Rundumkinos. Vom Panorama Zu 360°-Filmsystemen
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Repositorium für die Medienwissenschaft Lucas Piccolin Rundumkinos. Vom Panorama zu 360°-Filmsystemen. 2007 https://doi.org/10.25969/mediarep/12885 Veröffentlichungsversion / published version Buch / book Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Piccolin, Lucas: Rundumkinos. Vom Panorama zu 360°-Filmsystemen.. Hamburg: Universität Hamburg, Institut für Germanistik 2007 (Medienwissenschaft: Berichte und Papiere 78). DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/12885. Erstmalig hier erschienen / Initial publication here: http://berichte.derwulff.de/0078_07.pdf Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Creative Commons - This document is made available under a creative commons - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0/ Attribution - Non Commercial - No Derivatives 4.0/ License. For Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu dieser Lizenz more information see: finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Medienwissenschaft / Hamburg: Berichte und Papiere 78, 2007: Simultanprojektion. ISSN 1613-7477. Copyright: Lukas Piccolin u. Hans J. Wulff. Redaktion dieser Ausgabe: Hans J. Wulff. Letzte Änderung: 7. September 2007. URL der Hamburger Fassung: http://www1.uni-hamburg.de/Medien/berichte/arbeiten/0078_07.pdf. Inhalt: gleichzeitig Unternehmer Anlagemöglichkeiten für Lukas Piccolin: Rundumkinos. Vom Panorama zu 360°- freies Kapital suchten. Das Seh-Erlebnis Panorama Filmsystemen befriedigte beide. Hans J. Wulff: Verfahren der Simultan- oder Mehrfach- projektion. Ein glossarischer Überblick. In Zusammenarb. Moderate Eintrittspreise und populäre Sujets – mit Lukas Piccolin Stadtansichten, historische Stätten, exotische Länder Lucas Piccolin: 360°-Filmsysteme: Chronologischer und geschichtliche Ereignisse – waren die Grundla- Überblick ge für den großen Publikumserfolg. Daneben ermög- lichten die ab 1831 zunehmend standardisierten Maße der Rotunden, Panorama-Bilder an verschie- den Orten zu zeigen und so die hohen Investitions- Rundumkinos. kosten schneller zu amortisieren. Vom Panorama zu 360°-Filmsystemen. Nachdem das abflauende Interesse um die Jahr- Von Lucas Piccolin hundertmitte an Panoramen all jenen Kritikern recht zu geben schien, die Panoramamalerei als Kommerz Die Idee, Zuschauer in einem unbegrenzten Sehfeld und Blendwerk abtaten, erlebte das Medium nach ein totales visuelles Erlebnis zu vermitteln, ist älter dem Krieg von 1870/71 eine zweite Blüte. Nun wa- als das Kino selbst – sie stammt aus dem 18. Jahr- ren idealisierte Schlachtszenen gefragt, um dem je- hundert, wo sie in gemalten Großpanoramen als weiligen Nationalismus zu huldigen; an Wallfahrts- Massenmedium weltweite Verbreitung und große orten entstanden Bilder mit religiösen Themen. Popularität fand. Ende Januar 1788 präsentierte Ro- Schätzungen gehen davon aus, dass Ende des 19. bert Baker in Edinburgh erstmals eine realistische Jahrhunderts in Europa und den USA ungefähr 250 Abbildung der schottischen Hauptstadt als 360° Panorama-Rotunden betrieben wurden. Rundbild. Die entscheidenden Kriterien für die Wir- Eine ideale Plattform für Monumentalrundbilder kung von Panoramabildern auf Betrachter – ein boten die seit der Jahrhundertmitte regelmäßig statt- möglichst genaues Abbild der Realität zu liefern – findenden Weltausstellungen. Die Ausstellung in Pa- wurden von Baker in der dazugehörigen Patent- ris 1900 bildete mit insgesamt sieben Panoramen, schrift bereits alle festgehalten. Neben der realisti- darunter das berühmte Seeschlachtbild „Le schen Darstellung und Aspekten der Maltechnik sol- Vengeur“, bei dem sich die Zuschauerplattform mit- cher Bilder waren technische Aspekte der Präsentati- tels Hydraulik wie ein Schiff im Meer bewegen ließ, on (beispielsweise Konstruktion von Panorama- Höhe-, aber auch Schlusspunkt dieses Mediums. Rotunden mit zentraler Besucherplattform im richti- Inzwischen waren neue Technologien – Fotogra- gen Abstand zum Bild, Abdecken der Ober-/Unter- fie und Film – auf dieser Weltausstellung stark ver- kante des Bildes sowie indirekte Lichtführung für treten und wiesen den Weg in die Zukunft. die Wirkung des Bildes) gleichermaßen von Bedeu- In Deutschland existiert heute noch im Wall- tung. fahrtsort Altötting ein Rundbild, das 1903 in der Der Begriff Panorama (griech. pan = alles, hor- zweiten Blütezeit des Mediums eröffnet wurde und mam = das Sehen) wurde erst ein paar Jahre später die Kreuzigungsszene Christi zeigt. Neue Panorama- in der Presse für Bakers Attraktion kreiert. Bakers bilder aus dem 20. Jahrhundert sind das Bauern- Erfindung fiel auf fruchtbaren Boden. Die großen kriegspanorama in Bad Frankenhausen (Thüringen) politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen oder das „Staufferrundbild“ im Kloster Lorch (wei- Veränderungen im 18. und 19. Jahrhundert ließen in tere Informationen unter www. panoramapainting.- den großen europäischen Metropolen ein wachsen- com). des Bedürfnis nach Unterhaltung entstehen, während Simultanprojektion // Medienwissenschaft/Hamburg, 78, 2007 /// 2 Alt und Neu: Cinéorama auf der Weltausstellung Die bisher überlieferte Geschichte behauptete, von 1900 in Paris dass das Cineorama am 8. Mai 1900 vor einem be- geisterten Publikum Premiere gehabt habe; nach nur Der Fotograf Raoul Grimoin Sanson meldete im Jahr vier Tagen seien jedoch nach einem Unfall wegen 1896 ein Patent auf eine Erfindung an, bei der Altes starker Hitze in der Vorführkabine weitere Vorfüh- mit Neuem kombiniert werden sollte: ein Panorama rungen behördlich verboten worden. Die neuere For- mit bewegten Bildern. Das Publikum auf der schung zweifelt an dieser Version, fehlen doch so- Weltausstellung von 1900 in Paris sollte auf eine wohl in den vielfältigen Pressenotizen Anfang Mai imaginäre Ballonreise zu touristisch spektakuläre wie auch im offiziellen Abschlussbericht der Orten in Afrika und Europa entführt werden. Das Weltausstellung konkrete Hinweise auf tatsächliche Organisationskomitee zeigte Interesse, worauf sich Cinéorama-Vorstellungen. Wie dem auch sei – Gri- Grimoin-Sanson an die Umsetzung seiner Idee moin-Sansons Aktiengesellschaft musste im August machte und sein System Cinéorama taufte. 1899 war 1900 Konkurs anmelden, und ein halbes Jahr später das Aufnahmegerät einsatzbereit: Auf einer runden wurden die Geräte versteigert. Holzplatte von 1,5m Durchmesser waren zehn Ka- Trotz verschiedenen Projekten und Experimenten meras sternförmig montiert. Mit einer Handkurbel in den folgenden Jahren sollte es ein halbes Jahrhun- konnte der 70mm-Film in allen Kameras mit 16 Bil- dert dauern, bis ein nächstes 360°-Filmsystem reali- dern pro Sekunde synchron belichtet und transpor- siert werden konnte. tiert werden. Das Gerät wog eine halbe Tonne! Gri- Heute lebt das Cinéorama im Musée des Arts et moin-Sanson gründete eine Aktiengesellschaft und Métiers in Paris weiter: Fotos der Dreharbeiten, eini- reiste quer durch Europa und nach Tunesien, um ge Apparaturen und Teile des Filmoriginals werden Aufnahmen für seinen Film zu machen. Im April dort aufbewahrt. 1900 wurden die Ballonsequenzen für den Anfang und Schluss des Film in den Tuilerien in Paris ge- dreht. Bei einer „Beinahe-Bruchlandung“ verletzte Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Cir- sich Grimoin-Sanson leicht; da die Aufnahmen un- carama und Circle Vision 360 brauchbar waren und die Zeit drängte, wollte man sich für den Schluss damit behelfen, die Start-Se- Um der zunehmenden Konkurrenz des Fernsehens quenz rückwärts zu projizieren. Einzelne Sequenzen etwas entgegenzusetzen, beauftragte Walt Disney ein des Films wurden nach den Dreharbeiten von Hand Team von Technikern, die ein totales 360°-Kinoer- koloriert. Die Premiere war auf den 1. Mai ange- lebnis für den geplanten Themenpark „Disneyland“ setzt. entwickeln sollten. (Die hohen Investitionskosten Parallel zu den Dreharbeiten liefen die Bauarbei- sollten durch Sponsoring und die lange Laufzeit ei- ten für das Cinéorama-„Kino“ auf Hochtouren, das nes entsprechenden Films gedeckt werden.) Unter mit angegliedertem Restaurant direkt unter dem Eif- der Leitung von Roger Broggie und Ub Iwerks kon- felturm entstand. In einem Rundbau von 30m zipierte das Disney Team ein neues 360°-Filmsys- Durchmesser wurden die zehn Projektoren in einem tem: das Circarama. zentralen Betonzylinder von 5m Durchmesser einge- Die Kamera-Einheit bestand aus elf Kameras baut. Unmittelbar darüber befand sich die als Bal- vom Format 16mm, die kreisförmig auf einer Platte longondel gestaltete Zuschauerplattform für 200 Zu- montiert waren und synchron gestartet werden konn- schauer (1. Klasse). Um die Illusion zu verstärken, ten. Die Aufnahmegeschwindigkeit konnte von 8-24 schwebte darüber der untere Teil einer Ballonhülle. Bildern/Sekunde stufenlos verstellt werden. Das da- Billigere Plätze (2. Klasse) waren ebenerdig rund zugehörige Kino, das ebenfalls Circarama genannt um den Betonzylinder angeordnet. Die zehn Lein- wurde, war ein Rundbau von gut 12m Durchmesser. wände von gut 9m Höhe waren an der Wand der Die etwa 3m hohe Leinwand war über den Köpfen Rotunde befestigt. Diese Abmessungen des Cinéora- des stehenden Publikums angebracht und durch elf mas lassen den Schluss zu, dass Grimoin-Sanson Öffnungen unterteilt. Als schwarze Balken sichtbar, darauf spekulierte, seine Erfindung in bestehende standen hinter diesen Öffnungen die Projektoren, die Panorama-Rotunden einbauen zu können. das Filmbild quer durch den Raum auf die gegen- Simultanprojektion // Medienwissenschaft/Hamburg, 78, 2007 /// 3 überliegende Leinwand projizierten.