanien

Im Jahr 2006 betrug die Gesamtbevölkerung der Region Kampanien 5.790.187. Von diesen 5.790.187 waren 98.052 Ausländer, was 1,7 Prozent der Bevölkerung ausmachte. Zehn Jahre später lag die Gesamtbevölkerung bei 5.839.084, wovon 243.694 Ausländer waren. Somit kommt man auf 4,2 Prozent im Jahr 2016. Dies bedeutet einen Anstieg der ausländischen Bevölkerung von 2,5 Prozent in zehn Jahren. Durch die vielen Flüchtlinge, die jedes Jahr in Italien ankommen, stieg auch der Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Region Kampanien. (COMUNI ITALIANI, 2018 a)

4.3.1.4 Bevölkerungsbilanz der Region Kampanien

Tabelle 1: Bevölkerungsbilanz der Region Kampanien 2016

Bevölkerung 1. Jänner 5.850.850 Geburten 50.384 Todesfälle 53.044 natürliches Saldo -2.660 Abwanderung -9.106 Bevölkerung 1. Dezember 5.839.084 Arbeitsgrundlage: ISTITUTO NAZIONALE DI STATISTICA, 2016, eigene Darstellung.

Die Bevölkerung, la popolazione residente, besteht aus allen Personen, die für gewöhnlich in der Region Kampanien leben, auch wenn sie vorübergehend abwesend sind. Dies waren 74 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Anfang Jänner 2016 insgesamt 5.850.850 Personen und Ende des Jahres 5.839.084. Dies bedeutet, dass die Bevölkerung der Region in einem Jahr um 11.766 Personen weniger wurde. (ISTITUTO NAZIONALE DI STATISTICA, 2016)

Durch die Anzahl an Geburten stieg die Gesamtbevölkerung und durch Todesfälle wurde sie verringert. Es gab 2016 50.384 Geburten. Diese Zahl bezieht sich auf das Datum der Registrierung und nicht auf den tatsächlichen Tag der Geburt. Nicht in dieser Zahl mitinbegriffen sind Babys, die von nicht ansässigen Eltern geboren wurden. Jedoch starben 2016 53.044 Personen. Auch die Zahl der Sterbefälle bezieht sich auf das Datum der Meldung und nicht auf den Tag des Todes. Wieder nicht in der Zahl inkludiert sind Todesfälle von nicht ansässigen Italienern. Im Jahr 2016 starben also 2.660 Personen mehr, als geboren wurden. 9.106 Personen verließen die Region in dem Jahr, weshalb die Zahl der Gesamtbevölkerung sank. Die Abwanderungen waren sehr hoch, was auch mit den schlechten Jobchancen in der Region zu tun hat. (ISTITUTO NAZIONALE DI STATISTICA, 2016)

4.3.2 Provinz Neapel

4.3.2.1 Bevölkerungsentwicklung der Provinz Neapel

Abbildung 18: Bevölkerungsentwicklung der Provinz Neapel von 1861 bis 2016

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 b.

75 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Im Jahr 1861 lebten in der Provinz Neapel 951.026 Personen. Diese Zahl stieg bis ins Jahr 2017 auf 3.107.006 Einwohner. Speziell von 1901 bis 1971 kam es zu einem rasanten Anstieg der Bevölkerung. Ab diesem Zeitpunkt verlief das Wachstum der Bevölkerung in geringerem Ausmaß, was auch in der Grafik durch eine waagrechtere Linie gekennzeichnet ist.

4.3.2.2 Bevölkerung nach Alter in der Provinz Neapel

Abbildung 19: Altersverteilung in der Provinz Neapel 2007

Altersverteilung 2007

13,90% 18,30%

67,80%

0-14 15-64 65+

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 b, eigene Darstellung.

Abbildung 20: Altersverteilung in der Provinz Neapel 2017

Altersverteilung 2017

17,10% 15,80%

67,10%

0-14 15-64 65+

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 b, eigene Darstellung. 76 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

2007 lebten in der Provinz Neapel 3.082.756 Menschen, davon sind 18,3 Prozent zwischen 0 und 14 Jahren, 67,8 Prozent zwischen 15 und 64 Jahren und 13,9 Prozent über 65 Jahre alt. Dies ergibt ein Durchschnittsalter von 37,6 Jahren. 2017 war die Gesamtbevölkerung um 24.250 Personen gestiegen und die Altersverteilung sah wie folgt aus: 15,8 Prozent entfielen auf Personen zwischen 0 bis 14 Jahre, 67,1 Prozent auf 15- bis 64-jährige und 17,1 Prozent auf über 65-jährige. Somit gab es einen Anstieg des Durchschnittsalters auf 40,7 Jahre.

Auch in der Provinz Neapel entfällt der Großteil der Bevölkerung auf die Gruppe der zwischen 15- und 64-jährigen, da diese Gruppe die größte Spannweite hat. Auch der Anteil an der Bevölkerung änderte sich in zehn Jahren nur sehr gering und wurde um 0,7 Prozent weniger. Die Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren sank in den zehn Jahren um 2,5 Prozent und die Gruppe der über 65-jährigen stieg hingegen um 3,2 Prozent.

4.3.2.3 Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Provinz Neapel

Von 47.577 Ausländern im Jahr 2006 stieg diese Zahl in zehn Jahren auf 123.733 Personen aus dem Ausland. Im Jahr 2006 waren dies 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung und im Jahr 2016 bereits 4 Prozent. Dies bedeutet einen Anstieg der ausländischen Bevölkerung von 2,5

Prozent. Auch dieser Anstieg lässt sich mit den etlichen ankommenden Flüchtlingen, die ein neues Zuhause suchen, erklären. (COMUNI ITALIANI, 2018 b)

4.3.2.4 Bevölkerungsbilanz der Provinz Neapel

Tabelle 2: Bevölkerungsbilanz der Provinz Neapel 2016

Bevölkerung 1. Jänner 3.113.898 Geburten 28.079 Todesfälle 26.527 natürliches Saldo 1.552 Abwanderung -8.444 Bevölkerung 1. Dezember 3.107.006 Arbeitsgrundlage: ISTITUTO NAZIONALE DI STATISTICA, 2016, eigene Darstellung.

77 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Die Bevölkerung in der Provinz Neapel lag am 1. Jänner 2016 bei 3.113.898 Personen und am 1. Dezember desselben Jahres waren es um 6.892 Personen weniger. Die Zahl der Geburten lag bei 28.079 und die der Todesfälle bei 26.527, womit man auf eine Bevölkerungszunahme von 1.552 Personen kommt. Jedoch wanderten 8.444 Personen aus der Provinz Neapel ab, weshalb die Zahl der Gesamtbevölkerung im Jahr 2016 sank. Auch in der Provinz Neapel gab es viele Abwanderungen, was mit der schlechten Aussicht auf Jobs zu tun hat.

4.3.3 Stadt Neapel

Die Stadt Neapel hatte im Jahr 2017 970.185 Einwohner auf einer Fläche von 117,27 km2 und die Dichte der Bevölkerung lag bei 8.306,3 Bewohnern pro km2. Die Stadt ist die drittgrößte nach der Einwohnerzahl, hinter Rom und Mailand. (COMUNI ITALIANI, 2018 c)

4.3.3.1 Bevölkerungsentwicklung der Stadt Neapel

Abbildung 21: Bevölkerungsentwicklung der Stadt Neapel von 1861 bis 2016

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 c.

Im Jahr 1861 betrug die Gesamtbevölkerung der Stadt Neapel 484.026 Einwohner. Im Laufe der Zeit wuchs und sank diese Zahl bis ins Jahr 2017 auf 970.185 Bewohner. Diese Grafik weist mehr aufs und abs auf, als jene der Region Kampanien und der Provinz Neapel. Vom Jahr 1861 bis ins Jahr 1921 wuchs die Bevölkerung der Stadt, danach gab es eine Verringerung der 78 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Bevölkerung um 3,2 Prozent von 859.629 im Jahr 1921 auf 831.781 im Jahr 1931. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Bevölkerung rasant an. Im Jahr 1971 verzeichnete die Stadt den Höchststand der Bevölkerung von 1.226.594 Personen. In den darauffolgenden Jahren sank diese Zahl immer weiter und lag im Jahr 2017 wieder unter der eine Million Marke bei 970.185.

4.3.3.2 Bevölkerung nach Alter in der Stadt Neapel

Abbildung 22: Altersverteilung in der Stadt Neapel 2007

Altersverteilung 2007

17,10% 16,40%

66,60%

0-14 15-64 65+

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 c, eigene Darstellung.

79 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 23: Altersverteilung in der Stadt Neapel 2017

Altersverteilung 2017

19,30% 14,70%

66,10%

0-14 15-64 65+

Arbeitsgrundlage: COMUNI ITALIANI, 2018 c, eigene Darstellung.

Im Jahr 2007 lebten in der Stadt Neapel 975.139 Personen, davon waren 16,4 Prozent zwischen 0 und 14 Jahre alt, 66,6 Prozent zwischen 15 und 64 Jahre alt und 17,1 Prozent über 65 Jahre alt. Somit kommt man auf ein Durchschnittsalter von 39,8 Jahren. Zehn Jahre später, im Jahr 2017, bei einer Gesamtbevölkerung der Stadt von 970.185 Personen, waren 14,7 Prozent der Einwohner zwischen 0 und 14 Jahre, 66,1 Prozent der Einwohner waren zwischen 15 und 64 Jahre und über 65 Jahre waren 19,3 Prozent der Bevölkerung. Dies bedeutet einen Anstieg des Durchschnittsalters auf 42,2 Jahre.

Auch in der Stadt Neapel ist der Großteil der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahre alt und der Anteil an der Bevölkerung verringerte sich in zehn Jahren nur gering um 0,5 Prozent. Der Anteil der 0- bis 14-jährigen sank um 1,7 Prozent, wohingegen der Anteil der über 65-jährigen um 2,2 Prozent stieg.

4.3.3.3 Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Stadt Neapel

2006 betrug die Gesamtbevölkerung der Stadt Neapel 975.139, wovon 19.188 Ausländer waren, was zwei Prozent der Bevölkerung ausmachte. 2016 lag die Gesamtbevölkerung bei 970.185, also um 4.954 Personen weniger als zehn Jahre zuvor. Jedoch war die Zahl der

Ausländer auf 55.652 gestiegen, was 5,7 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Dies bedeutet einen Anstieg der ausländischen Bevölkerung von 3,7 Prozent in zehn Jahren. 80 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Durch viele Flüchtlingswellen, vor allem Flüchtlingen aus Afrika, die nach Italien kamen und häufig in Lampedusa ankamen, stieg auch der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Neapel. (COMUNI ITALIANI, 2018 c)

4.3.3.4 Bevölkerungsbilanz der Stadt Neapel

Tabelle 3: Bevölkerungsbilanz der Stadt Neapel 2016

Bevölkerung 1. Jänner 974.074 Geburten 8.199 Todesfälle 9.717 natürliches Saldo -1.518 Abwanderung -2.371 Bevölkerung 1. Dezember 970.185 Arbeitsgrundlage: ISTITUTO NAZIONALE DI STATISTICA, 2016, eigene Darstellung.

Die Bevölkerung in der Stadt Neapel betrug Anfang 2016 974.074 Personen und am Ende des Jahres 970.185, also um 3.889 Personen weniger. Die Zahl der Geburten lag bei 8.199 und die der Todesfälle bei 9.717, womit man auf eine Bevölkerungsabnahme von 1.518 Personen kommt. Zusätzlich dazu verließen 2.371 Personen die Stadt, wodurch die Bevölkerung weiter schrumpfte. Die Abwanderungen kann man dadurch erklären, dass die jungen Neapolitaner häufig die Stadt oder sogar das Land verlassen, um bessere Jobchancen zu haben.

4.3.3.5 Die Bevölkerung in den Municipalità Neapels

In Neapel gibt es zehn Municipalità, also zehn Verwaltungseinheiten, in die die 30 Quartieri, Bezirke, gegliedert werden. Diese werden im Kapitel 4.4.2 näher erläutert.

81 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 24: Die Bevölkerung („popolazione residente“) in den Municipalità 2016

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2016.

Im Jahr 2016 war die Municipalità 6, mit den Bezirken Ponticelli, Barra und San Giovanni a Teduccio, jene mit der meisten Bevölkerung der Stadt und die Municipalità 1, bestehend aus den Bezirken San Ferdinando, Chiaia und Posillipo, beheimatete hingegen den geringsten Anteil der Bevölkerung. Die Aufteilung der Bevölkerung ist vor allem für die Bevölkerungsdichte interessant.

Abbildung 25: Die Flächenausdehnung der Municipalità in km2

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2016.

Die Municipalità 6 beheimatet nicht nur die meiste Bevölkerung der Stadt, sondern ist auch flächenmäßig das größte Gebiet. Durch die Größe der Municipalità lässt sich auch der große Anteil an der Bevölkerung erklären. Die geringste Größe hat die Municipalità 2, mit den

82 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Bezirken San Giuseppe, Montecalvario, Avvocata, Mercato, Pendino und Porto, die beim Anteil der Bevölkerung im Mittelfeld lag.

Abbildung 26: Die Bevölkerungsdichte der Municipalità 2016

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2016.

Die Bevölkerungsdichte ist das Verhältnis der Einwohnerzahl zur Fläche, also die Einwohnerzahl pro km2. Die Bevölkerungsdichte ist, wie es sich bereits abzeichnete, in der Municipalità 2 am höchsten. Am geringsten ist die Bevölkerungsdichte in der Municipalità 8, die die Bezirke Chiaiano, Piscinola Marianella und Scampia umfasst, da es die zweitgrößte Municipalità ist, jedoch den drittwenigsten Anteil an der Gesamtbevölkerung hatte. Obwohl in der Municipalità 6 am meisten Bewohner leben, liegt die Municipalità 6 nur an vorletzter Stelle der Bevölkerungsdichte, da das Gebiet am größten ist und somit in anderen Municipalità mehr Einwohner auf geringerem Gebiet wohnen.

83 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 27: Das Durchschnittsalter der Bewohner der Municipalità 2016

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2016.

Die Grafik zeigt, dass das Durchschnittsalter der Bewohner in der Municipalità 5, also in den Bezirken Vomero und Arenella, mit 47,09 Jahren am höchsten ist. Das Durchschnittsalter ist in der Municipalità 6 mit 40,24 Jahren am geringsten, was darauf schließen lässt, dass hier ein großer Anteil der jungen Bevölkerung lebt.

Abbildung 28: Der Anteil der Ausländer in den Municipalità 2016

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2016.

84 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

In der Grafik sieht man den Anteil der Italiener in hellgrau und den Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung der Municipalità Neapels in dunkelgrau. Den geringsten Anteil an Ausländern fand man 2016 in den Municipalità 10, 9, 8 und 7 und in den Municipalità 1 bis 4 wohnten die meisten Ausländer. Der größte Anteil an Italienern lebte in den Municipalità 5 und 6.

4.4 Räumliche Gliederung

Die Stadt Neapel ist in 30 Bezirke, Quartieri, gegliedert, die wiederrum in zehn Verwaltungsbezirken, Municipalità, zusammengefasst werden. Diese gliedern die Stadt politisch und verwaltungstechnisch. Davon ausgenommen sind die Stadtviertel, die sogenannten Rioni. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 a)

4.4.1 Quartieri

Abbildung 29: Die 30 Quartieri Neapels

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 a.

85 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Neapel ist in 30 Quartieri gegliedert und diese heißen wie folgt (COMUNE DI NAPOLI, 2001 a):

1. San Ferdinando 2. Chiaia 3. San Giuseppe 4. Montecalvario 5. Avvocata 6. Stella 7. San Carlo all’Arena 8. Vicaria 9. San Lorenzo 10. Mercato 11. Pendino 12. Porto 13. Vomero 14. Arenella 15. Posillipo 16. Poggioreale 17. Zona Industriale 18. Bagnoli 19. Fuorigrotta 20. Soccavo 21. Pianura 22. Chiaiano 23. Piscinola Marianella 24. Miano 25. Secondigliano 26. Scampia 27. San Pietro a Patierno 28. Ponticelli 29. Barra 30. San Giovanni a Teduccio

86 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

4.4.2 Municipalità

Abbildung 30: Die zehn Municipalità Neapels

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 b.

Die 30 Stadtviertel sind in den folgenden zehn Municipalità zusammengefasst (COMUNE DI NAPOLI, 2001 b):  Municipalità 1: San Ferdinando, Chiaia, Posillipo  Municipalità 2: San Giuseppe, Montecalvario, Avvocata, Mercato, Pendino, Porto  Municipalità 3: Stella, San Carlo all‘Arena  Municipalità 4: Vicaria, San Lorenzo, Poggioreale, Zona Industriale  Municipalità 5: Vomero, Arenella  Municipalità 6: Ponticelli, Barra, San Giovanni a Teduccio  Municipalità 7: Miano, Secondigliano, San Pietro a Patierno  Municipalità 8: Chiaiano, Piscinola Marianella, Scampia  Municipalità 9: Soccavo, Pianura  Municipalità 10: Bagnoli, Fuorigrotta

87 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

4.4.3 Rioni

Politisch-administrative Viertel sind klar abgegrenzte räumliche Einheiten. Viertelsbildungen gehen oft mit Klassenschichtungen einher und es gibt auch jene Viertel, die von der ökonomischen Funktion bestimmt werden, wie das Bankenviertel oder das Einkaufsviertel. Diese Viertel sind jedoch keine stabilen Einheiten, da es mit der Zeit zu Veränderungen kommen kann: sie können vergrößert, verkleinert, aber auch aufgelöst werden. (LICHTENBERGER, 2011, S.105-107) Auch in Neapel kam es im Laufe der Zeit zu Veränderungen der Stadtviertel. Die aktuellen Stadtviertel, Rioni, Neapels heißen wie folgt (WIKIPEDIA, 2015):

 Agnano  Forcella  Rione Alto  Foria  Rione Amedeo  Frullone  Rione Antignano  Gianturco  Arenaccia  Rione La Loggetta  Borgo dei Vergini  Marechiaro  Borgo Orefici  Marianella  Borgo Santa Lucia  Materdei  Borgo Sant’Antonio Abate  Mergellina  Collina dei Camaldoli  Montesanto  Capodichino  Nazaret  Capodimonte  Nisida  Cariati  Quartieri Spagnoli  Rione Carità  Petraio  Casenuove  Piedigrotta  Cavone  Pignasecca  Centro Direzionale  Pisani  Centro Storico  Ponti Rossi  Colli Aminei  Rione Sanità  Coroglio  Rione Traiano  Rione De Gasperi  Vasto  Doganella  Vigliena  Duchesca  Zona Ospedaliera 88 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

4.4.4 Bezirke im Zentrum und am Stadtrand

Um eine genaue Vorstellung davon zu haben wie sich die sozio-ökonomischen Merkmale der Stadt im Gebiet verteilen, wurde Neapel in das Zentrum und den Stadtrand aufgeteilt. Die Bezirke, die diese beiden großen Bereiche bilden, wurden wiederum in Gruppen geteilt. Man kann drei verschiedene Gruppen von Bezirken im Zentrum sowie am Stadtrand identifizieren. Im Zentrum sind Bezirke mit ähnlichen Merkmalen nicht immer zusammenhängend, wohingegen dies am Stadtrand häufiger der Fall ist. Im Folgenden wird der Bezirk 17, die Zona Industriale, als 16a dargestellt und die darauffolgenden Bezirke erhalten somit eine Nummer niedriger, wodurch nur die Zahlen bis 29 auf der Abbildung aufscheinen. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Abbildung 31: Die Aufteilung der Bezirke in Zentrum und Stadtrand

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c.

89 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Zum Zentrum zählen (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c):  die hochrangigen Bezirke: Chiaia, San Giuseppe, Vomero, Arenella, Posillipo,  die mittelrangigen Bezirke: San Ferdinando, Avvocata, San Carlo all’Arena, Porto, Fuorigrotta und  die niederrangigen Bezirke: Montecalvario, Stella, Vicaria, San Lorenzo, Mercato, Pendino.

Zum Stadtrand gehören die folgenden Bezirke, die in die folgenden Gruppen unterteilt wurden (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c):  die nordwestlichen Bezirke: Chiaiano, Bagnoli, Soccavo, Pianura,  die nördlichen Bezirke: Piscinola, Miano, Secondigliano, Scampia, San Pietro a Patierno und  die östlichen Bezirke: Poggioreale, Zona Industriale, Ponticelli, Barra, San Giovanni a Teduccio.

Abbildung 32: Die Bezirke im Centro Storico

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c. 90 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Das Centro Storico besteht aus den Bezirken San Ferdinando, Chiaia, San Giuseppe, Montecalvario, Avvocata, Stella, San Lorenzo, Pendino und Porto. Eine wichtige Konsequenz der sehr starken Entvölkerung der Altstadt ist die soziale Differenzierung der verbleibenden Einwohner, die sich größtenteils auf der höchsten und niedrigsten Ebene der gesellschaftlichen Hierarchie befinden, wie zum Beispiel San Ferdinando. Diejenigen, die das Zentrum in einer ersten Periode verlassen haben, taten dies vor allem in Richtung Posillipo, Vomero und Fuorigrotta. Es waren vor allem reiche und mittelständische Familien, die in diesen Gebieten Wohnungen, die besser zu ihren sozialen Bedingungen passten, suchten. Zu einem späteren Zeitpunkt waren es vor allem die Vororte, in die die Familien, meist Familien mit niedrigem Einkommen, zogen und Wohnungen in den neuen beliebten Wohnbezirken Ponticelli, Barra, Soccavo, Miano und Secondigliano suchten. Je peripherer die Residenzen, desto geringer ist das Einkommen der Bevölkerung, die sich dort niedergelassen hat. Aber die Bevölkerung mit niedrigerem Einkommen, oft auch unterhalb der Armutsgrenze und oft ohne fixen Wohnsitz, bleibt meist in ihren alten Wohnhäusern im Centro Storico, da sie sich einen Umzug nicht leisten kann. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Abbildung 33: Die hochrangigen Bezirke („quartieri agiati“) im Zentrum

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c. 91 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Diese erste Gruppe der Bezirke unterscheidet sich stark vom Rest der Stadt, aufgrund der besseren sozialen Bedingungen seiner Bewohner. Hier befindet sich die höchste Anzahl von Absolventen, Unternehmern, Freiberuflern und Mitarbeitern des tertiären Sektors und es gibt die geringste Anzahl an Analphabeten. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Chiaia und San Giuseppe, wie das gesamte Stadtzentrum, weisen trotz eines sehr starken Bevölkerungsrückgangs weiterhin eine hohe Dichte an Bewohnern auf. Vomero, Arenella und Posillipo haben im Gegensatz zu den ersten beiden Bezirken die wohlhabenden Familien aus dem zentralen Bereich von Neapel, auf der Suche nach schönen Unterkünften, aufgenommen und somit stieg die Bevölkerungszahl schnell an. Auch wenn in den Bezirken Vomero und Posillipo der Reichtum nicht so gezeigt wird, liegt der Lebensstandard hier über dem der anderen Bezirke der Innenstadt und der gesamten Peripherie. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Abbildung 34: Die mittelrangigen Bezirke („quartieri medi“) im Zentrum

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c.

92 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

In diesen Bezirken befindet sich die mittelständische Bevölkerung. Fuorigrotta ist der einzige Bezirk unter den mittelrangigen Bezirken, der eine Erhöhung der Bevölkerung nachzuweisen hat, sowie die Möglichkeit der Schaffung neuer Siedlungen und wichtigerer Fakultäten. Porto erfuhr den größten Rückgang der Bevölkerung der ganzen Stadt, was dazu führte, dass es zu radikalen urbanen Transformationen kam. Es kam zur Umwandlung in Büros von vielen vorher für den Wohnungsbau genutzten Gebäuden. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Abbildung 35: Die niederrangigen Bezirke („quartieri disagiati“) im Zentrum

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c.

In diesem Teil der Innenstadt wohnt vor allem die arme Bevölkerung. Merkmale dafür sind die verlassenen Gebäuden und die unsicheren Lebensbedingungen sowie die schlechten hygienischen Zustände. Aus diesen Bereichen der Stadt ist die Bevölkerung mit höherem Einkommen in die Bezirke Vomero und Arenella gezogen. Trotz des drastischen Rückgangs der Einwohnerzahlen ist die Bevölkerungsdichte in einigen dieser Bezirke weiterhin sehr hoch. Der Prozentsatz der Analphabeten ist in diesem Gebiet höher als in anderen Bereichen der Innenstadt und auch die Anzahl der Personen pro Zimmer ist um einiges höher. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

93 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 36: Die nordwestlichen Bezirke am Stadtrand

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c.

Soccavo, Pianura und Chiaiano wurden zwischen 1927 und 1928 an Neapel angegliedert. Sie behielten nach Kriegsende die urbane Struktur der alten Gemeinden und große Flächen an Ackerland. Im Laufe der Jahre gab es große Veränderungen und die Änderungen wurden so tiefgreifend, wie die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung. Die große Anzahl der Bauern wurde stark reduziert, bis diese ähnlich hoch wie in den anderen Gebieten der Peripherie war. Diese radikale Transformation ist ein Ergebnis der baulichen Entwicklung. Ehemalige Anbauflächen wurden zubetoniert und etliche Häuser wurden errichtet. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Soccavo und Pianura hatten von 1951 bis 1991 die größte Zunahme der Bevölkerung der ganzen Stadt. In diese Viertel zogen Menschen aus dem Zentrum und aus anderen Bereichen der Stadt. Viele junge Paare fanden in Pianura ein Haus, wodurch der Altersindex der niedrigste von ganz Neapel war. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

94 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Im Nordwesten haben sich im Vergleich zu den anderen Vororten und den benachteiligten Bezirken des Zentrums die Lebensbedingungen verbessert. Im Vergleich zu diesen Vororten und benachteiligten Bezirken gibt es hier weniger Analphabeten, eine geringere Belegung pro Zimmer und eine höhere Anzahl von Absolventen, Unternehmern und Freiberuflern. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Abbildung 37: Die nördlichen Bezirke am Stadtrand

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c.

Das ganze Gebiet nördlich der Stadt hat eine chaotische Bebauung erlebt. In diesen Gebieten gibt es einige negative Rekorde: in Scampia gibt es die höchste durchschnittliche Größe von Familien und die niedrigste Anzahl von Unternehmern und Freiberuflern, in Miano und San Pietro die höchste Anzahl von Analphabeten und die geringste Zahl an Absolventen. Der Bau von großen sozialen Wohnbau-Bezirken, die einen extremen Mangel an Dienstleistungen und Arbeitsplätzen aufweisen, machen diese Bezirke zu denjenigen mit den schwierigsten Lebensbedingungen. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

95 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 38: Die östlichen Bezirke am Stadtrand

0 5 10 km

Arbeitsgrundlage: COMUNE DI NAPOLI, 2001 c.

Ponticelli, Barra und San Giovanni sind Bezirke, die an die Stadt im Jahre 1926 für die Realisierung des großen Neapel angegliedert wurden. Das gesamte Gebiet gilt als Industriegebiet der Stadt, denn hier gibt es die meisten Industriebetriebe. 1981 und 1991 hatte Ponticelli die höchste Anzahl an Bauern und Barra sowie San Giovanni die höchste Anzahl von Mitarbeitern in der Industrie. Die sehr hohe Anzahl von Analphabeten und die sehr niedrige Anzahl von Absolventen, Unternehmer und Freiberufler zeigen, dass die wirtschaftlichen Bedingungen für Bewohner im Osten nur durch jene der nördlichen Vororte verbessert werden. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

4.4.5 Das Strukturschema der süditalienischen Stadt

Die süditalienische Stadt unterscheidet sich von den mitteleuropäischen Städten aufgrund ihrer Struktur und der Anordnung der Gebäudetypen und innerstädtischen Funktionen. Das folgende Strukturschema wurde für sizilianische Städte entwickelt, ist aber für den ganzen Mezzogiorno gültig. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

96 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 39: Das Strukturschema der süditalienischen Stadt

Arbeitsgrundlage: SABELBERG, 1985, S.20.

In der süditalienischen Stadt gibt es eine Zweiteilung im Grundriss und der Bausubstanz: es gibt einen älteren Kern mit unregelmäßigem Straßengrundriss und es gibt die regelmäßig angelegte Neustadt. Die Neustadt entstand in Phasen, in denen es ein starkes Siedlungswachstum gab. (SABELBERG, 1985, S.19-31) Auch in Neapel gibt es einen alten Teil der Stadt, Paläopolis und den neuen Teil der Stadt, Neapolis, der nach einem rasterförmigen Plan errichtet wurde und der bereits sehr früh entstanden ist. (BARBIERI, ALMAGIÀ, 1971, S.542-550)

4.4.5.1 Die Altstadt

Der ältere Kern der Städte Süditaliens zeigt ein dichtes Netz unregelmäßig verlaufender Straßen mit Sackgassensystemen. Diese Städte sind meist im 17. oder 18. Jahrhundert, aufgrund großer zuvor geschehener Zerstörungen, vor allem im Südosten Siziliens, neu gebaut oder gegründet worden. Den Sackgassengrundriss kann man auf eine ungeregelte, nach innen

97 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse gerichtete Siedlungsverdichtung zurückführen und nur zum geringen Teil auf sarazenische Einflüsse. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

In der Altstadt lassen sich Gebiete unterschiedlicher Struktur mit bestimmten Gebäudetypen unterscheiden. Am häufigsten vertreten sind die ehemaligen Einraumhäuser für niedere soziale Schichten, die aneinander gebaut wurden und eine geringe Grundfläche besitzen. (SABELBERG, 1985, S.19-31) Das historische Zentrum Neapels besteht aus den Bezirken San Ferdinando, Chiaia, San Giuseppe, Montecalvario, Avvocata, Stella, San Lorenzo, Pendino und Porto. In diesen Bereichen kam es zu einer starken sozialen Differenzierung der Bewohner. Vor allem die Bevölkerung, die es sich nicht leisten konnte, blieb in ihren Einraumhäusern im historischen Zentrum, wohingegen diejenigen, die es sich leisten konnten, in andere Bezirke oder Vororte Neapels zogen. (COMUNE DI NAPOLI, 2001 c)

Abbildung 40: Wohnhaus der niedereren Schichten in der Via Carbonara im Bezirk San Lorenzo

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahme, 2018.

Zwischen den Einraumhäuser befinden sich aufwendige Hochhäuser, die ab 1960 errichtet wurden. In den Hochhäusern wohnt die Oberschicht in luxuriösen Eigentumswohnungen und dort befinden sich häufig Praxen, private oder öffentliche Verwaltungsstellen und im

98 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Erdgeschoss hochwertige Geschäfte. Ein weiterer Gebäudetyp sind die Palazzi, die den Straßen in denen sie liegen, oftmals eine Sonderstellung geben. Bei den Palazzi handelt es sich um prächtige Großbauten, meist aus dem Barock, der ehemaligen Oberschicht. Früher waren die Palazzistraßen die Hauptstraßen der Stadt, von wo aus die Wirtschaft gesteuert wurde. Dies änderte sich jedoch und sie wurden zu Gebäuden der niederrangigen Bewohnerschicht, ähnlich anderer Altstadtbereiche. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

Der Kern der Altstadt war oftmals von einer Mauer umgeben, in der es ein Kastell gab. Diese Mauern sind heute meist verschwunden und nur selten kann man sie durch Brüche im Straßenverlauf noch erkennen. Die Mauer kann nicht als Grenze des Centro Storico gesehen werden, da der historische Kern auch Neubaugebiete des 18. und auch des 19. Jahrhunderts einschließt. Vor dem 14. und 15. Jahrhundert war das Kastell Herrschaftssitz der Barone, die sich danach neue Palazzi bauten, weshalb das Kastell meist als einfache Wohnung genutzt wurde, wodurch es nur mehr schwer als solches zu erkennen war. Einige Kastelle wurden aber restauriert und danach als Museen genutzt. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

Eine besondere eigenständige Struktur innerhalb der Altstadt weisen die Prachtstraßen auf. Dort entstanden luxuriöse, mehrstöckige Wohnhäuser und Geschäfte für die Oberschicht, wie auch Bürobauten der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung. Die Prachtstraßen, die im 19. Jahrhundert errichtet wurden, haben zwei charakteristische Funktionen: zum sind sie Corsostraßen und zum anderen hochrangige Geschäftsstraßen. Ohne wirkliche Veränderungen setzt sich die Prachtstraße vom Altstadtkern in die Neubaugebiete fort. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

Ein weiteres Merkmal des Altstadtkerns ist das in der Nähe der Corsostraße liegende zentrale Marktviertel, ein großer täglicher Markt. Hier findet man Waren des untersten Qualitätsniveaus für den täglichen, aber auch lang- und mittelfristigen Bedarf. Der Markt findet auf mobilen Ständen, in Markthallen oder fest installierten Marktbuden statt. (SABELBERG, 1985, S.19-31) In Neapel gibt es einige bekannte Märkte in den einzelnen Bezirken, wo man gut und günstig einkaufen kann. Noch öfters anzutreffen sind Läden, bei denen man im Vorbeigehen, vor allem Gebäck aus Vitrinen, erwerben kann.

99 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Abbildung 41: Offene Verkaufsfläche auf der Piazza Giuseppe Garibaldi im Bezirk Zona Industriale

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahmen, 2018.

4.4.5.2 Die Neubaugebiete

In den Neubaugebieten kann man die Bausubstanz der jüngeren Wachstumsphasen der Stadt schwer voneinander unterscheiden, da gleiche Gebäudetypen in ähnlicher Weise nebeneinander errichtet wurden. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

Ein Gebäudetyp der Neubaugebiete sind schmale Häuser, die meist nicht über sieben mal sieben Meter groß waren. Sie wurden mit den Rückseiten aneinander gebaut und verfügen über keinen Hof oder Garten. Im Erdgeschoss findet man Garagen oder Werkstätten und darüber die Wohnräume der Bevölkerung mit niedrigem Sozialniveau. Diese Gebäude wirken oft unfertig und ähneln den ehemaligen Einraumhäusern der Altstadt. Der Straßengrundriss im Bereich dieser Häuser ist regelmäßig, aber man kann hier Anzeichen einer Sackgassenbildung erkennen. Bauten des sozialen Wohnbaus, Case Popolare, sind in einfacher Bauweise gebaute Hochhäuser, die Mietwohnungen für untere Sozialschichten bieten. Räumlich davon getrennt sind die mehrstöckigen Wohnhäuser der Oberschicht. Hier befinden sich gut ausgestattete Eigentumswohnungen mit Garagen oder Tiefgaragen, jedoch ohne Gärten. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

100 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

In den wenigen jungen Prachtstraßen befinden sich die teuersten Eigentumswohnungen. Ebenfalls in den jungen Prachtstraßen zu finden sind Geschäfte und Büros. Das Warenangebot ist hochrangig und spezialisiert: es gibt Bekleidungsgeschäfte, Pelzmoden, aber auch Delikatessläden und vieles mehr. In diesen Straßen ist der Passantenverkehr relativ gering im Gegensatz zu jenem in den Prachtstraßen des 19. Jahrhunderts. Der Bahnhof liegt meist abseits der hochrangigen Geschäftsstraßen, was jedoch zu ändern versucht wird. (SABELBERG, 1985, S.19-31)

4.5 Persistente Strukturen

Die Struktur der Stadt steht immer im Zusammenhang mit der Bevölkerung, da diese Gebäude, Plätze oder auch Straßen errichten. HOFMEISTER (1994, S.123-141) unterscheidet drei Kriterien:

1. Aufrisselemente, 2. Grundrisselemente und 3. städtische Freiräume.

Bei den Aufrisselementen gibt es sechs Kriterien, die man analysieren kann: die Ausrichtung der Häuser auf die Straße, die Bauweise, das Gebäudealter, das Baumaterial, die Bauhöhe und die Dachform. (HOFMEISTER, 1994, S.123-141)

Bei den Grundrisselementen sind Regelhaftigkeiten von Bedeutung. Es gibt die offene und geschlossene Verbauung. Die geschlossene Verbauung wird geprägt durch Straßenräume, die Baublöcke umschließen, wohingegen bei der offenen Verbauung Bauten als Einzelobjekte frei inmitten eines unverbauten Areals stehen. Somit lassen sich zwei Grundformen der Aufschließung gegenüberstellen: der Straßenraster, auch Schachbrettschema genannt, und das Sackgassenprinzip. Das Rasterschema wurde häufig im Hochmittelalter angewandt, weist jedoch nicht die geometrische Exaktheit der antiken Grundrisse auf. Zwei Besonderheiten lassen sich hervorheben: die Verwendung von Langstreifenblöcken und das Vordergassen- Hintergassen-Prinzip. (LICHTENBERGER, 2011, S.163-172)

101 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Die städtischen Freiräume, dazu zählen alle Arten von Plätzen, Parkanlagen, Friedhöfe, Promenaden und Grünflächen, sind ein weiters Kriterium zur Analyse der Struktur der Stadt. (HOFMEISTER, 1994, S.123-141)

4.5.1 Aufrisselemente

Man kann Neapel als mediterrane Großstadt bezeichnen, die durch soziale und hygienische Missstände geprägt ist. Es gibt den Hafen, Industrieviertel, Hochhäuser der City, große Hotels und Appartementhäuser am Vomerohang, die die modern-dynamische Seite der Stadt darstellen. Wohingegen enge Gassen, Märkte und einräumige Erdgeschoßwohnungen zur traditionell-beharrenden Seite zu zählen sind. (DÖPP, 1968, S.11-31)

4.5.1.1 Sakrale Bauten

In der Altstadt Neapels befinden sich etliche traditionelle, geistliche Institutionen. Auf dem mauerumringten Neapolis-Plateu befinden sich die vier Altpfarrkirchen San Giorgio Maggiore, Santi Apostoli, Santa Maria Maggiore und San Giovanni Maggiore, wovon die erste bereits um 360 vor Christus erbaut wurde. Jede dieser Basiliche Maggiori bezog sich auf eine der vier Regiones der damaligen Stadt, nämlich auf Monta(g)na, Nido oder Nilo, Furcillensis oder Thermensis oder Capuana. Die acht beigegebenen Diakonien hatten seelsorgerische und soziale Aufgaben. (DÖPP, 1968, S.114-139)

Klösterliche Gemeinschaften wählten zunächst geschützte Plätze am Rand oder außerhalb der Stadt. Selten geschah dies im Zentrum, jedoch wenn dies der Fall war, fügte sich die Klosteranalage gut in die Struktur der Stadt ein. Im 14. Jahrhundert kam es zu Veränderungen im Altstadtplan, denn die Stadt dehnte sich aus und es kam zu Veränderungen durch große Konvente im Stadtkern. (DÖPP, 1968, S.114-139)

102 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Tabelle 4: Räumliche Differenzierung der Kirchen und geistlichen Institute 1836 in Prozent

Bevölke- Pfarr- sonstige Mönchs- Nonnen- Kapellen rung kirchen Kirchen klöster klöster Innere Altstadt, 46 57 71 43 50 69 Niedere Quartieri, Östliche Borghi Spanische Quartieri 36 32 19 30 29 17 Nördliche Borghi 11 9 4 17 16 10 Chiaia 7 2 6 10 5 4 Arbeitsgrundlage: DÖPP, 1968, S.129, eigene Darstellung.

46 Prozent der Bevölkerung lebten 1836 in der inneren Altstadt, den niederen Quartieri und den östlichen Borghi, wodurch es hier auch den größten Teil an Pfarrkirchen, sonstigen Kirchen, Mönchs- und Nonnenklöstern und Kapellen gab. Dicht gefolgt von diesen Gebieten waren die Spanischen Quartieri mit 36 Prozent der Bevölkerung. In dem Gebiet gab es auch eine Vielzahl an geistlichen Institutionen, wenn auch nicht so viele wie in der Altstadt, den niederen Quartieri und den östlichen Borghi, was bestimmt auch daran lag, dass in den Spanischen Quartieri um zehn Prozent weniger Personen lebten. Deutlich weniger religiöse Einrichtungen waren in den nördlichen Borghi mit elf Prozent der Einwohner zu finden. Chiaia lag mit sieben Prozent der Bevölkerung und meist einstelligen Prozentwerten der religiösen Institutionen an letzter Stelle.

4.5.1.2 Profanbauten

Im Mittelalter lebte der Großteil der Bevölkerung in einfachen, zweistöckigen Häusern verschiedener Form. Bald wurden sie schmal gebaut und es gab zwei Kammern, eine im Erdgeschoss und eine im Obergeschoss oder es gab enge Wohneinheiten in Baukomplexen. Diese Typen entstanden durch die soziale und demographische Situation. Die volkstümlichen Häuser durften zwei Stockwerke nicht überschreiten und wurden deshalb meist von den Adelspalästen überragt. Profanbauten, die vor dem 14. Jahrhundert erbaut wurden, konnten nicht erhalten bleiben. Im 14. Jahrhundert wurden die Paläste des Hochadels im oberen Teil der Stadt, dem antiken Kerngebiet, errichtet und die angesehenen Bürger siedelten sich im Gebiet um den Hafen an. (DÖPP, 1968, S.139-151) 103 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

In den Spanischen Quartieri ließ sich folgende Unterscheidung der traditionellen Wohnbauten erkennen (DÖPP, 1968, S.139-151):

1. Im oberen Teil der Quartieri, am Hang von Sant’Elmo, befanden sich dem Relief sich anpassende Terrassenstufenhäuser, die einfache, einzeln stehende Häuser waren. Die rustikalen Bauten hatten wenige Stockwerke und einige groteske dekorative Elemente. 2. Die innerstädtischen Adelspalais, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert gebaut wurden, waren repräsentative Bauten von hoher Qualität. Das Piano Nobile war das erste Stockwerk, das sogenannte Prunkgeschoss. Die vor- und randstädtischen Adelspalais wurden meist im 18. Jahrhundert errichtet und hatten schlichte Fassaden und einen durchlaufenden Balkon. 3. In den Wohnhäusern, Edilizia Media, wohnten Angehörige des niederen Adels oder auch Theaterleute. Die Gliederung und Verzierung der Fassade wies oft erlesenen Geschmack auf und wegen ihrer Nähe zur Via Toledo und in kurzer Distanz zum Palazzo Reale wurde auf eine repräsentative Wirkung geachtet. 4. Im 19. Jahrhundert gab es Miethäuser für die proletarische Bevölkerung, wodurch Innenhöfe verbaut wurden.

Die Oberschicht prägte die Altstadt dahingehend, dass sie aus Altneapel an die Riviera di Chiaia, Mergellina und den Osten Posillipos zog. Auch die gehobene Mittelschicht zog anschließend zum Vomero und dem Hanggebiet der Riviera, wodurch es zu einem Funktionswechsel kam. Altneapel war geprägt durch prächtige und auch schlichte Wohnbauten und durch einen Wechsel von reich und arm. (DÖPP, 1968, S.139-151)

4.5.1.3 Bassi und Fondachi

Sehr weit verbreitet waren die Einzimmer-Erdgeschosswohnungen in der Altstadt Neapels. In diesen Bassi lebten meist große Familien, die nicht viel Platz in der Wohnung hatten und somit viel Zeit in den angrenzenden Gassen verbrachten. Es gab ein einziges Fenster, das den Bewohnern als kleines Handelsgeschäft oder für handwerkliche Arbeiten diente. Die soziale und hygienische Situation in den Bassi war sehr schlecht, was zu ändern versucht wurde, aber nur zum Teil gelang. (DÖPP, 1968, S.151-167) 104 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Die Situation der Fondachi war jedoch noch schlimmer, als jene der Bassi. Ursprünglich waren sie für Büros und Magazine gedacht, wo Kaufleute ihre Waren lagern und in den Handel bringen konnten. Im Laufe der Zeit und durch den Wohnungsmangel sah sich die niedere Bevölkerung jedoch gezwungen, die Fondachi zum Wohnen zu benutzen, wofür diese eigentlich nicht ausgelegt waren. (DÖPP, 1968, S.151-167)

Im Jahr 1876 gab es 106 Fondachi, die auf die Stadtbezirke aufgeteilt waren. In der Hafenrandzone befanden sich insgesamt 59 Fondachi, davon 28 in Porto, 14 in Pendino und 17 in Mercato. In der inneren Altstadt und dem Borgo Sant’Antonio gab es 24, wovon vier in San Lorenzo und 20 in Vicaria waren. In den westlichen Altstadtvorstädten Chiaia, San Ferdinando, San Giuseppe und Montecalvario gab es fünf Fondachi. Und in den nördlichen Altstadtvorstädten gab es insgesamt 18 Fondachi: 16 in Avvocata und zwei in San Carlo. Im Zuge des Rettifilo-Durchbruchs wurden 28 Fondachi beseitigt, die restlichen 78 blieben aber erhalten. Des Weiteren wurde im Zuge des Wiederaufbaus der hafennahen Viertel weitere Fondachi entfernt. Häufig wird der Begriff auch verwendet, nicht nach historischem Gehalt, sondern um Extremfälle der Wohnsituation darzustellen. (DÖPP, 1968, S.151-167)

4.5.2 Grundrisselemente

Im Stadtbild Neapels spiegelt sich die Tradition, aber auch der Neuerungsdrang wider. Die Stadt am Golf weist einen Raster auf, auf dem sich die urbanen Entwicklungen labyrinthisch verzweigen. Das Raster hat schon seit Beginn der Gründung der Stadt Bestand. Der Kern der Altstadt ist griechisch und der Neapolis-Plan hat sich seit dem 5. Jahrhundert in seinen Grundzügen erhalten. Das Straßennetz ist auf einem erhöhten, seitlich gut befestigten Plateau angelegt worden und weicht von der Nordrichtung ein wenig ab, damit die Stadt vor extremen Winden geschützt ist. Grundlegend für den Grundriss sind die Gedanken von Hippodamos von Milet, die er auch beim Wiederaufbau von Milet anwendete. Es gibt ein System rechtwinklig gezogener Straßen mit drei ost-westlich verlaufenden Straßen und zwanzig Gassen, die in nord-südliche Richtung angelegt wurden. (BEYER, 1993)

Der Decumanus Inferiore, also die untere Straße, begrenzt die antike griechisch-römische Stadt zum Meer hin. Diese lange gerade Strecke wird auch Spaccanapoli genannt, da sie das historische Zentrum in zwei Teile teilt, was bereits durch den Namen vorweggenommen wird, 105 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse da „spaccare“ spalten bedeutet. Zu diesem Stadtgebiet zählen die Vie Maddaloni, Capitelli, Croce, San Biagio dei Librai, Vicaria Vecchia, Giudecca und Tupputi und reicht fast bis zur Piazza Garibaldi. (AZIENDA AUTONOMA DI SOGGIORNO CURA E TURISMO DI NAPOLI, 2018 a)

Abbildung 42: Spaccanapoli

Arbeitsgrundlage: WIKIMEDIA, 2007.

Der Decumanus Superiore erstreckt sich über die Via della Sapienza, den Largo Regina Coeli, die Via Anticaglia und die Via Donnaregina bis hin zur Via Santi Apostoli. Der Decumanus ist lange, geradlinig und begrenzt im Norden das antike Zentrum. Aus der antiken Stadt sind noch einige Elemente erhalten geblieben, wie der Vico Purgatorio und die Via San Paolo, die als halbrunde Kurve die Begrenzung des antiken Amphitheaters bilden, aber auch die griechisch- römischen Elemente, die man in den Bauwerken erkennen kann. (AZIENDA AUTONOMA DI SOGGIORNO CURA E TURISMO DI NAPOLI, 2018 b)

Der Decumanus Maggiore verläuft entlang der Via Tribunale, entlang der man auf viele interessante Bauelemente stößt, wie die zwei Säulen von San Paolo Maggiore, die aus dem Dioskuren-Tempel stammen. Unterhalb der Kirche San Lorenzo Maggiore stößt man auf ein vollständiges Viertel der antiken Stadt und unterhalb des Doms erstreckt sich ein interessantes

106 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse archäologisches Gebiet. Der Decumanus Maggiore endet gegenüber dem Castel Capuano. (AZIENDA AUTONOMA DI SOGGIORNO CURA E TURISMO DI NAPOLI, 2018 c)

4.5.3 Städtische Freiräume

4.5.3.1 Plätze

Wesentliches Element der städtebaulichen Substanz sind die Plätze. Die mittelalterlichen Plätze waren und sind wirtschaftliche Zentren, wohingegen jene aus der Renaissance oder dem Barock Repräsentationsaufgaben bekamen. (LICHTENBERGER, 2011, S.178-181)

Somit sind die Plätze der Neapler Altstadt ein wichtiges Strukturelement, die sich mit der Zeit entwickelt haben. Es gibt außer den historischen Großplätzen und den modernen Plätzen auch zwei Gruppen kleinerer Plätze: zum einen Plätze in der Peripherie, die auf offener Fläche gebaut wurden, und zum anderen Plätze inmitten des Stadtverbandes, die nachträglich hinzugefügt wurden. Der erste Typ ist zum Beispiel der Largo Madonna della Grazie, der sich im Gebiet des Caponapoli befindet und einen Innenhof-Charakter und nicht den eines verkehrsoffenen Platzes hat. Der kleine fast quadratische Largo Regina Coeli gehört der zweiten Gruppe an und befindet sich zwischen der Via San Gaudioso und der Via Pisanelli. (DÖPP, 1968, S.167-185)

Die Larghi oder auch Larghetti schienen die Struktur der Inneren Altstadt aufzulockern, was jedoch unter den spanischen Vizekönigen schwierig war, da es zu einer Gebäude- und auch Bevölkerungsballung kam. Von privater Seite aus wurden deshalb Larghi Proprii, also Plätze mit Privateigentum, errichtet. Ein Beispiel dafür sind die Larghi Proprii Arianiello an der Via Atri. (DÖPP, 1968, S.167-185)

Im Grundrissbild Alt-Neapels befinden sich einige große Plätze, die im Vordergrund stehen. Es handelt sich dabei um einstige Repräsentativplätze, die zur Zeit des hauptstädtischen Neapels von Bedeutung waren. Es gab nicht viele dieser Plätze, aber einer davon ist der Piazza Plebiscito, der ehemalige Schlossplatz. (DÖPP, 1968, S.167-185)

107 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

4.5.3.2 Grünflächen

Im bebauten Stadtraum befinden sich nur wenige Grünflächen vor allem jene, die öffentlich und frei zugänglich sind. Es gibt auch nur wenige erhaltene Grünflächen öffentlichen Charakters aus früherer Zeit. Der Botanische Garten ist 1807 von der Via Foria bis zum Konvent Santa Maria degli Angioli alle Croci entstanden. An dessen östlichem Ende befindet sich der Bau Albergo dei Poveri. Durch seine Funktion blieb der Botanische Garten im Laufe der Zeit erhalten. (DÖPP, 1968, S.185-208)

4.6 Altstadterhaltung und -revitalisierung

Der Verlust an traditionellem Baubestand wurde in den Centri Storici Italiens von Jahrzehnt zu Jahrzehnt größer. Die Ursachen dafür sind sehr verschieden. In den historischen Zentren der Großstädte kam es zu einer weitgreifenden sozialen Umschichtung, denn die zentrale Lage wird nicht mehr nur als kommerzieller Wert gesehen, sondern wird auch wieder als wertvoller Wohnraum erkannt. Eine neue Phase der Altstadtentwicklung hat mit der Rückkehr des höheren Bürgertums begonnen. (ROTHER, TICHY, 2000, S.173-182)

Die historischen Zentren in Süditalien unterscheiden sich grundsätzlich vom mittelitalienischen Typ der Toskana. Die neuen Stadtviertel, vor allem die Corsostraßen, wurden phasenweise für die Verwaltung, den gehobenen Handel und Wohnungen der Oberschichten genutzt, die vorher im historischen Stadtkern lagen. Im Gegensatz zur Toskana wurden die Palazzi hier nicht mehr als Repräsentationsbauten der Oberschicht genutzt und so kam es zum Verfall dieser. Im Centro Storico der süditalienischen Stadt gibt es auch kein einheitliches Verwaltungs- und Handelszentrum, wie dies in Städten im Norden Italiens der Fall ist. (ROTHER, TICHY, 2000, S.173-182)

In Neapel begann die Modernisierung der Altstadt bereits im Jahr 1884, nach einer verheerenden Cholera-Epidemie. Die überfällige Sanierung der Altstadtviertel ist Teil des Prozesses des Sventramento di Napoli, der Erweiterung der Stadt. Die Schriftstellerin Matilde Serao schrieb über die notwendige Sanierung Neapels in ihrem Buch „Der Bauch von Neapel“. Sie schrieb, dass die Armenviertel überbevölkert und die Gassen verschmutzt sind sowie dass die hygienischen Einrichtungen fehlen. (RICHTER, 2012, S.237-240)

108 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Die Innenstadt wurde durch das Risanamento, die Sanierung der Viertel am Hafen und um die Piazza Mercato, verändert. Die Häuser und auch die Schwefelquelle des Santa Lucia Viertels wurden durch neue gründerzeitliche Wohnpaläste ersetzt. Diese Schwefelquelle diente als Attraktion für Touristen, weil Frauen dieses Wasser früher an Touristen verkauften, da es heilsam sein sollte. 1885 wurde eine neue Wasserleitung errichtet, die die ganze Stadt versorgte. Der Corso Umberto I., der sogenannte Rettifilo, wurde errichtet, da die Gegend um die Piazza Mercato saniert wurde. (RICHTER, 2012, S.237-240) Der Piano Ordinatore war als Fortsetzung des Risanamentos gedacht, in dem unter anderem die Erweiterung und Begradigung der Corsea und der Via Guantai im Viertel San Giuseppe-Carità vorgesehen war. (DÖPP, 1968, S.220-232)

Der Piano di Ricostruzione, also der Wiederaufbauplan der zerstörten hafennahen Viertel, trat 1946 in Kraft. Es wurde der Bau von Hochhäusern mit bis zu 18 Stockwerken gestattet. An der Via Marittima wurden etliche Hochbauten errichtet, wobei keine Rücksicht auf die anschließende verarmte Zone genommen wurde. Der Plan hatte den hafennahen Vierteln eher genützt, als er geschadet hat. Er wurde jedoch nicht in allen Belangen verwirklicht, da die privaten über die öffentlichen Interessen gestellt wurden. (DÖPP, 1968, S.220-232)

Ab 1955 wurden in der Stadt Hochhäuser errichtet und ergänzen damit die Bauten am Toledo und um die Piazza Matteotti. Dadurch kam es zu einer anonymen Hochhauslandschaft mit modernen technischen Elementen, die die vorigen bescheideneren Häuser ersetzt haben. Die schmale Parzellierung wurde ersetzt durch zusammengeraffte Grundstücksblöcke, jedoch kam es nicht zur Neuordnung des Straßennetzes. Durch die Vervielfachung der Funktionen in der Stadt kam es zu stärkeren Verkehrsbelastungen. (DÖPP, 1968, S.220-232)

Der Wohnungsbau breitete sich in Neapel immer weiter aus. Das Centro Storico bestand aus überhöhten Privathäusern, die vernachlässigt wurden, nachdem in das Viertel des ehemaligen Adels niedere und mittlere Bevölkerungsschichten zogen. Das Erdbeben 1980 war schwerwiegend für die Altstadtentwicklung. Die Wohnungssituation verschärfte sich danach weiterhin, da viele Wohnungen nicht mehr bewohnbar waren und Familien evakuiert werden mussten. Das 1981 gestartete Notprogramm verzögerte sich zwar, brachte aber immerhin einen Umschwung: der Plan war es am Rand der Area Metropolitana zwölf neue

109 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Wohnsiedlungen zu errichten und die Altstadt zu erneuern. Die Innenstadt veränderte sich stark, denn die historische Bausubstanz wurde teils durch moderne Betongebäude ersetzt. (ROTHER, TICHY, 2000, S.173-182)

Die Lösung vieler urbaner Probleme erhoffte man sich mit der Errichtung des Nuovo Centro Direzionale, das 1989 eingeweiht wurde. Die hochmoderne City entstand hinter dem Hauptbahnhof und sollte das Verkehrsproblem lösen. Des Weiteren wurde, um die Verkehrssituation zu verbessern, der U-Bahnbau begonnen. Die U-Bahnstationen bekamen sogar einige Preise für ihre künstlerische Gestaltung. (DELLE DONNE, 2016, S.38-43) Namhafte Architekten wie Gae Auleni, der den U-Bahnhof Piazza Cavour plante, oder Dominique Perrault, der den Bahnhofsvorplatz des Piazza Garibaldi neugestaltete, waren Teil des Ausbaus des Nahverkehrssystems (PISANI, 2009, S.516-521). Der Ausbau des Schienennetzes jedoch stockte immer wieder, da antike oder mittelalterliche Bauelemente gefunden werden, die gerettet werden müssen, was sehr lange dauert. (DELLE DONNE, 2016, S.38-43)

4.7 Aktuelle Prozesse und Strukturen

4.7.1 Müllproblematik

Abbildung 43: Müll auf den Straßen Neapels

Arbeitsgrundlage: FOCUS ONLINE, 2010.

110 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Seit 1994 kam es in Neapel immer wieder zu Müllkrisen. Dies scheint nicht immer nachvollziehbar zu sein, da etliche Ressourcen für die Müllbeseitigung verwendet werden und die Bürger der Stadt höhere Abfallgebühren als im Rest Italiens zahlen und sich rund 20.000 Müllmänner um den Müll in Neapel kümmern. Das Problem dabei ist, dass es keine aktive Verbrennungsanlage in Kampanien gibt und Mülltrennung nur sehr selten stattfindet. (SPIEGEL ONLINE, 2008)

Ein Beispiel aus dem Jahr 2008 zeigt, wie schlimm die Situation war und das nicht nur einmal, denn der Müll aus Neapel wurde wieder einmal drei Wochen lang nicht weggeschaffen. Es gab meterhohe Türme von Plastiktüten, die an den Straßenrändern lagen und die Gehwege und teilweise auch die Straßen versperrten. Die Bürger waren wütend und zündeten in ihrer Wut den Müll an, was die Situation verschlimmerte, da dadurch Dioxin freigesetzt wurde. (SPIEGEL ONLINE, 2008)

Die Gegend nördlich von Neapel und südlich von Caserta wird auch Feuerland oder Dreieck des Todes genannt, weil hier der Giftmüll aus Europa seit dem Ende der 80er-Jahre hingebracht wurde. Rund 28 Millionen Tonnen Giftmüll wurden in der Region um Neapel vergraben oder verbrannt. Teile des Giftmülls wurden auch mit Beton vermischt und beim Bau von Gebäuden, Autobahnen, Schnellstraßen und Zugtrassen verwendet. Dies geschah, da sich Europäer für die Entsorgung des Sondermülls Geld sparen wollten und sich an die Camorra wandten. (DER STANDARD, 2016)

Die Krebsrate im Feuerland ist um einiges höher als der nationale Durchschnitt und auch die Anzahl an Kindern, die in ihrem ersten Lebensjahr einen Tumor bekamen, ist höher als anderswo. Generell haben sich hier Tumorerkrankungen in den letzten Jahren laut der Lancet- Studie sogar verdreifacht. Bei einer geologischen Studie wurde der Kontaminierungsgrad in der ehemaligen Mülldeponie Resit in Giugliano gemessen. Dabei kam es zu einem erschreckenden Ergebnis, denn im Jahr 2064, wenn das Sickerwasser ins Grundwasser eindringt, würde das gesamte Gebiet wahrscheinlich verseucht sein. Dies gilt auch für andere Orte im Umkreis von Neapel. (DER STANDARD, 2016)

111 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

Das Müllproblem betrifft aber nicht nur Neapel, sondern ganz Italien, da Kampanien ein wichtiger Obst- und Gemüselieferant ist und somit die Produkte in Supermärkten in ganz Europa verkauft werden. Das Problem dabei ist, dass die Früchte mit Arsen oder Schwermetallen belastet sein können. (DER STANDARD, 2016)

Luigi De Magistris, seit 2011 Bürgermeister Neapels, hat nach den Müllkrisen 2007 und 2008 die Raccolta Differenziata, die Mülltrennung, eingeführt und somit die Recyclingquote mehr als verdoppelt. Er ließ auch mehr als 100 Müllcontainer, die von Müll nur so übergingen, durch eingelassene Abfallbehälter und Sammelstellen für Sperrmüll ersetzen. Der Hausmüll wird nun vor der Tür abgeholt: montags Papier, dienstags Glas, mittwochs organische Abfälle und donnerstags Restmüll. Durch diese Maßnahmen soll nicht nur das Stadtbild verschönert, sondern vor allem die Stadthygiene verbessert werden. (DEUTSCHLANDFUNK, 2017)

Abbildung 44: Müllsituation in Neapel 2018

Arbeitsgrundlage: eigene Aufnahme, 2018.

Das Müllgeschäft war lange in der Hand der Camorra, der Mafia Neapels. Somit mussten die korrupten Verstrickungen zwischen Kommunalpolitikern und mafiösen Unternehmen unterbunden werden. Deshalb wurden die Posten bei der städtischen Müllabfuhr ASIA neu

112 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse besetzt. All diese Maßnahmen sind Besserungen, jedoch kann das Problem, das über Jahrzehnte entstanden ist, nicht von heute auf morgen gelöst werden. In Neapel gibt es zu wenige Müllkippen und auch der Bau neuer wird von der Bevölkerung nicht gewünscht. Da es auch keine Müllverbrennungsanlagen gibt, wird der Müll nach Österreich und Deutschland gebracht und verbrannt, was jedoch viel kostet. Der Müll in Neapel ist immer noch ein großes Problem, jedoch ist die Situation verglichen mit vor zehn Jahren deutlich besser geworden. (DEUTSCHLANDFUNK, 2017)

4.7.2 Jugendarbeitslosigkeit

Abbildung 45: 15- bis 34-jährige nicht Beschäftigte und nicht in der allgemeinen und beruflichen Ausbildung

Arbeitsgrundlage: ISTITUTO NAZIONALE DI STATISTICA, 2018.

In dem Diagramm sind die Daten von 2004 bis 2017 der 15- bis 34-jährigen abgebildet, die nicht beschäftigt sind und sich nicht in der allgemeinen oder beruflichen Ausbildung befinden. Zum einen wird die Situation in ganz Italien gezeigt und im Vergleich dazu die Situation in der Region Kampanien. Gut zu erkennen ist, dass Kampanien immer deutlich über dem Durchschnitt von ganz Italien liegt. In den Jahren 2012 und 2014 befand sich die Zahl der nicht beschäftigten und sich nicht in der Ausbildung befindenden jungen Personen am Höchststand und auch im Jahr 2017 kann man von keiner positiven Entwicklung sprechen.

113 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse

In Neapel haben die Politiker jahrzehntelang zugesehen wie etliche junge Menschen das Land verließen, weil sie Arbeit suchten. Diese Zahlen sind im Verlauf der Zeit nicht besser geworden, sondern haben sich verschlechtert. Die Suche nach Arbeit führte in der Folge zu einer demographischen Krise, was zu einem Rückgang der Anzahl an Jugendlichen zwischen 15 und 30 Jahren geführt hat. (BAYERISCHER RUNDFUNK, 2016)

Eine Ursache dafür ist das veraltete Bildungssystem, das wenige Berührungspunkte zum beruflichen Alltag bietet. Vor allem junge Menschen mit Universitätsabschluss verlassen das Land, um bessere Zukunftschancen zu haben. Personen, die das Land nicht verlassen, sind oft gezwungen, Billigjobs oder schlecht bezahlte Praktika zu machen. Eine Folge davon ist, dass 62 Prozent der jungen Menschen noch bei ihren Eltern leben, da sie sich mit ihren schlecht bezahlten Jobs schwer eine Wohnung und noch schwerer eine Familie leisten können. In Folge dessen ist es also nicht verwunderlich, dass die Geburtenrate in Italien immer weiter sinkt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist auch ein Symptom für das strukturelle Problem, wodurch die wirtschaftliche Entwicklung gebremst wird. (BAYERISCHER RUNDFUNK, 2016)

Im Süden Italiens findet nur jeder zweite Jugendliche einen Job, wodurch sich das organisierte Verbrechen ausbreitet. In Neapel ist dies die Camorra, die neapolitanische Mafia. Durch die Folgen der Wirtschaftskrise leiden vor allem die Jugendlichen. Es gibt aber einen „Sektor“, der keine Job-Krisen kennt, denn die Clans der Camorra bieten immer Jobs. Sie versprechen den Jugendlichen schnell viel Geld, was es für die jungen Menschen sehr attraktiv macht. In den Clans der Camorra sind Minderjährige sehr gefragt, da diese bei Straftaten eine geringere Strafe als Volljährige bekommen. Doch diese zweifelhafte Karriere kann schnell vorbei sein, entweder weil man festgenommen oder sogar getötet wird. Besonders brutal sind die sogenannten Babygangs, die zur reinen Machtdemonstration auch hin und wieder in der Stadt mit Pistolen um sich schießen. (SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN, 2017)

4.7.3 Camorra

Die Camorra ist die kriminelle Organisation, die vor allem in den untersten und ärmsten Schichten Neapels verankert ist (TIAMOITALIA, 2009). Wie in der Abbildung zu sehen ist, gibt es unterschiedliche kriminelle Organisationen, die in den Regionen des Südens beheimatet

114 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse sind: die Sacra Corona Unita befinden sich in Apulien, die Camorra in Kampanien, die ‘Ndrangheta in Kalabrien und die Cosa Nostra in Sizilien.

Abbildung 46: Die Herkunftsregionen der Mafia

0 100 200 km

Arbeitsgrundlage: SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN, 2017.

Das Wort Camorra entwickelte sich als Polizeibegriff und wird von Involvierten selbst nicht verwendet. Diese bezeichnen sich selbst als Mitglied eines Systems und verstehen sich als Teil der Familie. Die Camorra steuert einen großen Teil der Geschäfte in Neapel, wie man auch im Abschnitt über die Müllproblematik erkennen konnte, und auch bei der Arbeitssuche der Jugendlichen mischt die Mafia mit. Die Tätigkeitsbereiche der Camorra sind vielfältig wie unter anderem Erpressung, da sie eine Art Steuer von den Unternehmen verlangen, Prostitution, Mitsprache in der Müllwirtschaft, Schmuggel aller Art und Drogenhandel, der der Camorra sehr viel Geld beschert. (TIAMOITALIA, 2009)

Die Camorra agiert mit mehr roher Gewalt, als die anderen kriminellen Vereinigungen in Italien, was auch an einer Mordwelle 2017 zu erkennen ist. Innerhalb von zehn Tagen wurden sieben Menschen umgebracht, die von den Behörden der Camorra zugeschrieben werden,

115 4. Neapel – eine stadtgeographische Analyse wodurch nun ein neuer Mafia-Krieg befürchtet wird. Bei den Opfern handelte es sich um Mitglieder von Clans oder jenen, die mit ihnen Kontakt hatten. (FOCUS ONLINE, 2017)

In Italien finden immer häufiger Razzien gegen die neapolitanische Mafia statt, was zu einer Vielzahl an Festnahmen führt. Es wurden auch Unternehmer, Politiker und Professoren festgenommen, die der Mafia geholfen haben sollen. Des Weiteren soll die „Agro-Mafia“ aktiver bekämpft werden, die in der Landwirtschaft und dem Ernährungssektor tätig ist. Dies soll zum Schutze des Verbrauchers geschehen, da dann unter anderem die Produktion von Plagiaten im Lebensmittelbereich oder falsche Etikettierung strenger bestraft werden sollen. Im Zuge dessen wurden 2016 200.000 Kontrollen durchgeführt. (DER STANDARD, 2017)

116 5. Zusammenschau und Schlussfolgerungen

5. Zusammenschau und Schlussfolgerungen

In diesem abschließenden Kapitel werden die Forschungsfragen, die in Kapitel 1.1 formuliert wurden, versucht, mithilfe der in der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse, zu beantworten.

 Inwiefern unterscheiden sich die urbanen Prozesse und Strukturen in Nord- und Mittelitalien von jenen in Süditalien?

Wie in Kapitel 2 dargestellt, unterscheidet sich die Stadtentwicklung Nord- und Mittelitaliens von jener in Süditalien in gewissen Epochen grundlegend. Diese Situation kam aufgrund der politischen Situation im Land zustande, da vor allem der Süden Italiens von etlichen Fremdherrschern geprägt wurde, was auch heute noch im Stadtbild zu erkennen ist. Bis zum Römischen Reich verlief die Stadtentwicklung ganz Italiens ziemlich ähnlich, danach jedoch gab es Unterschiede in der Entwicklung. Während sich die Städte in Nord- und Mittelitalien von der Feudalordnung lösten und ihre politische, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit als freie Comunen hatten, blieben die antiken Stadttraditionen in Süditalien anfangs noch erhalten und wurden erst später in eine Art feudale Ordnung eingebunden. In Nord- und Mittelitalien gab es eine frühe Industrialisierung und es herrscht die europäische Kultur vor, wohingegen in Süditalien die Landwirtschaft von großer Bedeutung war, die Industrialisierung später einsetzte und es eine mediterrane Kultur gibt. So entwickelten sich der Norden und die Mitte des Landes zu einer modernen Industriegesellschaft, im Gegensatz zum Süden des Landes, der sich nicht zu einer Industriegesellschaft entwickelte.

Nicht nur die Stadtentwicklung verlief in Nord- und Mittelitalien anders als jene in Süditalien, sondern auch die Stadtstrukturen unterscheiden sich. Die Gebäudetypen differenzieren sich hinsichtlich ihrer Struktur und Anordnung in den Centri Storici grundlegend. Durch die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Stagnation kam es oft zu Veränderungen des Aufbaus der städtischen Strukturen in Süditalien, wohingegen es in Nord- und Mittelitalien, nach einer Neuorientierung der Bauten nach dem 13. Jahrhundert, mehr Konstanz in den Gebäuden und deren Funktionen gab.

117 5. Zusammenschau und Schlussfolgerungen

Abschließend kann man dazu sagen, dass es Zeiten der ähnlichen Entwicklung der Städte in ganz Italien gab, es jedoch auch Epochen gab, in denen sich die Städte Nord- und Mittelitaliens anders als jene Süditaliens entwickelten. Der Nord-Süd-Gegensatz ist somit kein Mythos und kann durch die Ergebnisse in den Kapiteln 2 und 3 unterstrichen werden.

 Welche Stadtentwicklungsprozesse und –strukturen haben das Stadtbild von Neapel grundlegend geprägt?

Wie bereits bei der Entwicklung der Städte Süditaliens ist auch der spezielle Fall Neapel von etlichen Fremdherrschern geprägt. Paläopolis war der Grundstein des heutigen Neapels, das zwei Jahrhunderte später um Neapolis erweitert wurde und prägend für die Stadtstruktur war. Neapolis wurde mit einer Stadtmauer umgeben und nach einem rasterförmigen Plan errichtet. Auch die Straßen haben Bedeutung für die heutige Struktur, da sie auch heute den gleichen Verlauf wie damals aufzeigen. Im 11. Jahrhundert begannen die Normannen den Süden Italiens zu unterwerfen und erschufen erstmals ein großes Königreich in Süditalien. Es gab eine lange Reihe fremder Herrscher, die über Neapel bestimmten und die Stadt prägten, was man auch im heutigen Stadtbild noch erkennen kann.

Die Stadt wurde auch von Katastrophen gekennzeichnet: es kam zu Naturkatastrophen, unter anderem der verheerende Ausbruch des Vesuvs im Jahr 1631, die Masaniello Revolte 1647 und auch die Pest-Epidemie 1656, die die Halbierung der Bevölkerung bedeutete. Auch das Revolutionsjahr 1799 war von Bedeutung für die soziale und politische Entwicklung der Stadt. Nach der Einigung Italiens prägten der Verkehr und die Industrie die Stadtentwicklung. Auch einige Sanierungen waren für die Struktur Neapels von Bedeutung. Es kam in Folge des Zweiten Weltkriegs zu ungehemmter Bau- und Bodenspekulation sowie zum Verlust historischer Bausubstanz. Des Weiteren kam die Mafia an die Macht, da die alliierten Behörden überfordert waren und die Mafia um Hilfe baten. Diese Macht wurde versucht ab 1992, durch die Antikorruptionskampagne Mani Pulite, einzudämmen, was aber nicht gelungen ist. Somit ist die Mafia nicht nur damals sondern auch heute prägend für das Stadtbild Neapels.

118 5. Zusammenschau und Schlussfolgerungen

 Inwiefern prägen die aktuellen Prozesse das Stadtbild von Neapel?

Die aktuellen Prozesse prägen das Stadtbild von Neapel nachhaltig. Die Camorra, die neapolitanische Mafia, prägt das Stadtbild Neapels in vielerlei Hinsicht. Die Müllproblematik wird von der Mafia zu ihrem ökonomischen Vorteil ausgenutzt, da es eine große Einnahmequelle ist. Auch die schlechten Aussichten junger Leute auf Jobs werden von der Mafia ausgenutzt, um ihre Organisation zu vergrößern. Weitere Tätigkeitsbereiche der Camorra sind Erpressung, Prostitution, Schmuggel und Drogenhandel. Mit all diesen Tätigkeiten prägen sie die Stadt deutlich.

Ein großes Problem in Neapel, durch das es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Krisen kam, ist der Müll. Er wurde oft wochenlang nicht abtransportiert, was ein Problem für die Stadthygiene darstellte. Noch gravierender sind jedoch die massenhaften Verbrennungen und Vergrabungen von Sondermüll aus ganz Europa, worunter nun die Bevölkerung und dessen Gesundheit leiden müssen. Zumindest das Problem mit dem Müll in Neapels Straßen wurde vom Bürgermeister in Angriff genommen, infolgedessen die Mülltrennung eingeführt worden ist.

Auch die hohe Arbeitslosigkeit junger Menschen prägt das Stadtbild von Neapel, da diese oft das Land verlassen oder gezwungen sind, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Infolgedessen leben sie lange bei ihren Eltern und auch die Geburtenrate ist nun geringer, da sich viele eine Familie nur schwer leisten können.

Abschließend ist zu sagen, dass die Vergangenheit aber auch die Gegenwart die Strukturen des Stadtbilds von Neapel prägen. Viele Prozesse haben dazu geführt, dass die Stadt heute so ist wie sie ist. Aber auch heutige Prozesse prägen und verändern das Stadtbild Neapels.

119 6. Verzeichnis der Arbeitsgrundlagen

6. Verzeichnis der Arbeitsgrundlagen

6.1 Literatur

ALBERS, Gerd (1997): Zur Entwicklung der Stadtplanung in Europa – Begegnungen, Einflüsse, Verflechtungen. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden.

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BEYER, Andreas (1993): Die Stadt, der Golf und der Berg. In: Merian 46.

BEYER, Andreas (2000): Parthenope – Neapel und der Süden der Renaissance. Deutscher Kunstverlag, Berlin.

BONETTO, Cristian; SMITH, Helena (2016): Neapel & Amalfiküste. Mairdumont, Ostfildern.

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FAHMÜLLER, Ernst (1988): Süditalien: Städte – Landschaften – Inseln. Süddeutscher Verlag, München.

FASSMANN, Heinz (2004): Stadtgeographie I – Allgemeine Stadtgeographie. Westermann, Braunschweig.

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GILMOUR, David (2013): Auf der Suche nach Italien – Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart. Klett-Cotta, Stuttgart.

HAUSMANN, Friederike (2009): Italien. Beck, München.

HOFMEISTER, Burkhard (1994): Stadtgeographie. Westermann, Braunschweig. 120 6. Verzeichnis der Arbeitsgrundlagen

LAMPUGNANI, Vittori Magnago (2017): Die Stadt von der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert. Wagenbach, Berlin.

LICHTENBERGER, Elisabeth (2011): Die Stadt – Von der Polis zur Metropolis. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), Darmstadt.

LORENZ, Thuri (1987): Römische Städte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), Darmstadt.

MELLER, Harald; DICKMANN, Jens-Arne (2011): Pompeji – Nola – Herculaneum: Katastrophen am Vesuv. Hirmer, München.

PISANI, Salvatore; SIEBENMORGEN, Katharina (2009): Neapel – Sechs Jahrhunderte Kulturgeschichte. Reimer, Berlin.

RICHTER, Dieter (2012): Neapel – Biographie einer Stadt. Wagenbach, Berlin.

ROTHER, Klaus; TICHY, Franz (2000): Italien. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), Darmstadt.

SABELBERG, Elmar (1984). Regionale Stadttypen in Italien – Genese und heutige Struktur der toskanischen und sizilianischen Städte an den Beispielen Florenz, Siena, Catania und Agrigent. Steiner, Wiesbaden.

SABELBERG, Elmar (1985). Die Süditalienische Stadt. In: Erdkunde, 39, S.19-31.

SABELBERG, Elmar (1988): Die Sanierung historischer Stadtzentren in Italien. In: Geographische Rundschau, 40, S.36-41.

WAGNER, Horst-Günter (2011): Mittelmeerraum. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), Darmstadt.

121 6. Verzeichnis der Arbeitsgrundlagen

6.2 Onlinequellen

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AZIENDA AUTONOMA DI SOGGIORNO CURA E TURISMO DI NAPOLI (2018 c): Decumanus major. Zuletzt geprüft am 03.05.2018 von http://www.inaples.it/deu/dettaglio.asp?idp=307&cod=8.

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FOCUS ONLINE (2017): Sieben Morde in zehn Tagen: Neapel fürchtet sich vor einem neuen Mafia-Krieg. Zuletzt geprüft am 12.05.2018 von https://www.focus.de/politik/ausland/italien- sieben-morde-in-zehn-tagen-neapel-fuerchtet-sich-vor-einem-neuen-mafia- krieg_id_7228745.html.

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