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Das Herz der Beatles

Einleitung

Ringo Starr war der Beatle mit Herz. Er stieß 1962 zu den Beatles und hatte einen wesentlichen Anteil daran, dass diese Popgruppe so rasch populär wurde. Obwohl Paul McCartney und musikalisch gesehen die treibenden Kräfte waren und vorne standen, bekam Ringo Starr schon früh die meiste Fanpost. Man empfand Ringo als niedlich, er regte das Kindchenschema an. Ihn mochten die jungen Mädchen ebenso wie die Großmütter. Er hatte etwas an sich, was man bei Stars nur selten findet: Eine gewisse Wärme und natürliche Ausstrahlung, einen starken Sinn für Humor, Familiensinn und letztendlich auch, wie die Jahre zeigen sollten, die Fähigkeit, ein guter Freund zu sein. Sein bekanntestes Lied bei den Beatles war da nicht zufällig With A Little Help From My Friends, ein augenzwinkernder Hinweis darauf, dass John und Paul und George sich um ihn zeitlebens kümmerten, Lieder für ihn schrieben und auch von Anfang an als Gleichberechtigten behandelten, obwohl er zweifelsohne weit weniger begabt war als jeder der anderen. Dass diese Diven Ringo so freundlich behandelten, lag aber auch an seinem Charakter. Er hatte die Fähigkeit, Einzelgänger zu Freunden zu machen. Weil er mit ihnen fühlte, weil er sie in sein Herz schloss. Nebenbei gesagt ist Ringo aber durchaus ein erfolgreicher Komponist und Arrangeur geworden, der auch Nummer-1-Hits geschrieben hat. Er verblasst

1 nur im Vergleich zu den anderen, deren musikalisches Werk bis zum heutigen Tag in der Geschichte des Pop einmalig geblieben ist. Irgendetwas von seinen Talenten wird auch in sein Schlagzeugspiel eingeflossen sein. Ein Drummer hält die Gruppe zusammen, und das tat Ringo von Anfang an. Das galt auch für die Gruppendynamik unter den Musikern. Die Beatles wären weit früher auseinandergebrochen, wenn Ringo sie nicht immer wieder zusammengeschweißt hätte. Er tat das auch nach dem offiziellen Ende der Gruppe, indem er als einziger Kontakt zu allen hielt und sie auch immer wieder für seine Platten einspannen konnte. So waren die Soloalben von Ringo über viele Jahre die einzigen, auf denen einer oder auch mehrere Beatles mitspielten und für die jeder von ihnen Lieder schrieb. Dass Ringo ein Mensch im besten Sinn war, konnte man auch an seiner Reaktion sehen, als er 1980 von John Lennons Tod erfuhr. Während Paul McCartney der Presse sagte: „Zieht einen ziemlich runter, was?“ und dann ins Plattenstudio ging, und sich nach der frühmorgendlichen Nachricht, dass auf John ein Attentat verübt worden war, einfach im Bett umdrehte und weiterschlief, brach Ringo sofort seinen Urlaub ab und flog nach New York, um und ihrem Sohn in dieser schweren Stunde beizustehen. Ringo hat immer viele Freunde im Showgeschäft gehabt und konnte viele von ihnen auch davon überzeugen, mit ihm in seiner All Starr Band durch die Welt zu tingeln. Selbst die Zusammenarbeit mit Paul McCartney, dem schwierigen musikalischen Genie, hält bis zum heutigen Tag an, und wer die beiden nebeneinander bei Fernsehinterviews sieht, wundert

2 sich, wie jugendlich und vital Ringo als Siebzigjähriger aussieht – und immer noch Platten macht. Dieses Buch erzählt Ringos Leben von den Anfängen bis zu seinem 70. Geburtstag im 2010. Es enthält zahlreiche Links zu YouTube, die belegen, wie viele Hits Ringo in den Jahren gesungen hat, darunter auch einige Eigenkompositionen für die Beatles, die erfolgreich waren. Auch der nur selten gewürdigte Beitrag Ringos zu einigen der größten Erfolge, die die Beatles hatten, wird mit Beispielen belegt. Durch seinen Wortwitz hat Ringo die anderen immer wieder in ihrer Arbeit inspiriert, aber auch häufig zum Lachen gebracht. Weniger bekannt ist, wie stark manche Lieder von dem Drummer im Hintergrund geprägt waren, der mit unsichtbaren Fäden die größte Band zusammenhielt, die die Welt je gekannt hat: Mit den Fäden der Liebe.

Kindheit

Ringo Starr wird am 7. Juli 1940 unter dem Namen Richard Parkin Starkey geboren in der Madryn Street Nr. 9 in Toxteth, einem Stadtteil von . Sein Vater heißt Richard und seine Mutter Elsie. Ringo: „Ich habe mein erstes Photo mit fünf Monaten gemacht. Davon abgesehen habe ich es nicht nur gemacht, sondern auch aufgegessen. Was ziemlich egoistisch von mir war, weil es dadurch eine Riesenlücke im meiner Mutter gab, das sie von mir anlegte, und das sie noch unendlich lang geführt

3 hat. Mein Vater hat das dann in Ordnung gebracht mit einem Bild, auf dem ich versuchte, auf dem Pudel unseres Nachbarn zu reiten.“ Als Ringo drei Jahre alt ist, verlässt sein Vater die Familie. Seine Mutter heiratet bald darauf Harry Graves, der ein netter Stiefvater ist und Ringos Interesse für Musik weckt. Ringo ist ein kränkliches Kind. Mit sechs Jahren bekommt er eine Blinddarmentzündung, die nicht rechtzeitig erkannt wird. Erst als das Kind ins Koma fällt, erkennt man, dass der Wurmfortsatz durchgebrochen ist und eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung vorliegt. Mit dreizehn Jahren erkrankt Ringo ein zweites Mal schwer an einer Lungenentzündung, schwebt mehrere Wochen zwischen Leben und Tod und bleibt zwei Jahre lang in einem Sanatorium, bis er wieder geheilt ist. Ringo, viele Jahre später: „Als ich 14 Jahre alt war, lag ich im Krankenhaus, und um uns zu unterhalten, haben sie eine Stationsband gegründet und eine Lehrerin kam vorbei mit einer großen Tafel, auf der gelbe und rote Punkte waren. Wenn sie auf die roten, gelben oder grünen Punkte gedrückt hat, haben die Triangel oder Trommeln gespielt. Es war eine lustige kleine Band, und ich habe da nie mitgemacht, außer, sie hat mir eine Trommel gegeben. Für die Trommeln habe ich gekämpft. Das hat mein Interesse am Trommeln geweckt, und dazu habe ich auf den Schrank neben meinem Bett Takt geschlagen. Mir hat die Idee, Schlagzeug zu spielen, immer schon gefallen, und wenn ich Musik gehört habe, habe ich dazu auf Sachen geklopft. Als ich vom Krankenhaus nach Hause gekommen bin, habe ich mir aus Keksschachteln mit Draht ein Set gemacht und darauf mit Holzscheiten getrommelt.“

4 Das Schlagzeugspiel ist für Ringo von Anfang an etwas, das mit Lebensfreude und dem Überleben zu tun hat. Er kann das gut. Er lacht, wenn er Schlagzeug spielt, und er ist bei seinem Spiel unglaublich präzise. Dieses Gespür und diese Verlässlichkeit wird ihn später in Liverpool als Drummer bekannt machen, und auch bei den Beatles wird Ringo vor allem als untrüglicher Taktgeber dienen, der keine Soli braucht, um sich gut zu fühlen. Das einzige „Solo“, das er spielen wird, wird auf der zweiten Seite des letzten zu hören sein – in dem Medley auf Abbey Road. Ringo kann auch Solo, aber ihm kommt es vor allem darauf an, einen guten Song zu begleiten und durch Rhythmus zu verschönern. Hinter dem Schlagzeug zu sitzen ist für ihn Lebensfreude, und keine harte Arbeit. Ringo hat als Kind auch keine großartigen Lehrer, die ihn in die Kunst des Schlagzeugspiels einweisen könnten: „Mein erstes Schlagzeug habe ich mit 18 Jahren bekommen, zu Weihnachten. Es hat 30 Kröten gekostet und hatte eine riesige einseitige Basstrommel dabei, die die ganze Nachbarschaft verrückt gemacht hat. Mein Schlagzeug war bunt zusammengewürfelt und so an die 25 Jahre alt, aber ich war sehr stolz darauf. Wenn ich mich dahintergesetzt habe, konnte mich keiner sehen, weil die Trommel so groß war. Wenn man mir sagen würde, dass sie einen Durchmesser von zwei Meter gehabt hätte, würde ich es glauben. Ich hatte dann drei Unterrichtsstunden, als klar war, dass ich Feuer gefangen hatte. Ich musste zu diesem kleinen Mann gehen, der in einem Haus saß und Schlagzeug spielte und der sagte: Besorg' dir mein Manuskript. Ein Heft, das er veröffentlicht hatte. Er hatte alles hineingeschrieben, was er vom Schlagzeugspiel wusste, und da bin ich nicht mehr

5 hingegangen, das hat mir nicht gefallen. Es war alles so formell.“ Ringo ist als Kind viel zu Hause, da er weiterhin stark unter Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten leidet und nur sehr wenige Nahrungsmittel verträgt – darunter ironischerweise vor allem Bohnen. Er geht nicht gern in die Natur – das wird sein Leben lang so bleiben. Ringo ist ein Stubenhocker, und wenn er ausgeht, dann in geschlossene Räume, in Bars und Clubs. Und damit hat er vielleicht recht. Das einzige Mal, dass ihm sein Darm wieder Probleme macht, findet in einer Zeit statt, in der er viel draußen ist und Golf spielt. In seiner Kindheit wird für Ringo sein Zimmer zum Zentrum der Welt werden. Hier kümmert sich seine Mutter um ihn, ohne ihn dabei allerdings besonders zu verwöhnen. Ringo wird später im Leben zu mütterlichen Partnerinnen neigen und dabei kein Problem damit haben, wenn diese deutlich größer sind als er, und ihn bevormunden. So kann er noch aufholen, was ihm seine Mutter nicht geben konnte. Ringo: „Ich wollte ein Rad haben und tauschte es dann gegen einen Handwagen um, um meine Trommeln zu transportieren, und meine Mutter sagte immer: Ich habe eine Menge Geld für ein Rad gekauft und irgendein Junge hat diesen Handwagen im Hinterhof zusammengeschraubt und ihn dir für gutes Geld angedreht. Es war bei meiner Mutter und mir so: Wenn ich was wollte, dann habe ich so lange gefragt, bis ich es bekommen habe. Ich musste nie hungern oder frieren. Ich bin ein Einzelkind. Die Leute sagen, dass sie mich verzogen haben, aber das war nicht so. Meine Mutter hat gearbeitet und sie war die einzige, die Geld hatte, und deshalb habe ich nie um große Dinge gebeten, sondern nur um kleine.“

6 Dadurch, dass Ringo als Kind (ganz im Gegensatz zu später!) wenig Freunde hat und auch in der Schule nicht geformt oder auf einen Beruf vorbereitet wird, fürchtet man in der Familie, dass sich „Ritchie“ zeitlebens an den Schürzenzipfel seiner Mutter klammern könnte. Der junge Mann aber ist sorglos. Er spürt schon, dass er irgendetwas mit Musik machen wird, weiß aber noch nicht, was. In dieser Zeit wird es in Liverpool Mode, - Gruppen zu gründen, die ein Mittelding zwischen Country und Rock'n'Roll spielen, meist auf selbstgemachten Instrumenten. Ringo wächst hier einfach in diese Szene hinein, denn er hat ein Schlagzeug, was jede Band brauchen kann, und er ist darauf auch schon ein ordentlicher Musiker geworden, der fast alles spielen kann. „Seit dem ich 13 Jahre alt war, wollte ich Drummer sein“, erzählt Ringo, „und mit siebzehn habe ich schon bei der Eddy Clayton Skiffle Group mitgetrommelt.“ Zwar hat er zuerst eine Lehre in einem Handwerksbetrieb namens Henry Hunt begonnen, der Klettergerüste für Schulen herstellt. Und der Job gefällt ihm auch durchaus, aber er kann ihn nicht begeistern. Insgeheim träumt Ritchie von einem Dasein als Profimusiker. Ringos erste Freundin kommt aus der Nachbarschaft und heißt Patricia Davies. Sie lernen einander kennen, als Ringo siebzehn Jahre alt ist und Patricia vierzehn. Ringo muss sein Haus nicht verlassen, um Pat kennen zu lernen: Sie kommt zu ihm. Das geht so: Die beste Freundin heißt Pricilla White, ein Mädchen, das wenige Jahre später unter dem Namen berühmt werden wird. Beide Mädchen wollen Friseurinnen

7 werden, und Ringos Mutter Elsie wird ein dankbares Opfer für ihre ersten Experimente. Pat: „Die einzige Frau, die alles mit sich machen ließ, war Ringos Mutter. Jeden Mittwoch gingen wir zu ihr rüber und sie hatte eine Engelsgeduld mit uns. Wir durften ihre Haare bleichen und damit schreckliche Dinge anstellen, aber sie hat sich nie beschwert. Sie machte Tee für uns und gab uns zu essen. Eine fantastische Frau.“ Ringo wirkt in der Zeit ungepflegt, ist ein typischer „Teddy-Boy“, zieht sich als Rocker an, trägt immer Lederklamotten. Er möchte Musiker werden, packt immer wieder einmal sein Schlagzeug in einen Bus und fährt zu Auftritten, zu denen ihn Pat auch begleitet. Sie geht gerne in Clubs und dass sie mit Ringo zusammenkommt, hat auch mit ihrer eigenen Begeisterung für den Skiffle zu tun. Nach einem kurzen Zwischenstopp bei der Darktown Skiffle trifft Ringo bei einem Talentewettbewerb dann , den charismatischen Sänger aus Liverpool, der einen eigenen Club betreibt und innerhalb kurzer Zeit in der ganzen Stadt bekannt geworden ist. Rory ist seinerseits von Ringos Schlagzeugspiel so beeindruckt, dass er ihn spontan in seine Gruppe aufnimmt. Schnell wächst Ringo, der auch Showtalent zeigt und trotz seines eingeschränkten Stimmumfangs auch gerne Solo singt, in eine zentrale Rolle hinein, wird Stammmitglied der Band und Rorys wichtigster Mann, weil die Mädchen oft nur kommen, um sich „Ritchie“ anzusehen. Es ist an ihm, das Frauen mögen, etwas Kuscheliges, Kindliches, fast so, als wäre er ein Maskottchen. Ringo wird so in einem kleinen Kreis, aber doch mit eindrucksvoller Schnelligkeit, ein Star. Weil er dauernd schwere Ringe trägt, beschließt er

8 eines Tages, sich „Ringo“ zu nennen. Am 25. März 1959 tritt Ringo das erste Mal mit Rory Storm in Mount Pleasant, einem Stadtteil von Liverpool, beim Mardi Gras Festival auf. Durch viele Proben und kleine Auftritte gewinnen sie ihre Fans, und als sie im Oktober an einem Talentewettbewerb teilnehmen, bei dem sich 150 Gruppen angemeldet haben, werden Rory Storm und seine Gruppe schon zweite. Am 7. Juli 1959 wird Ringo 19 Jahre alt. Was soll aus dem Jungen werden? „Mit 20 war ich arbeitslos“, erzählt Ringo später. „Es gab nichts, das auf mich gewartet hat, deshalb wollten ein Kumpel und ich nach Houston in Texas, wo Lightnin' Hopkins gelebt hatte und wir mochten seine Sachen. Das ging so weit, dass wir schon dabei waren, die Formulare auszufüllen, die man für eine Auswanderung brauchte. Da haben wir dann aber all die Fragen gesehen und haben gleich beschlossen: Lassen wir das lieber. Fragen wie: War der beste Freund des Onkels Ihres Großvaters ein Hund? Und da haben wir gelacht und gesagt: Vergiss es einfach. Wir bleiben da.“

1960

Im Januar 1960 werden Rory Storm And The Hurricanes als Band im Cavern Club zugelassen, der eigentlich sonst nur Jazzgruppen nimmt. Als Rory dann dort aber gegen alle Abmachungen doch einen Rock'n'Roll Song zum Besten gibt, buht das Publikum und sie erhalten Klubverbot. Die Begeisterung für den Rock'n'Roll ist sonst bei den Jugendlichen sehr groß,

9 doch es gibt noch keine Bühnen für diese neue Musik, die gerade erst aus Amerika herübergeschwappt ist. hat ab 1954 hier die Bresche geschlagen, Bill Haley mit seinen Comets ist mit Rock around the Clock auch in England zu Gast gewesen. Doch wirkliche Anerkennung hat diese Musik, die sich ausschließlich an Jugendliche wendet, noch nicht gefunden. Viele Jungs geben sich als „Teddy Boys“, eine Moderichtung, die dandyhaft wirkt, den Stil aus der Edward Epoche nachahmt und von einer Vorliebe für Rockmusik geprägt ist. Dazu gehören auch lange Haare und Lederjacken. Die Beatles wachsen in dieser Kultur auf und werden sie bis 1963 verkörpern. Am 3. Mai 1960 spielen die Hurricanes im Liverpool Stadium in einem Konzert, bei dem auch auftritt, der zu dem Zeitpunkt einer der neuen Stars ist. Für den Sommer kann Rory ein Engagement im Feriencamp Butlin's in Skegness in Lincolnshire ergattern, eine große Chance, weil jeder Musiker dort 25 Pfund in der Woche verdienen kann, was eine Menge Holz ist. Dafür müsste Ringo allerdings, wie er gleich erkennt, seine Lehre aufgeben, denn die Auftritte sind dort so häufig und dauern viele Stunden und finden auch unter der Woche statt, so dass man diesen Gig nicht mit einem normalen Job verbinden kann. Was tun? Es sind die harten Fragen, die er sich stellen muss: Ist er gut genug, um es im Showbusiness zu schaffen? Seine Mutter will ihm hier nicht drein reden, sondern sagt gleich, dass er alt genug ist, um diese Entscheidung selbst zu treffen. Anfänglich zögert Ringo, doch als ihm Rory verspricht, dass er zwischendurch „Starr-Time“ bekommen wird, also fest eingeplante Solonummern singen darf und dass ihm dabei jede Menge Mädchen „zur Verfügung“ stehen

10 würden, willigt er ein. Im Camp ändert er seinen Vornamen, der bis jetzt „Ritchie“ war, nun endgültig auf „Ringo“. Privat wird er zwar weiterhin Ritchie heißen, doch auf der Bühne ist er ein anderer, genießt es, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, und zeigt in dieser Rolle auch seinen für ihn typischen, lakonischen Humor, der später die anderen Beatles infizieren und als Beatles-Witz in die Geschichte eingehen wird. Bei Rory Storm spielt Ringo die Rolle, die ihm später bei den Beatles zukommen wird, eines Art Pausenclowns. Auch bei den Beatles wird er später auf die „Starr-Time“ bestehen und sie auch zugesprochen bekommen, selbst wenn viele Fans den melodiösen Dreiergesang von John, Paul und George vorziehen werden. Alan Williams, der damalige Manager der Hurricanes (und anderer Gruppen, darunter der Beatles), kontaktiert Rory und seine Leute im Sommer 1960 in Butlin's. Er hat ein Angebot aus bekommen, und hätte es am Liebsten gehabt, wenn die Band gleich dorthin aufbrechen würde, um im zu spielen. Doch Rory und seine Leute sagen ab, weil sie den guten Job bei Butlin's nicht aufgeben wollen und es bis Hamburg weit ist. Deshalb beschließt Williams, einer anderen Band den Job anzubieten und verfällt dabei auf die Beatles, die gerade nach einer missglückten Schottlandtournee als Hintergrundband den ganzen Sommer untätig zuhause herum sitzen, weil sie in Liverpool keiner hören möchte. John, Paul und George sind in dieser Zeit vor allem dafür bekannt, keinen festen Drummer zu haben. Und sie wollen eigentlich auch keinen. Doch das Publikum verlangt einen Schlagzeuger, gerade bei den schnellen Rock'n'Roll Nummern, die auch die Beatles gerne

11 spielen. Sie nehmen den Job bereitwillig an. Bevor sie aus Liverpool abreisen, heuern sie den Schlagzeuger an, den ruhigen und etwas mürrischen Sohn der Kneipenbesitzerin , der allerdings sehr gut aussieht und auf die weiblichen Fans großen Eindruck macht. Pete fährt spontan mit ihnen mit, anstatt weiter zuhause herumzuhängen. Pete wird zwei Jahre bei den Beatles mitspielen, aber sich in dieser Zeit nie wirklich in die Gruppe integrieren. Und er ist auch ein schwacher Drummer. Während sich John, Paul und George zunehmend symbiotisch miteinander verbinden, bleibt Pete der Außenseiter, der in Konzertpausen lieber allein einen Spaziergang macht, als mit den anderen Jungs Spaß zu haben. Ringo hat John, Paul und George schon öfter in Liverpool gesehen. Man kennt sich, aber an der Seite von Rory, der in der Stadt eine feste Fangemeinde hat, fühlt sich Ringo wohler. Man kann die Newcomer, die schon unter den Namen Quarry Men, Johnny and the Moondogs und Silver Beatles aufgetreten sind, nicht so recht einschätzen. , der so alt wie Ringo ist, ist zweifellos der Anführer unter ihnen, ein sarkastischer , der schon eine Weile die Kunstakademie besucht. Paul ist erst 18 Jahre alt. Er wollte im Herbst eigentlich aufs College gehen, um eine Ausbildung zum Englischlehrer zu machen, doch Hamburg erscheint ihm als eine große Chance, es im Showgeschäft „zu schaffen“. Kindlich wirkt George, ein schmächtiger Junge, der auch noch deutlich kleiner als die anderen ist, und als Siebzehnjähriger von keinem richtig voll genommen wird. George ist von der Schule abgegangen und hat eine Elektrikerlehre bei Blacklers, einem Warenhaus, begonnen. Dazu hat er aber keine rechte Lust. Er will es im Showgeschäft

12 schaffen George spielt dauernd Gitarre, übt neue Griffe und Melodiekombinationen ein und erinnert Ringo ein bisschen an sich selbst, an ein Kid, das nur eine Chance im Leben für sich sieht: Seinen Traum, Rockmusiker zu werden, in die Tat umzusetzen. Und wie Ringo scheint George kein besonderes musikalisches Talent zu haben, sondern einer der typischen „Sidemen“ zu sein, ohne die eine Musikgruppe nicht auskommt. Im Oktober ist das Engagement von Rory Storm And The Hurricanes in Butlin's beendet und sie fahren nach Hamburg, um dort im Kaiserkeller zu spielen. Jetzt lernt Ringo die anderen besser kennen, denn man wechselt einander dort auf der Bühne ab. Einmal spielen die Beatles acht Stunden und dann wieder die Hurricanes. Zu diesem Zeitpunkt, zwei Monate nach Beginn ihres Engagements, sind die Beatles längst alte Hasen auf der Bühne geworden. Sie haben seit Wochen rund um die Uhr gespielt, und dabei gelernt, worauf es ankommt. Sie wirken auf Ringo weit professioneller als eben noch in Liverpool. Sie erzählen von ihren ersten Erfahrungen in Hamburg, und Ringo merkt, dass er seine Landsleute irgendwie mag, besonders John. Nicht nur, weil der in seinem Alter ist, sondern weil der kurzsichtige, scheue John, der seine Schwächen abwechselnd mit Witzen, Machosprüchen und Wutanfällen kompensiert, ihm in seiner Wesensart der Nächste erscheint. Ähnlich geht es John, der zwar spürt, dass ihm Ringo als Künstler nicht das Wasser reichen kann. Aber Ringo hat dafür etwas, das ihm verwehrt bleiben wird. Ringo ist in Intimität mit seiner Mutter aufgewachsen, ein geliebtes Einzelkind. Das gibt Ringo Sicherheit und Halt, und lässt ihn in sich ruhen. Ringo ist immer fröhlich und unkompliziert, während John, der eben seine Mutter verloren hat und

13 dessen Vater schon lange die Familie verlassen hat, bei allen Erfolgen ein Leben lang um menschliche Anerkennung ringen wird. Die Freundschaft, die Ringo und John in Hamburg schließen, wird dauern und in dieser ganzen Zeit ohne jede Missstimmung bleiben. Etwas anders steht es mit Paul und George. Paul spürt in sich die Fähigkeit, zu einem der größten Komponisten und Musiker seiner Zeit aufzusteigen. Er hat viele Ideen und arbeitet verbissen an diesem Ziel. Einen wirklichen Freund kann Paul nicht gebrauchen. Er kann einen Menschen nur an sich heranlassen, wenn er mit ihm gemeinsam kreativ sein kann. Dieser besondere Mensch ist in den frühen Jahren John und wird später Linda Eastman sein. Für alle anderen hat Paul keine Empfindung. Er ist kein schlechter Kerl, aber er kann manchmal launisch oder auch erschreckend kühl reagieren. Paul steht gerne im Mittelpunkt, und weil er gut aussieht, glaubt er auch, sich um die Gunst der Mädchen nicht bemühen zu müssen. Für Ringo als Freund hat er kein Interesse. Paul wird Ringo viele Jahre lang gönnerhaft behandeln und erst nach dem Tod von Linda echtes Interesse für seinen alten Freund entwickeln. Ähnlich steht es mit George. George ist freundlich und behandelt Ringo – abgesehen von Witzchen, die er immer wieder mal über ihn macht - eher diplomatisch und rücksichtsvoll. Doch wirklich an sich heran lässt er ihn nicht. George ist ein Suchender. Die Antwort auf seine Fragen wird er anfänglich in Drogen finden, dann in der indischen Mystik, und ganz zuletzt in der Natur. Dann ist da , ein kleinwüchsiger, gut aussehender Kumpel von John, sein bester Freund von der Kunstakademie, der sich als Bassspieler betätigt. Stu ist nicht besonders musikalisch, aber ein herausragender Maler, der auch

14 schon einen Preis gewonnen hat. Seitdem er mit einer Hamburger Kunststudentin und Photographin zusammen ist, sehen ihn die Beatles fast nur bei ihren Auftritten. Stu ist ein Hochbegabter, der alles kann - außer Bassspielen. Und letztlich ist da Pete Best, der Drummer, der nicht wirklich zur Gruppe gehört, ihre Witze nicht versteht und sich auch gern von den anderen zurückzieht, keinem nahe kommt, ein Schönling, der darauf wartet, dass sich andere um ihn bemühen. Pete ist mürrisch, verzieht selten das Gesicht, wird aber von einzelnen Fans der Beatles tatsächlich als „James Dean“ verehrt, ein Mann, der ein Geheimnis zu bergen scheint. In Hamburg gewinnt Pete für die anderen Beatles vorübergehend an Bedeutung, weil Pete in der Schule Deutsch gelernt hat und als Dolmetscher fungieren kann. Paul McCartney versucht Pete anfänglich zu formen, bietet ihm sogar an, zwischendurch vorne auf der Bühne ins Rampenlicht zu gehen und ein Lied zu singen, während Paul das Schlagzeug übernimmt. Aber Pete mag es nicht, im Mittelpunkt zu stehen, und selbst sein Schlagzeugspiel ist sehr zurückhaltend und oft so leise, dass Paul immer mal „Härter! Härter!“ in seine Richtung ruft. Ringo versteht sich mit Pete von Drummer zu Drummer gut und wird sogar das Kunststück vollbringen, sogar dann noch Petes Kumpel zu bleiben, als er Pete bei den Beatles ersetzt, aber eine Freundschaft mit ihm ist aufgrund der Konkurrenzsituation nicht möglich. Ein Lichtblick in Hamburg für Ringo ist der Besuch seiner Freundin Pat, die an der Seite von Cilla Black auftaucht. Die beiden wollen sich anschauen, wie das Leben eines Musikers in der Praxis aussieht. Cilla hat in der Band von Rory Storm immer wieder einmal einen Auftritt gehabt. Sie arbeitet im Cavern an der

15 Garderobe. Cilla ist siebzehn Jahre alt und sehr ehrgeizig. Sie kennt die Beatles gut und schafft anlässlich dieses Besuchs auch eine Verbindung zwischen Ringo und ihnen. Pat hat von ihrem Freund allerdings nicht viel, weil er entweder schläft oder arbeitet. Die Arbeitsbedingungen im Club sind so hart, dass die Hurricanes entweder auf der Bühne stehen oder schlafen. Nach einigen Tagen reisen die beiden Mädchen wieder ab. Am 15. Oktober 1960 ergibt es sich, dass Ringo das erste Mal mit den Beatles zusammenspielt, da Pete Best gerade verhindert ist. Pete sagt Ringo als Vorwarnung, dass er in den inneren Zirkel, den John, Paul und George bilden, längst nicht mehr hinein kommen wird. Er wurde zwar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Mitte August für Hamburg angeworben, doch John, Paul und George spielen schon seit drei Jahren zusammen und haben in der Zeit viel miteinander erlebt. Stu ist ein Freund von John und legt keinen Wert darauf, in diesen Zirkel aufgenommen zu werden, da ihn Pauls ständige Eifersüchteleien von dort fernhalten. Stu spielt abends auf der Bühne, geht sonst aber in seiner Beziehung zu seiner neuen Freundin, der Kunststudentin , auf. John, Paul, Stu und Ringo haben Ende Mai als „Silver Beetles“ in Schottland die Begleitgruppe von abgegeben, wurden dabei anfangs ausgebuht, haben sich dann aber auf der Bühne durchgesetzt und schon ihre ersten Autogramme gegeben. Dass sie besser spielen als zuvor in Liverpool, hat auch Ringo schon gemerkt. Nach ihrer Rückkehr ist den Beatles ihr Drummer verlorengegangen, der nur für die Konzertreise gebucht gewesen war und längst wieder in einer Flaschenfabrik arbeitet. Die Stelle des dauerhaften Drummers ist also

16 eigentlich noch offen. Schon in den ersten Kontakten mit Ringo ist den anderen klar, dass der Drummer von Rory Storm zu ihnen passen würde. John hat das schon in Liverpool so empfunden, als sie noch zu den unbekannten Gruppen gehörten. Jetzt setzt sich die Idee, Pete Best mit Ringo auszutauschen, das erste Mal in den Köpfen fest. Die Beatles haben durch ihre erste Tournee Blut geleckt, aber ihnen fehlt ein Drummer, der sie im Inneren zusammenhält. Dafür ist Pete Best nicht geeignet, darüber sind sich alle aufgrund der Hamburger Erfahrung einig. Weil er ihnen die lockere Stimmung vermiest, die immer aufkommt, wenn sie miteinander unterwegs sind. Pete ist still, oft misslaunig und auch nicht besonders klug, finden die anderen. Sein Schlagzeugspiel ist in Ordnung, aber auch nichts Besonderes. Es reicht einfach nicht, auf der Bühne den Takt zu halten, sondern es soll dabei auch etwas nicht klar zu Definierendes „rüberkommen“. Bei Ringo ist das so, das merken die anderen sofort, wenn sie Rory und seine Gruppe auf der Bühne beobachten. Ringo spielt keine großen Soli, aber er hat die Sache im Griff, und wenn er dann dazu lächelt, kommt Stimmung auf. Von Anfang an schielen die Beatles deshalb auf Ringo, der auch privat ein netter Kerl ist, mit dem man Spaß haben kann und der einen absurden Humor hat, von dem man nicht genug bekommen kann. Auch Ringo mag die anderen Beatles. Im Vergleich zu Rory Storm aber, der zuhause in Liverpool schon eine Größe ist, und mit dem man sich im Sommer gut eingespielt hat, stehen die Beatles als Band noch ganz am Anfang, findet Ringo. Zwar haben sie sich gut eingespielt, aber wirklich gut sind die Beatles noch lange nicht. Sie waren anfangs für den „Indra-Klub“ in Hamburg gebucht, der gerade erst

17 eröffnet hat – und kurz nach ihrer Ankunft auch wieder seine Tore schließen wird. Im „Indra“ haben die Beatles ihre zweite Enttäuschung erlebt. Auch dort sind sie nicht besonders gut angekommen. Selbst jetzt im „Kaiserkeller“ sind sie nicht die beste Band geworden. An schwachen Abenden sind die Menschen gelangweilt von ihrem Spiel, das durch die offenen Türen auf die Straße dringt, und das bedeutet, dass die Menschen entweder gar nicht erst in den Klub kommen oder rasch wieder gehen. Das ist schlecht für den Umsatz und gefährdet auch ihren eigenen Job. Die Beatles wissen nicht, was sie dagegen tun sollen. , der Eigentümer des Klubs, hat sie nach dem ersten Abend ins Gebet genommen und erklärt, dass sie „Schau“ machen müssen. Dieser Ruf „Mach Schau“ ertönt auch jetzt immer wieder aus dem Publikum. Und wenn das so ist, recken die Beatles provokativ den rechten Arm zum Hitlergruß in die Höhe oder den Zeigefinger auf die Oberlippe, um ein Hitlerbärtchen anzudeuten oder beschimpfen ihr Publikum. Wirklich funktioniert das allerdings nicht. Die Beatles können vom Auftritt der Hurricanes viel lernen. Hier sehen sie, wie man auf der Bühne locker ist, ohne albern zu werden. Erst dadurch, dass sie von den Hurricanes und letztendlich auch von Ringo lernen, entwickeln sie den Charme, der sie letztendlich berühmt machen wird. Was Ringo hat, geht über Musikalisches hinaus. Ringo ist immer lustig, und wenn er in der Nähe ist, dann sind sie es auch, und können auf der Bühne das rüberbringen, das in ihnen steckt. Dann begeistern sie die Leute. Mit dem trübsinnigen Pete und dem engelhaften, schweigsamen Künstler Stu sind John, Paul und George dagegen nicht die, die sie später als Beatles sein werden. Ohne es genau zu wissen, fehlt

18 ihnen einer wie Ringo. Und deshalb schauen sie ihn in Hamburg auch immer wieder fragend an, wenn er von der Bühne kommt, und bemühen sich um seine Gunst und erklären ihn zu ihrem Kumpel, obwohl er eigentlich beruflich gar nichts mit ihnen zu tun hat. Und wie sieht es bei Ringo aus? Eigentlich ist er mit Rory Storm sehr zufrieden, denn das Publikum ist dem charismatischen Sänger verfallen und die Band hat sich im Sommer in Butlin's sehr gut eingespielt. Das ist das Eine. Das Wichtigste aber: Ringo hat bei Rory seinen Platz gefunden. Er kann zwar nicht besonders gut singen, aber er kriegt zwischendurch einige Nummern, bei denen er im Vordergrund steht, und Rory macht das nicht nur mit, sondern schätzt es auch. Rory ist ein Mann, der einen starken Mann neben sich ertragen kann. Auch John Lennon behauptet von sich, auf die Qualität zu achten, und hat es deshalb auch zugelassen, dass Paul McCartney, der musikalisch allen anderen weit überlegen ist, in die Gruppe aufgenommen wurde. Doch John fürchtet zugleich auch immer wieder, seine Autorität zu verlieren. Und wenn er betrunken ist – was in Hamburg häufig vor kommt – dann wird er unleidlich und unzuverlässig. Da ist Rory als Bandleader ein ganz anderes Kaliber. Ruhig und ausgeglichen und freundlich. Vor allem aber: Verlässlich. Und er hat es Ringo gesagt: „Mich verehren die Mädchen, dich aber lieben sie.“ Ringo erweckt bei einem bestimmten Teil des Publikums Beschützergefühle und es gibt nichts anderes, das Fans so stark an eine Gruppe bindet. Was später auch den Beatles dazu verhelfen wird, von ihren Fans gemocht zu werden, dieses Phänomen trägt Ringo bei Rory Storm bei, und der spricht das auch an und anerkennt es auch, wo John oder George vielleicht einen Witz

19 darüber machen würden, und Paul gar nicht verstehen, was damit eigentlich gemeint ist. Hinzu kommt aber auch, dass die Hurricanes damals viel bessere Musiker sind als die Beatles. John beherrscht ein paar Griffe auf der Gitarre, aber das ist es dann schon auch. George und Paul können gut Gitarre spielen, aber ihr Repertoire beschränkt sich auf Rock- und Skifflenummern. Stu kann auf seinem Bass fast nichts und spielt oft falsch. Und Pete? Ist ein schwacher Drummer. Das hören auch die Gäste im Kaiserkeller, und das weiß auch der Eigentümer, Bruno Koschmider. Die Hurricanes werden in Hamburg von Anfang an besser bezahlt als die anderen Gruppen. Rory Storm And The Hurricanes sind die Stars in Hamburg, und füllen auch sofort und mühelos mit ihren Klängen den „Kaiserkeller“, dem größten Umsatzbringer für Koschmider. Die Beatles sind hier die Underdogs. John: „Der Kaiserkeller war größer und hatte auch eine größere Tanzfläche. Howey Casey spielte dort, und sie waren sehr gut, spielten sehr flott zusammen. Und dann kam Rory Storm, wo Ringo mitspielte, und die waren echte Professionals. Sie hatten seit Jahren gespielt. Sie waren schon in Butlin's Ferienlager gewesen und der Himmel weiß wo sonst noch. Sie konnten eine Show machen. Und mit diesen beiden Gruppen sollten wir jetzt konkurrieren ...“ Das Repertoire der Beatles besteht zu dieser Zeit vor allem aus bekannten Rocknummern, die andere Bands weit besser drauf haben. Von Anfang an bestechen sie aber mit ihren beiden Frontmännern. John und Paul haben ungewöhnlich schöne Stimmen. John singt aggressiv, maskulin, gibt den Macker, während der hübsche Paul melodisch und mit großem Stimmumfang

20 Hits zu Gehör bringen kann, die ihn zum perfekten Schwiegersohn-Typ machen. John und Paul sind einfach unglaublich sexy, während Stu und George einen jugendlichen Charme verströmen. Manchmal fließt all das zu einer großen Wirkung auf die Fans zusammen. Doch etwas Undefinierbares fehlt ihnen noch. Ein Drummer wie Ringo – das ist das Eine. Eigene Lieder – das ist das Wichtigste. Die Beatles komponieren seit Jahren, aber die Lieder, die sie bis jetzt zustande gebracht haben, taugen nicht viel. Das wird sich bald ändern. Rory Storm kennt die Beatles sehr gut, weil seine jüngere Schwester als 12jährige mit George und als 17jährige mit Paul zusammen war. Storm ist ein gut aussehender, großer blonder Mann mit einer riesigen Mähne, ein sportlicher Typ, der etwas stottert. Mit John teilt er den Wunsch, berühmt zu werden, was so weit geht, dass er einmal in Liverpool dabei geschnappt wird, auf Hausmauern „I Rory“ zu schreiben – und dabei leider erwischt wird. Rory versucht seiner Truppe ein möglichst professionelles Gepräge zu geben. Die anderen tragen alle die gleichen bunten Anzüge, meist rot, und er streift dann ein damit kontrastierendes Blau über. Als Bandleader besticht er durch seine tiefe Stimme, singt aber ungleich schwächer als John oder Paul, langsam und etwas stockend.1 Rorys Karriere hat Anfang 1958 begonnen, als er in Liverpool im Keller eines viktorianischen Gebäudes den „Morgue Skiffle Club“ - übersetzt: Leichenhallen- Skiffle-Klub), eröffnet. Der Keller hat zwei Räume mit schwarzen Wänden, auf die Skelette gemalt sind. Storm heißt eigentlich Alan Caldwell und spielt damals mit 1 http://www.youtube.com/watch?v=rYAL-eBfBno

21 seinen Al Caldwell's Texans dort. Aber auch John ist mit seinen Quarry Men dort schon zu Gast gewesen, und George hat ihm hier 1958 zur Probe den Guitar Shuffle Boogie vorgespielt. Eigentlich wollte George damals bei Rory Storm mitspielen, den er bewundert, doch er wurde nicht genommen und blieb deshalb bei den Quarry Men und später bei den Beatles hängen. Ringo hingegen wurde von Rory Storm umworben, als der ihn das erste Mal trommeln hörte. Paul: „Ringo war ganz einfach gesagt der beste Drummer von Liverpool. Er hatte auch einen natürlichen Witz. Manchmal wusste er gar nicht, dass er witzig war, wenn er etwas sagte. Wir waren alle im Gymnasium gewesen, aber Ringo hatte überhaupt keine Schulausbildung. Er sagte mir einmal, er sei insgesamt nur drei Tage in der Schule gewesen wegen dieser bösen Operation, die er als Kind hatte. Er war an Peritonitis erkrankt und sein Bauch hat jede Menge Narben. Als er drei Jahre alt war, sagte man seinen Eltern, man könne nichts mehr für ihn tun, er würde sterben. Deshalb hat er diese Einstellung, dass alles im Leben eine Art Bonus ist.“

Obwohl Rory und seine Hurricanes von Koschmider (im Gegensatz zu den Beatles) als Auszeichnung am Ende ihres Engagements eine Ehrenurkunde erhalten werden, verläuft ihre Zeit in Hamburg nicht reibungsfrei. Einmal springt Rory während eines Liedes vom Klavier auf die Bühne, worauf die Bühnenbretter durchbrechen und Rory in dem entstandenen Loch verschwindet. Koschmider muss die Live-Show abbrechen und die Juke-Box anwerfen, bis der Schaden repariert ist. Als sich die Hurricanes und die Beatles ins Café gegenüber zurückziehen, um eine Tasse Tee zu

22 nehmen und dabei eine Zigarette zu rauchen, schickt ihnen der erboste Koschmider seine Schläger auf die englischen Musiker, die sie zur Strafe mit Totschlägern bearbeiten und wieder zurück in den Club treiben. Als Rache dafür springen die Beatles von nun an dauernd auf der reparierten Bühne herum, um ein Loch in sie hinein zu treten und damit eine Spielpause zu erzwingen. Alan Williams, der sowohl die Hurricanes wie auch die Beatles managt, hat in Hamburg am 15. Oktober Plattenaufnahmen arrangiert. Da er weiß, dass John, Paul und George schöne Harmonien singen können, dürfen sie die Hintergrundgruppe für Wally Eymond abgeben, den Leadgitaristen von Rory Storm. Pete Best ist gerade in der Innenstadt, um sich in einem Musikaliengeschäft neue Schlagbesen zu kaufen, also bittet man Ringo zu der Session hinzu, und der findet sich gleich mit Geschick in die Sache. Auf dem Plan stehen eine Popversion von George Gershwins Summertime, September Song von Kurt Weill, und Fever, konventionelle Aufnahmen, die später in Bootlegs auftauchen, aber nicht vom Talent der Beatles sprechen werden. Die Bedeutung dieses Tags liegt eigentlich nur darin, dass es das erste Mal ist, dass die späteren Beatles miteinander auf einer Bühne gestanden haben. Und es hat von Anfang an gut geklappt, wie am Schnürchen. So, als würde hier zusammenfinden, was zusammen gehört. Und hat bis jetzt eher John aus persönlichen Gründen sein Auge auf den Drummer Ringo Starr geworfen, ist es jetzt auch Paul McCartney, der über „Ritchie“ nachzudenken beginnt. Denn Ringo ist der beste Drummer, den die Beatles zu dieser Zeit bekommen können. Und wenn sie ihre

23 Karrierewünsche in die Wirklichkeit umsetzen wollen, müssen Sie alles tun, um ihn für sich zu gewinnen. 1961

Es wird noch über ein Jahr dauern, bis Ringo dann wirklich zu den Beatles stößt. Das hat damit zu tun, dass die Beatles nach ihrem ersten Hamburg-Erlebnis in eine tiefe Krise geraten und daran denken, sich als Gruppe aufzulösen. George wurde als Minderjähriger von der Polizei geschnappt und wegen einer fehlenden Aufenthaltserlaubnis von der deutschen Einwandererbehörde nach Hause geschickt mit der Auflage, erst wieder zurückkehren zu dürfen, wenn er volljährig geworden ist. John und Paul verfallen nach ihrer Rückkehr in eine Depression, da sie nicht wissen, wie es weitergehen soll. Alles Geld, das sie in Hamburg verdient haben, ist aufgebraucht, und es gehen ihnen gegenüber ihren Angehörigen, die eine geregelte berufliche Laufbahn anmahnen, langsam die Argumente aus. Das geht so weit, dass Paul vorübergehend in eine Batteriefabrik geht, um dort Kupferdrähte auf Spulen zu wickeln. Die Beatles beschließen dann doch, irgendwie weiter zu machen, aber die Engagements sind rar und bringen nur wenig Geld ein. Ein Vorteil, der ihnen zu der Zeit noch als Nachteil erscheint, ist die Tatsache, dass sich Stu Sutcliffe auch aus der Gruppe zurückgezogen hat und in Hamburg geblieben ist, um dort als freier bildender Künstler zu leben, und sie jetzt viel besser klingen, seitdem Paul den Part des Bassisten übernommen hat. Ganz anders sieht es in dieser Zeit karrieremäßig bei Ringo aus. Er hat sich schon ein hübsches Sümmchen

24 ersparen können, und es gibt ständig neue Aufträge. Als in Liverpool im März eine „Beat Night“ veranstaltet wird, sind Rory Storm und seine Hurricanes die Hauptattraktion des Abends. Sie spielen auch wieder den ganzen Sommer in Butlin's Feriencamp und verdienen dabei schönes Geld. Zwischendurch weilt Ringo in Liverpool, und dort erreicht ihn auch am 18. August 1961 ein Hilfeschrei der Beatles, die gerade im Cavern Club gebucht sind. Er freut sich, die anderen wiederzusehen, aber er kann nicht länger die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die Beatles einfach keine gute Band sind. Sie haben in Hamburg bei den wenigen Nummern, die sie im Plattenstudio spielten, durchaus taugliche Arbeit abgeliefert. Doch wenn es um einen ganzen Abend geht, fehlt ihnen einfach das Können und das Stehvermögen für ein geordnetes Programm gepflegter Rocksongs, wie Ringo das von Rory gewöhnt ist. Hinzu kommt: Manche Nummern legen sie anders an, versuchen ihnen ihren eigenen individuellen Stempel aufzudrücken. Das ist für einen routinierten Rockdrummer wie Ringo dann doch etwas anstrengend. Ringo: „An einem Tag war Pete Best krank. Ein Auto holte mich ab und der Fahrer fragte mich, ob ich für die Beatles Schlagzeug spielen will, zu Mittag im Cavern. Es wurde recht lustig. Wir kannten alle die gleichen Nummern, aber wir spielten sie total anders. Ich kam am Anfang mit ihnen überhaupt nicht zurecht.“ Dass die Beatles Ringo trotzdem bei sich haben wollen, bleibt aber bestehen. Sie hören einfach, wie stark er ihre Nummern veredeln kann, die durch Pete Bests Rhythmus hohl werden. Doch dass Ringo längst in einer ganz anderen Liga spielt, erkennen sie auch, und

25 lassen sich von ihrer Sehnsucht nach diesem Bandmitglied nichts anmerken. Ringo sieht die Beatles Ende September wieder, als John und Paul von einem Pariser Aufenthalt mit neuen Frisuren zurückkehren. Der Hamburger Jürgen Volmer hat sie ihnen in seinem Hotelzimmer verpasst, weil John Volmers Frisur so gut gefallen hat. Ringo: „Wie die aussahen! Ich habe sie gezwungen, sich wieder umzufrisieren, weil es so bescheuert aussah.“ Bald aber trägt auch Ringo diese neue, deutsche Frisur. Sie wird von den Medien dauernd der Photographin Astrid Kirchherr zugeschrieben, weil sie viel Geschmack hat und männliche Journalisten sich offenbar nur vorstellen können, dass Frauen das Talent haben, Friseurin zu sein. Astrid: „Diese ganze Scheiße, die die Leute erzählt haben, dass ich ihre Frisuren erfunden habe, das ist einfach Mist! Eine Menge Jungs in Deutschland hatten damals diese Frisur, Stuart auch, und sie haben ihn nachgemacht. Ich glaube, das Wichtigste, was ich Ihnen geben konnte, war Freundschaft.“ Zu diesem Zeitpunkt, innerhalb weniger Monate, haben die Beatles nun aber doch an Ausstrahlung gewonnen. Es war harte Arbeit. Seit Februar sind sie immer wieder zur Mittagszeit im Cavern-Club aufgetreten und haben schon eine eigene Fangemeinde um sich gesammelt. Trotzdem können sie sich in Liverpool noch lange nicht mit der Attraktivität der Hurricanes messen. Als die Beatles Anfang Dezember in Aldershot angekündigt sind, kommen nur 18 Menschen, um sie zu hören. Rory Storm And The Hurricanes sind am folgenden Samstag da und es tauchen 210 zahlende Gäste auf. Die Beatles haben an sich gearbeitet, doch den Durchbruch als Band erleben sie erst, als sie einen

26 neuen Manager bekommen. Seit November ist da der Besitzer eines Plattenladens in Liverpool, der sie unter seine Fittiche genommen hat, und ihnen sagt, wie sie sich verändern müssen, um erfolgreich zu sein. John hört die Botschaft nicht gern. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wären die Beatles einfach bei dem geblieben, was sie bis jetzt gemacht haben. In dem Moment, als aber das Kommando übernimmt, ist für John die Musik am Ende. Epstein nimmt ihnen die Rock-Klamotten und steckt sie in adrette Anzüge, weil die Leute das so wollen. Den Jugendlichen ist das egal, die akzeptieren eine Rockgruppe auch in Leder. Doch die alten Leute, die Entscheidungsträger, und damit auch die Musikmanager, die Clubbesitzer, und letztendlich auch die Journalisten, lehnen schmuddelige Musiker ab. Ringo ist den anderen zu diesem Zeitpunkt schon wieder um einen Schritt voraus, ist längst Berufsmusiker, der sich aufgrund seiner Kompetenz auch schon eine Rockgruppe aussuchen und höhere Gagen verlangen kann. hat ihm gerade ein Angebot gemacht, mit ihm in Hamburg im Top Ten Club zu spielen. Dafür bekommt Ringo Geld, eine eigene Wohnung und einen Wagen. Es ist für ihn eine weitere Phase im Leben eines Berufsmusikers. Das Engagement beginnt Ende Dezember, wird aber nur einige Wochen dauern und diese frühen Träume begraben. Ringo und Sheridan verstehen sich nicht miteinander, und Ringo beschließt, nach Liverpool und zu den Hurricanes zurückzukehren.

27 1962

Am 5. Februar ist Pete Best krank, und die Beatles rufen wieder bei Ringo Starr an, um bei ihrem Auftritt im Cavern Club zu helfen. Diesmal ist er erstaunt zu sehen, dass sich die Fangemeinde der Beatles stark vergrößert hat und dass sie nicht mehr die Band sind, die er einmal zu kennen glaubte. Unmerklich verschieben sich von jetzt an die Gewichte, und Ringo wird bald in die Rolle gedrängt werden, die er in den nächsten Jahren bei den Beatles einnehmen wird. In die des unbegabten Beatle, den, der zufällig in die Gesellschaft von Genies geraten ist, die mit ihren Liedern ihre Zeit prägen werden. Etwas ist mit den anderen passiert. Es ist schwer zu sagen, was. Bei den Auftritten der Beatles drängen sich die Fans in den Club und verfolgen das Geschehen auf der Bühne mit großer Begeisterung. Die Beatles spielen auch jede Menge Nummern, die man noch nicht kennt. Sie stammen aus der Feder von John und Paul. Ringo macht es an diesem Abend Spaß, mit den Beatles Musik zu machen, und Teil ihres Erfolgs zu sein. Ringo denkt das erste Mal ernsthaft darüber nach, wie es wäre, mit den Beatles zusammenzukommen. Rory Storm hat sich im letzten Jahr von Seiten seines Repertoires nicht geändert, ist musikalisch eher auf dem absteigenden Ast, trinkt zu viel und hat auch keine Lust mehr, sich als Musiker zu entwickeln, wie er sagt. Ganz anders steht es bei den Beatles, die von allen als neu und

28 aufregend empfunden werden. Im Juni des Jahres werden bei einem Auftritt der Beatles im Cavern 900 Fans gezählt, die sich schon lange vor Einlass vor den Toren drängen, erste Manifestationen der Beatlesmania. Im Sommer ist Ringo wieder mit den Hurricanes in Butlin's gebucht, als eines Tages, es ist der 15. August, John und Paul bei ihm auftauchen. Sie erzählen ihm, dass sie Pete Best feuern wollen und bitten ihn nun offiziell, der Schlagzeuger der Beatles zu werden. Ringo hat zuletzt auf diesen Tag gehofft, und als die Beatles erzählen, dass sie einen Plattenvertrag haben, hört er noch genauer zu. Das hat Rory Storm nie erreicht, und wird es wahrscheinlich auch nie erreichen, weil er gar nicht den Ehrgeiz dazu hat, über Liverpool und Umgebung hinaus zu wirken. Der Manager der Beatles, Brian Epstein, scheint ziemlich gut zu sein, das entnimmt Ringo den Erzählungen der anderen. Er hat in Demobänder herumgereicht und ist mit den Beatles bei der EMI untergekommen. Dort sitzt ein Produzent namens , und dieser hat die Beatles im Juni nach einem Probespiel darüber informiert, dass ihr Drummer nichts taugt. Er war auch von den anderen, wie er später berichten wird, nicht ganz überzeugt, aber spürte gleich, dass sie etwas Besonderes waren. Zuerst dachte er daran, Paul wegen seines Aussehens und seiner guten Stimme zum Leadsänger einer Begleitband zu machen. Vor kurzem ist Martin dann nach Liverpool gefahren, hat sich die Beatles angeschaut und dabei die Begeisterung der Leute erlebt. Aber auch die Magie, die die Beatles auf der Bühne ausstrahlen. Martin ist jetzt Feuer und Flamme und will unbedingt eine Platte mit ihnen machen, aber über den Schlagzeuger ist er immer noch unglücklich. Und jetzt wird die Sache konkret: Der

29 ganze Plattenvertrag ist am Wackeln, wenn die Beatles sich nicht einen neuen Drummer suchen, so John. George Martin später: „Ich fand, dass Pete Best zum Bild der Beatles beitrug, er war so eine Art mürrischer James Dean. Aber ich mochte es nicht, wie er Schlagzeug spielte. Er hielt die Gruppe nicht zusammen, was ja das Wichtigste ist, und ich wollte nicht, dass sich das auf die Gruppe auswirkt. Ich sagte also zu Brian, ich nehme für die Aufnahmen einfach einen Drummer aus dem Studio und wir belassen es dabei. Ich wusste gar nicht, dass sich die Beatles selbst längst mit dem Gedanken trugen, Pete Best auszutauschen.“ Martin spricht mit Epstein, der auch gleich eigenmächtig, und ohne die anderen Beatles zu informieren, für Ersatz gesorgt hat. Er hält Johnny Hutchinson von den „Big Three“ für gut. Die Beatles sind damit überhaupt nicht einverstanden. Ihnen einfach einen neuen Drummer aufzudrängen, das geht gar nicht. Wenn schon ein neuer Drummer, so John, dann bestimmen wir, wer das ist. George erzählt das später in seiner typischen flapsigen Art: „Brian sagte, okay, sprechen wir Ringo darauf an. Er wusste genauso gut wie ich, dass Ringo seit einem Jahr darauf gespitzt hatte, zu den Beatles zu kommen. Und der kam dann auch gleich gelaufen.“ Die Bemerkung ist sicherlich ungerecht, und Ausdruck des Ärgers, den George immer noch dabei empfand, rangmäßig einmal „unter“ Ringo gestanden zu haben. Als das schwächste Glied in der Kette gegolten zu haben. Schon in Hamburg war das so, wo John George dauernd aufzog und wie ein Kind behandelte. Jetzt, wo die Beatles ihre Entscheidung getroffen haben, soll es gleich ganz schnell gehen.

30 Ringo: „Brian rief mich im Ferienlager an und fragte mich, ob ich schon am nächsten Tag mit den Beatles spielen könnte, aber das kam gar nicht in Frage. Ich musste zuerst mit Rory Storm reden und dann dauerte es noch bis zum Ende der Woche und ich war bei den Beatles.“ Für Ringo sind Freundschaften wichtiger als alles andere. Er ist nicht der Typ, um Rory einfach im Stich zu lassen. Als im Vorjahr Tony Sheridan bei ihm war, hat er gleich mit den anderen geredet, und da Sheridan zu der Zeit schon ein großer Star war, kamen alle schnell überein, dass sich Ringo diese Chance nicht entgehen lassen sollte. Und Ringo hat nun außerdem eben ein neues Angebot bekommen, über das er nachdenkt, in Hamburg. Bei all dem sind Ringos Gedanken immer bei der Frage, was es für die Hurricanes bedeutet, wenn er nicht mehr bei ihnen mitmacht. Andererseits fühlt er sich geschmeichelt und hat auch das Gefühl, bei den Beatles besser aufgehoben zu sein. Dass John und Paul persönlich bei ihm auftauchen, ist hier auch ein wichtiges Element. Sie signalisieren ihm damit ihre Freundschaft. John sagt: „Wir wollen dich. Du passt am Besten zu uns.“ Ringo erwähnt, dass er gerade mit Kingsize Taylor nach Hamburg fahren wollte. „Wie viel zahlen die dir?“ fragt Paul gleich. „20 Pfund die Woche.“ „Wir geben dir 25 Pfund.“ „Und was ist mit Rory?“ „Wir tauschen einfach Drummer“, schlägt John vor, „wir geben ihm Pete und du kommst zu uns.“ Ringo sagt ja. Die Entscheidung wird auch dadurch erleichtert, dass Rory Storm, wie sich im Rahmen der

31 Gespräche herauskristallisiert, hofft, der Kontakt mit Brian Epstein würde auch ihm einen Plattenvertrag verschaffen. Tatsächlich werden die Hurricanes unter Vermittlung von Epstein bald eine LP aufnehmen können, deren bekanntestes Lied America wird, eine Coverversion des Lieds aus der .2 Die große Karriere aber wird für Rory und seine Hurricanes ausbleiben. Wer noch von diesem Wechsel betroffen und ein Leben lang unter ihm leiden wird, ist Pete Best, den die Art und Weise, mit der sein Ausscheiden vor sich geht, ist so verletzend, dass er die Beatles deshalb später sogar verklagen wird. Pete Best einige Jahre später: „Wir luden gerade unsere Ausrüstung in den Wagen, als Brian auf mich zukam und sagte, dass er mich am nächsten Morgen um 10 Uhr in seinem Büro sehen wollte. Bis dorthin hatte ich auch das Geschäftliche für die Beatles geregelt, deshalb war es nicht ungewöhnlich, dass Brian mit mir reden wollte. Ich ging also recht sorglos in sein Büro, merkte aber, dass er sehr angespannt war. Eine Weile redete er um den heißen Brei herum, aber dann musste es raus und er sagte: Pete, ich habe schlechte Nachrichten für dich. Die Jungs wollen dich raus und wollen Ringo rein haben. Ich war wie vom Schlag getroffen. Ich konnte es gar nicht glauben, dass ich gefeuert war, es kam mir unwirklich vor. Danach wollte ich mit dem Showbusiness überhaupt aufhören, aber dann gab es mehrere Angebote und ich ging dann zu den Lee Curtis All Stars und fühlte mich tausend Mal besser und hatte mit meiner eigenen Gruppe Erfolg.“ Das Angebot, bei Rory zu spielen, schlägt Pete sofort aus. Er ist sauer wegen der Art, mit der er abserviert 2 http://www.youtube.com/watch?v=_rtC9riuBRc

32 wird. Er kennt Ringo, und anfänglich ist er auch auf ihn wütend, doch Ringo schafft es, in der Folge der einzige Beatle zu sein, mit dem Pete in späteren Jahren noch redet und den er zumindest weiterhin als „Kumpel“ bezeichnet. In dieser Zeit haben aber auch die Beatles, die noch keine langfristigen Bindungen an die Liverpooler Szene haben, große Sorge, dass der Abschied von Pete für sie nachteilige Folgen haben könnte. Mona Best, seine Mutter, ist in der Musikwelt von Liverpool mittlerweile eine fest etablierte Größe. Ein Teil des Erfolgs der Beatles in der Stadt ist auch von den Verbindungen zur Presse und zu anderen Clubbesitzern abhängig, die sie hat. Außerdem hat sich auch um ihren Sohn eine kleine Fangruppe gebildet, die sich nach dem Wechsel des Drummers empört von den Beatles abwendet. , der Manager des Cavern Club: „John, Paul und George haben das entschieden, dass Pete aussteigen muss. Wir trafen uns spätabends nach Feierstunde in einem Pub und redeten darüber. Ich war dabei, weil Brian Epstein meinen Rat schätzte. Er wollte keinesfalls, dass die Fans abgeschreckt würden. Pete hatte seine eigenen Fans und es war das eine kritische Zeit, weil sie in London gewesen waren und es hieß, der Drummer ist zu schwach. Für alle war Ringo Starr der beste Nachfolger.“ Zeitlich geht das alles sehr schnell. Am 14. August treffen die Beatles die Entscheidung, Pete zu feuern. Am nächsten Tag spielt Pete Best noch einmal für sie, doch schon am 16. August sitzt Hutchinson bei einem Auftritt im Riverpark Ballroom in Chester hinter den Trommeln. Und schon am 18. August 1961 spielt Ringo für die Beatles beim Jahrestanz der Gartenbaugesellschaft in Hulme Hall in .

33 Der Wechsel des Schlagzeugers hat für die Beatles tatsächlich – wenn auch kurzzeitig – nachteilige Folgen. Fans von Pete formieren sich vor dem Cavern Club, schütteln ihre Fäuste und rufen: „Pete forever! Ringo never!“ Einige wenige Mädchen stellen sich diesen Fans entgegen und schreien: „Pete never! Ringo forever!“ Ihre Anführerin ist Patricia Davies, die Freundin von Ringo. George Harrison ist es dann, den die Empörung der Fans am Stärksten trifft. Alan Williams: „Vor ihrem nächsten Auftritt kam Brian Epstein mit John, Paul und George in den Blue Angel und wir gingen dort an die Kellerbar für einen Drink und um ein bisschen zu reden. Ich merkte, dass George ein blaues Auge hatte und wollte zuerst nichts dazu sagen. Nachdem ich Scotch und Cola in die Gläser gegossen hatte wie immer – und eine Cola für Brian – sagte mir George allen Ernstes: Alan, sag mir, wen hältst du eigentlich für den besseren Drummer, Pete Best oder Ringo? Und ich sagte schnell: Auf jeden Fall Ringo. Er ist verdammt gut, das weiß doch jeder. Da drehte sich George zu Brian um und lächelte: Siehst du, Brian, was habe ich dir gesagt? Ringo! An dem Tag hatten einige Fans ihre Loyalität für Pete Best zeigen wollen und dabei George sein blaues Auge verpasst.“ Schnell aber hat sich Ringo in der Gruppe integriert, und diese, befeuert von seinem Rhythmus, und unterstützt von seiner lustigen Art, erlebt ihren großen Durchbruch als Band. Die einzige Filmaufnahme der Beatles im Cavern Club stammt vom 22. , vier Tage nach Ringos Aufnahme in die Gruppe, und man erkennt darauf sogleich, was er für John, Paul und George beisteuern kann: Ein munteres, selbstbewusstes Auftreten auf der Bühne, das ihm die Herzen vieler

34 Konzertbesucher öffnet. Es ist bis dorthin nicht üblich gewesen, dass man überhaupt auf den Schlagzeuger achtet, aber bei Ringo macht man das. Das Lied, dessen bewegliche Bilder sich über die Zeiten erhalten haben, heißt Some Other Guy, ein Rocksong von Jerry Leiber, Mike Stoller und Richard Barnett, die gerade von Barnett veröffentlicht worden war. John steht rechts aufrecht und wirkt sehr selbstbewusst, Paul etwas verkrampft und wackelig in der Mitte, stark schwitzend und mit einem fast ängstlichen Gesichtsausdruck, den er bald bei seinen Auftritten verlieren wird. George erkennt man ganz links, jungenhaft, in sich zurückgezogen, ein stiller Techniker, der noch eine starke kindliche Ausstrahlung hat. Die Filmaufnahme zeigt mehrmals Ringos Gesicht. Er strahlt und hat sichtlich Spaß beim Trommeln. Die Beatles sind in dieser Aufnahme schon proper gekleidet in hellen Hemden und Pullundern und klingen schon nach den Beatles der großen Bühnen, die sie bald erobern werden!3 Es sind viele Frauen im Publikum des Cavern Clubs. Die Anziehungskraft der Jungs auf der Bühne hängt zu einem gewissen Teil – zumindest vermutet das Brian Epstein, der schwule Manager der Beatles, der sichtlich auf John steht - auch damit zusammen, dass diese noch unverheiratet sind. John ist aber auch der erste Beatle, der eine feste Freundin hat, und er möchte jetzt, wo sich alles ordnet und die Karriere als Berufsmusiker beginnt, erst einmal heiraten. Cynthia Powell ist eine Kunststudentin aus besseren Kreisen, die die Beatles im Cavern am Bühnenrand unterstützt und auch zu den ersten Fans der Gruppe gehört hat. Als Cynthia nun unerwartet schwanger wird, beschließen die beiden, 3http://www.youtube.com/watch?v=w2AXaOULs6Q

35 gleich in den Stand der Ehe einzutreten. Ihr gemeinsamer Sohn Julian wird Mitte Juli gezeugt und die Hochzeit findet am Tag nach der Filmaufnahme im Cavern-Club, am 23. August 1962, in Liverpool im Mount Pleasant Register Office statt. Paul ist Johns Trauzeuge. Die Hochzeitsnacht fällt aus, denn die Beatles spielen im Riverpark Ballroom bis spät in die Nacht. Die Tatsache, dass der Frontmann der Beatles nicht mehr zu haben ist, wird gegenüber der Presse verheimlicht und gerät erst zwei Jahre später an die Öffentlichkeit. Brian Epstein befürchtet, wenn die Fans davon Wind bekämen, könne das der Popularität der Beatles schaden. Die Hochzeit wie auch die Geburt ihres Sohnes John Julian Charles Lennon werden deshalb streng geheim gehalten. Durch Johns Hochzeit ist der Bann auch für die anderen gebrochen. Auch Ringo bindet sich relativ früh an eine der weiblichen Fans, die die Beatles in diesen Tagen gewinnen. Seine erste feste Freundin und spätere Ehefrau heißt Maureen Cox. Sie ist am 4. August 1946 geboren und somit sechs Jahre jünger als Ringo. Maureen stammt auch aus Liverpool und steht jeden Tag stundenlang vor dem Cavern an, um in den Club zu kommen. Sie will immer möglichst vorne an der Bühne stehen. Sie ist total verliebt in Ringo und läuft ihm auf der Straße nach, um ein Autogramm von ihm zu bekommen. Es dauert noch drei Wochen, bis Ringo überhaupt Notiz von ihr nimmt. Maureen, auch bekannt als „Mo“, hat mit sechzehn Jahren die Schule verlassen. Sie ist zum Zeitpunkt ihres ersten Zusammentreffens siebzehn Jahre alt und hat gerade eine Lehre als Friseurin begonnen, als die beiden miteinander auszugehen anfangen.

36 Am 4. September 1962 finden die ersten wirklichen Plattenaufnahmen der Beatles in den EMI Studios in der Abbey Road statt, das nun für die nächsten acht Jahre ihre zweite Heimat werden wird. Hier ist Ringo, der später durch sein verlässliches und fehlerfreies Spiel zum „Inventar“ des Studios gehören wird, zuerst einmal ein Fremdkörper. George Martin hat noch nichts davon mitbekommen, dass die Beatles einen eigenen Drummer eingestellt haben. Er glaubt, dass Pete Best immer noch dazugehört. Für die Probeaufnahmen hat er deshalb einen Session-Musiker, Andy White, angeheuert, und dass nun plötzlich zwei Drummer da sind, wird Ringo Martin später immer wieder vorwerfen. Ein unglückliches Missgeschick, eine Unachtsamtkeit, die George Martin später bereuen wird. Der Aufnahmetechniker Norman Smith: „Ringo war eben zu der Gruppe gekommen und kannte sich noch nicht so gut aus, also hatten wir Andy geholt. Ringo saß in einer Ecke in seinen schwarzen Lederklamotten und sah bemitleidenswert aus. Er sagte nicht viel. Die Beatles waren von dem Studio sehr beeindruckt, hatten aber keine Ahnung, wie unterschiedlich das sein konnte, was man im Studio und was man in der Technik hörte und sie weigerten sich auch, Kopfhörer aufzusetzen.“ Ringo: „Ich sah da ein Schlagzeug, das nicht mir gehörte und einen Schlagzeuger, der keinesfalls ich war.“ Paul später: „Ringo wurde aus seiner ersten Beatles- Session ausgeschlossen, weil man der Ansicht war, er wäre nicht gut genug. Meiner Ansicht nach ist er einer der besten Drummer des Rock'n'Roll geworden, aber

37 bei seiner ersten Sitzung fand man, dass er nicht gut genug war.“ Andy White: „An manchen Tagen spielte ich bei drei Sessions mit und war einfach eine weitere davon. Am Morgen hatte mich George Martin angerufen und mir gesagt, dass er mich am Schlagzeug haben wollte. Als Ringo dann ins Studio kam, denke ich, dass er überrascht war, dass ich dort saß. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die anderen ein Problem damit hatten, dass ich spielte, aber Ringo schon. Er stand hinten und spielte ein Tamburin, damit er nicht so herumstand. Nach drei Stunden waren ich fertig, bekam dafür 5 Pfund 14 und habe sie seither nie wieder gesehen.“ Das Tamburin, das Ringo bei Love Me Do spielt, wird auf der Platte sehr laut und das Schlagzeug sehr leise zu hören sein. Schon damals gibt Ringo den Takt vor, den Puls, den das Herz der Beatles verströmt. Das wird aber nicht von allen so gesehen. Besonders George Martin beäugt den neuen Drummer der Beatles misstrauisch. Doch er stimmt dann doch zu, dass man es bei den nächsten Aufnahmen mit Ringo versuchen soll. An diesem Tag stößt Ringo, der sein Handwerk auf den Bühnen erlernt hat, auch auf die Vorurteile eines Mannes, der selbst von der Musikschule kommt und an Drummer ganz andere Anforderungen stellt. Ringo: „Er hielt mich für verrückt und dachte, ich kann nicht spielen. Das war, weil ich bei Please Please Me mit einer Hand das Schlagzeug bediene und mit der anderen das Tamburin schüttle und die Maracas, weil ich Percussion und Schlagzeug zugleich spielen wollte. Wir waren ja nur zu viert.“ Ringo spielt gut, doch er merkt, dass das von den Leuten im Plattenstudio nur zögerlich anerkannt wird.

38 Die kühle und kritische Stimmung ist für ihn schwer erträglich. Ringo später: „Ich war ziemlich entmutigt, ich dachte, man macht mit mir einen Pete Best.“ Ganz unrecht haben die Leute von der EMI mit ihrer Skepsis aber auch nicht. Als Linkshänder kann Ringo kein Rollen auf der Trommel spielen. „Immer wenn ich einen anderen Schlagzeuger höre“, wird er später zugeben, „weiß ich, dass ich nichts kann. Bei technischen Dingen steige ich einfach aus. Ich bin ein durchschnittlicher, etwas merkwürdiger Schlagzeuger mit komischen Einfällen, das ist alles.“ George Martin: „Ringo schlug hart und gut und verwendete das Tom-Tom sehr geschickt, aber er konnte einfach kein Rollen spielen.“ Trotzdem lernt Martin den Drummer der Beatles bald schätzen: „Er hat ein enormes Feeling. Er hat uns immer geholfen, das richtige Tempo bei einem Lied zu finden und es erhielt dabei diesen tiefen, stabilen Boden, mit dem die Einspielung der Beatles-Lieder so viel angenehmer wurde.“ John selbst hält nicht gar so viel von Ringos Technik. Als er später einmal von Reportern gefragt wird, ob Ringo der beste Drummer der Welt sei, lacht und antworte: „Er ist nicht einmal der beste Drummer der Beatles!“ um dann aber ernster hinzuzufügen: „Er ist wirklich ein sehr guter Drummer, und ist es immer gewesen.“ Die Beatles stehen zu Ringo, obwohl auch sie eingeschüchtert sind und in London bei der mächtigen Plattenfirma keinesfalls Fehler machen und einen schlechten Eindruck hervorrufen wollen. Sie mögen Ringo und er inspiriert sie auch. John und Paul sind fasziniert von der Art, mit der Ringo alltägliche Phrasen drehen kann, um ihnen ein interessantes Gepräge zu

39 verschaffen. Einige der Aussprüche von Ringo werden später zu Titeln von Lennon/McCartney Hits werden, darunter A Hard Day's Night und . Paul: „Er machte Aussprüche, wo man das Gefühl hatte, er hat sich versprochen, aber es waren wunderbare, sehr poetische Kreationen, fast magisch ...“ Die Beatles sind an diesem Tag unter Druck, weil George Martin versucht, sie in ein Schema zu pressen. Dieser frühe George Martin ist arrogant und hält sich für klüger als ein junger Musiker vom Schlage eines John Lennon, der mit seinem dicken Liverpooler Akzent spricht und mit Autoritätspersonen so seine Probleme hat. Martin schlägt den Beatles vor, How Do You Do It aufzunehmen, ein Lied von Mitch Murray, das ein Jahr darauf in der Version von Gerry & the Pacemakers ein Nummer-1-Hit werden wird.4 Die Beatles spielen das Lied ohne große Begeisterung, wenn auch schon im charakteristischen Beatles-Sound.5 Sie wollen ihr eigenes Material aufnehmen. Aber sie wissen nicht so recht, wie sie das dem mächtigen Plattenmann klar machen sollen. Sie machen nur vage Andeutungen, auch Paul, der erst 20 Jahre alt ist, kann noch nicht so recht die Rolle des Gruppensprechers übernehmen, wie er das später sehr effektiv machen wird. Martin sagt schließlich frustriert, weil er merkt, dass die Beatles nicht so recht „ziehen“, wie er das will: „Und, habt ihr etwas Vergleichbares?“ Das ist der Augenblick, in dem John und Paul Love Me Do vorschlagen, das der Produzent schon von den Demo-

4 http://www.youtube.com/watch?v=Ig20b9EXU0Y 5 http://www.youtube.com/watch?v=fY5x7nQ4_UY

40 Bändern kennt, und spielen das Lied. Und von da an ist der Bann gebrochen. George Martin hat diesen ersten Hit der Beatles, den sie auch im Cavern Club zu Gehör bringen, anfänglich überhaupt nicht gemocht. Mittlerweile aber hat er die Beatles live erlebt und gehört, wie er bei den Fans ankam. Dass die Fans Love Me Do einfach lieben. Vielleicht liegt das daran, dass die Demo noch von einer Gruppe gemacht wurde, die noch nicht so richtig zueinander gefunden hat? Eine Gruppe, bei der außerdem noch ein Pete Best mitgetrommelt hat? Gerade deshalb besteht er darauf, dass nun ein Studiomusiker, der alle Stücke spielt, dabei alle Register zieht. Martin weiß, dass das Stück Potential hat. Es ist sehr ungewöhnlich, aber darin ist auch etwas Neues, findet er. Paul: „Love me Do war unsere Version von einem Blues. Es hat weiß geklungen, schon weil wir Weiße und einfach junge Musiker aus Liverpool waren. Wir hatten nicht das Können, schwarz zu singen.“ John ist selbst nicht so sehr von den Kompositionen überzeugt, die er gemeinsam mit Paul verfasst hat, und wenn es um Liedchen geht, die fast zur Gänze aus Pauls Feder stammen, ist er sehr skeptisch. John wird bis zuletzt nie das Genie von Paul anerkennen, und das aus einem einfachen Grund: Weil Paul selbst nicht seine guten Sachen von den schlechten Sachen unterscheiden kann, und wenn es dann gar um einen guten, eindringlichen Text geht, ohne seine Hilfe völlig aufgeschmissen wäre. John: „Paul hat das schon geschrieben, als er 15 war und wir haben es im Laufe der Zeit mehrmals umgearbeitet. Es war das erste von unseren eigenen Sachen, die wir gespielt haben. Wir spielten so tolle

41 Nummern von anderen und unsere dazwischen und das war ein traumatisches Erlebnis, wenn man Ray Charles interpretiert hat und und dann plötzlich Love Me Do singen muss. Wir hielten unsere eigenen Nummern für nichts Besonderes.“ Am 2. Oktober unterschreiben die Beatles einen Fünfjahresvertrag mit Brian Epstein. Am 5. Oktober wird Love Me Do als Single veröffentlicht, und kommt bei den Fans sofort gut an. Brian Epstein sitzt wegen seines Plattenladens an der Quelle und kann gut beurteilen, ob seine Single „läuft“ oder nicht. In Liverpool gehen jeden Tag hunderte Beatles-Singles über den Ladentisch. Die Beatles sind eine lokale Größe, und jetzt ist die Zeit gekommen, um sie überregional bekannt zu machen. Also nehmen die „Jungs“ mehrere Termine in Plattenläden der Umgebung wahr, um Autogramme zu geben. Außerdem spielen sie am 12. Oktober in New Brighton im Tower Ballroom und treffen dabei auf Rockstar Little Richard, der der Star des Abends ist. Am 17. Oktober findet ihr erster Fernsehauftritt statt. Es ist die Sendung People And Places in einem Regionalsender. Die Beatles sind mit Love Me Do dabei und Some Other Guy. Am 28. Oktober treffen sie im Liverpool Theatre wieder auf Little Richard, und fahren dann nach Hamburg, wo sie 14 Tage lang im Star-Club zu Gast sind. Die Resonanz ist auch hier stark. Auch die Deutschen lieben jetzt die Beatles, und dass ihre erste Single auch hier in den Plattenläden angeboten wird, ist ein einschneidendes Erlebnis für die junge Band. Sie haben es geschafft. Die Menschen drängen sich hier vor dem Club wie in Liverpool vor dem Cavern. Am 18. Dezember 1962 kehren sie dann noch ein letztes Mal nach Hamburg zurück, spielen noch 13 mal bis

42 Jahresende und treffen dabei auf Rory & the Hurricanes und Ted Taylor und seine Gruppe King Size Taylor & the Dominoes, Gruppen, die alle einmal Ringo gehabt haben oder haben wollten. Das Verhältnis mit Rory und seinen Leuten bleibt gut, und die Band tauscht immer wieder einmal ihren Drummer. Ringo macht es Spaß, wieder mit seinen alten Kumpels zusammen zu sein und mit ihnen ein Bierchen zu stemmen. Aber auch Rory und den anderen kann es nicht entgangen sein, dass die Beatles jetzt wer geworden sind. Plötzlich beginnen hier die Fans zu kreischen, sobald die Beatles auf die Bühne kommen, und auch die Presse ist auf die englische Band aufmerksam geworden. Ein Reporter fragt Ringo nach der grauen Locke in seinem Haar, die er seit seiner Kindheit hat. Ringo: „Wissen Sie, das kriegt man, wenn man mit diesen Typen zusammenarbeitet. Eigentlich müsste ich weiße Haare haben. Gut, wir kommen miteinander aus. Manche sagen, dass wir etwas anders sind, und wahrscheinlich stimmt das. John schreibt Gedichte, was das abgefahrenste ist, was ich jemals gelesen habe, aber er macht das, damit er nicht total durchknallt. Wem sonst wäre so ein Name wie die Beatles eingefallen? John ist auf den Namen gekommen, als er an Krabbeltiere gedacht hat und dann hat er noch den Beat dazu gegeben.“ Die Beatles hören, dass ihre Single Love Me Do am 27. Dezember 1962 auf Platz 17 der UK-Charts steht und sind überglücklich. Es wird zwar gemunkelt, dass Brian Epstein 10.000 Platten selbst gekauft hat, um diesen Platz zu erreichen, doch sie wissen, dass an diesen Gerüchten nichts dran sein kann, denn das Geld würde wohl aus ihrem Gehaltsscheck herausgenommen

43 werden. Sie erleben es außerdem Tag für Tag, dass ihre Karriere nun ins Rollen gekommen ist. Noch sind sie für viele ein Geheimtipp, doch es gibt nun keinen Auftritt auf einer Bühne mehr, bei dem die Fans nicht außer Rand und Band geraten. 1963

Am 3. Januar fahren die Beatles nach Schottland, um dort aufzutreten und werden dort schon als Love Me Do Boys – angekündigt. Es ist das erste Anzeichen dafür, dass sie überregional bekannt werden. Sie kommen nun auch das erste Mal ins nationale Fernsehprogramm. Bei Thank Your Lucky Stars spielen sie Please Please Me. Am 2. Februar brechen sie zu ihrer ersten landesweiten Tournee auf und geben ihre Premiere im Gaumont Cinema in Bradford bei einer Veranstaltung, an der auch Helen Shapiro, Danny Williams und Kenny Lynch teilnehmen. Zwar können sich die Beatles noch lange nicht mit einer Helen Shapiro nicht vergleichen, die 1961 als 14jährige mit ihren Hits You Don't Know6 und Walking Back to Happiness7 zweimal an der Spitze der Charts gewesen war und längst als Zugpferd in der Unterhaltungsbranche gilt. Aber auch die Beatles verdienen jetzt schon 80 englische Pfund in der Woche, also pro Mann 20 Pfund. Privat tragen sie allerdings ganz entgegen ihrer Bühnenkleidung weiterhin Lederjacken und werden deshalb einmal aus dem Crown & Mitre Hotel in geworfen. Helen Shapiro über die Beatles bei dieser Tournee: „Es waren lustige Typen mit einer lustigen Frisur. Ich hatte

6 http://www.youtube.com/watch?v=5I2cG-ed6hw 7 http://www.youtube.com/watch?v=nSg1Z4AwDCw

44 schon von ihnen gehört und kannte Love Me Do. Ich liebte dieses Lied! Die Beatles waren nicht so poliert wie die Shadows, sondern spielten eine Musik, die ehrlich und gerade war und mit einem Rock'n'Roll, und das hat dem Publikum gefallen. Manchmal spielten sie sehr laut und hatten Probleme mit der Verstärkeranlage, aber sie hatten diesen Magnetismus, man musste ihnen zusehen, weil man nie wusste, was ihnen noch einfallen würde. Sie alberten auf der Bühne herum und machten eine wirklich aufmunternde Musik.“ Ringo fühlt sich noch als Underdog auf dieser Tournee: „Helen war der Star. Sie hatte einen Fernseher in ihrer Garderobe und wir hatten keinen. Wir mussten sie um Erlaubnis bitten, wenn wir Fernsehen schauen wollten.“ Helen sieht die Sache ganz anders. Sie erlebt aus nächster Nähe, dass sich hier ein Massenphänomen anbahnt, das für die Beatles die nächsten Jahre bestimmen und der Zeit ihren Stempel aufprägen wird: „Die Beatles machten, was sie wollten. Sie übernahmen die Tour. Die Fans waren verrückt nach ihnen und liefen ihnen nach, in den Hotels und in den Konzerthallen.“ Zurück in London nehmen die Beatles am 11. Februar 1963 über fast zehn Stunden ihre erste Langspielplatte mit dem Titel Please Please Me auf. Diesmal sitzt Ringo ganz selbstverständlich hinter den Drums. Auch George Martin und Brian Epstein wissen längst, was sie an ihrem Schlagzeuger haben, denn er bekommt die meisten Fanbriefe in der Band. Und er ist auch ein guter Drummer, der auf den Tourneen überzeugt hat. Es sind zehn Lieder, an denen die Beatles arbeiten. Ringo bekommt eine Solopartie in Boys, ein Solostück, das einmal für Pete Best reserviert gewesen war. Ringo war es aber auch, der es bei Rory Storm & The Hurricanes

45 gesungen hat, dabei aber häufig gemeinsam mit Cilla Black, die bald selbst eine großartige Solokarriere machen wird. Ringos Freundin Maureen erlebt am 14. Februar, was es heißen kann, mit einem Beatle auszugehen. Drohungen von Ringos Fans hat sie immer wieder schon einmal erhalten. Nicht vorbereitet ist sie darauf, was an diesem Tag passiert: Die Beatles spielen im Locarno und Maureen wartet draußen im Wagen, als plötzlich die Wagentür aufgerissen wird und sich ein weiblicher Fan von Ringo auf sie stürzt und ihr das Gesicht zerkratzt, bis es blutet. Die Single Please Please Me kommt am 23. Februar 1963 auf Platz zwei der UK-Charts. Die Beatles touren weiter durch das Land, sind vom 9. März an mit Tommy Roe und Chris Montez auf Konzertreise. Eigentlich sollten Roe und Montez die Stars sein, doch der wachsende Ruhm der Beatles bewirkt, dass sie auf den Ankündigungen schon an erster Stelle genannt werden. Am 21. April treten die Beatles in Wembley schon vor 8000 kreischenden Fans auf. Das ist zu dieser Zeit eine große Anzahl von Zuschauern, die außerdem außer Rand und Band geraten, darunter viele junge Mädchen, die besinnungslos brüllen und ohnmächtig werden. Noch gibt es keinen Namen für dieses Verhalten, doch bald tauchen in den Zeitungen Artikel auf, die das Phänomen einordnen wollen. Der Konzertmanager Andi Lothian gebraucht das Wort „“ im Oktober das erste Mal in einem Gespräch mit einem Reporter, und es wird das erste Mal am 2. November im auftauchen und damit im Rückblick ein Phänomen beschreiben, das das Land in diesem Jahr in Bann gehalten hat.

46 Am 4. Mai geht eine neue Single der Beatles, From Me To You, an die Spitze der Charts und wird 650.000 mal verkauft. Von nun an werden 11 Beatles-Hits hintereinander Platz 1 einnehmen, ein Rekord, der bis heute ungebrochen ist. Am 11. Mai erreicht auch die Langspielplatte Please Please Me die Spitzenposition in der Hitparade. Acht der zwölf Hits auf der Platte wurden von Paul und John geschrieben, und dass es sich dabei um die eindringlichsten und beim Publikum erfolgreichsten Hits handelt, entgeht den Medien nicht, die die beiden bald als eine der großartigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts bejubeln werden. Am 18. Mai brechen die Beatles das dritte Mal zu einer landesweiten Konzertreise auf. Diesmal sind Gerry & the Pacemakers dabei, die How Do You Do It? singen. Die Tournee dauert 21 Tage und läuft bis zum 9. Juni. Aufregung gibt es am 19. Mai, als drei Mädchen in Polizeigewahrsam genommen werden. Sie haben versucht, über eine Metalleiter in die Garderobe der Beatles im Gaumont Kino in Hanley zu gelangen. Nachdem ihnen jeder Beatle ein Autogramm gegeben hat, werden sie wieder freigelassen. Am 4. Juni sind die Beatles Gäste einer ersten Radioshow, die für sie konzipiert wurde. Sie heißt Pop Go The Beatles und wird von der BBC ausgestrahlt. Den Beatles werden dafür von der ungarischen Herrenschneiderin Katy Stevens Maßanzüge gemacht. Besuche wie jenen in ihrem Laden sind für die Beatles Oasen der Stille, die sie in den nächsten Jahren überhaupt nicht mehr erleben werden. „Ringo hatte eine schreckliche Figur“, erzählt sie, „ich musste ihm sein Hemd mit Nadeln stecken, aber er sagte: Das müssen Sie nicht zuschneiden, mir gefällt es so. George fragte mich: Habt ihr Hemden für uns? Wir müssen in die

47 BBC und haben nichts zum Anziehen, also verkaufte ich ihm ein Hemd für 2 Pfund 10, was damals ein Heidengeld war, und er kaufte es und war sehr zufrieden. Ich zeigte ihm unser Bestellbuch und jeder von ihnen suchte sich dann fünfzig Hemden aus! Als sie gegangen waren, erzählte ich meinem Mann davon und er sagte: Oh nein, nein, ich glaube, das können die sich nicht leisten. Und auch ich konnte mir das nicht vorstellen. Also schlug ich ihm vor: Machen wir für jeden ein Hemd, und dann sehen wir weiter. Aber dann haben wir trotzdem fünfzig Hemden für jeden genäht und zwar im Akkord und als sie dann am 2. Juli kamen, zahlten sie alles in bar! Sie schienen zufrieden. John schaute aus dem Fenster und ich fragte ihn: Was ist da draußen los, warum sind da so viele Leute? Archer Street war voll von Mädchen. Er sagte zu mir: Das ist nichts. Das ist nur, weil wir hier sind. Ich fragte ihn: Und wer seid ihr? Und er darauf: Wir sind die Beatles. Mir sagte der Name nichts. Als ich die Mädchen sah, fragte ich Paul: Was macht ihr dann, wenn die Mädchen zu schreien anfangen und euch nachlaufen? und er antwortete: Nichts. Wenn wir stehen bleiben, bleiben die auch stehen. George und Ringo waren beide sehr still.“ Im Juli wird Ringo über seine Trommlerkunst befragt und er sagt: „Die gibt es nicht. Ich spiele nicht besonders gut. Ich bin nicht so gut wie andere, weil ich kaum übe. Ich stimme auch meine Trommeln überhaupt nicht besonders, sondern drehe nur ein bisschen an den Knöpfen herum.“ „Schreiben Sie Songs?“ fragen ihn die Reporter. Ringo: „Nein, über das Komponieren habe ich noch nicht nachgedacht. Ich habe mir eines überlegt, das

48 heißt Don't Pass Me By, aber jedes Mal, wenn ich das den Jungs vorspiele, lachen die nur.“ Diese Rock-Nummer muss noch etwas warten, wird aber 1968 auf das Weiße Album gelangen und zu den erfolgreichsten Liedern aus Ringos Feder gehören.8 Am 1. August 1963 erscheint aufgrund der Massenbegeisterung das erste Beatles-Magazin. Es heißt Beatles Monthly und wird die Fans bis zum Dezember 1969 monatlich informieren. In der Spitze hat die Zeitschrift 350.000 Leser. Am 3. August spielen die Beatles das letzte Mal im Cavern Club. Sie sind hier 274 mal aufgetreten, doch das war vor ihrem Durchbruch. Jetzt quält sie die Frage: Sind sie wirklich so gut, wie die Fans glauben? Können sie überhaupt in ihrer Heimatstadt bestehen? John: „Damals konnte man das nicht sagen, aber wir hatten keine Lust, wieder nach Liverpool zurück zu gehen. Die Größten in unserem Revier zu sein, machte uns nur nervös. Da kannten uns alle. Wir schämten uns in unseren Anzügen und dass wir so sauber waren. Wir hatten Angst, dass Freunde denken würden: Die haben ihre Seele verkauft. Und irgendwo hätten sie ja auch recht gehabt.“ Paddy Delaney erkennt, dass die alten Tage der stillen Beatles-Begeisterung Geschichte sind und eine Art Massenpsychose die Menge erfasst hat. Delaney: „Die Menge vor dem Club drehte durch. Als John durch die Reihen der Mädels durch war, fehlte ihm ein Ärmel an seiner Mohair Jacke. Ich schnappte ihn mir, bevor die Mädels ihn als Souvenir mitnahmen. John nähte den Ärmel gleich wieder an.“ Als die Beatles in auftreten, ist die Menschenmenge vor dem Theater so groß und so dicht, 8 http://www.youtube.com/watch?v=xSd4evT8Nw8

49 dass die Attraktion des Abends nicht mehr durch den Eingang kommt. John: „Wir gingen an die Rückseite des Theaters und kamen auf eine Baustelle, wo eine Leiter stand. Wir stiegen hinauf und gelangten über ein Gerüst hoch bis zum Dach. Als die Fans uns da oben sahen, schrien sie so laut, dass man es noch auf dem Wigan Pier hören konnte. Dann führte man uns zu einem Dachfenster, durch das wir hinab in einen Dachboden stiegen, und von dort über eine lange eiserne Leiter hinab bis auf die Bühne. Den ganzen Abend machten wir uns dann Sorgen, wie wir hier wieder hinauskommen würden. Letztendlich beschlossen wir dann, zu warten, bis jeder draußen gegangen war. Da saßen vier Beatles in der Garderobe bis 1 Uhr morgens und haben jede Menge Fish und Chips gegessen und Cola getrunken.“ Am 19. August schießt Robert Freeman die berühmten Schwarzweißphotos von den Beatles für ihr Album With The Beatles. Robert Freeman: „Wir trafen uns in einem Hotel in Bornemouth, bevor sie richtig berühmt waren. Alte Damen umringten sie und stellten Fragen. Die Beatles redeten mit Oxford Akzent und wenn dann eine Frage gestellt wurde: Wie alt sind Sie? Gaben sie schön Antwort und fragten ihrerseits: Und wie alt sind Sie?“ Im Sommer lässt der Druck etwas nach, und Brian Epstein stimmt den Wünschen der Beatles zu, einmal ein paar Tage Urlaub zu machen. Maureen Cox darf mit Erlaubnis ihrer Eltern im September mit Ringo, Paul und in Griechenland stille Tage verleben. George fliegt nach Amerika, um seine Schwester zu besuchen. John und Cynthia machen Urlaub in Paris. Es ist der letzte Urlaub, in dem die Beatles anonym unterwegs sind und sie kein Fan erkennt. Noch wissen

50 sie nichts von dem Druck, der sich bald aufbauen wird, und dem sie nur einige Jahre standhalten können werden. Den Druck einer Berühmtheit, wie sie die Welt noch nicht gekannt hat und die um den Erdball gehen und die Menschen verrückt machen wird. Am 10. September wird der Gruppe im Variety Club of Great Britain im Savoy Hotel in London der Top Vocal Group Of The Year Preis verliehen. Am 14. September 1963 erreicht die Single She Loves You Platz 1 der Hitparade. 310.000 Platten waren schon vorbestellt. Das Lied wird in England 1,6 Millionen mal über die Ladentische gehen und John und Paul als Komponisten wohlhabend machen. Sie spüren in dieser Zeit, dass sie womöglich für den Rest ihres Lebens nicht mehr arbeiten müssen werden und reagieren völlig unterschiedlich darauf. John wird passiv, und Paul noch aktiver. Während John eine Weile in Depression verfallen, George auf seiner Suche nach Erleuchtung eine Weile folgen und dann seine Partnerin wechseln wird, erkennt Paul die einmalige Chance, mit seinen musikalischen Schöpfungen die Zeit zu prägen, eine Tätigkeit, die er bis ins hohe Alter und auch als Milliardär noch nicht aufgeben wird. She Loves You9 wird als der bezeichnende Titel der Frühzeit in Erinnerung bleiben. John bringt auf ihm seine Überzeugung zum Ausdruck, dass es in der Welt nichts Wichtigeres gibt, als Liebe, und er sagt es neuer und frischer als andere. Paul findet durch John seinen Mut zu einem musikalischen Stil, der für die Beatles bezeichnend werden wird. Paul: „John und ich haben das Lied gemeinsam geschrieben. Wir waren in einem Bus oben in Newcastle und wollten gerade in unser Zimmer gehen, 9 http://www.youtube.com/watch?v=T0YifXhm-Zc

51 als mir eines dieser Antwortlieder einfiel, wo zwei von uns She Loves You singen würden und die anderen Yeah Yeah. Aber wir beschlossen dann, dass die Idee schlecht war, aber die Idee blieb. Dann setzten wir uns im Hotelzimmer hin und schrieben es innerhalb einiger Stunden nieder.“ John: „Wir haben She Loves You zusammen verfasst. Paul hatte die Idee. Anstatt dass wir wieder I Love You singen würden, beschloss er, dass wir eine dritte Person einführen würden und mit etwas anderem verbinden. Das woo woo stammte aus Twist And Shout von den Isley Brothers. Wir verpackten das überall. Ich weiß nicht, wo das Yeah Yeah Yeah her kam. Ich erinnere mich daran, als Elvis All Shook Up machte, dass ich Uh Huh, Oh Yeah und Yeah, Yeah alles zusammen in einem Lied gehört hatte.“ Paul: „Mein Dad sagte zu mir: Was sollen diese ganzen Amerikanismen? Könntest du nicht genauso gut Yes, Yes, Yes singen anstatt Yeah, Yeah, Yeah, wenigstens einmal? Ich sagte zu ihm: Dad, du verstehst das nicht. Yes, Yes,Yes geht gar nicht. Und er: Bist du dir da sicher?“ George Martin hat mittlerweile begriffen, dass die Beatles mit ihrer Musik die Welt verändern werden. Martin: „Ich saß auf dem Barhocker im Studio, und John und Paul standen vor mir und sangen und spielten ihre akustischen Gitarren und George sang beim Refrain mit. Als sie das erste Mal She Loves You sangen, fand ich es toll. Aber etwas war da, was mich störte, ein merkwürdiger Gesangsakkord, eine große Sext, wo George eine Sext spielte und die anderen eine Terz und eine Quinte, es war wie ein von Glenn Miller. Ich sagte zu ihnen: Ich liebe den Song, aber er kommt mir ein bisschen altmodisch vor. Das ist

52 ein toller Akkord, sagten sie zu mir, das hat noch keiner gehört. Natürlich hatte ich ihn schon sehr oft gehört, aber ich verstand, dass er gut war und es hat sich dann herausgestellt, dass dieser Akkord ein wichtiger Teil des Liedes war. Es setzte die Beatles-Tradition fort, dass immer Wörter wie You oder Me im Titel vorkamen.“ Am 4. Oktober treten die Beatles das erste Mal live im Fernsehen auf. Die Sendung heißt Ready Steady Go! und läuft auf ITV. Sie spielen drei Lieder zu Playback. In der Sendung The Mersey Sound auf BBC am 9. Oktober geht es vor allem um die Beatles und ihren Erfolg. Die Sendung wird in Amerika gesehen und dort übernommen, was den Beginn der Begeisterung der Nordamerikaner für die Beatles einläutet. Am 13. Oktober sind die Beatles die Hauptattraktion bei dem Konzert Sunday Night At The London Palladium. Die Rolle ist für sie neu, denn bisher waren sie immer die eine Band gewesen, die unter „ferner liefen“ auftrat. Jetzt steht ihr Name in dicken Lettern ganz oben auf den Plakaten. Ringo: „Manche haben gesagt, dass wir verschreckt wirkten, aber was wirklich schrecklich war, war eigentlich vorbei, als wir vor die Kameras traten. Das Schlimmste waren die Proben, und wir suchten den Star und merkten, das sind jetzt wir selber. Wir stellten uns vor, wie unsere Kehlen so trocken werden würden, dass wir nichts mehr herausbrachten oder was auch immer, und dass wir abbrechen müssten. So nervös waren wir noch nie gewesen! Aber als wir dann auf der Bühne standen, taten wir so, als wäre das eines der Konzerte wie immer, und so muss man es auch machen. Es hat überhaupt keinen Zweck, zu viel darüber nachzudenken, was alles schief gehen könnte.“

53 John: „Das Schlimmste war es eigentlich, danach wieder von dort weg zu kommen. Die Polizei hatte die Straße vor dem Palladium abgeriegelt. Wir drängten uns bis zum Taxi vor und merkten dann: Es gab gar keines. Dann liefen wir zu einem anderen Taxi weiter und stellten fest: Das ist ein Polizeiauto, und sie ließen uns nicht einsteigen. Dann fanden wir endlich ein Auto und bekamen eine Polizeieskorte auf beiden Seiten. Wir waren wie Hochadel. Manche versuchten uns mit den Autos nachzufahren, aber die Polizei drängte sie in die Nebenstraßen ab.“ Der Pressesprecher der Beatles, Brian Sommerville: „Ich sollte sie nach der Show zum Wagen bringen. Wir mussten durch die gleichen Ausgänge wie das Publikum und als ich die Treppe hinunterging, stolperte ich und fiel hin. Ich war panisch. Ich war für diesen Job nicht gemacht. Ich war ein Schreiberling, kein Roadie! Ich hatte einen Anzug an, aber der war nicht zum Laufen gedacht. Ringo sagte: Jetzt ist er verrückt geworden, total verrückt. Jetzt platzt ihm gleich eine Ader. Ich kam auf die Straße hinaus und da waren keine verdammten Beatles. Sie waren weit zurückgeblieben. Ich war weit voran gelaufen wie beim Dreitagesrennen in Badminton.“ , der Publizist der Beatles: „Von dem Tag an war alles anders. Mein Job war nie mehr, was er gewesen war. Vorher hatte ich Zeitungen angerufen, die Beatles angepriesen wie saures Bier, und hatte nur Absagen bekommen. Jetzt lief mir jeder Journalist in England nach.“ Am 17. Oktober nehmen die Beatles ihre erste Weihnachtsplatte auf. Es hat sich herumgesprochen, dass die Beatles für die Queen spielen sollen und Ringo stellt die Frage: „Man trägt doch formelle

54 Abendkleidung bei so was, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, Twist And Shout mit einer Fliege zu spielen.“ Sie fliegen am 25. Oktober nach Schweden auf eine 5- tägige Konzertreise, die in Karlstad beginnt. Beatlemania herrscht auch schon in Schweden, stellen sie fest. Bei ihrer Rückkehr werden in England von einer großen Menschen als Stars empfangen. Reporter Reg Abbis von der BBC berichtet live: „Was für Verwirrung hier am Londoner Flughafen. Aberhunderte Beatles-Fans kreischen, schreien, schwenken Regenschirme und Hüte und rufen nach ihren Helden, vier jungen Männern in dunklen Kleidern, die gerade aus dem großen weißblauen Jet- Airliner aus Stockholm steigen. Ein Pulk von fünfzig Fotografen steht um das Heck des Flugzeugs herum, um die Aufregung mit Bildern einzufangen. Man sieht Lichtblitze. Es herrscht Tumult auf den Stufen, ein Schwarm von Leuten drängt sich dort, während die Beatles versuchen, sich durch die Masse zu pressen. Es wurde eine große Anzahl von Sicherheitsleuten für die Aufgabe abgestellt, die Beatles in das Hauptgebäude zu bringen. Die Fans rasten auf den Balkonen aus und fühlen sich großartig, obwohl es hier regnet. Jetzt kommen die Beatles in die große Abflughalle und winken und lächeln ihren Fans zu. Die typischen Beatles-Frisuren stechen aus der Menge heraus.“ Nach England zurückgekehrt, gehen die Beatles das erste Mal auf eine Konzerttour, die nach ihnen benannt ist. Beatles' Autumn Tour heißt die Reise, beinhaltet 33 Konzerte und beginnt im Odeon Kino in Cheltenham. Peter Jay & the Jaywalkers sind dabei, die Vernon Girls und andere. Während dieser Auftritte berichtet die Presse immer wieder von Beatlemania, was ein

55 stehender Begriff für die Hysterie und Begeisterung geworden ist, die die Beatles überall hervorrufen, wo sie auftreten, und niemand weiß genau, warum das so ist. Das englische Königshaus zeichnet die Beatles das erste Mal am 4. November 1963 aus. Sie erhalten das königliche Siegel am Band. Überreicht wird es von der Mutter der Queen, Prinzessin Margaret und Lord Snowdon. Die Beatles spielen dabei im Prince of Wales Theatre in London anlässlich der Royal Variety Performance. Ein Reporter: „Kommt die Ehre, zu so einer Show eingeladen zu werden, nicht etwas zu schnell? Paul: „Ja, sehr schnell. Wir haben großes Glück gehabt.“ Reporter: „Wie viel von eurem Erfolg hat etwas damit zu tun, dass ihr herumalbert und verspielt seid?“ John: „Das ist nur normal. Wir sind so auch, wenn wir nicht auf der Bühne stehen.“ Reporter: „Das ist ein komischer Haarschnitt, oder?“ John: „Für uns ist er nicht komisch.“ Reporter: „Ist das, was ihr spielt, neu, Ringo?“ Ringo: „Eher nicht. Wir spielen unseren Sound, das ist alles, und wie es aussieht, verkauft sich das derzeit.“ Reporter: „George, wie lange glaubst du, wird das anhalten? Ihr seid aus dem Nichts in den Himmel gehoben worden und zweifellos ist das ein Erfolg, der nicht dauerhaft sein kann. Glaubst du, dass du im Showbusiness bleiben wirst?“ George: „Wir werden es zumindest versuchen. Vielleicht nicht ein Leben lang, aber zumindest ein paar Jahre.“ Reporter: „Edward Heath, der Lord Privy Seal, sagt, dass es ihm schwer fällt, euch zu verstehen. Er hält das,

56 was ihr sprecht, nicht für das Englisch der Queen. Werdet ihr versuchen, euren Liverpooler Dialekt abzulegen?“ John: „Jedenfalls werden wir Mr. Heath nicht wählen.“ Paul: „Keinesfalls. Wir sprechen nicht wie die hochnäsigen BBC-Typen.“ Reporter: „Alles Gute für eure Show heute Abend. Welche Lieder werdet ihr spielen?“ Paul (im Englisch der Queen): Nun, mal sehen. Lassen wir es langsam angehen. She Loves You wird dabei sein. Großartig.“ Der Abend markiert einen neuen Abschnitt im Leben der Beatles. Von nun an werden sie als Wortführer der Jugend empfunden werden, die innerhalb weniger Jahre rebellieren und die alte Ordnung umstürzen wird. Dieser Abend ist eine Vorausschau auf diese Ereignisse, als John die Gruppe mit einer Bemerkung in die Schlagzeilen bringt. Vor dem Lied Twist & Shout weist er das Publikum an: „Die Menschen auf den billigen Sitzen können dazu klatschen. Und der Rest von euch rasselt einfach mit euren Juwelen.“ George: „Das hat alle prächtig amüsiert, aber ich kann Ihnen sagen, dass dieser Scherz genauestens vorbereitet war. Sie sagten zu einander: Nun, wir können das nicht so dröge mitmachen, klatscht eure Hände und so. Wir müssen etwas Besonderes machen. Und John sagte: Ich könnte ihnen sagen: Rasselt mit euren Juwelen. Und so hat es begonnen und ging durch die ganze Welt.“ Entgegen ihren Erwartungen kommen die Beatles mit diesem charmanten Stück Rebellion gut an, und werden auf Jahre hinaus – und das ganz im Gegensatz zu anderen Rockbands - auch in der englischen Oberschicht beliebt sein und ihre Fans aus allen Teilen und Altersklassen der Gesellschaft beziehen.

57 George Harrison: „Bruce Forsyth, der Gastgeber des Abends, fand es großartig, und auch die königliche Familie hielt es für gut.“ Die Queen war bei dem Konzert abwesend, aber ihre Mutter gibt zu Protokoll: „Es war eine der besten Shows, die ich gesehen habe. Die Beatles sind sehr einnehmend!“ Ringo sagt in dieser Zeit der großen Begeisterung über sich: „Eigentlich hätte ich Ingenieur werden sollen, aber ich habe mir am ersten Arbeitstag mit dem Hammer auf den Daumen gehauen. Ich bin ein Drummer geworden, weil ich sonst nichts kann. Aber immer dann, wenn ich einen anderen am Schlagzeug höre, weiß ich, dass ich nichts tauge. John hat mir das Lied, das ich auf der Bühne singe, Wort für Wort eingebläut. Ich kenne mich mit technischen Sachen überhaupt nicht aus, aber ich kann mich bewegen, zum Beispiel den Kopf schütteln beim Spielen. Das kommt daher, dass ich gerne tanze und das geht nicht, wenn ich gerade trommle.“ Am 5. November schreibt der Daily Mirror: „Man muss ein rechter Sauertopf sein, um die verrückten, lauten, lustigen und gut aussehenden Beatles nicht zu lieben. Wenn sie bei dir nicht die grauen Wolken vertreiben, Bruder, dann bist du verloren. Wenn dir dabei nicht der Takt in die Beine schießt, Schwester, dann hörst du nicht zu.“ Es gibt aber auch Gegenstimmen. Am 17. November etwa schlägt John Weightman, Direktor der Clark's Grammar School in Guildford, Surrey, in der Schule eine Mahnung an das Anzeigebrett, dass alle Schüler mit Beatlesfrisuren nach Hause geschickt werden. „Dieser lächerliche Haarstil bringt die Jungen körperlich in ein schlechtes Licht. Sie sehen wie Idioten

58 aus.“ Und am 21. November stellt Sir Charles Taylor, ein konservativer Abgeordneter aus Eastbourne, im englischen Parlament an den Innenminister die offizielle Anfrage, ob man die Polizei nicht besser anweisen soll, die Beatles nicht mehr vor ihren rabiaten Fans zu schützen. Er würde sie offensichtlich gerne den wilden Horden überlassen und sehen, was dabei herauskommt. Am 30. November kommt die zweite Langspielplatte der Beatles With The Beatles an die Spitze der Charts. 270.000 Stück waren von den Fans vorbestellt worden. Wieder bilden Kompositionen von Paul und John den Kern, aber es wurden auch mehrere Rhythm & Blues Nummern wie und You Really Got A Hold On Me aufgenommen. Ringos Solostück heißt I Wanna Be Your Man, geschrieben von John und Paul, ein Lied, das zugleich eine weitere aufstrebende Rockband einspielt: Die Rolling Stones. Für die Stones wird die Single zum Hit werden, der ihre Karriere vorantreibt.10 Für Ringo wird es eines seiner wichtigen Solostücke bei Konzerten der Beatles sein.11 Paul: „Wir haben I Wanna Be Your Man für Ringo geschrieben, weil wir wollten, dass er auch ein Lied auf unserem Album hat. Es sollte so etwas Ähnliches werden wie Boys, ein Up-Tempo-Lied, dass er am Schlagzeug spielen konnte.“ Auch George hat für die neue LP ein Lied verfasst: Don't Bother Me.12 Es ist sein erstes, und er drängt darauf, es auf das Album aufzunehmen, weil die Tantiemen der ersten Hits John und Paul bereits reich gemacht haben.

10 http://www.youtube.com/watch?v=t6myXYN5u80 11 http://www.youtube.com/watch?v=Iqw8m2shH54 12 http://www.youtube.com/watch?v=uGxvhAiOt-A

59 George: „Mein erstes Lied schrieb ich in Bournemouth, als ich krank im Bett lag. Ich war im Bett und die Ärzte gaben mir ein Tonic und ich dachte mir, eigentlich könntest du auch mal ein Lied schreiben, also machte ich ein Lied, das schrecklich war und Don't Bother Me hieß. Wahrscheinlich, weil ich mich an dem Tag auch so fühlte.“ Es wird noch eine Weile dauernd, bis George als Komponist mit den anderen mithalten kann. Doch in der Spätphase der Beatles wird er sie zum Teil sogar mit seiner Musik übertreffen. Vorerst aber sind John und Paul dran. Der derzeitige Hit von Lennon/McCartney ist I Want To Hold Your Hand13. Er wird fünf Wochen lang auf Platz 1 der Singles-Charts stehen und weltweit 15 Millionen mal verkauft werden. Der Musical Express reiht die Beatles an der Spitze der World Vocal Group und der British Vocal Group Ranglisten. Von Anfang an sind es alle vier Beatles, die die Lieder formen, selbst wenn die Ideen vorwiegend von John und Paul stammen. George: „Einige der Lieder gab es nur in Rohfassung, als wir ins Studio gingen. Manche waren nur eine Idee. George Martin ging zwischendurch raus und wir arbeiteten währenddessen an den Songs weiter. Wenn er zurück kam, waren die Texte länger geworden und es waren ein paar Noten dazugekommen.“ Paul über All My Loving14: „Ich habe das immer gemocht. Es war das erste Lied, das ich ganz ohne Text geschrieben hatte. Der Text kam dann während einer Fahrt mit im Bus dazu. Wir haben damals viel geschrieben. Als wir zum Konzertauftritt kamen,

13 http://www.youtube.com/watch?v=iim6s8Ea_bE 14 http://www.youtube.com/watch?v=_g0ltOt9jTA

60 setzte ich mich an ein Klavier und verbesserte noch die Melodie.“ John über Not A Second Time15: „Ich habe es für das zweite Album gemacht und William Mann rezensierte es in der Times und sprach über Akkordwechsel, die Submediante in Moll und aelische Kadenzen vergleichbar mit Mahlers Lied der Erde. Für mich waren das einfach Griffe auf der Gitarre. Es war das erste Mal, dass man solche Artikel über uns verfasste.“ Im Dezember wird in Liverpool ein Treffen aller Beatles-Fan-Clubs abgehalten, die von der BBC veranstaltet wird. Die Delegierten geraten in große Aufregung, als dabei überraschend die Beatles auftauchen. Und als die dann auf die Bühne gehen und She Loves You spielen, wird das Kreischen so laut, dass die Beatles das erste Mal überhaupt nichts von dem hören, was sie spielen. Dann kommt Ringos Solo und Ringo klopft immer lauter Trommeln und brüllt immer lauter, und da dabei kein Ton zu hören ist, brechen die anderen Beatles in Gelächter aus. Ringo im Anschluss daran: „Ich habe mich dabei völlig verausgabt. Ich habe mich fast dabei selbst umgebracht!“ George: „Ich glaube, du wirst die BBC verklagen müssen.“ Am 18. Dezember werden die Beatles in der BBC vom Gastgeber ihrer Weihnachtsshow From Me To You, Rolf Harris, begrüßt, der selbst an einem akuten Anfall von Beatlemania erkrankt ist. Harris: „Ich sollte die Beatles interviewen und meine Hände zitterten so sehr, dass ich kaum das Tonbandgerät einschalten konnte. Ich hielt John das Mikro vor das Gesicht und fragte: Also, mögt ihr Spaghetti? Und es war ein Glück für mich, dass sie 15 http://www.youtube.com/watch?v=IQPtUQeRmPg

61 alle von der Frage vor Lachen umfielen. Sie sagten Nein und dann holte ich ein zerknülltes Blatt Papier heraus, auf dem ich eine neue Version von Tie Me Kangaroo Down Sport16 mit einem Vers für jeden von ihnen verfasst hatte, und als ich wissen wollte, ob sie das mit mir singen wollten, riefen Sie alle: Ja!“ Am 22. Dezember läuft in den Pathe News der Kinos The Beatles Come To Town, eine Kurzdokumentation. Am 27. Dezember erscheint in der Times eine Musikrezension von William Mann, der Lennon und McCartney als hervorragende Komponisten des Jahres 1963 bezeichnet.

1964

Am 3. Januar 1964 sind die Beatles das erste Mal auch in Amerika im Fernsehen zu sehen. Die Sendung ist die Jack Paar Show auf NBC, und man spielt She Loves You als Clip vor, der der Dokumentation The Mersey Sound entnommen ist. Das erste Mal fahren die Beatles nun auch nach Frankreich. Sie treten am 15. Januar im Cinema Cyrano in Versailles auf und spielen dann 20 Mal hintereinander im Paris Olympia mit Trini Lopez und Sylvie Vartan. Beatlesmania ist in Frankreich noch unbekannt, doch es gefällt den Leuten, was sie da auf der Bühne erleben. Richard Lester, der einen ersten Spielfilm mit den Beatles drehen soll, fährt mit dem Autor Alan Owen mit

16 http://www.youtube.com/watch?v=_D-LmRNdQiQ

62 nach Paris. Er studiert das Phänomen der Beatles, die seit einem Jahr beständig in den Medien sind und auf der Straße Horden von Menschen begegnen, mit dem Auge des kühlen Beobachters: „Wir beobachteten die Beatles in ihrem Hotelzimmern im George V und ihr Verhalten war ungewöhnlich. Sie waren zu Gefangenen ihres eigenen Erfolgs geworden.“ Am 18. Januar 1964 steigen die Beatles in die amerikanischen Charts auf Platz 45 mit ein. Die Platte wird in der Billboard als „treibender Rock mit einem Sound, als würde man auf der Themse surfen“ rezensiert. Die Single schießt in den Vereinigten Staaten sofort auf Platz 1 der Charts. Brian Epstein kommt in Paris in die Hotelsuite der Beatles, um sie darüber zu informieren. Paul: „Es war ein Telegramm gekommen, dass wir in Amerika Nummer 1 waren und wir sprangen uns gegenseitig auf den Rücken und schrien herum. Wir hatten Brian gesagt, dass wir nicht nach Amerika fliegen würden, bevor wir dort nicht an der Spitze waren. , Tommy Steele und andere große Stars waren nach Amerika gegangen und hatten dann unter Frankie Avalon als Einheizer gespielt und kamen zurück und erzählten in Interviews, wie toll das alles gewesen war, aber sie wurden dort nie berühmt. Man hätte erwartet, dass sie dort viele Platten verkaufen würden, aber sie hatten sich wohl alle ein bisschen überschätzt.“ Dieser Erfolg der Beatles wird innerhalb weniger Wochen von zwei weiteren Singles gefolgt sein. Insgesamt werden die Beatles 20 mal in den USA die Hitparade krönen. Die Single I Want To Hold Your Hand wie auch die Langspielplatte Meet The Beatles werden 1964 vergoldet.

63 In Paris spielen die Beatles deutsche Versionen von She Loves You17 und I Want To Hold Your Hand18 ein. George Martin: „Sie hatten keine Lust darauf, aber wir waren davon überzeugt, dass es wirtschaftlich Sinn machte. Sie genossen gerade den Luxus in ihrer Suite im George V Hotel und hatten sich ein Pianino ins Zimmer stellen lassen, auf dem Paul herumklimperte. Es war das erste Mal, dass ich Yesterday19 dort hörte. Er spielte die Melodie, aber er hatte noch keinen Text dafür. Er hatte sich damit schon eine Weile abgemüht, aber was er noch suchte, war ein ein kleines Wort zu Beginn des Songs und es fiel ihm nichts als Scrambled Eggs ein. Deshalb nannte er das Lied auch so. Ein anderes Wort, dass ihm einfiel, war Yesterday, was er aber für zu abgeschmackt hielt ... Die Jungs genossen ihr Leben. Sie hatten viel zu tun und die ersten Früchte ihres Erfolgs stellten sich schon ein. Ich war mit diesem deutschen Produzenten dort und sie waren um vier im Studio bestellt, aber waren noch nicht gekommen. Ich rief verwundert im Hotel an und war dran und er sagte: Sie sind gerade zum Tee. Sie kommen nicht. Ich fragte, warum. Und er: Weil sie keine Lust haben. Sie haben beschlossen, dass sie keine deutschen Versionen einspielen. Ich war total wütend, sprang in ein Taxi und raste in das George V und platzte in ihre Teerunde, die Beatles, die beiden Road Manager und Jane Asher als einzige Frau dort. Es war wie im Buch Alice Im Wunderland, wo es die Mad Hatter's Tea Party gibt. Jane goss Tee aus einer chinesischen Teekanne ein mit ihren langen, goldenen Haaren und die anderen saßen herum und als ich durch die Tür raste und sie

17 http://www.youtube.com/watch?v=1vGv_d0mk6Q 18 http://www.youtube.com/watch?v=Fi3r4WSB718 19 http://www.youtube.com/watch?v=ONXp-vpE9eU

64 anbrüllte, flohen sie wie Hasen in die Ecken des Raums. Alles brach auseinander. Niemand blieb am Tisch zurück außer Jane, die den Tee einschenkte. Die Beatles starrten verdutzt hinter Kissen oder Stühlen hervor, versteckten sich dort und lachten. Ich sagte: Hört zu, ihr schuldet dem Mann was. Er kommt aus Deutschland wegen euch und deswegen müsst ihr euch entschuldigen. Und sie sagten, auf ihre hintertriebene Liverpooler Art: Ach, das tut uns leid, sehr leid, und dann kamen sie und nahmen die deutsche Platte auf. Spaß hatten sie keinen dabei, aber sie machten das. Das war das erste und einzige Mal, dass ich mit ihnen gestritten habe.“ Nach Paris geht es das erste Mal in die Vereinigten Staaten auf eine Konzertreise. Die Beatles sind aufgeregt und freuen sich sehr auf diese Tournee. Am 7. Februar landen sie mit einem Pan Am Flug in New York am John F. Kennedy International Airport. Capitol Records hat eine große Werbekampagne angeleiert, weshalb schon große Scharen von Fans am Flughafen auftauchen. Cynthia: „Ich erinnere mich, wie das war, als das Flugzeug zum Hangar nach vor rollte. Wir hörte etwas kreischen und dachten, das sind die Bremsen, aber es war tatsächlich das Kreischen der Fans.“ Paul: „Wir waren auf dem Weg zum Ruhm langsam vorangekommen, über Tanzsäle, den Cavern, Theater, Fernsehen, Radio und dann kam die Stunde, als wir nach Amerika flogen. Aber wir waren nicht darauf gefasst, dass wir dort längst berühmt waren. Wir stiegen aus dem Flugzeug und fragten: Für wen ist das hier? und sie sagten zu uns: Das ist für euch. Und wir waren völlig erstaunt, geschmeichelt, begeistert.“ George: „Wir wussten, dass sich unsere Platten in Amerika bereits gut verkauften, aber erst, als wir in

65 New York aus dem Flugzeug stiegen, verstanden wir, was dort los war. Wir sahen tausende von Kids, die gekommen waren, um uns zu begrüßen und verstanden plötzlich, wie populär wir geworden waren.“ Die Pressekonferenz findet in einem positiv geladenen Umfeld statt, in dem die kleinste Bemerkung der Beatles als genial empfunden wird. Je witziger die Beatles werden, desto dümmlicher werden allerdings auch die Fragen. Ringo brennt an dem Tag ein Feuerwerk von Gags ab. Reporter: „Was haltet ihr von Beethoven?“ Ringo: „Toll, besonders seine Gedichte.“ Reporter: „Wir haben gehört, dass ihr nichts anderes als ein paar englische Elvis Presleys sein sollt.“ Ringo: „Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr.“ (Er imitiert tanzend und grimassierend Elvis auf der Bühne). Reporter: „Wie viele von euch haben eine Glatze und müssen eine Perücke tragen?“ Ringo: „Wir alle.“ Reporter: „Was glaubst du, was mögen die Leute an Eurer Musik?“ Ringo: „Keine Ahnung.“ John: „Nun ...“ Ringo: „Ich glaube, sie gefällt ihnen.“ sagt später: „Ich hätte erwartet, dass die Beatles in New York wie eine Primel eingehen würden. Umso überraschter war ich über den Empfang, der ihnen bereitet wurde. Es sieht so aus, als hätte ich mich getäuscht ...“ Am 9. Februar treten die Beatles in der Ed Sullivan Show auf CBS auf, die an dem Tag 73 Millionen Zuschauer hat. George nimmt trotz einer schweren Grippe an der Sendung teil. Es wird später heißen, dass

66 während der Ausstrahlung die Verbrechensrate im ganzen Land signifikant zurück gegangen sei. Die Beatles spielen All My Loving, 'Till There Was You20, She Loves You, I Saw Her Standing There21 und I Want To Hold Your Hand. Sie erhalten für den Auftritt 2400 US-Dollar, was damals ein ungewöhnlich großer Geldbetrag für sie ist. Ringo: „Wir kannten Ed Sullivan gar nicht. Und er hatte uns sechs Monate zuvor am Londoner Flughafen gebucht. Er sah, wie wir hereinkamen ...“ Vince Calandra, Produktionsassistent der Show: „Das erste, was uns auffiel, war, wie höflich und professionell sie waren. Ed Sullivan hatte eine Perücke dabei und setzte sie sich auf den Kopf, weil George krank war und meinte: Ich hoffe, er kommt morgen, sonst mache ich den vierten Beatle.“ Paul: „Wir waren mit unserem ersten Auftritt bei Ed Sullivan nicht zufrieden, weil die Mikros nicht funktionierten. Aber im Studio klang es okay.“ In der Washington Post steht am nächsten Tag eine giftige Kritik zu lesen: „Die Beatles sind gar nicht so böse Jungs wie gedacht. Sie haben sich netter benommen als unsere eigenen Rock'n'Roller. Von ihrer schrecklichen Bademattenfrisur abgesehen waren die vier jungen Männer altbacken, asexuell und unansehnlich.“ Doch die Missbilligung der ortsansässigen Kulturfuzzis kann am durchschlagenden Erfolg der Beatles nichts ändern. Die Kids sind begeistert, und folgen den Beatles kreischend in Hundertschaften und auf Schritt und Tritt, wo immer man ihrer ansichtig wird. Aber es sind nicht nur die Kids, die auf die Beatles abfahren.

20 http://www.youtube.com/watch?v=VeYSUPQVoRI 21 http://www.youtube.com/watch?v=HhllDK6C6eQ

67 George Martin: „Für mich war es außergewöhnlich, mit den Beatles nach New York zu fliegen und dort zu sehen, wie Männer im mittleren Alter die Fifth Avenue hinunter gingen und Beatles-Perücken trugen. Man konnte kein Radio aufdrehen, ohne dass man die Beatles hörte.“ Am folgenden Morgen geben die Beatles im Baroque Room im Plaza Hotel ein weiteres Interview: Reporter: „In der Zeitung habe ich eine Kritik über euch gelesen, in der stand etwas zu lesen von unaufgelösten Leittönen, einem falschen modalen Rahmen und einer einfachen Diatonie. Was habt ihr dazu zu sagen? John: „Wir werden einen Doktor konsultieren.“ Reporter: „Wer ist eigentlich auf den Namen Beatles gekommen und was bedeutet er?“ John: „Er bedeutet Beatles, oder? Es ist ein Wort wie Schuh.“ Paul: „Die Schuhe, wissen Sie? Wir hätten uns auch die Schuhe nennen können.“ Reporterin: „George, wer von euch ist sexy?“ George: „Unser Manager, Brian Epstein.“ Reporterin: „Wer sucht eure Kleider aus?“ John: „Das tun wir selbst. Wer sucht Ihre aus?“ Reporterin: „Mein Mann. Gibt es ein Thema, über das ihr nicht sprechen wollt?“ John: „Über ihren Mann.“ Reporter: „Was kann eure Karriere am ehesten gefährden? Die Atombombe, oder Schuppen?“ Ringo: „Bomben. Schuppen haben wir schon.“ Reporter: „George, wie fühlst du dich?“ George: „Viel besser, danke.“ Reporter: „Wir fragen das, weil du so schweigsam bist.“

68 George: „Ich bin der anonyme Beatle, aber das macht nichts, so lange sie mich dafür bezahlen.“ Die Pressekonferenz ist zu Ende und die Beatles gehen zu Tisch, aber ein Reporter hat noch eine Frage: „Entschuldigung. Ich möchte Sie nicht stören, weil ich sehe, dass Sie schon zu Mittag essen, aber ich wollte noch wissen, wo sehen Sie sich sagen wir, in fünf Jahren?“ George: „Als Essende.“ Das erste Konzert der Beatles in den Vereinigten Staaten findet im Washington Coliseum statt. Die Beatles geben vor dem Konzert ein Live-Interview für das Radio. Reporter: „Ich stehe hier mit den Beatles. Freunde, wie geht es euch hier in Amerika?“ Ringo: „Großartig. Wir fühlen uns prima.“ Paul: „Sehr schön.“ Reporter: „Was habt ihr hier schon gesehen, was hat euch am besten gefallen?“ John: „Du!“ Reporter: „Vielen Dank, ich werde darüber nachdenken. Sagt mir, Freunde ... darf ich euch Freunde nennen?“ John: „Klar, Bob.“ Reporter: „Ich heiße eigentlich Dick.“ John: „Entschuldige, Bob.“ Reporter: „Ah, also, was macht ihr in euren Hotelzimmern zwischen den Shows?“ George: „Eislaufen.“ Das Konzert beginnt um halb neun und wird zum Spießrutenlauf, weil die Fans Jelly Beans zu werfen beginnen. In einer New Yorker Zeitung hat es zuvor geheißen, dass John einmal gesagt haben soll: „George hat alle meine Jelly Babys aufgegessen.“

69 George: „Wir wurden an diesem Abend fast mit diesen verdammten Dingern erschlagen. Es gibt dort keine weichen Jelly Babys, sondern harte Jelly Beans. Dazu kam, dass wir auf einer runden Bühne standen und sie uns von allen Seiten bewarfen. Man möge sich das vorstellen, in einem Kugelhagel zu stehen. Es ist gefährlich, denn wenn du so eine Jelly Bean mit 80 km/h ins Auge kriegst, bist du erledigt. Dann bist du blind für den Rest deines Lebens. Wir haben das nie gemocht, dass die Leute das geworfen haben. Sie können mit Streamers werfen, aber Jelly Beans sind einfach zu gefährlich. Manchmal traf eines eine Saite auf meiner Gitarre und es kam ein schiefer Ton raus.“ Louise Harrison, die Schwester von George: „Ich saß dort mit Cynthia und wir hatten beide Gänsehaut, weil es in dem Theater vibrierte wie von einem Donnern. Der Gedanke, dass das unsere Jungs waren, die so eine Begeisterung auslösten, war herrlich. Mir liefen die Tränen über das Gesicht, weil ich völlig überwältigt war.“ Es sind an diesem Abend noch Tommy Roe, die Chiffons und die Caravelles da. Die Chiffons spielen ihren großen Hit He's So Fine, der im Vorjahr vier Wochen lang ein Renner in der Hitparade war. Das Lied klingt so ähnlich wie My Sweet Lord, das sechs Jahre später als großer Hit George Harrisons Solokarriere einleiten wird. George scheint dieses Lied an diesem Tag das erste Mal gehört und es scheint sich ihm eingeprägt zu haben. Der Moment ist psychologisch interessant. George litt immer noch an seiner Grippe und erlebte einen der erhabensten Momente seiner Karriere: Den Triumph einer britischen Gruppe in Amerika. Er wird später sagen, dass er das Lied „unbewusst“ plagiiert habe und wird damit recht haben.

70 Nach dem Konzert werden die Beatles zu einem privaten Ball in der englischen Botschaft eingeladen und von dem englischen Botschafter Sir David Ormsby-Gore und Lady Ormsby-Gore empfangen. Ringo: „Sie sagten, es ist nur eine kleine Party, aber als wir dorthin kamen, waren alle ihre Freunde da aufgereiht und wir kamen uns vor wie im Zoo.“ George: „Wir hatten immer versucht, so einem Herdenauftrieb auszuweichen, aber diesmal waren wir gefangen. Normalerweise schauten diese Snobs auf Leute wie uns herab, aber jetzt waren wir reich und berühmt und sie wollten uns sehen. Es war alles Heuchelei. Sie wollten ihre Botschaft in Amerika stärker bekannt machen.“ Louise Harrison: „Wir gingen diese riesige Freitreppe hinauf und Ringo machte ein paar Witze. Überall waren Reporter.“ Reporter: „Wollt ihr hier Geld verdienen?“ John: „Wie es aussieht, könnten wir hier heute reich werden.“ Reporter: „Und was werdet ihr mit eurem Reichtum anstellen?“ John: „Nach Hause fahren.“ Bevor John weiter reden kann, wird er von einem Tumult unterbrochen, der durch einen Kampf zwischen weiblichen Fans ausgebrochen ist, manche aus dem Hochadel, andere betrunkene Girlies aus reichem Haus. Alle wollen, dass die Beatles ihr Autogramm auf die LP Meet the Beatles setzen. Ringo (zu den anderen): „Lass uns das hier durchziehen!“ Es gibt an diesem Abend ein Gewinnspiel. Unter den Preisen sind auch signierte Beatles-Platten. Ringo ruft

71 sarkastisch ins Publikum: „Wenn sie euch nicht gefällt, könnt ihr sie gegen einen Frank Sinatra austauschen!“ Als er sich umdreht, um zu gehen, zieht eine englische Balldebütantin eine Schere aus ihrer Tasche und schneidet Ringo eine Locke ab. Das bringt ihn in Rage, und er versucht, sich durch das Gewühl zu drängen. Die Gastgeberin, Lady Ormsby-Gore, kommt daraufhin auf die Beatles zu und sagt: „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Es tut mir so leid, was da passiert ist. Es kann für Sie nicht angenehm gewesen sein.“ Ringo: „Und wer sind Sie eigentlich?“ Louise Harrison: „Ringo war plötzlich wütend und außer sich, er schrie, er wolle gehen und rief nach einem Taxi und war auch schon weg.“ Auch John folgt ihm sogleich. John: „Irgend so ein verrücktes Tier schnitt Ringo eine Locke ab. Da haute ich einfach ab, mitten in der ganzen Veranstaltung.“ Harry Benson, einer der Photographen damals: „Die Beatles wurden wie Trophäen präsentiert. Es war so traurig. Sie wirkten sehr verletzt. Besonders John. Sie waren nicht zornig, sondern man hatte sie gedemütigt!“ John: „Um ein Beatle zu sein, musste man demütig werden. Das ging Stück für Stück, bis man merkte, dass man vom völligen Wahnsinn umgeben war. Plötzlich war man mit Leuten zusammen, die man nicht ertragen konnte und tat, was man absolut nicht tun wollte, mit Leuten, die man gehasst hatte, als man zehn Jahre alt gewesen war.“ Am 12. Februar treten die Beatles in New York in der Carnegie Hall auf. Der Plattenladen New Street Music bietet für alle Käufer einer Langspielplatte der Beatles im nebenan gelegenen Friseurladen einen Gratis-

72 Beatle-Haarschnitt an. Vor der Carnegie Hall warten mehr als 20.000 Menschen, die heulen und kreischen. Vic Lewis, der damals als Agent für die Beatles arbeitete: „Ich saß mit der Sängerin Shirley Bassey in dem Konzert, und als die Beatles auf die Bühne kamen, war das unglaublich, und auch Shirley war überwältigt. Schreie überall und die Leute sprangen von ihren Sitzen auf und Shirley sagte: Ich halte das nicht mehr aus, das ist zu viel. Ich muss hinter die Bühne. Und dort blieben wir dann auch während des Konzerts. Es war ein Erlebnis.“ John: „Carnegie Hall war schrecklich! Die Akustik war schlecht und die Leute saßen mit uns auf der Bühne und es lief alles aus dem Ruder. Es war keine Rockshow, sondern eine Art Zirkus, und wir waren in den Käfigen. Sie berührten uns und redeten mit uns und streichelten uns, auf der Bühne und hinter der Bühne. Wir waren Tiere für die.“ Am 15. Februar erreicht Meet The Beatles die Spitze der US-Hitparade und wird dort 11 Wochen lang bleiben. Die Beatles sind im Bewusstsein der Amerikaner angekommen. Sie werden bis zum heutigen Tag die einzige englische Band bleiben, die auf beiden Seiten des Atlantiks gleich stark in den Herzen der Fans angekommen ist. Mitte Februar treten die Beatles noch einmal in der Ed Sullivan Show auf, die diesmal als direkte Ausstrahlung aus dem Deauville Hotel in Miami die Nation erreicht. George: „Wir hatten bei unserer Ankunft in New York gedacht, dass wir Amerika erobert hatten, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was uns in Miami erwartete. Die Fans zerbrachen die Fenster am Flughafen, um uns näher zu sein, und Cops auf Motorrädern fuhren bei Rot über die Kreuzung, damit

73 wir den Fans entkommen konnten, die uns in ihren Autos verfolgten.“ Ringo: „Wir kannten Miami aus Filmen, aber es war noch schöner in Wirklichkeit. Jeder dort hat einen Swimmingpool, selbst wenn er am Strand lebt. Wenn du nur einen Wagen besitzt, bist du ein Loser. Ein paar Millionäre dort haben ihre eigene Polizeitruppe.“ Paul: „Miami war unglaublich. Es war das erste Mal, dass ich diese schwerbewaffneten Motorradpolizisten sah. Ich habe viel aus dem Wagen heraus photographiert. Es war unglaublich. Und überall diese tollen, wunderhübschen, braungebrannten Girls. Wir hatten einen Phototermin am Strand und luden sie dann gleich alle zum Abendessen ein.“ In Miami hält sich gerade der Boxer Cassius Clay auf, der Weltmeister im Schwergewicht geworden ist. Die Beatles besuchen ihn in seinem Trainingscamp. Harold Conrad, ein Boxveranstalter: „Ich hatte es so arrangiert, dass die Beatles Cassius Clay treffen konnten, aber er wusste gar nicht, wer sie waren. Sie redeten dann mit ihm darüber, wie viel Geld jeder verdiente. Und Cassius Clay sagte dann etwas, was er gerne von sich gab: Ihr seid gar nicht so dumm, wie ihr ausseht. Und John schaute ihm gerade zurück in die Augen und meinte: Stimmt. Aber du schon.“ Am 22. Februar kehren die Beatles nach England zurück. Sie treffen in Heathrow ein. Die Sportsendung Grandstand filmt ihre Ankunft und das Interview mit David Coleman. Coleman: „Also, was haltet ihr von Amerika? War es anders, als ihr es euch vorgestellt habt?“ Ringo: „Es war größer.“ Coleman: „Hat sich George dann verirrt?“ Paul: „Wir haben ihn nie raus gelassen.“

74 George: „Kaum waren wir dort, haben sie mich auf das Bett geschnallt und mir eine Spritze gegeben und all das.“ Coleman: „Ist es anders, dort zu spielen?“ George: „Man spielt dort nicht in einem Theater, sondern in der Carnegie Hall oder in Washington in einem großen Stadium und das Publikum ist rundherum und die Akustik ist mies.“ Coleman: „Ringo, ich habe gehört, dass man beim Botschafterball rau mit dir umgegangen ist.“ Ringo: „Nicht wirklich. Jemand hat mir eine Locke abgeschnitten, das ist alles.“ Coleman: „Was ist da genau passiert?“ Ringo: „Keine Ahnung. Ich gab ein Interview wie jetzt gerade und dann schnapp. Das war alles. Ich drehte mich um und es waren da vierhundert grinsende Leute. Was kann man dazu sagen? Tomorrow never knows.“ Coleman: „Wie gefällt es dir, wenn es heißt, dass ihr die Geheimwaffe des Premierministers seid?“ George: „Großartig. Was ich nicht verstanden habe, war dieser Teil, wo es hieß, dass wir für England all diese Dollars verdienen. Ich meine – teilen wir die jetzt mit allen oder wie?“ Coleman: „Es heißt, ihr seid als Millionäre aus Amerika zurückgekommen.“ George: „Stimmt nicht.“ Paul: „Du machst Witze.“ John: „Das nächste Mal.“ Coleman: „Kommen wir jetzt zu Miami. Ihr wart dort am Spielplatz der Millionäre.“ Ringo: „Miami war klasse.“ Coleman: „Ihr habt dort gut gelebt, oder?“ Paul: „Man hat uns diese Häuser überlassen. Leute haben angerufen und gefragt: Möchtest du unser Haus

75 haben, mein Freund? Und wir sagten: Klar, super. Und dann sind wir dorthin gefahren und sind Wasserski gefahren und haben gefischt.“ Ringo: „Er hat ein Monstrum gefangen.“ Coleman: „Wie passt das mit New Brighton22 zusammen?“ Paul: „New Brighton? Hat nicht so viel Sonne.“ Coleman: „Nachdem das hier eine Sportsendung ist, wie war das mit Mr. Cassius Clay?“ John: „Er war groß.“ Ringo: „Ja, er ist ein Lackel.“ Paul: „Er ist vor allem witzig.“ George: „Er schlägt Sonny Liston schon bis zur dritten Runde K.O. Sagt er.“ Paul: „Ich zweifle daran.“ Am 2. März 1964 beginnen die Beatles Dreharbeiten zu ihrem ersten Film in der Marylebone Station in London. Es soll ein typischer Tag im verrückten Leben der Beatles gezeigt werden. Der Autor Alun Owen hat das Drehbuch geschrieben und dafür einige Tage mit den Beatles verbracht. Alun Owen: „Es war für mich wichtig, die Beatles kennen zu lernen. Ich wollte wissen, was sie ausmacht und warum diese Menschenmengen so auf sie reagieren. Ich mochte sie gleich, als ich sie sah. Ich mag Typen, die so sind. Sie sind viel lustiger und großartig, auch wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Ich lernte sie besser kennen und erkannte, dass die Beatles Magie sind. Es passiert ihnen dauert etwas Wunderbares wie damals, als sich dieses Mädchen vor sie hinkniete, ein Zimmermädchen in einem Hotel in Dublin, in dem die Beatles abgestiegen waren. Sie hatte Kaffee und Kuchen auf einem Tablett gebracht und 22 Ein Erholungsort am Meer in der Nähe von Liverpool.

76 plötzlich riss sie sich ihre Mütze vom Kopf und rief: Ich werde für euch beten, Jungs, ich werde für euch beten! Und sie waren gar nicht schockiert oder amüsiert und auch nicht abgehoben. Paul half ihr hoch und redete mit ihr ganz normal.“ John: „Alun Owen war dabei, um zu sehen, wie wir wirklich waren, aber er war nicht echt. Er hatte die Tatsache, dass er aus Liverpool kam, zum Beruf gemacht. Er war zwei Tage mit uns zusammen und bastelte sich daraus unsere Filmrollen zusammen. Ich war witzig, Ringo blöd, George dies und Paul das.“ Brian Epstein: „Die Idee zu dem Film A Hard Day's Night kam mir schon ein halbes Jahr vorher. Ich wollte, dass Alun Owen die Geschichte schreibt. Die Beatles waren sehr angetan von der Idee. Ich traf Alun Owen in einer Kaffeebar in Liverpool auf der anderen Seite der Straße von meinem Büro. Schon im September hatten wir mit einen Vertrag gemacht und Alun begann zu schreiben.“ Walter Shenson, der Produzent des Films: „Alun Owen hatte das Drehbuch nach einem Wochenende geschrieben, das er mit den Beatles in Dublin verbracht hatte, wo sie auf Konzertreise waren. Er hatte sie ein bisschen kennengelernt und gab jedem Beatle den Charakter, von dem er annahm, dass er ihn hatte. Aber er kannte sie zu kurz, um sie wirklich zu kennen und deshalb sahen wir dann, als wir mit dem Filmen begannen, neue Eigenheiten und nahmen Ideen der Beatles in den Film auf. Aber im Großen und Ganzen verfilmten wir Aluns Drehbuch.“ John: „Wir waren ein bisschen wütend darüber, wie aalglatt es geschrieben war und wie schlecht die Dialoge waren. Wir haben dann versucht, es ein

77 bisschen realistischer zu machen, aber das wollten die gar nicht.“ Alun Owen: „Als ich den Film konzipierte, explodierte die Sache dann für sie in Amerika. Man wollte plötzlich einen Farbfilm mit ihnen machen, aber wir haben uns dem widersetzt und gesagt, das ist ein Schwarzweißprojekt, so wie ein französischer Nouvelle vague Film, quasi.“ Walter Shenson: „Die Beatles waren Schwarzweißcharaktere und deshalb blieb der Film Schwarzweiß. Sie waren in der Realität komplizierte Menschen, aber es dauerte eine Weile, bis man das bemerkte. Sie haben eine bestimmte Art, zu zeigen, wenn sie einen mögen. Ich war mit ihnen zwei Wochen lang zusammen, bis mir überhaupt auffiel, dass sie sich über mich lustig machten. Später habe ich verstanden, dass das ein Kompliment war, weil sie die Leute, die sie nicht mochten, sonst einfach ignorierten. Sie machten meinen amerikanischen Akzent nach und machten Späße über meinen Haarausfall. Leider konnte ich das Kompliment nicht zurückgeben!“ Alun Owen: „Am Anfang wollte ich die Beatles in bunte Kleider stecken und märchenhafte Dinge tun lassen, bis ich bemerkte, dass ihr Leben schon so fantastisch war, dass man nichts mehr hinzu erfinden musste. Ich wusste, dass sie keine Schauspieler waren, also hielt ich die Dialoge kurz. Später merkte ich, dass John durchaus dazu fähig war, länger zu sprechen. Er ist großartig. Ich bin lange am Theater, aber ich habe noch keinen gesehen, der vorsprechen konnte wie er. Er las das Drehbuch nicht einfach, sondern spielte es gleich aus in einer großartigen Performance. Die Story besteht aus einem Tag und einer Nacht im Leben der Beatles. Sie fahren von Liverpool mit dem Zug zu

78 einem großen Auftritt nach London. Für Liebe gibt es keine Zeit. Was Paul zu dem Mädchen sagt, zeigt seinen Charakter. Das habe ich den ganzen Film lang versucht. Zu zeigen, wie die Beatles wirklich sind. Es ist einfach eine kleine Geschichte darüber, wie die Beatles die Beatles sind.“ Richard Lester, der Regisseur: „Eine der schwierigsten Dinge war es, die Beatles von ihren Wohnhäusern sicher ans Set zu bringen. Manchmal spielte die Polizei dabei konstruktiv mit, manchmal nicht. In manchen Teilen von London durften wir nicht drehen, weil es hieß: Dort dürfen wir keine Leute hinbringen, das ist zu schwierig, sie dort unter Kontrolle zu halten. Und das war es auch. Wir drehten im alten Scala Theater und es entstand ein enormer Stau und die Polizei war großartig. Die meisten Szenen drehten wir in einem Take, während zweitausend Mädchen aufs Set drängten. Die erste Szene ließen wir in einem Eisenbahnwagen spielen, den wir von der Bahn ausgeliehen hatten für 800 Pfund am Tag und fuhren damit jeden Tag nach Taunton und zurück.“ George: „Wir fuhren insgesamt 2400 Meilen in dem Zug. Ich habe nachgezählt. Aber das machte uns nichts aus. Was schlimm war, war das Frühaufstehen jeden Morgen. Wir waren es gewohnt, erst um ein Uhr am Nachmittag aus den Betten zu kriechen. Wir sind Nachteulen, wirklich. Dieses frühe Funktionierenmüssen hat uns fast umgebracht.“ Richard Lester: „Die Beatles vergaßen ihre Texte in Autos oder Nachtclubs. A Hard Day's Night blieb von Marihuana verschont, aber man sah, dass sie zu Gefangenen ihres Ruhms geworden waren.“ John: „Zuerst sollte der Film Beatlemania heißen, dann wollten sie etwas Verrückteres als Titel. George fiel It's

79 a Daft, Daft, Daft, Daft World ein, und Paul sagte: Ich mag Oh, What a Lovely Wart. Ringos Idee war, es The Beatles In A Kind Of Film zu nennen. Dann gab es noch Ideen, über die wir uns krumm lachten, aber die man nicht verwenden konnte.“ Walter Shenson: „Wir brauchten unbedingt einen Titel. Der Film war zu drei Vierteln fertig und wir hatten noch keinen. Also bat ich John eines Abends um halb elf, als wir vom Studio weg fuhren, ein Titellied zu schreiben.“ Ringo: „Wir fuhren zu einem Auftritt und arbeiteten den ganzen Tag und die ganze Nacht und kamen aus dem Theater heraus und dachten, es müsste noch Tag sein und ich sagte zu den anderen: Das war ein harter Tag und sah, dass alles dunkel war und sagte stattdessen: Nacht. So kam es zu dem Ausdruck A Hard Day's Night.“ John: „Wir sahen uns an und wussten, das war es.“ Walter Shenson: „Am folgenden Morgen rief er um halb neun an und sagte, dass Paul und er etwas auf einen Zettel gekritzelt hatten und wir nahmen das Lied dann an dem Tag gleich auf.“ John: „Der einzige Grund, warum Paul auf A Hard Day's Night23 singt, ist, weil ich nicht so hoch hinauf singen konnte. Das machten wir manchmal, wenn der Ton zu hoch war, sang der andere Überstimme dazu.“ Norman Rossington, der im Film den Road-Manager der Beatles spielt: „Paul war sehr scheu vor der Kamera. Wenn es ein Close-Up auf ihn gab, konnte man sehen, wie unangenehm das für ihn war, und dass er sich innerlich zurückzog. Aber mit der Zeit kam er damit ganz gut zurecht. John schrie seine Zeilen frei heraus und machte Spaß und verzog das Gesicht dabei. 23 http://www.youtube.com/watch?v=cD4TAgdS_Xw

80 George und Ringo segelten durch all das durch, ohne darüber viel nachzudenken. Jeden Tag blieben wir in Somerset stehen und die Fans umringten die Wagen und schlugen auf die Fenster und schrien und kreischten: We love you! We love you! Eines Tages trommelte Ringo von innen dagegen und brüllte: Cliff! Cliff!“ Gemeint war Cliff Richard, der Frauenliebling dieser Zeit, der mit den Shadows zu Prominenz gekommen ist.24 Ein Extra am Set ist das Model , die bald Mrs. Harrison werden wird. Pattie: „Ich wurde ihnen vorgestellt und sie sagten Hello. Ich konnte es nicht glauben. Sie waren genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte, wie Bilder, die zum Leben erwachen. George sagte fast nichts, aber die anderen plauderten mit mir. Als wir zu filmen begannen, merkte ich, dass George mich anstarrte und wurde rot. Ringo war der netteste von allen und man konnte mit ihm gut reden, auch Paul. Aber ich hatte große Angst vor John. Nach dem Dreh bat ich alle um ihr Autogramm, außer John, weil ich den Mut dazu nicht aufbrachte. Als ich George nach seiner Unterschrift fragte, bat ich ihn, auch für meine Schwestern zu unterschreiben. Er malte unter sein Autogramm zwei Küsse für jeden von ihnen, aber auf meiner Autogrammkarte sieben Küsse. Also dachte ich mir: Er mag mich.“ : „George verliebte sich auf den ersten Blick, er war hin und weg. Pattie aber hatte einen festen Freund. George machte sich aber sofort daran, sie zu erobern.“ Stationen dieses Frühjahrs: Ringo wird am 16. März scherzhalber von der Leeds University Law Society als 24 http://www.youtube.com/watch?v=r4IA7DR1jK0

81 Vizepräsident gewählt. Premierminister Harold Wilson verleiht den Beatles am 19. März einen Orden als Show Business Personalities Of The Year 1963. Und als die Beatles am 20. März wieder in der Sendung Ready Steady Go! im Sender ITV auftreten, erreicht diese ihre höchste Zuschauerzahl. Am 21. März gelangt She Loves You an die Spitze der amerikanischen Hitparade, während auf Platz 14 kommt. Am 23. März gibt John sein Buch heraus. Es ist eine Sammlung von kleinen Gedichten und Nonsense-Texten. Das Buch wird anlässlich einer weiteren Ehrenfeier präsentiert, die im Empire Ballrom am Leicester Square in London stattfindet. Der Duke of Edinburgh verleiht den Beatles zwei Carl-Alan Awards. Es wird auch angekündigt, dass die Beatles drei Ivor Novello Preise bekommen haben. Die Gruppe tritt am 25. März das erste Mal bei den Top Of The Pops in der BBC auf und gibt Can't Buy Me Love zum Besten. Und am 28. März enthüllt Madame Tussaud's Wachsfiguren der Beatles.

Die australische Hitparade sieht an diesem Tag folgend aus:

1. I Saw Her Standing There 2. Love Me Do 3. Roll Over Beethoven 4. All My Loving 5. She Loves You 6. I Want To Hold Your Hand

Erst ab Platz 7 werden weitere Künstler aufgenommen. Die Beatles halten den englischsprachigen Teil der Welt

82 mit ihrer Musik voll im Griff, und gehen nun dazu über, auch andere Länder mit anderen Sprachen zu erobern. Am 31. März drehen die Beatles im Scala Theater Szenen zu ihrem ersten Film. Unter den Extras befindet sich der künftige Popstar Phil Collins: „Ich war damals Schauspielschüler und wir wurden alle in das Scala geschickt, achtzig, hundert Leute. Wir sollten als Statisten für die Beatles kreischen und dafür auch noch bezahlt werden. Aber man musste uns gar nicht sagen, dass wir kreischen sollten: Es waren die Beatles!“ Am 9. April dreht Ringo seine Soloszene für den Film A Hard Day's Night in Kew in Surrey, bei dem erstmals zu Tage tritt, dass er Talent als Schauspieler hat. Er selbst ist von der Szene weniger begeistert, vor allem von den Umständen, unter denen sie gedreht wurde. Ringo: „Ich kam aus einem Club und wurde mit diesem Kind an den Kanal gesetzt. Aber ich konnte das Kind nicht einmal sehen! Es war einfach verrückt. Ich konnte nichts mehr verstehen. Die Szene sollte ein Dialog sein, aber ich brachte keinen Ton heraus. Die Souffleuse hat mir dauernd meinen Text zugerufen. Das Kind sagte Bla bla bla bla bla und die Souffleuse schrie meinen Text und ich sagte: Also, warum bist du nicht in der Schule? Wir haben es auf verschiedene Art und Weise versucht und es klappte nicht. Richard Lester merkte, dass er etwas unternehmen musste und beschloss, dass ich einfach ein bisschen herumgehen sollte und das wurde dann zu einer Stummfilmszene. Ich war sehr niedergeschlagen. Am Liebsten wäre ich gestorben. Aber als der Film dann herauskam, hieß es überall: Oh Gott, das ist großartig! Und ich dachte: Wenn das alles ist, ein bisschen verrückt tun und man ist schon fantastisch, das wäre ja schön. Aber so geht das nicht.

83 Es gehört schon mehr dazu, wie ich später erkannt habe.“ Im April ist Can't Buy Me Love25 der große Renner in den Hitparaden. Die Single hat sich in England schon in der ersten Woche 1,2 millionenfach verkauft. In den USA geht sie 2 Millionen Mal über die Ladentische. Die Vorbestellungen allein hatten 1,7 Millionen betragen. Auch in den Vereinigten Staaten haben die Beatles mittlerweile voll eingeschlagen. Ihre Hitparade sieht folgend aus:

1. Can't Buy Me Love 2. Twist And Shout 3. She Loves You 4. I Want To Hold Your Hand 5. Please Please Me

Am 23. April 1964 wird John anlässlich des 400. Geburtstags von Shakespeare als Ehrengast zum Foyle's Literary Lunch im Dorchester Hotel eingeladen. Seine Rede fällt äußerst kurz aus: „Vielen Dank. Sie haben glückliche Gesichter.“ Im Mai 1964 arrangiert Brian Epstein für Ringo, Paul und deren Partnerinnen einen Urlaub auf den Virgin Islands. Ringo reist unter dem Namen Mr. Stone, und Maureen als Miss Cockcroft. Paul ist unter dem Pseudonym Mr. Manning unterwegs, und Jane nennt sich Miss Ashcroft.

Am 23. Mai kommt Ella Fitzgerald in Großbritannien in die Charts. Sie steigt auf Platz 34 mit einem Beatles- Lied ein: Can't Buy Me Love26. Das Lied wird im Jazz

25 http://www.youtube.com/watch?v=SMwZsFKIXa8 26 http://www.youtube.com/watch?v=fGOXLZEtdKA

84 ein beliebter Standard und hundertfach von anderen vertont werden. Die Beatles nehmen am 1. Juni in den Abbey Studios eine Platte auf und Carl Perkins27, ein amerikanischer Rockabilly-Star, stattet ihnen dabei einen Besuch ab. Ringo ist völlig hin und weg, weil Perkins für ihn ein persönlicher Held ist. Carl Perkins: „Sie schickten sogar ein Auto, um mich abzuholen. Wir machten ein bisschen Spaß und ich zeigte ihnen verschiedene Griffe, die ich früher einmal benutzt hatte. Ringo saß neben mir und nannte mich immer wieder Mister Perkins, also sagte ich: Mir wäre es lieber, du würdest damit aufhören. So heißt mein Vater, mein Junge. Mein Name ist Carl. Plötzlich platzten sie alle heraus: Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir eines deiner Lieder aufnehmen würden? Ich sagte: Gott, nein. Das wäre toll. Da spielten sie Matchbox28, ein Lied, bei dem Ringo Solo singt, und fragten mich: Was hältst du davon, Carl? Ich sagte: Das klingt genauso wie diese alte Platte damals und das gefiel ihnen, denn das wollten sie ja. Und sie nahmen noch Everybody's Trying To Be My Baby und Honey Don't29 auf. Und Blue Suede Shoes30 und True Love, eine ganz tolle Version, die nie herausgekommen ist. Von allen Dingen, die sie aufgenommen hatten, war die die beste. Sie sangen wunderschöne Harmonien bei diesem Lied, und gaben ihr Yeah! dazu. Es war großartig.“ Die Beatles sollen jetzt auf ihre erste Welttournee gehen. Doch am 3. Juni, am Tag vor dem Abflug nach

27 http://www.youtube.com/watch?v=79CJON8fv6c 28 http://www.youtube.com/watch?v=VxO79C_6IV4 29 http://www.youtube.com/watch?v=E4itcsFTWE8 30 http://www.youtube.com/watch?v=Vv0Q33osB_Q

85 Dänemark, wird Ringo in das University College Hospital gebracht. Er ist während eines Photoshoots kollabiert. Man stellt eine Mandelentzündung und Rachenentzündung fest. Neil Aspinall: „Ringo war nie der Stärkste, deshalb musste ich immer ein Auge auf ihn haben. Er fiel einfach während des Shoots um. Ich war dabei und ich hatte schreckliche Angst, als ich ihn zusammenbrechen sah.“ George Martin: „John und Paul waren auch gleich der Meinung, dass man für ihn einen Ersatz finden sollte, aber George hatte etwas dagegen. Er kam mir richtig angriffslustig vor und sagte: Wenn Ringo nicht mitkommt, dann bleibe ich da. Du wirst zweimal Ersatz finden müssen. Brian Epstein und ich redeten auf ihn ewig ein, dass es im Interesse der Gruppe sei und so weiter und dass sie versuchen müssten, Jimmy Nicol zu akzeptieren.“ Paul: „Brian redete über eine Stunde auf uns ein und sagte, dass Tausende von holländischen und australischen Fans schon Karten gekauft hatten und dass es grausam wäre, sie zu enttäuschen.“ George: „Ich war dagegen, ohne Ringo zu fahren. Man stelle sich vor, die Beatles ohne Ringo! Aber ich habe mich dann dem Druck gebeugt und wir machten los, obwohl es keinem gut dabei ging und obwohl Jimmy eigentlich ein ganz netter Typ war.“ Paul: „Wenn Ringos Krankheit ernst gewesen wäre, wäre das das Ende der Beatles gewesen! Jimmy war nicht Ringo, und wir vermissten Ringo!“ Jimmy Nicol: „Ich hielt gerade ein Mittagsschläfchen, als George Martin anrief und fragte: Was machst du die nächsten vier Tage? Ringo ist krank geworden und wir möchten, dass du bei der Tournee seinen Platz

86 einnimmst. Würde es dir etwas ausmachen, nach Australien zu fliegen? Ich konnte gar nicht schnell genug zu den laufen, um mit ihnen die Nummern zu proben. Ich war sehr nervös, als ich sie traf, alles andere wäre nicht menschlich gewesen. Wir spielten fünf Nummern durch und ich hatte keine Noten, aber das wäre auch gar nicht notwendig gewesen, ich kannte die Lieder auswendig. John und George gab ein paar Anweisungen in der Art: Mach das hier so oder: Uns wäre es lieber so, und dann war die Probe zu Ende. Danach redete Brian Epstein mit mir über Geld, 2500 Pfund pro Konzert und 2500 Vorschuss. Ich war hin und weg. John protestierte: Um Himmels Willen, Brian. Du machst den Kerl doch verrückt. Gib ihm 10.000 Pfund! Und sie lachten alle. Zwei Stunden später packte ich meine Koffer für Dänemark.“ Am nächsten Tag geht es los. Als Start fliegen die Beatles nach Dänemark und treten dort in den K.B. Hallen in Kopenhagen auf. Ringo wird erst am 11. Juni entlassen und fliegt nach Australien, um am 15. Juni wieder in der Festival Hall in Melbourne mit den anderen Beatles aufzutreten. Während der Krankheit hat er, wie er später erwähnen wird, befürchtet, von den Beatles ausgetauscht zu werden. Auch in Melbourne werden die Beatles von einer riesigen Menschenmenge erwartet. John: „Unsere Tourneen waren wie Fellinis Satyricon31, und das überall. Wo immer wir hin kamen, war was los. Wir hatten unsere vier Schlafzimmer und die von Derek und Neil und alle waren voll mit Leuten, Polizisten und so weiter. Satyricon! Wir mussten etwas unternehmen, 31 http://www.youtube.com/watch?v=TlNWXBCZnwo

87 und was macht man da, wenn die Wirkung der Pille nicht nachlässt? Ich war alle Nächte wach mit Derek, ich konnte nicht schlafen, so ging überall die Post ab.“ George ist der erste, der merkt, dass ihm die Tourneen nicht bekommen. Er sagt zu dieser Zeit im Magazin Rave: „Was uns tierisch auf den Sack geht, ist, dass die Leute uns manchmal wie Dinge behandeln und nicht wie menschliche Wesen!“ Am 17. Juni um zwei Uhr nachmittags verlässt George das Hotel in Melbourne. George: „Ich wollte ein bisschen frische Luft schnappen und Mal und ich fuhren dann für drei Stunden in die Berge mit einigen anderen Typen. Ich musste einmal raus. Wir hatten seit 18 Monaten in Hotelzimmern gelebt und man hat irgendwann einmal genug davon.“ Währenddessen lassen sich die anderen Beatles im Hotel die Haare schneiden. Die Haare werden danach als Souvenirs angeboten. Leider greifen die Fans nicht zu, weil sich keiner vorstellen kann, dass das wirklich die Haare der Beatles sind .... Ohne Ringo sind die Beatles nicht die Beatles. Das merkt auch der Ersatzdrummer, der nach wenigen Wochen für die Gruppe nutzlos geworden ist. Jimmy Nicol erzählt unmittelbar nach der Tournee: „Über Nacht war ich der Ersatz-Beatle geworden. Aber obwohl sie von Anfang an nett zu mir gewesen waren, fühlte ich mich als Eindringling, als hätte ich mich in den exklusivsten Club der Welt geschlichen. Sie haben ihre eigene Atmosphäre, ihren eigenen Sinn für Humor. Es ist eine kleine Clique, in die keiner hineinkann. Wir haben lange genug miteinander gearbeitet, um gute Kumpel zu werden und ich habe jede Minute genossen, aber auch erkannt, dass ich nie ein Beatle sein möchte.

88 Ich bin fast verrückt geworden. Sie verbringen ihr Leben in kleinen Schachteln in Flugzeugen, Hotelzimmern und Garderoben und leben aus ihren Koffern. Paul ist nicht der Saubermann, als der er sich ausgibt. Er liebt blonde Frauen und hasst die Massen. John mag Menschen, aber die ihm missfallen, wehrt er mit seinem Humor ab. Er trank exzessiv. In Dänemark war sein Kopf ein Ballon und er hatte am Vortag so stark getrunken, dass er wie ein Schwein auf der Bühne schwitzte. Georg ist überhaupt nicht so schüchtern, wie er in der Presse dargestellt wird. Er liebte Sex und Partys die ganze Nacht. Ich konnte mit denen, was das Saufen und das Flachlegen der Frauen betrifft, überhaupt nicht mithalten. Jedenfalls bin ich etwas reifer geworden. Ich habe in den paar Wochen sehr viel erlebt. Man wächst an der Seite der Beatles sehr schnell auf.“ Mittlerweile geht die Tour weiter. In Neuseeland fällt die Beatlemania aus. George: „Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Die sind so konservativ dort. Es gibt nichts Modernes. Das Leben ist langsam und angenehm. Mir kommt es so vor wie England im 18. Jahrhundert oder so.“ Zurück in Australien, in Brisbane, werden die Beatles mit Eiern beworfen. George: „Es waren sechs Typen und wir annoncierten danach in der Zeitung, dass wir sie treffen wollten und sie kamen dann ins Hotel und wir diskutierten. Wie wir schon vermutet hatten, waren es typische Eierköpfe von der Uni, unbedarft, und sie gaben dann auch zu, dass sie kindisch gewesen waren, mit Lebensmitteln auf uns zu werfen. Ansonsten waren die vier Konzerte dort großartig und ein würdiges Ende für die Tour.“

89 John nach der Rückkehr: „Es gab sechs Eier, zwei Tomaten und ein Salatblatt. Studenten haben sie geworfen und wir haben sie danach getroffen, um mit ihnen zu reden. Sie sagten, sie seien Idealisten, aber ich konnte keine Ideale in ihnen entdecken und sie sagten, dass wir Materialisten wären, was ja stimmt. Na gut, wir gaben einander dann die Hand und lachten darüber. Es war eines dieser Dinge. Wenn man die Zeitungen gelesen hätte, hätte man denken können, wir wären verprügelt worden!“ In England findet ein Eisenbahnangestellter mittlerweile in einer Teekiste, die an die Beatles adressiert ist, ein 12-jähriges Mädchen. Es heißt Carol Dryden. Am 6. Juli wird in London das erste Mal der erste Beatles-Film gezeigt..32 Walter Shenson: „Es gab danach eine große Party. Niemand hätte erwartet, dass Prinzessin Margaret kommen würde, deshalb hatte sie auch niemand eingeladen. Ich fragte sie dann und sie hatte schon was vor, aber wollte für einen Drink vorbeischauen und deshalb standen wir dann im Vorzimmer mit ihr vor dem Abendessen, und George sah mich an und flüsterte dann: Wann essen wir endlich? Ich sagte: Das geht nicht, bevor Prinzessin Margaret gegangen ist. Und obwohl die Prinzessin und Lord Snowdon eigentlich selbst zum Abendessen eingeladen waren, blieben sie länger und länger, tranken ein Glas nach dem anderen und plauderten. Zuletzt ging dann George auf sie zu und sagte: „Madam, wir sterben vor Hunger, und Walter hier sagt, dass wir nichts essen dürfen, bis Sie gegangen sind.“ Da lachte sie und sagte zu ihrem Mann: „Komm, Tony. Wir halten hier den Betrieb auf.“ 32 http://www.youtube.com/watch?v=cD4TAgdS_Xw

90 Wieder kommen die Beatles in ihre Heimatstadt, und das noch triumphaler als im Vorjahr. Als die Beatles am 10. Juli 1964 in Liverpool eintreffen, erwarten sie 200.000 Menschen auf dem Weg vom Speke Flughafen bis zum Stadtzentrum. An diesem Tag findet auch hier die Premiere des Films „A Hard Day's Night“ im Rathaus statt. David Jacobs, der Gastgeber des Abends: „Wir flogen in einer Britannia von London hierher und saßen hinten im Flugzeug. Ich war erstaunt, wie nervös die Beatles waren, völlig verängstigt. Sie waren überall auf der Welt gewesen und waren überall gefeiert worden, aber sie waren völlig eingeschüchtert bei dem Gedanken, dass sie jetzt in Liverpool versagen könnten. Es war ihr Zuhause. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass sie jemand dort für wichtig genug halten würde, um sie abholen zu wollen. Kurz vor der Landung starrten sie aus den Fenstern und man sah eine schwarze Masse um das Flughafengebäude herum, Abertausende von Menschen. Als wir ausstiegen, machte George Harrison etwas sehr Nettes, er blieb plötzlich stehen und ging zurück und griff nach mir und zerrte mich mit den Beatles mit, weil ich dazu gehörte.“ Tonbandaufnahmen der Pressekonferenz: George: „Wo ist mein Dad? Ich hätte nicht gedacht, dass wir von London so schnell hier sein würden. Aber ich hasse es, zu fliegen. Man hat keine Chance, wenn die Triebwerke versagen.“ Paul: „Es kommt mir vor, als wären wir schon Jahre nicht mehr hier gewesen. Es ist wichtiger für mich als alles andere. Wir werden das nie vergessen.“ Ringo: „Ich würde so gerne eine Nacht hier verbringen. Das wäre das erste gute Frühstück seit langem. Es ist eine Ehre für mich, dass ich als Star des Beatles-Films

91 angesehen werde, aber ich kann es nicht glauben. John ist viel witziger als ich. Was die Kids von Liverpool heute Nachmittag gemacht haben, indem sie hierher gekommen sind, war toll und wir danken ihnen dafür. Die Leute kommen nach London und sagen: Ihr seid in Liverpool erledigt. Aber heute hat man gesehen, dass das nicht stimmt.“ John: „Es ist einfach toll. Das beste, was uns jemals passiert ist.“ Reporter: „Willkommen zu Hause, Jungs.“ Ringo: „Danke. Reporter: „Wie geht es einem da, wenn man so empfangen wird?“ John: „Gut.“ George: „Es ist schön.“ Reporter: „Hättet ihr jemals erwartet, dass ihr einmal einen solchen Tag erlebt?“ Paul: „Nie auf diese Art. Früher waren wir hier, um den Starts von Flugzeugen zuzuschauen. Wir hätten nie gedacht, dass wir hier einmal so auftreten würden.“ Reporter: „Was für Pläne habt ihr für die Zukunft?“ John: „Ich weiß es nicht. Ich würde gern mehr Filme machen. Es ist wirklich lustig. Harte Arbeit, aber man hat auch jede Menge Spaß.“ Reporter: „Wie sieht das bei dir aus, Ringo?“ Ringo: „Genauso. Ich mag Filmarbeiten.“ Paul: „Ich glaube, wir würden alle einen ... na ja, guten Film machen. Von dem wir meinen, dass er gut ist. Und gute Platten machen.“ George: „Hältst du den für schlecht?“ Paul: „Er ist okay, wenn du verstehst, was ich meine.“ John: „Nicht so gut wie , oder?“ Paul: „Nein, nicht so gut wie James Bond.“ Reporter: „Ihr haltet euch also für Schauspieler?“

92 George: „Auf gar keinen Fall. Wir haben es genossen, diesen Film zu machen, und besonders der Regisseur war klasse, und hat alles einfach für uns gemacht. Wir sind alle keine Schauspieler, aber man hat Spaß dabei und vielleicht machen wir noch ein paar Filme. Mal sehen.“ Reporter: „Gut. Nun, das letzte Mal, dass ihr in Liverpool wart, ist schon 7 Monate her.“ John: „Offiziell!“ Reporter: „Ja, und manche Fans sagen, dass ihr sie im Stich gelassen habt. Was habt ihr dazu zu sagen?“ John: „Die Leute, die herumheulen und behaupten, dass wir nicht mehr die sind, die wir mal waren, waren nie in unseren Konzerten. Die wirklichen Fans von früher kann man an einer Hand abzählen, und die sind ohnehin keine Teenager mehr. Die machen längst was anderes. Die, die sich beschweren, waren höchstens einmal bei einem Konzert, oder erst, seitdem es unsere Platten gibt.“ Paul: „Wir müssen von London aus arbeiten, weil es dort Fernsehsender gibt, deshalb sind wir soviel dort. Das ist so, als würde man fragen: Warum geht Harry Secombe33 nicht zurück nach Cardiff? Keiner verlangt das von ihm.“ John: „Aber jetzt wirst du das wollen müssen, Harry, oder?“ Paul: „Er fährt da nicht so häufig runter.“ David Jacobs: „Vom Flughafen ging es neun Meilen weit bis in die Stadt. Ich fuhr im Wagen hinter ihnen nach und es dauerte sehr lange. Wir fuhren ganz langsam, zentimeterweise, und überall am Fahrbahnrand waren Leute. Wenn man in ihre

33 http://www.youtube.com/watch?v=3TPQsIJPsXg

93 Gesichter sah, dann war das so, als wäre Jesus Christus vorbeigefahren.“ Paul: „Wir kamen an der Mather Avenue vorüber und überall standen die Menschen und winkten und dann an der Ecke zur Booker Avenue sah ich plötzlich Dusty Durband mit seinen Kindern und sie winkten auch, und das war der schönste Augenblick an dem Tag, weil das einer meiner Lehrer gewesen war, und er nahm sich die Zeit, an diesem Tag am Straßenrand zu stehen, um uns zu sehen.“ Die LP A Hard Day's Night wird wieder Nummer 1 in England und den USA. Es ist die erste Langspielplatte, auf der nur Kompositionen von John und Paul vorkommen. Für Ringo wird diesmal kein Platz reserviert. Die Zeiten, in denen die Gruppe als Gruppe auftrat, gehen langsam zu Ende und es beginnt eine andere Epoche, bei der jeder der Beatles möglichst viele Lieder von sich selbst auf der Platte unterbringen und auch singen möchte. Am 19. August 1964 brechen die Beatles zu ihrer zweiten Tournee nach Amerika auf. Sie wird weniger Spaß machen als die erste, doch die Fassade hält und die Beatles spielen auch auf dieser Tournee die lustigen Jungs aus England mit dem abseitigen Humor. Paul vor dem Abflug: „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir nicht aufgeregt sind. Aber ich frage mich schon, wie es uns gehen wird, wenn die Tournee halb vorüber ist. Klar, wir gehen gern auf Tournee, neue Orte, neue Leute, aber wir kriegen schnell Heimweh. Ich bin mir sicher, dass wir nach ein paar Wochen die Tage zählen werden, bis der Trip wieder vorbei ist. Es wird die längste Zeit sein, die wir je von England weg waren, fast fünf Wochen. Es wird hektisch werden. Es ist sicher, dass wir bald die

94 Schnauze voll haben und Heimweh kriegen werden. Wir würden am Liebsten zu Hause bleiben, aber wenn es schon das Ausland sein muss, dann lieber nach Amerika als woanders hin. Das Publikum ist toll dort und wenn wir nicht arbeiten oder in die nächste Stadt weiterfliegen, gibt es immer Radio oder das Fernsehen zum Entspannen, egal, ob es Tag oder Nacht ist. Diesmal werden wir große und kleine amerikanische Städte besuchen, aber meistens werden wir in großen Sälen spielen, mit bis zu zwanzigtausend Menschen. Ich hoffe, dass auch jemand zu unseren Konzerten kommt.“ Reporter: „Geht Ihr zum Friseur?“ Ringo: „Klar. Alle drei Wochen.“ Reporter (zu John): „Ist dein Haar vom Wind zerzaust oder nicht?“ John: „Ich habe gerade geduscht, das ist alles.“ Reporter: „Warum ist John der einzige Beatle, der verheiratet ist?“ Ringo: „Früher oder später werden wir alle verheiratet sein.“ Reporter: „Wie lange wird die Beatlemania dauern?“ Ringo: „Das ist schwer zu beantworten. Wir fühlen uns fit.“ John: „Ich habe gerade ein Stück geschrieben: Schneewittchen und die sieben Warzen.“

Kaum sind die Beatles in Seattle angekommen, geben die Beatles wieder ein Interview:

Reporter: „Ringo, warum bekommst du mehr Fanpost als jeder andere Beatle?“ Ringo: „Keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil mir mehr Leute schreiben.“

95 Reporter: „Euer neuer Film hat gute Kritiken bekommen, manche haben euch sogar mit den Marx Brothers verglichen. Gefällt euch das?“ John: „Ja. Ringo ist irgendwie wie Groucho.“ Reporter: „Wie lange werdet ihr weitermachen, viele Jahre?“ John: „Bis dass der Tod uns scheidet.“ Reporter: „Wie viel Geld verdient ihr?“ George: „Viel.“

Ausschnitte aus einem Interview am Flughafen von Los Angeles:

Reporter: „Wie lange werdet ihr hier in Los Angeles sein?“ John: „Keine Ahnung. Ich wusste gar nicht, dass wir hier sind.“ Reporter: „Eine dringende Frage. Wann lasst ihr euch die Haare schneiden?“ John: „Du hast die Stones noch nicht gesehen.“ Paul: „Wir sind übrigens sogar auf dem Weg zum Friseur!“ John (zeigt auf Ringo): „Er war gestern dort. Wir sind sehr gepflegt.“ Reporter: „Wisst ihr schon, wo ihr hier in Los Angeles absteigen werdet?“ John: „Das ist uns ziemlich egal, Hauptsache, jeder kriegt ein Bett.“ Reporter: „Was haltet ihr von der Aussage eines Psychiaters in Seattle, der gemeint hat, dass die Beatles eine Plage wären?“ George: „Psychiater sind auch eine Plage!“ Reporter: „Ist das nicht schwer, auf eure Privatsphäre zu verzichten?“

96 Paul: „Wirklich schlimm ist das nur, wenn sie einen auf den Boden werfen und zertreten.“ Reporter: „Was macht ihr, wenn die Seifenblase platzt?“ John: „Uns eine Arbeit suchen.“

In Los Angeles spielen die Beatles in der Hollywood Bowl. Bob Eubanks, der Veranstalter: „Wir wollten zwei Shows veranstalten, weil wir sofort ausverkauft waren. Das war vorher noch nie passiert. Ich hatte vor allem mit Brian Epstein zu tun. Er war bei den Verhandlungen der härteste Mann, den ich jemals getroffen habe.“ Paul: „Man erlebt da immer was, was einen aufbaut, wie zum Beispiel die Nachricht, dass Frank Sinatra und Dean Martin versucht hatten, Karten für unser Hollywood-Bowl-Konzert zu bekommen und abgewiesen wurden. Wenn wir gewusst hätten, dass man von dem Konzert Aufnahmen machen würde, wären wir nervös geworden. Man hörte sich selbst nicht und man wusste auch, dass sie es ohnehin vermasseln würden. Es gab keinen Bass und die Trommeln haben sie gar nicht erst aufgenommen. Man hörte nichts. Ich mochte die Hollywood Bowl nicht. Es war schrecklich. Ich hasste es. Dieser Ort war für Orchester gemacht, und keine Band. Einige dieser Konzerte in Amerika waren gut, aber nicht viele.“ In Los Angeles treffen die Beatles auch die „Sexbombe“ Jayne Mansfield, die sehr gern die Jungs aus England kennen lernen möchte. : An jenem Abend rief mich die Schauspielerin Jayne Mansfield an. Sie wollte die Beatles treffen und mit ihnen photographiert werden. Sie ging mir auf die Nerven, sie aber bestand darauf, sie

97 wirklich, wirklich treffen zu wollen, bei ihr zuhause, im Hotel der Beatles, egal wo. Ich sagte ihr, dass wir eine Regel hatten, die hieß: Keine Photos mit Prominenten.“ Jayne Mansfield: „Ich hatte dann eine brillante Idee, den Abend am Sunset Strip im Whiskey A Go-Go zu verbringen, niemand außer uns und ein paar Freunde, und das hat dann geklappt.“ Das Treffen findet abends um 10.45 statt. Paul ist nicht dabei. Und Ringo trägt den Eindruck davon, dass die Sexbombe eigentlich nichts Besonderes ist. Die Beatles spielen in ihren Konzerten jeweils nur kurz, etwa eine halbe Stunde lang. Bei ihrem Konzert im Cow Palace in San Francisco sind noch die Righteous Brothers mit an Bord, und Jackie De Shannon, the Exciters und Bill Black's Combo. Von hier aus geht es über 26 Konzerte Richtung Osten bis hin zum Paramount Theater in New York. Für ihr Konzert im Municipal Stadium in Kansas City bekommen die Beatles nach Zeitungsberichten eine Gage von 150.000 US Dollar, ein Weltrekord. In Las Vegas werden sie im Convention Center wieder mit Jelly Beans beworfen. Mehrere Beatles-Lieder vom neuen Album A Hard Day's Night, darunter I'll Cry Instead, If I Fell und And I Love Her kommen die Charts, bleiben aber in den mittleren Positionen, bevor sie wieder absteigen. Ist die große Beatles-Begeisterung vorbei? Oder liegt es daran, dass das neue Album schnell gemacht wurde und außer A Hard Day's Night und Can't Buy Me Love keine großen, im Gedächtnis bleibenden Titel hat? Bei ihrer Tournee merken die Beatles aber noch nichts von einem Abflauen des Interesses.

98 In Cincinnati:

Reporter: „Was macht ihr, wenn die Seifenblase platzt?“ John: „Geld zählen.“ Reporter: „Was für eine Entschuldigung habt ihr für eure langen Haare?“ Ringo: „Dass sie aus meinem Kopf wachsen.“ Reporter: „Warum stehen die Teenager auf und kreischen so durchdringend?“ Paul: „Wir wissen es nicht, aber wir haben gehört, dass einige Teenager dafür bezahlen, zu unserem Konzert kommen und kreischen zu dürfen. Viele von denen wollen gar nicht zuhören, weil sie die Platten ja schon haben.“ Reporter: „Was haltet ihr von dem Psychiater, der die Hysterie, die ihr ausgelöst habt, mit der vergleicht, die Hitler mit seinen Reden erzielt hat?“ John: „Sag ihm, er soll das Maul halten. Er ist völlig verkorkst.“ Reporter: „Was wäre aus euch geworden, wenn ihr nicht die Beatles geworden wärt?“ George: „Schlechte Unterhalter.“

Am 15. September lässt Police Inspector Carl Bear in Cleveland eine Beatles-Show unterbrechen, als kreischende Fans die Bühne stürmen. Am 20. September lernen die Beatles in New York kennen. John: „Wir haben Bob Dylan im Januar zu bewundern begonnen, als wir in Paris waren. Wir hatten einem Diskjockey dort eine Dylan-LP abgeluchst. Paul hatte von Dylan schon gehört, aber bevor der die Platte spielte, wussten wir nichts von ihm. Wir waren verrückt

99 nach der LP Freewheelin' und wollten dann noch mehr Platten von ihm. Während der Tournee in Amerika sagte jemand zu uns: Wollt ihr Dylan treffen? und wir sagten: Klar, wenn er uns sehen will.“ Al Aronowitz, ein Journalist, der das Treffen arrangiert hat: „Die Beatles und ihr Manager waren gerade mit dem Abendessen fertig, als Bob Dylan und ich in Bobs blauem Ford vorfuhren. Victor, sein Roadie, hatte einen Packen Marihuana in der Tasche, als wir uns durch die Menge der Teenager ins Hotel vorarbeiteten. Im Eingangsbereich waren Polizisten, die uns solange festhielten, bis , der Roadie der Beatles, herunterkam. Wir wurden dann in die Suite der Beatles gebracht, und als die Lifttüren aufgingen, waren da noch mehr Polizisten und eine Menge Leute, und dann kamen wir in die Suite und ich stellte jeden vor.“ John damals: „Er kam hoch auf unser Zimmer und wir lachten die ganze Nacht. Wenn das Telefon läutete, hob er ab und sagte: Mein Name ist Beatlemania. Er hatte den gleichen Sinn für Humor wie wir und auch unseren Musikgeschmack. Er ist kleinwüchsig. Das ist merkwürdig, wenn man ihn sieht, weil wenn er singt, hat man das Gefühl, dass er ein großer Mann ist. Er ist so groß wie Ringo und sehr dünn.“ Al Aronowitz: „Brian sagte zu Bob und mir: Ich fürchte, wir haben nur Champagner. Die Beatles boten uns an, billigen Wein und ein paar Pillen holen zu lassen. Bob sagte, dass er alles trinken würde, was da war, und schlug vor, ein bisschen Gras zu rauchen. Die Beatles sagten, dass sie das noch nie gemacht hatten. Sie wollten wissen, wie Marihuana wirkt, und wir sagten: Man fühlt sich gut dabei. Damals hatte ich selbst noch keine Ahnung, wie man einen Joint dreht, und musste Bob bitten, den ersten zu machen. Aber er

100 konnte es auch nicht, und eine Menge Gras fiel in die Obstschale. Wir erklärten den Beatles dann, dass Marihuana, wenn es einmal brennt, einen sehr charakteristischen Geruch hat, und schlugen vor, dass wir alle ins Schlafzimmer gehen würden und die Tür zumachen. Dann gab Bob den Joint an John weiter, der ihn gleich an Ringo weiterreichte, ohne ihn selbst zu probieren. Du versuchst es, befahl er ihm. Daran konnte man sofort ablesen, wie die Hackordnung bei den Beatles war. Ringo war der Mann, der ganz unten stand. Als Ringo zögerte, machte John einen Witz darüber, dass Ringo sein Vorkoster wäre. Ich empfahl Ringo, möglichst tief zu inhalieren und den Rauch möglichst lange in der Lunge zu behalten. Ringo nahm einen Zug nach dem anderen, und Victor, Bob und ich warteten darauf, dass er ihn an John weitergeben würde, aber die Beatles kannten dieses Ritual noch gar nicht. Wer Gras raucht, gibt es weiter, weil es wertvoll ist. Es ist illegal, teuer und nicht leicht zu kriegen. Deshalb verschwenden Grasraucher nicht die kleinste Rauchwolke. Wer den Joint einfach niederbrennen lässt, der macht etwas, was man „Bogarting“ nennt, nach Humphrey Bogart, der eine Zigarette immer so lange zwischen seinen Fingern hielt, bis die lange Asche von selbst abfiel. Davon hatte ich Ringo noch nichts gesagt, und man konnte sehen, dass er den Joint wie eine Zigarette rauchen wollte. Ich bat Victor, noch ein paar Joints zu drehen, und er konnte das sehr gut, so sehr, dass sie wie Zigaretten aussahen. Bald rauchte jeder seinen eigenen Joint wie eine Zigarette und nach einer Weile machte Derek Taylor mit, der immer raus und rein ging, um alle Leute, die die Beatles treffen wollten, in Schach zu halten. Dann begann Ringo zu kichern. Und schon lachte er, völlig durchgedreht. Es

101 sah so witzig aus, wie er lachte, das wir bald auch alle selbst einen Lachkrampf kriegten und Ringo zeigte auf Brian, der lachte und wir kriegten dann alle einen Lachkrampf darüber, wie Brian lachte. Brian sagte dauernd: Ich bin so high, ich bin oben an der Decke. Dann kam der Punkt, an dem Paul merkte, dass er das erste Mal in seinem Leben Gedanken hatte, und er merkte das und es beeindruckte ihn schwer. Er bat Mal, ihm einen Notizblock und einen Stift zu holen und mitzuschreiben, was er ihm sagen würde. Dann ging Paul durch das Zimmer, schritt auf und ab, und diktierte, und Mal schrieb alles mit. Ich habe keine Ahnung, was mit den Notizen passiert ist. An dem Abend lachten wir alle, und immer, wenn John von da an einen Joint rauchen wollte, sagte er: Kommt, gehen wir einen lachen.“ Am 30. August belegen die Beatles den achten Stock des La Fayette Hotels in Atlantic City. In der Stadt wird gerade der demokratische Parteitag abgehalten, und Peter Woods, ein Reporter der BBC, ist dort, um über dieses politische Ereignis zu berichten. Er soll nun nebenbei über die Beatlemania berichten. Er hat aber kein Interesse für Pop. Ihm missfällt sehr, was seine Landleute bei den Menschen in dieser Stadt auslösen. In seinem nächsten Beitrag im Fernsehen, bei dem er die Beatles interviewen soll, sagt er: „Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wir sind überall umgeben von Beatles-Fans. Die Beatlemania hat alles voll im Griff. Ich kann nachts nichts schlafen, weil das Kreischen nicht aufhört. Kinder haben uns gefragt, ob wir sie ins Hotel mitnehmen und als unsere Kinder ausgeben könnten. Meine eigenen Kinder, Susan und Guy, sind von Fans berührt worden für den Fall, dass sie selbst von den Beatles berührt worden sein sollten, als ob die

102 Magie abreiben könnte. Merkwürdige Männer schleichen sich durch das Hotel. Das achte Stockwerk ist völlig abgeschottet. Heute galt das auch für den Swimmingpool. Die Gäste konnten wegen der Beatles nicht schwimmen gehen und wissen jetzt, was es bedeutet, in einem Hotel mit den Beatles abzusteigen. Zusammengefasst haben sie mir in den letzten Tagen den Schlaf geraubt.“ Er wendet sich an die Beatles: „Ich habe wegen euch seit mehreren Nächten kein Auge zugetan.Wie kommt ihr selbst mit dem Lärm zurecht?“ George: „Wir entschuldigen uns.“ John: „Es wäre besser gewesen, du wärst in einem billigen Hotel abgestiegen.“ Woods: „Wie werdet ihr mit dem Lärm fertig? Es geht schon die ganze Nacht so.“ Paul: „Man merkt es nicht sehr.“ Ringo: „Man vergisst es.“ George: „Fenster zumachen, Klimaanlage an und der Fall ist erledigt.“ Woods: „Und ein Kissen über den Kopf?“ George: „Wir sind immun geworden. Es ist ein fernes Geräusch. Einer dieser Alltagsgeräusche, Mann.“ Paul: „Wenn man in der Glockenfabrik arbeitet, merkt man die Glocken nicht mehr.“ John: „Das wusste ich nicht.“ Paul: „Doch, die haben Glockenfabriken in Bel-fast! Hahahaha!“ Woods: „Ach so. Aber im Ernst, ist das nicht eine riesige Belastung?“ George: „Ein Laster?“ Woods: „Belastung!“ Paul: „Ha ha. Es ist dieser Lärm.“

103 Woods: „Wie findet ihr das, so kurz nach der Convention aufzutreten? Es sind das doch zwei völlig verschiedene Veranstaltungen.“ Paul: „Ringo soll Präsident werden.“ Bob Bonis, ein Mitglied des Tournee-Managements, hört an dem Tag im Casino, wie eine Mutter ihrer Tochter Anweisungen gibt, wie sie die Beatles erpressen kann. „Sie sagte: Wenn du dort oben bist, musst du dazu sehen, dass auch John Lennon im Zimmer ist und dann schreist du: Vergewaltigung! Wir werden reich werden. Ich ging dann zum Hotel- Management und gab strikte Anweisungen, dass die Beatles völlig abgeschottet werden sollten.“ Paul spricht im Hotel mit Elvis am Telefon. Mal Evans: „Er sagte: Ach, du hast dir einen Bass gekauft, Elvis, und Elvis sagte: Ich habe Blasen auf den Händen. Paul sagte: Keine Sorge, das geht schnell weg.“

Ein Interview in Pennsylvania: Reporter: „Geht euch das dauernde Kreischen und Drängeln der Fans auf die Nerven?“ Ringo: „Uns geht nichts auf die Nerven. Es ist die Polizei, die da leiden muss.“ Reporter: „Welche ernsthafte Musik mögt ihr?“ John: „Rock'n'Roll.“ Paul: „Das ist nicht das, was er meint, sondern ernsthafte Musik. Alle Musik ist ernsthaft. Es kommt darauf an, wer zuhört.“ George: „Paul, das ist tiefgründig.“ Reporter: „Als ihr im Februar hier wart, hast du gesagt, dass amerikanische Mädchen fortschrittlich sind. Was meinst du jetzt darüber?“ John: „Fortschrittlich? Nein, rückschrittlich.“

104 Paul: „Sie sind großartig. Wir finden sie großartig.“ Reporter: „Man sagt, dass die Mädchen kreischen, weil sie gegen ihre Eltern rebellieren. Haltet ihr euch das zugute?“ Paul: „Sie rebellieren seit Jahren.“ John: „Ich habe noch keine Rebellion bemerkt.“ Reporter: „Was haltet ihr von der Wehrpflicht?“ John: „Nichts.“ Reporter: „Was würdet ihr tun, wenn die Fans die Polizeisperren durchbrechen würden?“ Ringo: „Lachend sterben!“ Reporter: „Wie kamt ihr auf die Frisuren?“ John: „Darüber haben wir schon so viele Lügen erzählt, dass wir es vergessen haben.“ Paul: „Eigentlich hat uns ein deutscher darauf gebracht.“ Reporter: „Habt ihr irgendwelche Vorschläge bezüglich der Gelder, die jetzt wegen eurer Konzerte von Amerika nach England fließen?“ George: „Ja, sie sollen dabei die Einkommenssteuer weglassen.“

In Illinois:

Reporter: „Was macht ihr mit eurem langen Haar, wenn ihr duscht?“ Ringo: „Nass machen, mit dem Handtuch trocknen und rubbeln.“ John: „Es dauert etwas länger.“ Reporter: „Was würdet ihr machen, wenn es keinen Polizeischutz gäbe?“ Ringo: „Ich glaube, sie würden uns umbringen.“ Reporter: „Was wollt ihr in Chicago sehen?“

105 Paul: „Die Gangster, mit den breiten Hüten und Krawatten.“ Reporter: „Haltet ihr euch für Entertainer oder Komiker?“ John: „Entertainer bis ins Mark.“

Mal Evans: „Die Fans waren sehr einfallsreich. In Chicago kamen wir aus dem Hotel und wollten zu einer Show, als ich plötzlich ein Mädchen in der Menge sah, die gerade Paul Handschellen anlegen wollte. Sie hatte ein Handschelle um ihr Handgelenk und wollte die andere um Pauls Handgelenk legen. Es war eine tolle Idee, aber sie hat es nicht geschafft.“

Am 17. September in Kansas City:

Reporter: „Wer ist die aufregendste Frau, die ihr getroffen habt?“ John: „Ringos Mutter ist ziemlich heiß. Mach dir keine Sorgen, Ringo, das ist nur ein Witz. Nur ein Witz.“ Reporter: „Was hältst du von Jayne Mansfield, Ringo?“ Ringo: „Sie zieht einen runter.“ Reporter: „Zeigst du uns dein graues Haar?“ Ringo: „Nein.“ Reporter: „Warum nicht?“ Ringo: „Weil ihr es nur zerstrubbelt.“ Reporter: „Für mich sieht es schon ziemlich zerstrubbelt aus. Was macht ihr Jungs, wenn ihr in eurem Hotelzimmer eingesperrt seid?“ Ringo: „Wir schlafen, schauen fern, hören Radio, spielen Karten und manchmal reden wir sogar miteinander!“ Reporter: „George, was war da mit dem Mädchen los, das neun Stockwerke hoch geklettert und durch das

106 Fenster eingebrochen ist und dich im Pyjama erwischt hat?“ George: „Sie hat Ringo erwischt, nicht mich. Nein, eigentlich war es so: Die Polizei hat sie geschnappt, bevor Sie überhaupt in mein Zimmer kam.“ Die Antworten der Beatles werden flapsiger, aber sie lächeln noch. Die Tournee hat sie sichtlich Kraft gekostet, aber sie wissen natürlich auch, dass man das Eisen schmieden muss, so lange es heiß ist. Für Ringo sind Tourneen und das Bad in der Menge aber ein Lebenselixier. Als die Beatles aus Amerika zurück sind, resümiert er: „Es ist ganz gut gelaufen. Es hat mir was gegeben, zu sehen, wie mir die Kids zuwinken. Ich konnte es nicht glauben, weil ein Drummer normalerweise der ist, den man nicht sieht. Er steht nicht vorn. Und das ist ja eigentlich auch ganz gut so.“ Zurück in England geht die Konzertreise gleich weiter. Am 9. Oktober beginnt die erste England-Tournee in diesem Jahr. Es sind insgesamt 27 Konzerte, zu denen sich die Beatles verpflichtet haben. Die Tournee ist zeitlich so eng gepackt, dass eine Viertelstunde in einer Bäckerei für die Band schon zum unvergesslichen Erlebnis wird. Ringo: „Auf dem Weg zum Konzert sprangen wir alle aus dem Auto, gingen in eine Bäckerei und kauften uns zwei Pfund Süßigkeiten. Das hat uns viel bedeutet. Die Freiheit der Bewegung hat mich sehr beeindruckt. Es war so, als würde man die Schule schwänzen, etwas machen, was einmal nicht von den Veranstaltern geplant war und sich etwas Gutes zu tun, anstatt dauernd auf Zeitplan zu laufen und auf Knopfdruck funktionieren zu müssen. Die meisten Menschen gehen in einen Laden und kaufen was Süßes, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Für uns war es eine große Sache! Es war ein sehr merkwürdiges

107 Gefühl, seine Freiheit wieder zu gewinnen. Wir haben diese Süßigkeiten mehr genossen, als viele andere einen Haufen Kaviar oder ein teures Essen.“ Auf CBS läuft am 13. Oktober in Amerika eine einstündige Dokumentation der Nordamerika-Tour der Beatles. Am 10. November bringt eine Gruppe Scherzbolde in Bristol an der Decke über der Bühne einen Sack Mehl an, der während des Konzertes zerplatzt und die Beatles mit weißem Pulver bestäubt. In der Zeitung steht zu lesen: „Ringo musste sein Tom-Tom umdrehen und klopfte darauf im vergeblichen Versuch, das Mehl herunterzukriegen.“ Ringo ist es dann auch, der die nächste Nummer singen muss: I Wanna Be Your Man. Es ist das letzte Konzert der England-Tournee, und die Beatles sind froh, in die Weihnachtspause zu gehen. Am 27. November bringen die Beatles eine neue Single in die Plattenläden. Sie heißt I Feel Fine34, ein Lied, das John geschrieben und zuerst mit Ringo einstudiert hat. John: „Ich habe es um den Riff herum geschrieben, den man im Hintergrund hört. Ich wollte diese Art von Effekt am Liebsten in jedem Lied auf unserem neuen Album unterbringen, aber die anderen wollten davon nichts hören. Ich sagte, dass ich ein Lied speziell für den Riff schreiben wollte und sie sagten, mach das nur – weil sie wussten, dass das Album fast schon fertig war. Es kam dann so, dass ich am Morgen ins Studio kam und zu Ringo sagte: Ich habe das Lied geschrieben, aber es ist lausig. Wir haben dann geprobt, mit dem Riff, und es klang wie eine A-Seite, und deshalb haben wir beschlossen, es so zu veröffentlichen.“

34 http://www.youtube.com/watch?v=GlpMs_R3P6U

108 Paul: „Das Schlagzeug war etwas, das wir damals What'd I Say35-Drumming nannten.“ Die Tourneepause dient auch dazu, sich um sich selbst kümmern zu können. Die letzte Angina hat Ringo umgeworfen. Jetzt sollen die Gaumenmandeln entfernt werden, um einem vergleichbaren Notfall vorzubeugen. Am 2. Dezember kann sich Ringo im University College in London operieren lassen. Der Eingriff verläuft komplikationslos und Ringo ist nach ein paar Tagen wieder auf dem Damm. Am 12. Dezember erscheint die Single I Feel Fine in den Plattenläden. Sie erobert rasch Platz 1 der Hitparade. Die Vorbestellungen sind allerdings auf 750.000 zurückgegangen. Das Album erscheint am 19. Dezember 1964 und übernimmt wieder Platz 1 der LP- Charts. Auf dem Cover ist ein Photo der Beatles, auf dem sie müde und bedrückt wirken. Die letzten Monate haben sichtlich an ihnen gezehrt, was auch die Kreativität etwas vermindert hat. Die Platte enthält acht neue Kompositionen von John und Paul, und sechs Rock'n'Roll Standards von und Buddy Holly. George Martin, John und Paul spielen bei Music alle gemeinsam auf einem Klavier. Dieses vierte Album der Beatles erscheint auf dem Höhepunkt der Beatlemania, aber man merkt in der Öffentlichkeit kaum, dass die Tourneen dieses Jahres ihren Tribut gefordert haben. Neil Aspinall: „Heute würde keine Band nach einer langen US-Tournee Ende September ins Studio gehen und ein neues Album aufnehmen, dabei viele eigene Lieder einspielen und dann noch eine Tournee durch Großbritannien machen und das Album nebenbei so weit fertigstellen, dass es 35 http://www.youtube.com/watch?v=65FOQpQpSwc

109 noch vor Weihnachten herauskommen kann Aber das war es, was die Beatles 1964 gemacht haben. Zu einem großen Teil aus einer jugendlichen Frische heraus und der Einstellung, wenn die Plattenfirma ein neues Album braucht, dann macht man das eben.“ John sagt später, dass ihn Bob Dylans Besuch in New York dazu inspiriert habe, Lieder wie I'm A Loser36 zu schreiben. Es ist das erste Lied der Beatles, in dem es nicht um junge Liebe und Mädchen, sondern um ein ernstes Thema geht. Paul bringt auf dem Album ein Lied unter, das er als 16jähriger geschrieben hat: I'll Follow The Sun37. Das für Ringo reservierte Lied heißt Honey Don't38, ein kleiner Stimmungsmacher ohne große Bedeutung. Ein Lied, das es nicht auf das Album geschafft hat, aber später herauskam heißt: Leave My Kitten Alone39., ein R & B-Klassiker, der John die Möglichkeit bietet, mit Genuss abzurocken. Am 24. Dezember lassen die Beatles im Hammersmith Odeon in London ihre zweite Weihnachtskonzertreihe steigen. Mit von der Partie sind Freddie & the Dreamers, die Yardbirds, Elkie Brooks, Jimmy Savile, Mike Haslam, Mike Cotton Sound, Sounds Incorporated und Ray Fell. Die Konzertreihe mit dem Titel Another Beatles Christmas Show läuft bis 16. Januar 1965.

36 http://www.youtube.com/watch?v=5r0HTV7WkQk 37 http://www.youtube.com/watch?v=Gh6NS2D0pW8 38 http://www.youtube.com/watch?v=NzDxzMKnJ9M 39 http://www.youtube.com/watch?v=H1WytU0yZwI

110 1965

In die Erholungsphase nach den Konzerten fällt auch Ringos Heiratsantrag. Er bittet Maureen im Januar an einem Abend im in London um ihre Hand, nachdem sie ihm gesagt hat, dass sie ein Kind erwartet. Die anderen Beatles erfahren nichts davon. Die Trauung findet am 11. Februar im kleinsten Kreis statt. Maureen ist im zweiten Monat schwanger. Am 11. Februar werden John und George über Ringos überstürzte Hochzeit befragt. Es besteht die Sorge, dass ein weiterer verheirateter Beatle schlecht fürs Geschäft sein könnte. John: „Es gab keine Tränen. Wir haben Mrs. Starkey gedroht, dass sie nicht zur Bande gehören würde, wenn sie dabei eine Träne vergießt.“ Reporter: „Glaubst du, dass Ringos Hochzeit den Erfolg der Gruppe mindern wird?“ John: „Ich glaube das nicht, aber es mag sein, dass einige Fans jetzt von einem Beatle zum anderen übergehen, zumindest war es so, als bekannt wurde, dass ich verheiratet bin.“ Reporter: „Was war deine erste Reaktion in Bezug auf Ringos und Maureens Entscheidung, zu heiraten? Hast du an die Reaktion der Fans gedacht?“ John: „Nein, nein. Das einzige, was ich gedacht habe, war, dass es hinterrücks war, zu heiraten, bevor ich aus dem Urlaub zurückkomme. Aber es ist alles okay, jetzt gehört er zum Club.“ George: „Die Heirat war in zehn Minuten vorbei. Es gab keine Musik, obwohl ich daran dachte, den Hochzeitsmarsch zu summen. Maureen ist klasse, wir mögen sie alle sehr. Das bedeutet jetzt, dass es zwei

111 verheiratete Beatles gibt und zwei ledige. Zwei hat's erwischt, zwei müssen noch weg.“ (Acht Jahre später wird George mit Maureen eine Affäre haben). Die Weltpresse taucht in Scharen in London auf, um über Ringos Hochzeit zu berichten. Brian Epstein arrangiert am 12. Februar hastig eine Pressekonferenz im Garten seines Anwalts, David Jacobs. Reporter: „Wie lange kennt ihr einander schon?“ Ringo: „Etwa zweieinhalb Jahre.“ Reporter: „Das heißt, Maureen, dass du Ringo schon gekannt hast, als er noch ein normales Leben lebte. Wie fühlt es sich an, mit einem sehr berühmten Mann verheiratet zu sein?“ Maureen: „Sehr schön.“ Reporter: „Ich kann mir vorstellen, dass euch ganz andere Flitterwochen vorgeschwebt haben, als dass hier. Wie geht es euch dabei?“ Ringo: „Wir haben es ja versucht. Wir wollten es unter der Decke halten, aber offensichtlich hat uns jemand ertappt und jetzt sind es eben keine Flitterwochen mehr. Wir werden einfach hier in der Stadt bleiben.“ Reporter: „Wie haben die anderen Beatles darauf reagiert?“ Ringo: „John und George waren großartig, sie waren sehr erfreut darüber, und haben uns gratuliert und alles. George war sogar bei der Hochzeit.“ Reporter: „Wann hast du ihr einen Heiratsantrag gemacht, Ringo?“ Ringo: „In einem Club.“ Reporter: „In welchem?“ Ringo: „Die werden für die Werbung dankbar sein. Es war der Ad Lib Club.“ Reporter: „Heißt das, es war alles improvisiert?40“ 40 Ad lib heißt auf deutsch: Frei Schnauze.

112 Ringo: „Ha ha. Schlechter Scherz. Nein, ich dachte gerade daran und dann sagte ich: Möchtest du mich heiraten? Und sie sagte: Ja. Möchtest du noch was trinken? Und das war es.“ Reporter: „Nochmal herzlichen Glückwunsch.“ Ringo: „Danke, alles klar, und ade. Ich hoffe, Euch nicht so bald wiederzusehen.“ Am 23. Februar 1965 beginnt man auf den Bahamas mit den Dreharbeiten zum zweiten Beatles-Film. Er soll Eight Arms To Hold You heißen. Treffender aber wird der spätere Titel Help! sein, denn die Beatles finden es von mal zu mal schwieriger, das enge Korsett der Superband zu tragen. Dazu gehört auch der neue Film, in dem sie wieder die lustigen Jungs aus Liverpool geben sollen. Victor Spinetti, der in dem Film mitspielt: „Help! war eine Zwangsjacke für die Beatles. Sie mussten Rollen spielen, die sie nicht gewohnt waren und es hat ihnen gar nicht gefallen. Der erste Drehtag war fast der letzte und das Ende der Beatles. Wir filmten auf einer Yacht und ich mimte den verrückten Wissenschaftler, der Ringo einen Finger abschneiden will, um den Ring zurückzugewinnen. Er entkommt mir, hechtet von der Yacht und fällt zehn Meter tief hinab ins Meer. Es gab ein paar Leute, die die Gegend nach Haien abgesucht hatten. Dick Lester sagte: Machen wir noch eine Aufnahme. Sie trockneten Ringo ab und er zitterte, weil es noch sehr früh im Jahr war und außergewöhnlich kalt. Wir machten noch eine Aufnahme und noch eine und beim dritten Mal sagte Dick Lester: Machen wir noch eine Aufnahme. Da fragte Ringo: Muss das sein? Und Dick sagte: Ich hätte gern noch eine. Warum? Und Ringo: Weil ich nicht schwimmen kann. Dick Lester wurde blass und sagte: Um Himmels Willen, warum

113 hast du mir nichts davon gesagt? Und Ringo darauf: Ich wollte nicht davon reden.“ Als der Tross dann im März nach Österreich übersiedelt, wo Szenen im Schnee gedreht werden, müssen die Beatles Schifahren, obwohl sie noch nie auf den Brettern gestanden haben. Die Beatles machen alles bereitwillig mit, obwohl es ein paar Mal böse Stürze gibt. Sie geben ein Interview, in dem sie dazu Stellung nehmen, was mal aus Ihnen werden wird, wenn die Begeisterung abflaut. Reporter: „Was werdet ihr tun, wenn nicht jede Beatles- Single automatisch an die Spitze der Hitparaden schießt?“ Paul: „Das wäre eine schreckliche Sache, und ich werde dann den Miesepetern Beachtung schenken, die dauernd sagen, dass die Beatles schlechter werden. Das wird blöde Kommentare von uns geben, Marke: Es gibt Platz für jeden an der Spitze. Wenn unsere Hits mal nicht Nummer 1 sind, werde ich fluchen, was ich sonst nie tue.“ Reporter: „Werdet ihr England verlassen und woanders wohnen?“ George: „England verlassen? Nie im Leben. Das beste Land der Welt.“ Paul: „Nein. Definitiv nein. Ich mag England lieber als jedes andere Land.“ Reporter: „Wie wünscht ihr euch, wie man an die Beatles denken wird, wenn ihr einmal alt seid?“ Paul: „Mit einem Lächeln.“ John: „Mir wird es nichts geben, dass man an mich denkt. Ich werde in einem Pflegeheim sein und der wird Artikel schreiben, in denen es heißt: Direkt aus dem Altersheim präsentieren wir John

114 Lennon mit Blind Date. Nein, ernsthaft: Ich möchte, dass man an mich denkt als den, der einem zugezwinkert hat.“ George: „Mir ist das egal.“ Ringo: „Ich möchte, dass man an mich als Frau Starkeys kleinen Jungen denkt.“

Am 13. März kommt Eight Days A Week41 auf Nr. 1 der amerikanischen Hitparade, ein Zeichen, dass die Beatles-Begeisterung entgegen dauernder Unkenrufe doch anhält. Anfang April verkündet Ringo, dass Maureen und er ihr erstes Baby erwarten. Die Beatles sind am 11. April im Fernsehen zu Gast und der Gastgeber, Eamonn Andrews, beginnt mit den Worten: „Bevor wir hier überhaupt loslegen, kriegt Ringo dicken Applaus und herzlichen Glückwunsch. Wie fühlt es sich an, Vater zu werden?“ Ringo: „Gar nicht schlecht. Nicht schlecht. Ich hoffe, dass es ein Mädchen oder ein Junge wird.“ John: „Es könnte ein Auge sein!“ Eamonn (zu John): „Kannst du ihm diesbezüglich gute Ratschläge geben?“ John: „Nein!“ Die Beatles werden über ihre Filme befragt, und mit Komödianten verglichen. Eamonn: „Ringo, gibt es irgendwelche Komiker, die dir besonders gut gefallen?“ Ringo: „Laurel und Hardy.“ Paul nennt die Marx Brothers und George Peter Sellers. Eamonn: „Wer von euch ist der beste Schauspieler in dem neuen Film?“ John: „Ich!“ 41 http://www.youtube.com/watch?v=Vs5qsk0pc6Y

115 Eamonn: „Warum bist du der Beste, John?“ John: „Weil Ringo das gesagt hat.“ Ringo: „Er sagt immer, dass er der Beste ist. Und er bezahlt mich dafür.“ Eamonn: „Hast du irgendwelche Pläne, Schauspieler zu werden, Ringo?“ Ringo: „Ja, das würde ich gerne. Mir macht das Spaß.“ Eamonn: „Hat euch euer Erfolg überrascht?“ Ringo: „Ich war überrascht an dem Tag, an dem wir bezahlt wurden.“ Weitere Auszeichnungen folgen in diesem Jahr, darunter auch ein Grammy als Best New Artist des Jahres 1964. Ticket To Ride42 erringt am 24. April 1965 Platz 1 in Großbritannien und geht am 22. Mai 1965 in Amerika an die Spitze. Im Mai gibt George ein längeres Interview, in dem er erzählt, wie viel Geld die Beatles bereits verdient haben und was sie damit anfangen. George: „Es gibt zahlreiche Gruppeninvestitionen im Namen der Beatles Ltd., was eine sichere Sache ist. Dann hat jeder eine größere Menge Bargeld, aber keine Million oder so. Ringo hat seine Ziegelfabrik und John und ich haben irgendwo einen Supermarkt, wissen aber gar nicht genau, wo. Keine Ahnung, was Paul mit dem Geld macht. Ich bin mir sicher, dass er es gut investiert.“ Reporter: „Sind die Beatles Millionäre?“ George: „Man kann nicht behaupten, dass Ringo und ich Millionäre sind. Aber ich würde sagen, dass John und Paul es mit hoher Sicherheit sind, wenn man betrachtet, wie viel Geld sie mit verdienen. Aber mir geht es gut. Ich habe eine halbe Million.“ 42 http://www.youtube.com/watch?v=gHPxAnt1HE8

116 Ringo zu diesem Thema: „Ich weiß gar nicht, wofür ich mein Geld ausgeben soll. Manchmal habe ich überhaupt kein Geld dabei und muss mir welches von Neil oder Mal ausborgen.“ Am 10. Mai nimmt der amerikanische Journalist Buddy McGregor öffentlich auf den Marihuana-Konsum der Beatles Bezug. In letzter Zeit fällt es vielen auf, dass die Beatles dauernd kichern. Marihuana ist für sie ein Weg, dem engen Korsett, in das man sie geschnürt hat, zu entkommen. So ist es auch an diesem Tag. Während der Dreharbeiten zu Help! sind die Beatles in den Parkanlagen von Cliveden House verschwunden, obwohl sie einen Interviewtermin hatten. Sie sind, wie man McGregor gesagt hat, in Ringos Facel Vega, einem sehr eleganten Wagen, verschwunden, um sich irgendwo in Ruhe einen Joint reinzuziehen. John und Paul kommen als erstes zurück und geben ein etwas zerfahrenes Interview. Als dann Ringo hinzustößt, prusten sie wieder los, als der nach seinem schönen Auto befragt wird. McGregor: „Wie heißt der Wagen?“ Ringo (grinsend): „Nigel!“ McGregor: „Der hat doch einen Chevrolet Motor, oder?“ Ringo: „Keine Ahnung. Sie ist Amerikanerin, deren Namen ich nicht nennen möchte, außer die Firma gibt mir einen Gratismotor.“ John: „Ich nenne sie gern, wenn du mir einen Gratismotor gibst.“ McGregor: „Die Beatles lutschen gerade Lolly Sickles, nicht wahr?“ Ringo: „Lolly Eis.“ McGregor: „Ach, Entschuldigung, Lolly Eis. Wir nennen das Popsicles.“

117 Ringo: „Warum? Weil sie aus Poppolade sind?“ McGregor: „Ich kann nicht sagen, warum die bei uns Popsicles heißen.“ John: „Sie bestehen nicht aus Popsics, oder?“ Paul (erklärt): „Limonade, pop, wird in einen Eiszapfen verwandelt. Pop-Sicle.“ Ringo: „Ich glaube, das ist jetzt für jeden klar geworden.“ Die nächste Filmszene besteht darin, dass die Beatles aus einem Fenster schauen, während ein Uniformierter vorbei geht. Die Beatles sollen rufen: „Wo gehst du hin? Was machst du dort unten?“ Aber der Satz will ihnen nicht von den Lippen. Sie kichern dauernd, und die Szene muss über dreißig Mal ohne Erfolg wiederholt werden, bis Richard Lester die Dreharbeiten für diesen Tag beendet. John: „Wir hatten damit begonnen, Marihuana zu rauchen und waren high. Die besten Szenen in dem Film waren die, in denen wir auf dem Boden lagen und keinen Mucks von uns geben konnten, weil wir so breit waren.“ Am 7. Juni strahlt die BBC The Beatles (Invite You To Take A Ticket To Ride) aus, die letzte Radiosendung der Gruppe. Am 12. Juni 1965 dringt an die Öffentlichkeit, dass die Beatles auf einer Ehrenliste der Queen stehen und zu Members of the British Empire ernannt werden sollen. Die Auszeichnung ist eigentlich relativ wenig aufregend, keine ungewöhnliche Ehrung. Trotzdem treffen von zahlreichen bislang Geehrten wütende Protestbriefe ein und einige schicken aus Empörung ihre Medaillen zurück. Darunter befinden sich auch Colonel Frederick Wragg, der 12 Ehrenmedaillen zurückerstattet, und auch der frühere Premierminister

118 von Kanada, Parlamentsabgeordneter Hector Dupuis, der zu der Gelegenheit der Presse bekannt gibt: „Das englische Königshaus hat mich auf die gleiche Stufe mit einem Haufen primitiver Dummköpfe gestellt.“ Ringo freut sich darüber, vom Königshaus anerkannt zu werden: „Das ist sehr schön und sehr unerwartet. Ich werde mir die Medaille für das Alter aufbewahren und dann am Revers tragen.“ Reporter: „Warum seid ihr damit ausgezeichnet worden?“ Ringo: „Schaut euch die Dollars an, die wir in Amerika verdient haben.“ Am 20. Juni 1965 gehen die Beatles wieder auf eine Konzertreise durch Europa. Die Tournee beginnt im Palais Des Sports in Paris. Das Schema ist immer das Gleiche. Die Beatles treten etwa dreißig Minuten lang auf, spielen die Hits, die derzeit in den Charts sind, doch man hört nur wenig davon, weil das Publikum mittlerweile auch in Frankreich das Kreischen gelernt hat, das jeden Ton auf der Bühne überdeckt. Die Beatles hören nicht, was sie da tun, aber sie sind so aufeinander eingespielt, dass es keiner merkt. Nach dem Auftritt verbeugen sie sich, und dann geht es weiter in eine andere Stadt und in die gleiche Situation. Zwischendurch halten sie sich in Hotelzimmern auf und langweilen sich. Am 20. Juni erscheint Johns zweites Buch A Spaniard In The Works sowohl in England, als auch in den USA und in Italien. Die Interviews dazu sind zumindest für John eine kleine Abwechslung. Am 3. Juli 1965, zwei Wochen nach Beginn, ist die Tournee auf der Plaza de Toros Monumental in zu Ende und die Beatles sind froh, wieder nach Hause fliegen zu können.

119 Wieder werden sie ausgezeichnet, mit zwei Ivor Novello Preisen. Paul ist der einzige, der zu der Verleihungszeremonie im Savoy Hotel kommt. Er sagt: „Danke. Hoffentlich schickt jetzt niemand seinen zurück.“ Am 29. Juli 1965 hat der Film Help!43 im London Pavilion Premiere. Prinzessin Margaret, die ein großer Fan der Beatles geworden ist, hat sogar ihre Urlaubspläne geändert, um bei der Präsentation dabei sein zu können. John später: „Das Beste an dem Film ist auf dem Boden des Schneideraums gelandet, wie wir lachen und überall herumkugeln. Wir haben schon zum Frühstück Marihuana geraucht und keiner konnte mit uns reden, weil wir dauernd glasige Augen hatten und kicherten, und eingekapselt waren in unserer kleinen Welt.“ Ringo: „Ich spiele in dem Film eine große Rolle, aber ich mag es nicht so sehr, vorn zu stehen. Mir ist der Gedanke unangenehm, dass der Film an mir hängt. Es geht um einen Ring und ich bin ja schließlich Ringo und deshalb war es wohl besser, wenn nicht Paul im Zentrum steht.“ Schon am 7. August geht der Song Help!44 an die Spitze der Charts und verdrängt dort Hey, Mr. Tambourine Man der Byrds, ein Dylan-Cover. Am 11. August wird Help! in New York gezeigt. Paul nimmt Stellung zu der Entscheidung, den Film nicht Eight Arms To Hold You, sondern nach dem Titellied zu benennen. Paul: „Es ist ein gutes Lied. Wir mögen es alle sehr. Ich glaube nicht, dass jemand ein Lied hören wollte, das Acht Arme, Die Dich Halten heißt. Es ist kein guter Titel. Wir waren ein bisschen verzweifelt und Ringo hat

43 http://www.youtube.com/watch?v=6M3skID44Gg 44 http://www.youtube.com/watch?v=TU7JjJJZi1Q

120 ihn dann vorgeschlagen und wir sagten: Toll, aber nach ein paar Tagen hatten wir ihn schon satt und mochten ihn nicht mehr, weil er ein bisschen beschränkt klang. Der Titel Help! kam dann von Richard Lester. Er ist nicht toll, aber ich denke, er funktioniert.“ Die Reaktionen der Kritiker auf den Film sind fast durchwegs schlecht. Der Streifen wird als albern empfunden und man vermisst auch eine überzeugende Handlung. John über den Film: „Wir sind mit dem Film ein bisschen auf der falschen Seite gelandet. A Hard Day's Night war wie das Lied Eight Days A Week. Viele Leute mochten den Film und das Lied. Aber beides war nicht, was wir wollten. Beide haben zu uns nicht gepasst. Wir haben uns für den Film geschämt, und für das Lied, weil beide Kommerz waren. Und mit Help! ist das eher noch schlimmer. Ich weiß nicht, ob wir noch einen Film machen werden, aber auf jeden Fall soll der besser werden als Help!“ Ringo: „Einige der Kritiker scheinen versessen darauf zu sein, den Film und auch uns abzulehnen, und das, obwohl die Single schon über eine Million Mal verkauft worden ist. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass er wohl nie ein Erfolg bei den Kritikern gewesen wäre, selbst wenn er besser gewesen wäre und sogar besser als A Hard Day's Night. Als wir uns den fertigen Film vor der Veröffentlichung in der amerikanischen Botschaft angeschaut haben, haben wir uns zu Walter Shenson umgedreht und mit einer Stimme gesagt: Den kannst du herausbringen. Wir waren sehr zufrieden damit. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute Richard Lester nicht mögen. Sie haben nicht verstanden, was er mit dem Film wollte. Ich fand es großartig, was er gemacht hat, er ist fantastisch! Ich

121 schäme mich nicht für den Film. Wenn jemand A Hard Day's Night gemocht hat, muss er diesen Film lieben! Er ist viel besser gemacht.“ Die LP Help! steigt an der Spitze der englischen Hitparade ein. Es sind sieben Lieder von John und Paul darauf, aber auch George hat wieder ein Lied beigesteuert. Es heißt I Need You45 und ist das erste Lied von George, bei dem die anderen das Gefühl haben, dass er komponieren kann. George Martin damals zur Presse: „I Need You ist sehr gut geworden. George war etwas entmutigt, weil keiner von uns mochte, was er komponiert hat. Er hat etwas zu sagen als Songwriter, und ich hoffe, dass er so weitermacht.“ Das wichtigste Lied zu dieser Zeit ist Yesterday. Es wird die Beatles weit über die Grenzen des Pop bekannt machen, über 2500 Mal gecovert und das erfolgreichste Lied aller Zeiten werden. Paul hat während der Dreharbeiten zu Help! immer wieder daran gearbeitet, auf allen möglichen Klavieren in Hotels geklimpert und die Filmleute damit genervt. John: „Dieses Lied schwebte viele Monate lang herum, bis wir es endlich fertig machten. Paul hat fast alles davon geschrieben, aber wir fanden keinen richtigen Titel. Jedes Mal, wenn wir zusammen saßen oder Lieder aufnahmen, kam die Rede darauf. Wir nannten es Rührei – Scrambled Eggs – und das war fast ein stehender Witz bei uns. Es war uns klar, dass der Titel aus einem Wort bestehen musste, aber wir wussten nicht, welches. Eines Morgens erwachte Paul und das Lied und der Titel waren einfach da. Fertig! Ich weiß, dass das wie ein Märchen klingt, aber so war es. Ich

45 http://www.youtube.com/watch?v=NZiEqhrIL_k

122 fand es dann fast schade, dass der Spaß, den wir mit dem Lied gehabt haben, nun vorüber war.“ Paul: „Neben meinem Bett stand ein Klavier und ich musste davon geträumt haben, torkelte im Halbschlaf aus dem Bett und setzte mich ans Klavier und spielte es, das ganze Lied auf einmal. Ich konnte es selbst nicht glauben, dass das so leicht gehen sollte. Ich dachte, ich hätte es schon irgendwo gehört und ging Wochen lang herum und fragte die Leute: Ist das so wie etwas anderes? Kennt Ihr das schon? Und die Leute sagten: Nein. Es klingt nicht wie was anderes, aber es ist gut.“ George: „Paul hatte es plötzlich fertig und wir hatten keine Zeit, dafür ein Arrangement zu finden. Deshalb schlugen wir ihm vor, dafür ein Streichquartett zu suchen. Am nächsten Tag taten sich George Martin und er zusammen und so ist es ein Solostück für ihn geworden.“ Vom 15. August an gehen die Beatles auf ihre dritte Tour durch Nordamerika. Große Lust dazu haben sie keine, obwohl ein Großereignis auf sie wartet. Sie beginnen im in Flushing, , New York. Es ist das bislang größte Rock-Konzert mit 55.600 Zuschauern, 2.000 Security-Leuten und einer Gesamteinnahme von 304.000 US-Dollar, und es soll auch ein großes Erlebnis für die Beatles werden. Bei der Pressekonferenz sind die Beatles fröhlich und flapsig wie in besten Zeiten. John wird gefragt, ob die Beatles Trendsetter im Pop sind und er antwortet: „Wenn wir es sind, dann unbewusst.“ Ringo: „Wir sind immer bewusstlos.“ Reporter: „Wie sieht es mit den unverheirateten Männer in der Gruppe aus? Werden sie auch den Schritt in die Ehe wagen? Mir fällt auf, dass die Verheirateten und die Unverheirateten jeweils zusammen sitzen.“

123 John: „Das ist, weil wir schwul sind!“ Ringo: „Sagt es aber niemand, bitte.“ Reporter: „Ringo, wie wirst du dein Baby nennen?“ John: „Wie wär's mit Lyndon?“ Die Anreise der Beatles zum Stadium muss generalstabsmäßig geplant werden. Doch es bleibt dabei auch Raum für Improvisation: George: „Wir stiegen in der Wall Street in den Hubschrauber und anstatt direkt zum Stadium zu fliegen, flog der Typ frei Schnauze durch die Kante und sagte: Schaut euch das an, ist das nicht großartig? Da drüben ist die Weltausstellung. Jungs, guckt mal da rüber. Wir waren total verkrampft und klammerten uns an die Sitze und wollten eigentlich nur raus. Auf dem Spielfeld durften wir nicht landen, sondern setzten dann auf dem Dach des Weltausstellungsgebäudes auf und fuhren in einem Panzerwagen von Wells Fargo in das Stadium hinein.“ Bob Whitaker, einer der Photographen: „Der Wagen hatte keine Fenster und die Kids hämmerten an seine Außenseite und sie schaukelten ihn. Der Lärm war ohrenbetäubend, das Kreischen und Brüllen wirklich furchteinflößend. Einmal dachten wir, dass der Wagen umkippt und dass wir aus ihm herausgezerrt und in Stücke zerrissen werden.“ Alf Bicknell: „Diese 56,000 Menschen zu hören war ein unglaubliches Erlebnis. Alles schien zu beben. Es war ein aufregender Moment für mich.“ Murray the K: „Ich ging unter die Tribüne und es war dort wie ein Kriegszustand. Die Polizei von New York und spezielle Sicherheitsbeamte waren da und trugen die ohnmächtigen Mädchen raus, während andere völlig hysterisch waren, schrien und traten. Es waren dort 300 oder 400, die völlig verrückt waren.“

124 Die Beatles wirken bei dem Konzert euphorisch und glücklich, wie man sie noch nie auf der Bühne gesehen hat. John nach dem Konzert: „Es war toll. Die größten Menschenmenge, vor der wir je gespielt hatten. Die größte Show, die jemals gegeben wurde, soviel ich weiß, und das ist phantastisch! Sie haben uns fast gehört, weil die Lautsprecher sehr gut waren. Die bekannteren Nummern konnte man erkennen. Wir gaben I'm Down46 zum Besten, weil ich auf der Platte Orgel gespielt hatte und ich wollte das auch einmal auf der Bühne probieren. Ich fühlte mich nackt ohne Gitarre und George konnte dann gar nicht richtig spielen, weil er lachen musste.“47 George: „Es war anfangs furchterregend, wenn man die Mengen sah, aber ich glaube, ich war im ganzen Leben noch nie so euphorisch. Es war unglaublich, dass so viele Menschen uns sehen wollten.“ Eine der Zuschauerinnen im Publikum ist Ringos spätere Frau , die ihre jüngere Schwester Marjorie begleitet. Marge, wie sie genannt wird, liebt Ringo und kreischt wie von Sinnen, während Barbara die Musik der Beatles zwar okay findet, aber auch nicht mehr. Noch eine andere spätere Beatles-Frau befindet sich im Publikum. Es ist Linda Eastman, die vier Jahre später Paul heiraten wird. Am 16. August treffen die Beatles in ihrem Hotel Stars wie Bob Dylan, die Ronettes und Del Shannon. Ein besonderer Gast sind die Supremes, eine Mowtown- Gruppe, die damals von den Plattenumsätzen her den Beatles Konkurrenz macht. Das Treffen aber verläuft enttäuschend. Wer die Beatles am Vortag im Shea- Stadium herumalbern gesehen hat, kann es fast nicht

46 http://www.youtube.com/watch?v=XfvA6luvdAg 47 http://www.youtube.com/watch?v=XfvA6luvdAg

125 glauben, dass es sich hier um die gleichen Menschen handeln soll. Die Beatles wirken bedrückt und verhalten sich abweisend. Mary Wilson von den Supremes: „Ich hatte Paul und Ringo schon im Jahr zuvor im Ad Lib Club getroffen, aber wir hatten damals nicht mit ihnen sprechen können, weil der Club zu laut gewesen war. Wir hatten uns auf das Treffen gefreut und uns in Schale geworfen. Als wir dann in die Suite der Beatles kamen, merkte ich, dass der Raum nach Marihuana roch. Es war schwierig, freundlich zu bleiben. Wir waren noch nie so eisig empfangen worden. Es kam uns vor, als würden wir stören. Paul war nett, aber dann war da meistens eine angespannte Stille. Paul, George oder Ringo fragten manchmal etwas über den Motown Sound und so weiter. Dann machte einer von ihnen einen kleinen Witz, den man nicht verstehen konnte. John Lennon saß einfach in einem Eck und starrte. Nach ein paar Augenblicken wollten wir nur weg.“ Neil Aspinall: „Die Jungs waren in ihre Hotelzimmer gesperrt und hassten es, besonders, wenn sie zwischen zwei Terminen frei hatten und nirgendwohin gehen konnten. Die Zimmer machten sie verrückt und sie stritten oft miteinander. Es war wie bei Verbrechern auf der Flucht.“ Am 21. August in Minneapolis fragt ein Reporter: „Wer ist der beste Schauspieler von euch?“ George: „Ringo! Eindeutig er.“ Reporter: „Was macht ihr mit eurem Geld, damit es nicht die Steuer kriegt?“ John: „Verstecken.“ Ringo: „Vergraben.“ George: „Verstecken.“

126 Ringo: „Wir bekommen es erst gar nicht zu sehen. Wir zahlen eine Menge Steuern.“ Reporter: „Ringo, kriegst du auf der Tour frei und wenn ja, was hast du an deinen freien Tagen vor?“ Ringo: „In Los Angeles haben wir fünf Tage frei und wir werden einfach ein bisschen abhängen.“ Ein kleiner Junge: „Ringo, ich lerne gerade Schlagzeug von dir. Ich höre zu, wie du spielst.“ Ringo: „Wenn du mir zuhörst, wirst du nie was lernen!“ Der kleine Junge: „Wie lange spielst du schon Schlagzeug?“ George: „Dreißig Jahre.“ Ringo: „Ungefähr sieben Jahre.“ Am 24. August genießen die Beatles ihren Kurzurlaub in Beverly Hills zwischen Konzertterminen. Sie haben im Benedict Canyon 2850 eine Villa angemietet und wollen LSD probieren. George und John haben damit schon vor einigen Monaten ungewollt Erfahrung gemacht, als ihnen ihr Zahnarzt diese Droge in London im Kaffee aufgelöst hat, ohne ihnen ein Wort darüber zu sagen. Damals haben sie einen Horrortrip erlebt. Nun wollen sie die Droge bewusst genießen und haben Paul und Ringo dazu überredet, es mit ihnen zu probieren. Sie tun das, während sie Besuch bekommen. Es sind die Byrds, Eleonor Bron und der Schauspieler Peter Fonda, der später durch den Film„Easy Rider“ bekannt werden wird. Zu diesem Zeitpunkt gilt er eher als Tunichtgut, Sohn eines berühmten Vaters, Henry Fonda, und Bruder einer berühmten Schwester, Jane Fonda. Roger McGuinn von den Byrds: „Es war eine ziemlich verrückte Erfahrung, mit den Beatles zusammen zu sein. Als würde man den Präsidenten besuchen. Man musste in einer Limousine hinfahren und hatte dann auf

127 beiden Seiten des Wagens kreischende Mädchen. Dann öffneten die Sicherheitsbeamten die Tore und man fuhr auf das Anwesen und die Tore wurden geschlossen. Die Menge presste sich gegen den Zaun. Überall patrouillierten dort Sicherheitsleute. Wenn man aber in das Haus kam, wurde es ziemlich normal.“ John: „Wir waren im Garten und wir nahmen das zweite Mal LSD. Wir wussten immer noch nicht, wie man das macht. Wir schluckten es einfach. Wir sahen, dass ein Reporter da war und überlegten: Wie verhalten wir uns jetzt normal? Wir hatten das Gefühl, uns ganz ungewöhnlich zu benehmen, aber es war nicht so. Wir dachten, dass uns jemand durchschauen müsste. Wir hatten Angst und wollten, dass er geht und sagten das zu Neil Aspinall, der auch LSD genommen hatte und er wusste selbst nicht, was er tun sollte. Er saß bloß da und rührte sich nicht.“ Peter Fonda: „Ich saß mit George auf der Terrasse, der mir sagte, er hätte das Gefühl, zu sterben. Ich sagte ihm, dass er keine Angst haben müsse, und sich entspannen solle. Ich erzählte ihm, dass ich wusste, wie sich das anfühlt, wenn man stirbt. Als ich zehn Jahre alt gewesen war, hatte ich mich versehentlich mit einer Pistole in den Bauch geschossen und mein Herz blieb dreimal auf dem OP-Tisch stehen, weil ich so viel Blut verloren hatte. John kam dabei vorüber und hörte, wie ich sagte: Ich weiß, wie das ist, tot zu sein. Er schaute mich an und sagte: Jetzt fühle ich mich, als wäre ich nie geboren worden. Wer hat dir diese ganze Scheiße in den Kopf gesteckt?“ John: „Er sagte wieder und immer wieder, flüsternd: Ich weiß, was es bedeutet, tot zu sein und wir sagten: Wie? Und er sagte immer wieder das gleiche, bis wir ihn anschrien: Um Himmels Willen, halt die Klappe,

128 uns ist das egal, wir wollen das gar nicht wissen! Aber er sagte es trotzdem immer wieder.“ Roger McGuinn: „Wir hatten alle LSD genommen und John konnte damit nicht umgehen. Er sagte: Schmeißt diesen Fonda raus. Es war merkwürdig. Wir hatten gerade Cat Ballou mit Jane Fonda gesehen und John wollte nichts mehr mit irgendwelchen Fondas zu tun haben.“ John: „Paul war verärgert, weil wir ihn dauernd aufgezogen hatten, er solle auch LSD nehmen. George stand da schon total darauf. Wir beide wollten das unbedingt. Paul ist stabiler als wir beide und LSD hat ihn völlig schockiert und Ringo auch. Ich glaube, dass sie es beide nachträglich bedauert haben, LSD genommen zu haben.“ Ringo wird aufgrund dieser Erfahrung kein LSD mehr probieren. Drei Tage später treffen die Beatles Elvis. Er befindet sich zu Dreharbeiten in der Stadt und wohnt wenige Fahrminuten von den Beatles entfernt. Die Manager haben das Treffen auf Wunsch der Beatles arrangiert. John: „Es gab nur einen Menschen in den USA, der uns wirklich interessierte, und das war er. Ich glaube nicht, dass diese Neugier auf Gegenseitigkeit beruhte. Das war eben Elvis. Es ist schwierig zu beschreiben, was wir für ihn empfanden. Er war ein Gott für uns. Als wir das erste Mal nach Hollywood kamen, wollten Leute wie Dean Martin und Frank Sinatra uns besuchen, aber wir waren an ihnen nicht interessiert, weil wir das Gefühl hatten, dass sie unsere Musik eigentlich gar nicht mochten. Schon 1964 hatten wir versucht, den King zu sehen, aber das hatte damals nicht geklappt. Im Sommer 1965 aber war er dort, um einen Film zu machen. Trotzdem hat es drei Tage lang gedauert, um

129 ein Treffen in seinem Haus zu arrangieren. Wir wollten es geheim halten, aber die Fans und die Presse haben es mitgekriegt und deshalb standen Hunderte vor seiner Tür, als wir dort vorfuhren. Es war ein Tumult, bis wir dort hineinkamen. Wir waren Aufruhr gewohnt, aber der Gedanke, dass Elvis und die Beatles gemeinsam auf einem Fleck waren, war für manche Fans einfach zu viel des Guten.“ Bob Bonis, der Tour-Manager der Beatles: „Sie waren sehr aufgeregt. Mal Evans war so etwas wie ein höherrangiger Offizier im Elvis-Presley-Fan-Club in England und mit den Nerven völlig am Boden. Er konnte kaum gehen, als wir zu Elvis fahren wollten. Wir mussten ihn tragen.“ John: „Ich weiß, dass Paul, George und Ringo genauso nervös waren wie ich. Hier war der Mensch, den wir über so viele Jahre bewundert hatten, schon als wir kleine Jungs gewesen waren. Er war eine lebende Legende, und es ist nicht leicht, so einen Giganten das erste Mal zu treffen.“ Tony Barrow: „Als wir ankamen, wartete Elvis an der Tür und begrüßte uns.“ John: „Er sah in seinen schwarzen Hosen, dem roten Hemd und der engen schwarzen Jacke toll aus. Er sagte in seiner sanften Art Hallo und führte uns in einen großen, kreisrunden Raum. Es kamen noch ein paar Angestellte von ihm dazu, und die Manager, und Brian Epstein.“ Zwei Journalisten werden vorgelassen, um das Treffen für die Nachwelt festzuhalten. Einer davon ist Chris Hutchins: „Elvis und Priscilla saßen in der Mitte einer großen hufeisenförmigen Couch, er in Schwarz und Rot mit einem hohen Kragen über seinen Koteletten. Priscilla war reines Hollywood. Riesiges Haar, eine

130 Locke über der Stirn, dickes, schwarzes Mascara, mitternachtsblauer Eyeliner, pinkfarbener Lippenstift. Sie hatte eine eng anliegende cremefarbene Jacke an, lange Hosen und trug auf ihrem Kopf eine Tiara aus Diamanten. Um den King herum lungerte die Leibwache, offenes Hemd, Sportjacken, Jeans. Elvis stand auf, um seine Gäste zu begrüßen, braungebrannt und sehr entspannt. John schaute sich im Raum um und machte Inspector Clouseau von Peter Sellers nach, als er sagte: Oh, zere you are! Dann setzten sich alle, John und Paul zur Rechten von Elvis, und George und Ringo zu seiner Linken.“ John: „Er ließ Paul und mich auf eine Seite und Ringo auf die andere, und George setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden.“ Chris Hutchins: „Die Platte hörte zu spielen auf und es war da eine peinliche Stille. Niemand sagte etwas. Jeder wartete auf Elvis. Er konnte das nicht ertragen. Er wurde nervös und nahm die Fernbedienung und begann, im Fernsehen von Kanal zu Kanal zu zappen. Dann warf er die Fernbedienung auf den Kaffeetisch und sagte: Wenn ihr zufrieden damit seid, mich anzustarren, dann gehe ich jetzt ins Bett. Gehen wir schlafen, Cilla, oder? Ich bin an einer Sache, wo die Untertanen dem König ihre Aufwartung machen, nicht interessiert. Ich hätte gedacht, wir setzen uns zusammen und reden über Musik und spielen ein bisschen. - Das wäre toll, sagte Paul dann ganz enthusiastisch, um die Situation zu retten.“ John: „Eigentlich war es das, was wir alle wollten, und ich spürte sofort, dass die Spannung im Raum nachließ. Einer von den Angestellten von Elvis brachte uns was zu trinken, und wir hatten dann Scotch und Coke oder

131 Bourbon und Seven Up, aber Elvis trank nur Seven Up. Er rührte auch keine von unseren Zigaretten an.“ Tony Barrow: „Elvis war ein sehr guter Gastgeber, aber die Party kam trotzdem nicht in Schwung. Alle waren nervös und schüchtern, und darüber konnte auch die gekünstelte Fröhlichkeit nicht hinwegtäuschen.“ Chris Hutchins: „Elvis rief nach Gitarren und dann brachte man elektrische Gitarren, die man in Verstärker steckte, die überall im Raum herumstanden, und ein weißes Klavier wurde herein geschoben. Elvis spielte seine erste Bassgitarre, auf der er das Gitarrenspiel erlernt hatte.“ John: „Zuerst spielten wir Cilla Blacks Hit You're My World48. Ringo wirkte etwas niedergeschlagen, weil er nur auf der Sessellehne mitklopfen konnte.“ Elvis: „Es tut mir leid, aber unser Schlagzeug ist in Memphis geblieben.“ Ringo: „Das ist in Ordnung, ich spiele lieber Billard.“ Alf Bicknell: „Aber im nächsten Moment hatte Ringo schon ein paar Bongos und spielte darauf.“ John: „Wir wussten am Anfang nicht, wie wir Elvis nehmen sollten. Ich fragte ihn, ob er einige neue Ideen für seinen nächsten Film hätte und er meinte: Ja, klar. Ich spiele einen Jungen vom Land mit einer Gitarre, der ein paar Mädchen trifft und einige Lieder spielt. Wir sahen einander ratlos an und dann lachten Presley und Colonel Parker auf und erklärten, dass müsse so sein, sie hätten einmal einen anderen Film nach einer anderen Formel gemacht, und der wäre nicht erfolgreich gewesen. Das einzige, was mir an Elvis nicht gefiel, war der Eindruck, dass er etwas bürgerlich geworden war.“

48 http://www.youtube.com/watch?v=_T_XzZSfvio

132 Elvis: „Ich kann mich daran erinnern, wie einmal in Vancouver nach ein oder zwei Nummern einige Fans die Bühne stürmten. Wir hatten Glück, dass wir da schon von der Bühne herunter waren, weil sie dabei fast umkippte.“ John: „Als die Fans auf dich zu kamen, warst du allein. Bei uns ist das so, dass wir zu viert gegen alle stehen und uns gegenseitig unterstützen können.“ Chris Hutchins: „Da kam Priscilla herein und ich sah, wie John ihren schönen Beinen zusah, die da über den Teppich glitten.“ Das Treffen ist offenbar nicht zur Zufriedenheit der beiden Seiten verlaufen. Chris Hutchins: „Gegen zwei Uhr morgen war die Party zu Ende, und John rief dann noch, als wir durch die Tür kamen, Sanks for ze music, und fügte dann sarkastisch hinzu: Lang lebe der König! Colonel Tom Parker, der Manager von Elvis, versuchte die Wogen zu glätten, indem er jedem Beatle eine Kiste mit den Platten von Elvis gab. Brian wollte auch den Bruch mit Elvis kitten, indem er Elvis für den nächsten Tag zu den Beatles nach Benedict Canyon einlud. Schauen wir mal, rief Elvis, ich kann nichts versprechen. Da drehte sich John zu einem der Jungen um, der uns gefolgt war und sagte zu ihm: Du kannst auch kommen, wenn er nicht kommt. Der Colonel sagte auf dem Weg zum Auto zu mir: Sag den Fans, dass es ein tolles Meeting war. John hörte das und lachte und sagte: Sag ihnen lieber die Wahrheit. Es war ein Haufen Mist.“ Irgendetwas an dem treffen ist auch dem King in die falsche Kehle gekommen. Dass die Beatles Alkohol getrunken haben? Dass John Priscilla respektlos behandelt hat? Dass George im Garten des Kings einen Joint durchzog? Jahre später wird sich herausstellen,

133 dass sich Elvis bei der CIA dafür verwendet hat, die Beatles nicht mehr ins Land zu lassen. Mal Evans: „Elvis zu treffen, das war ein großer Moment und zugleich die größte Enttäuschung meines Lebens, weil ich ein riesiger Elvis-Fan war. Ich hatte meinen Anzug frisch pressen lassen, und ein schönes weißes Hemd und Krawatte an, und ging so aufgedonnert zu dem Treffen mit Elvis. Was ich nicht wusste: Die hatten mir die Jackentaschen zugenäht, in denen ich meine Plättchen hatte, und als Elvis dann fragte: Hat einer ein Plättchen, drehte sich Paul um und sagte: Mal hat so was immer dabei, und ich merkte dann, dass die Taschen zugenäht waren. In der Küche habe ich danach ein paar Plastiklöffel zerbrochen, damit sie spielen konnten. Ich hätte ihm gern eines meiner Plättchen gegeben. Elvis spielte Bass und Paul, George und John Gitarre. Ich scheine auf ihn einen größeren Eindruck als die Jungs gemacht zu haben. Ray Connolly, ein Zeitungsreporter aus London, hat einmal Elvis interviewt und ihn gefragt: Erinnern Sie sich an Ihr Treffen mit den Beatles? Und er meinte: Klar erinnere ich mich daran. Am Besten erinnere ich mich aber an ihren Road-Manager, Malcolm Evans.“ Wieder treten die Beatles in der Show von Ed Sullivan auf. Es ist das dritte Mal, dass sie dort sind. Die Beatles singen I Feel Fine, I'm Down, Ticket To Ride und Help! Auch Ringo steht in dieser Sendung einmal im Zentrum und kündigt sich selbst mit den Worten an: „Und da ist er jetzt, ganz nervös und mit einer verstimmten Stimme: Ringo!“. Es ist Act Naturally49 geschrieben von Johnny Russell und Voni Morrison, bekannt gemacht durch And The Buckeroos. Ringo singt das Lied in der Sendung das erste Mal vor, 49 http://www.youtube.com/watch?v=b5rpAqfd35Q

134 was gut für die Verkaufszahlen ist. Und doch wird es nie so populär wie andere Beatles-Songs werden, gelangt in den USA auf Platz 47 der Hitparade. In einem Interview am Ende der Tournee wirken die Beatles sichtlich genervt, als Fragen an sie gestellt werden. Als die Reporter wissen wollen, ob Ringo nun eine Karriere als Schauspieler beginnen wird, schweigen alle, bis endlich George sachlich anmerkt: „Dann wäre er ja kein Beatle mehr, oder?“ Über weitere Pläne redet die Gruppe nicht. Auf die Frage, in welcher Stadt es am Schönsten war, erwähnt John Atlanta, weil dort die Verstärkeranlagen gut funktioniert hatten, und man konnte „zuhören, und nicht nur schreien.“ Reporter: „Habt ihr letzte Woche etwas von Los Angeles gesehen?“ George: „Nein. Wir haben es erst gar nicht versucht.“ Die Beatles sind ernüchtert. Sie haben sich den Ruhm anders vorgestellt. Früher, als sie noch unbekannt waren, gab es Momente der Depression, in denen John die Stimmung hob, indem er ausrief: Jungs, wo gehen wir hin? Und die anderen mussten dann rufen: An die spitzeste Spitze, Johnny! Jetzt gibt es kein vergleichbares Stimulans mehr, denn die Beatles sind tatsächlich die „spitzeste Spitze“ des Pop, und es beginnt sie bereits zu langweilen. Von nun an kann es nur mehr bergab gehen, so empfinden sie das. Jedenfalls haben sie auf Tourneen keine rechte Lust mehr. Am 2. September kehren die „Fab Four“, wie man sie nennt, nach England zurück. Wieder ist da die Presse, und die „Jungs“ müssen wieder Enthusiasmus und Frische heucheln. Ringo: „Vor einem Jahr habe ich amerikanische Radiosender gehört und dabei Platten gehört, die es in

135 England noch gar nicht gab. Heute ist es dort anders, heute stehen dort die gleichen Lieder in den Top 40 wie hier in England.“ Am 13. September wird Ringos erster Sohn Zak in England geboren. Er sieht seiner Mutter ähnlich und ist auch so lebenslustig wie sie. Von seinem Vater scheint er aber Drummergene geerbt zu haben, wird sich schon als kleiner Junge hinter das Schlagzeug setzen und als Erwachsener eine Karriere erleben, die der seines Vaters vergleichbar ist. Die Erziehung aber liegt völlig in den Händen Maureens, die Zuhause bleibt und zunehmend ihr eigenes Leben führt – zumindest, so weit das als Beatles-Frau möglich ist. Und mit einem muss Maureen wie alle anderen Frauen umgehen lernen, die es mit den Beatles zu tun haben: In den innersten Zirkel kommt man als Partnerin eines Beatle nicht. John, Paul, George und Ringo bilden eine Einheit und sind einander näher als jedem anderen Menschen. Unterdessen geht ihre Karriere weiter. Am 25. September kommt auf ABC eine Cartoon-Serie The Beatles heraus. Jede Woche werden davon zwei halbstündige Sendungen ausgestrahlt. Die erste Sendung heißt I Want To Hold Your Hand und es geht darum, dass die Gruppe auf dem Boden des Ozeans in einer Taucherglocke sitzt und dort einen liebeskranken Oktopus trifft. In der zweiten Sendung proben die Beatles Lieder in einem verwunschenen Schloss. Am 9. Oktober kommt Pauls Ballade Yesterday auf Platz 1 in den USA. Das Lied wird zum erfolgreichsten Lied der Popmusik überhaupt werden. Das ist gut für Paul, der vor allem dafür lebt, um gute Musik zu machen. Der Einzelerfolg wird aber auch zum Spaltpilz der Gruppe werden. Bald wird es Paul ärgern, dass John Lennon als Mitkomponist des Liedes genannt

136 wird, und wird mehr und mehr versuchen, seinen Freund als Komponist zu übertrumpfen. Die ganzen Siebziger Jahre lang wird Paul damit verbringen, John beweisen zu wollen, dass er alleine eine genauso gute Band wie die Beatles hervorbringen kann – und an diesem Anspruch scheitern. Am 12. Oktober gehen die Beatles wieder in das Studio 2 in der Abbey Road, um das Album aufzunehmen, das auf die Welt großen Eindruck machen wird. Neil Aspinall damals: „Heutzutage ist es für die Beatles kein Problem mehr, Lieder zu schreiben. Es wird für sie immer leichter. Sie haben jetzt auch mehr Zeit für sich. In den letzten zwei Jahren mussten sie spätnachts in Hotelzimmern komponieren bis in die frühen Morgenstunden. Manchmal hörte man Paul rufen: John, einen Reim auf Girl? Heute sitzen sie bei John in seinem Haus und es gibt keine Unterbrechungen und niemand klopft an die Tür und möchte ein Autogramm. In dieser Ruhe haben sie die Hälfte der Lieder, die sie jetzt aufnehmen werden, in einer einzigen Woche geschrieben.“ Dass es viel mehr bringen kann, gemeinsam und in Ruhe Musik zu machen, ist der Beginn vom Ende der Beatles als Konzertband. Noch steht als Übervater Brian Epstein einer Auflösung der Gruppe entgegen. Er selbst lebt sowohl im finanziellen wie im emotionalen Sinn von der Beatlemania, der Begeisterung, die auch sein eigenes Leben verschönert. Dass John, Paul und George aber im Wesentlichen Komponisten sind, die interessante Songs schreiben und sonst ihr Privatleben führen wollen, kann er sich nicht vorstellen. George Martin: „Rubber Soul war das erste Album, auf dem sich die Beatles neu zeigten. Bis dorthin waren

137 Alben eine Sammlung von Singles gewesen, aber jetzt sollten sie ein Kunstwerk für sich bilden, eine Einheit.“ Das Album gilt heute noch vielen Beatles-Fans als ihr bestes überhaupt. Es steckt voller eingängiger Lieder, weist aber auch voraus auf die spätere, experimentierfreudigere Phase der Beatles. , der Kopf hinter den Beach Boys, sagte dazu: „Als ich das Album das erste Mal hörte, drehte ich durch. Ich sagte mir: So ein Album möchte ich auch machen. Es war wie eine Sammlung von Volksliedern. Danach machten wir Pet Sounds ...“ John zu Rubber Soul: „Wir wurden musikalisch und technisch immer besser, bis wir schließlich das Kommando im Studio übernahmen.“ Zugleich beginnen die Beatles in dieser Zeit immer stärker privat auseinander zu driften. John ist in seiner Ehe nicht glücklich und sucht etwas Neues. Ringo lebt mit Maureen das Glück eines jungen Elternpaares. Paul vergräbt sich in seine Musik, möchte auch andere Sachen komponieren. Und George sucht etwas, das gefühlsmäßig dem Drogenrausch gleich kommt und auch einen Lebenssinn vermittelt. Dieser spirituelle Weg beginnt in dieser Zeit auch die anderen Beatles zu beeinflussen. Im Tonstudio merkt man aber vor allem, dass die Beatles miteinander zu streiten beginnen, und dass die Aufnahmezeiten länger und länger dauern. Der Toningenieur Norman Smith: „Es wurde offensichtlich, dass sich John und Paul nicht mehr verstanden. Dazu musste sich George einiges von Paul anhören. Wir hatten eine neue Technik, die es uns erlaubte, vier Tonspuren aufzunehmen, so dass George sein Solo später allein einspielen konnte. Und davon hat er zunehmend Gebrauch gemacht. Wenn es nach Paul ging, dann machte George immer alles falsch.“

138 Der Photograph Robert Freeman: „Um die Zeit wurde es immer schwieriger, die vier gemeinsam vor die Linse zu bekommen. Das Photo von Rubber Soul ist das letzte, an dem ich beteiligt war. Wir haben es im Garten von Johns Haus in aufgenommen, wo die drei am häufigsten zusammenkamen. Das Verzerrte an den Bildern sollte eine Anmerkung zu den Veränderungen in ihrem Leben sein.“ John: „Der Titel stammte von Paul und sollte eine Feststellung sein wie der Titel Yer Blues, nämlich, dass wir hier die englische Form des Soul hätten.“ Das eindringlichste Lied des Albums ist Drive My Car50. Paul: „Ich kam mit einer ziemlich guten Melodie ins Studio und einem miesen Text wie: Ich kann dir Diamanten schenken und goldene Ringe, ich kann dir alles geben, und John sagte Oh! weil er die Bilder schrecklich fand und wir hatten einen langen traurigen Moment. Also sagte ich zu ihm: Was hältst du davon, wenn wir eine rauchen gehen und eine Tasse Tee trinken und einmal eine Minute abhängen. Danach waren wir besser drauf und ich sagte: Machen wir das so, es gibt da ein Mädchen in LA, das einen Chauffeur braucht.“ Paul über Norwegian Wood51: „Wenn John und ich zusammen schrieben, spielten wir beide akustische Gitarre, und da ich Linkshänder bin und er Rechtshänder, war das wie ein Spiegelbild, weil man die Griffe so gut sehen kann. Bei Norwegian Wood hatte John die ersten paar Zeilen und ich sagte: Das ist super, und wir machten dann weiter, bis das Lied zu

50 http://www.youtube.com/watch?v=MapMPHJObO8 51 http://www.youtube.com/watch?v=KkcRZSdc8us

139 Ende war. Wir spielten drei Stunden, bis jeder genug hatte und nur mehr nach Hause wollte.“ John: „Ich wollte von einer Affäre erzählen, die ich hatte. Ich wollte aber nicht, dass meine Frau das herausfindet, deswegen ist all das in einer Geheimsprache abgefasst.“ Paul: „ hatte ein Zimmer mit viel Holz, wie viele damals. Norwegisches Holz. Es war Kiefer, sehr billig, aber der Titel wäre nicht so gut gewesen. Es war eine Parodie auf eines dieser Mädchen, die in so einem Zimmer leben. Aus meiner Sicht war das frei erfunden, aber nicht für John. Es basiert auf einer Affäre, die er damals hatte. Er muss im Bad schlafen und dann, im letzten Vers, hatte ich diese Idee, dass er aus Rache die Wohnung anzündet und mit ihr dieses norwegische Holz. Sie hatte mit ihm gespielt und dann gemeint: Schlaf lieber im Bad. So wie ich die Sache sehe, musste sich der Typ rächen, in dem er ihr die Wohnung dafür abfackelte.“ Das Lied ist das erste, auf dem man die erste Beschäftigung von George mit dem indischen Kulturkreis hören kann. John: „George hatte gerade seine Sitar gekauft und ich fragte ihn: Kannst du darauf was vorspielen? Wir haben sehr viele verschiedene Versionen des Lieds aufgenommen, aber es klang nie gut, und ich wurde ziemlich frustriert, weil es nicht so war, wie ich es haben wollte. Die anderen sagten: Wir machen alles so, wie du es willst, und ich sagte: Ich will, dass es so ist und spielte sehr laut auf der Gitarre und sang dazu.“ George: „John klingt ein bisschen wie ein Ire auf der Platte.“

140 John über Nowhere Man52: „Ich saß da und überlegte mir ein Lied und merkte, dass ich passiv war und stumpf, und dass ich nicht weiter kam. Sobald mir das aufgefallen war, wurde alles leicht. Es purzelte einfach alles heraus. Eigentlich war es so, dass ich bereits aufgegeben hatte und mich hinlegen wollte und mich als Nowhere Man sah, der in seinem Nowhere Land sitzt.“ John über Michelle53: „Paul und ich waren irgendwo und er kam herein und summte die ersten Takte und fragte: Was mache ich daraus? Ich hatte gerade die Blues-Sängerin Nina Simone gehört, die so etwas wie I l-o-o-v-e you mitten in einem ihrer Lieder sang und das haben wir auch bei Michelle so gemacht.“ John über Girl54: „Es handelte von einem Mädchentraum. Paul und ich schrieben den Text gemeinsam, und zuerst kasperten wir rum. Später haben wir den Text dann der Melodie angepasst. Es ist eines der besten Lieder von mir.“ Paul: „Ich erinnere mich daran, wie John zu dem Toningenieur sagte, dass er möchte, dass man hört, wie er bei Girl einatmet. Der Toningenieur ging dann weg und überlegte sich, wie er das umsetzen konnte. Wir kamen uns wie richtige Professionals vor.“ John: „Girl ist ein wahres Lied. Es gibt kein einzelnes Mädchen, über das hier gesungen wird, weil sie ein Traum ist, aber die Wörter passen. Es geht darum: Als sie jung war, lernte sie, dass Schmerz in Freude mündet, hat sie das verstanden und so weiter. Es sind philosophische Gedanken.“

52 http://www.youtube.com/watch?v=AvLj72apGLI 53 http://www.youtube.com/watch?v=3a4RlRk_klI 54 http://www.youtube.com/watch?v=3Hzg2PPFZ-Q

141 John über In My Life55: „Ich habe es in Kenwood geschrieben, oben im ersten Stock, wo ich zehn Kassettenrecorder hatte, die miteinander verbunden waren. Man konnte damit keinen Rock'n'Roll- Song basteln, aber einiges andere wie zum Beispiel . Es begann als Busfahrt von meinem Haus an der 250 Menlove Avenue in die Stadt, wo ich auf dem Tonband jeden Ort aufzähle, an den ich mich erinnerte. Das war lange vor , aber ich hatte darauf Penny Lane, Strawberry Fields, Bushaltestellen und alles mögliche andere langweilige Zeug. Dann aber begann ich, darüber nachzudenken, und das Lied entstand. Paul hat mir mit der Melodie dazwischen geholfen, aber der Text war schon geschrieben, bevor Paul es überhaupt gehört hat.“ Paul: „Ich erinnere mich daran, dass er die Wörter wie ein langes Gedicht niedergeschrieben hatte.“ George Martin: „Das Solo auf dem Spinett habe ich gespielt. Es gab eine Lücke in dem Lied und ich sagte: Hier brauchen wir ein Solo. Sie gingen dann weg und nahmen ihren Tee, und ich schrieb etwas, das wie eine Variante von Bach klang, spielte es ein und als sie zurück kamen, sagten sie: Das ist toll! Also haben wir es so gelassen.“ Für Ringo gibt es auch ein Lied auf der Platte: What Goes On56. Es ist eine Komposition von John, Paul und Ringo. John: „Das war ein früher Lennon, den ich vor den Beatles geschrieben hatte, als wir noch die Quarry Men waren. Wir fügten einen Mittelteil ein, wahrscheinlich gemeinsam mit Paul, damit Ringo ein Lied hatte und

55 http://www.youtube.com/watch?v=rZ5N4-X_HWU 56 http://www.youtube.com/watch?v=N5yvezZTPMM

142 auch, um die Bruchstücke zu verwenden. Ich verschwende ungern Ideen.“ Ringo spielt seine Beteiligung an der Schöpfung des Lieds herunter mit den Worten: „Ich habe zu dem Lied vielleicht fünf Wörter beigetragen. Und nachher ist auch nicht mehr viel gekommen.“ George, der unablässig auf seiner billigen Sitar übt, lernt in diesen Wochen einen Meister auf dem Instrument kennen, der gerade Konzerte in der Stadt gibt. Es ist Ravi Shankar, und aus der Begegnung wird eine lebenslange Freundschaft werden. Shankar lädt George zu sich nach Hause ein, und in dieser Epoche bedeutet das automatisch, dass die anderen Beatles auftauchen können. Diesmal sind John und Ringo dabei und es wird ein schöner Abend. Shankar eröffnet den Beatles eine neue Welt, spricht von Meditation und Weisheit und spiritueller Erfüllung, und das alles im Einklang mit Musik. Ringo kann mit den Gedanken nicht viel anfangen, doch John horcht auf. Und George ist völlig fasziniert. Für ihn wird die Beschäftigung mit dem indischen Kulturkreis zur lebenslangen Tätigkeit werden. Eine Wochen später, am 26. Oktober 1965, verleiht die Queen den Beatles ihre MBEs im Großen Thronsaal des Buckingham Palace in London. 182 andere Bürger werden an diesem Tag ausgezeichnet. Später spricht sich herum, die Beatles hätten in einer der Toiletten einen Joint durchgezogen. John verstärkt dieses Gerücht: „Die Beatles haben in einem der Toiletten im Buckingham Palace Marihuana geraucht, als wir auf die Zeremonie gewartet haben. Für mich war die ein großer Witz. Wir alle haben darüber gelacht. Wenn es einem aber dann unmittelbar bevorsteht, lacht man nicht mehr darüber. Trotzdem platzten wir fast heraus, weil wir

143 gerade vorher einen Joint durchgezogen hatten. Wir kicherten dauernd und brachen zusammen. Es war so komisch.“ Johns Behauptung wird von George später relativiert, es sei bloß eine normale Zigarette gewesen, die man aus Nervosität gebraucht hätte. Der Palast sieht sich aufgrund anhaltender Gerüchte dazu bemüßigt, folgendes Statement zu veröffentlichen: „Selbstverständlich stehen Menschen, die zu Verleihungen eingeladen werden, die Toilettenanlagen zur Verfügung.“ Die Queen stellt bei der Verleihung ihre üblichen Small-Talk-Fragen. Bei Ringo beißt sie nach Angaben der Presse an dem Tag auf Granit. Als sie ihn fragt: „Und, wie lange spielen Sie schon zusammen?“ antwortet er: „Vierzig Jahre.“ Hat Ringo aufgemuckt? Wahrscheinlich eher nicht. Die Antwort ist eher eines John würdig. Und Ringo hat zwar kein großes Interesse an Ehrungen und Zeremonien, doch jemanden zu ärgern oder ihm gar weh zu tun, ist seine Sache nicht. Er selbst erinnert sich vor den Reportern auch ganz anders daran: „Die Queen war klasse. Ich bin jetzt ein großer Fan der Queen. Es war offensichtlich, dass sie ihr Bestes gab, um uns die Nervosität zu nehmen. Als sie mir meine Medaille überreicht hat, sagte sie: Es ist mir eine Freude, Ihnen diese Auszeichnung zu geben, und ich sagte: Danke.“ John ist der Presse gegenüber auch zahm: „Sie war wie eine Mutter zu uns. Sie war so warm und süß. Sie hat sich um uns gekümmert.“ Reporter: „Was hat die Queen zu Ihnen gesagt?“ John: „Sie hat mich gefragt, ob wir in letzter Zeit schwer gearbeitet haben und mir fiel nicht ein, was wir gemacht hatten, also sagte ich zu ihr: Nein, wir waren

144 auf Urlaub, obwohl wir eigentlich im Plattenstudio gewesen waren.“ Ringo: „Mich hat sie gefragt: Haben Sie die Band gegründet? Und ich meinte: Nein, die waren das und habe auf die anderen gezeigt. Ich bin nur der kleine Kerl, habe ich gemeint.“ Als Antwort auf die zahlreichen zurückgeschickten Medaillen veröffentlicht das Königshaus folgendes Statement: „Ordensmitglieder können nicht von ihrem Amt zurücktreten, sondern nur ihre Auszeichnungen zurückgeben. Diese werden bei Bedarf jederzeit zurückerstattet.“ Pete Best verklagt die Beatles und das Playboy Magazin im November 1965 in New York wegen Rufschädigung, nachdem wieder alte Geschichten aufgewärmt wurden, er sei immer mürrisch gewesen, hätte sich von der Band abgesondert und dauernd krank gemeldet. Er fordert Schadensersatz von 8 Millionen US-Dollar. Pete ist nach Amerika gezogen, versucht hier selbständig Karriere zu machen, hat einige erfolglose Platten veröffentlicht und wird nun, da die Beatles in aller Munde sind, von der Presse mit Fragen verfolgt. Pete lässt die Klage auf Druck der Anwälte der Beatles dann aber fallen. Sie war ein zu offensichtlicher Versuch, am finanziellen Erfolg der Beatles mitverdienen zu wollen. Am 3. Dezember gehen die Beatles ein letztes Mal in England auf Tournee. Neun Konzerte sind geplant. Mit von der Partie sind die Moody Blues, die Koobas und Beryl Marsden. Die Tour beginnt in Glasgow und endet in Cardiff. Ringos Statements bei der Pressekonferenz: „Ich bin nervös, innerlich unruhig. Ich kann es nicht erklären, warum. Einfach sehr nervös.“

145 Reporter: „Genießt du es nicht, auf Tournee zu gehen, Ringo?“ Ringo: „Das kann ich nicht behaupten. Konzerte sind gut für uns und ich spiele auch gerne. Bis jetzt ist es mit meiner Nervosität noch nie so schlimm geworden, dass ich nicht auf die Bühne gegangen wäre.“ Ein dritter Beatles-Film ist geplant. Er soll A Talent For Loving heißen und basiert auf Richard Condons gleichnamigem Buch. Nach längeren Diskussionen stellen die Beatles das Projekt aber ein. Ringo gegenüber der Presse: „Ich habe auch den Plan aufgegeben, selbst einen Western zu drehen, ich muss aber sagen, dass das Drehbuch, dass wir gesehen haben, mir am ehesten entgegengekommen wäre.“ Am 16. Dezember wird auf ITV ein Tribut an die Songschreiber Lennon und McCartney ausgestrahlt. Die Sendung ist 50 Minuten lang. Das Staraufgebot beinhaltet Peter Sellars, , Cilla Black, Peter & Gordon, Lulu, Billy J. Kramer, Esther Phillips und Richard Anthony. Die Beatles sind auch da und singen We Can Work It Out57. John spielt dabei wieder Harmonium.

Das neue Beatles-Lied in den Charts heißt Day Tripper58. Die Single geht am 18. Dezember 1965 auf Platz 1 der englischen Hitparade und ist so rockig, als wolle man Leuten das Maul stopfen, die behaupten, die Beatles seien Schlager, und die Stones die wahre Rockmusik.

57 http://www.youtube.com/watch?v=eN-Ee7uXKYo 58 http://www.youtube.com/watch? v=i0ZY3MiBpoI&feature=related

146 1966

Im Januar wird Ringo über sein Privatleben befragt. Ringo: „Meine Frau Maureen ist ein sehr guter Koch. Am liebsten esse ich Lamm. Ich lebe in Weybridge, nur fünf Minuten von John entfernt. Unser Gärtner kommt von Surbiton und er sorgt dafür, dass die Blumen wachsen. Ich mag Blumen und Bäume und all das und die Natur. Eines Tages bin ich von London nach Hause gefahren mit Maureen, und dieser Typ hat uns kilometerlang verfolgt. Ich habe ihn gar nicht bemerkt, bis wir an der Ampel standen und er neben uns hielt. Er blieb mit dem Auto stehen und schrie: Paul! Kann ich dein Autogramm haben? Und ich sagte: Klar, geht in Ordnung. Und er sagte zu Maureen: Pattie, es ist schön dich zu sehen. Das war ziemlich komisch. Es war alles falsch, was er sagte. Uns passieren eine Menge lustiger Sachen.“ Während John und Ringo mit ihren Frauen im Urlaub sind, heiratet George heimlich am 21. Januar seine Freundin Pattie Boyd. Die Presse hat davon nichts mitbekommen, erfährt davon nachträglich und verlangt nach Details. Reporter: „Geht ihr auf Hochzeitsreise?“ George: „Bis diese verrückte Zeit vorüber ist, bleiben wir da. Wir haben tolle Geschenke bekommen, Dinge für das Haus und so. Paul hat uns eine fantastische Skulptur geschenkt, den Kopf eines Chinesen für die Wand. Brian Epstein hat uns einen tollen alten Tisch geschenkt. John und Ringo wussten, dass wir heiraten, und haben uns aus dem Urlaub nette Telegramme geschickt.“ Reporter: „Wann habt ihr beschlossen, zu heiraten?“

147 George: „Es war vor Weihnachten. Wir fuhren im Wagen und Pattie lenkte und ich sagte: Wollen wir heiraten? Und sie sagte: Okay, ohne ihre Augen von der Straße zu nehmen. Was für eine Fahrerin!“ Cynthia Lennon: „Es war ein Geheimnis, und deshalb war keiner von uns bei der Hochzeit. Paul und seine Freundin Jane Asher aber wollten nicht heiraten. Jane hat mir erzählt, dass Paul aus ihr eine kleine Haushälterin machen möchte mit Kindern, aber sie wollte ihre Schauspielerinnenkarriere nicht aufgeben.“ Am 4. März 1966 erscheint im Evening Standard in London ein Interview, das Maureen Cleave mit John geführt hat. Darin sagt er: „Wir sind heute bekannter als Jesus.“ Die Bemerkung wird in seiner Heimat kaum wahrgenommen, wird aber während der Konzertreise der Beatles im Sommer in den Vereinigten Staaten sehr problematisch für die Band werden. Das letzte Konzert der Beatles in England findet am 1. Mai 1966 im Empire Pool in Wembley statt. Reporter Derek Johnson: „Ich wartete an der Hintertür des Wembley Stadions auf die Beatles, vor den Küchen, als ein großer Lieferwagen vorfuhr, dem vier Köche entstiegen, mit hohen weißen Hüten und Schürzen und Fressalien in Händen. Als sie auf mich zukamen, merkte ich: Das sind die Beatles. Sie waren es gewohnt, sich zu verkleiden, um nicht von Fans gemobbt zu werden. Niemand bemerkte sie an dem Tag, und dann in der Küche stolperte Ringo und die anderen fielen auf ihn drauf wie in einer Szene der Marx Brothers. Überall war der Boden mit Tortencreme verschmiert, aber sie waren so froh, den Massen entkommen zu sein, dass sie sogar das lustig fanden.“ Diese Anekdote ist komisch, doch dass bei den Beatles in dieser Zeit die Nerven blank liegen, merkt man vor

148 allem John an. Maurice Kinn, der Eigentümer der Zeitschrift New Musical Express, der das Konzert organisiert hat: „Die Stones hatten die erste Hälfte ihres Auftritts hinter sich, als die Beatles unten vor der Bühne auftauchten, mit ihren Gitarren in den Händen. Ich sagte ihnen, dass sie zu früh dran seien, aber Lennon bestand darauf, sofort auf die Bühne zu gehen. Ich sagte: Das ist unmöglich, aber John schrie: Hast du mich nicht gehört? Wir gehen jetzt rauf, oder wir gehen nach Hause. Brian Epstein eilte rasch herbei, und ich erklärte ihm das Problem, dass ich den Stones schriftlich zugesagt hatte, dass die Beatles nicht direkt nach ihnen spielen würden. Deshalb hatte ich eine Preisverleihung zwischen den beiden Auftritten eingeflochten. Wenn die Beatles darauf beharrten, gleich zu spielen, würde ich den MC Jimmy Savile auf die Bühne schicken und es ihm überlassen, den 10.000 Lesern des NME zu erklären, dass die Beatles heute nicht spielen würden. Und dann würde Chaos ausbrechen! Halb Wembley würde in Schutt und Asche versinken und die Stadt Wembley und der NME würden Epstein verklagen. Brian teilte das alles den Beatles mit und John explodierte! Er überschüttete mich mit Ehrbeleidigungen, wie ich sie mein ganzes Leben noch nie gehört hatte. Man konnte ihn hinter der Bühne überall hören. Er sagte: Wir werden für dich nie wieder spielen! Aber er wusste, dass er keine Wahl hatte. Fünfzehn Minuten später gingen die Beatles auf die Bühne, holten ihre Preise ab und gaben dann ihre Show zum Besten wie immer.“ Johnny Walters, Trompeter für das Alan Price Set: „Wir standen auf Boxen und schielten durch Schlitze in den Vorhängen, um ihnen zuzusehen. Das Kreischen war wie weißes Rauschen. Die einzige Musik, die ich

149 gehört habe, war die Einleitung zu , dann verschwand wieder alles im Kreischen. Nach zwanzig Minuten liefen die Beatles von der Bühne, ihre NME Auszeichnungen in Händen und rannten die Rampen hinab zur Limousine, die dort bereits vorgefahren war. Sie warfen ihre Preise ihren Assistenten zu und sprangen ins Auto, das bereits davonraste, bevor überhaupt die Türen zu waren.“ Der neue Hit der Beatles in diesem Frühjahr heißt Paperback Writer59, ein Nummer-1-Hit sowohl zuhause als auch in den USA. Er wird – was damals neu ist – über das Fernsehen vermarktet, indem ein Clip an die Sendung Thank Your Lucky Stars angehängt wird. Für Ringo ist die B-Seite der Single, Johns Lied Rain60 ,noch wichtiger, weil er merkt, dass er sich darauf als Schlagzeuger verbessert hat. Ringo: „Was ich auf Rain gemacht habe, war etwas Besonders für mich. Ich meine, dass ich darauf wirklich toll spiele. Ich habe mich auf die Snare und die Hi-Hat konzentriert. Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich diesen Trick benutzt habe, eine Pause zu erzeugen, indem man zuerst die Hi-Hat schlägt, anstatt die Trommel zu nehmen. Ich glaube, es ist die beste Platte, die ich jemals gemacht habe. Rain schüttelt mich heute noch durch, wenn ich es höre ...“ Am 2. Mai geben die Beatles der BBC über sich Auskunft. Das wichtigste Thema dabei ist die Welttournee, die über Westeuropa, Fernasien und Australien zuletzt wieder nach Amerika führen wird. Die Beatles haben den Erdball erobert, überall möchte man sie sehen. Sie aber denken mittlerweile nur mehr

59 http://www.youtube.com/watch? v=sH3TvSxT288&feature=related 60 http://www.youtube.com/watch?v=bdrGS__yg6Q

150 mit Sorge an die Anstrengungen und Entbehrungen der zurückliegenden Tournee. Die Welttournee wird auch ihre letzte sein. Vor dem Abflug geben sie wieder eine Pressekonferenz. Es hat sich herumgesprochen, dass die Beatles ein neues Album aufgenommen haben. Es heißt Revolver und ist so experimentell, dass sie keines der Lieder auf ihrer Tournee spielen können. Reporter: „Könnt ihr uns ein bisschen über eure neue LP sagen? Habt ihr darauf irgendwelche ungewöhnlichen Musikinstrumente verwendet?“ John: „Nein.“ Reporter: „Die Sitar könnt ihr ja nicht mehr nehmen, weil das heutzutage jeder macht.“ John: „Klar können wir das.“ Ringo: „Das ist so, als würde man sagen, man kann die Gitarre nicht mehr nehmen, weil jeder Gitarre spielt.“ George: „Ich spiele wieder Sitar in einem Lied, aber es ist mir gleichgültig, wenn andere das tun. Ich spiele sie, weil sie mir gefällt.“ (Kurze Zeit darauf wird sich George aber öffentlich darüber ärgern, dass die Beatles auf ihrer letzten Platte mit der Sitar im Lied Norwegian Wood61 einen Trend gesetzt haben: „Ich habe die Schnauze voll davon, dass die Sitar für jeden zu einem technischen Schnickschnack verkommen ist, mit dem jeder renommieren will. Viele schieben mir dafür die Schuld zu, weil ich sie populär gemacht habe, aber ich bin es wirklich leid, damit umzugehen. Ich möchte die Sitar ernsthaft erlernen.“) Reporter: „Wie sieht es mit eurer neuen Amerika- Tournee aus? George: „Wir werden diesmal in 14 Städten spielen.“ 61 http://www.youtube.com/watch?v=KkcRZSdc8us

151 Paul: „Und dazwischen bleibt eine Stunde Ferien.“ Reporter: „Wird auch das Shea Stadium wieder dabei sein?“ John: „Klar, nachdem ein Großteil des Publikums seit dem letzten Teil dort eingesperrt geblieben ist ...“ Es bleibt auch Platz für menschliche Erlebnisse. Ein vierzehnjähriges Mädchen klettert über die Mauer des Chiswick Gebäudes in London, als sie während des Schulunterrichts merkt, dass die Beatles gegenüber Filmaufnahmen für die Single Paperback Writer / Rain machen. Mädchen: „Meine Knie haben zu wackeln begonnen, aber sie waren so nett. John hat mich gefragt, welche Prüfungen mir bevorstehen, und Ringo hat mir von seinen Fish and Chips angeboten. Ich war ganz benommen, und die anderen Mädchen haben mir nicht geglaubt, dass ich sie getroffen habe, bis sie das Photo gesehen haben.“ Am 26. Mai fliegen die Beatles für vier Konzerte nach Deutschland und erleben in Hamburg eine triumphale Wiederkehr. Sie fahren in acht Limousinen vom Flugzeug ab, begleitet von einem Dutzend Motorrädern der Polizei, und spielen in der ausverkauften Ernst Merck Halle vor 7000 Menschen. Bei der Pressekonferenz aber zeigt sich, dass sich die Beatles geändert haben. Die Antworten sind einsilbiger geworden, die Beatles lächeln weniger und John ist an diesem Tag sehr ungeduldig mit den Fragen. Als ein Reporter wissen will, welche Kosmetika Ringo in sein Gesicht schmiert, ruft John „Um Himmels willen!“ aus. Reporter: „Nimm einen Löffel Spinat, und deine Haut wird sich sehr verbessern.“ Ringo: „Vielen Dank, aber nein. Eher nicht.“

152 Reporter: „Wird dich dein Sohn Zak nach Tokio begleiten?“ John (sehr ärgerlich): „Was für blöde Fragen sind das eigentlich?“ Ringo: „Nein, nein, nein, er fährt nicht mit.“ John: „Kommt, was ist hier los, gibt es hier Presseleute im Raum?“ Reporter: „Ringo, wie geht es dir, wenn du hier nach Hamburg zurückkommst?“ Ringo: „Es ist in Ordnung. Was wollt ihr hören?“ Am 30. Mai geht es weiter nach Japan, wo die Beatles dreimal in der Nippon Budokan Halle in Tokyo auftreten. Auch hier ist John sehr ungeduldig, als Ringo gefragt wird: „Was wollt ihr werden, wenn ihr erwachsen seid?“ Ringo: „Was möchtest du werden?“ John putzt den Journalisten zusammen: „Wenn das ein Witz sein soll, ist er nicht komisch! Du siehst alt genug aus, um keine dämlichen Fragen zu stellen.“ Die Tournee wird in den Philippinen fortgesetzt. Am 4. Juli treten die Beatles zwei Mal vor 80.000 Menschen im Rizal Memorial Fußballstadium in Manila auf. Da sie nicht beim Empfang des Präsidenten Marcos im Malacanang Palast erscheinen, muss die Gruppe am folgenden Tag vor einer aufgebrachten Menge zum Flughafen von Manila flüchten. Vic Lewis, der Organisator der Tournee: „Jemand hatte mir gesagt, dass die Beatles zu einer Gartenparty eingeladen waren, aber ich wusste nichts davon und Brian sagte mir, er hätte auch keine Ahnung. Also meinte er: Wir gehen nicht!“ Die Beatles und ihr Personal sind völlig überrascht, als am Morgen die Zeitungen von Manila mit der Schlagzeile „Beatles beleidigen den Präsidenten“

153 aufwarten. Der Tag beginnt mit einem Pochen an der Tür. Beamte erklären den Beatles, dass sie 80.000 Dollar Steuerschuld in den Philippinen begleichen müssen. Vic Lewis zeigt ihnen die Verträge, aber die Finanzbeamten lassen sich davon nicht überzeugen. Am Nachmittag dann spitzt sich die Stimmung zu. Paul: „Wir kamen zum Flughafen und es war schwierig, unser ganzes Gepäck, die Verstärker und so weiter einzuladen, weil alle Rolltreppen ausgeschaltet waren. Wir wurden in einen Glaskasten gesetzt und hin und her geschubst.“ John: „Ihr werdet behandelt wie ganz normale Reisende, normale Reisende, sagten die, und traten nach uns. Wir sagten: Normale Reisende? Wie? Tretet ihr die Touristen hier?“ Paul: „Sie begannen unsere Road-Manager zu verprügeln. Es waren dreißig von ihnen.“ John: „Ich sah fünf, die gezielt zu traten, und brüllten. Mich hat keiner getreten. Ich bin ihnen ausgewichen. Zumindest glaube ich nicht, dass mich einer getreten hat. Ich war völlig geschockt! Ich werde nie wieder in dieses Narrenhaus zurückkehren.“ Vic Lewis: „Wir rannten über die Landebahn zum Flugzeug, neun oder zehn von uns, und hetzten die Treppe hoch in das Flugzeug. Mal Evans hatte gebrochene Rippen, und Brian war im Gesicht verletzt. Ich glaube nicht, dass einer der Beatles wirklich getroffen wurde, aber überall waren Leute, die Dinge auf uns warfen, es war schrecklich. Als wir dann im Flugzeug waren, begann ein Mädchen Mal Evans zu verarzten. Er hatte starke Schmerzen und blutete.“ Die Beatles verbringen nach diesem Schock drei Tage in New Delhi in Indien und stellen sich dann bei ihrer Rückkehr den Journalisten bei einer Pressekonferenz.

154 George: „Sollte ich jemals nach Manila zurückkehren, dann nur, um dort eine Wasserstoffbombe abzuwerfen. Ich werde den Rolling Stones ein paar Tipps geben, denn so viel ich gehört habe, steht dort eine Tournee mit ihnen an.“ John: „Ich würde nicht einmal über das Staatsgebiet der Philippinen fliegen wollen. Geschweige denn dort landen.“ Ringo: „Dorthin zurückkehren? Du machst Witze!“ Paul: „Meine Antwort könnt ihr nicht abdrucken. Ich wünsche es meinem schlimmsten Feind nicht, dorthin zu gehen. Wir sind noch nirgends schlecht behandelt worden. Es war eine neue Erfahrung.“ George: „Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst. Wir werden dorthin nie wieder zurückkehren.“ John wird beschuldigt, für einen Teil der Ablehnung der Philippinen verantwortlich zu sein, weil er wie ein Hund gebellt haben soll, als Reporter in Manila ihm Fragen zuriefen. John: „Auf dem Weg zum Flughafen standen überall Leute, die uns zuwinkten, aber es gab auch einige alte Männer, die buhten. Es gab einen Haufen Affen, anders kann man die nicht nennen, die vor der Abreise auf uns gewartet haben. Als sie uns dann körperlich angegriffen haben, war ich völlig schockiert! Sie haben uns herumgeschubst. Ich hatte Angst, verletzt zu werden, also lief ich auf drei Nonnen und zwei Mönche zu, weil ich hoffte, dass sie dann aufhören würden. Die haben gehofft, dass wir zurückschlagen, damit sie uns erledigen können. Ich weiß, dass ich herum geschubst wurde, aber vielleicht bin ich auch getreten worden und weiß nichts mehr davon.“

155 George: „Keiner mag es, wenn er verprügelt wird, besonders wenn es ein Dutzend Hirnloser ist, die gar nicht genau wissen, warum sie es tun.“ Ringo: „Wahrscheinlich waren das Zolloffiziere, weil sie alle gleich angezogen waren und Schusswaffen hatten.“ Reporter: „Werdet ihr dorthin wieder zurückkehren?“ George: „Ich wollte schon diesmal nicht dorthin fliegen.“ John: „Ich auch nicht.“ George: „Weil ich gehört hatte, dass es ein schrecklicher Ort sein soll, und als wir dann dort waren, haben wir gesehen, dass es wirklich so war.“ Paul: „Davon abgesehen war die Tournee klasse. Die Kids in Tokio waren verrückt nach uns und auch die Shows in Manila waren gut. Wir haben vor 100.000 Leuten gesungen. Und natürlich hat uns auch Deutschland sehr warm empfangen, wie immer.“ Die Zeitungen in den Philippinen kommentieren die Behauptungen der Beatles, von der Einladung des Präsidenten nichts gewusst zu haben, mit Schlagzeilen wie: „Die Beatles singen ein böses Lied“. John: „An dem Ganzen war Brian schuld, weil er die Einladung erhalten und abgelehnt hatte, ohne uns davon überhaupt etwas zu sagen. Tags darauf wollten sie es nicht akzeptieren, dass wir abgelehnt hatten, und ließen an uns ihre Wut aus, als wir zum Flughafen fuhren. Es war schrecklich!“ Die Stadtverwaltung von Caloocan City auf den Philippinen erlässt im Gefolge dieses Aufruhrs einen Bann auf den Verkauf aller Produkte der Beatles. Stadträtin Marical Samson verkündet dazu der Presse: „Es war langsam Zeit, dass diese hochnäsigen Krawallmacher verstehen, dass wir es nicht erlauben

156 oder akzeptieren können, wenn irgendjemand, ungeachtet der Person, die Präsidentenfamilie in irgendeiner Form herabwürdigt oder missachtet.“ Am 5. August wird die siebente LP der Beatles, Revolver veröffentlicht. Am 13. August stößt sie bereits an die Spitze der britischen Charts vor. Sie beinhaltet Lieder mit experimentellen Klängen, die deshalb auch gar nicht mehr live gespielt werden können. Dadurch markiert Revolver den Beginn der zweiten Epoche der Beatles, als aus den Pilzköpfen auf der Bühne Grübler werden, die sich immer wieder einmal im Studio treffen, um gemeinsam Lieder aufzunehmen, aber ansonsten jeder für sich sein Leben führen. Das Album ist stark von George dominiert und beginnt mit dessen Komposition Taxman62. John später: „Das war ein Lied gegen die Gesellschaft. Wenn du nur auf der Straße spazieren gehst, besteuern sie dir die Beine und all das. George hat es geschrieben und ich habe ihm dabei geholfen. Er hat mich angerufen und ich habe dann ein paar Sprüche abgesondert für das Lied, weil er danach gefragt hat. Er kam zu mir, weil er zu Paul nicht gehen konnte. Paul würde ihm damals nicht geholfen haben. Ich hatte selbst keine Lust dazu und dachte: Bitte nicht, sag mir nicht, dass ich jetzt auch noch an den Sachen von George arbeiten soll. Es hat mir gereicht, was ich mit Paul gemacht habe. Aber, weil ich ihn geliebt habe und ihn nicht verletzen wollte, sagte ich: Okay. Und biss mir dabei auf die Zunge. Wir Beatles hatten von Steuern keine Ahnung. Das ist immer noch so. Unsere Meinung ist: Wenn man es verdient hat, sollte man es behalten dürfen, außer man lebt im Kommunismus oder in einer wirklichen christlichen Gemeinschaft. Solange 62 http://www.youtube.com/watch?v=lWAl5V-SiKQ

157 es so ist wie heute in England, würde ich am Liebsten gar keine Steuern zahlen.“ Auch für Ringo gibt es ein Lied auf der Platte. Es ist das erste Lied, das ihn wirklich bekannt machen wird und nicht nur als Entschuldigung dazu dient, Ringo „Starr Time“ zu geben. Es heißt Yellow Submarine63 und wurde von Paul speziell als Kinderlied für Ringo geschrieben. Für dieses Lied haben die Beatles die Geräusche-und-Klänge-Sammlung der EMI Studios geplündert. Das Lied und der zwei Jahre später daraus hervorgehende Zeichentrickfilm wird so populär werden, dass Ringo bald in den Kinderzimmern der Nation zu Hause sein wird. Seine unverwechselbare Stimme mit dem Liverpooler Einschlag wird ihm auch nach dem Zusammenbruch der Beatles eine wichtige Einnahmequelle erschließen: Als Sprecher in der Fernsehserie für Kinder, Thomas The Tank Engine. Am 20. August 1966 gelangt das Lied als Single an die Spitze der Charts, die erste Single der Beatles, auf der Ringo die Solostimme singt. Ringo: „Es war ursprünglich nur für die LP geplant, aber dann meinten Brian und unser Plattenmanager, dass Yellow Submarine großes kommerzielles Potential hätte. Und deshalb kam es so. Es ist ein Kinderlied, nicht tiefgründig oder so, sondern einfach ein Lied für Kinder.“ Zwei weitere Lieder, Love You Too64 und I Want To Tell You65 stammen aus der Feder von George, und Johns Komposition Tomorrow Never Knows basiert fast vollständig auf Sitarklängen, die George einspielt. Auch Paul erweitert sein musikalisches Repertoire. Er hat

63 http://www.youtube.com/watch?v=ODNVo1o7w8M 64 http://www.youtube.com/watch?v=MF90rX43VpE 65 http://www.youtube.com/watch?v=ytjSNap3BCk

158 gemeinsam mit George Martin mit einem Orchester geschaffen, verwendet bei Got To Get You Into My Life Trompetenklänge und zeichnet auch verantwortlich für die klassische Ballade Here, There, Everywhere66. John: „Das Lied ist ganz von Paul geschrieben und eines meiner liebsten Beatles-Songs überhaupt.“ Über Eleanor Rigby67 merkt John an: „Die erste Zeile stammt von ihm und den Rest habe ich geschrieben. Er wusste, dass er ein Lied hatte, aber zu dem Zeitpunkt war es schon so, dass er mich nicht um Rat bitten wollte. Wir saßen mit Mal Evans und Neil Aspinall herum und er sagte einfach: Also, Freunde, schreibt noch was dazu. Ich war gekränkt und beleidigt, dass Paul das so formuliert hatte. Er wollte, dass ich den Text schreibe, und die anderen haben dazu keinen Ton beigetragen, sondern wir gingen dann ins Nebenzimmer und haben es fertig gemacht.“ Es ist wahrscheinlich, dass John auch den Titel Eleanor Rigby beigesteuert hat, denn so hieß ein Grab auf dem Friedhof von , wo John als Junge lebte. Das Lied She Said She Said68 stammt von John. John: „Ich habe es über einen LSD Trip in Los Angeles geschrieben, den zweiten, den wir erlebt hatten, als Peter Fonda zu uns kam und Sachen sagte wie: Hey Mann, ich weiß was es bedeutet, tot zu sein.“ Paul: „Ein schönes Lied von John, das er im fertigen Zustand ins Studio brachte. Ich glaube, es ist eines der wenigen Lieder der Beatles, auf denen ich gar nicht spiele. Ich glaube, George spielt darauf Bass.“

66 http://www.youtube.com/watch?v=8THouU576WY 67 http://www.youtube.com/watch?v=3Dsz4dB6DuM 68 http://www.youtube.com/watch?v=6wp91YPGnLw

159 John: „Es war ein trauriges Lied. Als ich ein kleiner Junge war und so. Es kam viel frühe Kindheit aus mir heraus, als ich das schrieb. Ich hatte zuerst nur die Worte 'Sie sagte, sie sagte', aber das bedeutete noch nichts. Es hatte damit zu tun, dass jemand etwas gesagt hatte und behauptet hatte zu wissen, was es bedeutet, tot zu sein und dann brauchte ich einen Mittelteil und da fiel mir 'Als ich ein kleiner Junge war' ein.“ Paul hat für dieses Album Got To Get You Into My Life69 komponiert, und John sagt darüber: „Ich halte es für eines seiner besten Lieder, weil auch der Text gut ist und ich habe ihn nicht geschrieben. Es beschreibt seine Erfahrung mit LSD, nehme ich an. Ich glaube das zumindest.“ Der Höhepunkt der Platte vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen aber ist Tomorrow Never Knows70. Das Lied markiert einen Aufbruch der Beatles in die experimentelle Musik. John öffnet sich durch Verwendung der Sitar und indischer Tabla-Rhythmen der Musik, die bislang nur George fasziniert hatte, kombiniert sie virtuos mit seinem charakteristischen Stil und vermengt sie mit Loops, kreisenden Klängen aus vielen Kassettenrecordern. Der Titel stammt von Ringo, der die Phrase „Das Morgen weiß es nie“ erfunden und unter den Beatles populär gemacht hat. Es soll heißen, dass man etwas nie wissen kann. John: „Timothy Leary ging damals herum und sagte: Nimm es, nimm es, nimm es und wir folgten seinen Anweisungen im Book Of The Dead, sein Buch darüber, wie man einen Trip gestaltet. Ich folgte da seinem Buch, als ich Tomorrow Never Knows schrieb, einer der ersten LSD-Songs. Lege alle Gedanken nieder

69 http://www.youtube.com/watch?v=yJ8WI3Q9jm4 70 http://www.youtube.com/watch?v=rTMOSCh7aJU

160 und gib dich der Leere hin. Der Titel war einer der populären Sager von Ringo.“ Paul: „Ich erinnere mich daran, wie John zur Chapel Street 24 in Belgravia kam, wo Brian Epstein wohnte. Wir hatten dort ein Treffen, und John zog seine Gitarre heraus und begann Tomorrow Never Knows, ein Lied, das nur einen Griff hatte. Er war damals an indischer Musik interessiert und wir hatten einige indische Platten gehört und danach gefragt: Habt ihr gemerkt, dass es darin keinen Akkordwechsel gibt? Ich rechne es George Martin hoch an, dass er nicht zusammengezuckt ist, als John es ihm vorgespielt hat. Er sagte nur: Hmmm, verstehe. Ja. Er hätte auch sagen können: So ein Mist, schrecklich!“ George Martin: „Es war ein experimentelles Lied. John hatte dieses Lied geschrieben und dabei Wörter aus dem Book Of The Dead genommen und sagte zu mir: Ich möchte, dass meine Stimme so klingt wie der Dalai Lama, der auf einer tibetischen Bergspitze singt.“ John: „Ich stellte mir vor, dass auf der Platte tausende tibetische Mönche skandieren. Das war nicht umsetzbar, aber es wäre noch besser gewesen, wenn wir das hingekriegt hätten.“ George Martin: „Ich fragte mich zuerst, wann das nächste Flugzeug nach Tibet geht. Aber dann schickten wir seine Stimme durch einen Leslie-Lautsprecher, um diesen komischen Effekt zu erzielen und verwendeten dieses Tambur-Dröhnen mit dem Schlagzeug von Ringo. Interessant wurde es aber erst, als wir diese kleinen Tonschleifen mit Möwenschreien anfertigten und solche Dinge. Paul hatte entdeckt, dass man aus seinem Grundig-Kassettenrecorder den Löschknopf entfernen konnte und eine Schleife von etwa einem halben Meter einlegen und um die Spulen wickeln, und

161 wenn man sie einspielte, nahm sie sich selbst auf, immer wieder.“ Paul: „Die Leute glauben, dass John alles an dem Lied gemacht hat, aber die Schleifen und die Soundeffekte stammen von mir. Ich habe sie nur nirgendwo anders verwendet als bei diesem Lied.“ George präzisiert: „Wir alle nahmen zu Hause Geräusche mit unseren Kassettenrecordern auf, schnitten Stücke von den Bändern ab, machten Schleifen daraus und steckten sie in die Maschine und hatten dann ganz viel Geräusche auf verschiedenen Maschinen, die wir alle im Studio einmischten.“ Woher aber stammt der Titel der LP? John damals: „Es ist nur ein Name, der keine Bedeutung hat. Warum will jeder immer alles wissen? Es heißt Revolver. Es ist alles, was das Wort Revolver bedeutet, weil es das für uns bedeutet und alles, was wir mit dem Begriff verbinden. Das Bedeutende an dem Album war, dass Paul und ich begriffen haben, dass wir zusammenkommen und arbeiten müssen. Wir haben uns bei Partys gesehen, aber jetzt haben wir beschlossen, ernsthaft miteinander zu arbeiten. Wir waren bei ihm oder bei mir und dachten über Lieder nach. Meist fängt einer mit einer Melodie oder einer Phrase an wie bei Paperpack Writer, was ihm auf der Fahrt zu mir eingefallen war.“ John später: „Rubber Soul war das Marihuana-Album und Revolver war LSD. Wir waren nicht alle permanent zugedröhnt, als wir Rubber Soul gemacht haben, aber sehr oft schon.“ Der Sommer steht – vor allem in den Vereinigten Staaten, wo man die Beatles anlässlich ihrer neuen Tournee erwartet – im Zeichen der Diskussion über den Spruch von John, die Beatles seien berühmter als Jesus.

162 Maureen Cleave, die ihn interviewt hat, veröffentlicht ein Statement, in dem sie klarstellt, dass er falsch zitiert wurde. Ungeachtet dessen verkündet Senator Robert Fleming aus Pennsylvania, dass die Beatles in dem Staat nicht auftreten dürfen. Diese werden am 11. August in Chicago erwartet. Diese letzte Konzertreise der Beatles steht von Anfang an unter einem schlechten Vorzeichen. Am 30. Juli muss die neue amerikanische LP der Beatles mit dem Titel Yesterday ... And Today zurückgezogen werden, weil die Beatles auf dem Cover als Metzger dargestellt werden, die über gliederlosen Puppen stehen. Am folgenden Tag beginnt man gerade in den Südstaaten Beatles-Platten und Memorabilia zu verbrennen. Zwei Tage zuvor ist John Lennons Jesus-Interview im Datebook Magazine erschienen. Am 8. August spricht die South African Broadcasting Corporation einen Bann auf alle Beatles Platten aus. Mehr als dreißig Radiostationen in ganz Amerika inklusive Kanada folgen dem Aufruf, fortan keine Beatles-Platten mehr zu spielen. Bei ihrer Abreise aus England werden die Beatles, die eben noch mit Blessuren aus Asien zurückgekehrt sind, darüber befragt, ob sie mit Zuversicht nach Amerika aufbrechen. Reporter: „Hallo, John. Freust du dich auf die Konzertreise?“ John: „Ja.“ Reporter: „Diese religiöse Kontroverse, ich weiß, dass du darüber nicht sprechen möchtest, aber hast du Sorge, dass sie jetzt weiter hochkochen könnte, wo ihr dort in den Staaten seid?“ John: „Ja, die Sorge habe ich. Ich hoffe, dass alles gut geht, wie man so sagt.“

163 Reporter: „Befürchtet ihr, dass es Schwierigkeiten geben könnte wie in den Philippinen?“ Paul: „Nein, nein, nein, nein. Alles wird gut gehen.“ Reporter: „Warum sagst du das, Paul?“ Paul: „Oh, es wird alles gut gehen, ihr werdet sehen. Ja, großartig.“ Die Beatles fliegen nach Chicago und werden schon am Flughafen von Protesten empfangen. Die amerikanischen Network-Sender haben sich zu einer gemeinsamen Konferenz mit den Beatles vereint, in der diese gemeinsam zu Johns Bemerkungen Stellung nehmen sollen. Offenbar empfindet man die Beatles als so wichtig, dass das Ergebnis weltweit live übertragen wird. Die Veranstaltung findet im Astor Towers Hotel in Chicago statt, wo die Pilzköpfe eben eingetroffen sind. Die Pressekonferenz ist sehr emotional. John gibt folgendes Statement ab: „Wenn ich gesagt hätte, dass das Fernsehen heute bekannter ist als Jesus, wäre ich damit davongekommen. Es ist eine Tatsache, dass wir für die Kids in England mehr bedeutet haben als Jesus oder irgendeine andere Religion. Ich wollte nichts Schlechtes darüber sagen oder es schlecht reden. Ich habe nur gesagt, wie es in England ist, und nicht, wie es hier ist. Ich behaupte nicht, dass wir besser oder größer sind als Jesus Christus als Person oder Gott oder Ding, oder was immer es ist. Ich habe gesagt, was ich gesagt habe und es war falsch oder wurde falsch aufgefasst und jetzt ist daraus diese Sache entstanden!“ Reporter: „Es gab Todesdrohungen gegen dich, es gab Verbrennungen von Platten, ihr wurdet von mehreren Radiosendern verbannt, stört dich das?“ John: „Ja, es stört mich.“ Reporter: „Wirst du ans Kreuz geschlagen?“ John: „Nein, das würde ich nicht sagen. Gar nicht.“

164 Reporter: „War das ein Versuch, eure nachlassende Popularität zu steigern?“ John: „Ich denke, es gibt bessere Wege, eine nachlassende Popularität zu steigern.“ Reporter: „Wie, zum Beispiel?“ John: „Keine Ahnung. Sich Streiche einfallen lassen, aber wir machen das nicht. Wir haben schon einen Rohrkrepierer geliefert.“ Reporter: „Bereust du es, davon überhaupt gesprochen zu haben?“ John: „Ja, das tue ich, obwohl ich nie gemeint habe, was Leute glauben, das ich gemeint habe. Ich bereue es, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben.“ Reporter: „Glaubst du immer noch, dass die Beatles populärer sind als Jesus?“ John (frustriert): „Ah ... wenn ich, also, als ich darüber gesprochen habe, war ich mit einer Person zusammen in einem privaten Gespräch. Sie ist zufällig auch Reporterin und ich redete über etwas, das ich gelesen und vom Christentum abgeleitet hatte. Ich habe es zu einfach ausgedrückt, was für mich typisch ist. Populärer als Jesus und so weiter und so weiter, und Leute, die mich kennen, wissen, dass sie solche Bemerkungen so nehmen müssen, wie ich sie meine, weil sie wissen, wie ich mich ausdrücke.“ Tony Barrow, der Konzertorganisator: „John hat fünf oder zehn Minuten dazu verwendet, genau zu erklären, was er gemeint oder nicht gemeint hatte, aber trotzdem kam dann wieder die Frage: Also John, wirst du dich dafür entschuldigen? Man hatte ihm gar nicht zugehört. Deshalb hatte John dann die Einstellung: Gut, ich entschuldige mich gerne, aber ich weiß nicht, was ich getan habe.“

165 Reporter: „Wie wirst du von heute an auf diese Fragen antworten? Wirst du überall Erklärungen abgeben?“ John: „Wenn sie mich fragen, werde ich das versuchen. Ich werde es immer wieder versuchen, bis es klar geworden ist. Weil es mir nicht egal ist, was die Leute von mir denken, vor allem, wenn sie im Irrtum sind.“ Reporter (zu George): „Was hältst du von dem, was er gesagt hat?“ George: „In dem Zusammenhang ging es darum, das das Christentum an Ausstrahlung verliert, und um nichts anderes.“ Reporter: „Ein Discjockey von Birmingham in Alabama, der die Kontroverse ausgelöst hat, verlangt eine Entschuldigung von dir, John.“ John: „Die kann er haben. Ich entschuldige mich bei ihm. Wenn es ihm weh getan hat und er das wirklich so meint, dann tut es mir leid. Es tut mir leid, dass ich diese Sache angerichtet habe, aber ich wollte nichts gegen eine Religion ausdrücken oder so. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Keine Worte mehr. Ich entschuldige mich bei ihm.“ Reporter: „Mr. Lennon, sind Sie ein Christ?“ John: „Dazu sind wir alle erzogen worden. Ich bin kein praktizierender Christ und Christus war was er war und wer gut über ihn spricht, hat recht. Ich bin kein praktizierender Christ, aber ich habe keine unchristlichen Gedanken.“ Ringo und George sind in diesem Wirrwarr mitgehangen mitgefangen. Was sie über das Weltgeschehen denken, interessiert da nicht so sehr. George steht noch vor seiner mystischen Phase und hat nicht viel zu sagen. Und im Fall von Ringo gibt es keine weit schweifenden philosophischen Gedanken, mit denen er die Welt beglücken möchte. Das wird so

166 bleiben. Ihre Zeit aber fordert Antworten auf drängende Fragen. Die zweite Hälfte der 1960er Jahre ist geprägt von politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen. Die Menschen wollen wissen, wer sie sind, sie wenden sich von alten Autoritätspersonen ab und suchen neue Anführer, die sie auf dem Weg in die Zukunft begleiten können. Die ihnen sagen, wie man leben soll. Hier wird John als Wortführer akzeptiert. Paul hat weniger zu sagen, doch seine genialen Kompositionen reißen die Menschen mit, machen sie neugierig. Ringo und George, die in der Frühphase der Beatlemania von den Kids als niedlich empfunden wurden, spielen in diesem Spannungsfeld mehr und mehr eine Statistenrolle. George empfindet das sehr stark, und dass er als Komponist von allen unterschätzt wird, kränkt ihn zutiefst. In dieser Phase beginnt George verbissen an Liedern zu arbeiten, und sein Versuch, als gleichberechtigter dritter Komponist neben den anderen zu stehen, wird Jahre später auch einen der wichtigsten Gründe für den Zusammenbruch der Beatles abgeben. Für Ringo ist es noch schwieriger, nur mehr als Maskottchen der Gruppe zu dienen. Er hat bis jetzt noch kein wichtiges Lied geschrieben, und auch seine Stimme ist eher Durchschnitt. Sein jugendlicher Charme, den gerade die Kids so stark empfanden, lässt nach, seitdem das Publikum weiß, dass er ein gestandener Ehemann und Vater eines Sohns ist. Für Ringo wird das Ende der Konzertreisen, das sich bereits abzeichnet, bedeuten, dass er zum Studiomusiker degradiert wird, den die anderen einbestellen, wenn sie ihre Plattenaufnahmen machen. In dieser Zeit zeigt sich Ringos Charakter. Er kann sich der Popularität der Beatles zum Trotz realistisch einschätzen und leidet nicht darunter, hinter John und Paul zurückzutreten.

167 Ganz anderes geht es George. George: „Wenn ich von der Bühne kam und mit jemandem sprach, sagten die: John und Paul reden nicht mit mir; oder einmal meinte einer: John Lennon mag mich nicht. Und ich fragte: Warum glaubst du das? Und er darauf: Ich spüre das, weil er mich so ansieht. Und ich: Der schaut dich deshalb so an, weil er keine Brille aufhat. Er sieht ohne Brille gar nichts! Ich hatte die Rolle eines Beobachters bei dem Ganzen, obwohl ich auch ein Beatle war. John und Paul waren die Stars. Die Stars der Beatles.“ 1966 spüren alle, auch die Beatles selbst, dass eine Epoche zu Ende geht. Es ist die Epoche der Unschuld, eine Zeit, in der die Beatles als Boy-Group wahrgenommen wurden. Auf diese Rolle hat keiner der Beatles mehr Lust. Das vorletzte Konzert im Dodger Stadium in Los Angeles wird von Bob Eubanks veranstaltet, der dazu anmerkt: „Als die Beatles 1964 hier waren, waren McCartney und Harrison sehr nett. Im Jahr danach war McCartney sehr nett und im dritten Jahr waren sie alle sehr unangenehm. Ich habe es ihnen nachgesehen, weil sie sehr müde waren. Sie mochten ihre eigene Musik nicht mehr und sie mochten sich gegenseitig nicht mehr. Im dritten Jahr waren sie fertig miteinander.“ Das letzte Beatles-Konzert findet am 29. August 1966 im in San Francisco statt. Die Begeisterung der Fans für die Beatles ist bei den Kids ungebrochen, aber es ist an diesem Abend sehr kühl, mit Wind und Nebel, und die Stimmung ist flau. Chris Hutchins: „Es war ein Publikum voller junger Mädchen. Sie wollten Paul oder Ringo sehen, weil die süß aussahen und wollten etwas von der neuen Platte

168 hören. Aber sie spielten davon nichts, sondern nur das, was sie überall gespielt hatten.“ Auch die Prominenten, darunter , drängen sich in der Garderobe der Beatles, um sie noch einmal zusammen zu sehen. Tony Barrow: „Es herrschte eine Stimmung wie bei einer Jahresendfeier. Wir hatten das Gefühl, dass das das letzte Konzert der Beatles sein könnte. Paul sagte wie nebenbei: Hast du dein Tonbandgerät dabei? Klar, sagte ich. Dann nimm die ganze Show auf, sagte er.“ Aber es ist dann ein ganz normales Konzert, außer dass die Beatles ein paar Witze machen und ein bisschen improvisieren. Das letzte Lied, das die Beatles auf einer Bühne spielen, ist Long Tall Sally, eine Nummer von Little Richard, die die Beatles seit ihren Anfängen begleitet hat. George: „Wir waren erleichtert, als das Konzert vorbei war. Vor einer der letzten Nummern stellten wir eine Kamera auf, die ein Weitwinkelobjektiv hatte. Wir postierten sie auf einen der Verstärker und Ringo kam her und wir stellten uns mit dem Rücken zum Publikum auf und lächelten für ein Foto, weil wir wussten, dass das das letzte Konzert für immer sein würde.“ Jim Marshall: „Der Ton war schlecht und die einzige Beleuchtung waren die Lichter im Baseball- Stadium. Was Konzerte betrifft, spielten sie einfach ihre elf Nummern durch. Sie waren müde und enttäuscht, weil noch 10.000 Sitzplätze frei waren. Nach dem Konzert stiegen sie in ein gepanzertes Auto und waren weg. Das war das Ende. Wir Journalisten liefen ihnen nach und fotografierten das Auto, mehr kriegten wir nicht vor die Linse. Sie fuhren direkt zum Flughafen und waren weg.“

169 Tony Barrow: „Als wir aus San Francisco abflogen, setzte sich George Harrison im Flugzeug auf seinem Platz zurück, nahm einen Drink und sagte: Es reicht. Das ist das Ende. Ich bin kein Beatle mehr.“ Zurück in London geht jeder Beatle auch prompt seiner eigenen Wege. Sie haben voneinander genug, wollen sich erholen, überlegen sich, was nach den Beatles noch kommen soll. Die Tage der Beatlemania sind für viele Menschen immer noch nicht vorbei, doch die große Begeisterung ist ja auch bei den Fans abgeflaut. Andere Bands drängen in den Raum, den die Beatles bereitet haben. Gibt es die Beatles überhaupt noch? fragt sich die Presse. John: „Als wir nicht mehr auf Tournee gingen, war es mit uns immer ein bisschen ungeschickt im Umgang. Sollten wir gemeinsam zu Abend essen? Das war dann immer so gezwungen, dass keiner von uns mehr kommen wollte. Wenn man einen anderen oft Monate lang nicht sieht, wird man steif im Umgang miteinander und muss noch einmal ganz von vorne anfangen.“ Wer am stärksten unter dem Niedergang der Beatles leidet, ist Brian Epstein. Als sie ihn von ihrem Beschluss unterrichten, nicht mehr auftreten zu wollen, ist er am Boden zerstört. Hinzu kommt, dass Brian nach Tournee-Ende in Beverly Hills auf der Straße ausgeraubt und niedergeschlagen wird. Danach wird er von dem Täter wegen seiner Homosexualität erpresst, was nur die Polizei klären kann. Schwul zu sein ist in der Öffentlichkeit damals noch verboten. Nach London zurückgekehrt, unternimmt Brian Epstein Anfang September einen Selbstmordversuch. Nat Weiss: „Jeder wusste, dass er depressiv war, weil die Beatles keine Konzerte mehr geben würden. Aber er war es auch, weil diese Sache in Beverly Hills passiert

170 war. Er nahm eine Überdosis Tabletten, nachdem er einen Brief hinterlassen hatte, in dem stand, dass seine Freunde, Peter Brown, Geoffrey Ellis und ich sein Vermögen erben sollten. Glücklicherweise kam er rechtzeitig ins Krankenhaus. Ein paar Monate später hat er es wieder versucht, aber nur sehr halbherzig. Ich glaube, dass er das Selbstvertrauen verloren hatte. Er hat in dieser Zeit auch LSD genommen und es war schwierig, mit ihm zu arbeiten.“ Jetzt ist die Zeit gekommen, andere Träume und Wünsche wahr zu machen. John fliegt mit seiner Frau am 5. September nach Celle in Deutschland, um in einem Film von Richard Lester den Gefreiten Gripweed zu spielen. Der Film heißt: Wie ich den Krieg gewann. Die Dreharbeiten verlagern sich nach einigen Wochen nach Almeria an der spanischen Küste, wo Ringo und Maureen am 5. Oktober zu den Lennons dazustoßen, um sie zu besuchen. Der Anlass ist Johns 26. Geburtstag am 8. Oktober, der mit der gesamten Filmcrew gefeiert wird. Zwischen John und Ringo hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt, die bis zu Johns Tod Bestand haben wird. Die beiden teilen in dieser Phase auch den Traum, nach der Popkarriere ins Filmgeschäft einzusteigen. Am folgenden Tag, einem Sonntag, ziehen John und Cynthia nach Corjo-Romera, einer prächtigen alten Villa außerhalb der Stadt. John: „Man braucht da Tage, um alles zu erkunden!“ Ringo: „Es ist wie aus einem Film. Man erwartet irgendwelche Helden mit Degen, die hinter einer Ecke hervorkommen und auf den Lüster springen. Was für ein toller Platz für Partys!“ John, Ringo und ihre Partnerinnen verbringen einige schöne Tage in der Villa und fliegen dann nach Hause, wo John Lennon Yoko Ono kennen lernen wird. Es

171 wird noch eine Weile dauern, bis diese John in Beschlag nimmt, doch die Tage der Gemeinsamkeit mit Cynthia Lennon gehen schon ihrem Ende zu, da sie sich weniger und weniger mit John versteht. Und auch die Beziehung zu den anderen Bandmitgliedern wird unter der intensiven Liebe zwischen John und Yoko leiden. Am 26. November fangen die Beatles nach zahlreichen Trennungsgerüchten mit einem neuen Album in den Abbey Road Studios an. Es wird ihr größter Erfolg werden: Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, das erste Konzeptalbum des Pop, das auch viele Jahre später noch immer wieder von Kritikern und Fans als bestes Album aller Zeiten bezeichnet werden wird. Beatles Monthly berichtet damals: „Die derzeitigen Plattenaufnahmen der Beatles haben begonnen und die einzelnen Akteure nehmen nicht nur Weg weisende Musik auf, sondern geben auch mit ihrer Kleidung den Trend vor. Die Auswahl der Musikinstrumente im Studio ist ebenso riesig wie die verschiedenen Stilrichtungen, in denen sich die Beatles ausstaffieren. Paul kam in einem zitronengelben Jackett ins Studio und einer grellbunten Krawatte. George schlich mit einem Schnauzer herein und trug eine lange, schwarze Mississippi-Falschmünzer-Jacke und schwarze Mokassins. Ringo und John fuhren zusammen im Mini von John vor, den mit den schwarzgetönten Scheiben. Ringo hat einen neuen Schnurrbart und lange Koteletten, die ihm sehr gut stehen, aber die merkwürdigerweise viel dunkler sind als sein braunes Haar. Und das so sehr, das die Leute munkeln, er habe sie angeklebt. Johns Schnurrbart sieht chinesisch aus und er trägt ein Halstuch mit der Inschrift: Hosen runter. Die Kontaktlinsen sind jetzt weg, er trägt eine

172 stahlgerahmte Brille, die er für den Film gekauft hatte.“ Vor Weihnachten nehmen die Beatles drei wichtige Songs auf: Strawberry Fields Forever71, When I'm Sixty-Four72 und Penny Lane73. Während das Lied When I'm Sixty-Four in den Film Yellow Submarine finden wird, zeigen die Filmaufnahmen zu Penny Lane und Strawberry Fields die neuen, privaten Beatles. Sie haben keine Pilzkopffrisuren mehr, tragen Bärte und wirken viel älter als noch vor einem Jahr. Peter Goldman ist der Regisseur, der die neuen Lieder der Beatles filmisch umsetzen soll. Goldman: „Mein erstes Treffen mit der Gruppe fand im Haus von Ringo statt. Er war sehr nett und zeigte mir seinen Garten gemeinsam mit seiner Frau Maureen und ihrem kleinen weißen Pudel, Tiger. Meine Schuhe waren voller Erde, und Ringo bestand darauf, mir ein neues Paar Schuhe zu geben. Das ist typisch für ihn. Ich war sehr froh, mit den Beatles zu arbeiten, und wollte ihre neue Musik auch auf originelle Weise im Fernsehen umsetzen. Ich machte Penny Lane und Strawberry Fields Forever in Farbe, obwohl es damals in England nur Schwarzweißfernsehen gab. Während des Drehs ging vieles schief, aber die Beatles waren sehr geduldig. Die Pferde, die wir für Penny Lane geholt hatten, waren sehr unruhig, sobald die Beatles abgestiegen waren, brachen sie aus und wir brauchten ein paar Stunden, bis wir sie am anderen Ende des Parks wieder eingefangen hatten. Das Klavier für Strawberry Fields, diese ganzen Drähte, die wir mit den Ästen eines Baums verbunden hatten, brachen beim

71 http://www.youtube.com/watch?v=-7NoOhmVMac 72 http://www.youtube.com/watch?v=h3chFhCP5mQ 73 http://www.youtube.com/watch?v=_H6PdlJshCo

173 nächsten Windstoß ab und wir mussten wieder von vorne anfangen.“ Während der Dreharbeiten zu Strawberry Fields kauft John in Sevenoaks ein altes Zirkusplakat in einem Antiquariat, das die Inspiration für sein Lied Being For The Benefit Of Mr. Kite werden wird.

1967

Am 7. Januar 1967 unterzeichnen die Beatles einen Neunjahresvertrag mit EMI. Sie wollen von nun an vor allem Platten machen. Filmclips von Penny Lane und Strawberry Fields werden in der BBC-Sendung „Top Of The Pops“ gezeigt. George Martin: „Strawberry Fields war Ausdruck einer tiefen Veränderung im Leben der Jungs. Damit begann die Pepper-Episode und das einfallsreiche Komponieren, das manche Leute als psychedelisch bezeichnen. Für mich sind es Tongedichte, eher ein moderner Debussy oder Ravel. Die Ideen der Beatles wurden blumiger, aber auch sehr reichhaltig. Für mich ist Strawberry Fields ein großartiges Lied, eines der besten, das sie gemacht haben. Penny Lane hat Paul allein komponiert und Strawberry Fields war nur John. An diesen Liedern kann man deutlich sehen, was die beiden ausmacht.“ John: „Strawberry Fields ist ein wirklicher Platz, ein schöner Name. Nachdem ich aus der Penny Lane weggezogen war, lebte ich mit meiner Tante in einer schönen Doppelhaushälfte mit einem kleinen Garten und Ärzten und Anwälten in der Gegend, gar nicht so

174 armselig und bemitleidenswert, wie das die Beatles- Geschichten erzählen. In der Nähe war Strawberry Fields, ein Haus oberhalb der Schule, die ich mit Freunden wie Nigel und Pete besuchte. Wir gingen dort hin und verkauften Limonade für einen Penny. Es war schön dort. Im Lied ist es ein Symbol für Liverpool, über das wir schrieben. Ich sammelte hübsch klingende Namen wie Strawberry Fields, Penny Lane und Cast Iron Shore, die gut klangen. Strawberry Fields ist jeder Ort, den man gerne aufsucht. Es ist ein Lied über mich oder jeden, der so denkt wie ich. Es ist ziemlich einfach. Manches finde ich immer noch klasse. Zu leben ist einfach ... und alles falsch zu verstehen, was man sieht. Das wachsende Bewusstsein, das ich immer schon gehabt habe, schon im Kindergarten. Ich war anders als die anderen. Und bin das mein ganzes Leben lang gewesen. Im zweiten Vers heißt es: Niemand anders ist auf meinem Baum. Ich war einfach zu schlau und habe mich selbst angezweifelt. Ich hatte viel Angst als Kind, weil weder meine Tante oder meine Freunde oder sonst jemand sehen konnten, was ich machte. Ich las Oscar Wilde oder Dylan Thomas oder über Vincent van Gogh, Bücher, die meine Tante hatte und in denen man erfahren konnte, wie viel sie gelitten hatten wegen ihrer Visionen. Sie waren einsam gewesen.“ George Martin: „Bei den Aufnahmen zu Strawberry Fields hatte John keine klaren Ideen, deswegen musste ich mir Gedanken machen, was er wollte. Ich setzte hier ein Orchester und da Sound-Effekte ein. In der frühen Zeit waren die Lieder einfach gewesen und man musste wenig daran ändern. Jetzt wurden Klanggemälde erzeugt. Beim ersten Mal nahmen wir das Lied mit den Jungs auf und John ging dann fort und hörte es sich an und kam zurück und meinte: Ich bin

175 nicht zufrieden damit. Es ist nicht das, was ich mir vorgestellt hatte, als ich es schrieb. Ich möchte es anders machen. Ich sagte: Aber John, es ist jetzt schwerer geworden als damals, als du es mir auf der akustischen Gitarre vorgespielt hast, aber ich wollte es mehr fließen lassen. Und er: Das ist der Punkt. Ich möchte es weicher. Kannst du mir eine neue Orchesterbegleitung schreiben? Und ich: Wie soll die aussehen? - Streicher und ein paar Bläser. Also schrieb ich ein paar Celli hinein und Trompeten und andere Dinge und wir machten eine neue Aufnahme. Er ging weg und kam zurück und sagte: Es ist viel besser, viel viel besser, aber immer noch nicht richtig. Ich fand, dass die ursprüngliche Aufnahme besser gewesen war, und es ist schade, dass man nicht beide veröffentlicht hat.“ Die endgültige Version hat dann Stücke von beiden Aufnahmen. John: „Ist Ihnen aufgefallen, dass meine Stimme im zweiten Vers ganz anders klingt? Es sind zwei verschiedene Stücke, die wir zusammengeklebt haben. Manchmal ging es so bei einem Lied, das mir sehr wichtig war, dass wir so hart daran arbeiteten, dass wir es kaputt gemacht haben. Es gab so viele Versionen davon, weil es so schwer aufzunehmen war. Weil eine davon zu schnell war, mussten wir sie langsamer machen, weshalb meine Stimme gar nicht mehr wie meine klingt.“ George Martin: „John sagte zu mir, wenn wir ein Stück an den Beginn setzen und das andere an den Schluss, wäre das toll. Ich hörte mir die beiden Versionen an und sagte: Die beiden sind verschieden schnell und in einer verschiedenen Tonart, aber sonst ist es kein Problem, das zusammenzuschneiden. Und er schaute mich an und lächelte und meinte: Ich bin sicher, du kommst

176 damit zurecht. Das war eine große Herausforderung für mich, aber durch die Verlangsamung von einem Teil ging es zusammen.“ Am Ende des Lieds sagt John „Cranberry Sauce“ - Preiselbeersaft – was vage so klingt wie: „I buried Paul“ - ich habe Paul beerdigt. Paul, dem diese Zeile mental sehr zugesetzt hat: „Das war Johns Humor. Wenn man darauf nicht vorbereitet ist, glaubt man etwas zu hören, was nicht da ist.“ Am 10. Februar nehmen die Beatles A Day In The Life auf. Dabei brauchen sie für die Toncollage am Ende des Lieds 40 Orchestermusiker, was in der Popwelt bislang noch nicht vorgekommen ist.

Ringo fügt sich in dieser Zeit in seine neue Rolle als Studiomusiker. Er lebt sein Leben mit Kindern und Familie und zahlreichen Freunden, vor allem im Popgeschäft, geht viel auf Partys und hängt in Clubs herum. Wenn die anderen arbeiten wollen, rufen sie ihn an und Ringo kommt. Aber auch er gibt sich in dieser Zeit nicht mehr damit zufrieden, auf dem Schlagzeug einen strammen Rhythmus vorzugeben, sondern experimentiert auch. Phil Collins, der später als Drummer, Sänger und Komponist in Ringos Fußstapfen treten wird, ist fasziniert von dem, was Ringo auf A Day In The Life macht. Collins: „Starr wird sehr unterschätzt. Sein Schlagzeugspiel in dem Lied ist überaus komplex. Man könnte heute einem tollen Drummer sagen: Hör zu, ich will das so. Und er würde nicht wissen, wie man das nachspielt.“ Wer erwartet hat, dass die Beatles als Gruppe am Ende sind, wird nun getäuscht. Die Plattenverkäufe halten an, auch das öffentliche Interesse an den Beatles steht auf einem Höhepunkt. Auch die Ehrungen lassen nicht

177 nach. Am 2. März wird von Seiten der Grammy Awards verkündet, dass Michelle das Lied des Jahres 1966 war, Revolver das beste Albumcover gewonnen hat und dass Paul für Eleanor Rigby die Auszeichnung für die beste Gesangsleistung erhält. Die Single Penny Lane/Strawberry Fields wird Nr. 2 in England, und Nr. 1 in Amerika. Im Mai gibt EMI bekannt, dass mehr 200 Millionen Platten der Beatles weltweit verkauft worden sind. Am 30. März werden vom Popkünstler Peter Blake Photos des Photographen Michael Cooper zur Collage verarbeitet, die die Umschlaghülle von Sergeant Pepper's zieren soll. Viele berühmte Persönlichkeiten sind darauf abgebildet und sollen dafür ihre Zustimmung geben. Die Schauspielerin Mae West legt zuerst ihr Veto ein, weil sie ihren Namen nicht mit der Idee eines „Clubs der Einsamen Herzen“ in Verbindung gebracht sehen will. John hat für die Collage auch Bilder von Jesus, Ghandi und Hitler vorgeschlagen, doch diese werden kurz vor der Endversion entfernt. Die einzigen Musiker neben den Beatles auf dem Cover sind Bob Dylan und Dion. Am 8. Juni 1967 kommt die neue LP Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band auf Platz 1 der Hitparade. Die Produktionskosten haben mehr als 25,000 Pfund betragen, und die Beatles waren 700 Stunden lang für Aufnahmen im Studio. Sie haben mit diesem Album einen neuen Standard gesetzt, der die Arbeit vieler anderer Künstler anregt und vielfach als Messlatte an Kreativität empfunden wird. Später wird es heißen, diese Platte sei der Höhepunkt des Schaffens der Beatles gewesen. Es ist das erste Album der Beatles, das weltweit unter dem selben Namen und dem selben Design vertrieben wird.

178 Am 19. Juni gibt Paul in einem Interview im Life- Magazin zu, LSD genommen zu haben. In einem Interview mit ITV wiederholt er seine Aussage und löst damit einen Medienwirbel aus. Dass der „süße“ Paul, den man bislang nur als den diplomatischen, fleißigen und tüchtigen Beatle kennen gelernt hat, der den idealen Schwiegersohn abzugeben scheint, nun bekennt, Drogen zu nehmen, ist ein Schock. Jetzt glauben viele Fans auch zu verstehen, was mit den Beatles und ihrer Musik in den letzten Jahren passiert ist. Doch diese Veränderung, die jetzt in einer Jugendprotestbewegung mündet, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, spült die Beatles zugleich auch an die Spitze dieser Bewegung, macht sie zu Helden der 1968er-Generation. Ihre Botschaft stammt im Wesentlichen von John: Liebe ist wichtiger als alles. Man kann diese neue Rolle nirgends so deutlich sehen als bei der Live-Ausstrahlung einer Nummer, die John nebenbei knapp vor der Sendung fertiggestellt hat und deren Text er selbst deshalb auch vom Blatt ablesen muss. Es handelt sich um den Megahit: . Am 26. Juni spielen die Beatles das Lied live in den Studios in der Abbey Road ein, und das im Rahmen einer weltweit ausgestrahlten Sendung mit dem Titel Our World. Es ist die erste globale Fernsehausstrahlung überhaupt und man schätzt, dass weltweit 400 Millionen Menschen zusehen. Das Lied ist von den Organisatoren, darunter vor allem George Martin, als europäischer Kulturträger angelegt. Die Brandenburg- Konzerte von Bach, die Marseillaise und Greensleeves klingen an, aber auch She Loves You von den Beatles. George Martin mischt auch ein Segment von In The Mood von Glenn Miller darunter und wird später dafür

179 von den Rechteinhabern verklagt werden. All You Need Is Love ist eine Hymne an die Liebe und die Beatles werden zu Galionsfiguren der Jugendbewegung, die sich wenige Wochen später im „Summer Of Love“ in San Francisco verabreden wird. Neben den Beatles und 13 Studiomusikern sind auch , Keith Richards, Marianne Faithfull, , Keith Moon, Jane Asher, die Walker Brothers und Pauls Bruder Mike McGear bei der Fernsehsendung dabei. Die Single setzt sich am 22. Juni an die Spitze der englischen Hitparade. Am 25. Juni beginnt für die Beatles die Zeit der spirituellen Suche, die für kurze Zeit alle Bandmitglieder in Besitz nehmen wird. Als erstes fahren sie gemeinsam mit dem Zug nach Wales, wo am Normal College in Bangor ein spirituelles Seminar der „Spiritual Regeneration League“ stattfindet. Der indische Guru hat zur transzendentalen Meditation eingeladen, und die Beatles machen mit. Doch der Aufenthalt wird nur kurz bleiben. Am 27. Juni wird Brian Epstein in seiner Wohnung tot im Bett aufgefunden. Man spricht von einer Drogenüberdosis. In der New York Times erscheint ein Nachruf, in dem Epstein als der Mann bezeichnet wird, „der die heutige Popmusik revolutioniert hat“. Die Beatles erfahren davon in Bangor, sind völlig schockiert und reisen ab. Sie sind völlig orientierungslos und wissen nicht, wie es mit ihnen weiter gehen soll. Am 31. Juni verkünden die Beatles dann, dass sie sich ab sofort selbst managen werden. Der Sommer vergeht ohne weitere Ereignisse. Das Leben von Ringo und Maureen findet in dieser Zeit in der Familie statt, denn Maureen ist mit ihrem zweiten

180 Sohn hochschwanger. Am 19. August wird Jason geboren.

Als erstes Projekt der Beatles ohne Brian Epstein soll ein Film gemacht werden. Paul hat dazu die Idee und versucht das Projekt auch möglichst mit eigener Kraft durchzuziehen. Es ist das die Phase, in der Paul zum stetigen Mahner der anderen Beatles wird, denn die haben kein großes Interesse an einer Fortsetzung ihrer Karriere mehr und genießen ihr sorgloses Leben als Millionäre. Dazu gehört bei John mittlerweile auch Heroin, bei George immer noch LSD, während Paul Unmengen von Marihuana konsumiert. Ringo bleibt in dieser Hinsicht am Liebsten beim guten alten Alkohol und verbringt seine Nächte mit Freunden und jeder Menge Drinks in Clubs. Schon Sergeant Pepper's war ein Versuch Pauls, die Magie der Beatles auch ohne öffentliche Auftritte zu erhalten. Dieser Versuch ist großartig geglückt und hat auch die anderen Beatles zu Höchstleistungen angespornt. Anders wird es nun mit dem neuen Filmprojekt werden. Am 11. September beginnen die Beatles in Teignmouth in Devon zu drehen. Der Film soll heißen und ist die Drogenvariante ihres ersten Films, der sie auch immer unterwegs gezeigt hat. Ein Drehbuch dafür gibt es nicht. Paul fordert die anderen auf, Ideen zu entwickeln, doch das führt nicht weit. Der Film ist verspielt, albern und ohne besondere Handlung oder Aussage. Am 7. Oktober bietet ein New Yorker Konzertveranstalter den Beatles eine Million Dollar für einen einzigen Auftritt an. Die Beatles lehnen ab. Für eine Million Dollar rühren sie keinen Finger mehr,

181 wenn ihnen nicht danach ist. Diese Angebote an die Beatles mit dem Wunsch nach einem gemeinsamen Auftritt werden sie bis in das Jahr 1980 verfolgen und dabei werden immer höhere Beträge genannt werden, doch die Beatles werden keines davon annehmen. Am 18. Oktober gehen sie gemeinsam zur Weltpremiere des Films How I Won The War im Londoner Pavilion, in dem John mitgespielt hat. Er möchte mittlerweile nicht mehr als Schauspieler auftreten, hat sich in der Rolle sehr gelangweilt. Auch der Film ist kein großer Erfolg. Die Zeit für Filme von Richard Lester, der vor allem aufgrund seiner Slapstick-Einlagen Erfolg hatte, sind definitiv vorbei. Am 19. November wird in der amerikanischen Ed Sullivan Show auf CBS ein Werbeclip der Beatles ausgestrahlt. Die Beatles spielen Hello Goodbye74. Der Clip darf im englischen Fernsehen nicht ausgestrahlt werden, weil die Beatles in ihm Playback singen, was laut Musikergewerkschaft nicht zulässig ist. Paul hat ihn aus einer Laune heraus geschrieben, um einem Freund gegenüber zu beweisen, wie leicht es ist, einen Hit zu verfassen. Und er soll Recht behalten. Hello Goodbye ist ein Hit und steigt am 9. Dezember auf Platz 1 der englischen Hitparade. Doch das Bild der dünn gewordenen, schläfrig wirkenden Beatles ist verheerend. Der einzige Vernünftige unter ihnen scheint Ringo zu sein, der robust wirkt und auf dem Schlagzeug einen fetten Rhythmus vorgibt. Am 1. Dezember fliegt Ringo nach Rom, um dort in dem Film Candy mitzuspielen. Es ist eine Parodie auf einen Sexfilm. Die Hauptperson Candy, gespielt von der vormaligen Miss Schweden, Ewa Aulin, scheint aus dem Weltall zu kommen. Sie taumelt in dem Film von 74 http://www.youtube.com/watch?v=Qf2S7kKLtEQ

182 Mann zu Mann. Der Film ist gespickt von Prominenten. Richard Burton, Charles Aznavour, Walter Matthau, James Coburn und Marlon Brando treten in dem Streifen auf. Ringo mimt den Gärtner, der von Candy in den Büschen verführt wird. Die Beatles versuchen sich nun neue Geschäftsbereiche zu erschließen. Am 7. Dezember öffnet die Apple Boutique in der Baker Street 94 in London. Die Firma Apple Music nimmt die erste Musikgruppe am 11. Dezember unter Vertrag. Sie heißt „Grapefruit“. Es sind vor allem John und Paul, die sich in dieser Zeit um die Firma kümmern, meist allerdings, ohne irgend etwas miteinander abzusprechen. So kann es schon passieren, dass in der Früh Paul in den Laden kommt und Regale aufstellen heißt, die John am Nachmittag wieder abreißen lässt. Das erste selbständige Gemeinschaftswerk der Beatles, der Film Magical Mystery Tour, wird am zweiten Weihnachtstag auf der BBC ausgestrahlt und von Kritikern arg verrissen. Man versteht einzelne Szenen nicht und vermisst eine Handlung. Der Fernsehkritiker des bekennt, noch nie so „einen Haufen Müll“ gesehen zu haben. Musikalisch aber funktioniert es für die Band weiterhin. Hello Goodbye steigt am 30. Dezember in den USA auf Platz 1 der Hitparade, während die LP Magical Mystery Tour in England auf Platz 2 kommt. Schon am 6. Januar 1968 ist die Platte in Amerika auf Platz 1.

183 1968

Dieses Jahr hat eine ganze Generation benannt. Einer der populären Sprüche, die man in dieser Zeit hört, lautet: Trau keinem über 30. Auch die Beatles gehören noch in diese Altersgruppe, doch der Unterschied zu den meisten anderen Menschen ihres Alters ist, dass sie ihre Karriere eigentlich schon hinter sich haben und dabei steinreich geworden sind. Die Beatles sind Vorruheständler, die noch nicht so genau wissen, wo ihr Leben hingehen soll. Das Jahr 1968 ist für sie – wie für ihre ganze Generation - eine Zeit des Experimentierens. In diesem Jahr werden für John, Paul und George die Weichen für die Zukunft gestellt. John wird in ihm seine Yoko finden und Paul seine Linda, und die neuen Familien, die sich hier heranbilden, werden die festen emotionalen Bindungen zwischen den vier Beatles aufbrechen und sie als Gruppe zerstören. George wird sich in diesem Jahr ganz der indischen Mythologie verschreiben und fortan dauernd von Sannyasins oder Krishnas umgeben sein. Für Ringo ist dieses Jahr eines, in dem ihm die Orientierung verloren geht. Er weiß nicht, wie sein Leben weitergehen wird. Er hat schon eine Familie mit zwei Kindern, hat aber von den Beatles noch am wenigsten erreicht. Er hofft, mit seiner Tätigkeit als Schauspieler eine zweite Karriere aufbauen zu können und verkehrt viel in Filmemacherkreisen. Ein guter Freund in dieser Zeit wird der Komiker Peter Sellars. Am 22. Januar 1968 eröffnet die ihre Büros an der Wigmore Street Nr. 95 in London. Wenig später wird sie in die Nr. 3 umziehen. Alle Beatles Platten erscheinen von nun an unter dem Label

184 Apple. Für Ringo ist das gut, denn er bekommt ein Viertel der Einnahmen von Apple, ist hier gleichwertiger Partner. Am 15. Februar 1968 fliegen John und George mit ihren Ehefrauen nach Indien. Sie wollen in Rishikesh mit dem Maharishi meditieren. Vier Tage später kommen Ringo und Paul mit ihren Partnerinnen nach. Während die Meditationsreise für John und George ein prägendes Erlebnis sein wird, hält Ringo es dort kaum zwei Wochen aus. Er trifft bereits am 1. März wieder mit dem Flieger in London ein und gibt bekannt, es sei dort so ähnlich gewesen wie in Butlin's Ferienlager, in dem er vor einigen Jahren noch als Musiker aufgetreten ist. Maureen hasste die Mücken, und Ringo hatte das Problem, dass er seit seiner Peritonitis in der Kindheit nur wenig Nahrungsmittel verträgt. George und die anderen haben sich darüber belustigt, als Ringo in Rishikesh mit einem Fass Bohnen auf dem Rücken aufgetaucht ist. Ein weiterer Faktor ist der, dass die Starkeys zu Hause kleine Kinder zurückgelassen haben und nicht so lange weg bleiben können wie die anderen Beatles. John, Paul und George schreiben in Rishikesh viele Lieder und meditieren jeden Tag mehrere Stunden. Vor allem aber sortieren sie dort ihre Beziehungen neu. John schreibt heimlich Briefe an Yoko Ono und wird mit ihr nach seiner Rückkehr eine Beziehung anfangen. Auch bei George verändert sich etwas. Er zieht sich in sich selbst zurück und wird für seine Frau emotional nicht mehr erreichbar. Für die Beatlesfrauen Cynthia Lennon und Pattie Harrison bedeutet Rishikesh Abschied und Neuorientierung. Paul und seine Verlobte Jane Asher, der er noch zu Weihnachten einen

185 offiziellen Heiratsantrag gemacht hat, kehren nach England mit dem Entschluss zurück, sich zu trennen. Am 29. Februar wird Sgt. Pepper's als Album des Jahres ausgezeichnet. Die von den Beatles produzierte Band Grapefruit veröffentlicht am 23. März ihre erste Single mit dem Titel Dear Delilah, die prompt auf Platz 21 in der Hitparade kommt. Platz 1 nimmt ein Lied der Beatles ein: . Am 20. April kommt diese Fats-Domino-Parodie in Amerika auf Platz 4. Geschäftlich läuft es für die Beatles zuerst einmal gut. Nachdem , ein junges Mädchen mit einer süßen Stimme, am 4. Mai in der Talente-Show auf ITV, Opportunity Knocks, gewonnen hat, macht Paul mit ihr einen Vertrag für das Apple Label. Die Beatles sind Unternehmer geworden. Am 15. Mai treten Paul und John in der amerikanischen Tonight Show auf NBC auf und sprechen über ihre Firma Apple. Sie soll alles vermeiden, was sonst Firmen auszeichnet. Künstler sollen sich dort frei entfalten können und alle Rechte haben. Nach dem Fernsehauftritt gibt es eine Party, und Linda Eastman ist dort, die Tochter eines New Yorker Anwalts. Als John und Paul am nächsten Morgen zum Flughafen fahren, sitzt Linda wie selbstverständlich neben Paul. John hält sie für eine der vielen Frauen, die die Beatles zu allen Zeiten umschwirren und hat noch keine Ahnung, dass diese Anwaltstochter bald mit aller Kraft daran arbeiten wird, Paul zu ehelichen und danach aus dem Komplex der Beatles herauszulösen. Am 30. Mai gehen die Beatles in das Studio, um ein neues Album aufzunehmen. Es wird ein Doppelalbum mit dem Titel The Beatles sein und unter dem Namen „Weißes Album“ bekannt werden. Es ist die musikalische Aufarbeitung des Indien-Trips. John hat sehr depressive Lieder beigesteuert wie den Yer Blues,

186 in dem er singt: Ich bin einsam und ich möchte sterben. Das Album dokumentiert den Zerfall der Beatles. Man erlebt nichts mehr von der Frische der frühen Jahre. Die Beatles wirken müde und orientierungslos. Es gibt aber auch zahlreiche Perlen auf dem Album, so dass viele Kritiker später sagen werden, das „Weiße Album“ sei ihr Liebstes gewesen. Längst sind die Beatles Kult geworden, eine Klasse für sich. Am 17. Juli kommt der Zeichentrickfilm Yellow Submarine75 in die Kinos, der sich um das Leben der Beatles dreht. Am Ende des Streifens treten die Beatles auch in natura auf und singen All Together Now, ein weiteres Kinderlied. Der Film ist ein Erfolg und auch eine gute Werbung für Ringo. Am 20. Juli tritt Jane Asher in der BBC-Sendung Dee Time auf und verkündet, dass ihre Beziehung mit Paul vorüber ist. Am 28. Juli 1968 machen die Beatles ihre letzte gemeinsame Foto-Session überhaupt. Tom Murray, einer der Fotografen an dem Tag, berichtet: „Yoko Ono war dabei und stand dauernd bei John. Sie begann gleich damit, zu bestimmen, was photographiert werden sollte und wie. Ein merkwürdiger Vorfall passierte dann bei Wapping an einem Flussufer. Paul hatte sich gerade aus Spaß an ein Gleis gekettet, als sich John plötzlich auf den Boden warf und die anderen schauten ihn an, als wäre er jetzt ohnmächtig geworden oder tot. Sie sahen sehr besorgt aus. Ich machte zwei Aufnahmen, in einer hatte John die Augen offen, in der anderen geschlossen. George hat auf einem Bild Johns Brille auf, die er schnell aufgehoben hatte. Es ist ein merkwürdiges Foto. Ich weiß nicht, warum wir es gemacht haben. Eine Sekunde steht John noch, dann ist 75 http://www.youtube.com/watch?v=ODNVo1o7w8M

187 er auf dem Boden. Ringo hat seine Hand auf seinem Kopf, und das war es. Als wir Wapping verließen, hörte man ein merkwürdiges Geräusch. Es waren hunderte und hunderte von Leuten, die auf uns zuliefen. Sie sahen die Autos und begannen zu kreischen. Später, vor Pauls Haus in St. John's Wood, standen vier Mädchen und als Paul mit seinem Mercedes dort aufkreuzte, fielen denen fast die Augen heraus. Sie weinten und schrien. Als dann alle vier Beatles ausstiegen, wurden sie hysterisch. Wir gingen hinein und tranken eine Tasse Tee. Paul hatte eine Art Tempel in seinem Garten, in dem man auf dem Boden sitzen konnte, und wenn man auf einen Knopf drückte, wurde man in die Kuppel hochgehoben.“ Innerhalb weniger Monate hat sich herumgesprochen, dass zumindest der Kleiderladen der Beatles, der durch eine große Wandmalerei auf der Außenfassade berühmt geworden ist, als Geschäftsmodell nicht funktioniert. Am 31. Juli schließt die Apple Boutique in der Baker Street mit großem Defizit. Im August hat sich Ringo von der Gruppe zurückgezogen, und macht mit Peter Sellars auf Sardinien Urlaub auf dessen Yacht Amelfis. Eines Tages verlangt Ringo – wie er es zuhause gewohnt ist – Fish and Chips. Statt Fisch bekommt er aber Tintenfisch. Ringo: „Es war in Ordnung, ein bisschen gummiartig und schmeckte nach Hähnchen.“ Der Kapitän erzählt ihm, dass Tintenfische über den Grund des Meeres wandern und dort Steine und glänzende Objekte sammeln, die sie zu eigenen Gärten aufbauen. Diese Geschichte wird später zur Inspiration für eine Komposition von Ringo für die Beatles werden, Octopus' Garden.

188 Für Ringo ist die Zeit nach der Rückkehr aus Rishikesh sehr schwer. Er hat den Eindruck: Die anderen Beatles haben sich von ihm zurückgezogen. Er hat das Gefühl, dass sie ihre musikalischen Pläne auch mit jedem anderen Drummer umsetzen könnten. Jeder tüftelt für sich und ruft sich dann Studiomusiker zusammen, wenn er eine Platte aufnehmen möchte. Die Beatles spielen immer seltener miteinander im Studio zusammen. Nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub merken die Beatles, dass Ringo überhaupt nicht mehr ins Studio kommt. Als jeder von ihnen anruft, um zu fragen, was los ist, John Telegramme schickt und George Blumen, kommt Ringo dann doch wieder zurück. John: „Ringo gab auf, weil er den Eindruck hatte, dass ihn die Gruppe nicht mehr brauchte und dass niemand mehr wusste, was er machte.“ Ringo: „Ich verließ die Beatles beim White Album. Ich musste gehen. Ich dachte, dass die anderen zusammen sind und ich nicht dabei wäre. Ich war einsam. Ich war traurig. Ich dachte auch, dass ich nicht spielen kann. Ich ging zu jedem hin und sagte: Hör zu, ich glaube, ich muss gehen. Ich schaffe das nicht. Aber dann sagte jeder zu mir: Ich hatte immer das Gefühl, ihr drei gehört zusammen und ich bin allein. Und als wir darüber gesprochen hatten, waren wir wieder beisammen. Das Thema hatten wir durch.“ Paul McCartney ist der Hauptschuldige an der Verstimmung. Ringo und er sind nie recht miteinander warm geworden. Jetzt aber versucht Paul mehr und mehr eigene Projekte zu verwirklichen. Für die anderen Beatles hat er dabei keinen Bedarf mehr. Ringo sagt nach seiner Rückkehr, er sei froh, von „drei frustrierten Drummern“ umgeben zu sein, denen die Kenntnisse für dieses Instrument fehlt. Trotzdem hat

189 Paul in seiner Abwesenheit bei Back In The U.S.S.R und Dear Prudence die Rolle als Drummer übernommen. : „Paul hatte damit begonnen, für viele seiner Lieder einfach eine eigene Schlagzeugtonspur einzuspielen.“ Längst hat sich herauskristallisiert, dass sich John, George und Ringo gut verstehen und Paul zunehmend isoliert dasteht. Das hängt vor allem damit zusammen, dass er versucht, die Lücke, die Brian Epstein gerissen hat, auszufüllen. Er ist der Animator der anderen Beatles und tritt dabei dominant auf. Zugleich aber ist Paul auch monomanisch, interessiert sich nur mehr für seine eigenen Lieder, benutzt die anderen nur mehr als Handlanger, um ein Album aufzunehmen, und verkapselt sich in sich selbst. Nach einer Woche Bedenkzeit kommt Ringo dann aber doch zurück und Mal Evans hat sein Schlagzeug mit Blumen dekoriert. Ringo damals: „Ich war eine Woche weg und danach war alles wieder gut. Paul ist der größte Bassist der Welt, aber er ist auch sehr eigensinnig. Er macht immer wieder weiter, bis er bekommt, was er will.“ George: „Keiner von uns hat vor 1968 daran gedacht, die Band zu verlassen. Auch mir ging es so während des White Album. Es waren so viele Lieder und es war in einer Zeit, die unter einem schlechten Vorzeichen stand. Es war schwierig, aber wir schafften das und dann war es in Ordnung. Wir waren fertig mit dem Album und jeder war erfreut, weil die Lieder gut waren.“ Ringos Frau Maureen unterstützt ihn fortan emotional bei den Plattenaufnahmen, ist fast so häufig im Studio

190 wie Yoko Ono und singt auch bei The Continuing Story of Bungalow Bill76 im Chor mit. Am 4. August hat Maureen Geburtstag und Ringo hat in diesem Jahr für sie ein ganz besonderes Geschenk: Eine Platte, die Frank Sinatra speziell für Maureen eingesungen hat. Maureen ist ein großer Fan von Sinatra und überglücklich. Das Lied heißt The Lady Is A Tramp77, und Sinatra singt auf der Platte einen auf Maureen gemünzten Text. Eigentlich ein etwas merkwürdiges Geschenk, denn Maureen wird nachgesagt, dass sie gerne etwas mit anderen Männern anfängt. Am 22. August reicht Cynthia Lennon die Scheidung ein, und gibt dabei an, dass Yoko Ono für das Scheitern ihrer Ehe mit John verantwortlich sei. John hat Cynthia im Frühjahr mit Freunden auf Urlaub geschickt. Als Cynthia nach Hause zurückkommt, sind da Yoko und John und vermitteln ihr das Gefühl, dass sie stört. Cynthia geht noch am gleichen Abend in ein Hotel und hat seitdem keine Stunde mehr mit John verbracht, der ganz im Gegensatz dazu mit Yoko 24 Stunden am Tag zusammen ist. Das geht so weit, dass John darauf besteht, dass Yoko mit ihm gemeinsam aufs Klo geht. Aber auch seine Lieder sollen von nun an Gemeinschaftswerke mit Yoko sein. Yoko bringt folglich auch bei den Plattenaufnahmen eigene Ideen ein, singt bei Jams mit und schreit dabei vor allem, weil das etwas ist, das sie als therapeutisch empfindet. Die anderen Beatles weigern sich aber, ihren musikalischen Beitrag auf Platte zu pressen. Und selbst John wird sein Werk bei den bald folgenden gemeinsamen Veröffentlichungen dann doch lieber fein säuberlich

76 http://www.youtube.com/watch?v=FMD9XH4v068 77 http://www.youtube.com/watch?v=_VJY97l0jVA

191 von dem ihren trennen. Selbst wenn Yoko bei so erfolgreichen Liedern wie Imagine für einen Großteil des Textes verantwortlich ist. So darf es nicht weiter verwundern, dass Yoko von vielen früh als die Frau empfunden wird, die einen Keil zwischen die Beatles treibt. Eigentlich aber ist sie ein Werkzeug in den Händen von John, der sie benutzt, um sich von Paul innerlich lösen zu können. Und auch der hat mittlerweile jemanden gefunden, der ihn aus der mittlerweile erstickenden Partnerschaft mit John herausholt. Linda Eastman ist jetzt schon immer wieder einmal im Plattenstudio, und stärkt Paul den Rücken, der sich auch gleich ein Aufnahmegerät für sein Landhaus in Schottland kauft und dort mit Linda zu musizieren beginnt. Am 8. September treten die Beatles in der Sendung Frost On Sunday auf ITV auf und singen Hey Jude78. Das Lied wurde von Paul für Johns Sohn Julian aus Anlass der Trennung von Cynthia geschrieben. Es dauert sieben Minuten und zehn Sekunden und wird der längste Nummer 1 Hit aller Zeiten sein. Das Lied gehört zu den bekanntesten Beatles-Songs überhaupt, ist aber auch so etwas wie eine Botschaft von Paul an John, durch die er versucht, die enge Freundschaft und Schicksals-gemeinschaft mit John wieder aufzuwecken. Das Lied dokumentiert aber auch die musikalische Dominanz von Paul. Die anderen Beatles werden zumindest vor den Augen der Öffentlichkeit Hintergrundmusiker für McCartney. John und George haben keine große Freude an Balladen wie oder knackigen Pop-Songs wie Hello Goodbye. Sie wollen Rock'n'Roll. Doch das von ihnen

78 http://www.youtube.com/watch? v=GEKgYKpEJ3o&feature=fvst

192 propagierte Revolution79, in dem John eine politische Botschaft unterbringt, die in dieses Jahr passt, kommt in Amerika am 21. September nur auf Platz 12, während Hey Jude am 28. September mühelos an die Spitze geht und dort neun Wochen lang bleiben wird. Daraus lässt sich nur ein Schluss ziehen: Paul ist der Hitfabrikant, doch was er herausbringt, ist nicht dazu angetan, das Image der Beatles als Sprecher ihrer Generation zu stärken, wie John meint. So bewegen sich John und Paul emotional mehr und mehr auseinander. Am 18. Oktober werden John und Yoko in der Wohnung am Montagu Square 34, die sie von Ringo geliehen bekommen haben, verhaftet und auf die Paddington Green Polizeistation gebracht, weil sie sich geweigert haben, die Liegenschaft von der Polizei untersuchen zu lassen. Das Haus wird nachher trotzdem von Dach bis Keller durchkämmt und man findet dabei angeblich 219 Gramm Cannabis. John und Yoko kommen am folgenden Tag gegen Kaution frei. Der Fall wird bis zum 28. November vertagt. Die Nachwirkungen dieser Verhaftung werden John und Yoko über mehrere Jahre verfolgen und letztendlich eine Wiedervereinigung der Beatles behindern, da John zu dem Zeitpunkt die Vereinigten Staaten nicht mehr verlassen will, um kein Einreiseverbot auferlegt zu bekommen. Diese Tatsache ist umso trauriger, als sich später herausstellen wird, dass der Polizeibeamte, der die Verhaftung durchgeführt hat, die Drogen selbst in das Haus geschmuggelt hat, um die Beatles zu schädigen. John weiß, dass der „Drogenfund“ getürkt ist.

79 http://www.youtube.com/watch?v=CzCjGgrewYY

193 John: „Plötzlich war da ein Klopfen an der Tür und die Stimme einer Frau draußen und ich schaue mich um und sehe einen Polizisten am Fenster, der herein will. Wir waren gerade im Bett und unsere Schamteile lagen frei. Yoko lief ins Badezimmer, um sich anzuziehen und streckte gleich wieder den Kopf heraus, damit die nicht dachten, sie wolle etwas verstecken. Ich sagte: Ruf den Anwalt an, schnell, aber sie wählte die Nummer von Apple. Ich werde nie herausfinden, warum. Das Ganze war vorausgeplant. Der Daily Express war schon da, bevor die Polizei kam. Schon drei Wochen zuvor hatte mir Dan Short, der Reporter dort, gesagt: Sie werden euch schnappen. Deshalb hatte ich das Haus schon leer geräumt, weil Jimi Hendrix vorher hier gelebt hatte und ich bin nicht dumm. Ich habe das ganze verdammte Haus durchsucht.“ Am 9. wird die Scheidung zwischen den Lennons ausgesprochen. Scheidungsgrund: Eheliche Untreue von John mit Yoko Ono. Am 28. November erklärt sich John schuldig im Drogenverfahren, da ihm keine andere Wahl bleibt. Er wird wegen Besitz von Cannabis mit einer Geldstrafe von 150 Pfund belegt. Am 7. Dezember 1968 erscheint das „Weiße Album“ der Beatles und kommt sofort auf Platz 1 der englischen Hitparade. Es ist die erste LP, auf der die Beatles nicht alle zusammenspielen, sondern einzelne Arbeiten der Musiker vereint werden. Am 28. Dezember erreicht das „Weiße Album“ auch die Spitze der amerikanischen Charts. Auf Platz 5 steigt ein etwas albernes Lied mit dem Titel I'm The Urban Spaceman80 ein. Es ist Paul, der es geschrieben und produziert hat unter dem Pseudonym Apollo C. 80 http://www.youtube.com/watch?v=jkqudyn1V6U

194 Vermouth. Die Botschaft ist klar: Paul möchte mit Hits Geld verdienen. Das kann er aber nur, wenn nicht jede kreative Tätigkeit mit der Apple Corps. verbunden ist. Paul und Linda sind nicht mehr gewillt, das schöne Geld, das Paul verdient, mit den anderen Beatles zu teilen.

1969

Dieses Jahr dokumentiert die Auflösung der Beatles. Am 2. Januar 1969 beginnen Dreharbeiten zu einem neuen Film der Beatles in den Twickenham Film Studios. Paul hat das Projekt angeregt. Es sind Proben der Beatles, die hier öffentlich gemacht werden sollen. Die Idee des Films, der heißen soll, ist die, den gesamten kreativen Prozess der Entstehung eines Beatles-Albums sichtbar zu machen. Die Idee ist gut gemeint, doch schon innerhalb weniger Tage wird dabei offensichtlich für alle, dass sich die Beatles nicht mehr verstehen. Dass sie lustlos sind und besonders George Paul überhaupt nicht mehr ertragen kann. In dieser Zeit wird eine Feindseligkeit zwischen den beiden gesät, die sich nie mehr wirklich auflösen wird. Ringo wird lange Jahre darüber trauern, dass es die Beatles nicht mehr gibt. John wird in Zeiten, in denen er sich von Yoko löst, wieder daran denken, mit den anderen zu arbeiten. Paul wird in kreativen Krisen die anderen zu Jams einladen. Doch George wird vom Anfang 1969 an mit Paul nie mehr zusammenarbeiten wollen und dadurch eine Wiedervereinigung der Beatles verhindern.

195 Am 10. Januar 1969 verlässt George nach einem Streit mit Paul mittags in der Kantine ganz offiziell die Beatles. Ringo: „George musste weg, weil er den Eindruck hatte, dass Paul ihn beherrschen will. Der Regisseur des Films mochte vor allem Paul, und uns nicht so sehr. Deshalb ist Let It Be auch Pauls Film geworden.“ George: „Diese Zeit war das absolut Letzte für mich. Normalerweise hätte mich das alles nicht so gestört, und um meine Ruhe zu haben, hätte ich Paul machen lassen sollen, selbst wenn das Ergebnis war, dass meine Lieder nicht auf die Platte aufgenommen wurden. Aber dann begann Paul auch noch vor laufender Kamera zu kritisieren, wie ich spielte. Im Film kommt das so vor, dass wir uns streiten und dann versöhnen wir uns und in der nächsten Szene kreischt Yoko ihre Nummer. Das war aber, als ich längst zuhause war und Wah Wah schrieb. Ich hatte von dem Ganzen ein Wah Wah bekommen, Kopfweh.“ George Martin: „Paul versuchte, alles zusammen zu halten, und jedem zum sagen, was er zu tun hatte und tat das von oben herab. Das haben die anderen Jungs nicht vertragen. Aber es war der einzige Weg, um überhaupt noch was zustande zu bringen. John schwebte jedes Mal einfach mit Yoko davon, und George sagte, dass er keine Lust hatte, überhaupt noch aufzutauchen.“ Als George an diesem Tag des Streits weg ist, kommen die anderen und Yoko betrunken ins Studio zurück. John wirkt relativ gelassen, als ihm gesagt wird, dass George die Beatles verlässt und reagiert mit unterkühlter Aggressivität: „Wenn er Montag oder Dienstag nicht kommt, dann fragen wir, ob Eric Clapton bei uns mitspielen will. Eric wird sich freuen.

196 Er hat das Format, bei uns mitzuspielen. Die Frage ist nur, ob wir uns dann noch Beatles nennen sollen, wenn George nicht mehr dabei ist. Ich bin aber dafür.“ Michael-Lindsay Hogg, der Regisseur von Let It Be: „Für die Show könnte man sagen, dass er krank war.“ John: „Wenn er geht, dann geht er.“ Hogg: „Wie seht ihr das, wollt ihr weitermachen?“ John: „Ja. Wenn er bis Dienstag nicht da ist, holen wir Clapton.“ Am 12. Januar treffen sich die vier Beatles im Haus von Ringo, aber George verlässt das Treffen plötzlich aus einem Groll gegenüber Paul heraus und fährt nach Liverpool. Auch Ringo muss bald weg, weil er im Film Magic Christian mitspielen soll, weshalb die restlichen Beatles überlegen, auch Ringo mit Ginger Baker, dem Drummer von Cream, zu ersetzen. Die Idee, die Beatles mit der damaligen Superband Cream zu verschmelzen, ist aus Johns Sicht sehr reizvoll, denn er mag den harten Rock, den Eric Clapton, Ginger Baker und Jeff Bruce spielen81. Am 14. Januar proben die drei Beatles gerade Get Back, als es Ringo schlecht wird und er das Studio verlassen muss. John ruft ihm höhnisch nach: „Es war schön, mit dir zu arbeiten, Ringo!“ Ringo leidet darunter, dass Yoko John so sehr in Beschlag nimmt. Ringo: „Ich mochte sie nicht, weil sie mir meinen Freund wegnahm.“ Magic Christian ist der erste Film, der im Umfeld von Apple entstand und für Ringo geschrieben wurde. Peter Sellars spielt die Hauptrolle, Paul hat dafür das starke Lied Come And Get It82 geschrieben, das von der Apple-Band Badfinger gesungen wird und schon stark

81 http://www.youtube.com/watch?v=Cqh54rSzheg 82 http://www.youtube.com/watch?v=5i-00qey80w

197 an Pauls Hits mit den Wings erinnert. Aus dem Umfeld von George kommen John Cleese und Graham Chapman, die später gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Komikertruppe Monty Python mehrmals mit George als Produzenten zusammenarbeiten werden. Der Film wird von schwarzem Humor dominiert und die Handlung zerfasert in zahlreiche Episoden. Er ist in den Kinos kein Erfolg. Am 18. Januar war ein Konzert der Beatles im Roundhouse in London vorgesehen. Da George nicht mitspielt, muss das Konzert ausfallen. Am 30. Januar gehen die Beatles, verstärkt durch , auf das Dach des Apple Gebäudes in der Savile Row und spielen Lieder von ihrem neuen Album. Stephen King, der Chefbuchhalter der Royal Bank of , ruft schließlich die Polizei wegen des Lärms und die Beatles müssen das Konzert abbrechen. Nach Get Back hört man im Hintergrund eine Frau enthusiastisch applaudieren und Paul sagt: „Thanks, Mo.“ Es ist Maureen Starkey, die gekommen ist, um die Beatles aufzumuntern. Nach dem Konzert schickt Paul Ringo eine Postkarte, auf der zu lesen steht: „Du bist der beste Drummer der Welt, wirklich.“ Wie gut ist Ringos Schlagzeugspiel wirklich? Kollege Steven Smith schreibt in seiner Eloge auf Ringo: „Bevor Ringo die Bühne betrat, wurden Schlagzeuger danach bemessen, wie gut sie technisch waren, wie virtuos sie spielten. Weil Ringo so populär war, hat sich die Einstellung des Publikums zum Drummer geändert. Er wurde zum gleichberechtigten Musiker und zu einem, der nicht nur mitspielt, sondern auch mitkomponiert. Was an Ringo besonders ist: Er hat bei

198 jedem Lied komponiert, und das in einem so unverwechselbaren Stil, dass man auch seine Schlagzeugspur allein hören kann und weiß trotzdem, welches Beatles-Lied das ist.“ Ringo – da sind sich viele Experten einig - hat viel zur Schlagzeugtechnik des Rock beigetragen. Als Beispiele werden von anderen Drummern das Tieferstimmen von Trommeln genannt, die Verwendung von kleinen Schalldämpfern beim Spiel auf den Becken und den Matched Grip, die parallele Handstellung beim Schlagen. Ringo war auch einer der ersten Drummer, der Teile des Schlagzeugs nach oben schraubte, um vom Publikum gesehen zu werden. Am 3. Februar wird Allen Klein vor allem auf Druck von John zum Manager der Beatles bestimmt. Paul hatte für diese Rolle eigentlich seinen künftigen Schwiegervater vorgesehen, der fortan aber Anwalt der Beatles wird. Yellow Submarine, die Filmmusik zu dem Zeichentrickfilm, steigt am 8. Februar in England auf Platz 3 der Hitparade. George Martin hat einen Großteil davon geschrieben, aber auch 6 Lieder der Beatles finden sich darauf. Die LP gelangt am 1. März in Amerika auf den ersten Platz. Am 12. März 1969 heiratet Paul Linda Eastman im Marylebone Register Office. Die anderen Beatles sind nicht geladen. Den Behörden ist das aber nicht bekannt. Sie nehmen an, dass die Beatles geschlossen im Standesamt sein werden und wollen unterdessen bei George ungestört eine Hausdurchsuchung durchführen, stoßen aber auf George und seine Frau Pattie. Man findet bei der Gelegenheit ein paar Gramm Marihuana. Am 20. März 1969 heiratet John seine Yoko Ono im britischen Konsulat auf Gibraltar, einer Kronkolonie,

199 auf der die rechtlichen Bestimmungen weniger strikt sind als zuhause. Ab jetzt sind John und Paul fest in Händen von Frauen, die beide ein Exklusivrecht auf ihren Mann beanspruchen. Die Beatles als Gruppe sind damit offiziell zerfallen. Linda wird von nun an daran arbeiten, Paul auch geschäftlich von den anderen Beatles abzulösen, während Yoko John in ihre künstlerischen Projekte einbezieht und dabei auch hofft, durch seine Prominenz größere Breitenwirkung als Fluxus-Künstlerin zu entfalten. Als Auftakt dazu veranstalten John und Yoko am 25. März ein „Bed-In“ im Hilton Hotel von . Dieses Happening findet sechs Tage lang statt und soll dem Weltfrieden dienen. Um seine Verschmelzung mit Yoko zu dokumentieren, ändert John am 22. April offiziell seinen Namen von John Winston Lennon auf John Ono Lennon. Die Zeremonie findet auf dem Dach des Apple Gebäudes statt. Die Single Get Back, ein Ausschnitt aus ihrem Konzert auf dem Dach des Apple-Gebäudes, erreicht am 26. April Platz 1 der englischen Hitparade. Am 8. Mai unterschreiben John, George und Ringo einen Dreijahresvertrag mit Allen Klein, der ihre Geschäfte managen soll. Doch Paul sträubt sich. Er möchte sich nicht weiter an die Beatles knüpfen, sondern ganz im Gegenteil alle Verträge auflösen. Paul damals: „Warum ich nicht bei Allen Klein unterschreibe? Weil ich ihn nicht mag und ich nicht glaube, dass er der richtige Mann für mich ist, selbst wenn die anderen ihn mögen. Da er nur drei Viertel der Beatles hat, vertritt er nicht die Beatles. Er ist zweifellos der Manager von John, George und Ringo, aber definitiv nicht mein Manager.“

200 Die erste Maßnahme von Allen Klein ist die, Angestellte zu feuern, darunter auch einige alte Freunde der Beatles. John ist damit zufrieden: „Er fegt mit dem eisernen Besen und hat dieses Altersheim der Hippies der Welt geschlossen. Jetzt werden Leute nicht mehr wertvolle Möbel auf unsere Kosten kaufen.“ Die wichtigsten Überlebenden der Entlassungswelle sind Neil Aspinall und Mal Evans. John und Yoko veranstalten am 26. Mai ein zweites „Bed-In“ in Montreal im Zimmer 1742 des La Reine Queen Hotels. Es dauert wieder eine Woche bis zum 2. Juni. John und Paul haben zu zweit eine Single mit dem Titel The Ballad Of John And Yoko aufgenommen, die am 14. Juni Platz 1 in den englischen Charts einnimmt. Es ist die letzte Single, die die Beatles veröffentlichen. In Amerika kommt am 12. Juli The Ballad Of John & Yoko auf Platz 8. Es herrscht hier eine flüchtige Kontroverse über den Gebrauch des Wortes „Christ“ in dem Lied, die dem Erfolg der Platte aber keinen Abbruch tut. Am 8. August werden die Beatles um zehn Uhr morgens dabei photographiert, wie sie einen Zebrastreifen vor den Abbey Road Studios kreuzen. Das Bild wird zum Cover-Bild des neuen Albums Abbey Road, das sie gerade aufnehmen – und das im gegenseitigen Umgang zwischen den Beatles übrigens weit ruhiger und disziplinierter, als das in den letzten Jahren der Fall war. Die Straße war kurze Zeit abgesperrt worden, um ungestört photographieren zu können. Am 20. August 1969 sind die Beatles das letzte Mal gemeinsam in einem Studio. Sie spielen I Want You (She's So Heavy).

201 Am 20. September schließt Allen Klein mit EMI eine Vertragsveränderung ab. Die Beatles sollen nun mehr Prozente vom Gewinn bekommen. Der Tag bringt aber auch einen Schock. John verkündet, dass er die Gruppe verlassen wird. George hat das Meeting versäumt, weil er seine kranke Mutter besucht hat. Paul: „Die Gruppe war sehr angespannt und es sah wie ein Auseinanderbrechen aus. Es ging nicht mehr um Musik, sondern nur mehr um das Geschäft.“ John: „Paul wollte, dass die Beatles dieses oder jenes tun, und ich sagte zu allem Nein.“ Paul: „Plötzlich schaute mich John an und sagte: Also, ich finde, dass du blöd bist, worauf es im Raum ruhig wurde. Er sagte: Ich wollte es dir zuerst nicht sagen, bis alles unterschrieben ist, aber wir hören auf. Klein möchte nicht, dass ich es dir sage, aber: Ich jedenfalls verlasse die Gruppe.“ John: „Es lief auf einen Punkt hin, wo ich etwas sagen musste, und Paul fragte mich: Was meinst du eigentlich? Und ich darauf: Ich meine, dass wir als Gruppe erledigt sind. Ich höre auf. Allen hat mich gebeten, nichts zu sagen. Aber jetzt ist es raus. Ich konnte es nicht zurückhalten.“ Paul: „Jeder schluckte einmal. Jetzt war es ausgesprochen. Jeder wurde blass, außer John, der sagte: Das ist ziemlich aufregend. Mir geht es so wie damals, als ich zu Cynthia gesagt habe, dass ich mich scheiden lassen will. Wir haben dann alle ganz benommen unterschrieben.“ John: „Paul und Klein waren froh, dass ich es nicht öffentlich verkünden würde. So konnte Paul so tun, als ob ich es nicht gesagt hätte.“

202 Mal Evans: „Das war das Ende. Das hat Paul schwer getroffen. Ich habe ihn heimgefahren und danach im Garten geweint.“ Am 23. September 1969 druckt der Northern Star, ein Universitätsblatt aus Illinois, einen Artikel, in dem über den Tod von Paul spekuliert wird. Er soll schon am 9. November 1966 bei einem Autounfall umgekommen sein. Die Radiostation in Detroit greift die Geschichte auf und man beginnt weltweit zu rätseln, was es damit auf sich haben könnte. Hugh Farmer, ein Journalist der Sunday People, fährt dann zu Pauls Farm in Campbeltown in Schottland, der ihn an der Tür mit den Worten empfängt: „Schaue ich tot aus? Ich fühle mich großartig.“ Ringo hat die Zeichen der Zeit erkannt. Ab jetzt wird er sich als Solo-Künstler durchschlagen müssen. Als ersten Schritt bittet er George Martin, ihm bei seinem ersten Soloprojekt zu helfen. Martin will wissen, was er machen möchte, und nach längeren Gesprächen verfallen sie auf die Idee, Lieder zu vertonen, die schon Ringos Eltern gefallen haben. Ringo fragt in der Familie bei Onkeln und Tanten nach, welche Hits ihnen in ihrer Jugend besonders wichtig erschienen sind. Auch andere Freunde von Ringo, darunter Quincy Jones, der später als Plattenproduzent und Komponist selbst große Berühmtheit erlangen wird, Maurice Gibb von den – und Paul McCartney wirken bei der Produktion des Albums mit, das ein halbes Jahr später innerhalb weniger Tage aufgenommen werden wird. Das neue Album der Beatles, Abbey Road, kommt in England und den USA im November auf Platz 1 und wird in beiden Ländern dort 11 Wochen lang bleiben.

203 Come Together83 und Something84 sind auf einer Single vereint worden und erreichen nur Platz 4 in England, die erste Single der Beatles seit Love Me Do, die nicht Platz 1 erreicht hat. Trotzdem wird Something, eine Komposition von George, eine der erfolgreichsten Lieder der Beatles überhaupt werden. Frank Sinatra bezeichnet es als das „größte Liebeslied der letzten 50 Jahre“. Das Album beinhaltet auch eine Eigenkomposition von Ringo: Octopus' Garden85, bei dem er auch Leadstimme singt. Es ist die erste und einzige Komposition von Ringo für die Beatles, die unter den Fans großen Zuspruch erlangt und für Ringo im Laufe der Jahre viel Geld einspielen wird. George hat ihm dabei geholfen, auch weil John und Paul sich, wenn es um das Komponieren geht, nur ungern um die anderen Bandmitglieder kümmern. „Es ist so friedlich“, sagt George dazu, „ich glaube, dass Ringo kosmische Musik schreibt, ohne das überhaupt zu wissen.“ Im Film Let It Be gibt es eine Szene, in der man sieht, wie George mit Ringo an dem Song arbeitet. Beatles Monthly muss nach 77 Heften eingestellt werden, weil sich die Beatles nicht mehr für gemeinsame Unternehmungen zur Verfügung stellen.

83 http://www.youtube.com/watch?v=N8LZGQ4MkvQ 84 http://www.youtube.com/watch?v=xzkhOmKVW08 85 http://www.youtube.com/watch?v=CUFcfXgW_dQ

204 1970

Ringo nimmt im März innerhalb weniger Tage sein erstes Soloalbum auf, auf das er seit einem halben Jahr intensiv hin gearbeitet hat. Es heißt Sentimental Journey und bedeutet eine drastische Abkehr von allem, wofür die Beatles bislang gestanden haben. Ringo entwickelt hier einen eigenen Stil, der später auch während den Tourneen mit seiner „All Starr“ Band hervortreten wird – eine Vorliebe für alte Hits, Country- Balladen und Schnulzen, aber auch Rock'n'Roll- Nummern der 1950er Jahre. Im Rahmen der Vorarbeiten hat er auch ein Lied komponiert mit dem Titel It Don't Come Easy, eine seiner erfolgreichsten Singles überhaupt. Er nimmt sie bereits im März 1970 im Rahmen der Studioarbeiten auf, wird sie aber erst im nächsten Jahr veröffentlichen. John hält Ringos Aktivitäten für unter jeder Kritik, aber er lässt ihn aus Freundschaft gewähren. Auch bei den Zeitungen kommt die Platte nicht besonders gut weg. Doch die Tatsache, dass hier ein Beatle eine Platte veröffentlicht hat, reicht aus, um sie bis auf Platz 7 der englischen Hitparade aufsteigen zu lassen. Let It Be, ein Lied von Paul, das noch unter dem Namen der Beatles herauskommt, gelangt in England auf Platz 2. Phil Spector wird am 23. März 1970 dazu beauftragt, noch ein Beatles-Album zusammenzumischen. Es soll die Popularität des gegenwärtigen Hits ausnutzen, Let It Be heißen und dabei übrig gebliebene Aufnahmen der Beatles, die sie nicht für Soloproduktionen gehortet haben, auf einer Platte vereinen. Die Beatles selbst kümmern sich um diesen Material nicht mehr. Als Spector dem Lied The

205 Long And Winding Road Streichermusik und einen Chor beimischt, ärgert das Paul, wie er später bekennt. Das Resultat hat mit dem Stil der Beatles nur mehr wenig gemein. Ringo wird am 1. April in das Studio gerufen, um noch drei Schlagzeugspuren beizutragen. Ringo: „Es war das eine merkwürdige Zeit für uns, weil wir alle nichts machten und das Album noch verbessert werden musste, und Phil Spector wollte das machen, aber er brauchte unsere Zustimmung.“ John: „Er hat wie ein Schwein daran gearbeitet. Er wollte immer schon mit den Beatles arbeiten und er bekam von uns den größten Mist, der auch noch Scheiße aufgenommen war und unter schrecklichen Bedingungen und er machte etwas daraus. Ich fand es sehr gut.“ Ringo: „Am Anfang sagte sogar Paul Ja, bis er es hörte. Ich war mit ihm am Telefon und fragte ihn: Magst du es? und er: Ja, es ist in Ordnung. Er hat sich nicht darüber aufgeregt, und dann, plötzlich wollte er nicht mehr, dass es veröffentlicht wird. Das war zwei Wochen später.“ Ende März kommen die Streitigkeiten zwischen Paul und den übrigen Beatles auf den Höhepunkt. Paul kündigt an, dass er seine erste Solo-LP auf den Markt bringen will. Sie soll McCartney heißen und ist eine Sammlung von Liedern, die Paul in Schottland auf seinem Anwesen, das er einen großen Teil des Jahres mit Linda und seiner kleinen Tochter bewohnt, aufgenommen hat. Darunter befindet sich zwar der spätere Hit, der mit den Wings assoziiert und zu Pauls erfolgreichsten Liedern gehören werden, Maybe I'm Amazed86, ein Liebeslied für Linda. Sonst aber ist auf

86 http://www.youtube.com/watch? v=6Gs0XaUabCc&feature=related

206 dem Album viel Spielerei, die an das Weiße Album erinnert, und kein weiterer Hit. John sind Pauls Pläne zu Ohren gekommen. Er hält sich für den Bandleader der Beatles und ist verärgert über die „Mätzchen“, die Paul hier veranstaltet. Gegen Ringos Platte gab es keinen Ton, aber dass jetzt knapp vor der Veröffentlichung von Let It Be eine weitere LP in die Läden kommen soll, könnte schlecht für das Prestige der Beatles und von Apple sein. Meint zumindest John. Denn wenn sich eine LP von Paul besser verkaufen sollte als eine LP der Beatles, so sein Kalkül, dann wäre auch für die Welt offensichtlich, dass John, George und Ringo längst nur mehr Statisten eines Paul McCartney gewesen wären. In dieser Zeit gewinnt Ringo an Bedeutung für die anderen. John: „Wir hatten nichts dagegen, dass Paul das veröffentlicht, nur der Zeitpunkt hat uns nicht gefallen. Er hatte es trotzdem gemacht. Was wir missbilligt haben, war, dass er es herausgegeben hat, als Let It Be erschien und das könnte die Verkaufszahlen negativ beeinflussen. Wir wollten, dass Ringo mit ihm redet, der sich nie auf eine Seite geschlagen hat. Ringo ging also zum ihm hin und er griff Ringo tätlich an und begann ihn zu bedrohen und all das.“ Ringo: „John und George haben mich nicht geschickt. Sie haben ihm einen Brief geschrieben und ich fand es nicht gut, wenn irgendwer aus dem Büro Paul einfach den Brief gibt. Ich hatte damals keine Angst vor ihm. Aber er wurde sehr böse. Sein Soloalbum war ihm sehr wichtig. Er schrie mich an und zeigte auf mich. Er sagte mir, ich solle verschwinden. Er war verrückt, er wurde verrückt. Völlig außer Kontrolle, steckte mir immer wieder seine Finger ins Gesicht. Er wollte, dass ich meinen Mantel anziehe und gehe. Ich konnte nicht

207 glauben, dass das passiert. Ich hatte ja nur den Brief abgegeben. Ich sagte: Ich stimme mit allem überein, was in dem Brief steht, weil wir als Gesellschaft fungierten, nicht als Einzelpersonen. Ich hatte zwei Wochen zuvor gerade mein eigenes Album Sentimental Journey87 herausgebracht, was zeitlich günstiger war, aber ich musste es tun, weil sonst sein Album meine Verkaufszahlen ruiniert hätten.“ Paul: „Ringo kam auf Besuch und brachte zwei Briefe von George und John mit und sagte, das er ihnen zustimmen würde. Darin stand, dass meine Platte gestoppt war. Ich wurde sehr wütend, als mir Ringo sagte, dass Klein ihm gesagt hätte, dass meine Platte noch nicht fertig wäre und dass zuerst Let It Be herauskommen würde. Ich wusste, dass beides falsch war und sagte: Wenn ihr mich runter zieht, dann ziehe ich euch runter! Womit ich ausdrücken wollte, dass ich ihnen alles heimzahlen würde.“ Am 1. April veröffentlichen John und Yoko eine scherzhaft gemeinte Presseerklärung, bei der sie verkündigen, gemeinsam eine Geschlechtsumwandlungsoperation durchführen zu lassen. Tatsächlich aber beschließen sie, bei Dr. Arthur Janov, einem amerikanischen Psychologen, der in London eine Privatklinik betreibt, eine Urschrei- Therapie zu beginnen. John hat Dr. Janov am Vortrag Yoko in vorgestellt, weil er das Buch, dass ihm Janov vor einigen Wochen ungefragt zugeschickt hat, gelesen hat. Die Therapie kommt den beiden auch gelegen, weil Tittenhurst Park gerade umgebaut wird. John: „Janovs Buch kam mit der Post und hat mich interessiert, weil es Urschrei hieß. Yoko hatte schon 87 http://www.youtube.com/watch?v=EOZhHB4b3nY

208 eine ganze Weile geschrien. Schon dieses Wort, der Titel, ließ mein Herz höher schlagen. Dann las ich die Patientenberichte: Ich bin Charlie So-und-So, ich habe das mitgemacht und das ist mir passiert. Ich dachte: Das bin ich. Das bin ich. Wir lebten in Ascot und es gab jede Menge Scheiße, die wir ertragen mussten. Und diese Leute sagten, dass sie diese Therapie gemacht und alles herausgeschrien hätten und danach wäre es ihnen besser gegangen, also dachte ich mir, versuch's. Man wird dort so lange gereizt, bis man mit diesem Schreien anfängt. Sie ermuntern dass, dass man einen psychischen, geistigen, kosmischen Durchbruch mit diesem Schrei erlebt.“ Am 9. April 1970 wird für die Welt der Bruch zwischen den Beatles öffentlich, als Paul zeitgleich mit der Veröffentlichung von Let It Be sein Solo-Album herausgibt, obwohl ihm das von den anderen Beatles „verboten“ worden war. Darüber hinaus verkündet Paul, dass er die Beatles verlässt. Paul ruft John in der Klinik an und informiert ihn über sein Soloalbum, sagt aber nichts davon, dass er nicht mehr zu den Beatles gehören wird. John: „Paul sagte zu mir, ich mache jetzt das, was du und Yoko letztes Jahr gemacht habt. Ich verstehe jetzt, was euch dabei bewegt hat, der ganze Mist. Ich sagte zu ihm: Viel Glück dabei und tschüss.“ Am folgenden Tag erscheint ein Interview mit Paul, indem er die Zusammenarbeit mit den Beatles offiziell beendet. Die Reporter erreichen John in der Klinik und befragen ihn, der gerade über Zeichnungen sitzt, über die Sache, und John sagt: „Schreibt, dass ich ironisch zur Antwort gab, er hat nicht bei uns aufgehört, sondern ich habe ihn gefeuert.“ In einem Interview mit legt John nach: „Ich sage Ihnen, was Sache ist. John, George und Ringo sind jeder seine eigene

209 Persönlichkeit. Wir reden nicht mit Paul oder über Paul oder was immer. Aber wir reagieren darauf, was er macht. Paul wollte immer seinen eigenen Kopf durchsetzen, deshalb veranstaltet er jetzt dieses Chaos. Paul war genauso, als Brian Epstein zu uns kam. Er hat getrotzt und weiß Gott was noch. Schon damals war es wie jetzt, nur wirkt jetzt alles bedeutsamer, weil wir mehr Bedeutung haben als damals.“ Als nun das Kind in den Brunnen gefallen ist, will es keiner gewesen sein. Keiner der Beatles oder ihrer Angehörigen übernimmt die Verantwortung für den Zusammenbruch der Beatles. John später: „Ich habe geflucht, weil ich es nicht gewesen war, der es getan hat. Ich wollte es tun und sollte es tun. Ach Scheiße, was für ein Idiot ich war. Wir waren alle verletzt, weil er uns nichts davon gesagt hatte. Er sagt, er hätte es nicht so gemeint, aber das ist Mist! Ich hatte die Beatles schon vor langer Zeit verlassen wollen, aber ich hatte nicht den Mut dazu, weil ich nicht wusste, wo ich dann hin sollte, und was Yoko für mich getan hat, war, mich aus dieser Situation zu befreien.“ Hier gibt John also zu, Yoko als Sündenbock für die Trennung mobilisiert zu haben. Yoko später: „Ich habe das gehasst, dass man mir die Schuld dafür gegeben hat, dass sich die Beatles getrennt haben. Ich war dafür nicht verantwortlich. Es war Johns Entscheidung, nachdem Ringo und dann George ihm gesagt haben, dass sie aufhören wollen. Er hat sie dazu überredet, sich das noch einmal zu überlegen und dann hat er seine Meinung geändert. Er wollte sagen: Ich habe diese Gruppe gegründet und ich erkläre sie auch für beendet. Zuletzt aber war es Paul, der darüber gesprochen hat. John war wütend darüber,

210 weil Paul gerade sein erstes Soloalbum veröffentlicht hatte und John dachte, dass der das nur wegen der Publicity macht.“ Linda McCartney: „Ich weiß, dass ich es nicht war, die die Beatles zerstört hat. Ich habe sie angefleht, zusammen zu bleiben. Es hat mir das Herz gebrochen, zu sehen, wie aufgeregt Paul darüber war, dass sie keine Band mehr waren und dass er sich nutzlos fühlte und verbraucht.“ Paul empfindet die Trennung von John wie jemand, mit dem ein Liebhaber Schluss gemacht hat. Paul: „Als es klar war, dass es die Beatles nicht mehr gab, bekam ich Entzugserscheinungen und hatte ernsthafte Probleme. Ich dachte mir: Scheiß auf alles! Ich stehe überhaupt nicht mehr auf, stelle keinen Wecker mehr. Anstatt mich morgens zu rasieren, habe ich mit dem Trinken angefangen. Mir war alles egal, so als ob eine Familientragödie passiert wäre und ich würde trauern. Und das tat ich auch.“ Hätten die Beatles aber länger bestehen können? Ihr Pressesprecher meldet hier deutlichen Zweifel an. Derek Taylor: „Paul hat nicht die Beatles verlassen, und auch Ringo, George und John nicht. Die Beatles waren irgendwann einmal einfach nicht mehr da. Das hat nichts mit Linda oder mit Yoko zu tun.“ George wird von der Presse gefragt: „Mir kam es so vor, als gäbe es eine Feindschaft zwischen Yoko und Linda. Hat das damit zu tun?“ Hier könnte George antworten: Eigentlich liegt es an mir. Ich habe keine Lust mehr dazu, mit Paul zusammenzuarbeiten. Und er könnte der Presse auch sagen, dass er Paul gegenüber erklärt hat, mit ihm nie wieder spielen zu wollen. Stattdessen aber sagt er: „Das weiß ich nicht. Ich mische mich bei so was nicht ein.

211 Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna, Krishna, Hare, Hare. Es wird alles gut werden. Gib ihnen Zeit, weil sie lieben sich eigentlich. Wie wir alle. Ich komme mit Ringo und John gut aus und ich bemühe mich auch, mit Paul auszukommen.“ Paul: „Nach all dem, was wir miteinander erlebt hatten, dachte ich, dass sie wussten, wer ich war. Ich finde, wir haben uns damals gegenseitig ziemlich schlimm behandelt. Ich habe John angerufen und er sagte: Lass mich in Frieden. Ich habe George angerufen und er hat geflucht und mich beschimpft, gar nicht Hare Krishna mäßig. Wir waren einfach nicht mehr normal miteinander.“ Am 20. Mai wird der Film Let It Be in die Kinos gebracht. Ringo ist damit nicht zufrieden, denn zu deutlich wird Pauls Einfluss auf den Schnitt sichtbar. Der auch von Paul angeregte Film stellt ihn als zentrale Figur der Beatles dar, lässt ihn sympathisch wirken und erlaubt ihm vor allem in der langen Einstellung, in der er Let It Be singt, den Zuschauer für sich einzunehmen. Ringo: „Es sollte von jedem 25 Prozent drin sein, und ich komme nur in zwei Einstellungen vor. Ich habe viel Lustiges für den Film gemacht. Ich lief herum, versteckte mich und machte Witze, aber sie haben davon gar nichts verwendet.“ John: „Es gab einige Jam Sessions mit Yoko und den Beatles, die nicht in dem Film aufgenommen wurden. Der Film wurde von Paul für Paul gemacht. Das ist einer der Hauptgründe, warum die Beatles sich getrennt haben. Ich weiß nicht, wie George das sieht, aber wir hatten die Schnauze voll, die Studiomusiker von Paul zu sein.“ Während John mit seiner „“ beschäftigt ist, nimmt George die Gelegenheit wahr,

212 selbst ein Soloalbum aufzunehmen. Er hat viele Songs im Repertoire, die John und Paul als nicht gut genug für eine Beatles-LP empfanden. Das Album , das im November erscheinen wird, beinhaltet drei LPs und ist mit dem Produzenten Phil Spector aufgenommen worden, der auch Let It Be geschnitten hat. Es wird ein Riesenerfolg werden. Paul später: „John sagte zu mir: George ist ein angesagter Junge, aber was kommt nach diesem Album? Er wird es nicht übertreffen können, he he.“ Damit gemeint ist, dass George sehr langsam arbeitet, und genauer als Paul, der jeden Tag von Ideen überströmt. George: „John war damals ganz negativ eingestellt. Als das Album herausgekommen war, kam er einmal vorbei und sah es dort liegen und meinte: Der muss total verrückt sein, dass er drei Platten auf einmal herausgibt, und schau dir das Photo von ihm an, er sieht aus wie ein asthmatischer Leon Russell. Er kritisierte immer nur. Mir ging es so: Egal, ob es ein Flop werden würde oder ein Erfolg, ich wollte etwas Eigenes machen. Ich wollte meinen Seelenfrieden finden.“ Trotz aller Probleme und vorheriger Bedenken – vielleicht aber auch, weil das Auseinanderbrechen der Beatles die Menschen berührt – ist die LP Let It Be erfolgreich, kommt in England und den USA auf Platz 1. Es gibt allerdings auch durchaus kritische Stimmen, die sich auf Pauls Seite stellen, der Phil Spectors Arbeit öffentlich missbilligt hat. Der New Musical Express schreibt, dieser „Pappkarton an Grabstein“ sei „ein trauriges und abgetakeltes Ende“ für die Gruppe. Es beginnt nun eine Phase, in der keine Beatles-Platten mehr erscheinen, die Gewinne jeder Soloplatte aber in einen Topf kommen und somit jeder andere Beatle auch

213 beispielsweise an McCartney mitverdient. Die Verkaufszahlen von Pauls Platte lassen sich aber nicht mit dem Megaerfolg von All Things Must Pass von George vergleichen, dessen Hit My Sweet Lord ein Ohrwurm wird, der dauernd im Radio zu hören ist. Auch für die Öffentlichkeit wird klar erkennbar, dass John, Paul und George jeder für sich tolle Lieder schreiben können und die Fans passen sich der Spaltung der Beatles überraschend schnell an. Das Publikum kauft eben auch die Soloplatten, und weil alle einzelnen Beatles jetzt fleißig werden, vervielfachen sich ihre Verkaufserlöse. Die schlechte Stimmung aber, die diese Einzelgänge bei den Beatles selbst verursachen, treibt die einzelnen Beatles mehr und mehr auseinander. Der einzige Mensch, der immer wieder auf die anderen Beatles zu geht und sich mit keinem verkracht, ist Ringo. Er kann mit Yoko reden und mit Linda. So kann er immer wieder als Bindekitt dienen, was auch dazu führt, dass von ihm über mehrere Jahre Platten erscheinen werden, auf denen mehrere oder auch alle anderen Beatles mitgearbeitet haben. Doch ihr gemeinsamer harmonischer Gesang, der die Beatles berühmt gemacht hat, fehlt auf diesen Alben. Und Ringos Bemühungen haben leider nicht den Erfolg, die anderen wieder zusammen zu bringen. Er selbst fällt 1970 emotional in ein tiefes Loch. Ringo: „Ich ging in mein luxuriöses Heim nach Weybridge zurück und saß monatelang im Garten herum und fragte mich, was ich mit mir anfangen sollte. Mit den Beatles zu spielen war 10 Jahre lang mein ganzes Leben gewesen und das war jetzt vorbei und ich hatte nicht das Gefühl, dass es irgendetwas anderes für mich geben könnte. Die Auflösung der

214 Beatles war für mich mehr als für die anderen eine Gefühlssache. Wir waren so lange zusammen gewesen, und dann plötzlich hatte ich nichts mehr zu tun. Ich saß in meinem Garten und dachte: Mein Gott, was mache ich jetzt bloß? Ich war völlig verloren. Ich wollte nicht wieder mit einer anderen Band spielen. Ich war bekannter als jede andere Gruppe, bei der ich hätte mitspielen können. Ich habe mich versteckt, um dem Druck auszuweichen. Man sitzt zu Hause herum wie jeder andere auch. Man fährt nach London hinein oder geht einkaufen oder schaut sich einen Film im Kino an oder im Fernsehen. Ich fühlte mich krank und dann, eines Tages, sprang ich hoch und dachte: Zum Teufel, ich werde mich jetzt zusammenreißen, ich kann doch nicht für den Rest meines Lebens hier sitzen. Also machte ich eine Platte, was eine ziemlich schwache Aktion war, aber zumindest ein Anfang.“ Mick Jagger von den Rolling Stones über das Thema Beatles-Trennung: „Natürlich hätten die Beatles einen anderen holen können. Das wäre nicht unmöglich gewesen. Ohne Paul wären sie nicht die gleiche Band gewesen, aber vielleicht eine ebenso gute, etwas andere Band. John hat eine tolle Stimme und George auch eine ziemlich gute und sie hätten sich einen Bassspieler holen können, der auch Klavier kann oder so was. Ich glaube, dass sie gar nicht mehr zusammen spielen wollten, denn sonst hätten sie sich einen neuen Mann ins Team geholt.“ Am 15. Juni 1970 schreibt Pauls Schwiegervater Lee Eastman an Allen Klein einen Brief, in dem die offizielle Auflösung der Beatles gefordert wird. Im Juli sagt Paul zu der Presse: „John Lennon, George Harrison und Ringo Starr sind die ehrlichsten und anständigsten Menschen, die ich jemals getroffen habe.

215 Ich bleibe gerne ihr Freund, mir gefällt die Idee und ich habe nichts dagegen, mit ihnen musikalisch verbunden zu bleiben. Aber zuvor müssen wir unsere geschäftlichen Beziehungen überprüfen. Erst wenn wir finanziell wieder frei sind, können wir wieder frei aufeinander zugehen.“ Am 30. Juni und 1. Juli steht Ringo in Nashville in einem Tonstudio, um eine Westernplatte aufzunehmen. Die Musiker, die Lieder, all das ist bereits von Peter Drake, einem Country-Star, arrangiert worden. Ringo muss eigentlich nur anreisen, sich hinstellen und zu den Liedern singen. Mit weiteren Produktionsvorgängen hat er nichts zu tun. Und die Platte, die unter dem treffenden Titel Beaucoup Of Blues herauskommen wird, zeigt einen gereiften Künstler, der besser singt als je zuvor. Das Auseinanderbrechen der Truppe bedeutet für die Firma Apple Corps. nichts Gutes. Am 15. August erscheint in der Zeitschrift Disc & Music Echo ein Artikel über das verlassene Apple-Studio in der Savile Row Nr. 3, in dem es heißt: „Es fällt auf, dass man die Beatles überhaupt nicht mehr hier sieht. Paul war nie viel in den Büros, aber man konnte Ringo Starr oft auf der Treppe begegnen oder mit George ein paar Worte wechseln. Und auch die Lennons kamen hier oft vorbei. John und Yoko sind jetzt schon ewig in Amerika drüben, und George macht gerade einen Plattenaufnahmemarathon im Studio durch. Nur Ringo war manchmal da, aber es heißt, dass auch der freundlichste Beatle in letzter Zeit nicht mehr so gesellig ist wie ehemals. Ende des Jahres veröffentlicht Ringo sein Beaucoup Of Blues, die Westernplatte mit dem Nashville Musiker . Auf der Plattenhülle sieht man einen

216 schmalen Ringo mit Vollbart, der gerade bei einer Zigarettenpause photographiert wird. Der Titel, den man mit „Viel Traurigkeit“ übersetzen kann, soll eigentlich als Single herauskommen, doch Beaucoup of Blues88 ist kein Hit und die Platte insgesamt kein großer Erfolg. Ringo: „Das wurde gemacht, nachdem ich Pete Drake im Studio mit George getroffen hatte. Drake fiel auf, dass ich eine Menge Country-Platten im Auto hatte. Ich sagte zu ihm: Ich mag Country und er darauf: Warum machst dann nicht mal eine Country-Platte? Und ich: Nein, bloß nicht. Ich sitze doch nicht 6 Monate lang in Nashville herum, weil das war die Zeit, die man für so etwas üblicherweise brauchte. Er meinte dann: So lange muss das nicht sein. Ich habe mit Bob Dylan in zwei Tagen gemacht. Ich sagte: Du scherzt, oder? Wahrscheinlich hat es wenigstens 4 Tage gedauert. Jedenfalls sagte ich dann, klar, gerne würde ich das machen. Kannst du das organisieren? Wir gingen an einem Donnerstag ins Studio und hatten bis zum Freitag zehn Songs eingespielt. Ich glaube, dass ich noch nie so gut gesungen habe wie auf der Platte, weil ich so entspannt war. Zuerst war ich nervös und Pete sagte durch das Glas: Hoss, wenn du dich nicht locker machst, komme ich da rauf und trete dir auf die Zehen!“ Am 9. Oktober feiert John seinen 30. Geburtstag. Er trifft zu dieser Gelegenheit auf George und Ringo, die ihm als Geschenk das Lied It's Johnny's Birthday89 aufgenommen haben. Auch Ringo ist in diesem Jahr, am 7. Juli, dreißig geworden. Um seinen Geburtstag wird aber kein großes Aufhebens gemacht.

88 http://www.youtube.com/watch?v=QI-ep4XBf8w 89 http://www.youtube.com/watch?v=M1pXcMw-8Nk

217 Paul verklagt die Beatles am 15. November am Londoner Höchstgericht auf Auflösung der Band. Anfang Dezember fliegt George nach New York, um Paul zu treffen und mit ihm über den Gerichtsprozess zu reden. Sie kommen zu keiner Entscheidung. Paul ist nach dem Treffen noch stärker dazu entschieden, mit den Beatles nichts mehr zu tun haben zu wollen. John wird von Rolling Stone interviewt und sagt dabei: „Die Beatles sind Schweinehunde. Man muss ein Saukerl sein, um es zu schaffen, das stimmt einfach, und die Beatles waren die größten Saukerle, die es gibt!“ Über das neue Album von George meint er: „Es ist in Ordnung. Ich selbst würde diese Art Musik nicht spielen, aber ich möchte George nicht weh tun, deswegen sage ich darüber lieber nichts.“ Und über Pauls Album: „Das ist Mist! Ich glaube, wenn man ihm Druck gibt, würde er ein besseres machen.“ Und über Ringos Arbeit an meint John: „Es ist eine gute Platte. Ich würde sie nicht kaufen, aber es hat mich gefreut, dass sie besser war und ich musste mich nicht schämen wie über seine erste Platte, Sentimental Journey.“ Das Jahr wird für Maureen und Ringo auch deshalb bezeichnend, weil sie in ihm ihr drittes Kind erwarten. Am 17. November 1970 wird Lee, Ringos dritter Sohn, geboren. Am 31. Dezember 1970 verklagt Paul die Beatles. Er möchte die Auflösung der Firma Apple Corp., die Bestellung eines Sachwalters und die Entlassung des Managers Allen Klein. Die Klage kommt unerwartet und versetzt die übrigen Beatles in große Aufregung.

218 1971

Zu Beginn des Jahres treffen sich John, George und Ringo mehrmals, um die Abwehrstrategie gegenüber Paul vor Gericht zu besprechen. John: „Es gingen Wochen und Wochen hin, und George und Ringo wurden immer unruhiger und hatten keine Lust mehr darauf. Zuletzt sagte George: Jetzt ist Schluss, ich habe genug, es reicht! Es ist mir egal, wenn ich hier arm rausgehe. Ich gebe auf und Schluss.“ Am 19. Januar sagt Ringo vor dem Londoner Höchstgericht, das die Auflösung von Apple verhandelt, aus, Paul habe sich „wie ein verzogenes Kind“ aufgeführt. Ringo ist sichtlich enttäuscht, als er zu Protokoll gibt: „Er ist der größte Bassist der Welt, aber ich war schockiert und entsetzt, weil er uns ein Treffen im Januar versprochen hat und dann kommt diese Klage am 31. Dezember. Ich vertraue Paul und gehe davon aus, dass er dieses Versprechen einhalten will. Meine Sicht der Dinge ist die, dass wir vier uns zusammensetzen sollten und dass es uns gelingen wird, jeden zufrieden zu stellen.“ Im Prinzip geht es bei dem Ganzen um die Frage, wer ein Leistungsträger der Beatles ist und für die Apple Corps. Geld verdient. Paul und Linda sind der Meinung, dass er mit seinen eingängigen Balladen der große Umsatzbringer der Beatles war und seinen gerechten Anteil bekommen sollte. Und daran stimmt immerhin, dass Johns und Yokos Avantgardeaktionen im vergangenen Jahr mehr gekostet als sie der Firma eingebracht haben, und ihr erstes Soloalbum John Lennon/Plastic Ono Band ist auch ohne Hit geblieben. Hingegen hat George mit seinem neuen Album

219 ungleich mehr Geld in die Kasse gebracht, und auch Ringo hat 1970 für die Beatles viel Geld gemacht. Die Aussagen vor Gericht geben Einblicke in das Innenleben der Beatles. Johns schriftliche Aussage wird vor Gericht gelesen und geht so: „Nach dem Tod von Brian Epstein war Apple voll von Geschäftemachern und Abzockern. Die Angestellten kamen und gingen, wann sie wollten, und verschwendeten jede Menge Geld. Wir haben nachträglich erfahren, dass zwei Autos von Apple einfach verschwanden und dass wir ein Haus besaßen, von dem wir keine Ahnung hatten, wer es gekauft hatte. Einige Wochen nachdem Allen Klein auf meine Anordnung hin seinen Job übernommen hatte, spürte man schon erste Erfolge. Im Jahr 1969 wurde unfähiges und unnötiges Personal entlassen, und die Geschäftemacherei und großzügigen Spesenbankette kamen an ihr Ende. Ordnung und Disziplin kehrte in die Apple Büros ein. Wir vier bekamen nun monatliche Abrechnungen über unsere persönlichen Ausgaben, Abzüge von Rechnungen und auch, wenn notwendig, Erklärungen, Kontoauszüge und Einkommensnachweise. Es stimmt, dass wir ein sehr enges Verhältnis untereinander hatten, als wir auf Tourneen gingen, beruflich, wie auch privat, aber schon damals gab es auch viele Streitigkeiten, vor allem über musikalische und künstlerische Aspekte. Ich nehme an, dass Paul und George hier am meisten gestritten haben, aber es gab von allen von uns Gefühlsausbrüche und Drohungen, aus der Band auszusteigen. Deshalb haben wir es uns zu eigen gemacht, Probleme manchmal dadurch zu lösen, dass drei von uns für alle entscheiden konnten. Das war besonders in Fällen so, wo wir uns gemeinsam nicht einigen konnten, und bis zu den jüngsten Vorfällen hat das auch immer geklappt. Auch

220 nach dem Ende unserer Konzertreisen besuchten wir einander in London oder in der Umgebung von London und waren einander nahe wie immer. Paul hat hier sogar am Stärksten die Nähe der anderen gesucht. Aber es war schon von Anfang an in Liverpool so gewesen, dass George und ich musikalisch auf einer Seite standen und Paul auf der anderen. Paul wollte Pop spielen, und wir standen eher auf Underground. Da mag es Auseinandersetzungen gegeben haben, besonders zwischen Paul und George, aber nach meiner Ansicht ist daraus eher Positives entstanden, und diese Spannung hat zu unserem Erfolg beigetragen. Wenn Paul uns jetzt auseinanderbrechen will, weil irgendetwas passiert ist, bevor Klein und Eastman diesen Machtkampf begonnen haben, dann kann ich das nicht verstehen. Nach Mr. Epsteins Tod haben Mr. McCartney und ich im Besonderen versucht, die Firma Apple zu führen. Aber dabei mussten wir schnell erkennen, dass wir von Buchhaltung und sonstigem Geschäftsgebahren keine Ahnung hatten und außerdem zu stark mit unseren musikalischen Aktivitäten beschäftigt waren. Wir wussten, dass wir Platten verkauften, aber wir hatten keine Ahnung, wie wir finanziell standen und welche Verpflichtungen wir hatten. Also entschlossen wir, uns einen neuen Manager zu suchen und haben mehrere Leute vorsprechen lassen, aber es schien uns keiner für den Job geeignet. Ich hatte von Mr. Epstein von Mr. Klein gehört, dass er hart in der Sache wäre und das Geschäft kennen würde. Ich habe ihn den anderen Beatles vorgestellt. Wenn Paul jetzt behauptet, ich hätte ihm Klein aufgedrängt und die anderen gegen ihn aufgehetzt, dann hat er Unrecht. Mr. Klein war immer Herr der Lage. Die einzigen anderen Personen, die für den Job in Frage

221 gekommen wären, waren die Eastmanns, der Vater und der Bruder von Pauls Frau Linda. Ich war aber dagegen, dass jemand, der so enge Beziehungen zu einem einzelnen Beatle hat, der Manager für alle werden soll.“ Am sechsten Tag der Verhandlung widerspricht Paul direkt in einer Aussage vor Gericht der Darstellung von John: „Seitdem die Beatles keine gemeinsamen Plattenaufnahmen mehr gemacht haben, haben wir damit aufgehört, uns als gemeinsame Band zu sehen. Man muss sich nur anschauen, was John oder George veröffentlicht haben, um zu erkennen, dass keiner von beiden sich noch für einen Beatle hält. In seinem letzten Album führt John Lennon Dinge auf, an die er nicht mehr glaubt. Darunter heißt es auch: Ich glaube nicht an die Beatles. Als wir vier uns im Jahr 1967 auf eine Partnerschaft geeinigt haben, haben wir auf Einzelheiten im Vertrag nicht geachtet. Wir dachten, wenn einer die Gruppe verlassen will, darf er das auch. Ich streite es ab, dass wir Dinge über den Kopf eines Einzelnen entschieden haben. Wenn wir verschiedener Meinung waren, haben wir so lange miteinander geredet, bis wir uns einig waren oder wir ließen die Sache fallen. Ich streite es auch ab, dass die Eastmans Manager werden sollten. Ich wollte das zwar, aber als die anderen dagegen waren, habe ich den Antrag zurückgezogen. Mr. Lennon hat gesagt, dass Mr. Klein nie Zwietracht zwischen uns gesät hat. Aber mir fällt ein Telefongespräch mit Mr. Klein ein, in dem er mich gefragt hat: Weißt du, warum John wütend auf dich ist? Weil du im Film Let It Be so viel besser rüberkamst als er. Mr. Klein hat mir auch gesagt: Wer hier wirklich quer treibt, ist Yoko. Sie hat einen enormen Ehrgeiz. Ich frage mich, was John wohl dazu gesagt hätte, wenn

222 er diesen Satz gehört hätte. Wenn wir vier über eine Auflösung der Beatles gesprochen haben, war es Mr. Harrison, der gesagt hat: Wenn ich meinen Anteil in einem Briefumschlag bekommen könnte, wäre mir das am liebsten. Keiner der anderen Beatles scheint zu verstehen, warum ich so gehandelt habe, wie ich es getan habe. Die kurze Antwort darauf: Die Gruppe existiert nicht mehr, jeder hat jetzt seine eigene Karriere, und wir haben immer noch keinen klaren Zugang zu den Geschäftskonten und wissen nicht, wie viel Steuern noch zu zahlen sind. Keiner dieser Punkte wird von den anderen abgestritten.“ Am 23. Januar verlässt Peter Brown, ein langjähriger Vertrauter der Beatles, die Firma Apple, weil John den Eindruck hat, dass Brown Yoko abweisend behandelt hat. Brown hat John zur Begrüßung umarmt, aber zu Yoko nur hallo gesagt. Zu Ehren Browns wird zum Abschied eine Party gegeben, bei der Cilla Black auftritt. Brown: „Sie war ein großer Erfolg. Ringo war da, um mich zu verabschieden, aber die anderen Beatles haben sich nicht sehen lassen. George geht nicht gerne auf Partys, Paul werde ich in New York sehen und John ist noch in Tokio, aber er ist derzeit nicht gut auf mich zu sprechen wegen dieser Geschichte. Ich habe den Eindruck, dass er sich sehr stark verändert hat.“ Am 1. Februar beginnen in den Pinewood Studios in Iver in Buckinghamshire Dreharbeiten zu einem Film über Frank Zappa mit dem Titel . Ringo spielt in dem Film die Hauptrolle von Larry den Zwerg, der Zappa selbst sein soll. Es ist ein psychedelischer Film mit einer lockeren Handlung, in dem auch Ringos bester Freund Keith Moon, der Drummer der Who, in der Rolle einer Nonne auftritt.

223 Zappa: „Ich dachte, dass es wunderbar absurd wäre, wenn Ringo Starr Franz Zappa spielt, besonders wenn er den Dialog aufsagen muss. Ringo hat die Rolle angenommen, weil ihm sein liebenswertes Image schon ein bisschen auf den Keks gegangen ist.“ Ringo: „Ich habe Frank Zappa gespielt, weil er es selbst nicht konnte. Er wollte nur Gitarre spielen. 200 Motels war großartig und sehr schnell, weil wir es auf Videotape aufgenommen und dabei geschnitten und dann auf Film übertragen haben. Es gibt da ganz merkwürdige Effekte. Den ganzen Film habe ich nie gesehen.“ Die Dreharbeiten dauern nur sieben Tage, der Film kostet nur 679,000 US-Dollar und ist ein mittelmäßiger Erfolg in den Kinos. John erzählt Anfang 1971 in einem Interview, was er mit den anderen Beatles noch macht. John: „Ich spiele Billard mit Ringo und rede mit George über Platten. Jetzt wo der Prozess läuft, sehen wir uns ziemlich oft und das hat uns wieder einander näher gebracht.“ Am 12. März entscheidet das Höchstgericht im Sinne der Klage von Paul. Die Beatles sollen als Gruppe aufgelöst werden. Es wird ein Sachwalter bestellt. Als John, George und Ringo von dem Urteil informiert werden, fahren sie zu den Apple Büros in Johns weißem Rolls Royce und sagen zu den Reportern: „Kein Kommentar“. Angeblich sollen sie danach weiter zu Pauls Haus in der Cavendish Avenue in St. John's Wood gefahren sein, wo John zwei Ziegelsteine aus dem Auto holte, auf die Hausmauer stieg und die Ziegelsteine durch die Fenster geworfen haben soll. Danach seien sie zurück in die Büros gefahren und hätten dann der Presse Antwort gestanden.

224 In den folgenden Tagen wird mit , dem deutschen Bassisten und Freund aus der Frühzeit der Beatles, darüber verhandelt, ob er der neue Bassist der Beatles werden möchte, doch die Verhandlungen zerlaufen ins Nichts. Nachdem Let It Be den Oscar für die beste Filmmusik erhalten hat, lässt Ringo am 9. April mit einer neuen Single aufwarten: It Don't Come Easy90. Ringo hat sie selbst komponiert und eingesungen, und dabei auch einen echten Ohrwurm geschaffen, der damals viel in den Radios zu hören ist. Pete Bennett von Apple: „Ringo war der letzte Beatle, der ein Soloprojekt gemacht hat. Als er mir das Lied auf Band geschickt hat, sagte ich ihm, dass es toll ist. Er war sehr besorgt, ob ich der Meinung war, dass es ein Verkaufsschlager werden könnte. Ich sagte: Ja, wir werden es zu einem Hit machen. Also lief die Werbemaschine an und Ringo war schon zwei Wochen später am Telefon und wollte wissen, was mit dem Lied los ist. Ich sagte zu ihm: Wir haben es an 50 Radiostationen geschickt. Ringo konnte es nicht glauben. Zwei Wochen später hing er schon wieder an der Strippe und ich sagte zu ihm, dass das Lied prima läuft. Erst da war er davon überzeugt, dass er es schaffen konnte. Alle zwei Tage wollte er wissen, wie gut die Platte sich machte. Auch John rief deswegen an. Ich habe It Don't Come Easy bis an die Spitze der Charts beworben.“ Die Single kommt auch bei der Kritik sehr gut an. David Hughes schreibt: „Eine Produktion von George, die nicht mehr eine fröhliche Countryscheibe vom lustigen Starkey präsentiert, sondern erstaunlich gute, kommerzielle Popmusik. Ringo hat das Lied

90

225 geschrieben und singt es auch gut. Ganz im Gegensatz zu John und Paul versucht er gar nicht erst, groß etwas auszudrücken, sondern es ist da immer noch diese unverbrauchte Stimmung von Yellow Submarine oder Octopus' Garden, und trotzdem das Ehrgeizigste, was wir bis jetzt von ihm bekommen haben. Er gibt 100 Prozent. Eine Menge Leute werden davon sehr überrascht sein und das Lied wird weit kommen.“ John sagt am 1. Mai: „Es geht uns doch allen gut. Schaut euch an, wie es dem guten alten Ringo gerade geht. Er hat gerade einen steilen Aufstieg in den Charts und George macht sich gut als Elvis und der Plastic Ono Band geht es genauso gut.“ Am 12. Mai treffen Paul und Ringo das erste Mal seit längerer Zeit bei der Heirat von Mick Jagger und Bianca Perez de Macias aufeinander. Paul und Familie kommen zu spät zum Flughafen, und als Paul Ringo an einem der Tische in der Abflughalle stehen sieht, geht er auf ihn zu, aber die beiden reden nichts miteinander. Ringo: „Diese Hochzeit war ein bisschen merkwürdig weil Paul und ich uns seit einem Jahr nicht mehr gesehen hatten, aber wir wussten beide, dass es okay ist zwischen uns. Wir sind nicht die Typen, die so etwas mit Fäusten austragen müssen. Wir sagten Hallo und versuchten uns wieder aneinander zu gewöhnen.“ Paul bringt zu dieser Zeit sein zweites Soloalbum Ram heraus, das zu einer noch stärkeren Missstimmung zwischen ihm und John führen wird. Auch bei den Kritikern kommt das Album nicht gut an, während Ringo in dieser Zeit durch seinen Charterfolg sehr hofiert wird. Vom 17. Juni an steht Ringo wieder vor der Kamera, diesmal in den Cinecitta-Studios in Rom. Er spielt in einem Spaghetti-Western mit, der Blindman heißt und

226 der von Beatles-Manager Allen Klein produziert wird. Toni Anthony spielt den blinden Desperado, der trotzdem ein ist, und Ringo seine Geisel, die mit Glöckchen ausstaffiert wird, damit sie nicht fliehen kann. Ringo: „Die Rolle habe ich im Wesentlichen deshalb angenommen, weil sie so anders als alles andere war, was ich gemacht hatte. Jede Szene begann ganz normal, und dann musste ich zum völlig Verrückten werden. Was für Energie das kostet! Es war das erste Mal, dass ich verstanden habe, was Schauspieler so fühlen und warum sie diesen Job machen. Man kann das schwer beschreiben. Das Ganze überrumpelt einen und man kriegt ein High davon. Ich war ein Mexikaner in dem Film. Ich hatte ein Mädchen vergewaltigt, ihren Vater erdolcht und alle anderen zusammengeschlagen, weil ich der paranoide Bruder des Banditenchefs war. Das war witzig. Das einzige, was mir nicht gefallen hat, war, dass ich dauernd auf Pferde sollte. Ich mag Pferde nicht besonders, und ich hatte Probleme, eines zu besteigen, weil es so groß war. Die Steigbügel waren auf Augenhöhe. Immer wenn ich auf ein Pferd musste, haben sie ein Cut gemacht und mich dann ins Pferd gehoben, weil es zu groß für mich war.“ Ringo gründet in dieser Zeit mit der Designerin Robin Cruikshank eine Möbelfirma und trägt dazu eigene Entwürfe bei, darunter einen Tisch, der wie eine Blüte geformt ist und einen Kamin, der wie ein Donut aussieht. Die Firma wird erfolgreich sein und bis 1986 bestehen. Am 1. August findet in New York im Central Park das von George Harrison organisierte Konzert für Bangladesh statt, das der Prototyp und Ausgangspunkt für alle künftigen Charity-Konzerte von Rockstars

227 werden wird. Ringo ist dabei, was nur logisch ist, denn er hat auch bei allen Plattenaufnahmen von George in letzter Zeit mitgespielt. Ringo damals: „Wenn es zwischendurch einen Auftritt gibt, bin ich dabei, so wie auch bei Bangladesh, wo ich dafür eingeflogen bin und es tolle Typen gibt, aber ich würde nie mehr mit den Beatles auf Tournee gehen wollen. Wir könnten miteinander auftreten. Ich kann mit jeder Band zusammen Schlagzeug spielen. Paul kann mit allen Bass spielen und John und George können in jeder Gruppe Gitarre spielen, aber was die Beatles waren, war mehr als eine Band. Das Konzert selbst war ein Riesengenuss. Es war merkwürdig, weil ich seit drei Jahren nicht mehr auf der Bühne gewesen war, also war ich vorher schrecklich aufgeregt. Aber wenn man dann mit der Arbeit beginnt, entspannt man sich gleich. Bob Dylan war so nervös, und alle anderen auch. Wir waren nicht dazu da, einander zu unterhalten, sondern wir wollten 25.000 Menschen begeistern, zahlende Gäste.“ Im Daily Mirror steht am folgenden Tag: „Beatlemania war wieder da, als George Harrison und Ringo Starr vor 40.000 Jugendlichen auftraten. Die Menschenmenge im riesigen Madison Square Garden sprang auf und ab, klatschte und kreischte zehn Minuten lang für die zwei Beatles am Ende ihrer zwei Sets. Die Fans hatten 190.000 Pfund dafür gezahlt, um die beiden Beatles sehen zu können. Es war die Nacht des George Harrison, der die Stars vorstellte, Giganten des Pop wie Bob Dylan, Eric Clapton und Leon Russell, aber die Lieder war nicht die Lieder der Beatles. George spielte seine eigenen Hits wie Something und My Sweet Lord, und Ringo sang seinen Hit It Don't Come Easy.“

228 Ringo ist in diesem Jahr Regisseur eines Films über die Popband T. Rex, . Ringo ist mit dem Mann hinter der Gruppe, Marc Bolan, in dieser Zeit sehr eng befreundet. T. Rex spielt „Glam Rock“ und ist Anfang der Siebziger Jahre so populär, dass sie sechs Prozent des Jahresumsatzes der britischen Popindustrie verursachen. Der Film besteht im Wesentlichen aus der Aufnahme eines Konzerts der T. Rex. Ringo hat aber auch noch surrealistische Szenen hinein gemischt, die er in Johns Tittenhurst Park Anwesen aufgenommen hat, das ihm John seit seiner Abreise aus England zur freien Verfügung überlassen hat. Ringo und Maureen wohnen dort und werden das Anwesen später John auch abkaufen. In diesem Haus veranstaltet Marc Bolan mit Ringo am Schlagzeug und Elton John am Klavier auch eine Supersession, die in den Film mit aufgenommen wird. Ringo wird in einem Interview gefragt, was er von Johns neuer Platte Imagine hält und meint: „Einige der Songs sind unglaublich.“ Und er hat recht. Das Album wird Johns erfolgreichstes überhaupt werden. Das Titellied Imagine91, ist, wie Ringo schon damals sagt, „sensationell.“ Eine eingängige Ballade, die nicht zufällig von Yoko fast zwei Jahrzehnte später zur Titelmelodie des John-Lennon-Films ausgewählt wird. Die Zeitschrift Rolling Stone wird sie als drittbesten Rocksong aller Zeiten bezeichnen. Der Text lehnt sich eng an Yokos Buch Grapefruit an, das das erste Mal im Jahr 1965 erschienen ist, und in dem sie schreibt: Stell dir einen Regentropfen vor. Stell dir vor, wie die Wolken tropfen. John gibt das Jahre später freimütig zu: „Der Song wurde von ihrem Buch inspiriert und sie hat mir viel mit dem Text geholfen. Ich hätte der Mann sein 91 http://www.youtube.com/watch?v=okd3hLlvvLw

229 müssen, der das anerkennt. Aber damals war ich noch so egoistisch und habe es noch gar nicht wahrgenommen, dass ich ihren Beitrag zu dem Lied nicht anerkannt und ihren Namen auf dem Album gar nicht erwähnt habe.“ Am 3. August verkündet Paul die Gründung einer neuen Band mit dem Namen „Wings“. Wichtigstes Mitglied soll seine Frau Linda sein, die keine musikalische Ausbildung hat. Aber auch der Leadsänger und Gitarrist der Moody Blues, Denny Laine, mit dem Paul später den Megahit Mull Of Kintyre schreiben wird, macht mit. Im Oktober veranstaltet Yoko die Ausstellung This Is Not Here, die von den Kritikern gnadenlos verrissen wird. Im Katalog schreibt Yoko: „Diese Ausstellung soll Ihnen beweisen, dass ein Künstler kein Talent haben muss. Kunst ist eine Vorstellung. Jeder kann ein Künstler sein. Jeder kann sich ausdrücken, sofern er nur verzweifelt genug ist.“ Ringo hat für die Ausstellung einen grünen Plastiksack beigetragen, der mit grünem Wasser gefüllt ist. George hat eine Milchflasche geliefert, die aber nur im Katalog vorkommt. Johns Beitrag ist eine rosige Masse in einem Plastiksack mit dem Etikett „Napoleons Harnblase“. Die Eröffnung fällt mit Johns 31. Geburtstag zusammen. Zur Party kommen Prominente wie Andy Warhol, Jack Nicholson, Frank Zappa, Bob Dylan, Dennis Hopper, John Cage und auch Ringo mit seiner Frau Maureen. Wenige Tage später ziehen die Lennons in eine Zweiraumwohnung an der Bank Street 105 im Greenwich Village. Mit im Haus wohnen Bob Dylan, John Cage und Jerry Rubin. Die Lennons kaufen zwei Fahrräder. Das Fahrrad von John stammt aus englischer Produktion und das von Yoko aus Japan.

230 John: „Jeder fährt hier Rad. Dylan macht das die ganze Zeit, und keiner erkennt ihn. Ich kann kaum darauf warten, es ihm nach zu tun. Ich liebe es hier, es ist der beste Platz der Welt. Nach England zurückzugehen, das wäre wie nach Dänemark ziehen. Ich möchte nicht in Dänemark leben.“ Von nun an wird John in Amerika bleiben und dabei vor allem in New York leben. Die Verkaufserfolge der ehemaligen Beatles gehen weiter. Ende Oktober erfährt John zu seiner großen Freude und Erleichterung, dass die LP Imagine an der Spitze der Charts steht. Und Ringo erreicht mit seinem Lied It Don't Come Easy Platz 4 der amerikanischen Hitparade.

1972

Am 12. März kommen die drei verbliebenen Beatles das erste Mal seit Jahren wieder in einem Studio zusammen. Der Anlass ist Ringos neues Album, Ringo, bei dem George mehrmals mitspielt und das er auch produziert. An diesem Tag schauen John und Yoko vorbei, und die drei nehmen mehrere Versionen von Johns Komposition I'm The Greatest92 auf, das John später auch selbst mit seiner eigenen Stimme einspielen wird. Richard Perry, der Produzent: „Es war einfach so passiert, ohne Vorplanung. Jeder im Raum strahlte ... es ist so etwas Besonders mit den Beatles.“ Es wird ein Jahr dauern, bis das Album in die Läden kommen wird.

92 http://www.youtube.com/watch?v=l_vKu2xoJaM

231 Im Mai werden die sehr erfolgreichen Doppelalben The Beatles 1967 – 1970 und The Beatles 1962 – 1966 veröffentlicht. Der Verkaufserfolg überrascht alle. Der Absatz ist reißend und wird die einzelnen Beatles in den folgenden Jahren zu Multimillionären machen. Aber auch die Solokarrieren gehen weiter. Ringos Hit Back Off Boogaloo93 kommt in diesem Jahr in der englischen Hitparade auf Platz 2, der beste Platz, den er mit einer Single erreichen wird. Ringo komponiert seine Lieder, indem er sie auf Tonband einsingt und nachher im Studio von Experten mit Begleitmusik versehen lässt. Ringo: „Ich setzte mich mit Marc Bolan an einem Abend hin und er benutzt ja diese Ausdrücke wie Back off, Boogaloo. Ich ging schlafen und wachte mich dem Reim , What D'Ya Think You're Gonna Do? auf und sagte: Wo ist mein Tonbandgerät? Ich hatte Angst, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Also lief ich im ganzen Haus herum wie ein aufgescheuchtes Huhn, aber überall waren die Batterien leer oder der Stecker war kaputt oder irgendwelche Sicherungen durchgebrannt. Ich hüpfte durch das ganze Haus und prägte mir die Melodie ein, die langsam wie Mackie Messer klang, was mich panisch machte. Endlich hatte ich ein Tonbandgerät an der Hand und konnte alles aufnehmen und das ist es dann geworden. In zehn Minuten hatte ich den Song und ging zu George bat ihn, es als Single zu produzieren. Er ist großartig und kann das.“ Am 28. September 1972 stirbt Rory Storm, der Bandleader der Hurricanes, mit denen Ringo das erste Mal Bekanntheit erlangte. Ringo erscheint nicht zum Begräbnis, und als man ihn fragt, warum, antwortet er 93 http://www.youtube.com/watch?v=XWlzmhxh9G4

232 lakonisch: „Ich war ja bei seiner Geburt auch nicht dabei.“ Das heißt allerdings nicht, dass ihm Storm egal gewesen wäre. Ringo hatte mit Storm, der zuletzt alkoholkrank war und wahrscheinlich an einer Drogenüberdosis starb, regelmäßigen Kontakt und hatte ihm seit dem Auseinanderbrechen der Hurricanes im Jahr 1967 mehrmals angeboten, mit ihm Plattenaufnahmen zu machen. Doch Rory hatte das immer abgelehnt. Seine Schwester meinte nach dessen Tod dazu: „Rory hat es gereicht, der König von Liverpool zu sein. Er hatte keine große Lust auf Tourneen und ging lieber zum Fußballspiel als auf die Bühne.“ Ende Oktober dreht Ringo auf der Isle of Wight in Butlin's Feriencamp einen weiteren Film mit dem Titel That'll Be The Day. Der Star des Films ist David Essex, der gerade durch den Film Godspell bekannt geworden ist. Essex spielt einen aufstrebenden Rockstar und Ringo seinen älteren Freund. Ringo: „Es handelt von einem Typen, David Essex, wie er aufwächst. Ich bin einer der Menschen, die ihn beeinflusst haben. Nach Butlin's arbeite ich beim Jahrmarkt und stelle ihm seine erste Dame vor und von da an schläft er mit allem, was sich bewegt, Kamele, Esel, ihm ist es egal. Ich zeige ihm die verruchten Dinge im Leben.“ Wieder spielt Keith Moon in dem Film mit, aber auch ist dabei, ein Mann aus der Anfangszeit der Beatles, der selbst als Rockstar gescheitert ist. That'll Be The Day bekommt gute Kritiken durch seine starke, realitätsnahe Handlung und durch die überzeugende Darstellung von David Essex, verschwindet aber bald aus den Kinos.

233 Paul McCartney und Linda sind gerade mit ihren neuen Band Wings und der Single Hi Hi Hi / C- Moon in den Charts. Über Pauls letzte Platten äußert sich Ringo eher skeptisch. Ringo: „Was mich betrifft, ist keine seiner letzten Platten wirklich gut. Ich glaube, dass er jetzt seine Band zusammenstellt und am Anfang klingt man einfach nicht so gut. Jeder kann mit jedem spielen, aber damit das so etwas wird wie die Beatles, braucht es Zeit. Auch die Beziehungen kommen dazu und alles. Vielleicht wird aus Wings mal was besonderes und Paul wird wieder tolle, außergewöhnliche Lieder schreiben, aber derzeit gibt er mir nichts, was mich wirklich erreicht.“ Ringo Starr und Maureen und ihre Kinder leben nun schon eine ganze Weile auf dem Landsitz der Lennons, Tittenhurst Park. Zu diesen Weihnachten werden sie von Keith Moon überrascht, dem Drummer der Who, der in einem Schlitten vorfährt, der von mehreren Rentieren gezogen wird. Leider hat Keith nicht das Geld, um den Schlitten auch zu bezahlen, also fragt er Ringo, ob er für ihn einspringen kann, und der ist großzügig und zückt seine Brieftasche. Keith Moon erzählt später: „Es macht mir wahnsinnigen Spaß, mit meinem besten Freund Ringo Starr verrückte Geschenke auszutauschen. Er gab mir zum Geburtstag eine Rakete, die zwei Meter hoch und mit Kaugummi gefüllt war und ich schenkte ihm einen 1 Meter 50 hohen Stoffbären, den er den Vorstandsvorsitzenden nennt.“

234 1973

In diesem Jahr kommen die ehelichen Beziehungen von drei Beatles in Schwierigkeiten, darunter auch die von Ringo. Es beginnt damit, dass seine Frau Maureen mit zunehmender Häufigkeit nach hinaus fährt, wo George und Pattie zu Hause sind. Pattie Harrison sieht irgendwann einmal auf Photos, die ein Bekannter gemacht hat, dass Maureen am Wochenende George besucht hat, während Pattie in Devon bei ihrer Mutter auf Besuch war. Kurze Zeit später taucht Maureen mit einer Halskette auf, die ihr George geschenkt hat. Eines Tages sperren sich Maureen und George dann gemeinsam in einem Schlafzimmer in Friar Park ein, und es wird klar, was hier Sache ist: Eine Beatles-Frau wildert im Revier einer anderen. Pattie hämmert an die Tür und ruft: „Was macht ihr da drin? Maureen ist da drin, oder? Ich weiß, dass sie da drin ist.“ Pattie hört George unterdrückt lachen, aber die Tür bleibt zu. Eigentlich sollte er zu dieser Zeit im Studio sein, wo jeder auf ihn wartet. Nach einer Weile öffnet George die Tür und sagt: „Maureen ist ein bisschen müde und hat sich hingelegt.“ Pattie, die draußen auf dem Gang gewartet hat, dreht sich jetzt um und steigt auf den Dachboden, wo sie mithilfe zweier Freunde die Fahne, die über dem Dach weht, herunterholt und stattdessen eine Piratenflagge mit Totenkopf und gekreuzten Knochen hisst. Danach fühlt sie sich besser, schreibt sie viele Jahre später in ihrer Autobiographie. Maureen Starkey scheint im Jahr 1973 sehr in George verliebt zu sein. Sie kommt immer wieder nach Friar

235 Park, manchmal auch um Mitternacht, und wenn Pattie sie fragt: „Was zum Teufel machst du hier?“ antwortet sie: „Ich möchte George bei seinen Aufnahmen im Studio zuhören.“ Pattie: „Gut, ich gehe jedenfalls schlafen.“ Maureen: „Na gut, ich gehe dann ins Studio.“ Am nächsten Morgen ist Maureen immer noch da, und Pattie fragt sie: „Hast du eigentlich an deine Kinder gedacht? Was willst du hier? Ich mag es nicht, dass du da bist.“ „Da hast du Pech gehabt“, antwortet Maureen patzig. In dieser Zeit ist auch Ringo oft in Friar Park und George und er schreiben eines ihrer besten Lieder miteinander: Photograph94, ein Song, den Ringo zwanzig Jahre später bei einem Gedenkkonzert für George so eindrucksvoll zum Besten geben wird. 1973 erreicht das Lied im August in Amerika Platz 1 der Hitparade und kommt im England immerhin auf Platz 8. Ringo: „Ich habe es geschrieben und dann George gezeigt und er hat es fertig gemacht und ein paar Gitarrengriffe hinzugefügt, weil ich nur drei kenne. Weil ich es George gegeben habe, klinge ich jetzt wie ein Genie.“ Ian Mac Donald, ein englischer Musikkritiker, hat darüber eine ganz andere Meinung: „Wir alle mögen Ringo, oder? Klar. Und wir wollen auch, dass er eine wirklich gute Single herausbringt, nicht wahr? Einfach, um unseren hartnäckigen Verdacht zu besänftigen, dass er nur ein liebenswerter Typ ist, der einfach eine Menge Glück gehabt, aber sonst nicht viel drauf hat. Das Problem ist, dass Ringo uns in dieser Sache überhaupt nicht zur Hand gehen möchte. Er haut eine schlechte 94 http://www.youtube.com/watch?v=t6CMSuT98-E

236 Platte nach der anderen raus und ich muss zugeben, langsam kriege ich Ohrenschmerzen davon, dauernd erwartungsvoll zu grinsen. Photograph ist ein weiterer Triumph des Ohrenschmerzenrock, eine völlig banales Liedchen aus der Doppelfeder von Starkey und Harrison, und Liedchen ist schon etwas zu viel gesagt. Es klingt so wie ältliche Schwestern malen. Eine beginnt mit der Nase und malt rückwärts und die andere mit dem Schwanz und malt vorwärts und irgendwo treffen sie sich dann wohl auch. Photograph ist einfach ein Reinfall, lassen wir es dabei.“ Dass George etwas mit seiner Frau hat, bemerkt Ringo gar nicht. Oder will er es nicht sehen? Es ist eine verrückte Zeit. Jedermann in Friar Park trinkt zu viel Alkohol und kokst, es sind immer mehrere hundert Leute da in den Anlagen, es herrscht ein beständiges Kommen und Gehen. Eric Clapton, der sich schon 1970 in Pattie verliebt und sie gebeten hat, ihn zu heiraten, macht ihr weiter den Hof und wird es innerhalb weniger Monate erreichen, dass sie diesmal auch mit ihm weggeht. Eines Tages nutzt George die Rivalität zwischen Eric und ihm dazu, um mit ihm ein musikalisches Duell zu veranstalten. Als Eric schon betrunken im Wagen eintrifft, hält ihm George eine Gitarre entgegen, und die beiden stellen sich mit ihren Gitarren voreinander auf und spielen, als würden sie miteinander kämpfen. Diese Auseinandersetzung dauert zwei Stunden lang, und die Musik, die dabei entsteht, ist aufregend. George spielt ganz komplizierte Läufe, gibt sich sichtlich Mühe, als der bessere Gitarrist dazustehen. Eric Clapton ist schwer betrunken, doch er spielt inspiriert und das allgemeine Gefühl der vielen Zuschauer (darunter Ringo) ist, dass er das Duell für sich entscheidet.

237 Eines Tages ruft Pattie bei Ringo an und sagt: „Hast du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum deine Frau nachts immer so spät nach Hause kommt? Sie ist hier bei uns.“ Ringo versteht, was Pattie sagen will. Aber er möchte Maureen nicht zur Rede stellen. Als Pattie sich George vorknöpft, behauptet der: „Ich schlafe nicht mit ihr.“ Pattie: „Natürlich tust du das. Was solltet ihr sonst miteinander tun?“ George aber schüttelt den Kopf und geht, und tut so, als wäre Pattie verrückt. Man kann mit ihm nicht reden, findet Pattie, und sie fühlt sich ungeliebt. Entweder er zählt meditativ Perlen und murmelt sein Mantra, und reagiert dabei überhaupt nicht, wenn man ihn anspricht, oder er schreit einen an, weil man es tut. Eric kommt wieder und wieder auf Friar Park auf Besuch, doch George stellt seinen Freund nie zur Rede, obwohl er merken muss, dass Pattie mittlerweile eine Affäre mit Eric begonnen hat. So ungeordnet sind die Liebesbeziehungen der Beatles und ihrer Frauen in den frühen 1970er Jahre. Was zu Hause bei Maureen und Ringo wirklich los ist, hat keiner überliefert, doch es ist anzunehmen, dass es auch Auseinandersetzungen gibt. Maureen hat sich all die Jahre um die Kinder gekümmert, während Ringo unterwegs war und dabei auch gearbeitet hat. In Freundeskreisen spricht sich herum, dass Maureen in letzter Zeit mehrere Affären hat. Ringo stellt sie zur Rede, doch auch sie streitet alles ab und widersetzt sich einer Scheidung. Auch bei John und Yoko klappt es nicht mehr. Das hat schon einmal damit zu tun, dass die beiden sich in den letzten Jahren finanziell stark verausgabt haben und das

238 Geld langsam knapp für sie wird. Ihre eigenen künstlerischen Aktivitäten bringen nur wenig Geld ein, und Johns LP Imagine ist schon lange aus den Charts gerutscht. Die Nebenkosten im Dakota sind so hoch, dass allein Yokos Telefongebühren im Monat 3000 Dollar betragen. Trotzdem beschwert sich Yoko: „Wir leben wie Obdachlose hier!“ behauptet sie. Sie arbeiten fieberhaft an einem neuen Album. Yoko: „John ist ziemlich nervös. Er war schon lange nicht mehr im Studio.“ Das Resultat: Yoko schmeißt John aus der Wohnung, stellt ihm , ihre Assistentin zur Seite und legt dieser nahe, mit John eine Liebesbeziehung zu knüpfen. John und May gehen an die Westküste, er mietet in Malibu ein Haus und geht in Los Angeles ins Studio.

Eine Entlastung für den Leistungsdruck, unter dem John steht, ist die Tatsache, dass sich die alten Beatles- Platten immer noch wie warme Semmeln verkaufen und die anderen Beatles auch Erfolg haben. Im Juli steht eine Neuauflage der späten Hits, The Beatles 1967 - 1970 auf Platz 1 der Hitparade. Auf Platz fünf kommt von George eine neue LP, Living In The Material World, auf Platz 6 The Beatles 1962 – 1966, und dann noch Red Rose Speedway von Paul auf Platz 10. Die Beatles dominieren die Hitparade also stärker denn je, und John hat in diesem Jahr immer noch als Mitglied der Beatles-Partnerschaft von 1965 Tantiemen in Millionenhöhe zu erwarten, selbst wenn seine eigenen Platten einmal nicht so recht erfolgreich sein sollten. Trotzdem ist es John willkommen, dass Ringo sein Haus in England, Tittenhurst Park, nun kaufen will. John hat nicht mehr die Absicht, in England zu leben

239 und gibt es im September an den Makler weiter. Ringo schlägt innerhalb einer Woche zu. Er übernimmt dabei auch Kredite von John, die noch nicht abbezahlt sind. Ringo wird über das unerwartete Comeback der Beatles in den Charts befragt und meint: „Die Doppelalben wurden gekauft, weil die alten Platten, die die Leute hatten, einfach zerkratzt waren. Aber ich glaube, dass auch einige junge Leute unter den Käufern sind. Für die Kids heute sind wir ein Mythos, eine Legende aus der Vergangenheit. Und jedes Jahr kommen neue Kids dazu.“ Seine neue Solo-LP heißt einfach Ringo. Wieder haben alle anderen Beatles etwas zu der Platte beigetragen, John und George schon vor einem Jahr, aber mittlerweile ist es Ringo auch gelungen, einen widerstrebenden Paul für das Projekt zu gewinnen. Ringo bei der Veröffentlichung: „Zufälligerweise machte ich dieses Album mit Richard Perry, weil ich mit nach Nashville gefahren war und mir dachte, ich rufe ihn an, wenn ich schon dort bin. In dem Jahr war der Grammy's dort und ich sagte: Gehen wir doch einfach ins Studio und machen wir ein paar Songs. Und Richard: Super. Aber dann rief er zurück und meinte: Warum machen wir das nicht in Los Angeles? Also fuhr ich dorthin und wir hatten 8 Tonspuren in einer Woche gezogen und brauchten nur mehr zwei davon. Sie klangen gut, vier sehr gute Lieder waren dabei und John war auch da und George ebenso. Sie hatten Lieder für mich geschrieben und ich wollte nicht, dass Paul jetzt das Gefühl kriegt, dass wir ihn ausgrenzen, also rief ich ihn an und flog nach England zurück und besuchte ihn. So ist es entstanden. Ich habe es nicht geplant. Und ich hätte nie gedacht, dass es sich allein in Amerika mehr als eine Million mal verkaufen

240 wird. Als Beatles waren wir solche Zahlen gewohnt, aber diesmal hatte ich mein eigenes Gold gewonnen und nahm alle goldenen Beatles-Platten von der Wand und machte meine Platte auf.“ John wenige Monate später: „Ich mochte das Album sehr. Ich spielte darauf Klavier und sang mit ihm. Ich klang ein bisschen wie Reg Presley ... ich mochte es, mit George und Ringo wieder etwas gemeinsam zu machen. Leider konnte Paul damals nicht in die Vereinigten Staaten kommen, um an dem Album mitzuwirken, weil er kein Visum bekam. Das Album kam in den Billboard Charts auf Platz 4, zwei über meinem. Ich schickte Ringo ein Telegramm, auf dem stand: Gratuliere. Wie konntest du. Schreib einen Hit für mich. Es war das erste wirkliche Popalbum, das er gemacht hat und es ist gut geworden. Er verdient es. Er wird die ganze Knete auch brauchen, damit er Ascot austapezieren kann. Schon allein für den Garten wird er sie brauchen.“ Das Titellied I'm The Greatest95 stammt von John. John: „Muhammad Ali hat das gesagt. Ich hätte es nicht singen können, aber für Ringo war es perfekt. Er konnte das sagen, ohne dass sich die Leute darüber aufregen. Hätte ich das gesagt, hätte man mir das richtig übel genommen.“ Für John wirkt sich seine Beziehungspause mit Yoko günstig aus und er kommt dabei auch den anderen Beatles wieder näher. Zwischen Oktober und Dezember nimmt John in Los Angeles mit Phil Spector Rock'n'Roll Songs auf, hat dabei aber Pech. Spector ist drogenabhängig und rastet zwischendurch aus. Einmal taucht er mit einer Pistole im Studio auf und schießt in

95 Johns Version: http://www.youtube.com/watch?v=CZfZ- LCEHj8

241 die Decke. Zuletzt müssen die Aufnahmen abgebrochen werden, als Spector einfach verschwindet. Es heißt, er habe einen Autounfall gehabt. Die Aufnahmen nimmt er alle mit, und John wird sie erst ein Jahr später wieder zurückbekommen. John schreibt an Derek Taylor, dem früheren Pressesprecher der Beatles, Anfang Dezember eine etwas depressive Karte, auf der steht: „Ich bin in Lost Arseholes ohne besonderen Grund ... Yoko und ich sind in der Hölle, aber ich werde das ändern ... vielleicht schon heute. Und ich bin immer noch berühmt. Wer zuletzt lacht, hört am schlechtesten.“ Zu Silvester sind die Harrisons bei Ringo eingeladen. George hat mit Maureen gebrochen und an der Oberfläche ist wieder alles in Ordnung zwischen den beiden Ehepaaren. Doch zwischen George und Pattie ist die Beziehung eigentlich schon zu Ende. Vor der Abfahrt hat Pattie hat etwas vergessen und geht ins Haus zurück. Unterdessen lässt George den Wagen ohne sie fahren. Später heißt es, er hätte auf sie vergessen. Sie steigt in ihren eigenen Wagen und verfährt sich im Nebel und schließlich bleibt der Verkehr auf der Straße nach Ascot stehen und es wird Mitternacht im Stau. Wildfremde Menschen umarmen einander. Als Pattie schließlich bei der Neujahrsfeier eintrifft, sagt George: „Wir lassen uns im neuen Jahr scheiden.“

242 1974

Das Glück leuchtet für Ringo. Er hat in diesem Jahr einen Nr. 1 Hit in den Vereinigten Staaten: You're Sixteen. Es ist ein Oldie, den die Sherman Brothers 1960 populär gemacht haben. Ringo hat es gemeinsam mit Paul McCartney aufgenommen, der das Kazoo auf der Platte spielt. Paul und Ringo haben seit dem Zusammenbruch der Beatles ein Band geknüpft, das vorher nicht bestanden hat. Paul rechnet es Ringo hoch an, dass er sich im Streit nicht auf die Seite der anderen Beatles stellt, sondern mit allen auskommt. Ringo hat vom Bruch zwischen George und Pattie gehört und möchte ihr helfen. Er bietet ihr einen Job als Photographin bei der Produktion einer Filmkomödie an, die er gerade mit Harry Nilsson dreht. Sie heißt Son of Dracula und Ringo spielt Merlin den Zauberer. Der Film wird von Apple Films produziert und ist so schlecht, dass er nie in die Kinos kommt. Das Scheitern des Films ist auch der Anfang vom Ende seiner Filmkarriere. Ringo damals: „Ich habe den Film auch produziert und er hat mich eines gelehrt: Produziere nie mehr einen Film. Man kriegt Kopfschmerzen davon. Ich glaube, es ist der erste musikalische Horrorfilm überhaupt. Ich kenne keine anderen. Es machte Spaß, einen 3000 Jahre alten Mann zu spielen, aber ich glaube nicht, dass es das Beste war, was ich gemacht habe. Wir holten uns einen Horrorfilmregisseur, aber wir gingen auf dem Weg zum Rock'n'Roll und zur Komödie verloren. Er ist ein berühmter englischer Regisseur für Horrorfilme. Wir haben überall in England gedreht. Es ist nicht der beste Film geworden, aber ich kenne schlechtere. Als

243 wir auf Promotion-Tour waren, klopfte uns jeder auf den Rücken und sagte: Ja, es ist ein toller Film, aber was macht man damit? Also kamen wir mit Cinemation zusammen und sie sagten: Versuchen wir's. Sie dachten, er könnten bei College-Studenten gut ankommen.“ Eines Tages im Frühling taucht George zuhause in England bei Ringo in Tittenhurst Castle auf und sagt ihm im Beisein von Beatles-Groupie Chris O'Dell, dass er seine Frau Maureen liebt und mit ihr zusammen leben möchte. Ringo ist schockiert. Laut Pattie Harrison in ihrer Biographie soll Ringo außer sich gewesen sein und immer wieder gesagt haben: „Nichts ist wirklich, nichts ist wirklich.“ Chris O'Dell, die neue Geliebte von Ringo, die auch George, Pattie und Maureen gut kennt, erinnert sich daran später allerdings anders: „Ringo sagte ganz ruhig: Besser du schläfst mit ihr als ein anderer.“ Ringo und Maureen beschließen eine Auszeit für ihre Ehe zu nehmen. Ringo fliegt nach Amerika und lebt vorwiegend in Los Angeles. Im April 1974 ist er das erste Mal in Disneyland mit seinen Kindern, die von nun an immer die Ferien und Weihnachten bei ihm verbringen werden. Er hält schon kurz nach seinem Eintreffen Händchen mit Chris O'Dell. Die schlanke Blondine ist eine langjährige Freundin, und wird im Laufe der Zeit auch Affären mit Mick Jagger und Bob Dylan haben. George Harrison wird ein Lied über sie schreiben. Chris war schon zu Beatleszeiten ein treuer Fan und sang sogar im Hintergrundschor von Hey Jude in der Abbey Road mit, hat in den Apple Studios die Telefone beantwortet und den Beatles ihr Pausenbrot geholt. Zuerst war sie in Paul verliebt, doch später freundete sich Chris mit Pattie Harrison und Maureen Starkey an und hat eine Weile bei George in seinem

244 Herrenhaus in Henley-on-Thames gelebt. Jetzt kommt sie Ringo nahe. Ringo ist sehr traurig darüber, dass er Maureen verloren hat. Chris tröstet ihn und sie verbringen viel Zeit miteinander. Chris: „Man findet dann eine Anziehung und gibt ihr nach. Aber diese Anziehung zwischen uns fühlte sich nicht gut an. Wenn wir miteinander schliefen, hatte ich wahnsinnige Schuldgefühle wegen Maureen. Ich trank zu viel, rauchte Pot, nahm Aufputschmittel, es lief alles aus dem Ruder.“ Die Affäre dauert drei Monate, bis Maureen auf sie zu kommt und sie geradeheraus fragt: „Schläfst du mit meinem Mann?“ Chris gibt es zu, und es gelingt den beiden Frauen, trotzdem lebenslange Freundinnen zu bleiben. Für Maureen ist es okay, dass Chris mit Ringo nach Amerika geht, und sie heißt sie auch wieder willkommen, als sie von dort zurückkehrt. Maureen erhebt noch Besitzansprüche auf Ringo, der aber nicht mehr in der Beziehung bleiben will und in Amerika nach einem neuen Leben sucht. Dem Mief der englischen Heimat möchte er entfliehen. Er tut das in der gleichen Stadt, in der auch der von Yoko verbannte John lebt. Die beiden Beatles machen viel miteinander, doch ihre Zeit neigt sich dem Ende zu, weil John im folgenden Jahr wieder nach New York und zu Yoko zurückgeht. In den folgenden Jahren wird Ringo vor allem zwischen Los Angeles und Monte Carlo pendeln und sich auch nach dem Auszug von Maureen aus Tittenhurst dort nicht mehr heimisch fühlen. Chris über das Leben der Beatles in der Umgebung von London: „Es war eine ganz kleine Welt. Jeder kannte jeden. Auch Pattie hat mich gebeten, nicht mit George

245 zu schlafen und ich habe gesagt, okay. Und wir sind auch Freundinnen geblieben.“ Dass Ringo mit Chris bricht, und Maureen wieder ihre beste Freundin wird, bedeutet für Ringo aber nicht die Aufgabe seiner Freundschaft zu Chris. Auch Ringo bleibt mit ihr in Kontakt und wird nach ihrer Heirat mit einem englischen Adeligen der Taufpate ihres ersten Kindes sein. Im Sommer lernt Ringo das New Yorker Model Nancy Lee Andrews kennen. Andrews damals zur Presse, die sie darüber befragt, was sie eigentlich an der Seite eines verheirateten Mannes will, der eine Familie mit drei Kindern hat: „Ich bin keine, die sich in eine Ehe einmischt. Alles, was Ringo und Maureen betrifft, war schon eineinhalb Jahre vor unserer Zeit zu Ende. Wir haben uns zu einem Blind Date in Los Angeles getroffen.“ Ringo macht ihr dabei den Vorschlag, nicht nur als Model zu arbeiten, sondern auch hinter die Kamera zu treten. Sie könnte, schlägt er vor, Prominente photographieren. Er kennt viele davon. Vorbild für diesen Job ist Linda McCartney, die seit ihrer Ehe in diesem Beruf nicht mehr tätig ist, aber noch viele Kontakte im Showbusiness hat. Dadurch beginnt für Andrews eine neue Karriere. Sie erwirbt sich einen Namen mit den Bildern, die sie von Rockstars macht. Zu ihren Arbeiten zählen auch die Covers und anderen Bilder von zwei Alben von Ringo: Ringo The 4th und Bad Boy. Ringo wird mit Nancy fünf Jahre lang zusammen sein. Die beiden trennen sich erst 1979, als Barbara Bach in Ringos Leben tritt, die zu seiner zweiten Frau werden wird.

246 John und May mieten sich unterdessen im kalifornischen Sommer in Santa Monica ein Strandhaus. Dieses entwickelt sich innerhalb der nächsten zwei Wochen zu einem Mekka für Musiker und Prominente. Die Wochen in Santa Monica werden für John zu einer Reprise seiner wilden Jahre in der Popwelt. Ringo kommt vorbei, und Keith Moon, Klaus Voormann und andere, und es wird gejammt und gealbert. John: „Wir hatten jede Menge Spaß, lebten alle zusammen und hatten eine schöne Zeit. Aber bald merkte ich, dass ich unter all diesen Leuten noch der Nüchternste war. Ich beschloss, mein Album abzuschließen, wieder ernsthaft zu arbeiten.“ Als Paul wieder in Amerika einreisen darf, nutzen auch die McCartneys die Gelegenheit, um John zu besuchen. An diesem Tag steht John nicht im Studio in Burbank und relaxt am Pool. Am Abend findet in seinem Haus eine Jam-Session statt, an der auch Paul teilnimmt. „Dreht das verdammte Mikro hoch“, ruft John, „McCartney singt am Schlagzeug mit.“ Paul macht an diesem Abend den Drummer, John spielt Gitarre, auch Linda singt, und unter den anderen, die mit jammen, ist auch Stevie Wonder. Die Sause dauert bis in die frühen Morgenstunden des 1. April und weckt in einigen die Hoffnung, die Beatles wieder vereinigt zu sehen. John: „Es waren noch fünfzig andere Leute da. Aber alle haben nur Paul und mich angesehen!“ In seiner Autobiographie schreibt Paul, dass Yoko ihn angerufen und ihn gebeten hätte, John in L.A. zu besuchen und zu bitten, wieder nach New York zurück zu kommen. Yoko wird diese Version später bestreiten. Tatsache aber ist, dass sich John ab nun innerlich wieder auf Yoko zubewegt.

247 Einige Stunden nach der gemeinsamen Jam Session von John und Paul kommt Ringo mit Keith Moon und Harry Nilsson vorbei und Ringo fragt: „Wer ist an meinen Trommeln gewesen?“ und die anderen sagen: „Paul, Paul war da.“ Am Vormittag kehren Paul und Linda in Johns Haus zurück. John schläft, aber Paul geht gleich zum Klavier und spielt mit Moon und Nilsson Beatles-Lieder. Nilsson bietet ihm später Angel Dust an, aber Paul verzichtet darauf. John steht um drei Uhr nachmittags auf, und sitzt am Pool und redet mit Paul. Dabei entsteht das letzte gemeinsame Bild der beiden. Während John sein Album aufnimmt, informiert ihn ein Gesandter der Firma Capitol Records, dass es ihnen gelungen ist, die Rock'n'Roll Album Aufnahmen, die Phil Spector mitgenommen hatte, wieder zurückzubekommen. Man hat sie Spector für 90.000 Dollar abgekauft. John hat wieder Mut für die neue Platte und schreibt schöne Lieder. Gemeinsam mit Elton John, der Orgel und Klavier dazu spielt und Begleitstimme singt, nehmen sie Whatever Gets You Through The Night96 auf, ein Lied, das ein großer Hit für beide werden wird. In dieser Zeit ruft auch Ringo John an und bittet ihm, für sein neues Album ein Lied beizusteuern. John schreibt Goodnight Vienna97. Im August fliegt John sogar nach Los Angeles, um Ringo bei den Aufnahmen zu seinem neuen Album zu helfen. Zu der Gelegenheit nimmt er selbst Only You98 auf, lässt seine Stimme weg und legt Ringos Stimme

96 http://www.youtube.com/watch? v=HNNxeovdN5U&feature=related 97 http://www.youtube.com/watch?v=OhY_TNkNddc 98 http://www.youtube.com/watch?v=tsNshfj-rJw

248 darüber. Das Lied ist dadurch weit effektvoller und wird ein großer Erfolg für Ringo – aber auch für John werden, als er die Single selbst mit seiner eigenen Stimme99 herausgibt. Im September kommt die Single Whatever Gets You Through The Night wie auch das Album Walls And Bridges heraus. Sie werden auf beiden Seiten des Atlantiks von einer riesigen Werbekampagne begleitet. Johns Augen und der Slogan „Listen to this ...“ sind überall auf Anzeigentafeln, in Zeitungen, auf T-Shirts, Buttons und auch als 30-Sekunden-Werbung im Fernsehen zu sehen, bei der Ringo zur Einleitung „Hört euch das an“ sagt, worauf einige Ausschnitte aus dem Album kommen. Die Werbeeinschaltung endet mit dem Kurzdialog: John: „Danke, Ringo.“ Ringo: „Es war mir eine Freude, John.“ In einem Interview gibt John auf die Frage, wie es George, Ringo und Paul geht, die Antwort: „Man kann ja an den Hitparaden ablesen, dass es ihnen allen gut geht. Mit Ringo habe ich in den letzten zweieinhalb Jahren die meiste Zeit verbracht, mehr als mit jedem anderen Ex-Beatle, weil er sehr viel nach Amerika kommt. Wir kommen gut miteinander aus, das muss ich nicht extra betonen. Ich war viel mit ihm zusammen. Auch Paul habe ich öfters getroffen, er reist mehr als George. George habe ich in zwei Jahren zwei Mal gesehen und ein paar Mal war ich mit ihm am Telefon.“ Im November erscheint Ringos neue LP . Auch hier finden Werbeeinschaltungen im Fernsehen statt, bei denen Ringo und John miteinander plaudern.

99 http://www.youtube.com/watch?v=pqHpwlPvgPg

249 Ringo: „John hat das Titellied geschrieben. Es ist eine alte englische Redewendung: Es hängt alles von Gute Nacht Wien ab, was heißen soll: Da kann man nichts machen. Und ich mag Science Fiction und auf dem Cover schneiden wir Michael Rennies Kopf aus dem Film The Day The Earth Stood Still ab und klebten meinen drauf. Als wollten wir sagen: Es ist doch alles egal, ich haue einfach ab. Manchmal geht es einem so, man möchte die Welt anhalten und einfach abspringen. Ich mochte den Sci-Fi-Umschlag und den Titel, da passte alles zusammen.“ Das erfolgreichste Lied auf der Platte ist . Ringo: „Das ist ein altes Lied. Als John während der Aufnahmen vorbeischaute, sangen wir das gerade und sagten: Machen wir das. Und wir haben es aufgenommen und soweit es mich angeht, ist es sehr gut geworden, so gut, dass wir eine Single daraus gemacht haben. Wir hatten einen Filmclip, in dem ich mit Harry Nilsson auf der Spitze des Capitol Towers stehe, und später am Abend machten wir eine Laser Show von meiner Brust herunter, von einem silbernen Stern mit Lasern, die 200 Meilen weit gingen bis in die Stadt. Es war ein schöner Tag. Wir hatten eine Blaskapelle und es machte alles einen großen Spaß.“ Am Jahresende sollen die Beatles den Auflösungsvertrag unterschreiben. Deshalb sind alle vier in New York. John lebt wieder da, mit Yoko zusammen. Er will den Vertrag nun plötzlich nicht mehr unterschreiben. Paul: „George kam mit seiner Tournee ans Ende, die er zu dieser Zeit quer durch Amerika gemacht hatte, und ich war extra aus England angereist, aber John kam und kam nicht, obwohl er am anderen Ende des Parks wohnte. George ging ans Telefon und brüllte: Nimm

250 diese verdammten Sonnenbrillen ab und komm rüber, du! Aber John kam trotzdem nicht. Er schickte uns einen Ballon mit einer Karte, auf der stand: Hört die Botschaft dieses Ballons. Es war ziemlich verrückt.“ Linda: „Es gab numerologische Probleme. Die Planeten waren nicht stimmig und deshalb kam auch John nicht. Er sagte, dass er nicht kommen würde und das war es. Hätten wir gewusst, dass da drüben ein Typ irgendwelche Karten legt, um ihm bei seiner Entscheidung zu helfen, wären wir alle hinübergegangen. George drehte durch, aber das hat auch nichts geändert. Man kann darüber eigentlich gar nicht reden ...“ Paul: „Danach gab es noch ein Meeting und alles ging prima, bis John im letzten Augenblick noch eine Million Pfund mehr wollte. Das war alles, was er wollte, noch eine Million. Das hat die Sitzung gesprengt. Später, als wir uns wieder vertrugen, fragte ich ihn: Was war das denn? Diese Forderung nach einer weiteren Million? Und er sagte: Ich wollte einfach die Karten in der Hand haben, und mit euch spielen. So geht es im Geschäftsleben zu und er gab das ganz offen zu.“ John: „Letztlich habe ich dann doch unterschrieben, in Disneyworld.“

251 1975

Am 9. Januar 1975 wird die Beatles & Co. KG offiziell aufgelöst. Von jetzt an ist jeder Beatle auf sich gestellt. Jede neue Aktivität wird nicht mehr in den Gemeinschaftstopf der Beatles eingezahlt werden. Für Ringo geht die Karriere als Schauspieler in einem Musikfilm fort. Diesmal spielt er im Film Lisztomania von Ken Russell die zweite Hauptrolle, den Papst. Der Star des Films aber ist Roger Daltrey, der mit den Who gerade mit der Rockoper Tommy große Erfolge feiert. Auch Keith Moon, der beste Freund, von Ringo, erlebt in diesen Jahren den Höhepunkt seiner Karriere. Am 17. Juli wird die Scheidung mit Maureen rechtskräftig. Ringo ist darüber traurig, Maureen verloren zu haben, doch er ist auch darüber erleichtert, gegenüber der Presse nichts mehr erklären zu müssen, wenn er in Gegenwart einer anderen Frau gesehen wird. Maureen hat die Scheidung nicht gewollt und versucht anfänglich, über eine Beschränkung des Zugangs zu den Kindern Ringo zu einer Versöhnung zu zwingen. Bald aber stellt sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Ehepartnern ein, die beide nie ganz aufhören werden, den anderen zu lieben. Der Roadie der Beatles, Mal Evans, schreibt ein Buch über seine Zeit mit John, Paul, George und Ringo – und es ist Ringo, den er fragt, wie er es schreiben soll. Evans: „Ich redete mit Ringo über das Buch und sagte: Weißt du, ich könnte nie was Schlechtes über dich schreiben und Ringo sagte: Pass auf, wenn du nicht die Wahrheit sagst, kannst du es gleich lassen.“ Wenige Wochen später wird Evans von einem Polizisten getötet. Er war betrunken, hatte Streit mit

252 seiner Freundin und hatte ein Gewehr bei sich, als die Polizei in seinem Haus eintraf. Als er die Waffe nicht senken wollte, erschoss ihn der Polizeibeamte.

1976

Ringo sagt in dieser Zeit: „Wenn ich irgendetwas bedauere, dann ist es, während eines Beatles-Konzertes nie im Publikum gesessen zu haben. Ich hätte so gerne den anderen Blickwinkel gehabt. Es muss aufregend gewesen sein. Es war schon aufregend, auf der Bühne zu sitzen, aber im Publikum zu sein, das stelle ich mir fantastisch vor. Es gab zu viele schöne Dinge daran, Mitglied der Beatles gewesen zu sein. In England berühmt zu sein war eines. Dann waren wir berühmt in Europa und plötzlich fuhren wir nach Amerika und waren in der Ed Sullivan Show. Wir haben die Palladium Show gemacht und ich war schon krank vor Aufregung. Und dann kam das Shea Stadium.Wenn man auf seine Karriere zurückblickt, was war daran das Beste? Mit John in einem Ruderboot auf Loch Ness zu segeln? Es war eine großartige Zeit!“ John und Yoko fliegen am 12. Juni nach Los Angeles, wo Ringo sein Album Rotogravure aufnimmt. Ringo: „Das Album ist wie die Farbbeilage der Sunday Times oder vom Observer, ein Photoalbum gewissermaßen mit Bildern. Der Titel kommt aus dem Film Easter Parade, wo ich das Wort Rotogravure das erste Mal gehört und mich gefragt habe, warum redet der jetzt Russisch? Irgendwo in der Mitte des Lieds hört man dieses verrückte Wort. Es hat sich mir all die

253 Jahre eingeprägt und passt zum Namen. Ringos Rotogravure, das fließt. Ich habe John, Paul und George gebeten, ein Lied zu schreiben, und von John ist Cookin', von Paul Pure Gold100 und von George gab es ein Lied, das fünf Jahre alt ist und mir immer schon sehr gut gefallen hat und ich habe zu ihm gesagt: Du musst mir keines schreiben, mir gefällt das so gut. Es heißt I'll Still Love You101.“ Ringo wird über die Wiedervereinigung der Beatles befragt und meint: „Es wäre doch schöner, wenn eine neue Gruppe zustande käme. Ich habe auf Queen gesetzt, die ein schönes Album gemacht haben und ich dachte, na endlich ist da eine neue Gruppe, die wirklich groß werden kann. Aber dann ist es dabei geblieben. Elton macht sehr viel und auch Eric Clapton, aber es gibt nichts wirklich Aufregendes! Ich warte wirklich darauf, dass da jemand kommt. Warum fragen sie immer uns? Natürlich sind wir was Besonders, aber ich fürchte schon, dass sie uns im Alter von 85 Jahren noch mit dem Rollstuhl in eine Fernsehshow fahren und sagen werden: Hier ist er, der Ex-Beatle. Es zählt nicht, was ich seither gemacht habe.“ Reporter: „Wie sieht es mit Konzerten aus? Oder bleiben Sie nur im Plattenstudio?“ Ringo: „Da als Frontmann vorne zu stehen, das ist mir ein bisschen zu viel Verantwortung. Ich werde nicht da raus gehen und Back Off Boogaloo oder Photograph singen. Ich kann das nicht. Das bin nicht ich. Mit den Beatles habe ich immer nur 25 Minuten am Stück gespielt. Heute dauert das 2 ½ Stunden. Man langweilt sich, so lange zuzuhören. Aber vielleicht mache ich einmal mit anderen Leuten gemeinsam etwas.“

100 http://www.youtube.com/watch?v=WcIWwIedymE 101 http://www.youtube.com/watch?v=pS3_e2KbjwQ

254 Diese Idee, die hier nur andeutungsweise geäußert wird, wird Ringo Jahre später mit seiner „All Starr“ Band umsetzen, bei der er auch nur zwischendurch kurz auf die Bühne geht und den anderen den Abend überlässt. John spielt auf Rotogravure Klavier bei den Liedern A Dose Of Rock'n'Roll102 und seiner Komposition Cooking' (In The Kitchen Of Love)103. Es wird das die letzte Plattenaufnahme in vier Jahren sein, die John macht. John und Yoko haben einen Säugling zuhause, Sean. Während Yoko ihre künstlerischen Aktivitäten ungebremst fortsetzt, ist John der Hausmann, der sich um die Erziehung des Kindes kümmert. Seine Kreativität versiegt, und ein Ausflug wie dieser nach Los Angeles zu Ringo die Ausnahme von der Regel. Einem Reporter sagt John: „Es ist leicht zu sehen, wenn dein Nächster nicht mehr ehrlich zu sich selbst ist, wenn er sich etwas vormacht. Aber bei einem selbst ist das nicht so leicht. Ich hatte keine Lust mehr, und irgendwann einmal sagte Yoko: Du musst das nicht tun, weißt du? Ich war schockiert. Ich hätte selbst nie daran gedacht, aufzuhören. Konnte die Welt ohne ein weiteres John-Lennon-Album auskommen? Konnte ich ohne es auskommen? Letztendlich merkte ich, dass die Antwort auf beide Fragen Ja war. Also habe ich die Klappe gehalten und das Kochen gelernt und mit dem Baby zu sein und zu erlauben, dass meine weibliche Seite lebt, anstatt sie zu unterdrücken wegen der eigenen Unsicherheit, nicht männlich genug zu sein. Ich habe diesen ganzen Macho-Quatsch beendet. Ich habe in den Zeitungen gelesen, dass ich durchgedreht haben soll

102 http://www.youtube.com/watch?v=vdzqUHDhUks 103 http://www.youtube.com/watch?v=Rw6blSUlj- o&feature=related

255 oder so und den ganzen Tag in einem dunklen Zimmer sitze mit langen Haaren und langen Fingernägeln und fand das ziemlich komisch.“ Laut Ringo nimmt John seine Pflichten als Vater so ernst, dass nicht einmal Yoko die Windeln des Kindes wechseln darf. Für Ringo ist die Platte nicht so erfolgreich wie die beiden vorhergehenden. Sie kommt aber immerhin auf Platz 28 in den amerikanischen Charts. Ringo geht auch auf Werbetour in Amerika, seiner Wahlheimat seit 2 Jahren, und erzählt einer Reporterin in Los Angeles: „Ich habe John um ein Lied gebeten, und er hat daran gearbeitet und gearbeitet und letztendlich ist ihm You Got Me Cooking eingefallen. Sie müssen wissen, das interessiert ihn derzeit wirklich, das Kochen!“ Als er gefragt wird, ob die Beatles wieder zusammenkommen – schließlich haben alle vier an seinem Album mitgearbeitet - wird Ringo wieder ärgerlich: „Schauen Sie, wir sind Brüder“, sagt er. „Wir werden einander immer nah sein. Man geht miteinander nicht durch Dick und Dünn ohne Liebe füreinander, und deshalb ist es nur normal, wenn man mitunter am Album von einem anderen mitspielt.“ Reporterin: „Wie lange leben Sie schon in diesem Haus in den Hollywood Hills?“ Ringo: „Es ist unser zweites Jahr. Ich lebe hier sechs Monate im Jahr, aber nicht durchgehend, sondern stückweise. Die Woche fliege ich wieder nach Europa zurück, mit der Concorde.“ Reporterin: „Haben Sie auf dem neuen Album auch eigene Lieder geschrieben?“ Ringo: „Ja, eine Country-Nummer mit Vinnie Poncia und es gab noch ein zweites Lied, das wir nicht verwenden konnten, was schade ist, wenn man eine

256 Eigenkomposition wegwirft. Nancy und ich haben ein Lied gemeinsam in Mexiko geschrieben und eine Mariachi Band darauf angesetzt. Eine ganz gewöhnliche Mariachi Band aus einem Restaurant und ich. Ich spiele darauf Maracas, das war's. Es ist schön geworden, mit mexikanischem Spanisch.“ Reporterin: „Wie haben Sie die Mariachis gefunden?“ Ringo: „Wir haben sie in einem der Restaurants gehört, sie waren fantastisch. Sie tanzen nicht, sondern spielen und das sehr gut. Ich glaube, sie waren noch nie in einem Plattenstudio gewesen. Also marschierte ich da hinein mit meiner verspiegelten Sonnenbrille und sah aus wie einer, der Verfolgungswahn hat, während sie probten. Keiner sagte ein Wort, nicht mal Hallo. Dann nahm ich meine Sonnenbrille ab und plötzlich: „Hey, einer der Bottles, de Bettles ... Bing-A-Loo! Pappa-lay, einer von die Bodles. Nur einer von ihnen konnte Englisch, sonst hörte man nur mexikanisches Quak- quak. Ich fand das so lustig, ich musste so lachen, dass ich auf den Boden fiel.“ Ringo hat eine kurze Affäre mit der englischen Schlagersängerin Lindsey de Paul. Er spielt für sie Tamburin auf einem Song, den sie herausbringt und der zugleich das Ende ihrer Affäre beschreibt. Das Lied heißt Don't You Remember When. Ringo inspiriert ein weiteres Lied mit dem Lied If I Don't Get You The Next One Will. Lindsey erzählt, dass Ringo ein Treffen mit ihr versäumt hätte, weil er in seinem Büro eingeschlafen war. Das Lied markiert das Ende ihrer Affäre. Am 9. Oktober schickt Ringo in New York als Geburtstagsgeschenk für John die Sängerin Cherry Vanilla hinüber in dessen Apartment, wo sie ihre eigene spezielle Version von Romeo & Julia vorspielt, um ihn

257 von seinen Vaterpflichten abzulenken. John und Yoko verkünden, dass sie ein Buch über Sean vorbereitet haben. Der Fotograf Bob Gruen hat an jedem Tag seines ersten Lebensjahres ein Bild von dem Kind gemacht. Das Buch soll „365 Days Of Sean“ heißen.

1977

Am 10. Januar 1977 sind alle Rechtsstreitigkeiten der Beatles geklärt, würde man meinen, aber es gibt immer noch Probleme mit der Auflösung der Firma Apple. Wieder einmal wird Ringo vorgeschickt, um mit Paul zu reden, weil kein anderer Beatle mehr mit Paul über Geschäftliches sprechen kann. Aber auch er stößt an seine Grenzen. Paul, der gerade mit Mull Of Kintyre die erfolgreichste Single aller Zeiten veröffentlicht hat: „Diese Apple- Sache ist sehr schwierig und ist es über viele Jahre gewesen. Ringo kam vorbei, als wir unser Baby bekommen hatten und wir plauderten und leerten eine Flasche Wein miteinander. Es war alles super, bis wir wieder über die Apple-Sache zu reden begannen und schon in diesem Augenblick war das schon wieder so schrecklich, dass wir dachten: Besser, wir reden über einfache Dinge. So ist diese Situation. Jedes Mal, wenn einer Apple sagt, gibt es furchtbaren Streit. Es ist wie bei einer Scheidung.“ Ein Problem bei der Sache ist, dass John überhaupt nicht mehr an Geschäftliches denken möchte und jedes Treffen verweigert.

258 Ringo: „John sagte, dass er einfach ein Jahr frei nehmen möchte und mit niemandem irgendwie vertraglich gebunden sein, nicht mit einer Plattenfirma und auch mit sonst keinem. Er möchte 12 Monate lang nur er selbst sein, weil er das niemals konnte.“ Ringo bringt seine neue Platte Ringo The 4th heraus. Sie ist sehr stark von Disco geprägt und eine kommerzielle Katastrophe.

1978

Am 27. März 1978 wird auf der BBC eine Beatles- Parodie mit dem Titel All You Need Is Cash gezeigt, deren Stars die Rutles sind. Ringo mag die Sendung nicht, weil er zu sehr an die traurigen Zeiten erinnert wird, vor allem das Zerbrechen der Beatles. Am 17. Juli, am 3. Jahrestag seiner Scheidung mit Maureen, treffen sich Ringo und Maureen mit ihren Kindern bei einer Party und lösen dadurch Gerüchte aus, dass sie wieder zusammengehen wollen. Das ist aber nicht der Fall. Ein Freund beschreibt Ringos Gefühle so: „Ringo hat für Maureen immer einen Platz in seinem Herzen bewahrt. Aber er hat Kontakt mit der Person verloren, die er einmal geliebt hat.“ Seine neue LP heißt Bad Boy und ist ebenso erfolglos wie seine letzte Platte. Als Schauspieler hat er eine neue Rolle in dem Film Sextette, in dem er an der Seite der legendären Schauspielerin Mae West auftreten darf, die den Film dominiert. Ringo: „Es war fantastisch, mit ihr zu spielen, weil sie eine Legende war, aber am ersten Drehtag war ich sehr

259 verkrampft. Ich hatte das Gefühl, nichts beeinflussen zu können. Am Ende des 2. Tages aber hätte ich gerne noch weiter gemacht.“ Auch dieser Film ist kein Erfolg in den Kinos. Der 7. September wird ein besonders trauriger Tag für Ringo. Keith Moon wird in Harry Nilssons Wohnung in London tot aufgefunden. Moon hat die letzte Nacht auf einer Party verbracht, bei der auch Paul und Linda waren. Sie wurde zum Anlass des Filmstarts der Buddy-Holly-Story gegeben. Paul war dort, weil er die Musikrechte für alle Buddy-Holly-Songs erworben hat, eines jener Investments, die ihn steinreich machen werden. Der nächste Schlag folgt am 16. September, als auch Marc Bolan stirbt. Die Sängerin Gloria Jones sitzt mit Alkohol am Steuer und rast in der Nähe von London in einen Baum. Marc sitzt daneben und ist augenblicklich tot. Ringo gegenüber der Presse: „Ich habe Keith und Marc immer sehr geliebt. Einige andere meiner Freunde leben nicht mehr und einige Bekannte auch wie Jimi Hendrix und Janis Joplin. Es ist immer eine Tragödie. Was mich am meisten daran stört, ist, dass sie nicht mehr spielen. Ich bin ein Fatalist, ich glaube an das Schicksal, und ich glaube, dass jeder seine Zeit vorbestimmt hat, egal, was wir tun. Diese Einstellung ist vielleicht die einzige, mit der ich verkraften kann, wenn ich sehe, dass Freunde sterben. Ich gehe zu keinen Begräbnissen, weil ich nicht daran glaube. Ich glaube, dass die Seele weg ist, sobald man in die Limousine gestiegen ist. Sie ist da oben oder wo auch immer. Immer wieder kann ich es selbst nicht erwarten, dass es bei mir mal so weit ist ... Was für eine Band könnte man mit den Toten machen! Es wäre schön,

260 wenn man ihnen einen Besuch abstatten könnte. Ich werde sehr traurig und es macht mich manchmal ganz verrückt, zu denken, was für eine Verschwendung das ist. Ich vermisse Marc Bolan und Keith. Man schaut in sein Telefonbuch und man kann sie nicht mehr anrufen. Das ist eben dann das Ende.“ Zwei Tage später heiraten George Harrison und Olivia Arias am Standesamt in Henley-on-Thames. Die einzigen Gäste sind Olivias Eltern, die auch als Trauzeugen fungieren.

1979

Ringo verlebt den Großteil dieses Jahres in Monte Carlo. Ringo: „Es ist sehr schön dort. Ich kann drei Länder von meiner Wohnung aus sehen, Italien, Frankreich und Monaco. Es hat seine Vorteile. Ich verbringe meine Tage dort mit Schlafen, oder im Sommer liege ich in der Sonne. Am Abend kann man entweder Abendessen oder spielen. Es gibt dort viele Freunde von mir, eine Menge Engländer, die dort leben.“ Reporter: „Wie würden Sie Ihr Leben heute beschreiben?“ Ringo: „Als Vorruhestand. Ich arbeite schon ein bisschen, und auch wieder nicht. Ich bin in der Lage, das zu tun, was mir Spaß macht. Früher musste ich jeden Morgen in den Dienst. Das will ich heute nicht mehr. Ich habe das schon gemacht und was ich jetzt tue, ist einfach angenehmer. Ich bin ein Jet-Setter. Die

261 Hälfte des Jahres sitze ich im Flugzeug und fahre an die verschiedensten Orte. Überall geht die Post ab, wo immer ich auch hinkomme. Es ist eine verrückte Welt ... Ich habe einen Sohn, der jetzt 13 Jahre alt ist und der Schlagzeuger werden will und auch schon ein sehr guter Drummer geworden ist und seine eigene kleine Band hat. Ich gebe ihm meine Tipps und ermuntere ihn auch, weiterzumachen.“ Reporter: „Wie sehen Sie die Beatles heute?“ Ringo: „Diese Band? Sie war die beste der Welt. Ich habe nie mit besseren Leuten zusammengespielt. Es war großartig. Ich habe mich vielleicht nicht jede Minute wohlgefühlt, aber selbst die schlechten Zeiten waren gut. Ich habe diese Zeit immer geliebt. Wenn man daran zurückdenkt, denkt man ohnehin nur an das Gute. Es gab harte Zeiten. An manchen Tagen gab es gar keine Freude. Aber insgesamt gesehen war es eine wundervolle Zeit in meinem Leben, besonders mit diesen drei bewundernswerten Typen.“ Reporter: „Warum sind die Beatles für so viele Menschen auf dieser Welt noch so wichtig?“ Ringo: „Wen gibt es denn sonst? Keinen. Jeder kann mit den Beatles etwas anfangen. Sogar Kindern, die damals noch gar nicht geboren waren, sagt die Musik etwas. Wenn man sich die Platten anhört, beziehen die sich auf jeden, es gibt Kinderlieder, Lieder für die Eltern und Großeltern ... wenn ich ausgehe, ist das immer in die gleichen Clubs und sie spielen dort keines unserer Lieder, weil ich sonst auf die Bühne müsste und zum Playback singen, aber ja, ich bin selbst ein großer Fan der Beatles. Ich meine, dass wir einige der besten Platten überhaupt gemacht haben.“ In dieser Zeit wird auch George zu dem Thema gefragt, und er sieht die Sache etwas anders.

262 George: „Ich weiß, dass Ringo gesagt hat, dass er das Gefühl hatte, seinen Job zu verlieren, als die Beatles auseinander gingen. Bei mir war das ganz anders. Ich sagte mir: Gott sei Dank. Ich war froh, dass diese kleine Fabrik niederbrannte. Für mich war das erstickend. Heute ist alles schön für mich. Das Leben ist wirklich großartig und ich bin wirklich glücklich. Ich arbeite mit anderen Leuten zusammen. Das war früher ein Problem für mich, weil John und Paul ihre Sachen miteinander geschrieben haben. Eine der wenigen Gelegenheiten, mit einem anderen zu arbeiten, war, als Ringo mit seinen Sachen nicht weiter kam und ich ihm dabei half, die Songs fertig zu schreiben. “ Am 15. März kommt Pauls neue Single Goodnight Tonight104 heraus, und Ringo kommentiert: „Seine neue Single geht mir auf die Nerven, wenn ich ehrlich bin. Aber Paul hat diese Dinge, die in einen hineinwachsen. Das erste Mal fragt man sich: Was soll das jetzt? Und dann wird man es nicht mehr los.“ Am 28. April erleidet Ringo in seiner Wohnung in Monte Carlo heftige Bauchkoliken und muss in das Krankenhaus. Die Diagnose ist ernst: Darmverschluss. In einer Notoperation werden 1 ½ Meter seines Darms entfernt. Man hält den Darmverschluss für eine Folge von Verwachsungen, die er seit dem Blinddarmdurchbruch als Kind erlitten hat. Ringo später: „Ich glaube, dass ich an dem Tag dem Tod ins Auge geblickt habe. Wenn ich nicht operiert worden wäre, wäre ich jetzt tot. Und ich kann es kaum glauben, was sie mir alles herausgeschnitten haben.“ Am 19. Mai 1979 treffen Paul, George und Ringo nach langer Zeit bei der Hochzeitsparty von Eric Clapton und Pattie Boyd wieder aufeinander und spielen sogar 104 http://www.youtube.com/watch?v=DRCgueckAXE

263 das erste Mal seit Januar 1970 wieder miteinander auf der Bühne in einer Jam Session, die auch David Bowie und Mick Jagger beinhaltet. Paul: „Es war gar nicht merkwürdig für mich, sondern ziemlich normal. Wir waren ein bisschen angedüdelt und hatten miteinander gelacht und fühlten uns wieder nah, ziemlich normal. Erst tags darauf habe ich gemerkt, was es anderen bedeutet hat, weil es große Aufregung gab.“ Denny Laine von den Wings: „Die Party dauerte eineinhalb Tage und es gab eine große Bühne auf dem Anwesen und einmal gingen die Musiker da hinauf und spielten zusammen. Der einzige Beatle, der fehlte, war John Lennon, und Mick Jagger nahm seinen Platz ein.“ Paul: „Die Erwachsenen saßen gemeinsam herum und tranken etwas und plauderten und die Kinder langweilten sich und begannen auf einigen der Instrumente, die auf der Bühne herumlagen, zu spielen. Dann stand einmal ein Erwachsener auf und wir anderen auch. Plötzlich waren George, ich und Ringo auf der Bühne und andere scherzten, ob die Beatles wieder zusammenkommen würden. Ginger Baker, Robert Palmer und Chas & Dave waren auch da. Der Jam fand eigentlich nur statt, um die Kinder von den Mikrophonen weg zu kriegen, weil sie so viel Lärm machten. Also gingen wir auf die Bühne, um noch mehr Lärm zu machen.“ Denny Laine: „Keine Ahnung, wie die Musik klang, aber die Beatles waren fast wieder zusammen. Die Bühne wankte unter dem Beatles-Hit Get Back.“ Eine Woche später sagt John zu Ringo: „Hätte ich von der Sache gewusst, wäre ich auch gekommen.“

264 Im Juli wird Ringo in einem Interview gefragt: „Die meisten Insider im Popgeschäft schätzen, dass Sie immer noch mehr als eine Million Pfund im Jahr mit Beatles-Platten verdienen. Stimmt die Zahl?“ Ringo: „Apple tut das sicherlich. Oder sogar mehr. Aber alles heute ist so teuer. Haben Sie den Preis von Brot gesehen? Ich könnte in England nicht leben, das kann ich ihnen sagen. Nein, ernsthaft, es kommt auf die Verkaufszahlen an. Wir verkaufen eine Million Platten im Jahr, aber das geht an Apple und das ist ein Problem, das wir noch lösen müssen. Wir sitzen schon zehn Jahre daran. Deshalb dieser ganze Ärger, nicht durch den Bruch, sondern wegen der Gerichtssachen, wo wir uns alle wie Divas aufgeführt haben. Aber jeder von uns wollte seinen Kopf durchsetzen. So sind die Menschen eben. Ich bin es leid zu sagen: Paul hat uns verklagt, aber er war es, weil er seine Gründe hatte. Ich kann ihm dafür nicht die Schuld geben. Damals habe ich ihn allerdings gehasst. Na ja, ich habe noch nie jemanden gehasst, aber ich war sehr verärgert. Heute hasse ich ihn natürlich nicht mehr. Er ist ein feiner Mensch und das letzte Mal, als ich bei ihm war, hatte er sein letztes Kind. Ich ging ins Krankenhaus, um Linda zu besuchen. John backt Brot und kümmert sich um seinen Sohn. Ja, ich liebe diesen Mann. Das letzte Mal, als ich in New York war, habe ich ihn angerufen. Das vorletzte Mal haben wir uns getroffen. Es ist immer gleich zwischen uns. George geht es gut, er macht Platten, wie wir alle. Wenn es passt, treffen wir uns. Das ist es. Heute bin ich in London, aber ich werde Paul nicht anrufen und sagen: Hey, machen wir etwas zusammen? Er hat wahrscheinlich genug zu tun und ich auch. Natürlich haben wir alle etwas Außergewöhnliches

265 miteinander erlebt. Aber das heißt auch nicht, dass wir unser ganzes Leben zusammen verbringen müssen.“ Kurt Waldheim, der Generalsekretär der UNO, bittet die Beatles am 21. September 1979, sich wieder zu vereinen, um den Boat People aus Vietnam zu helfen. Ringo, verärgert: „Diese Leute glauben, dass ich einfach mein Schlagzeug einpacken und nach Sheffield hinaus fahren und spielen kann. Es würde Monate dauern, bis wir uns einen Bühnenauftritt erarbeiten könnten. Davon abgesehen möchte ich gar nicht, dass es zu einer Wiedervereinigung kommt. Die anderen können sich wiedervereinigen, aber ich werde das nicht tun. Wenn es zu einer Wiedervereinigung kommt, dann werden wir euch das mitteilen und kein Mensch von außen. Es sind Leute, die selbst das Rampenlicht suchen, die solche Geschichten verbreiten. Was ja ziemlich einfach ist, sobald man den Namen der Beatles in den Mund nimmt.“ Paul: „Keiner von uns wollte diese Show machen, weil die Beatles aus und vorbei sind.“ Am 5. November besucht Ringo John im Dakota- Gebäude und John gibt ihm seine Demo für das Lied Life Begins At 40 mit, die Ringo für sein nächstes Album gebrauchen will. Am 12. November verfasst John sein Testament. Er hat derzeit ein Vermögen von 30 Millionen Dollar, das er zur Hälfte seiner „geliebten Frau“ und zur Hälfte seinem Sohn Sean vermacht. Sein erster Sohn Julian geht leer aus. Am 28. November erlebt Ringo den zweiten großen Schreck dieses Jahres, als sein Miethaus in den Hollywood Hills in Los Angeles in Flammen aufgeht. Er ist zuhause, als es zu brennen beginnt.

266 Ringo: „Plötzlich kam eine Rauchschwade durch das Fenster. Als ich hinauslief, sah ich, dass das Dach schon brannte. Ich konnte noch ein paar Sachen retten, aber viel Unwiederbringliches aus den alten Tagen wurde zerstört. Meine Erinnerungen an die Beatles hatte ich unter dem Dach aufbewahrt, auch goldene Schallplatten von damals und das ist alles weg.“

1980

Anfang des Jahres wird Paul in Japan verhaftet, weil er Haschisch in seinem Gepäck hat. Die Drogengesetze in Japan sind streng: Paul muss für zwei Wochen in Untersuchungshaft, wird dann aber frei gelassen. Leider sind Wings nicht ausfallsversichert, und der Millionenschaden, der durch die Absage der Konzerte entstanden ist, muss von Paul alleine getragen werden. Das Erlebnis markiert auch den Anfang vom Ende der Band Wings, denn Paul ärgert sich, dass sich Denny Laine in der Karibik einen Urlaub gegönnt hat, während Paul im Gefängnis saß. Ringo: „Ich hatte damals nicht einmal seine Telefonnummer, aber ich habe Paul Blumen geschickt und eine Packung Pralinen.“ Im Februar photographiert man John mit einem wild wuchernden Bart auf einem Floridaurlaub und stellt das Bild neben Ringo in seinem Höhlenmenschenkostüm im Film Caveman. Nach seiner Rückkehr verkündet John, dass er „revitalisiert und bereit für einen Zeitabschnitt konstanter Wiedergeburt“ ist. John

267 schreibt in dieser Zeit die Hits (Just Like) Starting Over105 und Beautiful Boy106. Der Film Caveman ist eine Blödelkomödie, in der Ringo das Feuer (und damit Brathähnchen) entdeckt und der Menschheit mit chirotherapeutischem Griff zum aufrechten Gang verhilft. In dem Film gibt es nur 15 Wörter Dialog, die kreativ miteinander kombiniert werden. Ringo: „Ich habe in dem Film wenig Text, nur ein paar Nonsensewörter wie Ool (Holz), Harakah (Feuer) und Folls (Kinder).“ Der Regisseur des Films, David Foster, der 1967 durch den Film Die Abschlussprüfung mit Dustin Hoffman bekannt geworden ist, meint damals: „Ringo ist ein unentdecktes komisches Genie. In der Vergangenheit hat er nie ernsthaft versucht, Schauspieler zu werden, aber jetzt will er das tun.“ Ringo: „Das Problem war, dass ich das Schauspielern als Rock'n'Roller versucht habe. Ich habe Rollen bekommen, weil ich jemand war. Manche wollten einfach einen Beatle in ihrem Film haben, egal, ob ich mich dafür auch anstrengen wollte. Heute ist das nicht mehr so. Wenn einer Ringo Starr eine Rolle anbietet, dann hat das nichts damit zu tun, dass er ein Beatle war. Die Ansprüche sind heute höher, und das ist mir recht. Vielleicht blamiere ich mich dabei, aber immerhin stehe ich als Schauspieler auf meinen eigenen Beinen. Vielleicht markiert Caveman eine neue Phase in meinem Leben. Ich habe auch schon einen neuen Film in Aussicht, eine moderne Komödie, in der ich einen ungewöhnlichen Psychiater spiele. Eine Rolle, die mich wirklich einmal reizen würde, wäre die eines wirklich

105 http://www.youtube.com/watch?v=iAJ2AoEwDvY 106 http://www.youtube.com/watch?v=Uldu_1-JCJE

268 sadistischen Bösewichts. Ich möchte Schauspieler werden und trotzdem noch einmal im Jahr eine Platte machen. Wer einmal ein Rock'n'Roller war, wird es bleiben.“ Der Film Caveman ist am Box Office kein großer Erfolg, aber er hat für Ringo große Konsequenzen, denn er trifft am Set in Mexico seine zukünftige Frau Barbara Bach. Die Schauspielerin wurde als Bond-Girl bekannt. Ringo und Barbara sind die Stars den Films, in dem auch Dennis Quaid und Shelley Long mitspielen. Barbara: „Durango war ein wundervoller Ort zum Drehen, weil es so schön war, obwohl wir zwei Stunden brauchten, um dorthin zu kommen und zwei Stunden Rückfahrt hatten. Zuerst wollte ich die Rolle spielen, weil ich vorher immer in ein Klischee gepresst worden war. Diesmal war es eine Komödie und es hieß: Wir werden diesmal einen großen Star für die Hauptrolle holen und ich sagte: Großartig, weil es Warner Brothers waren und so weiter. Dann, eine Woche vorher, hieß es: Wir haben eine Sitzung geplant im Haus des Regisseurs und der Star wird dort sein, es ist Ringo. Nach einer Woche Dreharbeiten verstanden wir dann langsam, dass wir den richtigen Star gefunden hatten. Ich hatte ihn schon einmal im Jahr 1965 gesehen, als ich mit meiner Schwester Marjorie im Shea-Stadium war und die Beatles im Hubschrauber einflogen. Damals war ich 19 Jahre alt und nicht besonders interessiert. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ihr Auftritt sehr kurz und sehr laut war. In Caveman hatten wir eine Liebesaffäre vor der Kamera und das hat sich sehr angenehm auch im wirklichen Leben eingestellt. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, aber hat schon innerhalb der ersten Tage zu wachsen begonnen.“

269 Ringo: „Wir waren enge Freunde während des Films und zwei Wochen vor dem Ende der Dreharbeiten haben wir uns ineinander verliebt.“ Eigentlich hatte Ringo zu der Zeit die Absicht, zurück nach England zu gehen, weil er sich mit Maureen versöhnen wollte. Und er ist offiziell auch noch mit Nancy Andrews zusammen. Trotzdem: Die Liebe ist stärker. Barbara und Ringo verbringen die letzten Nächte am Set schon im gleichen Zimmer. Barbara: „Am 27. April sagte er zu mir, dass er mich liebt. Ich war kein Beatles-Fan, was die Sache erleichtert hat. Ich ging mit ihm um wie mit jedem anderen. Nach einer Weile aber berührte mich seine Großzügigkeit. Er ist so geduldig und verständnisvoll. Ein Beispiel: Ritchie kann nicht schwimmen, aber es gibt in dem Film eine Szene, in der er mich aus dem Fluss retten soll. Carl, der Regisseur, sagte, dass das ein Double machen könne, aber besser wäre es, wenn Ritchie hinein springen würde. Also springt er. Bevor er es zu mir geschafft hat, ist er schon am Ertrinken, und als wir zum Fels kommen, habe ich ihn schon hoch an die Wasseroberfläche gedrückt.“ Am letzten Drehtag begleitet Ringo Barbara zum Valentinstagsfest und sie tanzen miteinander. Danach fliegt er nach Monaco zurück, weil dort gerade der Grand Prix abgehalten wird, den Ringo nicht versäumen möchte. Da wird Barbara bewusst, dass sie sich in ihn verliebt hat. Barbara: „Er lud mich ein, mit ihm zu kommen, und ich zögerte keine Sekunde. Es war sehr natürlich für mich.“ Ringo nennt Barbara übrigens nicht Barbara, sondern aus unerfindlichen Gründen - Doris. Ringo: „Das erste Mal gefiel sie mir, als ich sie im Playboy sah. Da blieb wenig der Vorstellungskraft

270 überlassen. Während der Pausen bei den Dreharbeiten erzählte ich ihr von Südfrankreich. Vom Grand Prix in Monaco, und ich fragte Doris dann auch, ob sie mit mir kommen wollte. Ich sagte zu ihr, dass es mich sehr verstören würde, wenn sie nicht mitkommen würde und dass ich sie sehr vermissen würde. Sie sagte, dass es ihr auch so gehen würde. Also flogen wir gemeinsam nach Europa. Das klingt jetzt vielleicht nicht besonders romantisch, aber wenn man glücklich ist, ist das auch egal.“ Barbara: „Als mich Ringo zum Grand Prix eingeladen hat, habe ich keine Sekunde gezögert. Obwohl ich ja wegen des Films, in dem ich mitgespielt habe, mit James Bond in Verbindung gebracht werde, ist er nicht mein Typ. James Bond ist für mich arrogant und selbstsüchtig. Ich mag einen Mann lieber, der ruhig ist, intelligent und empfindsam – und natürlich auch gut aussehend. Wie Ringo. Es hat sich herausgestellt, dass wir die gleichen Dinge mögen und die gleichen Orte. Wir werden den Sommer in Frankreich verbringen. Es gibt dort so viele versteckte Plätze, die wir einander zeigen wollen. Es wird schön sein, dort herumzufahren an der Küste und auf dem Land in Frankreich.“ Barbara kennt diesen Teil Europas besser als Ringo, weil sie zehn Jahre in Italien gelebt hat. Nancy Andrews erfährt recht abrupt, dass sich Ringo verliebt hat. Die Sache ist heikel, weil Nancy Barbara noch als Freundin von Ringo am Set kennen gelernt hat und sie auch mochte. Dass Ringo hinter ihrem Rücken etwas mit Barbara anfängt, ist für Nancy ein Schlag: „Ich war wütend und enttäuscht, dass er mich wegen Barbara abserviert hat. Er hatte mir einen Heiratsantrag gemacht und wollte mit mir zusammenziehen und eine Familie haben. Ich war sehr verletzt und enttäuscht

271 darüber, wie er mich behandelt hat. Er hat sich nicht wie ein Gentleman aufgeführt. Ich war mehr als eine halbe Dekade seine Frau und plötzlich, ohne Vorwarnung, lässt er mich fallen. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte Barbara für eine enge Freundin gehalten, und es war erniedrigend zu erfahren, dass sie hinter meinem Rücken eine Liebesaffäre angefangen hatten.“ Am 19. Mai sitzen Barbara und Ringo in der Nähe von London in seinem Mercedes 350 SL auf dem Weg zu einer Party, als ein Lastwagen ausschert und Ringo von der Straße abdrängt. Es hat an dem Tag geregnet und die Straße ist rutschig. Der Wagen überschlägt sich zweimal. Es ist ein Totalschaden, aber die beiden steigen mit geringen Verletzungen aus. Ringo hinkt ein bisschen, doch er achtet nicht darauf, holt Barbara aus dem Auto und geht dann noch einmal zurück wegen seiner Zigaretten. Die Rettung bringt beide ins Roehampton Krankenhaus. Barbara hat einige Schnittwunden erlitten und klagt über Rückenschmerzen. Ringo: „Da haben wir beschlossen, dass wir immer zusammenbleiben wollen. Das längste, was wir seither getrennt waren, waren fünf Tage, und das war viel zu lang. Ich möchte jede Minute meines Lebens mit Barbara verbringen.“ Ringo lässt den Wagen in einen Würfel pressen, und macht daraus ein Ausstellungsstück. Er lässt kleine Scherben der Windschutzscheibe in Kettenanhänger einarbeiten, die sie beide fortan tragen. Drei Wochen später sagt Barbara zu ihrem Vater, dass sie Ringo heiraten wird. Barbara Bach ist 1947 geboren und stammt aus New York. Ihr Vater ist ein österreichischer Jude namens

272 Goldbach und ihre Mutter eine irische Katholikin. Der Vater ist Polizist und die Mutter Hausfrau. Barbara ist das älteste von fünf Kindern. Sie verlässt ihr Elternhaus mit 16 und wird Model. Schnell steigt sie die Karriereleiter hinauf und ist lange Jahre als Topmodel in der ganzen Welt unterwegs. 1966 heiratet sie einen italienischen Geschäftsmann. In Italien wird sie eines Tages auf der Straße gefragt, ob sie fürs Fernsehen arbeiten will, sagt ja und macht dann in der Folge Werbeaufnahmen. 1971 versucht sie in Italien ins Filmgeschäft zu kommen. 1977 steigt sie zum internationalen Sexsymbol auf in der Rolle als kühle und attraktive russische Spionin Anya Amasova im neuen James Bond The Spy Who Loved Me. Sie lässt sich mehrmals im Playboy ablichten und wird bis in die Mitte der 1980er in 28 Filmen mitwirken. Danach studiert sie in Los Angeles Psychologie und wird 1993 ihr Studium erfolgreich abschließen. 1980 ist Barbara sehr verliebt in ihre „Ritchie“. Die Beziehung soll aber auch sehr stürmisch sein, und ein Handgemenge zwischen den beiden ist von Anfang an nicht ganz selten. Barbara hat zwei Kinder aus ihrer ersten Ehe, zwei Mädchen im Alter von 10 und 5 Jahren. Sie ist seit fünf Jahren geschieden. Am 4. Oktober geben die beiden ein Interview in ihrer Wohnung in Monaco. Ringo freut sich, dass sein mittlerweile 14-jähriger Sohn Zak auch Schlagzeuger werden möchte. Ringo: „Er spielt in einer Heavy-Metal-Gruppe und möchte schon von der Schule abgehen. Ich musste den harten Vater spielen, der sagt: Nein, du musst in der Schule bleiben oder dein Vater muss sonst ins Gefängnis.“

273 Über Maureen sagt Ringo: „In den ersten Jahren nach der Scheidung war es schwierig, aber jetzt können wir wieder miteinander reden. Wir sind wieder freundlich miteinander geworden und ich kann sie in London besuchen und die Kinder sehen, ohne dass man sich dabei unwohl fühlt.“ Barbara: „Bevor ich mit Ringo zusammengekommen bin, haben mir die Kinder in meinem verrückten Job Stabilität gegeben. Wenn eine Schauspielerin nicht diese Art der Verantwortung hat, kann sie sehr schnell abrutschen. Ringo ist Teil dieser Stabilität. Er hat mir mehr gegeben, als ich vorher hatte und ich weiß, dass ich das in meiner Zukunft brauche. Wir möchten einander nicht mehr aus den Augen lassen. Wir wissen, dass wir viel Zeit miteinander verbringen wollen. Es ist etwas ganz Besonderes, das wir haben. Es ist uns egal, wenn die Leute denken, dass wir uns wie verliebte Teenager aufführen, unsere Gefühle sind sehr intensiv und das ist alles, was zählt. Wir wollen beide möglichst lange diese Gefühle haben. Wer weiß, wie alles enden wird? Keiner kennt seine Zukunft, deshalb versuchen wir, alles zu genießen, so lange wir können. Ringo ist der netteste, liebste, witzigste und einfühlsamste Mann, den ich jemals getroffen habe.“ Ringo: „Etwas ganz Besonderes hat bei uns Klick gemacht. Sie ist schön, sexy, humorvoll und warmherzig. Ich bin nicht mit ihr zusammen, weil sie die schönste Frau der Welt ist, sondern die süßeste, einfühlsamste Frau, die ich jemals gekannt habe. Ich bin seit vielen Jahren nicht so glücklich gewesen. Sie ist der einzige Stern in meinem Leben.“ Am 15. November essen Ringo und Barbara mit John und Yoko im Plaza Hotel zu Abend. John ist gerade 40 geworden. Er möchte wieder zur Musik zurückkehren,

274 hat in den letzten Wochen viele Lieder komponiert und verspricht auch Ringo, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten. Die beiden Beatles sprechen viel über die Vergangenheit. Hier im Plaza haben die Beatles während ihrer ersten Amerika-Tournee im Jahr 1964 das erste Mal gewohnt. Barbara und Ringo ahnen nicht, dass es das letzte Mal sein wird, dass sie John sehen werden. Der Abend ist fröhlich und dauert fünf Stunden. Am 17. November veröffentlichen John und Yoko ihr erstes Album in fünf Jahren, . Das letzte Halbjahr hat für John eine Kehrtwendung bedeutet. Yoko wird später erzählen, dass er innerlich wieder bereit gewesen sei, mit den anderen Beatles Platten zu machen. Er wollte in die Rolle des Popstars zurückkehren, da Sean mittlerweile schulfähig geworden ist. Auf Double Fantasy findet sich das Lied (Just Like) Starting Over, das diese Gefühle ausdrückt, aber auch ein Liebeslied für Yoko, Woman. Am 8. Dezember 1980 stirbt John Lennon in New York. Er war gerade von Plattenaufnahmen in der Record Plant zurückgekommen, als ihn Mark David Chapman im Innenhof des Dakota Gebäudes niederschießt, in dem John die letzten zehn Jahre gewohnt hat. Die Tat findet zwischen 10.45 und 11:00 nachts statt. John stirbt um 11:30 im Roosevelt Hospital. Ringo und Barbara brechen ihren Urlaub auf den Bahamas ab und fliegen nach New York, um bei Yoko zu sein. Ein Reporter: „Teenagers und Punks kauern vor dem Dakota. Sie tragen auf die Schnelle fabrizierte John- Lennon-Buttons und sagen: Wir sind sein Bruder, seine Schwester. Es ist das, was er gepredigt hat ... Ich habe

275 ihn verehrt. Er war mein Leben, Mann. Plötzlich merkt die Menge, dass Ringo Starr eingetroffen ist, umgeben von Leibwächtern. Die Menschenmenge kreischt und schreit und verwandelt sich innerhalb weniger Sekunden in einen Mob, der den Körper der ergrauten und erschrockenen Legende berühren will. Eine Limousine fährt vor und viele in der Menge hoffen, dass es sich um eine weitere Celebrity handelt, umgeben das Auto, schütteln es, schlagen auf das Dach: Ist es George? Schreit jemand. Es muss jemand sein. Drinnen ist Johns erster Sohn Julian. Er ist 17 Jahre alt. Viele Fans gehen vom Dakota aus in den Plattenladen, um ein letztes Memento von ihm zu kaufen, sein letztes Album Double Fantasy, das bislang in sehr bescheidenen Stückzahlen verkauft wurde. Kaum haben die Geschäfte geöffnet, sind sie auch schon ausverkauft. Double Fantasy wird wahrscheinlich schon in dieser Woche auf den Billboard Charts auftauchen.“ Oben im Dakota-Gebäude läutet Ringo an der Tür, und Yoko kommt heraus. Als sie Barbara sieht, möchte sie, dass Ringos Freundin in einem Nebenzimmer wartet, um mit Ringo allein sprechen zu können, doch der erklärt ihr ganz ruhig und mit sanfter Stimme: „Es ist mit uns so wie mit John und dir. Wir sind eine einzige Person.“ Paul erzählt 1984 über diesen Tag: „Merkwürdigerweise haben sich alle Beatles an dem Tag gleich verhalten. Als sie die Nachricht bekommen haben, ging jeder einfach zur Arbeit. Niemand konnte mit dieser Information einfach zu Hause bleiben. Wir mussten arbeiten und mit den Menschen sein, die wir kannten. Wir mussten irgendwie weitermachen.“

276 Das mag für Paul und George stimmen. Ringo kann an dem Tag nicht arbeiten, und wird das auch in den nächsten Jahren nicht können. Er ist am Boden zerstört und völlig fassungslos und spricht Monate lang nicht mit der Presse. Paul wird von manchen kritisiert, dass er die Nachricht vom Tod seines Freundes äußerlich kühl aufnimmt und nur meint: „Zieht einen ziemlich runter, was?“ bevor er ins Plattenstudio fährt, um an seiner Musik zu feilen. Erst einige Tage später sinkt die Botschaft ein, und Paul fährt nach Schottland, um sich dort einige Monate zurückzuziehen. Für Paul ist ab da eine Weile Sendepause, was Konzerte angeht. Er wird in den nächsten Jahren aber, als ob er befreit vom Zwang wäre, John zu gefallen, durch Kooperationen mit Stevie Wonder und Michael Jackson auffallen und noch einmal einige Charthits mit blumigem Pop landen, Songs, die allerdings bei der Kritik durchfallen werden. Auch bei George hat Johns Tod längerfristige Konsequenzen. Zwar dreht er sich nach dem ersten Telefonanruf um halb fünf Uhr morgens einfach um, um weiterzuschlafen. Am nächsten Morgen aber bekommt er es mit der Angst zu tun und beginnt sein Anwesen abzuschotten, da er ein ähnliches Attentat auf seine Person befürchtet. In der Folge sollen auch bei George schwere Jahre kommen, in denen er wenig kreativ ist, mit einer Kokainsucht kämpft und sich mehr und mehr ins Private zurückzieht. Es wird mehrere Jahre dauern, bis er mit dem Album Cloud Nine dann wieder einen letzten Erfolg feiern kann. Ringo ist völlig verängstigt und umgibt sich mit Leibwächtern. Mit Barbara hat er eine Frau an seiner Seite, die ihn stärkt und ihm Schutz und Sicherheit gibt und in dieser Situation tröstet. Johns Tod schweißt sie

277 noch mehr zusammen. Das erste Interview mit Barbara Walters, das Ringo Ende März 1981 führt, zeigt ihn sehr weich und emotional. Er hat mit John – kurz nach dem Scherzbold Keith Moon – einen weiteren zentralen Freund verloren. Kurz vor seinem Tod sagte John über Ringo: „Ringo war schon ein Star aus eigener Kraft, als wir ihn in Liverpool trafen. Er war Berufsschlagzeuger, der auch sang und im Rampenlicht stand und zu einer der besten Gruppen in England gehörte, bevor wir überhaupt einen Drummer hatten. Deshalb wäre sein Talent auch ohne uns zur Geltung gekommen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden wäre, aber was immer es ist, Ringo hat etwas, ein Strahlen in sich, das wir nicht genau benennen können. Ob er jetzt als Schauspieler auftritt oder als Drummer oder Sänger, es ist etwas in ihm, das die Menschen berührt. Das wäre auch ohne die Beatles zum Vorschein gekommen. Und Ringo ist ein verdammt guter Drummer.“

1981

Barbara und Ringo sind am 31. März bei Barbara Walter zu Gast. Sie werden im Garten ihres gemieteten Hauses in Los Angeles interviewt, in dem sie mit Barbaras zwei Kindern leben. Walters: „Barbara, ist es schwierig, mit einem Mann zusammen zu sein, der zum Teil eine Legende und zum Teil ein Mann ist?“ Ringo (im tiefen Tonfall): „Eine ganze Legende, ein ganzer Mann.“

278 Barbara: „Ich lebe nicht mit einer Legende, ich lebe mit meinem Ritchie. Aber manchmal kommt auch der Ringo raus.“ Walters: „Woran merkt man das?“ Barbara: „Er ist ein Schauspieler. Ein Großmaul, mit Sonnenbrille und einem Drink und Zigaretten, wenn es einem lieber wäre, er würde nicht rauchen. Der Ringo hat eine tiefe Stimme. Und Ritchie ist mein Ritchie.“ Walters: „Anders?“ Ringo: „Es ist eine Einstellung.“ Barbara: „Eine Einstellung.“ Walters: „Trinken Sie zu viel?“ Ringo: „Nein. Das ist nur ein Witz, und wenn der jetzt ins Fernsehen kommt, geht das um die ganze Welt, Ringo, der Säufer. Aber man hat keine Kontrolle darüber. Also muss man sein Leben leben und Spaß haben und manchmal geht das auch nicht so gut.“ Walters: „Werdet ihr wieder gemeinsam in einem Film auftreten?“ Barbara: „Wir wollen einfach zusammen sein. Es ist egal, wer von uns arbeitet.“ Ringo: „Wir werden heiraten. Wir haben das noch keinem gesagt, aber wir werden in diesem Jahr heiraten und das ist dann das Ende. Wir werden nie wieder heiraten.“ Ringo kann das erste Mal über die Ermordung John Lennons sprechen. In dem Vieraugengespräch mit Barbara Walters in seinem Musikzimmer wirkt er sehr verletzlich, lächelt, hat feuchte Augen. Ringo: „Wir sagten scherzhalber, dass John den Witz hatte, Paul der Nette und Ernsthafte war und George der Mystiker.“ Walters: „Und Ringo?“ Ringo: „War der liebenswerte Kerl.“

279 Walters: „Wie war das, mit den anderen auf der Bühne zu stehen? Inmitten dieses Kreischens?“ Ringo: „Großartig.“ Walters: „Auch furchteinflößend?“ Ringo: „Nein. Mir hat das nie Angst gemacht. Manche sagen, die Leute haben gar nicht zugehört. Aber das war nicht der Sinn des Ganzen. Die Leute gingen zu unseren Konzerten, um sich wohlzufühlen und Spaß zu haben. Warum wir die Konzerte aufgeben haben, das hatte mit uns zu tun, als Musiker und als Persönlichkeiten. Was uns nicht gut getan hat, war, dass wir immer die gleiche Reaktion bekamen, egal, ob wir gut oder schlecht gespielt hatten. Und dann stellte sich heraus, dass jeder von uns eigene Vorstellungen hatte, welche Musik er machen wollte. Man kann das als Band nicht machen. Wir hätten es so machen können, dass wir drei auf Johns Album gespielt hätten und gemacht hätten, was er von uns wollte, oder auf Pauls Album oder dem von George oder von mir, aber da wären verschiedene Alben entstanden. Wir wollten keine Band mehr sein.“ Walters: „Wie war das im letzten Jahr? Ihr wart euch nahe, ihr wart Brüder ...“ Ringo: „Ich bin immer ein Bruder geblieben. Ich habe mich jedem immer sehr nahe gefühlt. Aber wie Brüder hatten wir natürlich auch schrecklich Streit. Aber alle diese Dinge, über die man in den Zeitungen gelesen hat, dass uns Paul verklagt hat, das ist natürlich passiert, aber es hat nie die Liebe zwischen allen von uns beeinflussen können, und die Musik war immer wichtiger (hier hält Ringo seinen Zeigefinger in die Kamera, als wolle er auf diesem Weg jemandem etwas mitteilen) als alles andere. Zumindest, was mich betrifft. Sie müssen die beiden anderen fragen.“

280 Walters: „Ich ...“ Ringo: „Das klingt so neu für mich. Das nimmt einem die Luft, weil sonst hat man immer gesagt: Die anderen drei. Das zieht einen auf seine Art herunter, aber ich bin mir sicher, dass er okay ist.“ (Pause.) „Ich bin wirklich traurig. Ich vermisse John noch sehr. Ich habe ihn immer vermisst, aber jetzt auf eine besondere Art.“ Walters: „Wie haben Sie davon gehört?“ Ringo: „Barbaras Tochter rief uns an und sagte, dass man auf John geschossen hatte. Das hat mich verrückt gemacht, aber man dachte, vielleicht hat man ihn im Bein getroffen. Aber dann riefen sie noch einmal an und sagten: Er ist tot. Wir müssen das jetzt vielleicht abbrechen, weil es jetzt sehr hoch kommt.“ Walters: „Das ist normal, es wäre merkwürdig, wenn es anders wäre.“ Ringo: „Er war ein großartiger Freund.“ Walters: „Erzählen Sie uns über die schönen Zeiten. Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?“ Ringo: „Es war am 15. November. Wir waren nach New York geflogen und stiegen im Plaza ab und wir hatten uns mit John und Yoko zum Abendessen verabredet. Sie wollten eine Stunde bleiben und es wurden dann fünf Stunden daraus, weil es so viel Spaß gemacht hat. Manchmal haben wir uns ein Jahr lang nicht gesehen, was überhaupt nichts ausgemacht hat, es war immer schön. Aber diesmal hatten wir besonders viel Spaß miteinander.“ Walters: „Wir wissen, wie dieses Land auf seinen Tod reagiert hat ...“ Ringo: „Nicht nur das Land, die ganze Welt.“ Walters: „Ja, die Welt. Für Menschen, die ihn kannten oder mit ihm gearbeitet haben, war das ein Schlag.

281 Aber für Sie muss das noch einmal etwas anderes gewesen sein.“ Ringo: „Es hat mich umgehauen. Ich denke da an einen Spruch ... ich ging zu Yoko ins Dakota Gebäude ...“ Walters: „Sie flogen hin, um ihn zu sehen.“ Ringo: „Nicht, dass wir etwas tun konnten. Wir konnten hingehen und hallo sagen, mehr kann man da nicht tun. Man sagt: Soll ich dir ein Eis holen? oder solchen Quatsch, weil dein Gehirn nicht mitspielt. Und da sagte ich zu ihr: Ich weiß, wie es dir geht. Und diese Frau, geradewegs wie immer, sagte: Nein, das tust du nicht. Und sie hatte recht. Egal, wie nahe ich ihm war, es war nicht einmal die Hälfte der Nähe, die sie zu ihm hatte. Und das hat mich umgehauen, mehr als alles andere.“ Walters: „Waren sie glücklich miteinander?“ Ringo: „Sehr glücklich. Sie waren eine einzige Person zusammen.“ Walters: „Wie war das, als Sie zum Dakota kamen?“ Ringo: „Es standen Leute unten und schrien, Yoko solle zum Fenster kommen. Aber es wäre besser gewesen, sie hätten sie in Ruhe gelassen. Sie konnten ihn nicht zurückholen, und es war keine Hilfe für sie, dass da diese ganzen Massen unten standen und seine Musik spielten. Was ja in Ordnung ist, wenn sie das tun wollen, aber sie hätten es zuhause tun sollen. Und als wir herauskamen, war es mir egal, wenn mir Leute sagen, wie sehr sie die Beatles lieben und all das. Weil ich John gerade verloren hatte. Ich war nicht dort, um einen Beatle zu sehen, sondern einen Freund, und das hatte mit dieser ... Band überhaupt nichts zu tun.“ Walters: „Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen John manchmal nahe ist?“ Ringo: „Nein. Nicht im Moment.“

282 Walters: „Bei geliebten Menschen schaut man manchmal hoch und ...“ Ringo: „Ich glaube, dass es ihm gut geht. Ich glaube, dass er einen schönen Platz da oben hat und darauf wartet, dass ich komme, um da oben den jungen Kerl zu spielen (lacht) in der großen Band da oben im Himmel. Und ich glaube, dass er mit Jimi Hendrix und Elvis und den anderen da oben ist mit allen anderen. Die gehen jede Nacht fort und feiern bis in die Puppen (lacht) und die anderen ärgern sich darüber, weil sie soviel Krach machen. Aber im Ernst, das wäre eine ziemlich gute Band, wir haben schon sehr gute Leute verloren.“ Walters: „Sie haben einmal gesagt, wenn man ganz oben ist, kann man schwer damit umgehen, wenn das nicht mehr so ist.“ Ringo: „Das ist klar. Als Einzelperson wird man nie mehr so bekannt sein wie es die Beatles waren.“ Walters: „Sie sagen nie: Einmal schaffe ich es auch allein an die Spitze?“ Ringo: „Nein, nicht mehr.“ Walters: „Wenn man über sie in Geschichtsbüchern schreibt, was sollte da stehen?“ Ringo: „Was da stehen sollte? Er lebte und starb. Ich war nie ein Mann in dem Sinn. Ich war immer einer der Typen. Ein Bandmitglied. Einer der Jungs.“ Walters: „Wie würden Sie sagen, ist der Ringo Starr von heute?“ Ringo: „Die Menschen grüßen mich nicht, außer, sie beziehen sich auf die Vergangenheit. Wenn es nach mir ginge, würde ich sagen: Hier ist der Ringo von heute. Fangen wir ganz neu an.“

283 Im März sind Barbara und Ringo zu Gast bei Merv Griffin, um ihren Film Caveman zu bewerben, und sprechen über den Unfall, den sie im letzten Jahr hatten. Ringo: „Barbara hatte einen steifen Hals und ich ein steifes Bein, das ist alles. Und die Sterne, die wir als Anstecker tragen, sind aus der Windschutzscheibe gemacht. Die war das einzige, was von dem Auto übrig geblieben ist.“ Griffin: „Es war schrecklich, oder?“ Ringo: „Ich wurde aus dem Auto geschleudert, Barbara war im Schock und ich konnte nicht mit der Kamera umgehen. Es war schrecklich.“ Griffin: „Barbara, waren Sie ein Beatles-Fan?“ Sie verzieht das Gesicht. Griffin: „Eine peinliche Frage?“ Barbara: „Ich habe ihre Musik gemocht, aber ich muss gestehen, dass ich kein Fan war.“ Ringo: „Oh ...“ Griffin: „Hört er das zum ersten Mal?“ Ringo: „Nein. Ihre kleine Schwester war ein Fan. Hallo, Marge!“ Griffin: „Wen haben Sie damals bewundert?“ Barbara: „Ray Charles, Dylan. Ich liebe Van Morrison, Ry Cooder, Ringo Starr ...“ Griffin: „Sie stammen aus einer armen Familie?“ Ringo: „Ja. Wir hatten in der Familie nur einen Schuh. Ich hüpfte in die Schule auf einem Bein ... schickte den Schuh im Taxi nach Hause ... nein, es war eine Arbeiterfamilie. Wir hatten immer zu essen, ich hatte Schuhe und Stiefel, bekam mit 11 Jahren meine ersten langen Hosen, das war ein großer Tag.“ Griffin: „Als Sie reich waren, was haben Sie sich damals gekauft?“

284 Ringo: „47 Anzüge. Ich habe sie nie getragen, aber so hatte ich mir das eben vorgestellt. Nein, man isst sehr viel. Nach einem Jahr saß ich als Mops auf der Bühne und wir wurden angekündigt: Hier sind sie, die Mopples!“ Griffin: „Menschen, die aus einfachen Verhältnissen stammen, haben so kleine Eigentümlichkeiten, mit Geld umzugehen, geben kein Trinkgeld und so weiter.“ Barbara: „Ritchie wirft nichts weg. Keinen Knopf, kein Blatt Papier, keine Karte, Kleider, aus denen er herausgewachsen ist ...“ Ringo: „Nicht bei allen Dingen. Du übertreibst.“ Griffin: „Wirklich?“ Ringo: „Na ja, ich behalte eben meine Kleider.“ Barbara: „Und die Kleider anderer Leute.“ Ringo: „Die sind mir lieber als meine eigenen.“ Griffin: „Wird denn Platz für Sie in seinem Haus sein, Barbara?“ Barbara: „Hoffentlich. Mit meinen kleinen Mädchen ...“ Ringo: „Barbara meint, dass ich meine Sachen horte, aber sie ist genauso schlimm wie ich.“ Griffin: „Sammeln Sie Erinnerungsstücke aus Ihrer Zeit als Musiker?“ Ringo: „Ja, ich habe zwei Kinder (Kids), zwei Drum- Kits (Schlagzeugausrüstungen). Das war ein Musikerwitz, Leute.“ Griffin: „Ihre ersten Trommeln?“ Ringo: „Ja, all das, und Anzüge und Zeug.“ Griffin: „Bedauern Sie, dass – mit dem Hinscheiden von John – keine ... Ringo: „Nein, ich bereue nichts.“ Griffin: „Keiner weiß genau, was da passiert ist, als ihr euch getrennt habt.“

285 Ringo: „Das stimmt nicht. Jeder weiß, was passiert ist. Wir entschieden, dass wir keine Konzerte mehr geben wollten und dann entschieden wir, dass wir keine Band mehr sein wollten. Es langweilt mich einfach, darüber zu reden.“ Griffin: „Aber es ist eine faszinierende Geschichte.“ Ringo: „Nein, wir sind hier, um über unseren großartigen Film zu reden. Das ist doch der Sinn des Ganzen.“ Am 27. April heiraten Ringo und Barbara Bach in London im Marylbone Standesamt. Der Standesbeamte ist der gleiche, der viele Jahre zuvor Paul und Linda getraut hat. Die Hochzeit wird von über 30 Polizisten bewacht, da den Menschen der Schreck der Lennon- Ermordung immer noch in den Gliedern sitzt und man ein Attentat befürchtet. Der Hochzeitstermin wird geheimgehalten. Paul und Linda sind da – sie betreten das Standesamt durch die Hintertür, Paul mit seinem Sohn James auf dem Arm. Barbara und Ringo kommen gemeinsam in einem Taxi. Dass auch George Harrison bei der kurzen Trauung dabei war, erfährt man erst später, als er plötzlich auftaucht und auf ein wartendes Taxi zustürzt. Danach, bei der Party, spielen die verbleibenden Beatles mit Ray Cooper auf der Party. Paul am Klavier, Ringo mit silbernen Löffeln. Es sind Rocksongs wie Whole Lotta Shakin', Lawdy Miss Clawdy, aber auch I Saw Her Standing There und Twist And Shout, Lieder, die schon die Beatles spielten. Paul: „Bei der Hochzeit von Ringo hörte ich, dass Johns Tante Mimi gekränkt war, weil ich sie nie angerufen hatte, um mir mein Beileid auszudrücken. Aber ich habe einfach nicht daran gedacht. Ich hatte sie seit 20 Jahren nicht gesehen ... und ich sagte zu Cilla

286 Black, dass ich ihren Mann Bobby mögen würde. Das war alles: Bobby ist ein netter Kerl. Und Cilla sagte: Ah, aber ist es das, was du wirklich denkst, Paul? Du meinst das doch nicht wirklich, oder? Du führst doch was im Schilde. Ich war einfach ehrlich, aber das wollte sie nicht glauben. Die glauben alle, dass ich dauernd irgendwas verberge oder beabsichtige. Bei Ringos Hochzeit ging ich zufällig aufs Klo und Ringo war auch da, nur wir zwei. Er sagte dann, dass ich ihm zweimal im Leben in den Rücken gefallen wäre. Er mir aber mindestens dreimal. Ich spuckte gerade aus und zufällig auf sein Jackett und sagte: Jetzt bin ich dir schon wieder in den Rücken gefallen. Das ist jetzt das dritte Mal. Jetzt sind wir quitt. Ich lachte darüber, und er auch. Es war keine Auseinandersetzung, aber ich habe mich seither gefragt: Was meint er eigentlich – ihm in den Rücken gefallen? Und das gar zweimal? Vielleicht war es so, ich habe keine Ahnung. George hat mir vor einer Weile gesagt, dass ich ihn verletzt habe. Aber er war schlimmer. Er hat mir gesagt, dass er nie wieder Gitarre mit mir spielt.“

Das Brautpaar wechselt seinen Wohnsitz zwischen Häusern in Los Angeles, Monte Carlo und Cranley im englischen Surrey, was auf die Dauer stressig wird. Am 18. Juni berichtet der Daily Mirror: „Ex-Beatle Ringo Starr soll sich mit der Absicht tragen, Amerika zu verlassen und wieder in England zu leben, weil er und seine Frau Todesdrohungen erhalten haben. Ringo, so heißt es, soll die Aufwendungen für die Bodyguards leid sein, die ihn seit der Ermordung seines Freundes, John Lennon, umgeben haben.“ Drei Tage später heißt es, dass Ringos Liebesleben verfilmt werden soll. Stephanie La Motta, ein Jet-Set

287 Girl, wie es heißt, soll die Hauptrolle spielen. Sie hatte eine Affäre mit Ringo. La Motta ist 23 Jahre alt und die Tochter des amerikanischen Boxers Jake La Motta. Der Presse sagt sie: „Der Film wird eine Liebesgeschichte werden und er basiert auf der tollen Zeit, die ich mit Ringo hatte. Meine Affäre mit ihm liegt schon zwei Jahre zurück. Ich versuche nicht, damit Geld zu machen. Ich habe Ringo das letzte Mal, als ich in London war, von meinem Vorhaben erzählt. Er hat mir dazu Glück gewünscht. Ich habe das Drehbuch selbst geschrieben. Der Film wird Goodnight Vienna heißen, wie der Titel seines Solo-Albums. Ringo und ich hatten eine wilde Zeit in Wien mit Harry Nilsson, den Sänger. In der Zeit haben sich meine Augen verschlechtert. Zuerst dachte ich, dass wir zu ausgelassene Partys gefeiert hatten und habe Ringo nichts davon gesagt. Dann gingen wir nach Griechenland, und ich habe dort noch schlechter gesehen und bis ich nach New York zurückkam, war ich völlig blind. Ich war einen Monat lang blind und war die längste Zeit davon im Krankenhaus. Danach habe ich beschlossen, meine Geschichte aufzuschreiben. Einen Monat später kehrte mein Sehvermögen zurück, obwohl ein Auge immer noch blind ist. Im Krankenhaus hat man gesagt, dass ich Multiple Sklerose habe, aber mein Vater, meine Mutter und ich akzeptieren diese Diagnose nicht.“ Aus dem Film wird nichts werden, doch La Mottas Geschichte wird nie in Frage gestellt werden und ist vermutlich wahr. Mittlerweile ist Ringo damit beschäftigt, sein neues Album zu bewerben. Ringo: „Ich hatte fünf Produzenten. Paul und George haben Lieder gemacht und Harry Nilsson, Stephen

288 Stills und Ron Wood, und es war aufregend, diese ganzen Leute in das Produkt einzubinden. Es war schwierig, ein Photo für das Cover zu finden, das bezeichnend war, und ein Polizist, der auf der Straße steht und einen aufhält, passt dazu. Er hat keine Pistole, weil ich gegen Schusswaffen bin. Die Idee ist es, Leute aufhalten zu können, weil man eine Uniform trägt, so ist das in England. Dort brauchen Polizisten keine Waffen.“ Ringo über sein Schlagzeug: „Ich verleihe des an niemanden. Ich habe das zweimal gemacht und immer war was kaputt daran. Und wenn ein anderer darauf gespielt hat, dauert es ewig, bis man es wieder so hingekriegt hat, wie man möchte, dass es klingt. Ich verstehe das, wenn andere einen nicht auf ihrem Schlagzeug spielen lassen. Zuerst dachte ich, die wären gemein. Ich erinnere mich an einen, der auf meinen Drums spielen wollte und ich fragte ihn: Kannst du spielen? Ja, seit Jahren, und schon setzt er sich hinter meine Trommeln und stellt seinen Fuß auf das Schlagpedal der Basstrommel und zwar so, als würde er ein Motorrad starten wollen. Also bin ich hin und habe ihn gepackt und von der Bühne geworfen. Es hat mich einfach umgehauen, das zu sehen. Er hatte noch nie in seinem Leben gespielt und seither habe ich mein Schlagzeug nicht mehr verliehen.“ George Harrison hat für Ringo ein Lied mit dem Titel All Those Years Ago107 verfasst. Das Lied hat George nach Johns Tod noch einmal mit seiner eigenen Stimme eingespielt und es wird aufgrund der weltweiten Trauer für John ein Erfolg werden. Für Ringos Album bringt es leider nicht die erwünschte Aufmerksamkeit. Auch John hatte dafür eigentlich zwei Lieder beigesteuert. 107 http://www.youtube.com/watch?v=jZJjo_FnpPc

289 Eines heißt Life Begins At 40. Nachdem John mit 40 gestorben ist, wagt es Ringo schon aufgrund seines Titels nicht auf den Markt zu bringen. Auch das andere Lied von John, Nobody Told Me, kann Ringo nicht auf seiner Platte aufnehmen, weil er um John trauert und er sich unwohl dabei fühlt, mit dessen Liedern Geld machen zu wollen. Das Album ist nicht besonders gut. Und Ringo geht es auch nicht besonders gut. Er wirkt niedergeschlagen und passiv, und er trinkt mehr, als ihm gut tut.

1982

Am 30. März erscheint in der New York Daily News ein Artikel, der das Eheglück von Barbara und Ringo in Frage stellt. „Während eines heftigen Streits flogen die Flaschen und die Fäuste. Ihre Ehe scheint am Ende zu sein. Wenn sie sich streiten, dann auch in der Öffentlichkeit. Ringo und Barbara hatten eine ihrer größten tätlichen Auseinandersetzungen während ihres karibischen Urlaubs auf Antigua. Flaschen sind durch die Luft geflogen und es gab Ohrfeigen. Danach sollen sie sich wieder mit einem Kuss versöhnt haben. Doch wie lange kann das gut gehen?“ Von Ringo ist wieder Ende Mai die Rede, als der Daily Express berichtet, dass er sich in seinem Anwesen in Berkshire ein Plattenstudio einrichten möchte. „Der frühere Beatle hat die Gemeindeverwaltung von Windsor und Maidenhead um eine Genehmigung für ein zweistöckiges Studio in Tittenhurst Park gebeten,

290 ein Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert, das einmal John Lennon gehört hat.“ Ende Juni finden in den Elstree Film Studios in Hertfordshire Dreharbeiten für Pauls neue Single Take It Away statt. Ein Hauch von Beatles ist im Raum, weil außer Paul und Ringo auch noch George Martin, ihr ehemaliger Produzent, vor Ort ist. Er arbeitet nach dem Ende von Wings mit Paul gerade an dessen neuem Album Tug Of War, das ein großer Erfolg sein wird. Weibliche Fans von Paul berichten: „Als wir in das Studio 4 kamen, waren da Paul, Linda, Ringo und Eric Stewart auf der Bühne und spielten. Paul hat jeden vorgestellt und Ringo hat dabei Zurufe und stehenden Applaus bekommen, und das eine Ewigkeit lang ... einige Mädchen wollten, dass Paul Yesterday singt, aber er hat das abgelehnt. Ringo aber hat dann damit begonnen und Paul hat zwei Wörter beigetragen. In einer Pause hat George Martin auf dem Klavier eine Instrumentalversion von Here, There, Everywhere gespielt und in einer Pause hat Ringo scherzhalber vorgeschlagen, dass sie Mull Of Kintyre versuchen sollten. Paul ist dann irgendwann einmal einfach verschwunden, seine Tochter Heather aber war da. Wir haben sie um ein Autogramm gebeten, aber Heather hat gesagt: Ich bin ich, ich gebe keine Autogramme. Barbara Bach aber hat einige Male unterschrieben und dann wollte sie auch nicht mehr.“

Am 23. September macht die Sun ein Interview mit Ringos Sohn Zak. „Wenn ich ganz ehrlich sein will“, sagt der, „dann muss ich sagen, dass es ein Fluch war, der Sohn von Ringo zu sein. Wenn man etwas über mich schreibt, dann, dass ich sein Sohn bin, als ob das alles wäre, was man über mich sagen kann. Ich möchte

291 aber nicht nur in seinem Schatten leben. Ich möchte nicht bekannt werden in der Art wie und in Clubs wie Stringfellows oder Tramps mit Mädchen fotografiert werden. Wenn ich einmal Erfolg habe, möchte ich auch nicht wie mein alter Mann leben, auf einem Landsitz und all das.“ Pete Townshend von den Who sagt über Zak, der manchmal an die Stelle von Keith Moon tritt: „Zak spielt am ehesten so wie Keith Moon. Aber er hat auch seinen eigenen Stil. Und trotzdem. Manchmal, wenn er eines seiner explosiven Soli spielt, sagen die Leute: Oh Gott, er (Keith) ist es.“ Keith Moon ist es, der an Zak oft die Vaterstelle vertreten hat und ihm auch das Schlagzeugspiel beigebracht hat. Zak: „Mein alter Mann war nie da. Während der Pubertät war Moonie immer da und bei mir, während mein Vater weit weg in Monte Carlo war oder sonst wo. Mein alter Herr hat ein gutes Gefühl für Rhythmus, und ist einer der Besten, aber ich habe ihn noch nie für einen großen Drummer gehalten, wirklich nicht, zumindest nicht bis zu diesem Album, an dem er jetzt arbeitet. Aber Moonie war der Beste in der ganzen Welt. Er war einfach faszinierend. Ringo hat mir eine einzige Unterrichtsstunde gegeben, als ich jung war. Und die hat daraus bestanden, dass er mir gesagt hat, ich solle mir Platten anhören und mit ihnen mitspielen.“ Zak über Geld: „Die Leute glauben, dass ich reich bin, aber da täuschen sie sich. Letztes Jahr zu Weihnachten hat mir mein alter Herr eine Hi-Hat Cymbal für mein Schlagzeug geschenkt, was ihn vielleicht 40 Pfund gekostet hat, und meine Mutter, bei der ich in North London lebe, hat mir einen Pullover geschenkt.“

292 Zak über die Beatles: „Sie waren eine wirklich gute Band, klar, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wie sie noch zusammen gespielt haben. Und ehrlich gesagt mag ich ihre Musik nicht besonders. Mit den Who ist das ganz etwas anderes. Ich habe die Who geliebt, seitdem ich sechs Jahre alt war.“ Am 30. Dezember heißt es über Zak: „Ringo Starrs rebellischer Sohn wurde aus einen Pub geworfen. Er beschimpfte den Eigentümer, weil der Beatles-Hits gespielt hat. Der 17jährige Zak drehte durch, als die Beatles während der Weihnachtsfeier aus den Lautsprechern strömten. Er wollte einen Wechsel im Programm, aber die Fab Four sangen weiter und Zak begann den Wirt Mike Gillings zu beschimpfen. Der langhaarige Sohn des Stars wurde schließlich aus dem Pub geworfen. Mr. Gillings Frau Sandy, 39, sagte: Er war betrunken und beleidigend und das lassen wir uns von keinem bieten, nicht einmal von einem Sohn der Beatles. Mr. Gillings, 36, erwähnte, dass Zak schon in der Vergangenheit negativ aufgefallen war. Einmal musste ich ihn ins Bett bringen, weil er so betrunken war, dass er nicht mehr gehen konnte, sagte er.“

1983

In der zweiten Jahreshälfte treten Barbara und Ringo in der zweiteiligen Fernsehserie Prinzessin Daisy als Ehepaar Valerian auf. Sie spielen leicht durchgedrehte Friseure. Ringo: „Wir mochten Daisy, weil sie uns für vier Tage bezahlt hatten und wir mussten nur drei Tage arbeiten!

293 Es muss nicht sein, dass wir nur mehr gemeinsam Arbeiten annehmen, aber es ist schön, nicht getrennt zu sein. Wenn Barbara ein Filmangebot in Brasilien bekommt, fahre ich auf Ferien dorthin. Ich würde gerne mehr fürs Fernsehen arbeiten, vielleicht nicht Love Boat oder Fantasy Island. Ich will darüber nichts Schlechtes sagen, aber ich möchte nicht als Musiker, sondern als Schauspieler wahrgenommen werden. Ich bin immer noch Musiker, aber meine Energie fließt derzeit ins Schauspielern.“

Ringos neue LP heißt . Wie schon die vorhergehenden Platten macht sie keinen Eindruck auf den Markt und verschwindet schnell wieder aus den Läden.

1984

Die letzten vier Jahre haben Barbara und Ringo in Amerika mit Leibwächtern gelebt. Ringo hat aus steuerlichen Gründen Monaco als Wohnsitz gewählt. Die Trennung von Maureen hat ihn dazu bewegt, nach Amerika zu gehen. Nun aber ziehen die Starkeys wieder nach England. Ringo: „Wir bauen unser eigenes Gemüse an. Es ist toll.“ Ringo hat in seinem Haus ein eigenes Plattenstudio eingerichtet. Barbara reitet gern und verbringt ihre Zeit mit der Familie. Barbara: „Ich möchte nicht mehr voll

294 arbeiten. Ich liebe es sehr, mit meiner Familie zusammen zu sein.“ Eines der Projekte in diesem Jahr ist die Arbeit mit Paul an dessen Spielfilm Give My Regards To Broadstreet, ein Versuch von Paul, an die Filme A Hard Day's Night oder Help! anzuschließen. Aber Paul möchte auch etwas Ernsthafteres in den Film einbringen. Paul: „Ringo und ich sind gute Freunde. Nach all den Beatles-Jahren und den Schwierigkeiten nach dem Bruch kommen wir immer noch sehr gut miteinander aus. Er ist viel in England und wir sind viel miteinander zusammen. Wir können offen miteinander reden. Wenn er meint, dass etwas nicht in Ordnung ist, sagt er das. Man kann mit Ringo keine Spielchen treiben. Eines Abends habe ihn zufällig getroffen und ich war sehr aufgeregt und meinte: Ich mache diesen Film und du wirst dabei mitmachen. Wie wär's? Und er dachte, es wäre ein Film über die Beatles. Wir hatten ein paar Drinks zusammen und er ging nach Hause und dachte, dass wir wieder wie in unserer Anfangszeit 200 Meilen bei Gefriertemperaturen im Kleinbus fahren würden und er kam zurück und sagte: Ich habe diesen einzelnen Satz, den müssen wir unbedingt im Film unterbringen. Und ich sagte: Okay. Und er: Der Satz geht so: Haben wir irgendwelche Agenten oder wollen wir so tun als wären wir Kanadier? Und ich sagte: Hm, also, das ist ein toller Satz. Wir werden den einbauen. Und das haben wir dann auch gemacht, es ist ein typischer Ringo-Satz. Ringo und ich leben für die Kamera, wir produzieren uns gern. Ich bin mir sicher, dass George nicht mitmachen würde. Er ist nicht zurückgezogen wie Howard Hughes, aber weil er keine Zeitungen liest, glauben manche, er wäre etwas von der Art. Dabei geht er dauernd zu Partys, aber öffentlich tritt er nicht auf

295 und wenn er mal auf die Straße geht, dann in einem anderen Land.“ In diesem Jahr beginnt Ringo auch mit seiner Arbeit für das Fernsehen. Er spricht den Haupthelden in der Kinderserie Thomas The Tank Engine. Die Serie wird auf dem ITV Network in England gezeigt und ist ein großer Erfolg. Als die Sendung dann aber nicht mehr verlängert wird, stürzt Ringo in ein tiefes Loch und verfällt, wie seine Freunde meinen, dem Alkohol. Bobby Stuart, ein Kumpel aus alten Zeiten: „Ich glaube, dass Langeweile das Hauptproblem in seinem Leben ist. Sein Leben ist leer. Die Last, der am wenigsten erfolgreiche Beatle zu sein, drückt ihn schwer. Als diese Sprecherrolle in Thomas The Tank Engine wegfiel, war das der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ringo drückte sich 24 Stunden am Tag um Barbara herum.“

1985

Am 23. Februar verklagen Ringo, George und Yoko im Namen John Lennons Paul McCartney auf die Zahlung von 8 Millionen Pfund. Der Daily Mirror berichtet: „Ringo Starr, George Harrison und John Lennons Witwe, Yoko Ono, haben sich zusammengetan, um einen sensationellen Gerichtsstreit anzuzetteln. Sie verklagen Paul McCartney, den reichsten Rockstar der Welt, weil er mehr Tantiemen für Beatles-Platten bekommt als jeder andere der Beatles. George und Ringo, heißt es, sind außer sich vor Wut, als sie erfahren haben, dass Paul mit Capitol Records einen Nebenvertrag geschlossen hat, der ihm größere

296 Einkünfte von den Rechten auf die Lieder garantiert. Bob O'Neill, Sprecher von Capitol und EMI, bestätigte, dass McCartney, von dem es heißt, dass er ein Vermögen von 400 Millionen Pfund hat, einen größeren Anteil der Tantiemen bekommt. Er ergänzte: Paul hat diesen Vorzug eingeräumt bekommen, als wir ihn als Solokünstler unter Vertrag nahmen. Die Mehrzahlung stammt aber aus unseren Gewinnen, und nicht aus den Anteilen der Beatles, deren Ausschüttung davon also nicht betroffen ist. Auch die Firma des Vaters und Bruders von Linda McCartney wird in der Anklage genannt. Sheila Jones, eine Angestellte von Paul, hat ihm die Anklage übermittelt. Ich glaube nicht, dass er sie erwartet hat, sagte sie der Presse, aber er hat das in seiner üblichen ruhigen Art aufgenommen.“ Ringo taucht in diesem Jahr kurz im Film Water auf. Gemeinsam mit seinem Sohn Zak tritt er auf der Platte Sun City auf, einer Künstleraktion gegen die Apartheid in Südafrika. Zak hat sich als Drummer längst einen eigenen Namen gemacht. Er wird mit der Supergruppe Oasis spielen und tritt auch immer wieder einmal mit der Band The Who auf. Tatia Jayne Starkey heißt die Tochter von Zak, die in diesem Jahr geboren wird. Ringo ist damit Großvater geworden. Am 21. Oktober sind George und Ringo gemeinsam mit Eric Clapton und Dave Edmunds in der Fernsehshow eingeladen, die ein Tribut an Carl Perkins sein soll. Sie spielen mit Carl Perkins alte Rock'n'Roll Hits. Nach der Show schickt Ringo Perkins eine Karte, auf der schreibt, dass die Nacht magisch für ihn war, weil sie ihn an den Enthusiasmus der ersten Jahre erinnert hat.

297 1986

Ringo spielt in diesem Jahren in zwei Dokumentationen mit, die To The North Of Kathmandu und Sun City heißen, letzteres eine Verfilmung des Konzerts, von dem im Vorjahr eine LP veröffentlicht wurde. Am 20. und 21. Juni sind George und Ringo Gäste beim Prince's Trust Galakonzert in Wembley, ihr erstes gemeinsames Konzert in zwanzig Jahren. George: „Es war das erste Mal, dass ich seit 1966 in England aufgetreten war. Das machte mich nervös. Ich mochte die Show und die Aufzeichnung und die Platte davon, aber bevor ich auf die Bühne ging, war das so, als würde man auf den elektrischen Stuhl warten.“

1987

Ringo ist in der Fernsehdokumentation Queen – The Magic Years zu Gast und gibt darin Kommentare ab. Am 24. Juli kommt die Klage der übrigen Beatles vor Gericht. Sie haben zuerst Paul verklagt, doch nun richtet sich der Prozess gegen Capital Records und EMI. George, Ringo und Yoko verlangen 40 Millionen Dollar Schadensersatz, weil es Abrechnungsprobleme bei den Verkäufen von CDs gegeben haben soll. Im Oktober treffen sich George und Ringo erstmals wieder nach längerer Zeit mit Paul in dessen Haus in der Cavendish Avenue in St. John's Wood. Die

298 Zusammenkunft ist auch ein Stück Versöhnung wegen des Gerichtsprozesses. Doch die Sache liegt noch bei den Anwälten, und da diese sehr langsam arbeiten, wird die Tatsache, dass die anderen die Klage gegen ihn noch nicht formell zurückgezogen haben, Paul noch eine Weile verstimmen. Paul: „Ich möchte mit ihnen zusammen sein. Wir hatten geschäftliche Probleme. Das ist es, was alles kaputt macht. Wenn wir nicht über Apple reden, ist alles in Ordnung, aber sobald einer damit anfängt, steht das Haus in Flammen. Ich versuche alles, um nicht der Verrückte zu sein, der alles ruiniert. Deswegen möchte ich sie wieder treffen. George kam zufällig vorbei, so hat es begonnen, und wir haben uns das erste Mal in Jahren ganz normal und nett unterhalten.“ George Harrison fühlt sich in diesem Jahr wie befreit, denn ganz im Gegensatz zu seinem letzten Album Gone Troppo (1982) feiert er mit seinem neuen Album Cloud 9 ein großes Comeback. Auch Ringo ist auf der Platte mit dabei. Er trommelt bei dem Lied When We Was Fab108 mit, das von den Beatles handelt. George: „Das Lied habe ich zu schreiben begonnen, als ich mit Jeff Lyne in Australien war und ich daran dachte, das Lied sollte an die Phase von 1967 erinnern. Ich konnte es in meinem Kopf hören. Ich hörte, wie Ringo es anzählt und das war, wie ich damit begonnen habe.“ Ringo tritt auch in dem Video auf, in dem George viele Arme bekommt. Ringo schiebt eine Schubkarre an ihm vorbei. Ringo spielt auch auf Fish On The Sand, das gewissermaßen eine musikalische Rückkehr in die Frühphase der Beatles darstellt, da George darauf wieder auf der 12-saitigen Rickenbacker-Gitarre zupft, 108 http://www.youtube.com/watch?v=TQXx-PKTOw0

299 die schon Ticket To Ride und A Hard Day's Night veredelt hat. Im November beschäftigt sich der High Court in London mit Ringo und seiner zehn Jahre alten Scheidung von Maureen. In der Sun steht zu lesen: „Seine Ex-Frau bezeichnete Ringo als Geizkragen in der Art von Andy Capp. Angeblich soll Maureen Starkey ihren Ex-Mann um Geld angefleht haben wie die Cartoon-Figur, die sonst nur Alkohol und Partys im Kopf hat. Ringo soll ihr 1975 bei der Scheidung 500.000 Pfund gegeben haben. Weitere Zahlungen beliefen sich auf 70.000 Pfund. Aber die 41-jährige Maureen sagte, dass sie sich nie scheiden lassen wollte und dass die Alimente nicht ausreichen würden. Sie verklagt auch ihre vormaligen Rechtsanwälte, da sie nicht genug Geld für Maureen herausgeschlagen hätten. Maureens neuer Anwalt Thayne Forbes sagte, dass die ehemalige Friseurin Ringo noch sehr gewogen sei und sich wegen Ehebruchs von ihm hätte scheiden lassen. Zuvor hatte er ihr immer Bargeld gegeben, wenn sie es brauchte, manchmal 5.000 Pfund am Tag. Mr. Forbes sagte: Sie hat sehr ausschweifend gelebt. Und nach der Scheidung sei sie außergewöhnlich stark gekränkt und emotional gewesen. Maureen, die in einem Haus lebt, das 400.000 Pfund gekostet hat, beschrieb Ringo als verdammten großartigen Andy Capp, den sie aber trotzdem bewundere.“ Wenige Tage später ist die Klage abgewiesen und Maureen ist geschockt, weil sie die Gerichtskosten und Anwaltskosten beider Seiten tragen soll, insgesamt 200.000 Pfund. Sie wird, vermuten die Zeitungen, wohl ihr Haus verkaufen müssen. Der Richter sagt in seinem abschließenden Urteil: „Maureen brachte kein Geld in die Ehe ein und hat nichts zum Reichtum von Ringo

300 beigetragen. Als sie zu ihrem Scheidungsanwalt ging, fand er, dass sie mit Geld nicht umgehen konnte. Die Erstzahlung war 400.000 Pfund und Ringo hat ihr dann jedes Jahr 10.000 Pfund und für jedes Kind 2.500 Pfund gegeben. Ringo war und ist ein sehr großzügiger Mann.“ Maureen sagt nach dem Urteil: „Ich lächle noch.“ Kurze Zeit später aber vertraut sie einem Freund an: „Mir zittern noch die Knie. Ich kann das Urteil nicht glauben.“ Die Reporter fragen den Anwalt von Ringo, der nicht im Gerichtssaal erscheint, ob Ringo die Anwaltskosten von Maureen begleichen wird. Er sagt: „Falls und wenn sie ihn fragen sollte, würde er vielleicht daran denken.“

1988

Am 14. Januar steht in der Presse, dass Ringo Tittenhurst Park für 4 Millionen Pfund verkauft hat. Die Sun: „Ein Freund des Millionärs sagte: Es ist verkauft, aber ich weiß nicht, warum Ringo und Barbara das getan haben. Sie waren hier immer sehr glücklich. Ringos Sohn Zak, der auf dem Anwesen in einem Häuschen wohnt, sagte seinen Freunden: Ich bin traurig, dass ich hier weg muss. Ich bin hier aufgewachsen und ich liebe diesen Platz hier. Es gibt hier sehr viele Erinnerungen für mich. Es scheint, dass Angehörige von König Hussein von Jordanien das Herrenhaus gekauft haben. Ein Freund von Ringo sagt dazu: Ringo und Barbara haben noch kein neues Heim

301 gefunden. Es heißt, sie suchen ein Haus an der Westküste von Amerika.“ Ein Arbeiter am Anwesen erzählt zu dieser Gelegenheit über Ringo: „Einmal kam Ringo herunter in den Garten, wo ich damit beschäftigt war, Dinge zu verstauen, die John gehört hatten. Ringo hatte sie unter dem Dach gefunden. Es waren Briefe, Notizen, Zeichnungen und Kleider und Tonbänder von John. Ringo nahm das alles, warf es im Garten auf einen Haufen und verbrannte es. Ich fragte ihn: Warum tun Sie das? Und er sagte: Ich möchte nicht, dass irgendwer sonst das besitzt. Sie werden einfach versuchen, daraus Geld zu machen. Gott weiß, was wird damals von Johns Sachen verloren haben.“ Am 20. Januar werden die Beatles in Los Angeles offiziell in die „Rock And Roll Hall Of Fame“ aufgenommen. Paul verzichtet darauf, zu der Feier zu kommen. George: „Bevor ich dort war, bedeutete es mir nicht viel. Aber es wurde eine tolle Nacht. Es ist schade, dass Paul nicht da war, weil es hätte ihm auch gefallen, und er hat so viel zu dem Erfolg beigetragen. Aber wir haben uns trotzdem amüsiert.“ Paul schickt folgende Botschaft: „Ich wollte gerne gehen und meine Auszeichnung abholen, aber zwanzig Jahre später haben die Beatles immer noch nicht ihre rechtlichen Auseinandersetzungen beendet, entgegen meinen Hoffnungen. Ich würde mir wie ein Heuchler vor kommen, wenn ich bei einer falschen Wiedervereinigung lächeln und winken würde.“ Am 2. Februar wird verkündet, dass Ringo der Star in einer Fernsehkomödie werden soll, die Don Johnson produzieren möchte. Sie soll The Flip Side heißen und Ringo als alternden Pop Star zeigen, der keine Konzerte

302 mehr geben kann, weil seine frühere Frau stirbt und er sich um die Kinder kümmern muss. Leider wird aus der Serie nichts. Am 3. März treten George und Ringo gemeinsam in der Sendung von Michael Aspel beim Sender ITV auf. Aspel: „Stellt das einmal klar. Die Presse sagt, dass ihr mit Paul zerstritten seid. Wie sieht das aus?“ Ringo: „Wir vertragen uns sehr gut.“ George: „Wirklich. Zehn Jahre lang habe ich Paul gar nicht mehr gekannt, ich habe ihn so lange nicht gesehen, aber in letzter Zeit waren wir öfters zusammen, haben einander wieder besser kennengelernt, waren beim Abendessen, haben miteinander gelacht.“ Aspel: „Wenn ich John Lennons Platten höre, kann ich es nicht glauben, dass er nicht mehr da ist. Das muss millionenfach schlimmer für euch sein, oder? Ringo: „Jetzt haben Sie uns allen die Stimmung vermiest, Michael.... An dem Tag war ich im Schock.“ George: „Schockiert und wie taub.“ Ringo: „Ich weine viel. Ich vermisse ihn. Ich liebte diesen Mann. Ich war ihm sehr nahe und er ist auf eine so dumme Art gestorben, und der Typ, der das getan hat, ist heute selbst berühmt.“ George: „Für mich ist das nicht so schlimm, weil ich im Gegensatz zu Ringo nach Rishikesh in Indien fuhr und in die Meditation eingestiegen bin und dabei meine Erfahrungen machte. Ich glaube daran, was in den Schriften steht und in der Bhagavadgita: Es gab keine Zeit, zu der du nicht existiert hast und es wird nie eine Zeit geben, in der du zu existieren aufhörst. Ich kann John heute immer noch spüren.“ Ringo: „Ich habe ihn zweimal gesehen, wirklich. Einmal in einem Hotelzimmer in L.A. habe ich seine

303 Anwesenheit ganz stark gespürt und ich war traurig und sehr niedergeschlagen, und da war er und sagte: Was machst du da? Und ich: Ich bin unglücklich. Und er sagte: Komm, reiß dich zusammen. Deshalb glaube ich auch an das, was George sagt, dass wir weiter existieren.“ George: „John wusste, wer er war. Dass er eine Seele war, die in dieser bestimmten Zeit in diesem Körper steckte. Es ist unschön, wie er gehen musste, aber es ist nicht wirklich wichtig. Es geht ihm gut und das Leben fließt in dir und auch ohne dich.“ In der Zeitschrift People steht Anfang Oktober: „Ringo und Barbara hatten einen öffentlich ausgetragenen Kampf im Beisein von anderen Gästen in einem Hotel auf Jamaica. Zuerst standen die beiden einander wütend gegenüber und bewarfen einander mit Flaschen und dann stürzten sie aufeinander zu und begannen sich gegenseitig zu ohrfeigen. Einer der Gäste, die den Streit beobachteten, sagte: Es war wie ein Slapstick von Dick und Doof, aber sie haben das nicht gespielt. Ringo entschuldigte sich nachher bei den anderen Gästen, kurz vor ihrer Abreise kam es aber noch einmal zum Faustkampf, diesmal über die Frage, wer den Streit verursacht hätte.“ Ringos Ehe mit Barbara steckt in einer Krise. Sie haben beide geschworen, immer alles gemeinsam zu tun, haben Interviews gemeinsam geführt und Filmrollen und Fernsehauftritte nur angenommen, wenn auch der andere mitspielen konnte. Sie haben gemeinsam in Pauls Film Give My Regards To Broad Street gespielt und in Princess Daisy. Die meiste Zeit aber sind sie zuhause. Ringo: „Wir saßen stundenlang herum und redeten darüber, was wir machen würden und dabei haben wir

304 uns so sehr betrunken, dass wir uns gar nicht mehr bewegen konnten. Und deshalb ist auch nichts mit unseren Karrieren passiert.“ Ein Bekannter sagt damals der Klatschpresse: „Ihr größtes Problem ist der Alkohol. Sie haben beide seit Jahren jeden Tag getrunken. Ringo und Barbara nehmen Kokain. Ringo hat bis zu ein Gramm Kokain am Tag geschnupft und Barbara kam auf ein halbes Gramm hoch. Außerdem hat Ringo Kokain auch in der Pfeife geraucht. Er hat Marihuana genommen, jeden Tag, und Halluzinogene, Pilze und Beruhigungsmittel. Ringo sagte einmal zu mir, dass sie beide seit ihrer Ehe fast nichts getan hätten, als zuhause herumzusitzen und Drogen zu nehmen. Barbara sagt, dass es das wichtigste in ihrem Leben geworden ist, wichtiger als alles andere. Beide sind davon überzeugt, dass sie sterben, wenn sie sich nicht rasch Hilfe holen.“ Ringo hat Blackouts, erwacht und kann sich nicht erinnern, was vorher passiert ist, findet aber den Raum in Trümmern und muss daraus schließen, dass er es war, der alles kurz und klein geschlagen hat.. Eines Tages wacht er auf und merkt, dass er Barbara verprügelt hat. Ringo: „Ich hatte sie so brutal zusammengeschlagen, dass ich dachte, sie ist tot. Sie haben sie in ihrem Blut gefunden und ich hatte sie geschlagen und hatte keine Erinnerung daran ...“ Die Hollywood-Schauspielerin Melody Stuart: „Es war vier Uhr morgens, als das Telefon läutete. Ringo Starr war dran und er weinte. Ich brauche Hilfe, dringend, schluchzte er. Er sagte mir, dass er Angst hätte, dass er Barbara, seine Frau töten würde, wenn sie das nächste Mal eine tätliche Auseinandersetzung haben würden in einem Zustand, wo sie betrunken und mit Drogen

305 zugedröhnt waren. Er sagte zu mir: Das Saufen und die Drogen haben uns beide in Monster verwandelt. Wir müssen uns Hilfe holen. Er sagte immer wieder: Ich schäme mich so sehr. Ich fühle mich schlecht, sehr schlecht. Ich hätte nie gedacht, dass ich so tief sinken kann. Ich sagte zu ihm: Du hast keine Wahl. Wir müssen irgendwohin gehen, Hilfe holen. Einige Stunden später hatten er und Barbara sich in die Sierra- Tucson-Drogen-und-Alkohol-Entzugs-Klinik in Arizona begeben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Barbara und Ringo Kokain schnupfen, aber diesmal haben sie drei, vier Tage lang nur getrunken. Das war ihr Schema: Trinken, Drogen, Trinken, Drogen, und noch mehr Getränke. Ringo hat mir gesagt: Wir hatten einen schrecklichen Streit, Barbara hat zu kreischen begonnen und mit Sachen um sich geworfen.“ Die Schauspielerin schildert die weiteren Ereignisse so: Barbara habe Ringo mit Beleidigungen überschüttet, er habe sich darüber lustig gemacht. Dann sei sie mit einer Art-Deco-Lampe auf ihn eingesprungen und habe sie ihm über den Kopf geschlagen. Ringo habe sie geohrfeigt, um sie zu beruhigen, dabei hätten ihre Lippen zu bluten begonnen, worauf sie noch lauter gekreischt habe. Ringo habe aus der Nase geblutet und sie habe ihm die Hälfte seiner Haare ausgerissen. Später habe er Melody Stuart gegenüber gestanden, dass er sich am Liebsten seine Hände abhacken würde aus Selbstvorwürfen darüber, dass er Barbara geschlagen hatte. Von seinen Kindern abgesehen wäre Barbara das Wichtigste in der Welt für ihn ... und eines Tages sei er dann aufgewacht, hätte Barbara in ihrem Blut liegen sehen und hätte sie ängstlich gefragt: Wer hat das gemacht? Und sie: Du warst das! Was sie beide

306 erschrocken habe: Keiner von beiden konnte sich daran erinnern, was wirklich passiert war. Bobby Stuart, ein Kumpel von Ringo aus den Sechziger Jahren: „Früher einmal, als es die Beatles noch gab, hat man Ringo eigentlich nie mit einem Glas in der Hand gesehen. Es ist so traurig, zu sehen, was aus ihm geworden ist.“ Ringo: „Als wir die Beatles waren, machte man seinen Job, manchmal auch in keinem guten Zustand, aber wir schafften das. Ich habe damals auch viel getrunken. Ich glaube nicht, dass es übertrieben war. Man hatte einen Tag frei, und es gab Party. Bald hielt man das für normal. Mein Kampf mit der Flasche begann, wie ich jetzt weiß, schon damals, als ich ein Kind war. Wir hatten Partys, jeder war betrunken bis zur Bewusstlosigkeit und das war ein Teil meines Lebens. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich schon als Neunjähriger auf den Knien herumrobbte, weil ich so betrunken war. Ich kann mich daran nicht erinnern. Das war schon damals mein erstes Blackout.“ 1988 ist Ringo verzweifelt und ein Schatten seiner selbst. Er leidet unter Verfolgungswahn und kann Barbara auch bei der Aufnahme in der Drogenklinik keine Sekunde aus den Augen lassen. Er besteht darauf, mit Barbara in einem gemeinsamen Zimmer zu schlafen. Mehrere Kliniken lehnen sie deshalb ab, weil man das für schädlich für die Therapie hält. Die Sierra- Tucson-Rehabilitation Clinic gibt schließlich nach, als Barbara die Aufnahmeärztin anfleht: „Bitte helft uns, weil wir sonst sterben werden.“ Nach der Ausnüchterungszeit bekommen die Starkeys getrennte Zimmer. Insgesamt sind die Starrs sechs Wochen dort. Ringo danach: „Es war schwierig, sich auf die Therapie zu konzentrieren, weil dauernd

307 Hubschrauber mit Reportern über unseren Köpfen flogen.“ In der Zeitung sagt einer der Freunde des Paares: „Sie haben beide jeden Tag, und das seit Jahren, Alkohol getrunken. Sie haben Kokain verwendet.“ Ringo: „Wir haben gesoffen und eine Menge Koks geschnupft. Man nimmt etwas hier und etwas da und plötzlich macht man nichts anderes mehr.“ In der Zeitung steht: „Die Klinikärzte haben Ringo gewarnt, dass seine Leber vergrößert ist und auch sein Herz vom Drogenmissbrauch geschädigt wurde. Barbaras Leber ist ebenfalls mitgenommen. Zuerst machten die beiden ein Akutentzugsprogramm mit, und mussten dann in getrennte Zimmer ohne Fernsehen und Radio. Es sind Doppelbettzimmer in Pastelfarben. Sie verbringen ihre Tage und Abende mit Vorträgen, Gruppentherapiesitzungen und Treffen mit Gruppen von den Anonymen Alkoholikern und Anonymen Kokain-Missbrauchern. Sie reinigen Toiletten und die Böden wie alle anderen Patienten in der Klinik.“ Die Therapie hat Erfolg. Barbara und Ringo verwenden von da an keine Drogen mehr und trinken keinen Alkohol. Später erinnert sich Ringo: „Ich hatte ein echtes Alkoholproblem. Trinker können gut reden. Wir saßen Nächte lang herum und redeten darüber, was wir tun würden und tranken dabei so lange, bis wir umfielen. Weil wir dauernd betrunken waren, passierte auch nichts, und das Schlimmste daran: Ich zog Barbara mit mir hinunter. Sie fiel in dieses Loch wegen mir. Sie war eine Schauspielerin, die jeden Tag um 10 im Bett war und um 8 wieder auf den Beinen. Wegen mir ist ihre Karriere kaputtgegangen. Alkohol war meine Hauptdroge und ich tat nichts und erreichte auch nichts

308 mehr. Ich ging nicht einmal mehr aus dem Haus, weil das bedeutet hätte, 40 Minuten im Auto zu sein und dabei nichts trinken zu können.“ Ein Freund sagt zu der Presse: „So viel ich weiß, macht er nichts Kreatives. Er hat keine Projekte wie Paul McCartney oder George Harrison. Es ist eine Schande.“ Ringo: „Alle paar Monate versuchte Barbara uns aus dem Sumpf zu befreien, aber wir fielen immer wieder in ein Loch. Einige Freunde merkten, dass ich am Abschmieren war. Sie wollten, dass ich mich zurückhalte. Ich wusste, dass ich eines Tages in einer Klinik landen werde. Auf dem Weg in die Klinik trank ich immer noch und kam völlig dement aus dem Flugzeug und dachte, dass wir ins Irrenhaus müssten. Nach acht Tagen beschloss ich: Ich bin hier, weil ich Hilfe brauche, ich bin krank. Ich machte alles, was sie mir vorgeschlagen haben. Und ich habe es geschafft. Ich kann der Klinik nie genug danken. Man fühlt sich so sicher. Ich wollte gar nicht mehr weg dort. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Wir mussten die Wäsche waschen und die Aschenbecher ausleeren. Das Schwierigste an dem Ganzen waren wirklich die verdammten Zeitungen und die Hubschrauber über der Klinik.“ Steve Absalom, ein Kolumnist, sieht die Sache so: „Es war ein bitteres Geheimnis, das Ringo Starr und seine schöne Schauspielerfrau Barbara Bach zu bewahren hatten. Jetzt haben sie es zugegeben. Sie sind Alkoholiker. Ihre Freunde im Showbusiness hat das überrascht, da sie in der Öffentlichkeit sein Monaten nur mehr Mineralwasser getrunken hatten. Deshalb heißt es jetzt, dass sie wohl eher ein Drogenproblem hätten. Dazu gehören auch die im Showbusiness üblichen kleinen Drogen, die die Anspannung des

309 Lebens mindern helfen. Schmerztabletten, Appetitzügler, Uppers und Downers, die oft unter Alkohol in ihrer Wirkung verstärkt werden. Von Barbara hat man gehört, dass sie sich Sorgen machte, dass Ringo sterben könnte. Aus ihrem näheren Umfeld verlautete, dass ihr Umzug in die Vereinigten Staaten vor einem halben Jahr der Versuch war, ein neues Leben zu beginnen. Barbara ist jetzt vierzig Jahre alt, sie hat diese Entscheidung getroffen, um ihrem Leben eine neue Wendung zu geben. Die Probleme des Paares haben sich seit ihrer Heirat im Jahre 1981 beständig verstärkt. Ringo ist über den Tod von John Lennon nie weggekommen, sagt ein Freund. Und auch das Scheitern seiner Versuche, im Filmgeschäft unterzukommen, hat dazu beigetragen. Er hat einen Haufen Geld, aber er sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben nach den Beatles.“ Als Paul McCartney in London zu Ringos Klinikaufenthalt befragt wird, scheint er zuerst ahnungslos und meint: „Das kann nicht wahr sein. Er ist einige Wochen im Urlaub, das ist alles.“ Lawrence Meyers von Ringos Plattenfirma: „Ich bin sehr überrascht. Er und Barbara erschienen bei unserem letzten Abendessen völlig normal, ein ganz normales angepasstes Ehepaar. Vielleicht hat er manchmal ein Glas getrunken, aber nie mehrere hintereinander und keineswegs in der Menge, dass man gemeint hätte, er würde Hilfe brauchen.“ Linda McCartney spricht in einem Interview weit offener über ihre Sicht der Dinge: „Paul und ich wussten sein Jahren, dass Ringo alkoholabhängig war. Aber wir hatten Angst, es ihm zu sagen. Wir wussten, dass Barbara und Ringo ihr Leben zerstörten, aber wir hatten Angst, unsere Freundschaft zu ihnen zu

310 gefährden, wenn wir ihnen zu nahe traten. Wir konnten ja auch nichts tun. Ringo und Barbara mussten das Problem selbst lösen. Wenn wir etwas gesagt hätten, hätten sie auch nicht zu trinken aufgehört, aber wir hätten unsere Freunde verloren. Paul und ich waren sehr traurig, als wir hörten, dass sie in eine Klinik mussten, um vom Alkohol loszukommen. Aber wir waren auch froh, dass sie ihr Problem in Angriff nahmen. Sie sind beide Gewinner und werden das gemeinsam schaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann mit so einem scharfen Witz und Sinn für Humor das nicht hinkriegt. Paul und ich sind froh, dass wir den Alkohol nicht so verführerisch finden wie das bei Ringo der Fall war. Ich trinke nie. Ich kann schon den Geruch nicht vertragen. Barbara ist eine sehr gute Freundin von mir und ich habe mit ihr die letzten paar Tage viel gesprochen. Was sie mir sagt, klingt sehr aufmunternd. Wir sind sicher, dass sie und Ringo daraus gestärkt hervorgehen werden. Wir halten ihnen beide die Daumen. Was sie da tun, ist sehr tapfer.“ Andere Freunde von Barbara und Ringo sind weit weniger verständnisvoll, wie der Reporter Ellie Buchanan schreibt: „Witze über Thomas The Tanked- Up Engine (Thomas, die besoffene Lokomotive) machen hier in Hollywood die Runden und einige Kommentatoren sind sich einig, dass Ringos Alkoholproblem mit der Erkenntnis zu tun hat, dass er ein nutzloser Drummer ist, der durch Zufall und ohne besonderes Talent aufzuweisen Teil der Beatles war.“ Pete York, früher Drummer der Spencer Davis Group, widerspricht dieser These, wenn auch mit einem Augenzwinkern: „Ringos einfaches, geradliniges Trommeln hat die Popmusik stärker verändert als viele andere kunstvolle Schlagzeugspieler. Wenn Kids

311 Ginger Baker oder Buddy Rich hörten, gaben sie ihren Traumberuf eines Drummers auf, aber bei Ringo war es so, dass sich jeder gesagt hat: Das kann ich auch. Ringo ist sehr mutig, als Familienentertainer so offen über sein Problem zu sprechen. In den Sechzigern hat er mit seiner Offenheit und Ehrlichkeit die Trommel gerührt und dabei viele junge Schlagzeugspieler geschaffen. Jetzt werden viele Alkoholiker sich denken: Wenn der das schafft, dann schaffe ich das auch, und werden in den Entzug gehen.“ Ringo später: „Ich dachte: Gut, jetzt bist du nüchtern. Was jetzt? Ich bereue meine Jahre als Trinker nicht, weil ich weiß, dass Reue zwecklos ist. Ich dachte mir, ich mache jetzt einfach weiter mit meinem Leben und das mache ich auch. Ich hoffe, dass die Arbeit nicht den Alkohol ersetzt hat. Nicht mehr zu trinken ist etwas, was man von Tag zu Tag macht. Ich denke weniger an das Trinken. Ich freue mich, wenn ich einen Tag geschafft habe. Freunde, die mich nüchtern nicht ertragen können, brauche ich nicht. Das Leben ist mir wichtiger als ein Freund, der sich ärgert, weil ich keinen Drink mehr nehme. Wenn Barbara und ich jetzt zu einer Party gehen, verschwinden wir schon um halb zwölf, wenn alle anderen gerade erst munter werden. Unser Leben hat sich verändert. Meine Tochter Lee sagt zu mir: Es ist schön, mit dir zusammen zu sein, Daddy. Du bist nicht betrunken oder schaust fern. Da hüpft mein Herz. Wir haben viel mehr Spaß, seitdem wir nicht mehr trinken.“ Barbara: „Als wir mit dem Trinken aufgehört haben, war da ein großes Loch für Ringo und er dachte, er müsste es füllen, indem er wieder arbeitet.“ Ringo: „Ich fühle mich 100 Prozent besser. Ich gehe in keine Bars mehr. Ich mache wieder etwas Fitness,

312 schnelle Spaziergänge oder 50 oder 60 Rumpfheben, nichts Außergewöhnliches, aber man kommt damit weiter.“

1989

Am 9. Januar heißt es in den Zeitungen: „Ringo ist zurück auf den Schienen!“ Er soll in der amerikanischen Neuauflage von Thomas The Tank Engine eine Lokomotive spielen. Ringo bei der Pressekonferenz: „Ich bin immer noch der gleiche lustige Beatle. Außer, dass ich nicht mehr trinke. All das ist jetzt Vergangenheit. Ich bin der fröhliche Beatle, der ich vor 25 Jahren war. Ich fühle mich gesund und sehr glücklich. Ich lebe von Tag zu Tag und die Zukunft sieht gut aus. Meine schwärzeste Stunde war zu schwarz, aber jetzt ist wieder alles gut. Es geht uns beiden besser, seitdem wir aufgehört haben. Früher habe ich eine Flasche Scotch mit fünfzig Schlucken leer gemacht und bin dann zur nächsten übergegangen.“ Barbara, die an seiner Seite sitzt: „Er ist zurück und in Hochform. Es geht uns gut.“ Ringo spricht dann über seine neue Rolle in der geplanten Fernsehserie Shining Time Station, und bemerkt danach gegenüber einem Reporter: „Das einzige, was meinen Optimismus etwas dämpft, ist der Eindruck, dass unser Entzug in England die Leute verstört hat. Es gab dort schreckliche Artikel. In Amerika hat man uns unterstützt, aber in England

313 dachten sie, wir machen das nur, um Presse zu kriegen. Sie dachten, dass ich durchgedreht hätte.“ Über John: „Ich habe zweimal seinen Geist gesehen. Er kam in mein Hotelzimmer, als es mir schlecht ging und munterte mich auf. Die Beatles waren ein großer Teil meines Lebens und das kann man nicht ablegen. Es war eine große Zeit.“ Dieses Fernsehprojekt wird ein zumindest mittelmäßiger Erfolg für Ringo, der es aber schon nach der ersten Saison aufgibt. Er will dazu stehen, dass er vor allem ein Musiker ist und auch wieder auf Tournee gehen, sagt er. Er will es noch einmal als Musiker wissen. Am 2. Juni berichtet der : „Ringo wird zwanzig Jahre nach dem Ende der Beatles wieder Konzerte gehen. Er wird sechs Wochen lang in Amerika singen und Schlagzeug spielen mit einer neuen Gruppe, die natürlich All Starr Band heißt.“ Ringo: „Ein Typ kam nach England und fragte mich, ob ich eine Band zusammenbringen und auf Tournee gehen wollte. Er muss mich an einem guten Tag erwischt haben, weil ich gleich zugestimmt habe.“ Am 12. Juli melden Presseagenturen: „Ex-Beatle Ringo Starr hat sich bereit erklärt, im Austausch für eine Werbekampagne, die er nicht braucht, Diet Pepsi bekannt zu machen. Ringo hatte riesige Sorgen, dass seine 25-Tage-Tournee in den Vereinigten Starten ein Misserfolg werden könnte und hat deshalb einen Deal über mehrere Millionen Dollar mit dem Limonadenhersteller vereinbart, der ganzseitige Anzeigen in den Zeitungen geschaltet, jede Menge Reklametafeln überall in Amerika aufgestellt und T- Shirts und Westen gedruckt hat, die mehr als 1 Million Pfund gekostet haben sollen. Davon bekommt Ringo

314 keinen Cent, und er hätte die Werbung auch nicht gebraucht, denn die Konzertkarten waren innerhalb von Minuten ausverkauft. Der Manager des New Jersey State Arts Centers sagt: So etwas habe ich noch nie gesehen. Die Karten gingen innerhalb von 15 Minuten weg, schneller als für Michael Jackson oder Bruce Springsteen. Ein Kumpel von Ringo sagte: Er freut sich sehr über diesen Zuspruch.“ Zum Beginn der Konzerte berichtet Musikjournalist Mike Kerrigan: „Ringo Starr sieht gut aus. Und er ist auch beschäftigt. Seit zwei Wochen finden Proben für das Eröffnungskonzert in Dallas statt. Seine Augen glänzen und sein Haar ist zu einem Schwanz zusammengebunden, so dass sein Gesicht frei liegt. Das blasse, verschwollene Gesicht, an das man sich seit Jahren gewöhnt hat, hat einem gesund aussehenden Antlitz Platz gemacht.“ Ringo: „Den Großteil meines Lebens habe ich wie Graf Dracula gelebt, am Tag geschlafen und bin die Nacht aufgeblieben. Im letzten Jahr waren ich am Tag wach und bin deshalb von der Sonne gebräunt. Und wissen Sie was? Schon kommen die Ärzte und sagen, dass das schlecht für mich ist. Ich frage mich, wo die gewesen sind, als es mir schlecht ging.“ In dieser ersten Auflage der „All Starr Band“ finden sich Billy Preston, Dr. John, Levon Helms, Nils Löfgren, , Rick Danko, Clarence Clemons und Jim Keltner. Jetzt zeigt sich, dass Ringo viele Freunde im Musikgeschäft hat, und dass sein Name eine Zugkraft hat, an die er selbst fast nicht mehr geglaubt hätte. Ringo: „Das Tolle an diesen Leuten ist, dass sie alle Stars aus eigener Kraft sind und deshalb nicht die ganze Zeit das Gefühl haben müssen, sich beweisen zu

315 wollen. Also sind alle glücklich. Ich freue mich schon auf die Tournee. Wir werden in Städten spielen, die es noch gar nicht gab, als ich das letzte Mal da war. Ich habe auch zwei weiteren Musikern einen Tourneeplan geschickt für den Fall, dass sie mal vorbeikommen und mitspielen wollen ...“ Es ist klar, wen Ringo meint: George und Paul. Doch die überhören sein Werben. Nach dem ersten Konzert am 23. Juli in Dallas heißt es in der International Herald Tribune: „Obwohl für Kids am ersten Abend der Eintritt frei war, waren fast nur über 30-jährige im Publikum. Der ehemalige Beatle wurde von einer Gruppe ergrauter Rockstars unterstützt, darunter auch Billy Preston, der auf Let It Be Orgel gespielt hatte, der Saxoponist Dr. John, Clarence Clemons, der Gitarrist und Keyboardspieler, Nils Löfgren, ausgeliehen von Bruce Springsteen, und der Gitarrist Joe Walsh, früher bei den Eagles. Der 49jährige Ringo eröffnete den Abend mit It Don't Come Easy. Eine Frau, die mit ihren beiden Töchtern da war, sagte: Meine Kinder wissen gar nicht, wer Ringo Starr ist, aber nach diesem Konzert tun sie das.“ Ringo: „Ich hatte zuerst große Angst vor dieser Tournee nach so vielen Jahren, aber nach der ersten Nummer ging es mir gut und ich war in Stimmung. Auf die Bühne zu treten war schwierig. Aber ich stecke nicht hinter meinen Trommeln fest. Ich mache da mein Ding oben. Viele Lieder haben wir im Chor gesungen wie Yellow Submarine, und With A Little Help From My Friends, und das war ein bisschen wie Karaoke da oben. Und viel Kameradschaftlichkeit, jeder bekam einen Platz im Rampenlicht.“ Kolumnist Barry Baker schreibt nach dem letzten Konzert: „Durch seinen Sponsor Pepsi hat die Tournee

316 5 Millionen Pfund verdient, was einen Profit von 1 Million Pfund für Ringo bedeutet. Das verblasst natürlich neben den 56 Millionen, die die Rolling Stones bislang auf ihrer Welttournee verdient haben, was etwa 4 Millionen für jeden einzelnen von ihnen bedeutet. Paul McCartneys Europatournee wird 12 Millionen einbringen, wodurch er mehr als eine Million reicher sein wird. Ringo wird nächstes Jahr durch England reisen und durch Europa, mit einem Konzert in Russland im April. Er schreibt wieder Songs und für den Mai des nächsten Jahres ist ein neues Album geplant. Ringo sagt dazu: Jetzt, wo ich wieder in das Rampenlicht zurückgekehrt bin, kriegen wir Einladungen von überall her.“ Ringo: „Nach der Tournee kehrten Barbara und ich in unser Heim in Monte Carlo zurück und wir waren zu aufgeregt, um erschöpft zu sein. Nach dem letzten Konzert brachen wir zusammen. Wir haben zwei Wochen gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Ich bin so lange nicht unterwegs gewesen und kaum tue ich das, sind auch alle anderen da, die Rolling Stones, die Who, und Paul McCartney machen einem Konkurrenz. Ich hatte das Gefühl, ich gehe da raus und jetzt sind die auch alle da. Die frühen englischen Gruppen kommen wieder in Mode, und unser Geheimnis ist, dass die Menschen wieder die alten Hits hören wollen. Sie wollen immer wieder With A Little Help From My Friends und Yellow Submarine hören.“ Maureen, geschiedene Starkey, heiratet im Jahr 1989, im Jahr der „Wende“, ein zweites Mal. Es ist der Eigentümer des Hard-Rock-Cafés, Isaac Tigrett, mit dem sie schon eine zweijährige Tochter, Augusta King Tigrett, hat.

317 Auch von einer anderen früheren Partnerin ist in diesem Jahr die Rede. Im Oktober heißt es in den Zeitungen: „Ringo Starr hat fast 250.000 Pfund Schweigegeld an seine frühere Geliebte Nancy Leigh Andrews gezahlt, die einen offenen Bericht über seine Trinkgelage und seinen Drogenmissbrauch veröffentlichen wollte. Es ist einer der größten Alimenteprozesse, den Hollywood je gesehen hat. Ms. Andrews war nach ihren Aussagen sieben Jahre lang mit Ringo Starr zusammen. Das Geld wurde in jährlichen Raten über acht Jahre ausbezahlt, nachdem anfänglich 90.000 Pfund auf den Tisch gelegt wurden. Der letzte Scheck über 18.000 Pfund wurde in diesem Jahr ausgestellt. Die ehemalige Schauspielerin Nancy war wütend darüber, dass der Ex-Beatles sie wegen des James-Bond-Models Barbara Bach verlassen hat. Nancy gab zu, dass sie Ringos Drogen- und Alkoholprobleme beunruhigten, während er mit ihr zusammen war. Ich habe um seine Gesundheit gefürchtet, sagte sie. Der Körper kann nur so viel vertragen, und ich hatte Angst, dass er sich damit umbringen würde. Ich schlug ihm vor, in eine Klinik zu gehen oder mit mir wegzufahren und in der Wüste zu campen.“ Mittlerweile weiß jeder von Ringos Problemen. Und das Schöne daran: Er hat sie in den Griff bekommen. Der Bericht aber übersieht auch die Tatsache, dass das „Schweigegeld“ eigentlich so etwas wie eine Entschädigung von Ringo für seine frühere Lebensgefährtin war, das ihr dazu verhelfen sollte, ein neues Leben zu beginnen. Umso bedauerlicher ist es, dass Nancy nach Ablauf der Zahlungen den Vorgang öffentlich macht. Am 8. November ist es endlich so weit, dass die verbliebenen Beatles die Klage gegen Paul wegen

318 erhöhter Tantiemen von Capitol und EMI offiziell fallen lassen. Sie haben schon vor fünf Jahren darüber gesprochen, doch jetzt ist es aktenkundig, dass nur mehr die Plattenfirma in der Klage genannt wird. Ein erleichterter Paul: „Es gibt tolle Möglichkeiten, mit George und Ringo etwas zu machen. Vielleicht schreiben wir neue Musik zusammen. Dass George und ich nie etwas zusammen geschrieben haben, ist fast unglaublich. Vielleicht beenden wir auch unser Projekt, die Beatles-Story als Dokumentation zu machen.“ Paul befindet sich gerade auf Welttournee, erweckt dabei einen riesigen Zuspruch der Massen und widmet dabei einmal ein Lied an „meine Freunde, George, Ringo und John, ohne die ich nicht hier stehen würde.“

1990

Anlässlich des 50. Geburtstages und 10. Todestages von John Lennon nimmt Ringo gemeinsam mit Jeff Lynne, , Joe Walsh und Jim Keltner (die im Umfeld von George Harrison als „Traveling Wilburys“ aktiv sind), das Lied auf. Ansonsten wird es in diesem Jahr still um Ringo.

319 1991

Ringo tritt bei den Simpsons als Cartoon-Figur auf. Er ist bei der Produktion aber nicht beteiligt. Auch dieses Jahr ist Ringo einfach Privatperson und sonst nichts.

1992

Ringos neue LP nach neun Jahren heißt Time Takes Time. Das Album ist dem Erfolg der All Starr Band geschuldet und verkauft sich auch gut. Ringo gibt mit George ein Überraschungskonzert in der und die beiden spielen Roll Over Beethoven und While My Guitar Gently Weeps. Die Presse schreibt dabei über die wackelige Stimme von George, die schon fast zwanzig Jahre zuvor seine einzige Solotournee zu einem Misserfolg gemacht hat. Anders steht es mit Ringos neuer All Starr Band. Sie besteht zum Teil aus Menschen, die den Beatles nahe waren, darunter Peter Asher, der Bruder der damaligen Verloben von Paul McCartney, und Harry Nilsson, der 1974 mit John Lennon in Los Angeles Plattenaufnahmen machte, aber auch Brian Wilson, das Genie der Beach Boys, oder Jeff Lynne vom Electric Light Orchestra. Lynne steht George Harrison nahe und wird deshalb, weil er auch Ringo nahe kommt, bald zum Produzenten des Anthology-Projektes der Beatles ernannt werden.

320 Die Altstars kommen in ihrer zweiten Besetzung bei Kritik und Publikum nicht so gut an - wie der Daily Telegraph über eine Show im Hammersmith Odeon schreibt: „Eine zusammengewürfelte Truppe aus einigen der talentiertesten und exzentrischen Persönlichkeiten der Rockmusik spielten Lieder aus ihrem Repertoire, und mitunter kam dabei großartige Musik heraus. Zwischendurch kam ein Mann mit dunklen Brillengläsern, einer großen Nase, einem Bart und einem bunten Mantel auf die Bühne, sang ein, zwei Lieder, spielte ein bisschen Schlagzeug und verschwand dann wieder. Der Herr, von dem wir hier reden, ist Ringo Starr, der Ex-Beatle, und der eigentliche Sinn dieser Veranstaltung ist sein neuestes Soloalbum Time Takes Time. Was das betrifft, verbrachte Ringo kaum eine halbe Stunde auf der Bühne, und ein Großteil von dem, was er zum Besten gab, waren Beatles-Songs oder frühere Erfolge. Sein Album wurde fast völlig ausgespart. Je weiter der Abend fortschritt, desto klarer wurde, dass Ringo nur dem Namen nach hier war, und dass seine Mitspieler für die Arbeit verantwortlich waren. Gegen Ende kam Ringo noch einmal heraus, um das auf die Tränendrüsen drückende Lied Photograph zu Gehör zu bringen, zweifelsohne seine größte Errungenschaft als Solo-Künstler. With A Little Help From My Friends, das Beatles-Lied, mit dem man seinen Namen am Ehesten verbindet, beendete den Abend. Danke, dass Sie gekommen sind, sagte er danach in seiner besten Thomas The Tank Engine-Stimme. Es hat uns sehr gefreut.“ Der Evening Standard meint: „Die Band hätte am Besten Acht Männer und ein Baby heißen sollen. Es war ein schweres Stück, diese alten Zausel (und Ringos

321 Sohn Zak) auf der Bühne zu ertragen, die im Dienste seiner Herrlichkeit König Ringo angetreten waren. Ringo drückte sich von der Arbeit und beschränkte sich auf fünf Nummern.“

1993

In diesem Jahr ist Ringo im Wesentlichen Privatperson. Er spielt Golf in Monte Carlo, trägt dabei Schlabberlook mit schütterem Vollbart und Baseballmütze. Ringo ist sichtlich zum Frührentner geworden.

1994

Die Sunday Times schreibt am 23. Januar einen Artikel über das Anthology Projekt der Beatles, bei dem neue Versionen ihrer Platten, eine groß angelegte Fernsehdokumentation und zwei neue Lieder herausgebracht werden sollen. Ist das die Wiedervereinigung der Supergruppe? In dem Bericht heißt es über Ringo: „In den Achtziger Jahren war er im Wesentlichen ein Alkoholiker ohne Plattenvertrag, am Besten bekannt für den Liverpooler Slang in der Stimme von Thomas The Tank Engine And Friends ... Während Paul McCartney seine übliche Betriebsamkeit verströmt, ist Ringo für die letzte geplante Aufnahmesitzung ausgefallen, weil er

322 beschlossen hatte, seinen Schiurlaub zu verlängern. Ähnlich sieht es mit George Harrison aus, der eine Wiedervereinigung der Beatles mit den Worten abtut: John ist tot. Was immer wir tun, sind nicht die Beatles. In einem Hintergrundgespräch mit einer amerikanischen Journalistin wurde George noch deutlicher. Hör zu, Süße, meinte er, ich habe zwanzig Jahre damit verbracht, Paul McCartneys Scheiß-Ego zu unterstützen.“ Am 11. Februar kommt es zur ersten Sitzung in Pauls Mill Studios in Sussex. Paul, George und Ringo arbeiten an einer Demoaufnahme von John aus dem Jahr 1977 mit dem Titel Free As A Bird. Jeff Lynne, der seit einer Weile mit George in den Traveling Wilburys spielt, soll die neuen Aufnahmen der Beatles produzieren. Paul: „Yoko gab uns diese Kassette mit der Stimme von John darauf und ich versprach ihr damals: Wenn es dir nicht gefällt, werden wir es nicht herausbringen. Wir wandten einen Trick an, indem wir so taten, als hätte uns John angerufen und gesagt: Ich fahre nach Spanien in den Urlaub und hier ist ein kleines Lied von mir. Macht was daraus, ich vertraue euch. Das waren die wichtigen Worte für mich: Ich vertraue euch. Wir waren sehr berührt, als wir mit der Arbeit begannen. Es gab eine Auseinandersetzung zwischen George und mir, als wir ein paar neue Zeilen schreiben sollten. Wir bemühten uns um den besten Text und ich glaube, es ist gut geworden. Yoko hat uns auch einige Zeilen geschickt, aber die haben nicht funktioniert. Als Ringo das erste Mal Free As A Bird im Kontrollraum hörte, konnte er sich nicht zurückhalten und rief: Das klingt wie die verdammten Beatles! Und es funktioniert, weil da einige Harmonien drin sind und anderes Zeug. Ich

323 dachte mir, dass es komisch werden würde, mit einer Kassette von John Lennon mitzuspielen, und es war komisch und pure Magie.“ Jeff Lynne: „Die Stimmung im Studio war zum Großteil gut. Die Gespräche waren so gut, dass ich am Liebsten gar keine Musik aufgenommen hätte, was mir das erste Mal passiert ist. Sie erzählten so viele alte Anekdoten und dann lachte einer von ihnen wieder und sagte: Du musst reden, alter Schwede ...“ Bei einer Pressekonferenz werden die McCartneys gefragt: „Ringo soll Vegetarier geworden sein?“ Linda, die mit einer Kette von Bio-Lebensmittel bekannt geworden ist: „Das ist richtig. Er ist sehr an Gesundheit interessiert, und sein Ernährungsberater hat ihm gesagt: Du musst Vegetarier werden, wenn du gesund sein willst. Also joggt er und isst nur Gemüse und Obst und ist ein glücklicher Mensch.“ Paul: „Vor einer Zeit war er nicht so gesundheitsbewusst. Es war einer dieser Fälle, wo er zum Arzt musste und dann sagte man ihm, dass er aufhören muss, Fleisch zu essen. Danach kam Ringo zum Arzt und der meinte: Ihr Körper ist jetzt der eines 45-jährigen Mannes.“ Am 25. August stirbt Ringos Mutter Elsie in einem Altersheim an einer Lungenentzündung. Ringo sagt darüber in der Öffentlichkeit nichts, aber man hat nicht den Eindruck, dass er viel Kontakt mit seiner Mutter hatte. Am 1. Dezember kommt ein Album mit frühen Liedern der Beatles heraus. Es heißt Live At The BBC und beinhaltet zum Großteil Beatles-Versionen bekannter Rock'n'Roll Lieder. Ringo: „Das packt mich richtig, wenn ich diese alten Aufnahmen höre, weil das eine Band war, in der ich

324 spielte, und man vergisst, dass diese sich damals noch entwickelt hat. Jeder denkt an Sgt. Pepper, aber vorher waren wir eine x-beliebige Truppe, die in jedem Club in England gespielt hat. In Liverpool hatten alle die gleichen Lieder drauf. Das war gut für uns, dorther zu kommen, weil das ein großer Hafen ist und die meisten Leute dort in die Marine gehen und deshalb gab es überall Platten aus Amerika und wir kannten alle amerikanischen Stars, lange bevor sie anderswo wahrgenommen wurden. Die Lieder zu hören hat mich umgehauen. Es ist eine lange Zeit vergangen. Wir waren eine ziemlich gute Band schon damals. Manche von den Liedern haben wir am Morgen erst geprobt und dann am Abend live im Radio gespielt. Ich mag I'll Be On My Way109 und A Shot Of Rhythm And Blues110, was ein wirklicher Klassiker ist. Sure To Fall war immer einer meiner Lieblinge, und You've Really Got A Hold On Me ist immer noch ein Beatles-Klassiker. Es war eine Menge Spaß und eine Menge Arbeit. Aber das wollten wir damals ja auch ...“ Diese Veröffentlichung alter Beatles-Aufnahmen geht sofort auf Platz 1 der Charts und ist in kurzer Zeit ausverkauft. Die letzten Wochen in diesem Jahr stehen im Schatten der schweren Krankheit Maureens. Sie leidet seit einigen Jahren an Leukämie und stirbt am 30. Dezember im Alter von 48 Jahren in Seattle an dieser Krankheit, wenige Monate nach einer Knochenmarkstransplantation, für die ihr Sohn Zak der Spender war. Ringo ist mit ihr am Krankenbett, ebenso wie ihr Mann Isaac, ihre vier Kinder und ihre Mutter, Flo.

109 http://www.youtube.com/watch?v=pwTZRe11svE 110 http://www.youtube.com/watch?v=O6L02Aymv6g

325 1995

Ringo ist im Januar sehr niedergeschlagen. Ein Freund sagt zur Presse: „Maureen hat mit ihrem Tod ein Stück von Ringo mitgenommen. So vieles, das Ringo ausmacht, hat er jetzt verloren, weil nur Maureen das in ihrem Herzen hatte.“ Auch George geht es in diesem Jahr nicht gut. Er verklagt seinen langjährigen Manager Denis O'Brien, sein Vermögen veruntreut zu haben und wird in der Presse als nahezu bankrott beschrieben. George droht sein prächtiges Anwesen zu verlieren. Paul dagegen ist sehr positiv gestimmt. Er hat mit Sean und Julian Lennon, Yoko Ono und Linda eine Platte aufgenommen, um das gute Verhältnis mit ihnen zu dokumentieren. Und seine Tochter Stella, die Modeschöpferin geworden ist, hat gerade ihre erste große Show, bei der Supermodels Kate Moss, Yasmin LeBon und Naomi Campbell auftreten, und die auch ein großer Erfolg ist. Paul: „Ich bin der stolzeste Vater der Welt. Ich fand die Show brillant. Stella ist schon sehr weit in ihrem Beruf.“ Und auch das Anthology-Projekt macht Paul großen Spaß. Paul: „Das Lustigste daran ist, dass unsere Erinnerungen sich oft unterscheiden, weil all das 30 Jahre her ist. Das kann urkomisch sein ... Es gibt da eine Situation, wo Ringo eine Geschichte erzählt und sagt: Damals hatte George eine Angina und die Kamera geht auf George, der sagt: Ich dachte, das wäre Paul gewesen, und die Kamera zeigt auf mich und ich sage: Ich weiß definitiv, dass es John war. Das habe ich

326 seither analysiert. Wenn Ringo denkt, dass es George war, war er es nicht selbst. Wenn George dachte, dass ich es war, war es nicht George. Und wenn ich dachte, dass es John war, muss er es gewesen sein, weil er der einzige ist, der übrig bleibt. Das ist lustig und das passt auch zu den Beatles. Man muss lachen. Es ist so menschlich und so wirklich.“ Ringo: „Es war eine Menge Spaß, und hat sich entwickelt und wir haben uns mehr und mehr daran beteiligt. Das zeigt, wie es uns geht, wenn es um die Beatles geht. Wir haben Stunden miteinander verbracht und haben die Hundescheiße aus der Vergangenheit entsorgt, all das ist jetzt weg.“ George: „Unsere Erinnerungen sind völlig anders. Eine Sache betrifft Elvis, als wir ihn in seiner Villa in Bel Air besuchten. Wir redeten über Priscilla und einer sagte: Sie hatte ein grünes Kleid und einen grünen Kamm im Haar. Und der andere: Ich erinnere mich an ein blaues Kleid und eine Tiara aus Diamanten. Also gibt es vier verschiedene Versionen. Paul erinnert sich an so vieles, und einzig und allein sich mit ihm zu treffen, war interessant. Wir redeten über etwas und er erwähnte dann etwas, über das wir seit vielen Jahren nicht mehr nachgedacht hatten.“ Paul: „Es war erschreckend, zu sehen, wie jung wir damals waren. Ich war 22, und wenn ich die Ausschnitte sehe, denke ich mir: Wir waren Kids, jünger als meine Kinder heute.“

Free As A Bird111 kommt als Single heraus, ist ein riesiger Verkaufserfolg, doch die Kritiker verreißen die Arbeit.

111 http://www.youtube.com/watch?v=glUFjjkYuAk

327 Giles Coren: „Free As A Bird ist keine Veröffentlichung. Es ist nicht einmal eine Platte. Es ist ein Produkt des virtuellen Pop. John Lennons Stimme von einem Demo-Band, und begleitet und arrangiert von drei Musikern, die alt geworden sind, ganz im Gegensatz zu ihm.“ George Martin, der frühere Produzent der Beatles: „Es ist ein tolles Lied. Ich mag, wie sich die Harmonien bewegen. Ich mag den Text. Ich glaube nicht, dass es so gut ist wie Strawberry Fields, was damals keine Nr. 1 wurde, aber besser als andere Nr. 1en, die ich gehört habe.“ Jonathan King: „Es ist völliger Mist! Es klingt wie eine schlechte Demo von ältlichen Sessionmusikern, die Eindruck machen wollen. Es schmeckt nach Geld, nicht nach Enthusiasmus oder musikalischem Einfallsreichtum. John Lennon würde sich schämen, wenn er wüsste, dass so etwas das Tageslicht erblickt. Man kann ihn fast am Ende sagen hören: Was für ein Käse, Gott sei Dank wird es nie jemand hören. McCartney hat einen schwerfälligen Bass beigesteuert, und George klingt, als hätte er Arthritis. Wäre das von einer neuen Band, würde es sofort zurückgewiesen werden.“ Germaine Greer: „Sie schlagen ein totes Pferd. Das Leid ist bleiern und schrecklich. Wenn das zu Weihnachten die Nr. 1 werden soll, sind das traurige Weihnachten.“ , der erste Beatles-Biograf, trifft die Sache, als er meint: „Es ist mir egal, wie es ist. Beatles- Fans werden darauf abfahren, selbst wenn es Mist sein sollte. Fans von Wordsworth haben auch schlechte Gedichte von ihm gelesen, weil er eben Wordsworth

328 war. Und selbst wenn sie noch irgendwelche Krümeln ausgraben, werden wir auch die kaufen.“ Ringo: „Es ist toll ,und ich sage das nicht, weil ich drauf bin. Es ist ein erstaunliches Beatles-Lied. Wenn ich einen Schritt zurück mache und zuhöre, klingt das wirklich wie sie. Es ist einfach brillant!“ George: „Ich freue mich darüber, dass es funktioniert und dass ich wieder Johns Stimme in einem Song höre. Das war sehr nett. Vielleicht bin ich da komisch, aber ich kann ihn mir tot nicht vorstellen.“ Paul: „George ist ein sehr geradliniger Typ und es sagt immer, was er denkt. Er mochte Free As A Bird nicht besonders. Er sagte zu mir: Mir kommt es vor, als ob Johns Kompositionen zuletzt ein bisschen nachgelassen hätten. Ich finde das gar nicht. Wenn John noch gelebt hätte, hätte es dieses ganze Anthology-Projekt gar nicht gegeben wegen George. Er hatte sich mit John noch nicht versöhnt. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt noch miteinander geredet haben. George hatte gerade sein großes Buch herausgebracht, und John wurde darin kaum erwähnt und John war sehr enttäuscht. Was mir an der ganzen Sache gefallen hat, war, die Jungs wieder viel zu sehen und mit Ringo, George und George Martin wieder im Studio 2 in der Abbey Road zu sitzen. Die Leute haben uns gefragt, ob es eine gute Idee war, Free As A Bird aufzunehmen, aber was glauben die denn? Wir haben unter jedem Stein nachgesehen. Ich habe mit John über das Thema gesprochen, als wir noch kleine Jungs waren und im Wohnzimmer seiner Tante in Liverpool gesessen haben. Nachdem Buddy Holly gestorben war, wurden einige Platten herausgegeben, wo man seine Stimme eingespielt hat und im Studio spielten die Fireballs dazu, wie das dann hieß. Und wir sagten damals: Das sollten immer noch Buddy Holly

329 und die Crickets sein. Diese neue Platte ist nicht John und die Fireballs, sondern John und die Beatles, und das ist ein Unterschied. Ich habe mich auch gefragt, was wohl Yoko über das Resultat denken wird, aber sie hat uns die Kassette gegeben und ich glaube, sie ist zufrieden mit dem Ergebnis.“ George: „Die Beatles existieren außerhalb von mir. Ich bin nicht Beatle George. Beatle George ist ein Anzug oder ein Hemd, das ich einmal getragen habe und bis zum Ende meines Lebens werden Leute vielleicht dieses Hemd sehen und es mit mir verwechseln. Es würde mir Spaß machen, wenn jemand wie U2 die Anthology-Serie sieht und dann eine Band erlebt, die wirklich berühmt war.“ Lustig ist eine Werbeeinschaltung im Fernsehen, als Ringo mit den drei verbleibenden Monkeys – einer Boygroup der 1960er Jahre, die den Beatles in Amerika Konkurrenz machte – zusammentrifft und von einer Wiedervereinigung redet, dann aber in die Kamera schaut und anmerkt: „Das sind die falschen Typen.“ Am 11. Dezember wird Linda McCartney an ihrer Brust operiert. Paul: „Wir waren sehr erschrocken. Sie hatte einen Knoten unter dem Arm, mit dem sie beim Hausarzt war und der sagte: Kein Problem, es ist gar nichts, und verschrieb ein Antibiotikum. Aber dann hatte sie mit einigen Freundinnen gesprochen und ging zum Gynäkologen und rief mich an. Ich habe jetzt das Resultat, sagte sie. Es ist Brustkrebs. In dieser Sekunde hat sich unser Leben verändert. Linda sagte: Es wäre besser, wenn du kommst. Und ich: Keine Sorge, bin schon auf dem Weg. Und ich lief nach Hause.“

330 1996

Die zweite Beatles-Single Real Love wird von der BBC abgelehnt, weil man der Ansicht ist, dass sie nicht gut genug ist. Paul: „Ringo sagte zu mir: Wer braucht Radio One, wenn es all diese unabhängigen Radiostationen gibt?“ Aber auch die neue Single ist ein Erfolg in den Charts. Die Beatles sind wieder zurück – und das stärker denn je. In diesem Jahr erscheint die Alben Anthology 2 und Anthology 3 und werden beide zu Bestsellern, auch die dritte Platte, die nicht einmal mit einem neuen Song aufwarten kann. Sie kommt im Oktober heraus und in der Presse heißt es, diese Art von Jam sei nun ausgefallen wegen der „beschämenden Aufnahme von Real Love“ zu Beginn des Jahres. „So endet die Anthology-Serie mit einer abschätzigen Geste, wie ja auch die Beatles selbst, ein Achselzucken und ein Ade statt einem Shake, Rattle und Roll. Und doch – wenn man von dem völlig unpassenden symphonischen Beginn von George Martin absieht, beinhaltet die Sammlung glänzende Demo-Stücke für das Weiße Album, die allein den Preis wert sind.“

331 1997

Zu Beginn des Jahres nimmt Ringo mit Paul sein neues Album auf, das erste Soloalbum in fünf Jahren. Ringo schreibt mit Paul auch das erste Mal gemeinsam ein Lied. Es heißt Really Love You112. Paul: „Als ich es Ringo vorgespielt habe, sagte er: Es ist gnadenlos, gnadenlos. Er kann gut mit Worten umgehen.“ Auf dem Album findet sich auch das Lied Little Willow113 im Gedenken an Maureen, Ringos erste Frau. Paul: „An dem Morgen, an dem ich hörte, dass Ringos frühere Frau Maureen gestorben war, konnte ich an nichts anderes denken, also schrieb ich das, um auszudrücken, wie sehr ich an sie dachte. Es kommt auf jeden Fall von Herzen und ich hoffe, dass es ihren Kindern helfen wird. Anstatt einen Brief zu schreiben, habe ich dieses Lied geschrieben.“ Ringo ist auch auf Beautiful Night114 zu hören, ein Lied, das an die Beatles anklingt. Paul: „Ich hatte es schon einige Jahre zuvor geschrieben und mochte das Lied immer schon. Ich hatte in New York eine Nummer aufgenommen, aber hatte das Gefühl, dass es noch nicht so richtig passt. Also holte ich den Song heraus, als Ringo kam, und änderte ein bisschen am Text und es war wie in alten Zeiten. Mir fiel auf, dass wir das so lange nicht mehr

112 http://www.youtube.com/watch? v=GdgU5OuBe14&feature=PlayList&p=FB1D0B5025B59822 &playnext_from=PL&playnext=1&index=3 113 http://www.youtube.com/watch?v=nvRoV_Mj0pA 114 http://www.youtube.com/watch? v=OkiV3WzWW50&feature=related

332 gemacht hatten, aber ich fühlte mich richtig wohl, dass wir es noch drauf hatten.“ Gegen Ende, während des schnellen Teils, singt auch Ringo im Hintergrund mit. Am 11. März wird Paul von der Königin zum Ritter geschlagen. Paul: „Wenn man ein Sir wird, sollte man eigentlich seine Angewohnheiten aus der Arbeiterklasse ablegen und Haltung annehmen und jeder sollte Sir Paul zu einem sagen. Weil ich aber bin, wie ich bin, verunsichert mich das Sir eher. Ich sage den Leuten: Hören Sie zu, wenn Sie mich Sir Paul nennen wollen, ist das in Ordnung. Meistens sind das Leute im Flugzeug: Kann ich Ihnen noch eine Tasse Kaffee bringen, Sir Paul?“ George und Ringo nennen Paul in Telefongesprächen nun gerne „Eure Heiligkeit“. Es gibt Fragen zu Linda, die nicht bei der Ehrung dabei war, und Paul meint, dass es ihr gut geht. Flaming Pie erscheint am 5. Mai. Es ist das erste erfolgreiche Album von Paul seit Tug of War im Jahr 1982 und wird von einzelnen Kritikern hymnisch begrüßt. Es klingt sehr nach dem Paul McCartney aus der Zeit der Beatles. Und doch ist auch Paul mittlerweile schon 55 Jahre alt, und in den begleitenden Videos sieht man das auch. Doch die Lieder sind schön. Wegen des Erfolgs der Spice Girls kann es in England wie in den USA nur auf Platz 2 vorstoßen, wird aber immerhin in Griechenland Spitzenreiter der Hitparade. Young Boy115 The World Tonight116 und Beautiful Night117 werden Single-Erfolge.

115 http://www.youtube.com/watch?v=lnr0C4m19cI 116 http://www.youtube.com/watch?v=_3Hv_oU6hyg 117 http://www.youtube.com/watch?v=OkiV3WzWW50

333 Flaming Pie wird das letzte Album von Paul sein, das wirklich noch ein weltweiter Erfolg wird. Wenige Monate später stirbt Linda McCartney.

1998

Anfang des Jahres werden bei Linda McCartney Metastasen ihres Brustkrebses festgestellt. Sie muss in die Chemotherapie. Paul: „Für eine Frau, eine schöne Frau mit dem schönsten Haar, dunkelblond und natürlich, ist das natürlich eine schreckliche Tragödie, ihre Haar zu verlieren, aber sie war so tapfer und sagte: Okay, schneiden wir es ab und hat sich einen Militärhaarschnitt machen lassen. Es sah wirklich gut aus, weil sie eine schöne Knochenstruktur und einen schönen Hals hat. Wir dachten danach, alles wäre überstanden, aber nach den Ferien ging sie wieder zum Arzt und er sagte: Sie haben eine vergrößerte Leber und es ist wahrscheinlich Krebs. Wir versuchen positiv zu bleiben, was die Statistik betrifft, es gibt Leute, die das überlebt haben und Linda sagt zu mir: Du bist die beste Unterstützergruppe, die ein Mädchen haben kann, und wir sagen: Wir könnten es nicht ohne dich sein, Babe.““ Am 17. April stirbt Linda McCartney. Paul erzählt später: „Gott sei Dank, sie fiel ins Koma, wie das die Ärzte vorhergesagt hatten. Sie war müde und ich sagte: Möchtest du am Pool sitzen? Und sie antwortete: Nein, heute nicht. Ich ließ sie in Ruhe und nach einer Stunde sagte sie, dass sie immer noch müde war. Ich wollte lustig sein und sagte: Wird das heute ein Betttag? Und sie meinte: Ja. Und am nächsten Morgen war sie tot. Sie war einen Tag lang im Koma gewesen.

334 Ich lag neben ihr im Bett und sie war unruhig in der Nacht. Ich rief die Krankenschwester gegen drei Uhr, und um fünf Uhr war sie gestorben. Die Ärzte sagten: Wir hatten noch nie eine so ruhige Patientin. Ich hätte das ohne meine Kinder nicht geschafft. Wir sind eine sehr enge Familie, und wir waren alle gleich stark betroffen. Wir haben viel miteinander geweint. Unsere Freunde haben uns stark unterstützt.“ Nach dem Tod Lindas verändert sich Pauls Aussehen. Er wirkt weit älter und auch anders als zuvor – ganz im Unterschied zu Ringo, der in diesem Jahr aufblüht. Einen Großteil der 1980er und 1990er Jahre hat er wenig Wert auf Kleidung gelegt und trug Haare und Vollbart lang. Das ist jetzt vorbei. Ringo bringt am 16. Juni das erste Mal nach sechs Jahren eine neue Platte mit dem Titel heraus und präsentiert sich äußerlich neu, mit Kurzhaarfrisur, kurz geschnittenen Haaren und Markenklamotten. George wirkt auch älter und verbittert als früher. Dafür verantwortlich mag auch die Tatsache sein, dass der langjährige starke Raucher an Rachenkrebs erkrankt ist und gerade bestrahlt wird. Ringo hat fast alle Lieder auf der Platte Vertical Man selbst geschrieben, und sowohl Paul McCartney wie auch George Harrison spielen auf der Platte mit. Sie haben die Kraft nicht mehr für neue Projekte, aber die Freundschaft mit den Beatles – und vor allem zu Ringo – ist immer noch bestimmend in ihrem Leben. Es ist erstaunlich, dass Ringo so viel jünger und dynamischer als sie wirkt, fast als wäre er es, weil er sich noch etwas beweisen muss, und als sei das das Lebenselixier schlechthin.

335 Ringo: „In den letzten Jahren habe ich mich fast nur dem Golfen gewidmet und jetzt hatte ich genug davon! Als junger Mann wollte ich immer besser werden und so geht es mir auch heute noch. Ich bin Musiker, zu spielen ist gut für mein Herz. Ich habe in letzter Zeit geschrieben, gemalt, ging essen und all das, habe Freunde besucht, gekocht oder einfach Fernsehen geschaut. Mein Leben war völlig normal. Vor allem aber mochte ich die Musik. Meine Mutter hat immer gesagt, dass ich nie glücklicher war als in den Momenten, in denen ich in einer Band gespielt habe. Und sie hatte recht. Und ich spiele sehr gern mit guten Leuten. Paul war mit mir im Studio. George konnte nicht kommen, aber er schickte mir ein Band. Es ist das eine Tradition bei uns, auf den Soloalben der anderen zu spielen.“ CNN berichtet: „Mit der Hilfe seiner Freunde vermag Ringo Starr alles. Zum Beispiel, wenn er eine neue Platte herausbringen möchte. Er hat alte Freunde gerufen und neue, und das Ergebnis ist Vertical Man, auf dem Paul McCartney, George Harrison, Joe Walsh und Steve Tyler mitspielen. Ringo sagt, dass das Album so gut wurde, weil die Tür des Plattenstudios für alle offen war.“ Ringo: „Es war ein kleines Studio am Santa Monica Boulevard in Los Angeles, und die Tür war offen für alle. Wer durch die Tür kam, kam auch auf die Platte. Das machte großen Spaß, und stimmt zum Großteil. kam auf einen Besuch vorbei und wir spielten gerade etwas, das für sie perfekt war. Und wir sagten: Möchtest du auf die Platte? Das kam spontan von uns und sie stimmte zu und es war ganz einfach. Man kann mit ihr gut auskommen.“

336 Dean Grakal, der die Lieder zum Großteil mit Ringo geschrieben hat: „Es war eine magische Atmosphäre dort und man kann das hören. Ringo ist einer dieser besonderen Menschen, bei denen man sich sofort aufgehoben fühlt. Man konnte das in den Gesichtern der Menschen sehen, die bei den Aufnahmen dabei waren. Alanis sagte, sie hätte noch nie so viel Wohlgefühl in einem Raum empfunden. Wir haben so viel gelacht.“ Ringo: „Das Album heißt Vertical Man, weil ich zuhause in Monaco saß und in einem Buch von Zitaten blätterte, die meine Stieftochter Francesca vor zehn Jahren in der Schule gewonnen hatte. Es ist riesig und hat eine Million Zitate darin. Eines davon war: Applaus für den vertikalen Mann, weil es soviel Lob für den horizontalen gibt. Ich dachte mir: Cool. Es stimmt ja, wenn man gestorben ist, sagen alle, wie toll man war. Ich dachte mir: Wir möchten es jetzt hören, so lange wie wir noch stehen. Es bezieht sich auf Musiker. Es sind viele nicht mehr da und ich halte es für ein Geschenk, dass es mich noch gibt. Und für jeden anderen, der noch vertikal ist.“ Über One: „Das war das erste Lied, das wir geschrieben haben und wir fragten uns: Was soll es werden? Es ist eigentlich ein Liebeslied, eines der wenigen Liebeslieder auf der Platte, und mit einer tollen Zeile gegen Ende, wenn der Chor Zwei sagt, weil es bis jetzt immer Eins geheißen hat.“ Über The King of Broken Hearts118: Es ist ein schönes Lied, das schon 100 Prozent hatte, aber George und seine Gitarre haben es auf 200 Prozent angehoben. Es ist merkwürdig mit George, als wir in England waren, fuhr ich zu ihm hin und spielte ihm einige der Lieder 118 http://www.youtube.com/watch?v=jqliUOztxoA

337 vor in der Hoffnung, dass ihm eines davon gefällt. Ich wollte, dass er auf diesem Lied Gitarre spielt und sagte: Komm schon, ich möchte wirklich, dass du spielst, und er: Es kommt mir so vor, als wäre ich schon dabei. Er sagte das ganz ruhig, aber zwei Wochen später haben wir telefoniert und er hatte seine Meinung geändert und war in einer guten Stimmung und sagte: Schick mir das Band noch einmal. Er kann wirklich toll Slide-Gitarre spielen. Es gibt so viel Gefühl dabei. Er ist in jeder Note. Es berührt mich immer, wie er spielt. Er sollte mit einer Band raus auf die Bühne gehen.“ Das beste Lied auf der Platte ist La La De Da119: „Wenn es im Leben eng wird, muss man manchmal nachgeben. Es hat keinen Sinn, wütend zu werden. Ich bin Co- Autor bei diesem Lied.“ Am 17. Juni ist Ringo bei Lästermaul Howard Stern zu Besuch und man kann ihn nach langer Zeit wieder einmal live in einem Interview erleben. Stern ist respektlos und albern, und Ringo kommt damit besser zurecht als viele andere Prominente, die den „Shock- Jock“ scheuen. Stern: „Darf ich was sagen? Du alterst am Besten von allen Beatles. Du bist zum bestaussehendsten Beatle geworden.“ Ringo: „Das bin ich auch.“ Stern: „Hast du dir die Nase operieren lassen?“ Ringo: „Du machst Witze. Mir geht es gut. Ich mache Sport und ich esse richtig.“ Stern: „Okay, du bist hier, um dein neues Album anzupreisen, Vertical Man, aber es gibt so vieles, was ich dich fragen will. Zuerst mal, wie viele Frauen du geknallt hast. Ich glaube, das wird eine Zweistundenshow. 119 http://www.youtube.com/watch?v=jqliUOztxoA

338 Ringo: „Zwei Minuten.“ Stern: „Grinst du manchmal, wenn du an diesen Typen, Pete Best, denkst?“ Ringo: „Nein. Pete machte seinen Job und dann bekam ich den Job. Sie wollten, dass er aufhört und dass ich anfange.“ Stern: „Ich war im Kino und sah die Beatles-Filme und diese ganze Mädchen kreischten und ich dachte: Das ist toll. Aber der Film, der mich wirklich interessiert hätte, war die Pete-Best-Story. Wo ist er jetzt? Ich würde den Film gerne drehen. Bin ich der einzige, den das interessiert? Ich könnte auch die Hauptrolle spielen. Ich bin ein toller Schauspieler.“ Ringo: „Barbara findet dich toll.“ Stern: „Stimmt das? Ich finde, deine Frau ist total heiß! Also jetzt, was waren die meisten Frauen, die du zur gleichen Zeit gehabt hast?“ Ringo: „Zwei. Die Beatles waren in Florida bei der Ed- Sullivan-Show und zwei Mädchen nahmen mich in ihrem Lincoln Convertible mit in ein Drive-In Kino, aber ich bekam von dem Film nicht viel mit.“ Stern: „Du hast einen flotten Dreier gemacht? Ihr fährt zu einem Drive-In und sie schlafen einfach mit dir, weil du ein Beatle bist?“ Ringo: „So war das damals, Howard.“ Stern: „Wow, zwei junge schöne Mädchen. Sie haben ihre Köpfe gegeneinander gestoßen, nur um dich zu befriedigen. Dachtest du damals, du bist tot und in den Himmel gekommen?“ Ringo: „Ja.“ Stern: „Wie alt warst du beim ersten Mal?“ Ringo: „Sechzehn, im Park.“ Stern: „Kein Witz ... ich bin mir sicher, Barbara sieht toll aus, wenn sie nackt ist. Macht sie viel Sport?

339 Warum hast du sie nicht mitgebracht? Ich hoffe, ich trete dir mit der Frage nicht zu nahe.“ Ringo: „Dann hättest du nicht mit mir geredet.“ Stern: „Ich hätte dich ignoriert und sie ist toll im Bett, oder? Ich möchte dir eine Frage stellen: Die Beatles in den ersten Jahren ...“ Ringo: „Ach nein, nicht die alte Leier ...“ Stern: „Nein, das ist wirklich wichtig. Wir ziehen das jetzt durch, weil das meine Show ist, hör zu: Du hast doch alle Beatles nackt gesehen, und zur gleichen Zeit, oder?“ Ringo: „Daran kann ich mich nicht besonders gut erinnern.“ Stern: „Wer war der größte Beatle?“ Ringo: „Ich.“ Stern: „Du?“ Ringo: „Ich bin es. Ich bin der größte. Ich bin riesig. Aber im Ernst, ich habe die anderen nicht daraufhin untersucht.“ Stern: „Ich habe John gesehen – auf dem Cover von Two Virgins. Mir scheint, er war etwas erregt auf dem Bild. Wenn ich so nackt auftreten würde, würde mich das auch ein bisschen erregen. Also, jetzt im Ernst: Du hast den Größten?“ Ringo: „Das kann ich nicht sagen. Ich ziehe dich ein bisschen auf. Wir haben nie zueinander gesagt: Es ist gerade so langweilig, messen wir einander jetzt gegenseitig.“ Stern: „Merkwürdig. George hat mir gesagt, dass er den Längsten hat.“ Am 22. Juni findet in New York ein Gottesdienst in Erinnerung an Linda McCartney statt. Die anderen Beatles sind da, doch Yoko Ono und ihr Sohn Sean fehlen, obwohl sie beide in New York wohnen. Paul

340 erklärt das damit, dass die Veranstaltung nur für Menschen sei, die Linda wirklich geliebt hätten und die Linda wirklich liebte.

1999

Am 11. Februar jährt sich die All Starr Band das zehnte Mal und Ringo ist mit Todd Rundgren im AOL Live Chat. Ringo wird gefragt, wie es ihm bei seinem Besuch in der Howard Stern Show ging, und Ringo antwortet: „Großartig. Er ist ein sehr charmanter Mensch. Es war angenehm.“ Frage: „Ringo, was ist deine größte Errungenschaft?“ Ringo: „Geboren zu werden.“ Frage: „Ringo, alles Gute für die All-Starr Tour. Meine Frage ist: Warum trägst du in letzter Zeit gar keine Ringe mehr?“ Ringo: „Gute Frage. Ich spiele in letzter Zeit so viel, und wenn ich dabei Ringe trage, kriege ich Blasen auf den Händen.“ Frage: „Wirst du je in den Ruhestand gehen?“ Ringo: „Ich gehe zwischen den Tourneen in den Ruhestand, und wenn ich dann ein paar Monate Urlaub hatte, möchte ich wieder spielen. Meine Frau Barbara und meine Kinder lachen immer, wenn ich das Wort Ruhestand in den Mund nehme, weil sie das so oft hören.“ Frage: „Als John starb, wie hat das deinen Lebensstil, deine Partybesuche, deine Beziehungen und so weiter, beeinflusst?“

341 Ringo: „Es hat meinen Lebensstil insofern beeinflusst, als er nicht mehr da war.“ Frage: „Ringo, was motiviert dich heute noch zu deiner Karriere?“ Ringo: „Bluttransfusionen!“ Frage: „Kriegt man irgendwie dein Autogramm?“ Ringo: „Mit großen Schwierigkeiten.“

Im Mai lernt Paul seine spätere Frau bei einem Wohltätigkeitsball kennen. Paul: „Ich war sofort hin und weg. Ich habe ihre Telefonnummer herausgefunden und habe sie angerufen und gesagt, wir sollten über diese Wohltätigkeitssache reden. Ich habe sie von Anfang an gemocht, beschloss aber, es langsam angehen zu lassen. Sie kam dann zu mir in mein Büro und ich merkte, dass ich in sie verliebt war.“ Heather später: „Ich habe ihm gefallen. Aber ich flirte nicht und es hat Monate gedauert, bis ich überhaupt gemerkt habe, dass er auf mich steht. Ich hielt ihn für einen liebenswerten Mann, der mir bei meiner Tätigkeit hilft, und als ich es endlich kapierte, war ich geschockt. Sein Ruhm ist ohne Bedeutung. Er ist einfach Paul, mein Freund, der nebenbei noch eine tolle Stimme hat.“ Als Paul 1969 seine erste Frau Linda heiratete, war Heather gerade ein Jahr alt.

Am 30. Dezember wird George Harrison in seinem Herrenhaus in Henley-On-Thames schwer verletzt. E! On Line berichtet: „George Harrison, 56 Jahre, der wegen seines zurückgezogenen Lebens auch der stille Beatle genannt wird, wurde mehrmals in den Brustkorb getroffen, als ein Eindringling in seinem Haus vor Morgengrauen über ihn herfiel. Harrison liegt mit einer

342 zusammengefallenen Lunge im Krankenhaus. Die Attacke kommt 19 Jahre, nachdem John Lennon in New York von einem verrückten Fan niedergeschossen wurde. Ein Sprecher für Harrison erklärte, dass Harrison und seine Frau mit dem Attentäter kämpften und ihn dann festhalten konnten, bis die Polizei eintraf. Auch Olivia wurde leicht verletzt. Die Ärzte sagen, dass Harrison Glück im Unglück hatte, ein Stich hat haarscharf eine wichtige Arterie verfehlt. Der 33- jährige Angreifer stammt aus Liverpool und wurde wegen Mordversuchs verhaftet. Er war dafür bekannt, in Pubs über die Beatles zu schimpfen und sie als Hexenmeister zu bezeichnen. Die anderen Beatles wurden über die Attacke informiert. McCartney sagte in einem ersten Statement: Gott sei Dank geht es George und Olivia gut. Ich schicke ihnen meine Liebe. Ringo fügte hinzu: Barbara und ich sind zutiefst schockiert über den Vorfall. Wir schicken George und Olivia unsere Liebe und wünschen George eine schnelle Genesung.“

2000

Am 7. Mai geht Ringo wieder mit der All Starr Band auf Tournee. Wieder kommen neue (alte) Alben von den Beatles heraus. Beatles 1 schießt sofort an die Spitze der Hitparade. Schon in der ersten Woche werden 319.000 Exemplare verkauft, mehr als von Robbie Williams, der gerade auf der Höhe seiner Karriere steht. Ringo wird in diesem Jahr 60 Jahre alt.

343 Im Dezember gibt George ein Interview für die spanische Zeitschrift Musician und wird gefragt: „Wie ist momentan Ihr Verhältnis zu Paul McCartney und Ringo Starr?“ George: „Sie sind ein Teil meines Lebens. Wir haben uns schon als Jugendliche gekannt und es macht Spaß, zu Ringos Geburtstagsfeier zu gehen und zu sehen, wie erwachsen wir geworden sind. Paul und ich sind etwas weniger eng. Wir haben uns eher in Liedern gefunden, die wir geschrieben haben.“

2001

Im Mai wird bekannt, dass George Harrison neuerlich an Krebs erkrankt ist. Schien er den Rachenkrebs vor einigen Jahren überstanden zu haben, ist nun der Lungenkrebs in einem unheilbaren Stadium. George wird operiert und fährt danach in die Toskana, um sich zu erholen. Er zeigt sich der Presse und scherzt mit ihr, dass er „keine Pläne“ hätte, zu sterben, verschweigt aber, dass der Krebs schon weit fortgeschritten ist. Es ist George Martin, der am 22. Juli in einem Interview mit der Mail On Sunday bekannt gibt, dass der Kampf gegen den Krebs verloren zu gehen droht. George Martin: „Er nimmt es leicht, und hofft immer noch, dass der Krebs weggehen wird. Er hat einen starken Willen, weiß aber, dass er bald sterben wird und kann das auch akzeptieren. Er ist sehr philosophisch eingestellt. Er weiß, dass jeder einmal sterben muss.“ Am folgenden Tag streitet ein Sprecher von George Harrison alles ab: „Wir sind enttäuscht und abgestoßen

344 von dem Bericht. Er ist ohne jede Basis, falsch und völlig unnötig. Mr. Harrison geht es gut und er ist aktiv. Der Bericht hat unendliches Leid in der Familie und bei Freunden hervorgerufen.“ Auch George Martin streitet ab, jemals mit der Mail gesprochen zu haben. Ringo: „George geht es gut. Ich habe ihn vor drei Wochen gesehen. Ich habe den Berichten nicht geglaubt. Wenn es ihm so schlecht gehen würde, hätte er es mir gesagt. Ich warte erst einmal ab. Ich glaube die Nachrichten erst, wenn George oder Paul mir sagen, dass sie stimmen. Das ist es, was wir für einander tun. Wir sagen: Hör zu, etwas ist passiert und sie werden dich anrufen. Viele Menschen glauben immer noch, dass wir ein Körper mit drei Köpfen sind.“ In einem Web-Chat meint Ringo: „Das Problem mit der Situation von George Harrison ist, dass die Presse übers Wochenende durchgedreht ist und etwas abgedruckt hat, was angeblich George Martin gesagt hat, und der hat das tags darauf zurückgezogen. Ich habe George Harrison vor drei Wochen gesehen, er hat eine Operation gehabt, er geht ihm großartig und er erholt sich. Ende der Geschichte.“ Am 24. Juli gibt Ringo in Ontario eine Pressekonferenz anlässlich der neuen Tourneemit der All Starr Band. Diesmal spielen Marc Rivera von Foreigner, Sheila E von Prince, Roger Hodgson von Supertramp und viele andere, darunter wieder Ringos Sohn Zak, mit. Dabei nimmt Ringo Stellung zu der Tatsache, dass die meisten Radiostationen seine Alben nicht mehr spielen. Ringo: „Ich bin eben mittlerweile zum Golden Oldie geworden. Aber dadurch hört man meine Platten jetzt weniger, weil wenn man nicht gespielt wird, wissen die Leute nichts von einem. Egal, wie häufig man Lunch

345 mit den Radiotypen hat, es hilft alles nichts. Man könnte sich die Haare ausreißen.“ Reporter: „Wird das die letzte All Starr Band sein?“ Ringo: „Jede ist die letzte. Meine Familie lacht, wenn ich nach Hause komme und sage: So, das war's. - Klar, Dad, sagen die, kennen wir schon.“ In der Toronto Sun steht über eines der Konzerte: „Ringo wollte diesmal Musik der Sechziger, Siebziger und Achtziger spielen. Der frühere Drummer der Beatles, der gerade 61 Jahre alt wurde, spielte mit einer eindrucksvollen Truppe seine Solo-Hits, vier Beatles- Lieder (Boys, Yellow Submarine, I Wanna Be Your Man und With A Little Help From My Friends) und Klassiker der anderen Mitspieler. Starr lehnte es ab, zu den beiden anderen überlebenden Beatles Kommentare abzugeben, die in dieser Woche in den Medien waren. Paul McCartney, weil er seiner Freundin Heather Mills einen Heiratsantrag gemacht hat, und George Harrison, weil sein Kampf gegen Krebs angeblich verloren zu gehen droht. Starr sagte zu Beginn der Show: Gute Musik und Spaß ist, worum sich hier alles dreht. Und zum Großteil stimmte das an dem Abend auch.“ Am 26. Juli schreibt : „Sir Paul McCartney, der frühere Beatle, der seine erste Frau vor drei Jahren an Krebs verlor, hat Heather Mills, eine Aktivistin, die sich für Behinderte einsetzt, einen Heiratsantrag gemacht. McCartney, 59 Jahre, bat seine Freundin während einer Reise durch den um ihre Hand. Die 33-jährige Mills ist ein früheres Model für Badebekleidung. Sie hat ihr linkes Bein durch eine Amputation verloren, nachdem sie im Jahr 1993 von einem Polizisten überfahren worden war.“ Seine neue Liebe gibt Paul viel Kraft und stimuliert ihn dazu, ein neues Album einzuspielen. Es heißt Driving

346 Rain und ist die erste Langspielplatte seit 1997 mit Eigenkompositionen. Ringo spielt nicht nur darauf mit, sondern er warnt Paul auch davor, die Lieder zu „überproduzieren“. Paul: „Als ich ihm im Februar einige dieser Lieder vorspielte, meinte Ringo: Du lässt das doch so, oder? Das ist immer das Risiko bei jeder Form der Musik, dass man ein wirklich gutes Lied geschrieben hat und denkt dann, man muss noch Streicher dazugeben und ruiniert es dabei.“ Am 12. November geht Ringo George im University Hospital auf Staten Island besuchen und diesmal ist Paul dabei. Im Staten Island Advance steht: „Sie kamen in Limousinen und verbrachten mehrere Stunden mit Harrison am Montag. Ein Insider sagte: Paul weinte und war sehr traurig, George in diesem Zustand zu sehen. Wenn George sterben sollte, wird das für beide ein großer Schlag sein. Es gibt wenige Menschen, die einander so nah sind wie die drei.“ Paul: „Für mich war das Beste, ihn einige Stunden zu sehen und zu lachen und Witze zu machen und seine Hand zu halten. Mir wurde bewusst, dass ich noch nie seine Hand gehalten hatte. Wir waren gemeinsam in der Schule gewesen und fuhren gemeinsam im Bus und wir hatten noch nie die Hand des anderen gehalten. Es war wie eine Belohnung. Er rieb seinen Daumen auf meiner Hand auf und ab und es war sehr angenehm.“ Am 30. November stirbt George. Seine letzte Botschaft lautet: „Der Tod ist etwas, wo der Anzug abfällt und man trägt dann seinen eigenen Anzug. Ihr könnt das nicht auf dieser Ebene sehen, aber das ist okay. Macht euch keine Sorgen.“ Ringo: „George war einer meiner besten Freude. Ich liebte ihn sehr und ich werde ihn sehr vermissen. Barbara und ich schicken unsere Liebe und Licht an

347 Olivia und Dhani. Wir werden George für die Art, wie er liebte, vermissen, sein Gespür für Musik und sein Lachen.“

2002

Am 11. Juni heiratet Paul seine Verlobte Heather Mills in der St. Salvator's Church in Glaslough. Es ist Ringo, der in der Kirche eine Predigt hält. Ringo hat sie an dem Hit der Beatles All You Need Is Love orientiert. Ringo ist im Privatjet eingeflogen. Die Feier ist fröhlich und danach ausgelassen. Paul steigt ebenfalls auf die Bühne und gibt einen „Hochzeits-Rap“ zum Besten. Am 29. November tritt Ringo bei dem Concert For George auf, eine Hommage an George Harrison, der Ende des vergangenen Jahres gestorben ist. Ringo singt eine Komposition, die er gemeinsam mit George geschrieben hat und die für Ringo ein großer Hit in den frühen 1970ern war: Photograph.

348 2003 - 2005

Ringo veröffentlicht das erste Mal nach fünf Jahren eine neue LP. Sie heißt , und darauf findet man das muntere Lied Blink120, das zum Abschluss der Filmkomödie „A Guy Thing“ gespielt werden wird. Es ist eine Eigenkomposition von Ringo, die zeigt, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Trotzdem wird es in den folgenden Jahren still um Ringo werden. Als er im Jahr 2005 ein neues Album mit dem Titel herausbringt, macht das keine Schlagzeilen mehr. Auch über Paul McCartney spricht man in dieser Zeit vor allem deshalb, weil es in seiner jungen Ehe Schwierigkeiten gibt. Heather Mills erwähnt schon 2004 gegenüber Freunden, dass der Sex mit Paul zwar gut sei, er aber insgesamt ein „alter langweiliger Furz“ sei, der keine Freunde hat und nie ausgeht. Heather: „Das einzige, was Paul macht, ist manchmal mit seinem Roadie in den Pub zu gehen. Ich langweile mich zu Tode.“

2006

Am 17. Mai trennt sich Paul McCartney von seiner Frau Heather. Im Dezember eröffnet der Journalist Daniel Finkelstein eine Kampagne mit dem Ziel, Ringo (wie zuvor Paul)

120 http://www.youtube.com/watch?v=SF52Zi_FYaY

349 zum Ritter Ihrer Majestät der Königin von England zu machen. Ringo äußert sich abwehrend zu dem Thema: „Ich glaube, die Monarchie sollte mit dieser Königin enden. Wir können auch ohne sie Paraden abhalten. Sie hätten im Namen der Queen Mum ein Krankenhaus bauen können, was sie nicht getan haben. Sie zahlen keine Steuern und behalten lieber ihr Geld. Ich bin eigentlich nicht interessiert daran, von ihnen geadelt zu werden.“ Reporter: „Am Ende Ihres Liedes Elizabeth Reigns sagen Sie: Die Ritterschaft kann ich abhaken.“ Ringo: „Ja, ich glaube, die ist weg.“ Reporter: „Stört Sie das?“ Ringo: „Nein, mich interessiert das nicht, ein Sir zu sein. Ich wäre lieber ein Graf oder ein Prinz. Wenn sie damit kommen, würde ich es mir noch überlegen.“

2007

Die „Rock'n'Roll Hall Of Fame“ verlautbart, dass Ringo als letzter Beatle auch als Solokünstler in die Ruhmeshalle aufgenommen werden soll. Das Datum steht aber noch aus. John war 1994, Paul 1999 und George 2003 geehrt worden. Bei den „Grammy Awards“ wird Ringo mit George Martin und Giles Martin für das Lied Love geehrt. Dazu sagt er: „Diese Preisverleihung ist für mich eine Gelegenheit, andere Musiker zu treffen. So war es immer, zumindest für mich.“ Reporter: „Sind Sie nervös?“ Ringo: „Es gibt immer zwei Gesichter. Eines, wenn man gewinnt, und eines, wenn man nicht gewinnt.“

350 Paul ist in den Schlagzeilen, weil seine Tochter Stella angeblich nicht mit seiner Frau Heather zurecht kommen soll. Heather: „Stella ist verschlagen und eifersüchtig auf mich.“ Nach und nach kommen weitere Informationen über Paul ans Tageslicht. Er soll viel trinken und Hasch rauchen, sei schon mit einem zerbrochen Weinglas auf Heather losgegangen, hätte sie einmal auf einen Tisch und einmal, als sie schwanger war, in die Badewanne gestoßen. Die Behauptungen von Heather widersprechen der Darstellung, die sie in ihrem 2006 veröffentlichten Buch gemacht hat. Dort wird Paul als treusorgender Ehemann dargestellt, der das Frühstück ans Bett bringt.

2008

Paul wird am 18. Februar von Heather geschieden. Sie hatte ursprünglich 126 Millionen Pfund von ihm gefordert und wird jetzt mit 16,5 Millionen abgefunden. Heather sagt einerseits: „Paul ist der Vater meines Sohns. Ich könnte nie schlecht über ihn sprechen.“ Anderseits aber lässt sie durchblicken, dass sie noch Tonbänder hat, auf denen er über Eheprobleme mit Linda spricht, und man erkennen können soll, dass Paul alkohol- und drogenabhängig ist. Diese heimlichen Andeutungen, die gezielt an die Presse lanciert werden, kommen an ein Ende, als ein englisches Gericht Heather verbietet, in der Öffentlichkeit über ihre Ehe mit Paul zu sprechen.

351 Ringo bringt sein neues Album heraus. Es ist auch kein Erfolg. Am 10. Oktober erscheint auf Ringos Webseite eine Ankündigung, dass er von nun an keine Autogramme mehr geben wird, weil er dafür „keine Zeit“ hat.

2009

Am 4. April 2009 tritt Ringo gemeinsam mit Paul McCartney bei einem Konzert auf und singt Beatles Lieder wie With A Little Help From My Friends und I Saw Her Standing There.

2010

Ringo veröffentlicht im Januar das Studioalbum . Das erfolgreichste Lied darauf ist die Ballade Walk With You121, ein Duett mit Paul McCartney, dessen Stimme auffallend zittrig klingt. Ringo wird am 8. Februar in Hollywood mit einem Stern auf dem Walk of Fame geehrt. Es ist der 2401. Stern überhaupt und liegt an der North Vine Street Nr. 1750 vor dem Capitol Records Gebäude in der Nähe der Sterne für John Lennon und George Harrison.

121 http://www.youtube.com/watch?v=c68v6WIZeRI

352 Ringo tritt in diesem Jahr gerne mit dem Victory- Zeichen auf und sagt dazu: „Peace and love, peace and love“. Er sieht jugendlich und fit aus. Anlässlich der 52. Grammy Preisverleihung nimmt Ringo im Beisein von Barbara an der Show teil. Er wird Norah Jones ihren Preis überreichen. Im Interview im Vorfeld scherzt er, dass sein eigener Grammy damals noch „in Stein“ herausgegeben wurde. Warum er noch auf Tournee geht? Ringo: „Weil es das ist, was wir tun. Es ist unser Job.“ Am 8. Juli feiert Ringo auf der Bühne der Radio Music City Hall mit seiner „All Starr“ Band seinen 70. Geburtstag. Pünktlich um 22 Uhr springt auch Paul McCartney als Überraschungsgast auf die Bühne und die beiden geben Birthday von den Beatles zum Besten122. Danach läuft Ringo herunter auf die Bühne. Er wirkt jugendlich, eher wie Mitte Vierzig, und auch Paul ist schlank in seinem Anzug mit fülligem Haar. Auch Yoko Ono ist da, und am Ende des Konzerts umarmen auch Yoko, Paul und Ringo einander. Sie sind Überlebende der Beatles.

122 http://www.youtube.com/watch? v=p5sgVi88SXU&feature=player_embedded

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