Das Bernbiet ehemals und heute : Wangen an der - einst und jetzt

Objekttyp: Group

Zeitschrift: Historischer Kalender, oder, Der hinkende Bot

Band (Jahr): 264 (1991)

PDF erstellt am: 06.10.2021

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http://www.e-periodica.ch Das Bernbiet ehemals und heute

Waagen an t/er zlare - e/nsf «nt/yefzf

Das bernische Städtchen Wangen im Ober- die Höhe der ersten Jurakette, den blauen Berg aargau liegt am Mittellauf der Aare ungefähr mit den weissen Malmflühen und den saftigen 10 km unterhalb von . Wie mancher Weiden. Nach Süden aber schweift der Blick Schweizer Soldat denkt an strenge und lustige zum Hügelland der Buchsi- und Wynigenber- Diensttage in der hiesigen Garnison zurück ge, wo Cuno Amiet über 60 Jahre seine Winter- oder tut hier heute landschaften und seine schwitzend seine ersten glühenden Sommergär- militärischen Schritte. ten schuf. Vorbei geht's Aber auch Touristen an den kleinen Moor- aus dem In- und Aus- seen von und land machen hier Rast, Burgäschi, die wie wenn sie am Abend Spiegel im Land blin- von der Autobahn her ken, hinüber zum zauberhaft beleuchtet schönsten Dorfplatz im Brücke, Tore und Tür- Bernbiet im Pfarrdorf me erspähen, wie sie . schon Jeremias Gott- helf von der Jurahöhe herunter mit Wohlge- 500 JaAre ent/ang von fallen betrachtet hat. Kan.vtJen/cmä/ern Für den Geschichts- und Kunstfreund ist In harmonischer Zu- das Städtchen ein Ge- sammenarbeit von öf- heimtip, wie noch dar- fentlicher Hand zulegen sein wird. Die Bund, Kanton und Ge- Räume von Salzhaus, meinde - mit Privaten Schlosskeller und Mo- sind in den letzten Jah- tel nebst einem ausge- ren die wichtigsten bauten Gastgewerbe ermöglichen Tagungen Baudenkmäler Wangens fachgerecht restau- und Kongresse von kantonaler und eidgenössi- riert worden. Als eines der wenigen der zahlrei- scher Bedeutung. chen bernischen Landstädtchen hat Wangen Auch der Naturfreund kommt nicht zu kurz: nicht nur die Ringmauer, sondern auch seine sei es, dass er die Spazierwege am Fluss be- beiden Tortürme erhalten. In ihrem Konzept nutzt, wo einst Flösser und Schiffszieher ihrem geht die fast ywaJratwc/ie SJaJtan/age mit dem Gewerbe oblagen, sei es, dass er dem Oesch- befestigten Brückenkopf an der Aare auf die bach entlang das Quellreservat der Mürgelen Mitte des 13. Jh. zurück, in die Zeit der letzten mit seltener Flora und Fauna besucht. Ein Kat- Kreuzzüge, des Endkampfes zwischen Kaiser zensprung ist es nach , der sehens- und Papst, der auch in unsere Lande hinein- werten kleinen Nachbarstadt, und von dort auf spielte. Um einige Jahrzehnte älter ist mögli- 66 cherweise der Kern des Schlosses, der Haupt- chenem Ständerwerk aufgestockt, die Fenster türm mit seinen meterdicken Mauern auf mit Gewänden aus repräsentativem Hauterive- einem Grundriss von 11 x 9,7 m, ganz sicher stein versehen. aber der spätromanische Chor der iyarrkürüe Nur wenig älter ist das Erscheinungsbild der als bescheidener Rest einer sehr stattlichen hölzernen ^urehrücke, auf die die Wangener Prioratskirche. Sie mögen noch den letzten als ihr Wahrzeichen besonders stolz sind. Sie Zähringerherzog gekannt haben. Beim Wieder- stellt sich in eine Reihe mit der Neubrücke bei aufbau der Kirche nach der Brandlegung im Bern und mit den Aareübergängen von Güm- Gugler- oder Burgdorferkrieg erhielt der Chor menen und Aarberg. Eine erste Brücke dürfte seine Wandmalereien: dargestellt sind u.a. zwar schon im 13. Jh. geschlagen worden sein, Christopherus und die Hausheiligen der Gra- 1367 wird sie erstmals urkundlich erwähnt. Als fen von Kyburg, der hl. Ulrich, Margaretha der Staat Bern 1406/1408 die Verwaltung der und der Drachentöter St. Georg. Aus gotischer Stadt Wangen und der Landgrafschaft Bur- Zeit des 14. Jh. stammt auch die heute im Ge- gund übernahm, entsandte er als ersten Land- meindehaus verwahrte Glocke mit den Initia- vogt den Zimmermeister Heinrich Gruber, der len des Ave Maria, die nach der Reformation nicht nur die verlotterten Befestigungsanlagen im Zeitglockenturm Betzeit läutete und die instand setzen, sondern auch eine neue Aare- . Nach einem der häufigen heutigen Gestalt aufgemauert wurde und als Hochwasser - Wangen liegt nur wenige Kilo- Geschenk der Regierung ein Wappenrelief er- meter unterhalb der Emmemündung - erstellte hielt: forsch blickt der Bär mit der Reichskrone der bernische Holzwerkmeister Bendicht Jun- dem Besucher entgegen, in den Pranken je ei- ker zusammen mit den Steinhauern Hans und nen Standesschild, vor dem Leib schützend das Peter Zurkilchen die Brücke in den Jahren Wappen von Wangen, die blauen Schlüssel im 1549-1553 neu. An die Bauzeit erinnern bis weissen Feld. Über die Symbolik und das heute die massiven Dachbinderpfosten aus Ei- Selbstbewusstsein vor 500 Jahren wird sich der che, das eine Tuffsteinjoch und eine wappen- moderne Beschauer seine eigenen Gedanken geschmückte Bauinschrift. Fahrbahn und Hän- machen. - In der Nordwestecke des Stadtge- gewerk mussten hingegen periodisch erneuert vierts steht als wehrhafter Tuffsteinturm das werden. Um dem Verkehr der Holz- und Salz- /yb/rAaws mit dem mächtigen Helmdach aus fuhrwerke Platz zu schaffen, wurden 1845 zwei dem 16. Jh. Bevor die bernischen Prädikanten der einst sieben Joche durch einen Damm er- Einzug hielten, hatten dort nach den kriegeri- setzt. sehen Ereignissen um 1380 der Propst mit ein * * * paar Benediktinermönchen Zuflucht gefunden, als der ungeschützte Kirchenbezirk am Aare- Das 17. Jh. war zwar die Zeit verheerender ufer zu unsicher geworden war. Im lauschigen Pestwellen und fortgesetzter Hexenverfolgun- Hof gewährten sie flüchtigen Delinquenten gen, von Bauern- und Villmergerkrieg; Wan- Asyl: sechs Wochen und drei Tage durften sie gen wurde von Flüchtlingen des Dreissigjähri- nicht gefasst werden. - In der gleichen Zeit, um gen Kriegs und verfolgten französischen Glau- 1570, gab der neue Landschreiber der drei bensbrüdern überschwemmt, erlebte aber auch oberaargauischen Ämter, Rudolf Jenner-Til- einen willkommenen Aufschwung der Aare- lier, dem heutigen Gememr/e/mi« in der Süd- Schiffahrt und damit verbunden den Bau erster ostecke des Städtchens eine neue Gestalt: es Stapelhäuser. Noch ganz gotischer Tradition wurde mit einem zweiten Obergeschoss in ei- verpflichtet sind der polygonale, tuffverklei- 67 lung, wie wir sie in damaligen Dünzkirchen finden und sie 1677/79 auch im grossen Saal der Landschreiberei durch den Aarauer Maler Hans Ulrich Fisch II. angebracht wurde. 1664 erneuerte Albrecht Kauw im Schloss nicht nur den Fries der Landvögte-Wappen (in Öl), son- dern malte auch die mTe S7ad/a«.s;c7u und zwei heraldische Bilder zur Geschichte Wan- gens, heute im Gemeindehaus zu bewundern. Aber auch der Gründer des bernischen Postwe- sens, Landvogt Beat Fischer (1680-1686 in Wangen), wollte sich verewigen: zwei Räume im obersten Wohngeschoss wurden wohl vom Solothurner Maler Wolfgang Aebi ausgemalt (Allegorien der vier Elemente), während der Aarauer Tischmacher Ludwig Fisch im ersten Stock ein Zimmer mit einem prachtvollen Ei- chen- und Nussbaumtäfer ausstattete.

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Auch das heitere 18. Jh. hinterliess im Aare- Städtchen reiche Spuren: noch dem ältern Geist der Abschliessung und Wehrhaftigkeit verpflichtet ist der älteste Stadtplan, den Inge- nieur Caesar Steiger 1714 in Zusammenhang mit einem Befestigungsprojekt entwarf. Knapp WöMge« aw 7900 «m 40 Blick auf Zeitglocken, Stadtbach und altes «Rössli» Jahre später zeigt der Plan von Samuel (Bildvorlage: Ortssammlung Wangen a.d.A.) Ougspurger in Vogelperspektive das Land- Städtchen in seiner ganzen herrschaftlichen und bürgerlichen Behaglichkeit. Weiterhin blieb der Staat in Wangen der massgebende dete Treppenturm am ScWoss, auch Schneggen Bauherr: in seinen Diensten standen, aus ein- oder Wendelstein genannt, und der Schlosskel- heimischen Familien, der ünz und Maler zl/hrec/jt Kuhw in bäude und ein angekauftes Nebenhaus unter Schloss und Kirche wertvolle Zeugnisse des einem mächtigen Walm vereint wurden. 15 bernischen Frühbarocks: die Landvögte Jenner Jahre später wuchs an der Aare der grosse Ku- und Bondeli stifteten zum Gedenken ihrer im bus des neuen Sa/zAausev, heute Mehrzweck- Kindbett verstorbenen Frauen Abendmahls- halle und Kongressgebäude, empor. Auch das tisch und Taufstein (Sandstein aus der Umge- Schloss erhielt weitern Aussenschmuck: eine bung von Bern), das Schloss erhielt aus dem originelle scheinarchitektonische Bemalung gleichen Material einen mächtigen Kamin mit des Nordflügels (1751/52) und endlich 1785 Voluten und Standeswappen. Im heutigen eine repräsentative Hauptfassade nach Süden Amtsgerichtssaal schuf Hans Conrad Heinrich mit einem Mittelrisalit aus So/of/iMmerste/n Friedrich eine grosszügige Grisaille-Ausma- (geschaffen von L. E.Zehnder), der im 18. Jh. 68 im Städtchen den bisher verwendeten, einhei- treppe, Scheune und Doppelkeller (seit 1957 mischen Tuff zu verdrängen begann. Haupt- Kellertheater). An der Hauptgasse im Städt- sächlich in der zweiten Jahrhunderthälfte fing chen entstanden 1818/19 die klassizistischen nun auch der Wohlstand der Bürger sich in der Fassaden des Hauses Franz Roth (Negoziant Bautätigkeit zu spiegeln an, weniger im Städt- und 1832 erster bürgerlicher Regierungsstat- chen als im Mühlequartier und in der innern thalter) und des Rathauses (heute Coiffeursa- Vorstadt: leider ist die 1732 erbaute, vierge- Ion gegenüber dem Schloss), etwas später die schossige alte Färb mit ihrer bemalten Ründi Fassade des . - Noch amtete als 1970 einem Renditebau zum Opfer gefallen. letzter patrizischer Oberamtmann Oberst Ru- Im Hinterstädtchen entstanden gegen die Jahr- dolf Emanuel Effinger von Wildegg, in Wan- hundertwende zwei stattliche Eckbauten, der gen als Wohltäter unvergessen, obgleich er mit steinerne Wohnstock der Familie Strasser ge- dem Vikar von Herzogenbuchsee, Jeremias genüber dem Pfarrhaus, Stammhaus des Grin- Gotthelf, manch harten Strauss ausfocht. Er delwaldner Gletscherpfarrers, und - von übernahm nicht nur das Patronat über die bäuerlichem Charakter - das Haus der Schiff- Gründung der Ersparniskasse, sondern legte meister Vogel, heute Antiquitäten- und Gemäl- auch mit dem nachmaligen Grossrat Jakob degalerie. Aber auch die Gemeinde liess sich Roth-Rikli den Grundstein zur zweiten Ta/kä- nicht lumpen: die Gassen wurden gepflästert, serei. Der Betrieb der Roth in der Gasse, ur- der Stadtbach in steinerne Kännel gelegt und sprünglich eine bescheidene Haarsiederei, in der Hauptgasse 1789 der grosse SfatMjrwn- wurde zur erfolgreichen Fabrik, ergänzt um ne« im Stil Louis XVI, ein Monolith aus der Käsehandel und einen landwirtschaftlichen Solothurner Steingrube, aufgestellt. Grossbetrieb auf den früheren Schlossgütern.

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Im frühen 19. Jh. nahm der Aufstieg des Bürger- turns seinen Fortgang. Nach der unglücklichen Franzosenzeit, als Bürger- meister Samuel Rikli- Senn, Salzfaktor und Gre- nadierhauptmann, die undankbare Bürde eines Distriktsstatthalters über- nehmen musste, setzte zwar 1803, verstärkt 1815, die Reaktion und Restau- ration des Patriziats ein, aber die Regierung in Bern konnte nicht mehr an den selbstbewussten Landnofake/n vorbeise- hen. In der Vorstadt baute Grossrat Johann Rudolf Vogel, Schiffmeister und Wangen an tfer/lare Weinhändler, 1813 sein Winteraufnahme aus den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts stattliches Haus mit Frei- (Bildvorlage: Ortssammlung Wangen a.d.A.) 69 Aber auch die Rikli blieben nicht müssig: Blusenfabriken eröffnet, entstanden in der während die alte Färb an der Mühlebach- mittleren und äussern Vorstadt, der Ausfall- brücke Wohnsitz blieb, erstellte Witwe Rikli- Strasse nach Buchsi, noch einige bürgerliche Senn für ihren Sohn Abraham Friedrich (1831 Wohn- und Gewerbebauten. Aber erst der /Im- Verfassungsrat, ab 1833 Sechzehner) 1815/17 scWmss mm z/ze Gäuka/zn Solothurn- (1876) bachaufwärts eine neue, grosse 7Mrki.se/iro/- schuf neue wirtschaftliche Perspektiven: die Färberei: erhalten hat sich davon das stattliche Vorstadt wurde zur geschlossenen Häuserzeile, Farbgebäude mit Bernerründe und Lüftungslu- das Unterholz überbaut. Der Stadtbrand von ken für die Garnstrangen und ein Garnmaga- 1875, der beinahe die ganze Südfront des zin (1835), während die übrigen Gebäude mit Städtchens in Asche legte, sowie höhere An- der Einstellung der Färberei um 1900 Schul- Sprüche an Hygiene und Komfort förderten die bauten weichen mussten. Bis heute intakt sind Aussiedlung aus dem mittelalterlichen Mauer- aber die 1830/34 von den Rikli an der Rotfarb- rund. Um die Jahrhundertwende entstanden gasse erstellten Gebäude, ein dreigeschossiges, das neue Schulhaus und die ersten Zeughäu- klassizistisches Wohnhaus und der lange Rieg- ser, durch Architekt Fritz Roth neue Quartiere trakt, den die fromme Familie später der Evan- an der Sternenstrasse und in der Gass sowie gelischen Gesellschaft vermachte. Auf dem einige FM/zz-z'kan/envz7/en, worunter eine 1897 im Friedberg über der Aare erbauten die Rikli Stil eines englischen Backsteinschlösschens 1845 den gleichnamigen Landsitz. mit Türmchen. In der Zwischenkriegszeit, vor allem aber nach 1945 vervielfachte sich das In jenen Jahrzehnten begann aber Wangens Siedlungsgebiet durch die Erstellung einer Zo- Entwicklung zu stagnieren: die Eisenbahn ne von Einfamilienhäusern im Süden, beson- führte ab 1857 von Ölten über Herzogenbuch- ders aber im Westen des Städtchens. Darunter see nach Bern und Solothurn; Strassenverkehr, sind einige pionierhafte Bauten des ETH-Ar- besonders aber Schiffstransporte und Flösserei chitekturprofessors Z>. /z. c. d//rc/ze St. Christophorus des Zürchers Walter Mo- ser mit Kreuzweg von Jean Hutter, 1967 die neue Post, 1969/70 das geheizte Schwimmbad und die ARA, von der Verände- Die /tof/drft m Wangen an der /(are /S47 rung der Verkehrsverhält- (Bildvorlage: Ortssammlung Wangen a.d.A.) nisse ganz abgesehen. 70 Dass diese rege Bautätigkeit nicht ganz ohne Emgnjf/è ins historische Stadtbild abging, ist begreiflich, doch halten sich die Sünden in Grenzen. Sie begannen vor dem 1. Weltkrieg, indem das neue (mit folgenden Indu- strieanbauten) und das Verwaltungsgebäude der Ersparniskasse (heute Städtligalerie) der Südfront der Altstadt zu nahe rückten, und kulminierten um 1970 mit dem Bau flachge- deckter Einkaufszentren in der innern Vor- Stadt, die das Ensemble des 18./19. Jh. beein- trächtigten. Entscheidend blieb es aber, dass dank der Einsicht und Überzeugungskraft des kantonalen Baudirektors und der einheimi- sehen Kunstmalerin Helene Roth 1934 die hi- storische Holzbrücke gerettet und saniert wer- den konnte und das Projekt einer Betonbrücke entfiel. Durch die stilgerechte Restaurierung von Kirche, Salzhaus, Gemeindekaserne, Schloss, Pfarrhaus und Gemeindehaus, alles Leistun- gen der letzten 15 Jahre, ist das alte Aare- Städtchen in neuem Glanz wiedererstanden.

/}/Oberaargau zur Zeit der Karolingerkönige zum Herzogtum Alemannien im fränkischen Reich Zl/fer Srarft/j/a« von afer /laré gehört, so herrschten hier im 10. Jh. die tfangen an Könige von S.Ougspurger aus dem Jahr 1751 von Hochburgund; damit war das ganze Aare- (Photo ADB) gebiet westwärts orientiert. Zur Zeit der deut- sehen Kaiser aus dem Haus der Salier lagen im Grundherrschaft aus. Dies hinderte die Lan- Oberaargau die Hausgüter der Grafen von desherren nicht, im Laufe des 13. Jh. am alten Rheinfelden, die sich in der Folge an die Zäh- Aareübergang von Wangen eine Burg, etwas ringer und 1218 an die Grafen von Kyöurg- später in und Wangen Kleinstädte und Rurgt/orfvererbten. Zu seinem Seelenheil, aber in Buchsi einen befestigten Kirchhof anzule- auch zur bessern wirtschaftlichen Nutzung gen. überliess jedoch der Hochadel einen Gutteil Während das Stadtareal mit den Befesti- der Güter befreundeten Rene£pkr»jerk/ö.sfern: gungsanlagen und den Haushofstätten unter zur Verwaltung errichtete die Abtei Trub um gräflicher Verwaltung standen, den Burgern 1200 in Wangen eine Niederlassung (Propstei), die Allmend gehörte, besass die Propste/ in der ähnlich die Schwarzwaldklöster St. Blasien ganzen Pfarrei (und darüber hinaus) Feld und und St. Peter Dinghöfe im benachbarten Was- Wald, Zehntrechte und Kornspeicher sowie seramt und in Huttwil, bzw. die Propstei Her- Mühle, Säge und Schleife am Mühlebach. Die zogenbuchsee. So versahen hier bis zur Refor- Pröbste, die bis zur kriegerischen Brandlegung mation die schwarzen Mönche den Gottes- ihr Kloster bei der Kirche bewohnten und dienst, übten aber mit ihren Meiern auch die dann ins heutige Pfarrhaus, den nordwestli- 71 Münzmeister die letzten dünnen Blechpfen- nige schlug. Kaum gelang es, die Ansprüche der Gläubiger abzuwehren, unter welchen nebst Basler Juden auch die Freiherren von Grünenberg, die Grafen von Neuenburg und besonders zugriffig die Habsburger waren. Auf der Burg sass auch Edelknecht Hug von See- berg, von dessen Siegel Amt und Stadt ihr Wappe« übernahmen, die blauen Schlüssel des Himmelsfürsten Petrus im silbernen Feld (ana- log Huttwil mit umgekehrter Farbgebung).

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Als Bern 1406 von den letzten Grafen von Kyburg Wangen und die Landgrafschaft Bur- gund erhielt, musste es zuerst die Gläubiger der Grafen befriedigen und die habsburgi- sehen Rechte ablösen, bevor es im Frühjahr 1408 mit Zimmermann Heinrich Gruber den erste« LanJvog? entsandte. Über seinen Auf- trag zur baulichen Sanierung der Stadt und zur Erstellung einer neuen Aarebrücke ist bereits berichtet worden. - Während sich der Amtsbe- zirk Wangen seit 1798 mit seinen 26 Einwoh- 7aw/stem vo« Dim/z ('/.J nergemeinden von der ersten Jurakette süd- gestiftet 1667 in der Kirche von Wangen a. d.A. (Photo M.Hesse, Kunstdenkmäler des Kantons Bern) wärts bis in die Buchsiberge erstreckt, hatte die alte Landvogtei einen weit grösser« f/w/öng. Zwar bildete das Bipperamt, 1413-1463 eine chen Eckturm zogen, waren meist Konventua- Gemeine Herrschaft Solothurns und Berns, bis len von Trub und entstammten zuerst ritterli- zur Franzosenzeit eine eigene Landvogtei, zu chen Ministerialfamilien, dann Bauernge- Wangen aber gehörten auch die Gerichte Lan- schlechtem aus dem Emmental. Dass einige von genthal und , ab 1504 die Herrschaft ihnen gegen die Gelübde und moralischen Vor- Rohrbach, dazu auch gewisse Befugnisse in Schriften verstiessen, geht aus den bernischen der Gegend von Koppigen/ und im so- Ratsmanualen hervor; Chronist Anshelm lothurnischen Wasseramt. spricht sogar von einer zu Wangen! Lassen wir uns darob nicht täuschen: bis zur Auf der bescheidenen Äwrg, nahe von Reformation, als die Güter und Zehntrechte Brücke und Zollstatt, sassen im Dienst der der Propsteien Wangen und Herzogenbuchsee Grafen von Kyburg Angehörige des Ritterhau- an den Staat fielen, standen die umfangreichen ses aus dem benachbarten , die zeit- Amtspflichten mit den geringen Einkünften in weise auch als Schultheissen von Burgdorf, keinem Verhältnis. So musste Landvogt Peter Thun, Büren und Oltingen amtierten. Ihr letz- Irenei 1441 zur Begleichung seiner Amtsschul- ter starb zu der Zeit, als Burgdorf, von den Eid- den dem Staat seine Rebberge, Haus und Gar- genossen vergeblich belagert, durch Kauf an ten in Bern und sein Haus in Wangen versetzen Bern überging. In der Folge musste die schwer und hinterliess zwei Jahre später seine Gattin verschuldete Grafenfamilie selbst zeitweise als Schuldnerin. Später gehörte Wangen zu ihre Residenz in Wangen aufschlagen, wo ihr den einträglichen Vogteien erster Klasse, die 72 ein Patrizier nur einmal im Leben versehen renhaus im italienischen Barockstil, aber das durfte. Sie warf fast doppelt soviel ab wie die Leben eines Landvogts war auch arke/tan/en- Vogtei Bipp, das Vierfache armer Bergvogteien 57v und aw/ivend/g: zuerst kam die Züglete nach wie Unterseen oder Obersimmental. Obwohl Wangen, die laut Zeugnissen des 15.Jh. per Albrecht Frisching 1768-1774 in einer Notzeit Schiff auf der Aare erfolgte. Dann galt es, mit amtete, konnte er doch jährlich 250000- dem Amtskauf vom Vorgänger Mobiliar, Ge- 300000 Fr. (die Krone zu 30-37 Franken ge- rätschaften, Vieh und Vorräte zu erwerben. Die wertet) an persönlichen Fmkim/fen netto bezie- meisten Einkünfte, wie Audienz- und Siegel- hen. Diese hohen Beträge dürfen uns aber geld, Anteil an Bussen und Ehrschatz wurden nicht verleiten, an Ausbeutung zu denken: sie zwar im 18. Jh. in Geld geleistet, es gab aber gingen vor allem auf Kosten der staatlichen daneben immer noch Naturalbezüge, die gela- Einkünfte und hatten einer ganzen Generation gert und verwertet werden mussten; gar rasch lebenslang zu einem standesgemässen Aus- war das Korn verdorben, falls Feuchtigkeit kommen im meist ehrenamtlichen Staatsdienst und Ungeziefer auftraten. Auch wenn die zu verhelfen. - Seit 1593 war die der Schlossdomäne 1710 durch Verkauf eines Ho- Fogte auf fünf, später auf sechs Jahre be- fes reduziert wurde, blieb doch ein ansehnli- schränkt. Um die Würde zu erhalten, musste eher Bauernbetrieb mit zwei Schloss-Scheunen einer mindestens 33jährig sein und vier Jahre zu bewirtschaften. Zum Bezug der Staatsabga- dem Grossen Rat angehören. Ältere Bewerber ben stellte der Landvogt jedenfalls nach 1740 hatten den Vorrang. Der Gründer der berni- eigens einen ein, zur Erziehung der sehen Post, Beat Fischer, kam mit 39 Jahren Kinder - in Ermangelung einer Lateinschule - nach Wangen, was dem Durchschnittsalter der einen Hauslehrer. - Der Landvogt versah die Vögte im 17.Jh. entspricht. Im 18. Jh., wo das Funktionen eines heutigen Regierungsstatthai- Los entschied, lag das AI- ter bei 51. Der jüngste Landvogt von Wangen war Bernhard May zur Zeit des Bauernkrieges mit 31 Jahren, ein Springsinsfeld, der seinen Amtssitz in den Unruhen im Stich Hess. Im Alter von 63 Jahren trat der letzte Landvogt vor 1798, Samuel Wyttenbach, sein Amt an. Er sorgte für eine geordnete Übergabe, im Gegensatz zu Bipp, wo die Bauern das verlassene Schloss zerstörten. Wohl hatte Samuel Jen- ner nach seinem Abzug die Flerrschaft Utzingen kaufen und sich dort ein Renaissanceschloss bauen können, auch Beat Fi- scher dem Der nordwest/icAe &&rurm 4er g/ngmai/er folgte Vorbild, in Tuffstein, Dachstuhl aus dem 16. Jahrhundert, ehemals Probstei, heute erwarb 1683 Reichenbach Pfarrhaus und erweiterte das Her- (Bildvorlage: Ortssammlung Wangen a.d.A.) 73 ters, Gerichtspräsidenten, Amtsschaffners und Begehr einzelnen Notaren die Schreiberei in Aushebungsoffiziers in einer Person und hatte der Landvogtei Wangen gestattet hatte, wur- zur Erledigung all dieser Aufgaben bloss den den 1564/1569 mit Hans von Stäffis und H. R. Landschreiber und die Weibel der einzelnen Jenner eigentliche Landschreiber auf Lebens- Gerichte zur Verfügung. Nur für Zollbezug zeit entsandt. Jenner erwarb das wehrhafte Ge- und Salzfaktorei waren - mindestens im 18. Jh. bäude in der Südwestecke des Städtchens und - Beamte der Zentralverwaltung angestellt. baute es aus. Von seinen Nachfolgern erwarb Unter den 50 Lam/vö'gtew, die bis 1798 auf es 1635 der Staat, der es mehrmals erweiterte dem Schloss residierten, finden wir neben Hand- und 1849 als Gemeinde- und Schulhaus an die werkern und Gewerblern aus der Hauptstadt Einwohnergemeinde abtrat. Fortan arbeitete vorerst noch drei Vertreter des Ministerial- und wohnte der Amtsschreiber im Schloss. adels. Es war die bewegte Zeit der eidgenössi- Auch der Landschreiber hatte einen ansehn- sehen Grossmachtstellung, die Wangen einige liehen Haushalt, wie wir aus einer Schrift von Haudegen als Herren beschied: Hans Heinrich J.R.Ernst wissen, der sich 1701 bitter über die von Banmoos, Sohn des ehemaligen Münzmei- illegale Konkurrenz der Dor/sc/ju/weLter be- sters, erstürmte 1475 mit Venner Achshalm an klagte, die seinem Monopol Eintrag täten: für der Spitze von 1300 Mann Stadt und Burg Pon- den Haushalt brauche er einen Knecht und tarlier und Hess die burgundische Besatzung zwei Mägde, für die Kinder einen Hauslehrer, erschlagen. Peter Baumgartner war Venner vor und in der Schreibstube beschäftige er meist Waldshut 1468 und vor Bellenz 1478, während drei Substitute. - Konnten die Landschreiber Bendicht von Weingarten 1513 bei Novara fiel. des 16./17. Jh. noch in den Grossen Rat ge- Schon ums Jahr 1500 finden sich unter den wählt werden und teils sogar zur Würde eines Vögten Vorfahren des spätem Patriziats: Fi- Landvogts aufsteigen, entstammten die Nach- scher, Thormann und Steiger, um 1600 dann folger ausser David Steiger nicht-regimentsfä- die ersten Fellenberg und Tillier. Von Vögten, higen Familien und blieben meist lebenslang die sich als Bauherren auszeichneten, ist schon auf dem Amtssitz. In Wangen hatte schon der die Rede gewesen. Erwähnt sei hier bloss noch nachmalige Ökonom J. R.Tschiffeli als Sohn Mathäus Ensinger, Spross des Münsterbau- des gleichnamigen Landvogts einen Teil seiner meisters, der in seiner Amtszeit 1513/18 den Jugend verbracht. Des Ökonomen zweiter Kirchen und Ursenbach je einen goti- Sohn, bisher Salzfaktor in Aigle, kam 1794 als sehen Glasgemälde-Zyklus verschaffte. Landschreiber nach Wangen, bevor ihn die Re- Dank der seit 1553 erhaltenen Landvogtei- volution zu einer Karriere in der Hauptstadt Rechnungen können wir Arbeit und Schicksal zurückführte, wo er Besitzer des Tiefenaugutes der Vögte besser verfolgen: nur zwei von ihnen wurde. Endlich amtete hier 1803-1831 Bern- starben 1553 und 1783 während ihrer Amtszeit. hard Albrecht Stettier als Amtsschreiber, des- Gar mancher aber begrub in der hiesigen Kir- sen Vater, bernischer Deutschseckelmeister, che Gattin und Kinder. Hans Rudolf Sinner uns 1805 ein Aquarell des südlichen Stadtein- (1668/74 Landvogt) war der einzige unter ih- gangs hinterlassen hat, wie seine Verwandten nen, der nachmals zur bernischen Schultheis- Schloss und Herrschaft Bipp in Wort und Bild senwürde gelangte und 1706 - wie vorher überlieferten. Amtsschreiber Stettier war mit schon Beat Fischer - zum erblichen Reichsfrei- der Tochter von Bernhard Ludwig von Muralt herrn ernannt wurde. vermählt, Oberamtmann in Wangen 1803- 1809. Auch Muralts Sohn schuf 1831 in Öl * * * zwei Ansichten, die uns das Städtchen von Sü- Bernburger war auch der LamAc/ireiker, den und den Blick auf die Schlossfront zeigen. rechte Hand des Landvogts und einziger öf- (Fortsefzimg/o/gf im nac/uleu ATa/em/erj fentlicher Notar der drei oberaargauischen Ämter. Nachdem die Regierung seit 1530 auf Karl H. Flatt 74