Unverkäufliche Leseprobe

Nick Mason INSIDE OUT Mein persönliches Porträt von

Eur 9,95 (D) / Eur 10,25 (A) / sFr 18,20 384 Seiten, 150 Fotografien, 133 x 210 mm, Taschenbuch Aus dem Englischen von Martina Tichy, Franca Fritz, Heinrich Koop ISBN 978-3-927638-39-0 – Erscheint im Mai 2007

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. © Rockbuch Verlag Buhmann & Haeseler GmbH, D-36381 Schlüchtern Leseprobe Kapitel 7

Nach dem Riesenerfolg von The Dark Side Of The Moon brachte uns die Aussicht auf die Arbeit am nächsten Album rasch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Dark Side erhöhte in dieser Hinsicht nur den Druck auf uns: Schließlich wollten wir uns auf keinen Fall vorwerfen lassen, unser Erfolgsalbum einfach zu kopieren, um daraus Kapital zu schlagen. Wir alle hatten den Wunsch, gleich wieder ins Studio zurückzukehren und uns an die Arbeit zu machen – und das, obwohl wir damals nicht an einen Vertrag gebunden waren, der uns dazu zwang, ein oder zwei Alben pro Jahr her- auszubringen. Ganz im Gegenteil: Es bestand keinerlei Ver- pflichtung, einen bestimmten Zeitrahmen einzuhalten. Ich kann mich auch nicht an besonderen Druck von Seiten der EMI erinnern, so schnell wie möglich Dark Side II: The Lunatic Returns auf den Markt zu werfen. Doch wahr- scheinlich war dies vor allem Steve O’Rourkes Fähigkeiten als Manager zu verdanken, der uns irgendwelche Anfragen seitens der Plattenfirma vom Hals hielt. Im Herbst 1973 kehrten wir, nach einer Juni-Tournee durch die USA und einer willkommenen Sommerpause, in die Abbey-Road-Studios zurück. Lindy und ich hatten unsere Ferien in einem Haus nahe Vence in den französischen Seealpen verbracht, nicht weit von L’Ousteroun entfernt, wohin sich Roger später – während der Aufnahmen von The

193 Wall – zurückziehen sollte. Im Studio begannen wir unsere Arbeit am neuen Album wirklich bei null: Nach Dark Side waren keinerlei Fragmente oder Songs oder Outtakes übrig geblieben, auf denen wir hätten aufbauen können. Die ersten Sessions verliefen richtig gut – allein das hätte unser Miss- trauen wecken müssen. In den vorbereitenden Gesprächen war die Idee aufgekom- men, eine Platte ausschließlich mit Geräuschen zu machen, die nicht von Musikinstrumenten stammten. Der Gedanke erschien uns bahnbrechend genug; also machten wir uns an unser neues Projekt mit dem Namen »Household Objects«, Haushaltsgegenstände. Im Rückblick erscheint mir das Konzept lächerlich bemüht – heute lässt sich jede Art von Sound sampeln und mithilfe eines Keyboards reproduzieren: von bellenden Hunden bis zu Atomexplosionen kann alles »gespielt« werden. 1973 brauchten wir dagegen zwei lange und arbeitsreiche Monate, um eine Anzahl von Klängen zusammenzustellen, die heute an einem Nachmittag bereit ständen. Doch wir empfanden die Dauer der Arbeit nicht als problematisch: In Wahrheit war sie eher ein Segen als ein Fluch für uns. Dieses Projekt bot uns die einzigartige Mög- lichkeit, auf unbestimmte Zeit nicht kreativ sein zu müssen – denn anstatt wirklich Musik zu machen, beschäftigten wir uns einfach mit den technischen Aspekten von Klängen. Fast alles, was wir jemals in einem Studio aufgenommen haben, ist irgendwann von irgendjemandem auf Band über- tragen und anschließend als Bootleg herausgebracht worden. Nur von den »Household Objects«-Bändern existieren solche Raubkopien nicht, wahrscheinlich aus dem einfachen Grund,

194 weil es uns nie gelang, tatsächlich irgendeine Art von Musik daraus zu machen. Wir erforschten die Klangwelten des Haushalts auf alle möglichen Arten: Für die Rhythmusspuren sägten wir Holz, schlugen mit Hämmern verschiedenster Größe auf unter- schiedliche Oberflächen ein oder trieben eine Axt in einen Baumstumpf; als Bassersatz zupften wir Gummibänder und ließen die aufgezeichneten Töne mit verlangsamter Bandge- schwindigkeit ablaufen. Wie eine Spielgruppe von Erwachsenen waren wir bemüht, Glühbirnen zu zersplittern und mit dem Finger über den Rand von Weingläsern zu reiben. Wir ergötzten uns an Wasserspielen, rührten in Schüsseln oder gossen Flüssigkeiten in einen Eimer. Wir rollten endlose Meter Klebeband ab, sprühten mit Spraydosen, zupften an den Drähten eines Eier- schneiders und klopften auf Flaschenöffnungen herum. Chris Adamson erinnert sich, dass wir ihn in die Haushaltswaren- geschäfte schickten, um dort Besen mit unterschiedlich dicken Borsten zu kaufen. Oder dass wir ihn darum baten, eine ganz besondere Sorte von Gummiband aufzutreiben, mit der Propeller von Modellflugzeugen angetrieben wurden. Selbst nach Wochen konnte von musikalischem Fortschritt keine Rede sein: Unfähig, den Schein länger zu wahren, mussten wir das Projekt in aller Stille begraben. Der Schwung innerhalb der Gruppe war beinahe zum Erliegen gekommen – von einem so vollkommenen Einsatz wie in den Anfängen der Band waren wir meilenweit entfernt. Einige von uns hatten Familien gegründet und erfuhren nun, welche Verantwortung und Ablenkung kleine Kinder

195 bedeuten. Meine Tochter Chloe war damals zwei, und Rick hatte sogar zwei Kinder, Gala und Jamie. Zur erweiterten Pink-Floyd-Großfamilie zählten noch Steve O’Rourkes Töchter Katy und Shena sowie Peter Watts’ Kinder Naomi und Ben. Roger war noch kinderlos, aber interessanterweise gehörte er zu den entschiedensten Fürsprechern möglichst kurzer Tourneen. Drei Wochen durch die USA erschienen uns sehr lang; schließlich waren die Zeitpläne und der Ablauf unserer Touren kaum dazu geeignet, unsere Familien mit- zunehmen. Bisher hatte stets ein einziger Mietwagen genügt, um die Band samt Management vom Flughafen zum Hotel und zum Auftritt zu bringen. Eine Person mehr hätte diese gewachsene Einheit aufgebrochen – abgesehen davon, dass ein zweites Mietauto nötig gewesen wäre und sich dann die Transportkosten verdoppelt hätten. Jenseits der Tourneen wurde uns allen mehr und mehr be- wusst, dass es ein Leben außerhalb der Band gab. Jeder von uns arbeitete noch mit anderen Musikern zusammen, als Künstler oder als Produzent. So fand David unter der Un- menge von Demobändern, die ihm zugeschickt wurden, eines von einer Schülerin, deren Talente als Songschreiberin und Sängerin ihn überzeugten. Daraufhin unterstützte er eine Zeit lang ihre Karriere und wurde mit der Tatsache belohnt, dass sie schon mit ihrer ersten Single ›Wuthering Heights‹ und dem Album The Kick Inside große Erfolge feierte – es war nie- mand anderes als Kate Bush. Ich unterstützte Robert Wyatt von Soft Machine bei der Arbeit an einem seiner Alben. Unsere langjährige Beziehung zu Soft Machine reichte zurück bis in die Underground-Tage

196 im Roundhouse oder im UFO und bis zu einer gemeinsamen USA-Tournee Ende der sechziger Jahre. Ich erinnere mich noch genau, wie ihr Sänger Kevin Ayers im New Yorker Chelsea Hotel mit dem Kopf nach unten vom Bett herabhing, um so den Verdauungsprozess zu fördern – alles nach den Regeln irgendeiner dieser vielen makrobiotischen Diäten, die er im Laufe der Jahre ausprobierte. Im Mai 1973 hatte ich eine Postkarte von Robert erhalten, auf der er mich fragte, ob ich sein Soloalbum produzieren könne. An dem Tag, als die Karte bei mir im Briefkasten lag, erfuhr ich außerdem, dass er aus einem Fenster gefallen und von der Hüfte abwärts gelähmt war. Im November des gleichen Jahres fand im Rainbow Theatre ein Benefizkonzert für Robert statt: Soft Machine eröffneten die Show, und danach traten wir auf und spielten eine leicht verkürzte Ver- sion unseres Earls-Court-Gigs, mitsamt dem Flugzeug, das über dem Publikum abwärts schwebte ... was allerdings nicht als Symbol für eine zerstörte Karriere gedacht war. Sechs Monate nach seinem Unfall kehrte Robert wieder ins Studio zurück; er war zwar nicht in der Lage, ein komplettes Schlagzeug zu bedienen, doch singen und Keyboards und Percussion spielen konnte er immer noch. Die Aufnahmen für sein Soloalbum Rock Bottom fanden im Winter 1973 in The Manor statt: Dieses Stammstudio der Plattenfirma Virgin lag in der Nähe von Oxford, war bewusst für Rockmusik konzipiert worden und bot eigene Unterbringungsmöglich- keiten, eine entspannte Atmosphäre sowie die Möglichkeit, völlig losgelöst von den Beschränkungen fester Studiozeiten aufzunehmen. Bootleg, eine riesige und unerschütterliche

197 Dänische Dogge, gehörte ebenfalls dazu. Roberts ständigem Strom fruchtbarer Ideen ausgesetzt zu sein, gehörte zu den dankbarsten musikalischen Erfahrungen, die ich außerhalb von Pink Floyd habe machen dürfen. Ich kam auf diese Weise auch noch einmal in den Genuss eines Auftritts bei Top Of The Pops – inklusive Waschen, Föhnen und Legen –, denn neben dem Album hatten wir eine Single produziert, die es zu unser aller Überraschung bis in die Charts schaffte. Bei diesem Song handelte es sich um eine reichlich schräge Version des Monkees-Hits ›I’m A Believer‹, inklusive eines legendären Avantgarde-Geigensolos von Fred Frith, der damals bei Henry Cow spielte. Obwohl die Stim- mung vor unserem Auftritt zunächst leicht getrübt wurde, weil die BBC Robert nicht in seinem Rollstuhl zeigen wollte, konnten wir dem Regisseur letztlich ein so schlechtes Ge- wissen machen, dass er nachgab und alle doch ihren Spaß hatten. Da nicht jeder Musiker zur Verfügung stand, der auf der Platte mitgespielt hatte, traten wir zu Vollplayback auf und brauchten noch zusätzliche »Bandmitglieder«. Unter ihnen war auch Andy Summers an der Gitarre, der damals noch nicht so recht wusste, was er mit sich anfangen sollte – The Police mussten erst noch erfunden werden. Pink Floyd verbrachten den Rest des Jahres 1974 damit, den grässlichen Moment hinauszuschieben, an dem wir mit einem neuen Album beginnen mussten. Und so wie wir Relics veröffentlicht hatten, als sich die Fertigstellung von Meddle verzögerte, erlagen wir erneut den Überredungskünsten der Plattenfirma und brachten eine Compilation heraus. Piper At The Gates Of Dawn und A Saucerful Of Secrets wurden

198 zusammengepackt und unter dem Titel A Nice Pair als Dop- pelalbum vermarktet, mit einem Cover voll visueller An- spielungen und Witze (Storms Idee einer unscharfen Brille ist bis heute einer meiner Favoriten). Außerdem brachen wir im Sommer 1974 zu einer kurzen Frankreich-Tour auf, bei der wir gewissermaßen die Strafe für einen früheren Anfall von Geldgier erhielten. Zwei Jahre zuvor hatten wir eingewilligt, uns für eine Werbekampagne des französischen Softdrinkherstellers Gini fotografieren zu lassen. Die Aufnahmen fanden in Marokko statt, sollten aber nur in Frankreich gezeigt werden. Wir hatten diese Erfahrung bequemerweise längst verdrängt – abgesehen von einem gele- gentlichen Anflug schlechten Gewissens, weil wir den Ver- lockungen des Geldes so leicht erlegen waren. Zur damaligen Zeit wurden Tourneen von den meisten Bands hauptsächlich als Möglichkeit betrachtet, ihre Albumverkäufe anzukurbeln, wobei sich hin und wieder, bei größeren Veranstaltungsorten, über die Eintrittskarten auch etwas Geld verdienen ließ. Die eigentliche Promotion bestand aufgrund des zumeist be- grenzten Budgets der örtlichen Veranstalter in hastigen, ille- galen Plakatklebeaktionen und ein paar Radio-Jingles der Band. Nun enthielt unser Vertrag mit Gini eine Klausel, die dafür sorgte, dass wir statt unserer üblichen, relativ unaufdring- lichen Werbung auf dieser Tour von einem ganzen Gini- Werbezirkus begleitet wurden. Mit dabei waren »Trend- setter«, zumindest nach Ansicht der Werbeagentur – sprich großbusige Schönheiten und Easy-Rider-Biker. Wie die sprichwörtliche Katze, der man eine Blechdose an den

199 Schwanz gebunden hatte, folgte uns durch ganz Frankreich ein schaurig-schöner Tross hipper Menschen mit dunklen Sonnenbrillen und Lederjacken, auf denen riesige Werbe- sticker für Gini Bitter Lemon zu sehen waren. Obwohl Steve viele Stunden damit zubrachte, den genauen Abstand zu ver- handeln, den diese Leute zur Band wahren mussten, war unsere so hart erarbeitete Glaubwürdigkeit bei den französischen Fans gründlich ruiniert. Unserer Crew machte diese Tour dagegen viel mehr Spaß als uns. Sie genossen die Gesellschaft unserer Mitreisenden und waren hocherfreut, stets Zugang zu einer Schar von Models zu haben, mit denen sich die langweiligeren Stunden des harten Roadielebens leichter ertragen ließen. Roger und ich verdrängten die Eindrücke, indem wir im September und Oktober Filme für unsere Englandtour im Spätherbst zusammenstellten. Bei den ersten Dark Side- Konzerten hatten wir Fragmente aus dem Surffilm Crystal Voyager sowie (bei ›Time‹) einen Animationsfilm von Ian Eames eingesetzt, diesmal wollten wir während des gesamten Konzerts bewegte Bilder laufen lassen – eine Mischung aus Archivmaterial und Sequenzen, die wir mit Blick auf einige Songs gedreht hatten. Rechtzeitig zur großen Englandtournee – unserer ersten seit zwei Jahren – wurde alles fertig, so dass dem ersten Konzert Anfang November in der Usher Hall in Edinburgh nichts mehr im Wege stand. Phil Taylor stieß auf dieser Tour 1974 zu uns, die er rück- blickend als »chaotisch« beschreibt. Er traf während der Proben ein, die in den Unit Studios im Londoner Stadtteil King’s Cross stattfanden – gleich neben der Wimpey Bar –, wo

200 wir an einigen neuen Songs wie etwa ›Shine On‹ und ›Raving And Drooling‹ feilten. Dieses »Probenstudio« war eigentlich nichts anderes als ein großer, leerer Raum, in dem wir eine Menge Krach machen konnten. Die Band durchlebte schwierige Zeiten – obwohl unser damaliges Publikum hoffentlich nicht viel davon merkte. Und auch der winterliche Regen hob die Stimmung nicht gerade. Obwohl wir zum ersten Mal über ausreichend Geld ver- fügten, unsere Bühnenshow ganz nach unseren Wünschen zu gestalten, herrschte eine gewisse Unzufriedenheit: Vielleicht lag es an dem, was wir taten, vielleicht aber auch daran, wie wir es taten. Inzwischen dämmerte uns allmählich, dass unsere angeblich so gute Idee – nie länger als einen Monat auf Tour zu gehen – auch ihre Nachteile hatte. Bei drei Wochen Länge war die erste Woche im Grunde eine mobile Durch- laufprobe; erst ab der zweiten Woche spielte die Band richtig zusammen, und in der dritten Woche beschäftigten wir alle uns kaum noch mit der Musik, sondern freuten uns schon auf unsere Rückkehr nach Hause. Personalprobleme verstärkten unsere Unzufriedenheit: Peter Watts hatte uns nach sieben Jahren als Chefroad- manager verlassen. Er war immer unzuverlässiger geworden. Da die vier Bandmitglieder nicht allzu gut harmonierten, gingen wir denkbar ungeschickt mit dieser Situation um. Mehr als einmal wurde Peter morgens von einem Bandmit- glied gefeuert, nur um am selben Nachmittag von einem an- deren aus der Band wieder eingestellt zu werden. Eine ganze Zeit lang fiel mir gar nicht auf, dass Peter ein ernsthaftes Drogenproblem hatte. Meine Sicht auf die Wünsche und

201 Beweggründe der Crew war ohnehin ziemlich naiv: So fand ich erst nach vielen Jahren heraus, dass ein langjähriges Crewmitglied nicht aus Begeisterung für die Musik zu uns gestoßen war, sondern um eine Drogenschuld zu begleichen, die er bei einem anderen Mitglied unserer Crew hatte. Als die Situation mit Peter untragbar wurde, bemühten wir uns, ver- ständnisvoller damit umzugehen als mit Syd. Also suchten wir für Peter einen Platz in einer Entzugsklinik. Diese Maß- nahme linderte, aber löste das eigentliche Problem nicht – Peter starb 1976 an einer Überdosis. Nach seinem Ausscheiden ernannten wir unseren obersten Bühnenbeleuchter Arthur Max zum neuen Roadmanager. Doch sein aufbrausendes Temperament und sein Ego, das ihn als Lichtdesigner so außergewöhnlich machte, wirkten sich kontraproduktiv auf seine Teamfähigkeit aus. Innerhalb der gesamten Crew, einem zusammengewürfelten Haufen von Technikfreaks und Kistenschiebern, gab es keinen wirklichen anderen Kandidaten für diesen Job. Arthurs Persönlichkeit trug nur noch mehr zum allgemeinen Chaos und den Spannungen untereinander bei. Taylors erste Begegnung mit ihm verlief typisch: In seiner neuen Funktion hatte Arthur die Oberaufsicht über alle Fragen der Technik – wozu auch der Sound gehörte, von dem er aber so gut wie keine Ahnung hatte. Als Phil Arthur fragte: »Was soll ich tun?«, brüllte Arthur nur zurück: »Frag mich nicht, tus einfach!« In letzter Minute hatten wir zudem einen Studio-Ton- ingenieur angeheuert, der keine Ahnung vom Aussteuern bei Konzerten hatte und dessen Job durch eine Reihe Faktoren, einige davon technischer Art, zusätzlich erschwert wurde. Die

202 Hallen, in denen wir seit dem Erfolg von Dark Side auftraten, waren größer als unsere bisherigen Auftrittsorte an den Universitäten; in der Regel waren es verhallte Mehrzweck- Arenen mit schwieriger Akustik und ohne vernünftigen Platz, an dem man ein Mischpult hätte aufbauen können. Das komplizierte Bereza-Pult, das wir bestellt hatten (es wurde speziell nach unseren Vorstellungen angefertigt), traf zu spät ein, hatte mit ernsten Kinderkrankheiten zu kämpfen und war mit keinem der Pulte vergleichbar, mit denen unser neuer Toningenieur bisher gearbeitet hatte. Unserem Mann gelang es auch nicht, eine entspannte Arbeitsatmosphäre zur Crew aufzubauen. Eines Abends montierte man ihm eine Auswahl von Feuerwerkskörpern unter das neue, rätselhafte Mischpult. Als der arme Ton- meister den Strom einschaltete, gingen die Böller und Raketen hoch und versetzten ihm den Schock seines Lebens, da er annahm, das nagelneue Wunderpult in die Luft gejagt zu haben ... Einmal als ideales Opfer gebrandmarkt, waren seine Tage auf der Tour gezählt.Nach drei Auftritten blieb uns nichts anderes übrig, als diesen Glücklosen durch Brian Humphries zu ersetzen, den wir bei unseren Aufnahmen zum Soundtrack von Barbet Schroeders Film More in den Pye Studios kennen gelernt hatten. Brian hatte die Show für ein Radioprogramm mitgeschnitten, und als er mit seiner Arbeit fertig war, zerrten wir ihn aus dem Aufnahmewagen der BBC und setzten ihn hinter unser Pult. Wir waren inzwischen vor- sichtiger und misstrauischer geworden und baten Chris Thomas, Brian bei der Arbeit über die Schulter zu sehen und sich ein Urteil zu bilden. Und Brian bewies, dass er sogar mit

203 zusätzlichem Druck gut umgehen konnte – vielleicht hatte er aber auch nur nicht bemerkt, dass Chris neben ihm saß. Damals zeichneten wir uns als Band durch einen hoch- gradigen Mangel an Engagement und Entschlussfreudigkeit aus. Uns allen war es beispielsweise wichtiger, noch rechtzeit- ig einen Squashcourt zu buchen, als an unseren Livesets zu arbeiten. Die Qualität unserer Auftritte fiel somit völlig unterschiedlich aus – wir hatten gute und schlechte (und ge- legentlich grottenschlechte) Tage, und zwar sowohl in technischer als auch in musikalischer Hinsicht. Die Aus- nahme von dieser Regel bildeten unsere beiden Background- sängerinnen, Carlena Williams und , die immer wunderbar sangen, großartig aussahen und sich auf ihre Zimmer zurückzogen, sobald die Band zu streiten oder zu schmollen begann. Nachdem unsere Earls-Court-Auftritte im Mai 1973 so großartig verlaufen waren, trugen die Probleme auf der aktuellen Tour nur zu unserer allgemeinen Frustra- tion bei und verstärkten das Gefühl, dass wir nicht mehr an einem Strang, sondern alle in verschiedene Richtungen zogen. Zwangsläufig gerieten wir dadurch auch ins Kreuzfeuer eines Teils der Musikpresse; vor allem Nick Kent vom New Musical Express, der seit jeher ein glühender Syd-Barrett- Verehrer gewesen war, hielt sich mit seinen Angriffen nicht zurück und verpasste uns eine Abreibung nach der anderen. Wir wussten, dass ein Teil seiner Kritik durchaus gerecht- fertigt war, und wahrscheinlich haben seine Kommentare sogar dazu beigetragen, dass wir uns wieder zusammen- rauften.

204 Davor hatte es für mich eine Zeitlang tatsächlich so ausge- sehen, als stünde das Ende der Band kurz bevor; Steve O’Rourke schwört darauf, dass damals jedes Bandmitglied einzeln bei ihm auftauchte, um seinem Ärger freien Lauf zu lassen – was teilweise in Ausstiegsdrohungen gipfelte. Für Roger gab es zu dieser Zeit sicherlich leichtere Wege, seine Ziele zu erreichen, und David sah sich ebenfalls nach Alter- nativen um. Selbst der abgeklärt wirkende Rick war nun mit seiner Geduld langsam am Ende. Ich meinerseits nahm mir vor, bis zum Schluss zu bleiben, das zerbrochene Geschirr wegzufegen und als Letzter das Licht auszumachen. Schließlich gelang es uns doch, uns zusammenzureißen und wenigstens noch einen Anschein von Ordnung zu wahren. Brian Humphries wurde für die kommenden vier Shows verpflichtet, die Mitte November im Empire Pool in Wembley stattfinden sollten. Andy Bereza bekam sein selbst entwickeltes neues Wunderpult zur Überarbeitung zurück. Arthur Max kehrte wieder in seinen natürlichen Lebensraum hinter der Lichtkonsole zurück und unser PA-Team Robbie Williams und Mick Kluczynski wurde zu Tourmanagern be- fördert. Inzwischen hatte die Band genug von Diskussionen und war bereit, wenigstens einige positive Entscheidungen zu treffen. Alle waren froh und dankbar, als Weihnachten nahte und die Tour in Bristol zu Ende ging. Der krönende Abschluss für mich war, dass ich wie ein König vor dem Hotel vorfuhr: Wieder einmal war es ein echtes Schnäppchen, diesmal ein Ferrari 265 GTB4. Am nächsten Morgen verbrachte ich erst einmal ein paar Stunden mit dem Auswechseln der Zünd- kerzen, um den Ferrari zum Anspringen zu bewegen, gefolgt

205 von einem weiteren Höllenritt, der Erinnerungen an den Bentley weckte – auch bei diesem Auto ließen sich die Brem- sen nur sehr unwillig zur Mitarbeit bewegen. Im Januar 1975 gingen wir erneut ins Studio. Die Mehr- spurtechnik hatte mittlerweile die Arbeitsatmosphäre völlig verändert, und der Aufnahmeprozess war extrem langwierig und anspruchsvoll geworden. Das bedeutete in meinem Fall, dass die Schlagzeugparts wesentlich strukturierter und damit auch viel sorgfältiger gelernt und eingespielt werden mussten. In den Anfängen der Band hatte ich mich enger an die Arrangements halten können, die wir für die Liveauftritte entwickelten. Die getrennte Aufnahme jeder einzelnen Trom- mel auf einer eigenen Spur führte letztlich dazu, dass man nun viel länger brauchte als früher, um zu einem Ergebnis zu kommen. Natürlich stellte diese Aufnahmeart eine wesent- liche Verbesserung der Studiotechnik dar, aber sie verstärkte auch das Gefühl, dass wir keine Band mehr waren, deren Sound im Zusammenspiel entstand. Nach der gemeinsamen Englandtour hatten wir Brian Humphries auch als Toningenieur mit ins Studio genommen. Damals war es immer noch selten, dass eine Band in den Abbey-Road-Studios mit einem Toningenieur arbeitete, der nicht von der EMI kam, und dementsprechend hatte Brian mit Eingewöhnungsproblemen zu kämpfen. Einmal gelang es ihm sogar, eine Rhythmusspur, an deren Perfektionierung Roger und ich viele Stunden gearbeitet hatten, mit zu viel Hall unwiederbringlich zu zerstören. Innerhalb der Band gab es Differenzen – für sich gesehen sicherlich belanglos, in ihrer Gesamtheit jedoch lästig genug,

206 um die Arbeit im Studio weniger konstruktiv zu machen, als sie je zuvor gewesen war. Festgemacht wurde das an der Frage der Pünktlichkeit: Wenn zwei von uns zum verabredeten Zeitpunkt im Studio eintrafen und die anderen beiden später kamen, waren wir durchaus in der Lage, uns in einen verita- blen Wutanfall hineinzusteigern. Am nächsten Tag spielten wir das Ganze dann mit umgekehrten Rollen – keiner von uns war in dieser Hinsicht frei von Schuld. Der Erfolg des Vorgängeralbums hatte auch Schattenseiten. Wir achteten nun stärker darauf, wer wie viel zu einem Stück beitrug und in welchem Verhältnis die Lorbeeren (und die Tantiemen) verteilt wurden. Inzwischen ging es einfach um viel mehr Geld. Mit Hilfe von Peter Barnes hatten wir die geschäftlichen Grundlagen neu geordnet und 1973 den Musikverlag Pink Floyd Music Publishing gegründet. Damals war es für eine Band sehr weitgehend, ihren eigenen Verlag zu besitzen – selbst den Beatles gehörte nur ein Teil von North- ern Songs – und die finanziellen Angelegenheiten direkt mit den Partnern in Übersee abzuwickeln. Die Entscheidung war goldrichtig, da sich herausstellte, dass EMI vergessen hatte, in den vergangenen drei Jahren einen sechsstelligen Betrag an Geldern einzufordern, die uns zustanden. Die Tantiemen von The Dark Side Of The Moon flossen jetzt direkt an uns. Lindy und ich zogen von Camden nach Highgate; wir stiegen wohnungsmäßig auf, doch an der Tat- sache, dass wir den ganzen Umzug mithilfe eines Transits und eines Roadies abwickelten, lässt sich ablesen, dass wir noch kaum weltliche Güter besaßen: Für eine Flotte von Möbel- wagen bestand kein Bedarf. Als wir vier später größere

207 Anwesen erwarben, konnten wir dann auf das Know-how von Innenarchitekten, Schreinern und Handwerkern zurück- greifen, die nicht nur bei der Renovierung unserer Häuser halfen, sondern auch für unsere Shows tätig waren. So konnte ich mich endlich meiner großen Leidenschaft, dem Auto- rennsport, widmen und gemeinsam mit dem Aston-Martin- Experten Derrick Edwards eine Firma gründen, in der wir Oldtimer restaurierten. Trotz unserer Probleme innerhalb der Band hatten wir zu- mindest den Anfang eines neuen Stücks fertig gestellt: ›Shine On You Crazy Diamond‹ spielten wir 1974 erstmals bei Proben an und entwickelten es im Lauf des Jahres dann bei Auftritten weiter. Roger hatte sich zu einem prägnanten, melancholischen Gitarrenriff von David einen Text einfallen lassen, und den Song zu einem festen Bestandteil unserer Englandtour im Spätherbst gemacht. Wir spielten ihn zu Beginn des ersten Sets, gefolgt von ›Raving And Drooling‹ und ›Gotta Be Crazy‹, zwei weiteren Songs von Roger, die wir jedoch im Studio zunächst auf Eis legten, da Roger als Gesamtkonzept für das Album bereits das Thema »Abwesen- heit« gewählt hatte. Und es war abzusehen, dass die beiden Stücke nicht in diesen Rahmen passten. Das Intro von ›Shine On You Crazy Diamond‹ enthielt das einzige Überbleibsel der »Haushalt«-Sessions: Wir füllten Weingläser mit unterschiedlichen Mengen Wasser und fuhren mit dem angefeuchteten Finger über den Glasrand, um Töne zu erzeugen. Diese wurden auf ein Sechzehnspur-Band über- spielt und zu Akkordclustern gemischt, so dass jeder Kanal mit einem bestimmten Akkord belegt war. Den gleichen

208 Effekt hätten wir mit einer Glasharmonika erzielen können, einem Instrument, bei dem über ein Keyboard rotierende Glasscheiben angesteuert wurden – doch nutzten wir dieses Gerät nicht. Wir unterbrachen die Studioarbeit, um im April 1975 eine weitere Amerika-Tour zu absolvieren. Und eine Lektion hatten wir gelernt: Unsere Liveshow zeichnete sich durch deutlich größere Professionalität aus. Bisher waren unsere Spezialeffekte eine gefährliche Mischung aus Phantasie und flüchtigen Kenntnissen der Pyrotechnik gewesen. Bei einem unserer früheren Gigs in der Cobo Hall in Detroit hätte eine Überdosis Flash Powder für Bühnenblitze unserer Karriere beinahe ein fulminantes, aber vorzeitiges Ende bereitet: Im entscheidenden Moment von ›Careful With That Axe‹ er- folgte statt des erwarteten Blitzes mit Knall eine Explosion derart monumentalen Ausmaßes, dass uns die Kalotten sämtlicher Lautsprecher um die Ohren flogen, worauf die Show ab da ziemlich dünn klang. Es flogen Splitter durch die Gegend und trafen mindestens einen Zuschauer, der es zum Glück ablehnte, sich ins Krankenhaus bringen zu lassen. Stattdessen begnügte er sich mit einem T-Shirt als Ent- schädigung. Roadmanager Chris Adamson erinnert sich, dass die Explosion die Lautsprecher von Rogers Bassverstärker zehn Reihen tief in die leeren Sitze hinter der Bühne schleuderte und die Crew den nächsten Tag damit verbrachte, die gesamte Anlage neu zu verkabeln. Bei einem Auftritt im Boston Gardens postierte der Ver- anstalter in der gesamten Halle zahlreiche Feuerwehrleute, um zu verhindern, dass wir uns unbefugt pyrotechnisch

209 betätigten. Als der Beginn der Show näher rückte, war nir- gendwo ein Feuerwerkskörper zu sehen – wir hatten sie in Kisten versteckt, zu denen die einzelnen Crewmitglieder munter pfeifend spazierten, um das Feuerwerk zu gegebener Zeit zu zünden. Die Feuerwehrleute rochen zwar Lunte, die Crew war ihnen jedoch immer einen Schritt voraus. Als einer der Roadies zur nächsten Kiste hechtete und von einem kräftigen Feuerwehrmann mit einem Rugby-Tackle zu Boden gerissen wurde, bewies eine Explosion auf der anderen Seite der Bühne, dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver gehandelt hatte. Es war nur dem irischen Namen unseres Managers und seinen Verbindungen in Boston zu verdanken, dass wir nicht alle ins Gefängnis wanderten. Für die Amerika-Tour 1975 hatten wir uns glücklicher- weise die Dienste von Derek Meddings gesichert, dem Altmeister der Spezialeffekte, der auch für einige der besten Explosionen in den James-Bond-Filmen verantwortlich zeichnete. Dereks Know-how war von unschätzbarem Wert. Und seine Arbeit für die Bond-Produktionen machte enormen Eindruck auf die Feuerwehrbehörden: Man begriff, dass wir jetzt wussten, was wir taten. Meddings Beteiligung war ebenfalls ein Zeichen für die zunehmende technische Perfektion und Professionalität der Crew. Im Mai und Juni kehrten wir in die Abbey-Road-Studios zurück, um Wish You Were Here weiter zu entwickeln. Zur gleichen Zeit nahmen der Jazz-Violinist Stephane Grappelli und der klassische Geiger Yehudi Menuhin ebenfalls dort auf. Der Gedanke, sie zu bitten, ein paar Takes für uns einzu- spielen, lag förmlich in der Luft. Wir hofften, sie könnten

210 etwas zum Titelsong beitragen, da dies im Grunde ein akustisches Stück war. Die beiden waren über unsere Anfrage erfreut. Aber nur Stephane nahm die Herausforderung an, während Yehudi es vorzog, Stephanes geschmeidiger Jazz- violine zu lauschen. Es war ein Experiment, und als klar wurde, dass wir die Violinaufnahme doch nicht brauchten, löschten wir die Geigenspur auf dem Mehrspurband. Ich war immer davon ausgegangen, dass von diesen Aufnahmen nichts mehr existiert, aber Phil Taylor erzählte mir, dass irgendwo im Archiv noch Mitschnitte herumlägen. Roy Harpers Gastauftritt war mehr Erfolg beschieden. Roy, eine Mischung aus Dichter und Troubadour, stand in der Tradition großer englischer Exzentriker. Er kam aus dem Stall von Peter und Andrews Firma Blackhill und nahm in der Abbey Road gerade sein Album HQ auf. In einem anderen Aufnahmeraum des gleichen Studiokomplexes kämpften wir mit der Frage, wie ›Have A Cigar‹ zu singen sei. Roger war mit seinem gesanglichen Beitrag nicht zufrieden. Rick und ich meinten, David sollte die Nummer singen, doch auch er wusste nicht, ob er ihr gerecht werden konnte. Roy war kurz zuvor in den Regieraum gekommen – wir besuchten uns manchmal gegenseitig bei den Aufnahmen – und bot an, den Gesangspart zu übernehmen. Ich glaube, vor allem Roger be- dauerte es später, die Nummer nicht selbst eingesungen zu haben: Er ging zunehmend davon aus, die von ihm geschriebenen Stücke sollten besser auch von ihm selbst gesungen werden. Während unserer Aufnahmesessions in der Abbey Road bekamen wir am 5. Juni vollkommen unerwarteten Besuch.

211 Als ich in den Regieraum schlenderte, bemerkte ich dort einen großen, fetten Kerl mit kahl rasiertem Kopf, der einen alten, abgerissenen Regenmantel trug, eine Plastiktüte in der Hand hielt und mich mit einem im Grunde freundlichen, aber geistesabwesenden Gesichtsausdruck ansah. Da ihm sein Erscheinungsbild unter normalen Zuständen kaum einen Zutritt zum Studiobereich verschafft hätte, nahm ich an, dass er mit einem der Toningenieure befreundet war. Schließlich fragte mich David, ob ich wüsste, wer das sei. Selbst dann konnte ich den Mann noch nicht einsortieren, und David musste mir erst die Augen öffnen – es war Syd. Und obwohl das über zwanzig Jahre zurückliegt, kann ich mich noch genau an das Gefühl der Bestürzung erinnern, das mich damals überkam. Syds körperliche Verfassung traf mich wie ein Schlag. Ich hatte immer noch das Bild des Mannes vor Augen, den ich sieben Jahre zuvor zum letzten Mal gesehen hatte – fast vierzig Kilo leichter, mit dunklen Locken und einem über- schäumenden Temperament. Dabei dachte ich weniger an den ausgelaugten Syd, der die Band 1968 verlassen hatte, als vielmehr an den Menschen, der gerade von Cambridge nach London gezogen war und diese unverwechselbare Fender Esquire mit den reflektierenden Abziehfolien spielte, dessen Kleiderschrank mit Thea-Porter-Hemden voll hing und der eine wunderschöne blonde Freundin hatte. Jetzt erschien er mir wie ein Mann, der überhaupt keine Freunde mehr besaß. Er redete unzusammenhängend und seine Sätze ergaben keinen richtigen Sinn – wobei ich fairer- weise zugeben muss, dass sicher keiner von uns so recht

212 wusste, was er sagen sollte. Ich hatte keine Ahnung, was er hier wollte. Er war nicht eingeladen, und ich hatte ihn seit seinem Austritt aus der Band 1968 nicht gesehen, während Roger, Rick und David 1970 an Syds Soloalben mitgearbeitet hatten, Roger und David bei The Madcap Laughs und David und Rick bei Barrett. Syd lebte noch immer in London – eine Zeitlang hatte er in einer Suite des Hilton Hotel residiert – und musste nun von unseren Aufnahmen in der Abbey Road gehört haben. Sein Erscheinen weckte heftig und unerwartet viele Erinnerungen an eine wichtige Phase der Band und löste auch Schuldgefühle aus. Wir hatten alle dazu beigetragen, dass sich Syd nun in diesem Zustand befand, durch Ab- lehnung, Mangel an Verantwortung, Rücksichtslosigkeit oder schlichtweg durch puren Egoismus. Ein zufälliges Zusammentreffen mit Syd auf der Straße wäre schon unangenehm gewesen, ihm jedoch ohne jede Vor- warnung hier im Studio3 zu begegnen, erschütterte mich tief. Und die Tatsache, dass es sich nicht um irgendeinen Auf- nahmeraum handelte, sondern um den Ort seiner größten Erfolge und seinerzeit genau so sein Revier wie unseres –, machte die Angelegenheit umso bitterer. Irgendwie erinnerte er mich an Peter Pan, der bei seiner Rückkehr das Haus un- verändert, die Menschen aber vollkommen verwandelt vorfindet. Hatte er wirklich erwartet, wir wären noch die gleichen Männer wie vor sieben Jahren und hätten nur darauf gewartet, wieder mit ihm zu arbeiten? Wir versuchten, die Aufnahmen fortzusetzen, und ließen das Stück noch mal laufen, an dem wir gerade arbeiteten. (Es soll sich dabei um ›Shine On You Crazy Diamond‹ gehandelt

213 haben, das Stück, dass durch Syd bzw. durch seine Abwesen- heit besonders geprägt ist, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob das stimmt.) Jedenfalls waren wir alle durch sein uner- wartetes Auftauchen etwas aus der Bahn geworfen. Syd hörte sich das Playback an und wurde um einen Kommentar ge- beten. Ich kann mich nicht erinnern, ob er irgendeine deut- liche Meinung äußerte. Als jedoch der Vorschlag kam, das Stück noch mal anzuhören, fragte Syd, wozu, wir hätten es doch gerade erst gehört ... Phil Taylor hielt sich ebenfalls gerade in der Abbey Road auf, als Syd uns besuchte. Irgendwann fand er sich in der Caféteria wieder, zusammen mit David und Syd an einem Tisch. David fragte Syd, was er als Nächstes vorhabe. »Also«, sagte Syd, »ich hab einen Farbfernseher und einen Kühl- schrank. Und ich hab ein paar Schweinekoteletts im Kühl- schrank, aber die sind ständig aufgebraucht, so dass ich jetzt noch welche kaufen muss.« Als Phil den Studiokomplex später verließ, sah er Syd, der nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau hielt; aber da sich Phil nicht sicher war, ob er ein weiteres Gespräch mit Syd überstehen würde, duckte er sich, als er an ihm vorbeifuhr. Abgesehen von den merkwürdigen Umständen seines Be- suchs müssen wir Syd zugestehen, dass er bei diesem Stück als Katalysator gewirkt hat. Der Songtext stand bereits fest, doch Syds Stippvisite unterstrich die Melancholie und beeinflusste vielleicht auch die endgültige Version. Für mich ist es immer noch der ergreifendste Moment des ganzen Albums, wenn die letzten Töne ausklingen und Rick wehmütig ein paar Melodie- fetzen von ›See Emily Play‹ in den oberen Oktaven anspielt.

214 Nach dem Erfolg von Dark Side waren wir in der Lage einige aus dem Rahmen fallende Ideen mit Storm und Hip- gnosis anzugehen. Storm präsentierte vier oder fünf Ent- würfe, die irgendwie auf Songs des Albums Bezug nahmen – darunter war auch der Mann in der Wüste, der in der Bewe- gung erstarrte Kopfsprung, der brennende Geschäftsmann und der fliegende Schleier. Anstatt uns für eine einzige Idee zu entscheiden, beschlossen wir sie alle im Gedächtnis zu be- halten. Nach dem Ende der Aufnahmen widmeten wir uns ganz unserer Liveshow. Wir kamen überein, einen Regisseur für die an die Rückwand zu projizierenden Filme zu engagieren und fanden ihn in dem Ungarn Peter Medak, zu dessen früheren Filmen A Day In The Death Of Joe Egg und The Ruling Class zählten. Er drehte ›Money‹ und ›On The Run‹ nach. Der Ein- satz eines professionellen Filmregisseurs spiegelte unser Be- streben, ein hohes Niveau zu erreichen – aus dem gleichen Grund beauftragten wir Gerald Scarfe, die Zeichen- tricksequenzen zu gestalten. Ich hatte von Gerry Scarfe den wundervollen, handgeze- ichneten Animationsfilm Long Drawn-Out Trip gesehen, den er für die BBC angefertigt hatte, und als wir nach neuen Ideen suchten, musste ich sofort an ihn denken. Gerry ist ein sehr kultivierter Mann mit eindeutigen Ansichten zur Politik und zum Leben und seine Art von schwarzem Humor passte her- vorragend zu uns. Wir entwickelten rasch ein gutes Arbeits- verhältnis. Er schuf diverse Figuren und Filmsequenzen, darunter auch eine vom Wind ausradierte Menschengestalt und ein surreales, gürteltierähnliches Monster für ›Welcome

215 To The Machine‹. Genau wie die Arbeit mit Derek Meddings bewies auch die Verpflichtung von Gerry, dass uns der kom- merzielle Erfolg Möglichkeiten eröffnet hatte, mit den besten Leuten ihres Faches zusammenarbeiten zu können. Im Juni 1975 tourten wir erneut durch Amerika und ver- suchten, immer funktionalere Effekte in unsere Bühnenshow zu integrieren. Zu den sensationellsten Fehlschlägen in dieser Hinsicht zählt wohl die aufblasbare Pyramide. Roger besann sich auf sein – freundlicherweise vom britischen Steuerzahler finanziertes – Architekturstudium und entwarf eine pyramidenförmige Bühne mit aufblasbarem Dach; damit löste er alle Designprobleme rund um die Größe der von uns benötigten Bühne und bot uns gleichzeitig Schutz vor den Unannehmlichkeiten des Wetters. Wir waren von seiner Idee begeistert und fest davon überzeugt, dass alles phantastisch aussehen würde. Als Krönung des Ganzen sollte die Pyramide auf dem Höhepunkt der Show in den Himmel entschweben – emporgehievt von einer Kabeltrosse –, um so das ver- sammelte Publikum in Entzücken zu versetzen. Der erste Auftritt der Tour fand in Atlanta statt, wo der Wind mit einer Stärke blies, die jenseits unserer Sicherheits- maßnahmen lag, und so dafür sorgte, dass das Ganze kläglich scheiterte. Mit allen Mitteln versuchten wir das Problem zu beheben, indem wir die gesamte Konstruktion zur Reparatur und Überarbeitung schickten, während wir eine Reihe von Hallenauftritten absolvierten. Doch als wir zwei Wochen später nach Pittsburgh kamen, verfolgte uns das schlechte Wetter, so dass wir neben den Problemen mit dem Helium- transport noch mit starken Windböen zu kämpfen hatten

216 und schließlich – wie Kapitän Hornblower im Kampf mit einem zerrissenen Großsegel – gezwungen waren, die Pyra- mide zu kappen. Die Konstruktion stieg etwa hundert Meter auf, ehe sie in sich zusammenfiel, wobei der in der Spitze befestigte Ballon wie eine Träne aus dem unteren Teil zum Vorschein kam. »Mein Gott, das Ding bekommt ein Kind«, rief ein Ameri- kaner, dessen Bewusstsein sich auf chemischer Basis erweitert hatte. Als die Träne in Richtung Stratosphäre strebte, hatte die Deckplane natürlich zu wenig Auftrieb, so dass der Welt größtes nasses Bettlaken ziemlich unelegant auf dem Park- platz landete, wo sich Souvenirjäger wie die Geier drauf- stürzten und es in tausend Stücke rissen. Am Ende dieser Vorstellung konnten wir von der Bühne in den Zuschauer- bereich hinunterspringen und vollkommen unbehelligt zu unserem nahe gelegenen Hotel schlendern. In diesem Augen- blick begriffen wir, dass unsere Pyramide einen größeren Wiedererkennungswert besaß als wir Musiker – was uns gar nicht so unlieb war. Das Frühstück unserer Crewmitglieder war ein viel- sagender Indikator dafür, dass die Tourneen gigantischer wurden. Es wurde bereits nach der Show um zwei Uhr mor- gens angeliefert und war offensichtlich so konzipiert, dass man während der darauf folgenden 24 Stunden nichts mehr zu sich nehmen musste: Steaks, Eier, Speck, Würstchen, Brat- kartoffeln mit Zwiebeln, Waffeln, Muffins und Pfannkuchen wurden neben riesigen Mengen frischer Früchte, Müsli, Toast und Sirup gereicht. Fruchtsäfte, Kaffee und eine Auswahl an alkoholischen Getränken rundeten das Ganze ab.

217 Unser Hunger nach Bühneneffekten war ähnlich unersätt- lich und begleitete uns auch bei der Kanada-Tour. Ermutigt von Alan Frey, unserem langjährigen amerikanischen Agen- ten, kamen übereifrige Crewmitglieder zu dem Schluss, der beste Weg zur »Entsorgung« unserer restlichen Feuerwerks- körper bestünde darin, sie an der beleuchteten Anzeigetafel des Stadions zu befestigen und abzufeuern. Die darauf fol- gende Explosion war verheerend. Die Anzeigetafel ging in Rauch und Flammen auf – es war, als hätte jede Mannschaft tausend Tore gleichzeitig geschossen. Danach kehrten wir überstürzt nach England zurück, zu einem Auftritt beim Knebworth-Festival. Der Zeitplan war viel zu knapp. Dazu kam, dass die Generatoren vor Ort keinen konstanten Strom lieferten. Im Laufe des Nachmittags wurde deutlich, dass Ricks sämtliche Keyboards neu ge- stimmt werden mussten. Irgendwie gelang es uns, diese Tat- sache nonchalant zu ignorieren, doch als die Dunkelheit an- brach und die Bühnenbeleuchtung eingeschaltet wurde, wechselten Ricks Keyboards mit jeder Lautstärkenänderung auch die Tonart. Es klang furchtbar. Irgendwann dämmerte uns, dass die Keyboards sogar die Tonart änderten, sobald jemand nur das Mastervolumen der Lautsprecheranlage berührte. Unter der Bühne bemühten sich Phil Taylor, Robbie Williams und die Techniker verzweifelt, die Generatoren in den Griff zu bekommen – es muss wie in einer Szene aus Das Boot ausgesehen haben. Phil erinnert sich, dass ihre An- strengungen »mannhaft, aber aussichtslos« waren, während die Keyboards weiterhin munter zwischen Dur und Moll schwankten.

218 An einem bestimmten Punkt marschierte Rick verzweifelt von der Bühne, doch irgendwie gelang es uns, den Auftritt mit Hilfe eines Klaviers und einer dezenteren Lightshow durchzustehen. Trotz der technischen Probleme auf und unter der Bühne konnten wir das Publikum mit einem großartigen Effekt in Bann ziehen: Es war uns gelungen, statt der beiden Modellflugzeuge, die wir bei unseren früheren Auftritten verwendet hatten, als Showauftakt zwei echte Spit- fire-Jäger aus dem Zweiten Weltkrieg über die Köpfe der Zuschauer donnern zu lassen.

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