in Fasan torkelt über auf der Bordsteinkante, abfahrbereit

PRIVAT den Rasen, zerzaust ür den Führer.» Das war um , von den Böen, die über kurz nach der Machtergreifung: Edgar die Britischen Inseln konnte noch nicht weit über das Fens- fegen. Ich frage Edgar: tersims schauen, da beobachtete er «Was ist deine früheste fasziniert den Konvoi, in welchem «Winter», Erinnerung an ihn?» sich Hitler und sein Gefolge nach EWir sitzen im ersten Stock seines Berchtesgaden verschoben. Hitler nicht Backsteinhauses in der Nähe von Win- kam jeweils an den Wochenenden aus chester,  erbaut, in Edgars Berlin, ass in seinem Lieblingsrestau- «Hitler» Arbeitszimmer: ein von Büchern rant «Osteria» und zog sich dann auf überülltes Wissensbiotop, mit eigens seine Alpenresidenz zurück. Die Münchner Privatwoh- verfasster Literatur über Königin Vic- nung von lag toria, die Weimarer Republik und Bis- Braune Uniformen im zweiten Stock am marck. Schubladen sind beschriftet Die Zeichen der Veränderungen im Prinzregentenplatz 16 mit «Sister» – Briefe meiner Grossmut- Alltag haben sich in Edgars Hirn ein- und war über 300 Qua- ter aus der Schweiz an Edgar – «Lud- geätzt, das SSBallett, das seine dratmeter gross. Der spä- wig», dem Namen seines Vaters, und Gefolgsleute um den Führer au ühr- tere Führer war bereits «Lion», dem seines Onkels, des ten, die Spannung, die in der Luft lag, 1929 hier eingezogen. Schriftstellers . wenn die Leibwächter in ihren brau- Von der Wohnung der Pferde weiden hier, Schafe grasen, die nen Uniformen aus der Wohnung her- Familie Feuchtwanger an Fenster rahmen malerische Ausblicke austraten, das Au eulen der Moto- der Grillparzerstrasse 38 auf das saftige Hampshire. ren, das Erscheinen vom IHM. Wie er aus konnte Hitlers Woh- «Ich war acht, als ich mit Rosie, knapp salutierte und sich neben den nung teilweise eingese- meinem Kindermädchen, an seinem Chau eur des vordersten Wagens hen werden. Auf dem Wohnhaus vorüberging. Ein Mann mit setzte. Klingelschild von Hitlers Schnauz trat heraus, in seinem hellen Etwa ab Mitte  veränderte sich Wohnung stand nicht Regenmantel mit festgezurrtem Gür- Hitlers Auftritt. Der Bürgersteig vor «Hitler», sondern «Win- tel und Schlapphut. Passanten auf seinem Haus war ür Passanten ter». So hiess die Haushäl- dem Bürgersteig schrien ‹Heil Hitler!›, gesperrt. Der «Führer» trat nur noch terin des kün igen er hob seinen Hut hö ich zur Begrüs- mit Gefolge auf. Es war der Beginn Reichskanzlers. In der sung.» Das war , ein Jahr bevor eines beispiellosen Personenkults, Wohnung soll sich angeb- Hitler Reichskanzler wurde. unterstützt von Funk und Fernsehen lich eine junge Frau und fein choreogra erten Fest- und erschossen haben, mit Dreissig Liegestütze Paradeaktionen. Eine Au ruchstim- der Hitler eine berüch- Edgar ist mein Grossonkel. Er entkam mung, herbeideliriert von einem tigte A äre hatte. Das Hitlerdeutschland nach der Reichs- Grössenwahnsinnigen und seinem Zimmer, in dem sich die nur knapp. Er spricht geblendeten Volk. Frau umgebracht hatte, Deutsch mit englischem Akzent. Edgar geht zum Büchergestell, blieb nach ihrem Tod Bürschi nannten sie ihn. Heute ist er zieht zwei vergilbte Hefte hervor. Er unverändert und für . Er war Professor ür Geschichte an schlägt ein Heft auf, eine aufgehende Besucher unzugänglich. der University of Southampton, hat Sonne, in der steht «Deutschland Angeblich soll auch eine einen Sohn, zwei Töchter, Cambridge- erwacht!», eingerahmt von Haken- Büste von ihr dort aufge- und Oxford-Absolventen. Seit zwei kreuzen. Edgar lächelt. Es sind seine stellt worden sein. Jahren ist er Witwer. Es ist Morgen, Schulhefte aus den Jahren  und Edgar hat seine je dreissig Liegestütze . Ein Eintrag zum Reichsparteitag und Rump eugen hinter sich sowie in Nürnberg. «Deutsch ist die Saar!» die Lektüre des «Daily Telegraph», der mit grossem Ausrufezeichen. Am «Frankfurter Allgemeinen», der «Süd- . April : «Unser Führer feiert deutschen». Wegen Hitler teilt sich seinen . Geburtstag». «Brigitte, sein Leben in ein deutsches und ein siehst du, wie fein säuberlich ich die Das Schulhe des 9-jährigen Edgar Feuchtwanger: «Siehst du, wie fein säuberlich ich die Hakenkreuze gezeichnet habe?» englisches auf, und wegen Hitler Hakenkreuze gezeichnet habe?» Ein ührte sein Vater – einst ein Leucht- deutscher jüdischer Bub, der Ne e turm des intellektuellen Lebens des Nazi-Feindes Lion Feuchtwanger, Deutschlands, befreundet mit Tho- feiert Hitler? «Ich habe halt geschrie- mas Mann –, vertrieben und gesund- ben, was mir diktiert wurde.» heitlich angeschlagen, in England ein Der Fasan stöckelt nun um die schwieriges Leben, bis er  fast Rosenstöcke, und Edgar stampft mit mittellos starb. Doch zunächst war seinen Schuhen auf den Fussboden Hitler nur einfach ihr Nachbar. seines Arbeitszimmers. Er imitiert das Mein Nachbar, Als Edgar der Knabe war, der in kur- Knallen der Stiefelabsätze der SS- zen Lederhosen durch die Strassen Leute auf dem Asphalt. Und plötzlich bummelte, erlebte er aus nächster setzt er, mit scharfer Stimme, zu einer Nähe, wie sich sein Nachbar, der Rede an. Er kann Hitler gut imitieren, Gossendemago ge, als Diktator ent- diese manische Rhetorik. Er tat es puppte, der die Welt in Atem hielt. auch später, zum Gaudi seiner engli- Darüber hat er (zusammen mit dem schen Klassenkollegen, als er  ihr Führer französischen Autor Bertil Scali) das nach seiner Flucht ins Winchester Buch «Als Hitler unser Nachbar war» College kam. Der Schnauz, der helle Mantel, der Klang der Stiefel der geschrieben, eine Geschichte seiner Noch aber erlebte Edgar die Wind- SS: Edgar Feuchtwanger wohnte in München jahrelang Kindheit. Es erscheint jetzt auch auf stille vor dem Orkan. Er sah zuneh- Deutsch. mend Bettler auf den Strassen, die im Haus neben Adolf Hitler. Seiner Grossnichte erzählt der Edgar war ünf, als Hitler  an Wirtschaftskrise, doch alle Zukunfts- den Prinzregentenplatz  zog, in eine ängste hielten die Eltern von ihrem 89-Jährige, wie es war, als jüdischer Knabe in unmittelbarer prunkvolle Zimmer-Wohnung mit Sohn fern. Im Schatten der politischen Cheminée, den Feuchtwangers schräg Ereignisse verlief Edgars Kindheit bis Nähe des Führers aufzuwachsen. Von Brigitte Ulmer gegenüber. «Ich sah drei schwarze,  relativ sorglos – zumindest erin- sechsrädrige Mercedes. Sie parkierten nert sich Edgar so. Ohne es sich

10 NZZ am Sonntag | 13. April 2014 13. April 2014 | NZZ am Sonntag 11 bewusst zu sein, lebte Edgar in einer katholische Urgrossmutter heiratete), Edgar Feuchtwanger Monate später, ausreisen. Meine Mut-

Art totem Winkel von Hitlers Umkreis. hatte Jura, Wirtschaft, Geschichte und PRIVAT als Knabe in München ter verscha te sich in Winchester mit Sein Schulweg ührte am Garten der Philosophie studiert, ausserdem und heute in seinem Nähkursen ein Verdienst. Doch mein Villa von Heinrich Ho mann vorbei, Judaismus und acht Semester Arabis- Haus in England: Vater fand nur Arbeit bei einem Wirt- Hitlers Ho otografen, dessen silber- tik und war seit   wissenschaft- «Unsere Strasse war schaftsprüfer – eine ür ihn eintönige ner Mercedes Coupé er bewunderte. licher Leiter des Verlags Duncker & besonders Sache, weit unter seinem Niveau.» Er begegnete Ernst Röhm, dem SA- Humblot. Dem Judentum stand er geschmückt, weil Chef, als dieser ein Wahllokal verliess, distanziert gegenüber und war ihm hier ja Hitlers Archive von Göring seine Mutter am Arm. Nazi-Grössen nah zugleich. Er las, wenn er Ruhe Privatwohnung lag.» Unmittelbar nach dem Krieg reiste wie der SSFührer Heinrich Himmler suchte, im Tanach, der hebräischen LAIF  EXPRESSREA  GUILLOTEAU PAUL JEAN Ludwig durch Deutschland, im Mili- waren Münchner, Hermann Göring, Bibel, und befand, Rabbis müssten tärjeep, als Übersetzer ür die ameri- der Chef der , kam aus Ober- sich auch in Arabistik auskennen. Er kanische Armee. Er half mit, die bayern. München war die Hochburg schrieb über die Verfemung des jüdi- Archive von Görings Luftwa en-Mi- der Nationalsozialisten, deren Ziel es schen Volkes, zugleich kritisierte er nisterium zu sichern. In Briefen war, Juden zu vernichten. die chauvinistische Seite des Zionis- berichtete Ludwig seinem Bruder Edgars Onkel Lion, der Romancier, mus heftig. Lion aus dem «Ruinenhaufen» nach zog schon  den o enen Hass der Los Angeles. Seine Demütigung durch Nazis auf sich. In seinem Zeitroman Hitler getrotzt die Nazis und seine Vertreibung ent- «Erfolg» verhöhnte er Hitler als Auto- Wenige Meter Luftlinie von Hitler ent- luden sich jetzt wie ein Gewitter. mechaniker, der sich zum Volksredner fernt trotzte er mit intellektueller Er schrieb von der untergegange- aufspielte und die Bewegung der Ardeur dem Antisemitismus der nen «Regierung von Schmierenschau- «Wahrhaft Deutschen» begründete. Nazis. Bis ! Für ein Buchprojekt spielern, Clowns und skrupellosen Seine Bücher wurden verbrannt, sein hatte er sich ein Thema vorgenom- Blödianern und Henkern» und von Vermögen beschlagnahmt, die deut- men, das schlecht zum Zeitgeist der «Schuld wegen Mittäterschaft», sche Staatsbürgerschaft ihm aber- passte: Er schrieb an einer Geschichte die «von Justiz, Verwaltung, Schule, kannt. Von einer Lesereise  in die des Judentums. Das Werk sollte eine Universitäten, Ärzteschaft nicht weg- USA kehrte Lion nie mehr nach von Mythen entstaubte, mit kritisch- gewaschen werden kann». Er erzählte Deutschland zurück. Doch Ludwig analytischen Methoden verfasste von Begegnungen mit Deutschen, die und seine Familie blieben. Edgar erin- Abhandlung werden. Doch das Manu- die «alte Leier» vortrugen: «Wir konn- nert sich, dass seine Eltern immer auf- skript konnte nicht mehr verö ent- ten nichts machen, wir haben nichts geregter über die politische Situation licht werden. gewusst.» Es sind teils bittere, teils diskutierten, den Mord an Ernst Röhm «Warum blieb dein Vater, Edgar?», sarkastische und sogar amüsante während der «Nacht der langen Mes- frage ich ihn am nächsten Morgen. Notate.  starb Edgars Vater in ser», das politische Massaker an Hit- «Deine Grossmutter wurde  in die bescheidenen Verhältnissen in Win- lers politischen Gegnern. Wie konnte Westschweiz ins Internat geschickt, chester. Seine Mutter war Handar- es sein, dass ein prominenter jüdi- brachte  deine Mutter zur Welt beitslehrerin und Näherin in Winches- scher Intellektueller wie Edgars Vater und blieb. Mein Vater aber hat die ter und starb mit . im antisemitischen Deutschland aus- Lage ür uns falsch eingeschätzt. Lud- Edgar steht auf und zieht einen harrte? Die Antwort ist kompliziert, wig hatte mit der ‹Bayrisch-Israeliti- dicken, druckfrischen Wälzer aus sei- und obwohl Edgars Geist seinen  schen Gemeindezeitung› eine Platt- nem Büchergestell. Darauf steht: «Der Jahren trotzt, wirkt er jetzt ein biss- form, er war angesehen. Er wähnte Gang der Juden durch die Weltge- chen müde. «Morgen», sagt er. sich älschlicherweise in Sicherheit. schichte. Ludwig Feuchtwanger». Bevor er sich in die Küche begibt Die mörderische Radikalisierung, die Das Lebenswerk seines Vaters, das und einen Toast zubereitet, drückt er in der Natur des Nazi-Projekts lag, Manuskript fand sich in seinem Nach- mir ein Buch mit einem rosaroten überschritt seinen Horizont.» Er lass, ist doch noch erschienen, im Umschlag in die Hand: «Gesammelte schweigt. Er scheint nach weiteren sium und ist  Jahre alt. Er erinnert Der E ekt berauschte die Massen. bescha t, eine «Reichs uchtsteuer» Dezember  . Amazon preist es an Aufsätze zur jüdischen Geschichte», Erklärungen zu suchen. «Sein Verhal- sich an die triumphale Rückkehr von Die PRMaschine der Nazis lief auf entrichtet und alle Wertgegenstände als «eindringliches Zeugnis der jüdi- von Ludwig Feuchtwanger, seinem ten ist heute kaum vorstellbar. Aber Hitler aus Österreich nach dem Hochtouren. «Heute», sagte Edgar, «abgegeben» werden. Edgar erinnert schen Geschichtsschreibung während Vater, meinem Urgrossvater, postum meinem Vater war schlicht nicht «Anschluss» am . März. «Es war das «erscheint mir Hitler wie ein Trapez- sich, wie sein Vater, sonst die Verkör- des Nationalsozialismus».  erschienen. Ich nehme es, bewusst, auf welch dünnem Eis er erste Mal, dass ich Hitler stehend im künstler, der sein Publikum bei Laune perung der Langmut, dabei die Fas- Erkenne ich jetzt einen Funken von zusammen mit Edgars erstem Foto- sich bewegte.» Es war Wagen sah, mit der linken Hand am halten musste durch immer gewag- sung verlor. «Wir packten gerade die Genugtuung in Edgars Gesicht? album, mit ins Bett, das mit geblüm- Postum verö entlichte Briefe, im das erste Fenster, die Rechte zum Gruss erho- tere Tricks.» «Aber was bedeutete all Kisten ür die Sammelstelle, da stand Er selber reist im Mai mit der British ten Laken überzogen ist. rosaroten Band im Kleinstdruck im Mal, dass ben.» Auf der Strasse versammelten das ür euch?», frage ich. «Am frühen mein Vater vor einem silbernen Ker- Airways nach München, der Stadt, aus  musste Edgars Vater die Lei- Nachwort versteckt, zeugen von Lud- sich immer öfter Menschenmengen. Morgen des . November  hörten zenleuchter seiner Eltern. Er bebte vor der er vertrieben wurde. Anlässlich tung des Verlags Duncker & Humblot wigs Bedrängnis. Sie zu lesen, bereitet ich Hitler Der englische Premier Neville Cham- wir ein Poltern an der Haustür. Meine Wut, warf ihn zu Boden und stampfte seiner eigenen deutschen Buchpre- wegen der Arier-Gesetze niederlegen. mir fast physische Schmerzen. In stehend berlain war bei Hitler zu Gast und Mutter ö nete, Männer der Gestapo mit den Füssen auf ihm herum.» miere wird er von einer untergegange- Auch das Anwaltpatent wurde ihm einem Schreiben an seinen Freund, im Wagen Benito Mussolini, der Duce. «Heute traten ein, nahmen meinen Vater fest Das Klavier und einige Biedermei- nen Welt erzählen und davon, wie es aberkannt. Die  nanzielle Lage wurde den Philosophen Carl Schmitt, bettelt weiss man vom fatalen Besuch von und deportierten ihn ins KZ Dachau.» ermöbel haben die rasende bürokrati- sich anühlt, wenn ein politisches Sys- angespannt. Er konzentrierte sich auf Ludwig darum, zu vermitteln, um den sah, die Neville Chamberlain bei Hitler. Sie Ich sehe keine Regung in seinem sche Kon sziermaschine überlebt. Sie tem versagt. Sein Erinnerungsbuch seine Tätigkeit als Herausgeber der Juden «einen Status zu geben und von rechte Hand unterzeichneten  ein Papier, das Gesicht. Es ist, als hätte er die Erinne- stehen in Edgars Haus. Er spielt gerne fand bereits in Norwegen, Italien und «Bayrisch-Israelitischen Gemeinde- dem Katz-und-Maus-Spiel zu lassen». erhoben. Chamberlain bei seiner Rückkehr rung an die Ereignisse von seinem Klavier, am liebsten Schuberts Lieder, Paris grosses Echo. Die Rechte ür zeitung» und erfuhr Repressalien Doch Schmitt wandte sich von sei- nach England als ‹peace in our time› Geühlsleben abgespalten. Edgars und singt dazu. China sind verkauft. wegen nicht genehmer Verö entli- nem jüdischen Verlegerfreund ab. pries.» Chamberlains Beschwichti- Vater widerfuhr das Gleiche wie am Beim Abendessen stossen wir mit chungen. Davon erfuhr Edgar erst «Schmitt hat moralisch versagt», sagt gungspolitik war ein Irrtum, wie sich selben Tag   Juden. Die Verhaf- Ein neues Leben einem Glas Sancerre auf Ludwigs Jahrzehnte später. Er war , als sein Edgar. «Wie ging es weiter mit euch, herausstellte. tungen in der Folge der Kristallnacht Er war , als ihn sein Vater am . Fe- Buch an. «Heute ist es ür viele schwer Vater zwei Jahre nach Kriegsende mit Edgar?» «Paradoxerweise wurde ich und der brennenden Synagogen bruar  im Zug an die niederländi- vorstellbar, dass Hitler, die Verkörpe-  Jahren entkräftet in Winchester ab , nach Erlassung der Arier-Ge- Stadt im Delirium waren «bloss» ein Warnschuss. sche Grenze begleitete. Von da reiste rung des Diabolischen, einmal eine starb – und seine Erfahrungen mit den setze, viel jüdischer erzogen als vor- Edgar erlebte seine Stadt im Delirium: Ludwig gehörte zu den Glückli- Edgar allein weiter, nach England und ganz gewöhnliche Person war, die in Nazi-Schikanen mit ins Grab nahm. her. Wir mussten unsere Rosie, das Aufmärsche, Paraden, pompöse Feier chen. Nach sechs Wochen kam er von London Paddington mit dem einer Wohnung wohnte», sagt Edgar. Ludwig war ein Polyhistor, etwas, katholische Kindermädchen, entlas- zum «Tag der deutschen Kunst». Die zurück, abgemagert, ein Schatten sei- Riviera-Express nach Cornwall, wo «Die Decke der Zivilisation ist eben was es in Zeiten der akademischen sen. Wir hatten keine Christbäume ganze Grillparzerstrasse war mit lan- ner selbst. «Er war übersät mit Frost- ihn eine Gastfamilie erwartete – und sehr dünn und die Demokratie, ein Hochspezialisierung nicht mehr gibt. mehr an Weihnachten. Wir gingen in gen Sto ahnen dekoriert. «Wir beulen und musste sich eine Woche ein komplett neues Leben. sehr komplexer Prozess, etwas, was In eine orthodox-jüdische Familie als die Synagoge. Ich musste Hebräisch mussten Kerzen in unsere Fenster im Bett von den Strapazen erholen.» Einen Monat nach Edgars Ankunft man sich täglich erkämpfen muss.» zweiter Sohn von neun Kindern gebo- lernen und feierte mit  meine Bar stellen, die ganze Strasse war voller Die Zeichen waren klar. In den fol- in England  el sein ehemaliger Nach- ren, war er ein geistig unabhängiger Mitzwa.» extravaganter Fahnen, Fackeln und genden Wochen bereiteten Edgars bar in Prag ein. Und stellte Europa Edgar Feuchtwanger: Als Hitler unser Charakter, rebellisch in jungen Jahren  überstürzen sich dann die Banner. Unsere Strasse war ganz Eltern die Ausreise nach England vor. komplett auf den Kopf. «Und wie Nachbar war. Erinnerungen an meine (was auch daran abzulesen war, dass politischen Ereignisse, die zum Welt- besonders geschmückt, weil hier ja  Pfund – eine damals ungeheuer erging es deinen Eltern?» «Sie konnten Kindheit im Nationalsozialismus. er   meine bildhübsche, aber krieg ühren. Edgar geht aufs Gymna- Hitlers Privatwohnung lag.» hohe Summe – mussten ür das Visum im letzten Moment, zweieinhalb Siedler-Verlag, Fr. ..

12 NZZ am Sonntag | 13. April 2014 13. April 2014 | NZZ am Sonntag 13