Das Bernbiet ehemals und heute : und Hünibach

Objekttyp: Group

Zeitschrift: Historischer Kalender, oder, Der hinkende Bot

Band (Jahr): 282 (2009)

PDF erstellt am: 10.10.2021

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http://www.e-periodica.ch ROBERT GANZ

Hilterfingen und Hünibach

DAS BERNBIET EHEMALS UND HEUTE

Ein weiterer gut markierter Wanderweg er- möglicht den Besuch der sehenswerten Chole- Die am rechten unteren Thunerseeufer gele- renschlucht. gene Gemeinde Hilterfingen (Fläche: 2,8 knV, 3800 Einwohner, Amtsbezirk ) umfasst die Fnï/îge.sc/nc/ite Dörfer Hilterfingen und Hünibach. Angrenzen- de Gemeinden sind Thun, Aus der Bronzezeit liegen zwei Grabfunde und Oberhofen. vor. Im 1974 entdeckten Grab einer jungen Geografisch lassen sich zwei Landschaftszo- Frau fand sich eine einzigartige verzierte Dop- nen unterscheiden: der relativ flache Seeanstoss pelflügelnadel. Jungsteinzeit und Eisenzeit ha- und der im höheren Teil dicht bewaldete Hang. ben in Hilterfingen keine Spuren hinterlassen. Im Laufe der vergangenen 50 Jahre hat das Bis 400 n. Chr. war das dicht bewaldete rechte Wohngebiet die Hanglage unterhalb des Waldes Thunerseeufer nur locker besiedelt. Die ansäs- weitgehend besetzt. sigen keltischen Helvetier lebten vorwiegend Die Wanderung durch die Gemeinde auf dem von Jagd und Fischfang und wurden wenig be- «Jakobsweg» folgt von Thun der Aare, geht von helligt. Die Römer betrieben ihre landwirt- der Ländte Hünibach hinauf zum Höheweg und schaftlichen Güter südwestlich von Thun, wo führt dann, meist am Waldrand, über Hilterfin- auch eine Tempelanlage entstand. Der Säumer- gen nach Oberhofen und weiter bis zu den Bea- weg ins Oberland und ins Wallis folgte dem tushöhlen und nach Neuhaus/ («Pil- linken Seeufer. gerweg»). Im Laufe des 6. Jh. erreichte die im Wesent- liehen friedliche alemannische Besiedelung nach der Nordost- und Zentralschweiz auch die WETTBEWERB Voralpenregion. Die Neuankömmlinge waren Poesie 1 sippenweise straff organisiert und nahmen selbst unwirtliche Landstriche in die Ein Hase sitzt auf einer Wiese, Besitz, sie urbar machten. Mit der ansässigen gallo- des Glaubens, niemand sähe diese. römischen Bevölkerung kam es mit der Zeit Doch im Besitze eines Zeisses, zur Vermischung. betrachtet voll gehaltnen Fleisses Die Sippe des Hiltolf («Kampfwolf») liess vom vis-a-vis gelegnen Berg sich nahe Dunum (Thun) nieder. Die Siedlung ein Mensch den kleinen Löffelzwerg. nannte sich Hiltolfinga (d.h. Sippe des Hiltolf). Ihn aber blickt hinwiederum Zahlreiche alemannische Gräber aus dem 6. und 7. Jh. wurden im 19. Jh. auf den Anhöhen ein Gott von fern an, mild und stumm. des Eichbühls (Hünibach, beim Bau der Villa von Bonstetten) und des Seebühls (Hilterfin- Chr/sf/an /Worgensfern (7871-7974) gen, beim Bau des Schlosses Hünegg) freige- legt. Dabei fanden sich auch Waffen, Schmuck 5/e/ie I/Vettbewertefragen airf Se/te 7 04 und Werkzeuge.

73 Vom 7. Jh. an erfolgte die Christianisierung; im Thunerseegebiet entstanden die ersten Kirch- lein, so in Scherzligen und im 7. oder 8. Jh. auch eines zwischen Hilterfingen und Oberhofen. Gemäss der Sage stifteten Rudolf II., bis 937 König von Burgund mit zeitweiliger Residenz im Schloss Spiez, und seine Gattin Königin Bertha rund um den Thunersee zwölf Kirchen (in Hilterfingen Umbau des schon bestehenden Gotteshauses).

Die Frei/zerrscAa/f Oöer/zo/e« M«

Hilterfingen gehörte zur Freiherrschaft Ober- Rebbauernhäuser aus dem 16. und 17. Jh. hofen. Die adligen Herren verfügten über das (Foto: Bruno Benz) hohe Gericht und über das Recht des Zehnten- einzugs. Sie herrschten mit Willkür, bangten aber um ihr Seelenheil nach dem Ableben. Da- schluss. Zu diesem Zeitpunkt war die Dynastie her beschenkten sie die kirchlichen Instanzen der Eschenbach schon erloschen. Walter d.J., grosszügig. Hier nun beginnt die urkundlich verarmt und vom habsburgischen König ge- beglaubigte Geschichte Hilterfingens. demütigt, beteiligte sich 1308 bei Königsfelden Dank den Akten eines langwierigen Prozes- am Mordkomplott gegen Albrecht I. Die Rache ses ist bekannt, dass einer der Freiherren von Habsburgs war blutig und radikal. Oberhofen namens Libo im 12. Jh. das Patro- Was Hünibach betrifft, ist aus dem 13. Jh. natsrecht der Kirche Hilterfingen inklusive einzig bekannt, dass die Herren von Strättligen zweier Drittel des Zehntenertrags dem Chor- im Bächi einen Landsitz besassen, den zeitwei- herrenstift vergabte (sein Bruder se der Minnesänger Heinrich III. (beurkundet Seiger gründete um 1130 das Augustinerkloster 1258—1294) bewohnte. Anfang des 14. Jh. ver- Interlaken). kauften die Junker Strättligens das Bächigut an Etwa zu dieser Zeit suchten die Herzöge die reiche Thuner Familie von Velschen. Als Zähringens zwischen Habsburg und Savoyen Erbe ging es später an Anna von Krauchthal, ein Machtgefüge aufzubauen. Bertold V. be- Ehefrau des Peter, 1407-1418 Schultheiss in setzte mehrere Freiherrschaften mit Getreuen . Anna überlebte ihren Gemahl um Jahr- aus der Ostschweiz, so Oberhofen um 1200 mit zehnte, vermehrte geschäftstüchtig ihren Besitz den Eschenbach. Diese wurden nach dem Aus- und galt zuzeiten als reichste Frau Berns. Das sterben der Zähringer (1218) treue Gefolgs- Bächigut vermachte sie dem Kartäuserkloster leute der Habsburger. Sie erhofften sich die Thorberg. Unterstützung zum Bau einer Burg und das Was geschah in Hilterfingen im (dunklen) Statthalteramt im 1279 von Walter von Eschen- 14. Jh.? Habsburgtreue Vögte übten nach dem bach d.Ä. zur Stadt erhobenen Unterseen. Mord an Albrecht die Macht in der Herrschaft Die ausschliesslich nach dem oberen Thuner- Oberhofen aus. Die Grafen von Strassberg, von seegebiet orientierten Eschenbach (Besitzungen Weissenburg, von Kyburg, von Brandis und von Beatenberg bis ins Grindelwaldtal) bestrit- von Zollern unterdrückten das mit Ausnahme ten die Vergabung Libos an Amsoldingen. Der weniger Freier und Ministerialen leibeigene, angestrebte Prozess erstreckte sich jedoch über völlig rechtlose Volk. Die Wende kam am Ende Jahrzehnte und kam erst 1318 zu einem Ab- des Jahrhunderts. Bern trat auf den Plan.

74 5er« bracht; mit Sicherheit bestanden Rebberge am und um den See ab Mitte Mittelalter, also seit Gemäss der Überlieferung wurde Bern 1191 der Jahrtausendwende. Damals herrschten kli- von Bertold V. von Zähringen gegründet. Die matisch recht günstige Verhältnisse, die Durch- Stadt entwickelte sich rasch und behauptete Schnittstemperaturen lagen höher als in den sich erfolgreich im Spannungsfeld zwischen Jahrhunderten nach 1600. Bei der im Thuner- den umliegenden Städten und Adelsgütern. seegebiet, aber auch in vielen anderen Rebber- Schon früh hatte sie sich gewisse Privilegien gen der Schweiz angepflanzten Rebsorte han- des deutschen Herrschers gesichert wie das der delte es sich um den «Elbling» (vitis albuelis). Reichsstadt. Bern betrieb von Anfang an eine Die Erträge aus dem Weinbau gingen allerdings erfolgreiche Politik von lokalen Bündnissen an die Herren von Oberhofen oder an die Klös- und Einbindungen schutzbedürftiger, verarmter ter. Dem niederen Volk blieb ausser der kargen adliger Familien, die es mit dem Burgerrecht Selbstversorgung gar nichts. der Stadt köderte. Die Verarmung betraf übri- gens, wie schon angedeutet, auch Herrschaften im Thunerseegebiet (Eschenbach-Oberhofen Die netten Sc/z/oss/terren und Strättligen). Grossen Respekt verschaffte sich Bern durch Seit dem Übergang der Herrschaft Oberhofen den Sieg in der Schlacht bei Laupen im Jahre an Bern bzw. an die adlige Familie von Schar- 1339. 1353 schloss Bern den ewigen Bund mit nachthal anfangs des 15. Jh. waren langsam, den Waldstätten. Sein Interesse an Stützpunk- aber sicher wirtschaftlich bessere Zeiten ange- ten am Weg zur Innerschweiz war geweckt. brochen. Der Loskauf aus der Leibeigenschaft Der Niedergang der Dynastie der Kyburger wurde möglich, der Anreiz war nun da, dank machte es möglich, dass Bern 1384 Burgdorf und definitiv auch Thun durch Kauf in Besitz nahm. Entscheidend für die weitere Ent- wicklung der Herrschaft Oberhofen war der Sieg der Eidgenossen über Habsburg bei Sempach im Jahre 1386. Bern war erstarkt, entschä- digte den letzten habsburgischen Vogt und nahm die Herrschaft Ober- hofen 1397 in Besitz. Im Sinne ihrer Politik der Einbindung adliger Fa- milien verkaufte es die Flerrschaft mit Twing und Bann, Stock und Galgen zu Mannslehen (Vorbehalt des Heimfallrechts) sogleich an die verschwägerten Familien von Sef- 10m tigen und von Scharnachthal. Letz- 1419 tere übernahm die Herrschaft GrwrcrfTOS t/er Aj'rc/te nnt/ (Tirer VorgangerèaMten allein. 1: Saalförmiges Langhaus mit eingezogener Apsis, 7./8. Jh. Das einstige Fischer- und Bau- 2: Nach einer Legende im 10./11. Jh. von König Rudolf erndorf Hilterfingen war längst von Hochburgund gestiftet 3: Chor dem 14. Jh. auch Geräumigeres rechteckiges aus zum Winzerdorf geworden. 4: Neubau samt heute noch bestehendem Turm unter der Ägide Reben hatten möglicherweise schon von Schultheiss Nikiaus von Scharnachthal, 1473 die Römer in die Gegend Thuns ge- 5: Bestehender Neubau aus dem Jahre 1727

75 dem Rebbau etwas zu erreichen oder sogar sehen Ludwig XI. und Karl dem Kühnen stell- selbstständig zu werden. Die Winzer schlössen te das wichtigste Gesprächsthema dar. In den sich bald einmal genossenschaftlich zusammen, Burgunderkriegen wirkte Nikiaus von Schar- um besser um ihre Rechte kämpfen zu können. nachthal als erfolgreicher Heerführer. Denn die Weinproduktion unterlag speziellen Steuern, zudem galt weiterhin das System der Zehntenabgabe; bei der Halbpacht musste zu- D/Teuffenthal und zurücktrat, war sie es zum ersten Mal. den Weiler Ringoldswil, der politisch zu Sig- riswil gehörte (Ringoldswil wurde 1870 zur Fnec/r/cb /-/ebbe/ (/S 7 3-7 863) Kirchgemeinde , Teuffenthal 1935 zur neu geschaffenen Kirchgemeinde Buchen ge- S/ehe Weftùewerfcfragen auf5e/te Î04 schlagen).

76 In Strättligen auf der ande- ren Seeseite pachteten oder kauften die vermöglichen Bauern Weideland; mit inten- sivierter Waldrodung in Hil- terfingen als weiterer Mass- nähme liess sich das anbau- bare Rebland maximal aus- dehnen. Bis Ende des 18. Jh. ent- wickelte sich Hilterfingen zu einem recht wohlhabenden Dorf. Nebst den Bauernfa- milien zählten zu den Ein- wohnern zahlreiche Hand- werker und Händler und natürlich der Pfarrer und der Lehrer. Eine Gesamtschule gab es nicht nur in Hilter- Kirche und Pfarrhaus Hilterfingen (Foto: Markus Lehmann) fingen, sondern seit 1783 auch in Hünibach. Der Aufstieg zu Wohl- Die Kilchhöri war zuständig für das Armen- stand und Ansehen gelang fast nur den altein- und Vormundschaftswesen, für Heimatrecht gesessenen Familien. Sie bildeten das Dorf- und Wohnsitzwesen, für die Elementarschule Patriziat. Auf der politischen Ebene waren sie und für die Sittenkontrolle. zwar nach wie vor rechtlos, aber in Wirtschaft- liehen Fragen (Waldnutzung, Allmendbe- wirtschaftung, Parzellierungen, Aussaat- und Die La/î

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Die Wappen der zwanzig

Kantone Zürich und sechs 1351 1332 Halbkantone

Schwyz ©Obwalden 1291 1291

1352 % A Basel-Stadt Basel-Landschaft Schaffhausen Appenzell AR Appenzell IR 1501 1501 1501 1513 1513

St. Gallen Graubünden Tessin 1803 1803 1803 LIBERTE ET

Waadt Neuenburg Jura 1803 1815 1979 part kaufte am Seebühl in Hilterfingen zahlreiche Par- zellen und liess in den Jah- ren 1861-1863 das Schloss Hünegg erbauen. Es sollte ein würdiger Rahmen sein für seine Kunstsammlung. Er ver- starb 1869; die erneut ver- witwete Adelheid verwaltete in der Folge die beiden Güter Hünegg und Chartreuse. Das 19. Jh. in der Gemein- de Hilterfingen war demnach geprägt durch die grosszü- gige Gestaltung der Land- güter und durch die herr- schaftlichen Schlossbauten. Von Hünibachs Schloss Char- treuse wird noch die Rede sein. Schloss Eichbühl; die ehemalige Villa von Bonstetten aus dem Jahre 1S70 dient seit 1942 als Schulhaus. (Foto: Markus Lehmann)

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79 mit ihren Obstprodukten vorübergehend einen noch vereinzelt Sitze. Das politische Spektrum guten Ruf. ist relativ ausgeglichen; im Gemeinderat ist die Etwa 25 Betriebe der Nahrungsmittelbranche SP seit den Dreissigerjahren vertreten; die bür- und des Kleingewerbes bzw. Handwerks er- gerlichen Sitze gehen plus/minus gleichmässig möglichten bis etwa zur Jahrhundertmitte die verteilt an FDP und SVP; zeitweise sitzt auch Selbstversorgung Hilterfingens. die EDU im siebenköpfigen Gemeinderat ein. Ein einziger Grossbetrieb bestand in der Ge- Weder der Gemeindepräsident noch die Gemein- meinde: die Handelsgärtnerei der Gebrüder deräte sind im Vollamt angestellt. In folgenden Roggli. Karl Roggli wurde als begnadeter Blu- Bereichen strebt Hilterfingen mit den Nachbar- menzüchter (Stiefmütterchen u.a.) weitherum gemeinden eine Zusammenarbeit an bzw. ist bekannt. Zahlreiche Medaillen, worunter viele diese schon sanktioniert: Sozialamt, Wehrdienste goldene, zeugten von der Qualität und dem (Feuer-, Wasser- und Ölwehr) und Schulen. Die guten Ruf der Firma. Spitex-Organisation umfasst neben Hilterfingen Um die Jahrhundertmitte setzte eine allge- und Oberhofen auch noch die Gemeinde Heili- meine Entwicklung ein, die das Bild der Ge- genschwendi. Altersheime gibt es zwei: das AI- meinde von Grund auf ändern sollte. ters- und Pflegeheim «Magda» in Hilterfingen Die Bauernsame kämpfte mit mehreren Pro- und das Altersheim «Seegarten» in Hünibach. blemen. Der Nachwuchs fehlte weitgehend. Die 1952 wurde die Strasse bei der Hünegg kor- Jungen wandten sich ab von der wenig attrak- rigiert und gleichzeitig die Trambahn entlang tiven Landwirtschaft, erlernten andere Berufe dem rechten Seeufer abgebrochen und durch oder zogen gar weg. Die Väter gingen nun den Trolleybusbetrieb ersetzt. 1982 erfolgte der meist vollzeitig anderer Arbeit nach, in Thun in Wechsel auf den fahrdrahtunabhängigen Bus- den eidgenössischen Betrieben oder in der betrieb. Zu Beginn des 21. Jh. kam es in Hilter- SELVE, in in der ASTRA. Sie fingen und Hünibach zur Einführung eines hielten sich nur noch ein oder zwei Stück Hangbus, was sich die Bewohner längst ge- Gross- und Kleinvieh, die verbleibenden weni- wünscht hatten. Seit 2008 besteht «Zone 30» gen bäuerlichen Arbeiten wurden auf den für sämtliche Dorfstrassen. Abend und die Freizeit verlegt. Der neue Bootshafen nahe dem Strandbad Was das Gesicht des Dorfes Hilterfingen Hilterfingens wurde 2002 eingeweiht. aber vollends veränderte, war die Umwandlung Das wohl wichtigste Ereignis im Leben Hil- des landwirtschaftlichen Landes in Baugrund! terfingens nach 1950 war der Kauf des Schlos- Der Boom setzte in den Fünfzigerjahren ein; ses Hünegg und eines Teils des Parks, was dank rund um den weitgehend intakten alten Dorf- der Unterstützung des Kantons 1958 möglich kern wuchsen neue Quartiere aus dem Boden, wurde. Im Schloss wurde 1966 das «Museum auf Schlüsselacker, Haberzeig, Breiten und für Wohnkultur der Neurenaissance und des Ju- Spycherten. Fast ausschliesslich Villen und gendstils» eröffnet. Einfamilienhäuschen entstanden. Gerne freute Die früheren Nobelhotels «Marbach» und man sich auf steuerkräftige Einwohner! Tat- «Wildbolz» haben wenig erbauliche Leidens- sächlich war die finanzielle Entwicklung der wege hinter sich. Das Hotel Marbach schloss Gemeinde zumindest bis zur ersten Ölkrise steil die Pforten Ende der Sechzigerjahre; es verkam ansteigend (und der Steuerfuss sinkend); später zur Gastarbeiter- und Asylantenunterkunft und ging es auf und ab. Heute befindet sich die Ge- wurde schliesslich unbewohnbar. Erst jetzt und meinde finanziell erfreulicherweise in stabili- nach Bauzonenplanänderung ist eine Wohn- sierter Aufstiegsphase! überbauung möglich geworden. Mit zunehmender Zuwanderung gerieten die Das Hotel «Wildbolz» wurde in den Dreis- von jeher ansässigen bürgerlichen Familien sigerjahren zum alkoholfreien Hotel «Seehof», immer mehr in Minderheit; im Gemeinderat der später zur Dorfbeiz mit Wohnungen, Büros und Einwohnergemeinde belegen ihre Vertreter nur Arztpraxis. Grosse Umbaupläne in den Siebzi-

80 Schloss Hünegg, 1861-63 im Auftrag von Baron von Parpar! vom Berliner Architekten Heino Schmieden im französischen Neurenaissancestil erbaut. Heute beherbergt es das «Museum für Wohnkultur der Neurenaissance und des Jugendstils». (Foto: Markus Lehmann) ger- und Achtzigerjahren scheiterten an Kosten Kanal vom See zum Schiffshafen am Fusse des und Parkplatzproblemen; das altehrwürdige, Schlosses, Jachttreffen und -wettkämpfe auf aber unbefriedigend genutzte Haus steht 2008 dem Thunersee mit internationaler Beteiligung, vor dem Verkauf. grosse festliche Anlässe im Schloss, u.a. mit Relativ spät im 20. Jh., aber mit Erfolg haben der Teilnahme des deutschen Kaisers... Doch in Hilterfingen die Hotels «Bellevue» und es kam alles anders. «Schönbühl» und in Hünibach das Hotel garni Baron Moritz von Zedtwitz aus Dresden, «Chartreuse» den Schritt in die Moderne voll- Jachtfreund Wilhelms II. und Diplomat im zogen. Auf sie und auf mehrheitlich von treuen Ruhestand (Legationsrat u.a. in Tokio und ausländischen Gästen belegte Ferienwohnungen Washington, Botschafter in Mexiko, 1892 als verteilen sich heute die Logiernächte. 41-Jähriger aus dem Staatsdienst ausgeschie- den) und seine aus reicher amerikanischer Familie stammende Gattin kauften 1896 das flnm'h<7c/z im 20. Chartreuseareal. Kaum war der Schlossbau be- gönnen, verunglückte der Baron anlässlich An der Schwelle zum 20. Jh. war auf dem einer Hochsee-Regatta tödlich. Das Schloss Chartreuseareal Grosses vorgesehen: ein wurde zwar bis 1902 fertiggestellt (gleichzeitig Schlossbau oberhalb der alten Kartause, ein wurde die Kartause von Mülinens gesprengt),

81 stand aber nach dem Tod der Baronin (1910) Der Dorfteil oberhalb der Hünibachstrasse meist leer. 1933 kaufte eine Immobiliengesell- («Schwenditeil» Hünibachs) gehörte früher zur schaft das Schlossgut für 2,5 Millionen Franken, Gemeinde Heiligenschwendi. 1958 wurde er worauf die Chartreuseüberbauung einsetzte. In- Hilterfingen nach längeren, harten Verhandlun- nert etwa 30 Jahren kamen auf der Seematte gen zugeschlagen. Seither hat Hünibach mehr über 40 dreigeschossige Wohnblöcke zu stehen. Einwohner als Hilterfingen (gegenwärtig etwa Oberhalb der Staatsstrasse entstanden Villen 2000 zu 1800). und Einfamilienhäuschen. Das Schloss fand nie An den früheren, eigentlich «traditionellen» eine sinnvolle Verwendung; 1941 wurde der Lebensadern des Dorfes, an Hünibach- und Sta- Mittelteil weggesprengt und die Seitenflügel tionsstrasse, hat ein drastisches Lädelisterben vorübergehend in Mietwohnungen verwandelt. stattgefunden. Unten an der Chartreusekreu- Der fiskalischen Belastung wurde damit die zung ist nach 1950 ein neues Einkaufszentrum Spitze gebrochen. 1965 entstand anstelle der (mit Poststelle) entstanden. Auch in Hilterfin- beseitigten Restruinen ein Hochhaus. gen ist die Zahl der Geschäfte und Betriebe 1939/1942 verkaufte die Familie von Re- stark gesunken. Bezeichnend für die Verlage- ding/Biberegg das Eichbühlgut. Rudolf von Re- rung des Geschäftslebens ist der Umstand, dass ding/Biberegg (1859—1926), Landammann in die Poststelle in Hilterfingen 2006 geschlossen Schwyz, Ständerat und hoher Offizier, hatte worden ist. 1882 die einzige Tochter von Bonstettens ge- heiratet und später definitiv auf Schloss Eich- Gegenwart «na? AhsW/C£ bühl in Hünibach Wohnsitz genommen. Der Immobilienhandel fand auch hier ein Die Gemeinden Hilterfingen und Oberhofen dankbares Wirkungsfeld. Immerhin gelang es zählen heute zur Agglomeration Thun; Grenzen der Gemeinde, das Schloss samt seiner nächs- sind nur noch auf der Karte zu sehen. Die Bur- ten Umgebung zu kaufen und vor dem Abbruch gergemeinde Hilterfingen lebt; die Kirchge- zu retten; heute beherbergt es die Unterschule meinde bietet den aktiven Mitgliedern Zusam- Hünibachs, Ateliers und Wohnungen. menhalt. Unter den Sportvereinen offeriert vor Im Seegarten, dem ehemaligen Unter-Eich- allem die Juniorenabteilung des Fussballclubs bühl, existieren zwar noch Villen und Teile der Hünibach einheimischen Jungen (und neuer- früheren Park- und Gartenlandschaft. Mehrere dings auch Mädchen) eine kompetent geführte, Wohnbauten und ein Altersheim haben das Bild sinnvolle Freizeitgestaltung. Jährlich durchge- aber deutlich verändert. führte Dorfanlässe (Strandfest Hilterfingen al- Töchter des Langnauer Pfarrers Müller haben ternierend mit Ländtefest Hünibach) führen die in Hünibach Geschichte geschrieben. Hedwig Bevölkerung beider Dörfer ausnahmsweise, gründete 1934 auf dem eben frei gewordenen dafür aber stimmungsreich zusammen. Chartreuseareal die dem biologisch-dynami- Am politischen Gemeindeleben wirklich in- sehen Anbau verpflichtete Gärtnerinnenschule. teressiert sind leider recht wenig Einwohner. Sie bildete mit Erfolg Generationen von Gärt- Die bevorzugte Wohnlage an der Berner «Gold- nerinnen aus. Seit einer Umstrukturierung in küste» hat in den vergangenen Jahrzehnten den Neunzigerjahren heisst die Schule «Garten- viele, mehrheitlich gut betuchte Schweizer (und bauschule Hünibach» und steht auch Lehrlin- einige Ausländer) bewogen, hierher zu ziehen. gen männlichen Geschlechts offen. Seither stei- Unverhältnismässig stark gestiegen ist denn gen die Schülerzahlen wieder stark an. auch unter den Berufstätigen die Zahl der Weg- Die Halbschwester Hedwigs, die bekannte pendler. Diese Entwicklungen sind dem Dorfle- Jugendschriftstellerin Elisabeth Müller, schrieb ben auf die Dauer nicht unbedingt förderlich. in Hünibach, an ihrem letzten Wohnsitz, die später verfilmte Geschichte der «Kummer- Vom gleichen Autor ist 2002 als Berner Heimatbuch buben». (Haupt) erschienen: Hilterfingen und Hiinibach

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