Heft III/2000 Jahrgang 37 Lebendiges Rheinland-Pfalz ISSN 0934-9294

Zeitschrift für Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur

Fotokunst in Rheinland-Pfalz

Marta Hoepffner,

Magische Realität

1957 ies ist vorläufiger Blindtext, der später ersetzt wird angelegtenheinland-Pfalz umfassenden ist Geburts- Restauration und Wirkungsstätte des von namhaften DKaiser- undFotokünstlern, Mariendoms deren zu Speyer Werke nimmt inzwischen die ganz ohne Zweifel zu den WiederherstellungRstil- der und »Schraudolph-Fresken» richtungsweisenden Beispieleneinen der noch jungen Gattung bedeutendenFotokunst Platz gehören.ein. Aus AnlassEinem derglücklichen ersten Begeg- Umstand ist es zu verdanken, dass nung derwir breiten auf die Öffentlichkeit umfassende mit Sammlung einem großflächig von Franz Toth zurückgreifen konnten, der darüber hinaus als Autor dieses Heft maßgeblich mitgestaltet und auch als Kurator einer auf diesem Heft basierenden Fotoausstellung in der Staatskanzlei Mainz mitwirkt. In dieser Ausstellung wird ebenso wie in diesem Heft versucht, einen möglichst repräsentativen Überblick der Entwicklung der Fotokunst in diesem Jahrhundert zu geben.

S.2 Links: J. B. Hilsdorf, 1860

Rechts: Wolfgang Reisewitz, 2000

Inhalt Erfreulicherweise sind dabei auch zeitgenössische Foto- S. 3 Kunst in der Fotografie – grafen aus Rheinland-Pfalz vertreten, die sich an der Fotografie als Kunst in diesem Jahr erstmals durchgeführten Ausstellung Dr. Berthold Roland »Künstlerische Fotografie in Rheinland-Pfalz« beteilig- ten. S. 6 Die besonderen Leistungen im Bereich der künstlerischen Fotografie Seitdem es Fotografie gibt, haben sich Maler und Kunst- in Rheinland-Pfalz theoretiker mit dieser Einordnung und Bedeutung für Franz Toth den künstlerischen Schaffensprozess beschäftigt.

Angesichts der durch Fernsehen und Internet gestei- S. 8 Nicola Perscheid (1864–1930) gerten Bilderflut ist dazu die Frage nach dem »Kunst- Prof. Fritz Kempe (1909–1988) gehalt« der Fotos noch drängender geworden – scheint doch das Filmen und Fotografieren zur selbstverständ- S. 11 Theodor Hilsdorf (1868–1944) lichen Sozialkompetenz zu gehören. Franz Toth Die in den Fotos erstarrte Stille des Augenblicks ist S. 14 Jacob Hilsdorf (1872–1916) für viele offenbar zum Mittel geworden, mit dem sie Franz Toth die reale Wirklichkeit zu sehen, einzuordnen und zu

entschlüsseln versuchen. Mit der in unserem Alltag S. 17 August Sander (1876–1964) zunehmenden Bilddynamik und Virtualität könnte Gabriele Conrath-Scholl auch das Bedürfnis nach mehr Ruhe und größerem Realitätsgehalt geweckt sein. Die künstlerisch ambi- S. 22 fotoform und tionierte Fotografie könnte sich in diesem Umfeld dann subjektive fotografie immer mehr von einer Hilfs- zu einer »Leitkunst« ent- Franz Toth wickeln, wenngleich die Digitalisierung inzwischen S. 22 Wolfgang Reisewitz Gestaltungen ermöglicht, die den Realitätsgehalt der Bilder bis zur Gestaltungsidee verdünnen können. Prof. Dr. Karl Steinorth Mein Dank gilt den Künstlern, Bild- und Leihgebenden S. 25 Toni Schneiders und Autoren sowie Dr. Berthold Roland für seinen Prof. Dr. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth besonderen Anteil an dem Zustandekommen dieses S. 28 Fotografie in Rheinland-Pfalz Heftes. Dr. Ariane M. Fellbach-Stein Jürgen Pitzer S. 36 Ausstellung Fotografie 2000 In eigener Sache: S. 42/43 Autoren und Impressum Das letzte Heft »Vom Papyrus zum Datenträger Papier« ist mit dem Designpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet worden.

2 1839 Fotokunst in Rheinland-Pfalz Daguerres Kamera

III/2000

Kunst in der Fotografie - Fotografie als Kunst

Dr. Berthold Roland

Die Fotografie nimmt im Bereich der Kunst heute eine wesentliche Rolle ein. Verwundert stellt man fest, wie viele Foto-Ausstellungen in privaten und öffentlichen Galerien, auch in traditionell ausgerichteten Museen stattfinden, wie die Kunstauktionshäuser mit Versteige- rungen historischer und zeitgenössischer Fotografien zu sehr ansehnlichen Preisen auf sich aufmerksam machen. Spezielle Zeit- schriften weisen auf Foto-Ausstellungen und heftig anlässlich einer speziellen Fotografie- Lenbach, Selbstaufnahme, Auktionen hin. Mancher Kunstsammler in Ausstellung im Grand Palais: »Ein rachsüch- vor 1896 (links) und herkömmlichem Sinn fragt sich, woher diese tiger Gott hat die Wünsche der Masse erfüllt, Aufwertung der Fotografie kommt? Seit wann und Daguerre war sein Messias. Und jetzt Stuck, Bildnis Lenbach ist das so? Beim näheren Hinblicken stellt sagt sich das Publikum: ›Da uns die Fotogra- zum 60. Geburtstag, man fest, dass diese Entwicklung in Deutsch- fie die Exaktheit der Wirklichkeitsdarstellung land eigentlich erst mit den 70er Jahren ein- voll garantiert, wie wir sie uns nicht besser Pinselzeichnung für die getreten ist. wünschen können, sind Fotografie und Kunst dasselbe.‹« Und er polemisiert weiter: »Die Festnummer der »Allotria« Die Erfindung der Fotografie vor 160 Jahren Fotografie muss zu ihrer eigentlichen Aufga- 1896 (rechts) war eine Sensation, gewiss nicht zufällig zu be zurückkehren, Dienerin der Wissenschaf- einem Zeitpunkt, als der Realismus die Kunst- ten und der Kunst zu sein, eine sehr beschei- szene beherrschte. Die ersten Fotografen dene Dienerin, so wie Druck und Stenografie, waren Künstler, Lithografen. Sie benutzten die weder Literatur schaffen noch ersetzen die neue »grafische« Kunst in ihrer Unbe- können.« Vieles von den folgenden Diskus- stechlichkeit der realistischen Wiedergabe sionen über das Verhältnis zwischen Kunst mit Begeisterung. Es gehört zur Geschichte und Fotografie wird hier bereits angesprochen. der Fotografie-Aufwertung, dass in den letz- ten Jahrzehnten zusehends erforscht wurde, Der nicht zu übertreffende Realismus der wie viele Künstler selbst fotografierten, wie Fotografie musste die Künstler in Aufregung Maler in ihrer Arbeit von Fotografien beein- versetzen. Die Maler begannen mit der wirk- flusst wurden – man denke nur an Delacroix, lichkeitsgetreuen Fotografie zu wetteifern. Courbet, Millet, Degas, Lenbach, bis hin zu Und die Wechselwirkung setzte sofort ein. Zille –, wie die Entwicklung der Kunst von Manche Künstler haben nur insgeheim von dem Medium Fotografie einen starken Impuls der Fotografie profitiert (Ingres), andere haben erfuhr. Ein druckgrafisches Verfahren der sich sogleich zu ihr bekannt. Das neue Medi- 50er Jahre des 19. Jahrhunderts, der Glas- um verbreitete auch Angst, Existenzangst, klischeedruck (cliché verre), den besonders so vor allem bei den Miniaturmalern, den Corot ausübte, profitierte von der Fototechnik. Malern der Porträts en miniature der bürger- lichen Welt. Ihre Aufgabe übernahmen die Die Erfindung der Fotografie löste einen Fotografen. Schock aus. Der Historienmaler Paul Delaroche stellte lapidar fest: »Ab heute ist die Malerei Die künstlerische Intention lag beim Ursprung tot«, so sehr schockierten die ersten Daguer- der Fotografie vor. Dass sich die Fotografie reotypien. Turner rief aus: »Dies ist das Ende bei ihrer rasanten Verbreitung auch zu ganz der Kunst. Ich bin froh, dass meine Zeit vor- anderen Ufern bewegte, vor allem zu Repro- bei ist.« Und Baudelaire engagierte sich 1859 duktionszwecken, und damit den bisherigen

3 Aufgabenbereich der Lithografie übernahm, des amerikanischen Professors Edward Muy- war anfänglich so nicht abzusehen. Wir beob- bridge vor der versammelten Künstlerschaft achten das interessante Phänomen, dass die erregten. Es waren durch ausgezeichnete Entwicklung der Fotografie im Gegensatz zur Lichtbilder illustrierte Ausführungen über Entwicklung der Lithografie, deren Erfindung die Bewegung der Menschen und der Tiere, eine Sensation bei der Druckgrafik bedeutet besonders in den damals noch ungekannten hatte, verläuft. Senefelders Erfindung war Darstellungen einzelner Phasen einer Bewe- zunächst zur billigen Reproduktion von gung in ihrer fortschreitenden Entwicklung. Musikstücken, von Notenblättern, gedacht. Von diesem Tage an war für uns der farbige Johann Christian von Mannlich, der pfalz- Stich eines englischen Wettrennens mit der zweibrückische Hofmaler und danach der ausgestreckten Vor- und Nachhand der sehni- erste Generaldirektor der pfalz-bayerischen gen Cracks eine unmögliche Darstellung Kunstschätze, kam darauf, von 1810 an die geworden.« großartigsten Gemälde und Zeichnungen der Um 1900 fanden Fotografen zu Gruppierun- Münchner Sammlungen von jungen Künst- gen, Clubs in England, Frankreich und den lern lithografieren zu lassen und so ein USA zusammen, welche die Kunstphotogra- künstlerisch hochwertiges Katalogwerk zu phie, die künstlerische Fotografie, Fotografie schaffen, das Goethe mit Beifall aufnahm: als selbstständige Kunstgattung propagier- eine Vorstufe zu unseren Katalog-Kunst- ten, um gegen den Niedergang der Fotogra- büchern. Dass die Lithografie selbst als fie anzukämpfen. Denn die Fotografie hatte eigenständiger Kunstzweig begriffen werden inzwischen alle Bereiche des Lebens, nicht zu- konnte, kam erst später, kam mit Daumier letzt durch das private Fotografieren, erfasst. und der großen französischen Plakatkunst Der Anspruch, Kunst zu sein, ging zurück. des 19. Jahrhunderts sowie der Druckgrafik Aber immer gab es Einzelpersönlichkeiten, des 20. Jahrhunderts. Der Höhepunkt der die die künstlerische Fotografie neben der Lithografie wird in den als selbstständige allgemeinen Strömung pflegten. Es sind zeit- Kunstwerke auftretenden Farblithografien liche Stufen, Trends in der Fortentwicklung des vergangenen Jahrhunderts erreicht. zu erkennen. Die subjektive, kreative Foto- Interessant ist es, lithografierte und fotogra- grafie nach dem Zweiten Weltkrieg (Otto Stei- fierte Porträts derselben Personen um die nert, Saarbrücken 1951) bedeutete eine er- Mitte des 19. Jahrhunderts miteinander zu neute Hinwendung zur künstlerischen Foto- vergleichen. Die Wechselbeziehung ist spür- grafie nach all dem Fotojournalismus und den bar, oft sind die Fotografien in ihrer bis zum Bildreportagen der zurückliegenden Jahre. Es Surrealen gebrachten Wirklichkeit überlegen. setzte eine Besinnung auf die frühen Werte Retusche oder gar Farbfassungen waren eher der Fotografie ein, zugleich aber auch ihre An- schädlich. wendung auf alle Bereiche des Wiederauf- baus, der Neuorientierung des Alltags, des Auf eine besondere Wirksamkeit der Foto- politischen und gesellschaftlichen Lebens. Es grafie auf die Malerei ist hinzuweisen: auf gab auch die moralisch engagierte Fotorepor- die Momentaufnahme, später die Zeitlupe im tage (Gründung »Magnum« 1947), die ein Zei- Film. Wir wissen von deren Bedeutung für chen gegen die Hektik des Alltags setzen, die die Tanzszenen von Degas, für seine Beob- in einzelnen Fotografien spannende Anteil- Heinrich Zille, um 1900. achtung der Balletteusen. Die Bewegungs- nahme an der Welt zeigen wollte, im Gegen- abläufe bei Menschen und Tieren konnten Gespannte Zuschauer, satz zur täglichen oder gar stündlichen Bild- erstmals genau studiert werden. Emil Orlik Berichterstattung. Rummelplatzaufnahme berichtet in dem seinem Malerfreund Max Slevogt gewidmeten Essay- Und die Wechselwirkung von Malerei und Band »Kleine Aufsätze«, 1924, Fotografie wurde wieder bedeutsam. Bekannt »Über Photographie«: »Ich er- ist, dass Francis Bacon für seine monströse innere mich, welches unge- Bildwelt immer Fotos heranzog. Maler began- heuere Aufsehen in München nen mit künstlerischem Anspruch zu fotogra- im Jahre 1890 die Vorträge fieren. Paradebeispiele in Deutschland sind Fotokunst in Rheinland-Pfalz

Gerhard Richter und Sigmar Polke. Richter malte seit 1962/63 nach Foto-Schnappschüs- sen und Zeitungsfotos, nicht zuletzt auch aus dem Bedürfnis, Malerei zu vereinfachen. »Wir trauen der reproduzierten Realität, dem Foto, mehr als der Realität selbst. Wir glauben an die Wirklichkeit des Fotos.« Welchen Er- folg er mit dieser Periode seines Schaffens hat, beweisen die Preise, die für solche Bilder heute erreicht werden. Sigmar Polke glaubt an die Ästhetik der Amateurfotografie, arbei- Rückkehr zur Gegenständlichkeit der Male- Camille Corot, tete mit Unter- und Überbelichtungen, Un- rei, vielleicht auch etwas mit einem gewissen Der Träumer, 1854 schärfen, Doppelbelichtung, Gegen- und Überdruss an der zeitgenössischen Malerei- Streulicht, experimentierte mit den Möglich- Szene zu tun. (cliché verre). keiten des Mediums Fotografie und überhöht Was reizt den Sammler von Fotografien heute? Bei dem Glasnegativ so ihren magischen Charakter, wird selbst Nicht nur die Pioniertat von Fotografen, nicht zum Fotografen mit einem eigenen Werk. wurde die Zeichnung nur der historische Bereich der Fotografie, Das Fotografieren des Mikro- und Makrokos- die authentische Information über vergange- in eine beschichtete mos mit Ergebnissen entsprechend der ab- nes Leben, das Festhalten der augenblicklich strakten Kunst (Juliane Roh: Fotografik) und Glasplatte geritzt vorübergehenden Gegenwart, der flüchtigen der Fotorealismus in der Malerei sind Son- Zeit, sondern keineswegs weniger die künst- derformen der wechselnden Beeinflussung. und auf Foto-Papier lerischen Aussagen der Fotografie über die Das Einwirken der Fotografie auf die Malerei immer wieder neue Wirklichkeit. Es interes- belichtet ist in der verschiedensten Weise schon in den sieren Fotografien, die sich überzeugend als 20er Jahren, bei Moholy-Nagy, Joseph Albers, eigenständiges Kunstwerk von heute einbrin- Hanna Höch oder Rolf Cavael, bei den zeit- gen. Auf den Auktionen werden Fotografien genössischen Künstlern unter anderem bei auch der neuesten Zeit wie originale Druck- Anselm Kiefer, Arnulf Rainer, Wolf Vostell grafik bekannter Künstler gehandelt. oder Dieter Roth zu konstatieren. Geradezu die Fusion von Malerei und Fotografie ge- Das Wechselspiel zwischen Fotografie und schieht bei Rauschenberg und Warhol mittels Malerei, von Anfang an vorhanden, ist nicht der beim Farbsiebdruck verwendeten Foto- zu Ende, es wird in der sich verändernden grafie mit gezielt fehlerhaften, an- und über- Kunstwelt weitergehen. Der Fotohistoriker schneidenden, so genau nicht mehr herzu- Bruce Bernard äußerte sich über das Verhält- stellenden Abzügen. Diese Vorgänge in der nis, den stetigen »Entdeckungsprozess« zwi- Malerei haben der Eigenwertigkeit der Foto- schen Malerei und Fotografie, dass »beide je- grafie einen enormen Auftrieb gegeben. weils bestimmte Eigenschaften des anderen Mediums vorwegnehmen«. Die moderne Anerkennung der Fotografie als künstlerisches Medium, als eigenständiger Letztlich gilt der in Orliks Essay »Über Photo- Kunstbereich, beobachtet man in Deutsch- graphie« überlieferte eindeutig-lapidare und land seit der Ausstellung des Fotoforums in auch wieder zu hinterfragende, auf die Kunst Kassel 1975. Als eigentlicher Durchbruch in allgemein zielende Satz: »Wer es kann, ist diese Richtung wird die Documenta 6, 1977, ein Künstler.« Und er meint lakonisch, damit gewertet. Den Fotografen gelingt der Einzug, wäre der »müßige Kampf, den die Fotografen die Mitgliedschaft im Deutschen Künstler- oder Lichtbildner – wie sie sich heute nennen bund. Das Anlehnen der Künstler an die Foto- – um die Einreihung ihres Wirkens in das grafie, die Anleihen, die Maler bei der Foto- Kunstgebiet kämpfen«, entschieden. grafie machten, haben der Fotografie ein neu- es Selbstbewusstsein gegeben. Die Anerken- nung der Fotografie hat wohl auch mit der

5 Die besonderen Leistungen im Bereich der künstlerischen Fotografie in Rheinland-Pfalz

Franz Toth

Das Themenheft Fotografie ist den besonde- ren Leistungen von Fotografen unseres Lan- des in der nunmehr 160-jährigen Geschichte des Mediums gewidmet.

Den ersten historischen Schwerpunkt sehen wir mit den vier Fotografen, Nicola Perscheid, Theodor und Jacob Hilsdorf und August Sander gegeben. Diese vier Fotografen haben in der Zeit der »Kunstphotographie« die künstlerische Erneuerung der Fotografie nach 1890 mitgetragen, welche die Entwick- lung zur »modernen« Fotografie im 20. Jahr- hundert vorbereitet hat.

Der zweite geschichtliche Schwerpunkt ist in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit den rheinland-pfälzischen »fotoform«-Gründern (1949) Wolfgang Reisewitz (Jg. 1917) und Toni Schneiders (Jg. 1920) gegeben. Dazu kam Marta Hoepffner, die 1912 in Pirmasens geborene Künstlerin, deren Arbeiten in den 50er Jahren zur anspruchsvollen Fotografie in Deutschland gehören. Das Ministerium für Kultur, Jugend Familie und Frauen hat 1999 ihr Lebenswerk mit dem Kunstpreis Rhein- land-Pfalz gewürdigt. Sie verstarb im April diesen Jahres.

Zum dritten Akzent ermutigt uns der Titel der Zeitschrift »Lebendiges Rheinland-Pfalz«, die aktuelle Szene der künstlerischen Arbeit mit Fotografie zu beleuchten, ohne histori- August Sander, sche Wertung, da es sich dabei nur um einen sehr begrenzten Ausschnitt aus dem Gesamt- Handlanger schaffen in Rheinland-Pfalz handeln kann. 1928 Eine relative Objektivierung erlaubt uns die Ausstellung »Fotografie 2000«, die das Mini- sterium zusammen mit dem Kunstverein Eisenturm Mainz e.V. und der Stadt Mainz im August 2000 in der Rathausgalerie aus- gerichtet hat.

6 Fotokunst in Rheinland-Pfalz Kodak Prosc No. 1 1905

Nicola Perscheid, III/2000

Max Klinger

1915

Pigmentdruck

Künstlerische Fotografie »Künstlerische Fotografie« ist ebenso wenig verbindlich zu definieren wie »Die Kunst« selbst. Es lassen sich zwar Kriterien finden und Formulierungen verwenden, die plausi- bel erscheinen, aber letztlich bleibt die ge- stalterische Qualität des einzelnen Bildes allein bestimmend für eine Zuordnung.

Die »Kunstphotographie« ist ein feststehen- der Stilbegriff für die Fotografie um 1900, die auch als Fotografie der Jugendstilzeit bezeich- Entsprechend sollten wir zum einen den Theodor Hilsdorf, net wird, und sollte daher in der traditionel- Begriff »künstlerische Fotografie« im Sinne Bäume am Bach len Schreibweise (mit »Ph«) erhalten bleiben. eines gehobenen Anspruchs an das einzelne Kunst-Photographie gilt es in doppeltem Werk verstehen, zum andern als Vereinba- 1918, Pigmentdruck Sinne zu verstehen: einmal als Bezeichnung rung werten, dem subjektiv bestimmten, frei- für die Verwendung von »Edeldrucken« wie en bildnerischen Spiel des Foto-Künstlers mit Gummi-, Pigment- und Bromöldrucken, zum den unterschiedlichen Mitteln und Techniken andern als anspruchsvolle Fotografie, die der Fotografie und Grafik gerecht zu werden. sich der Ästhetik des Jugendstils zuordnen Alle Wertungen, besonders aktuelle, sind sehr lässt, ohne sich der grafischen »Veredelung« schwierig und letztlich subjektiv, auch wenn zu bedienen. sie von einer Jury ausgehen. Die Gefahr, effektvolle Innovationen und riesige Formate Jacob Hilsdorf, der Präsentation überzubewerten, ist stets Schwestern gegeben.

Hasenclever Immerhin eröffnet die fotografische Technik als bildnerisches Medium fortgesetzt experi- 1912 mentelle Freiräume zur medienspezifischen Silbergelatine Gestaltung, auch zur Kombination mit ande- ren Bildtechniken der Malerei und Grafik, der Objekt- und Konzept-Kunst. Die Grenzen zwi- schen Kunst und Fotografie verwischen sich zusehends und erschienen bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitge- hend aufgehoben. Zwischen »Kunst mit Foto- grafie« und »Fotografie als Kunst« dürfte keine definierbare Grenze auszumachen sein. 7 Nicola Perscheid (1864-1930)

Prof. Fritz Kempe (1909–1988)

Nicola Perscheid wurde am Platte, darauf eine Gruppe von fünf Personen, 3. Dezember 1864 in Mosel- und nun davon ein Dutzend gleicher Copien weis geboren. Seine Vorfahren anferigen zu muessen! Ich legte also unter waren spanisch-portugiesische Anweisung des Herrn Benda Wattebäusche Weinbauern, die vor 250 Jah- auf dies oder jenes Gesicht der Gruppe, um ren an den Rhein kamen, wo zurückzuhalten, da es mir schon zu dunkel sie den Namen des Dorfes erschien, während andere, noch ganz blass, anzunehmen hatten, in dem weit zurückzubleiben schienen. Endlich war sie sich niederließen. Das Dorf eine meiner Dutzendbestellungen fertig ge- Perscheid liegt zwischen Ober- druckt, endlich waren sie aus dem Tonbad wesel und Kreuznach. Nach genommen, waren roetel, sepia oder schwarz, der Dorfschule kommt er 1879 je nach den Bestellungswünschen, und end- in die Fotografenlehre zu lich schwammen sie alle im Wasser und wur- Nicola Perscheid, Reuss und Möller in . Vor und nach den von mir sauber gewaschen.« der Militärzeit geht er auf Wanderschaft in Selbstbildnis Dies Waschen oder Wässern unter dem eisig- deutsche und ausländische Ateliers. Er ist kalten Wasserstrahl von einer Schale in die um 1910 lernbegierig und dem chevaleresken Nicola andere war eine der Barbarismen der mittel- Perscheid – er heißt eigentlich Nicolaus, auch alterlichen Fotografie, denn Rheuma oder noch in seiner Frühzeit – sieht man später Gicht waren die unabweisbaren schmerzhaf- den Jungen vom Dorf nicht an. Und doch mag ten Folgen davon ... der Wind, den er sich um die Nase wehen Nicola Perscheid, ließ, Ursache sein für seinen Hang zum Nicola Perscheid hatte in seiner Wanderzeit Pompösen, zum Luxus und zur Gesellschaft. in zwei Jahre lang Landschaften Fräulein Sakur Mme. d’Ora, die nicht aufgehört hat ihn zu aufgenommen, was er auch später ab und zu 1905 bewundern und den »Meister aller Meister« tat. In Wien, so soll er gelegentlich selbst zu nennen, spricht von seiner Verschwen- erzählt haben, fand seine Erweckung zum dungssucht. »Er liebte alles in grossem Stil, Porträtfotografen durch die Begegnung seine Prunkräume, im grossen Stil, seine mit Velazquez statt; wo sich dies ereignete, Aufnahmen, bei welchen es ihm nie einfiel, im Kunsthistorischen Museum oder durch an den Materialverbrauch zu denken.« Reproduktionen in einem Schaufenster, da- rüber ist sich die Fama nicht einig. Jedenfalls Der Meister war ein hervorragender Tech- machte Perscheid sich in Görlitz 1891 selbst- niker. Selbst wenn er seine 18x24-Aufnah- ständig, ging indes schon 1894 nach , men meist zu kurz belichtete, was »Dorchen« wo ihm auch zur Künstlerschaft Kallmus zu Verzweiflung brachte, denn sie Kontakte verschafft. Er hat Klinger auch musste diese Platten bei Tageslicht kopieren; mehrfach porträtiert, so in der Manier der und der Meister war ein leicht erregbarer vignettierten Fotoskizze, den Kopf aus dem Herr. Seiner Meinung nach zu helle Kopien weißen Grunde herauswachsend. Als Per- nannte er wutentbrannt »Leichen«, zu dunkle scheid sich mit elf Kohledrucken an der waren »Mohren«. Aus ihrer Lehrzeit 1907 siebenten Internationalen Jahres-Ausstellung berichtet »Dorchen« alias Mme. d’Ora: »Und von Kunstphotographien 1899 in Hamburg nun denke man sich eine unterbelichtete beteiligt, da kommt Max Klinger gleich nach König von Sachsen im Katalog. Für die Por- träts der beiden forderte Perscheid je 150,– Mark . . .

8 9 Als sich Perscheid 1905 in niederge- lassen hatte, kam ihm viel Sympathie ent- gegen. Elisabeth von Igel schrieb in der Zeit- schrift »Sonne« zu seinem Einzug: »Berlin wird von jetzt ab einen der grossen Kunst- photographen sein eigen nennen: Nicola Perscheid gibt seinen jahrelangen Wohnsitz in Leipzig auf, um nach Berlin zu ziehen . . . Er ist ein Feind der Retouche im Sinne dessen, was man bei der Portraitphotographie bisher darunter verstand, und doch kennt er Retou- che, das Ausgleichen technischer Fehler, das Fortnehmen eines aufdringlichen Licht- effekts, die diskrete Aufhellung der Schatten. Er sucht die Hauptaufgaben des Portraitisten in der Wahrung des Eigenartigen, Persön- lichen des Menschen, nie im Effekt. Und seine Bilder zeugen davon, daß ihm das in der Vollendung gelingt.«

Es blieb auch Nicola Perscheid nicht erspart, für seine Kunden Porträt-Konsumware zu liefern; dem sind nur ganz wenige Fotogra- Noch zuvor wurde sein Atelier aufgelöst; Nicola Perscheid, fen entgangen. Tragisch ist, dass seine Kräf- 171 Nummern enthielt der Auktionskatalog Gerhard Hauptmann, te zu erlahmen begannen, als er endlich die des repräsentativen und wertvollen Mobili- »Portrait-Linse« bekommen hatte, die nach ars. Auch der Blüthner-Flügel war dabei, der Dichter, 1914 seinen Angaben von Busch-Rathenow kon- Arthur Benda so erstaunte, als er 1906 das struiert worden war. »Sie zeichnet wunderbar Berliner Atelier Perscheids betrat. Bei Farb- plastisch und malerisch, am schönsten bei aufnahmen setzte sich die »Empfangsdame«, großen Köpfen.« Es klingt fast zärtlich, was Fräulein Jungmann hieß sie, ans Klavier, um Perscheid am 14. Februar 1930 schrieb. Am die langen Expositionszeiten zu überbrücken. 30. Mai des Jahres starb er. Sie war auch das Modell, mit dem Nicola Perscheid viele seiner Landschaftsaufnah- men belebte. Emil Waldmann ließ Perscheid verschiedene Bremer Persönlichkeiten in der Kunsthalle porträtieren. 1925 schrieb Wald- mann über Perscheid: »Wer von Hause aus auf den Augen unmusikalisch ist, wird nie- mals eine künstlerische Wirkung auf den ersten Augenblick sehen, so wie der auf den Ohren Unmusikalische nie eine Harmonie, sondern immer nur Töne hört. Auf den ersten Augenblick aber kommt es an.«

Literatur

Fritz Kempe: »Dokumente der Photographie 1 – Nicola Perscheid, Arthur Benda, Madame d’Ora«, Hamburg 1980

Nicola Perscheid, Nicola Perscheid,

König von Bayern Damenbildnis, Reiterin

Ludwig III., um 1917 um 1912

10 1888–1895 Fotokunst in Rheinland-Pfalz Cartridge Kodak Nr. 5

III/2000

Theodor Hilsdorf Der Vater war mit seinen fotografisch an- (1868-1944) spruchsvollen, großformatigen Sepia-Porträts bei den großen deutschen und internationa- len Ausstellungen vertreten. Franz Toth Theodor Hilsdorf, nach seiner Heirat Geschäfts- partner, führte das 1903 vom Schwiegervater Die Entwicklung des Fotografen übernommene Atelier bis zu seinem Tode im Johann Baptist Hilsdorf, der Vater Kriegsjahr 1944 unter dem Namen Friedrich der beiden vor dem Ersten Welt- Müller-Hilsdorf weiter. Dieses wurde im krieg sehr bekannten Fotografen, Januar 1945 durch Bomben völlig zerstört. eröffnete im Jahr 1861 das erste Von den weit über 100.000 Negativen, die Fotoatelier in Bingen. Der ideen- nach 75 Jahren Atelier-Geschichte die Archiv- und erfolgreiche, vielseitige Ge- Regale füllten, sind noch ca. 2.000 brauchbare schäftsmann hatte sich zuvor bei Platten im Münchner Stadtmuseum (Foto- den Gebrüdern Matter in Mann- museum) vorhanden. Mit den Original-Foto- heim das notwendige handwerkli- grafien aus dem Familienbesitz bilden sie che Rüstzeug erworben. Das be- den bescheidenen Rest eines Lebenswerks, kannte Atelier wirkte damals bis das vor seiner Vernichtung als kulturge- weit herüber in die südliche Pfalz. schichtliches Dokument einer Epoche wohl einmalig war. Über Jahrzehnte hin kamen Jacob Hilsdorf, Theodor erlernte beim Vater das Fotografen- Professoren der Universität und Künstler der handwerk – wie später auch der Bruder Jacob. Theodor Hilsdorf Akademie, des Konservatoriums, der Schau- Während der Lehre beim Vater genoss Theodor spiel- und Opernhäuser Münchens in das 1908 Hilsdorf bei dem Mainzer Künstler Schmitt- zentral gelegene Haus Müller-Hilsdorf in der mer Privatunterricht im Zeichnen. Die zeich- Amalienstraße. nerische Begabung ist nicht zu übersehen. Die Arbeiten des 16-jährigen Theodor belegen, Heiteres Leben brachten die Künstler ins dass er sich eine solide handwerkliche Grund- Haus, die Porträt-Sitzungen endeten häufig lage erwerben konnte. gesellig und stimmungsvoll. Frau Johanna Bauer, die älteste Tochter (1900-1997), Nach der Lehre beim Vater hat der junge Foto- graf Theodor Hilsdorf auf seiner Wander- schaft, besonders in der Schweiz, Kollegen- Theodor Hilsdorf, Freundschaften knüpfen können. Er lernte Stefan George Friedrich Müller in München kennen, der ihn 1891 in sein Atelier aufnahm. Mit des- 1928 sen Tochter Emilie verlobte sich Theodor Hilsdof 1893, nach einem Amerika-Aufent- halt heirateten sie 1894. Friedrich Müller machte seinen Schwiegersohn Theodor zum Geschäftspartner.

Es war die Zeit der Sepiaplatin- und der Pigmentdrucke, die mit hohem Arbeits- und Zeitaufwand hergestellt wurden. Das war vor dem Ersten Weltkrieg. In der Kinderzeit der beiden Töchter Johanna und Carola (vor 1910) drehte sich alles um »Sepias«.

11 war als Kind zugegen und später Empfangs- Arbeiten so verwendet hat, dass ihre ästhe- dame im Atelier, konnte in vielen Erinne- tische Qualität einerseits dem künstlerischen rungen und Anekdoten die Zeit wieder leben- Anspruch an ein bildnerisches Medium voll dig werden lassen. gerecht wird und andererseits seine Porträts und Landschaften ganz und gar fotografisch Der Ruf ins Rote Palais oder in die Residenz bleiben, ohne durch die Spuren mechani- in München war ebenfalls etwas Besonderes, scher Einwirkungen den Bildern den charak- und zum aufregenden Ereignis für die Hils- ter einer künstlerischen Grafik geben zu dorf-Töchter wurde die Ankunft von Mitglie- wollen. Das zeigt sich besonders in seinen dern aus dem Königshaus im Atelier, wenn Landschaften, die er als freier Fotograf künst- der rote Teppich ausgerollt und die Lorbeer- lerisch frei gestalten konnte. Hier hätte er bäume aus der Stadtgärtnerei aufgebaut »Kunst« machen können wie die Kollegen, die waren, der Prinzregent mit Familienmitglie- für die Abteilung Kunst in den großen inter- dern und Gefolge kam, wo die kleine Johanna, nationalen Ausstellungen der Kunstphotogra- die jüngere Carola neben sich, mit Sträuß- phie ganz andere Arbeiten produzierten als chen und Gedichtchen den Prinzregenten be- die für die professionelle Fotografie. grüßten, von ihm huldvoll nach dem Namen gefragt wurden und zum Andenken eine In seinen Auftragsarbeiten musste er weit- kleine Goldmünze erhielten. gehend konventionell bleiben, den Maler in seinem Atelier und den Geheimrat in seinem Die historische Leistung des Porträt- Heim so darstellen, wie man es von ihm er- und Kunstfotografen Theodor Hilsdorf wartete. Eine Reihe seiner publizierten Bild- nisse zeigen sehr deutlich den Einfluss Len- Neben der Fülle der Bild-Dokumente zur kul- bachs, wenn er zum Beispel in den dunklen turellen und gesellschaftlichen Entwicklung Bildgrund hinein einen kreisförmigen oder Münchens in einem Dreiviertel-Jahrhundert ovalen Rahmen einkopiert. Hier blieben seine (wenn man Müller und Hilsdorf zusammen Theodor Hilsdorf Bilder bei aller professionellen Qualität häu- sieht), hat Theodor Hilsdorf aus unserer Sicht fig hinter den Ausdrucksmöglichkeiten zu- Links: Vier Generationen einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der rück, die er doch hatte und die er da zeigte, künstlerischen Fotografie geleistet, wie es aus im Bayerischen Herrscher- wo er sich auf seine Weise auf die dargestell- seiner Zeit heraus noch nicht verstanden te Person ebenso konzentrieren konnte, wie haus, 1905 werden konnte. er sich auf die Bildmäßigkeit einer Land- Rechts: Königin Marie Die erhaltenen Originale zeigen sehr deut- schaft einstellte und diese in einer brillanten lich, dass er die grafischen Möglichkeiten des Technik zum Ausdruck brachte. Und dabei Theresia von Österreich- fotografischen Verfahrens (Gummidruck, machte er die Aufnahmen meist so nebenbei Este (Modesta), um 1915 bes. Sepiaplatin- und Kohledruck) in seinen beim Spaziergang oder in den Ferien mit einer für damalige Verhältnisse kleinen Taschenkamera.

Porträts und Landschaften haben in der Sepiaplatin- bzw. Kohletechnik die ästheti- sche Qualität, die man von einer in sich stim- migen künstlerischen Aussage allgemein erwarten kann. Und es ist eine klare Linie erkennbar, wenn er mit diesen Techniken die fotografisch bleibenden Verfahren gewählt hat.

Theodor Hilsdorf,

Reinhold Begas,

Bildhauer, um 1910

12 13 Jacob Hilsdorf (1872-1916)

Franz Toth

Die Entwicklung des Fotografen Jacob Hilsdorf wurde 1872 in Bingen geboren, Auch Stefan George wie sein Bruder zuvor erlernte auch er beim war dort gern zu Vater Johann Baptist Hilsdorf das Fotografen- Gast, wenn er sich handwerk. Mit abgeschlossener Lehre war in Bingen aufhielt. Jacob Hilsdorf, Jacob auch in anderen Ateliers tätig, zuletzt Jacob lernte einige Jacob Hilsdorf, 1908 bei Nicola Perscheid in Leipzig. Dort lernte er Persönlichkeiten aus dem George-Kreis ken- Elisabeth Gausche kennen, die er 1897 in nen, darunter den Maler Melchior Lechter, Großherzog Bad Kreuznach heiratete. Zugleich übernahm mit dessen Bildnissen (und anderen) er nach er das Atelier des Vaters in der Kapuziner- 1903 international bekannt wurde. Der jüngs- Ernst Ludwig straße in Bingen. Aus der Ehe gingen eine te Bruder Hans gründete nach seiner Lehre 1905 Tochter und ein Sohn hervor. Die Familie bei Bruder Jacob das Hans-Hilsdorf-Werk in wohnte in der Kapuzinerstraße, dem Atelier Bingen, das im Jahr 2000 aufgegeben werden gegenüber. Man hielt sich gern im Landhaus musste. der Eltern auf, dem so genannten Schießhaus Im Jahre 1906 baute Jacob Hilsdorf ein Wohn- im Rochusweg, heute Rochusallee 34. Damals haus mit Atelier in der Mainzer Straße, heute war das Haus noch völlig abgelegen in den Nr. 29. Er war bereits weit über Bingen hi- Weingärten am Rochusberg. naus bekannt. Die Liste der großen Namen dieser Zeit aus Politik, Adel, Hochfinanz und Künstlerprominenz, die er aufsuchte, und die Liste der großen Städte Deutschlands und des europäischen Auslands, in denen er gear- beitet hat, belegen seine enorme Mobilität. Damit verband sich eine Arbeitsintensität, die neben dem Erfolg große Anspannung über Jahre brachte. 1912 verlieh ihm der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein für seine Verdienste den Titel »Großherzoglicher hessischer Hofrath«.

Der private Bereich war nicht unbelastet. Er blieb erfolgreich, aber 1915 gab es Anzeichen einer Gemütskrankheit, und am 11. Januar 1916 setzte er seinem Leben bewusst ein Ende. Er fühlte sich verbraucht, er wollte auf der Höhe seines Lebens »abtreten« und nicht auf seinen persönlichen Verfall warten. Jacob Hilsdorf, Die Gründe für seine Ängste sind uns nicht Cosima Wagner bekannt. Bei der Lektüre seines Abschieds- briefes ist man betroffen von der Konsequenz um 1910 seiner persönlichen Entscheidung.

14 Fotokunst in Rheinland-Pfalz Reisekamera von Jacob Hilsdorf um 1900

III/2000

Die historische Leistung Wie diese mag auch Jacob Hilsdorf Jacob Hilsdorf, des Fotografen Jacob Hilsdorf mit »Edeldrucken« experimen- Damenbildnis Jacob Hilsdorfs Bildnisse ste- tiert haben, aber den Schritt hen außerhalb der damaligen zur Grafik machte er nicht. um 1910 »Kunst«-Diskussion. Sie blei- Damit war er bei den inter- ben spezifisch fotografische nationalen Ausstellungen Bildnisse, die keine Stilrich- immer nur bei den Fachfoto- tung der Kunst nachahmen, grafen vertreten, während schon gar nicht eine impressio- andere große Fotografen nistische Oberflächenstruktur zusätzlich in den Abteilungen noch eine harte expressionistische der freien künstlerischen Foto- Kontur. Und dennoch ist in seinen Bil- grafie präsentiert wurden. dern die Lichterfahrung und Spontaneität Jacob Hilsdorfs Fotografie dürfte wohl eine des Impressionismus zu spüren, dazu die in der Tat wesentliche und damit künstlerisch Konzentration auf das Wesentliche, ob in gestaltende Handhabung der zum Allerwelts- klassizistischer Klarheit oder expressiver ding gewordenen Technik gewesen sein in Kompaktheit der Form in der Spannung der einer Zeit, in der es heftige Auseinander- Bildfläche und in einer ausgewogenen Dia- setzungen gab um das »Künstlerische« und lektik der Figur-Grund-Beziehung, die sich »Bildmäßige« in der Fotografie. Unübertroffen nicht formalistisch verselbstständigt, sondern hat Heinrich Simon in dem Nachruf auf Jacob semantisch der Person verantwortlich bleibt. Hilsdorf formuliert: »Eine lange Reihe pracht- Wir erkennen einen Bildnis-Gestalter mit handwerklich-künstlerischer Ausbildung, der zugleich die Kunsterfahrung der Zeit in sich trägt in der Teilhabe an einem allgemeinen Bild-Bewusstsein. Man kann ihn zwar mit Berechtigung als Jugendstilfotografen be- zeichnen, zumal sich seine Schaffensjahre weitgehend mit der Dominanz dieses Stils decken. Und doch ist er mehr als ein Salon- fotograf der Zeit. Der gehobenen Gesellschaft zwar weitgehend angepasst und den Auf- traggebern verpflichtet, ist er zugleich höchst eigenständig und damit im Wesent- lichen progressiv.

Und es sind gerade die unkonventionellen Bilder, mit denen er schlagartig berühmt wurde: Seine Lechter-Bilder, sein Richard Dehmel und vor allem seine Menzel-Bilder wurden nach der Hamburger (1903) und voll modellierter und seelisch tief erfaßter Jacob Hilsdorf, Köpfe legt Zeugnis ab von dem Können des Berliner Ausstellung (1904) immer wieder Familie Gustav Krupp als etwas Besonderes gewürdigt. Man kann Photographen und Psychologen Hilsdorf. ihn in dieser Zeit auch international zu den Seine Menzel-Bilder zum Beispiel, der von von Bohlen und führenden und großen Bildnisfotografen ihm lange Jahre umworbene Kopf des Dich- Halbach, 1915 zählen, da er über mehrere Jahre in Ausstel- ters Stefan George, das Bildnis des Kardinal lungsbesprechungen immer zur Spitzengrup- Rampolla und viele, viele andere geben weit pe der deutschen Fotografen gerechnet, mehr als die Erscheinung der Dargestellten, zusammen mit (und gelegentlich vor) Rudolf sie vermitteln einen Begriff von ihrem Wesen Dührkoop (1848-1918), Nicola Perscheid und werden sich neben den Gemälden, zu (1864-1930) und Hugo Erfurth (1874-1948) denen diese Männer saßen, dauernd behaup- genannt und bewertet wird. ten.« (Frankfurter Zeitung 17. 1. 1916)

15 Jacob Hilsdorf,

Adolf von Menzel

1904

Seine Begabung zeigt sich besonders in den Immer ist etwas in Jacob Hilsdorfs Bildern, Damenbildnissen in galanter und subtiler das persönlicher wirkt als die vorgegebenen Weise, denn er tritt ihnen sichtlich nie zu Formen und gesellschaftlichen Normen es zu nahe, findet aber genau die Nähe und den erlauben scheinen. Seine Sicherheit im Um- Abstand, die der Frau stets ihre Würde belas- gang mit den formalen und materialen Be- sen, auch wenn eine jugendliche Schönheit dingungen seines Mediums, Geist, Humor in sinnliche Nähe gerückt wird. Die reiferen und Fantasie erlaubten ihm spontane und Damen in gehobener Stellung sind distan- unübliche Varianten in stets präzisen und zierter, doch verlieren sie selten ihre Weib- bildmäßig gültigen Formulierungen. lichkeit und persönliche Ausstrahlung in einer überkommenen Hülse. Literatur

Texte zu Theodor und Jacob Hilsdorf von Franz Toth in: »Der rheinland-pfälzische Beitrag zur Geschichte der Fotografie – Nicola Perscheid, Theodor und Jacob Hilsdorf«, Ausstellungs- katalog Landesmuseum Rheinland-Pfalz, Mainz 1989

16 Fotokunst in Rheinland-Pfalz Ermanox, Reportage-Kamera 1925

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August Sander (1876-1964)

Gabriele Conrath-Scholl

»Das Wesen der gesamten Photographie ist facettenreiches Gesellschaftsporträt seiner dokumentarischer Art«, so schrieb August Zeit darzustellen, das auf die Reflexion des Sander in einem seiner insgesamt sechs Vor- Individuellen in Beziehung zum Typischen träge, die er 1931 im Westdeutschen Rund- der jeweiligen Gesellschafts- und Berufsgrup- Der Photograph funk hielt, und verlieh damit auch seiner per- pe sowie auf die Frage der gegenseitigen Be- sönlichen Arbeitsauffassung Ausdruck. einflussung von Mensch und Gemeinschaft (August Sander)

abzielte. »Vergleichende Fotografie« und 1925 »unmittelbare Beobachtung« sind dabei die Stichworte, die Sanders methodische Vorge- hensweise prägnant beschreiben und auf sein Bemühen um vorurteilsfreie und wirk- lichkeitstreue Darstellung verweisen. Deut- lich wird zudem, dass Sander vor allem im Nebeneinander der Bildreihe die Möglichkeit erkannte, typische Physiognomien unter- August Sander,

Bäuerliche Braut

1921–1924

August Sander, der zu den bedeutendsten Fotografen in der Geschichte seines Mediums zählt, gilt als Wegbereiter einer zu seiner Zeit neuen Richtung in der Foto- August Sander, grafie, die sich heute mit dem Begriff »Neue Der Maler Sachlichkeit« verbindet. Berühmt wurde der 1876 in Herdorf (Siegerland) geborene Foto- Gottfried Brockmann graf durch das um die Mitte der 20er Jahre 1924 entworfene Werk »Menschen des 20. Jahr- hunderts«, in dem er mehrere Hundert seiner Porträts von Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen entsprechend eines von ihm angelegten schiedlicher Berufsstände, Geschlechter und Konzepts in verschiedenen Bildmappen zu- Generationen sowie individuelle Erschei- sammenführte. Ausschnitte dieses Werkes nungsweisen hervortreten zu lassen. Dem- wurden erstmalig 1927 in einer Ausstellung entsprechend schrieb er 1951 an einen be- im Kölnischen Kunstverein gezeigt und 1929 freundeten Künstler: »Bei der Photographie in Sanders erster Buchpublikation unter dem ist es wie bei einem Mosaikbild, das erst zur Titel »Antlitz der Zeit« veröffentlicht. Mit die- Synthese dann wird, wenn man es in der sem 60 Porträts umfassenden Bildbuch, zu Zusammenballung zeigen kann. So wie ich dem Alfred Döblin einen einleitenden Text die Photographie in meinem Werk ›Antlitz schrieb, war es Sander gelungen, ein der Zeit‹ formte.«

17 August Sander,

Hofmusikanten

1928

Von der großen Resonanz, die »Antlitz der lassen. Man mag von rechts kommen oder Zeit« erhielt, zeugen zahlreiche Besprechun- von links – man wird sich daran gewöhnen gen, so beispielsweise von Kurt Tucholsky, müssen, darauf angesehen zu werden, woher Thomas Mann oder Walter Benjamin, der man kommt. Man wird es, seinerseits, den 1931 in seiner »Kleinen Geschichte der Pho- anderen anzusehen haben. Sanders Werk ist tographie« besonders auch auf die politische mehr als ein Bildbuch: ein Übungsatlas.« Brisanz des Porträtwerkes hinwies: »Über 1936 wurden die Druckstöcke zu »Antlitz der Nacht könnte Werken wie dem von Sander Zeit« von den Nationalsozialisten zerstört eine unvermutete Aktualität zuwachsen. und der weitere Vertrieb des Buches wurde Machtverschiebungen, wie sie bei uns fällig eingestellt. Dies war ein zweiter schwerer geworden sind, pflegen die Ausbildung, Schlag, den August Sander durch das Regime Schärfung der physiognomischen Auffas- hinnehmen musste. Bereits zwei Jahre zuvor sung zur vitalen Notwendigkeit werden zu war sein ältester Sohn Erich als politisch

18 Fotokunst in Rheinland-Pfalz

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Verfolgter inhaftiert und zu 10 Jahren Zucht- im Weiteren ebenso für diesen Teil seiner haus verurteilt worden, wo er später auch, Arbeit zahlreiche Mappen. So entstanden kurz vor seiner Entlassung, aufgrund unter- beispielsweise das Werk »Köln wie es war«, lassener medizinischer Hilfeleistung ver- das 16 Mappen mit 412 Fotografien um- starb. Dennoch entging August Sander – fasste, oder auch viele Zusammenstellungen Gegenteiliges wurde in der Vergangenheit unterschiedliche Regionen betreffend, wie oftmals vermutet – einem Berufsverbot, und etwa »Der Rhein und das Siebengebirge«, er konnte seiner Arbeit ausgehend von sei- »Das Rheintal von Mainz bis Köln« oder »Das nem 1911 in Köln-Lindenthal gegründeten Siebengebirge. Flora-Fernsichten«. Darüber Atelier weiterhin nachgehen. hinaus stand August Sander in regem Aus- tausch mit verschiedenen Künstlern, für die Parallel zu seiner extensiven Porträtarbeit er fotografische Arbeiten übernahm, oder widmete er sich seit jungen Jahren auch bearbeitete Aufträge für Industrie und Hand- anderweitigen Motivbereichen wie etwa der werk. Landschaft oder der Architektur und erstellte

August Sander,

Der Dadaist

Raoul Hausmann,

Berlin, 1929

19 August Sander,

Dame der Gesellschaft

1929

August Sander,

Kirche St. Andreas

1929 Dem »Wesen und Werden der Photographie« Die weltweit größte Sammlung zum Werk hatte August Sander in seiner rund 70-jäh- des 1964 in Köln verstorbenen Fotografen rigen Tätigkeit als Fotograf in beinahe befindet sich heute mit unter anderem über jeder Beziehung – sei es hinsichtlich der 4.500 Originalabzügen und rund 11.000 Technik, der Wahl oder Komposition eines Originalnegativen in der Photographischen Motivs oder in Bezug auf die Verwendung Sammlung der Kulturstiftung der Stadtspar- und Kontextgebung einer Fotografie – kasse Köln und wird der Öffentlichkeit kon- selbst nachgeforscht. Sein Werk zeugt so tinuierlich in Form von Publikationen und von einer tiefen, praktischen und theoreti- Ausstellungen vorgestellt. schen Auseinandersetzung, die ihn zu einer klar definierten Form im Umgang mit sei- Literatur

nem Medium führte. Als »exakte Fotogra- »August Sander, Menschen des 20. Jahrhunderts«, fie« pflegte er diese zu bezeichnen, deren Text von Ulrich Keller, Schirmer/Mosel 1994 Ursprung in den Anfängen der Fotografie August Sander: »Antlitz der Zeit«, Einleitung von Alfred Döblin, Berlin 1929, Neudr. Schirmer/Mosel 1976 u. 1999 liegt und in absoluter Naturtreue ein Bild »August Sander, Landschaften«, Hrsg. Photographische seiner Zeit zu geben sucht. – Mehr noch soll- Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln, Schirmer/Mosel, te daraus resultieren, nämlich ein einzigar- München 1999 »August Sander, 1876-1964«, Hrsg. Manfred Heiting, tiges fotografisches Werk von weitreichen- Taschen-Verlag Köln, 1999 August Sander, der kulturhistorischer Dimension und beson- derer Bedeutung für die weitere Entwicklung Großherzog

der Fotografie. Ernst Ludwig

von Hessen

1930 20

fotoform und subjektive fotografie

Franz Toth Links: Otto Steinert,

Maske einer Tänzerin, Nach dem Zusammenbruch des Dritten und Toni Schneiders mit Freunden die Sezes- Reiches wurde zunächst die Fotografie in der sion mit dem Namen »fotoform« gründeten, 1952, Titelbild »subjek- traditionellen Weise fortgesetzt, was aber ge- die zur »subjektiven fotografie« erweitert tive fotografie«, 1952 rade bei jüngeren Fotografen, die den Krieg wurde. mitgemacht hatten, großes Unbehagen er- Rechts: Fritz Kempe, Vielleicht gelingt es uns mit diesem Heft, eine zeugte. Sie hatten die Knebelung und unfrei- Art historische Wiedergutmachung an den Otto Steinert, 1970 willige Benutzung der Fotografie (und der bedeutenden Fotografen Wolfgang Reisewitz Kunst) im Dritten Reich erfahren und nun und Toni Schneiders anzuregen, die ca. den drängenden Wunsch nach freier Gestal- 50 Jahre nach den Hilsdorf-Brüdern in Rhein- tung. land-Pfalz einen wichtigen zweiten Beitrag Es entstand eine starke Erneuerungs-Bewe- zur Geschichte der Fotografie geleistet haben. gung, die man nach 1951 weltweit als »sub- Das Lebenswerk von Martha Hoepffner wurde jektive fotografie« kennt und mit dem Namen 1999 mit dem Kunstpreis des Landes Rhein- Otto Steinert verbindet. Um der historischen land-Pfalz gewürdigt. Gerechtigkeit willen muss man deutlich machen, dass vor Otto Steinert der Anstoß zu Literatur der neuen und freien künstlerischen Fotogra- Otto Steinert: »subjektive fotografie 2«, München 1955 fie 1949 von Rheinland-Pfalz ausgegangen »Der Fotograf Otto Steinert«, Hrsg. Ute Eskildsen, Museum Folkwang, ist, wo 1949 in Neustadt Wolfgang Reisewitz Essen 1999, bei Steidl, Göttingen »subjektive fotografie«, Bilder der 50er Jahre, Hrsg. Fotografische Sammlung im Museum Folkwang, Essen. 2. Auflage 1985, Kustodin Ute Eskildsen

Wolfgang Reisewitz

Prof. Dr. Karl Steinorth (1931–2000)

Wolfgang Reisewitz, der Initiator und erste Reisewitz zeigen dabei, dass dieser Fotograf »Geschäftsführer« der legendären Gruppe zu Unrecht in den letzten Jahrzehnten etwas »fotoform«, ist im Sommer 1999 zusammen in Vergessenheit geraten ist. Deshalb werden mit zwei weiteren Mitgliedern der Gruppe nicht zuletzt seine Bilder die Ausstellung Wolfgang Reisewitz, mit dem Kulturpreis der Deutschen Gesell- zu einer visuellen Entdeckung machen. Der Steinformationen im schaft für Photographie (DGPh) – der höchs- Grund für die heute nur noch geringe Be- ten fotografischen Ehrung in Deutschland – schäftigung mit der Person und dem fotogra- Tessin, Lavartezzo ausgezeichnet worden. fischen Werk von Reisewitz hat sicher damit 1957 zu tun, dass dieser seit Mitte der 60er Jahre Aus diesem Anlass hat die DGPh die Wander- nur noch privat fotografiert. Damals hatte er – ausstellung »Pioniere der fotoform: Siegfried Wolfgang Reisewitz, 2000 Lauterwasser, Wolfgang Reisewitz und Toni Schneiders« zusammengestellt. Nach der Premiere im Schirmer/Mosel-Showroom in München und einer zweiten Station in Her- ten (als Teil der Hertener Fototage) soll die Ausstellung zukünftig an vielen weiteren Plätzen gezeigt werden. Die Aufnahmen von

22 Fotokunst in Rheinland-Pfalz Rolleiflex um 1930

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als er zunächst Dozent und etwas später Pro- davon aus, dass der Sohn ebenfalls ein Profi fessor an der Fachhochschule Mainz wurde – sein müsse. Als die Division einen Fotografen seine ganze Kraft in den Dienst der fotografi- suchte, brachte man Wolfgang Reisewitz mit schen Ausbildung junger Studenten und die leichtem Druck dazu, sich hierfür zu melden. Verbesserung der Stellung des Lehrfachs Die ersten Aufgaben waren Panorama-Auf- Fotografie an den Hochschulen gestellt. Die nahmen des einsehbaren französischen Zeit der fotoform war für ihn zu jener Zeit Grenzgebiets. Danach dokumentierte Reise- abgeschlossen. Die aktuelle Beschäftigung witz den Einmarsch seiner Division nach mit dieser Gruppe, die 1949 gegründet wurde, Frankreich. Anschließend gelang es ihm, legt einen Blick auf das Leben ihres Initiators Luftbildsoldat bei der Luftwaffe zu werden. nahe. Wolfgang Reisewitz (Jahrgang 1917) Als solcher machte er den größten Teil des wollte – obgleich sein Vater zuletzt in Neu- Russland-Feldzugs mit. Das Ende des Krieges stadt an der Weinstraße ein Porträtstudio erlebte Reisewitz als Flaksoldat. Verwundet betrieb – auf keinen Fall Fotograf werden. geriet er in russische Gefangenschaft – war Die fotografischen Aufgaben in einer Klein- aber Anfang 1947 wieder daheim in Neustadt. stadt lockten ihn überhaupt nicht. Er ent- Nach der fotografischen Tätigkeit während schied sich deshalb für eine kaufmännische der Militärzeit entschloss sich Reisewitz, Lehre. Nach deren Abschluss musste er zum nun doch die Fotografie zu seinem Beruf zu Arbeitsdienst und anschließend zum Militär. machen. Als Erstes kümmerte er sich um

Wolfgang Reisewitz,

Im Morgennebel, 1951

Die Tatsache, dass Reisewitz den Wehrdienst eine solide Ausbildung: Aufgrund der vorge- in seiner Heimatstadt Neustadt ableisten legten Fotos und seiner Fotografentätigkeit durfte, sollte für seinen weiteren Lebensweg beim Militär nahm ihn die Bayerische Staats- eine entscheidende Bedeutung haben: Da der lehranstalt in München ohne Gesellenprüfung Vater in der Kaserne gut bekannt war, weil er in die Oberstufe, die zur Meisterprüfung dort Passbilder machen musste, ging man führt, auf.

23 Wolfgang Reisewitz, Während der drei Semester an der Schule – dort schloss er mit seinem Mitschüler Peter Rhythmische Montage Keetman eine enge Freundschaft – lernte 1951. Unten: er durch Zufall die fotografische Arbeit von Adolf Lazi aus Stuttgart kennen. Monumental, 1953 Nach der Ablegung der Meisterprüfung erreichten es Reisewitz und Keetman, als Meisterschüler von Lazi weiter ausgebildet zu werden. Bei ihm lernten beide eine ganz andere – in der Neuen Fotografie der 20er Jahre begründete – Fotografie kennen und durch ihre Mithilfe bei der Ausrichtung einer großen Fotoausstellung in Stuttgart viele andere Fotografen und ihre Arbeiten.

Als Reisewitz und Keetman ihre Ausbildung aus finanziellen Gründen früher als geplant aufgeben mussten (Währungsreform), ging Reisewitz nach Neustadt zurück. Seine Erfah- rungen bei der Stuttgarter Ausstellung waren es, die ihm das Angebot brachten, in Neu- stadt die Organisation einer dort für 1949 geplanten Fotoaustellung zu übernehmen. Der Rest ist Geschichte: Eine Jury aus Hono- ratioren der Kleinstadt Neustadt, die wie der Teufel das Weihwasser alle modernen und experimentellen Bilder scheute, nahm nur äußerst konventionelle und meist langweili- ge Bilder für die Ausstellung an. Professor Schmoll gen. Eisenwerth beschrieb, was wei- ter geschah: »Wolfgang Reisewitz kam auf die Idee, dass sich die Betroffenen zu einer Inte- ressengemeinschaft zusammenfinden sollten, nach dem Muster der Entwicklung im Kunst- ausstellungswesen seit dem 19. Jahrhundert, die zu den Secessionen führte.« Am 7. Juli 1949 wurde diese Gruppe gegründet. Ge- meinsame Ausstellungen in vielen Teilen Deutschlands und Europas führten durch ihr Beispiel zu einer Erneuerung der deutschen Nachkriegsfotografie. Die Bilder von Wolf- gang Reisewitz leisteten hierzu einen wich- tigen Beitrag.

Literatur

aus: PHOTO TECHNIK INTERNATIONAL, 6/99

24 Fotokunst in Rheinland-Pfalz

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Toni Schneiders

Prof. Dr. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth

Toni Schneiders,

Fischer in Schonen

Jütland, 1958

Noch heute wohnt der bald achtzigjährige der Hauptanteile auf die Kulturlandschaft Toni Schneiders in Lindau-Bad Schachen. und die Natur dieser Region zwischen der Sein fotografisches Schaffen führte ihn Schweiz, Österreich und Süddeutschland ent- jedoch weit hinaus in die Welt. Er war als fallen. Im Spätwerk nehmen diese Motive Bildgestalter gesucht und hat ein reiches noch ständig zu, vermehrt in stimmungs- Werk auf dem Gebiet geleistet, das man sein vollen Farbaufnahmen. Der perfekte Foto- eigentliches Berufsfeld nennen kann: Bild- techniker verfolgt das Ziel, klare Bilder, berichte über Länder, Städte, Landschaften charakteristische Ausschnitte und farbig und ihre Bewohner. Die etwa fünfzig Jahre wohl abgestimmte Veduten von Gehöften, Wohndauer am Bodensee wirken sich natür- Dörfern und Städten, Kirchen und Schlössern lich insgesamt auf seine Produktion aus, von einzufangen.

25 Bei diesen Aufgaben ist der »objektive« Lichtbildner mit dem Auge eines sensiblen Malers am Werk. In dieser Weise entstanden schon die frühen Schwarzweißfotos des unermüdlich Reisenden. Im Hanns Reich-Verlag (München) der Reihe »Terra Magica« kamen die ersten Bildbände von Schneiders heraus, zunächst über Dänemark 1957, dann das Toni Schneiders, Aufsehen erregende Buch über Äthiopien einzuführen – in mildem Licht, wie es ange- messen ist, und mit dem Sinn für die Beson- 1958, es folgten die Publikationen über Schienenspinne Schweden und Berlin (beide 1959) und derheiten von Riemenschneiders spätgoti- Norwegen (1961). Der Züricher Atlantis- scher Figurenwelt. Hamburg, 1950 Verlag veröffentlichte die Bände über Öster- Mit seinen »objektiven« und (doch) künst- reich (1958) und Jugoslawien (1968), fast lerisch konzipierten Lichtbildern versorgte gleichzeitig erschienen im Züricher Fretz und (und versorgt) Schneiders viele Landschafts- Wasmuth-Verlag »Sardinien« und »Kreta« und Kunstkalender sowie Postkartenserien (1958/59), und so folgte weiter Buch auf mit Abbildungen. Er war mit seinen Veröf- Buch: Griechenland (Archipelagus), Bayern, fentlichungen und Aufträgen voll ausgelastet. Deutschland, Europa, die »Imago«-Bände des Aber daneben entstand das wachsende Werk Herder-Verlages in Freiburg, in dem auch der Einzelbilder meist strengen gestalteri- die Bildbücher über den heiligen Franziskus schen Charakters, Bilder im Sinne der Pro- »Der Mann von Assisi« und den Schweizer grammatik der Gruppe »fotoform« und der Eremiten »Nikolaus von Flüe« (1975/76) ver- Ausstellungs-Trilogie »subjektive fotografie« Toni Schneiders legt wurden. Nicht nur anhand dieser zum (zwischen 1949 und 1958). Nacherleben und zur Besinnlichkeit animie- 1999 renden Bildserien fand Dr. Heinrich Leippe Vermutlich auf Empfehlung von Bernd Lohse, (Hamburg) 1982 die Formulierung in einem dem Bildjournalisten und Fotokritiker, der in Brief an Toni Schneiders: »Du bist ein heim- der Nachkriegszeit einer der maßgeblichen lich Frommer, im Sinne jener Weltfrömmig- Wortführer in der deutschen Fotoszene war keit, die man, wenn ich nicht irre, zuerst dem und der besonders die junge Fotografie auf- Werk Gottfried Kellers zugeschrieben hat.« merksam beobachtete und darüber in den Es lässt sich eine solche Charakterisierung Fachzeitschriften berichtete, wurde Toni durchaus auch auf die drei Bildbände von Schneiders eingeladen, sich 1949 an der Schneiders zum Werk des Würzburger Bild- zweiten Fotoausstellung im Rahmen der für hauers und Bildschnitzers Tilman Riemen- die französische Besatzungszone veranstal- schneider (1978, 1981, 1983) beziehen, in teten Wirtschaftsmesse in Neustadt an der denen er als Fotograf versucht, in das Wesen Weinstraße (Rheinland-Pfalz) zu beteiligen. der Plastik mit ihren christlichen Botschaften Dort lernte er Wolfgang Reisewitz kennen, der bei der örtlichen Organisation mitwirkte. Reisewitz, generationsgleicher Fotograf wie Schneiders, in Neustadt ansässig, regte nach Zerwürfnissen mit der Ausstellungsleitung wegen der Ausjurierung unkonventioneller und experimenteller Kamerabilder an, einen Klub der unzufriedenen jungen Fotografen als separate Ausstellungsgemeinschaft zu

Toni Schneiders,

Gerste, 1959 26 Fotokunst in Rheinland-Pfalz

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bilden. Dazu zählten die von der Ablehnung same Ausbildungszeiten in München und ihrer »zu modernen« Bilder betroffenen Stuttgart bei Adolf Lazi. Dieser nahm Privat- Dr. Otto Steinert, Peter Keetman, Siegfried schüler in seinem modernen Stuttgarter Haus Lauterwasser, Ludwig Windstoßer und eben an und galt als wichtiger Lehrer der älteren Reisewitz und Schneiders. Reisewitz schlug Generation. Er war ein Mann mit künstleri- vor, sich als »Bund junger deutscher Fotogra- schen Talenten und Ambitionen, ein Freund fen« zu konstituieren. Die sechs traten in des ihm fast benachbarten Malers Willi Bau- nähere Verbindung zueinander, was bei den meister und führend auf einigen Gebieten der örtlichen Entfernungen ihrer Wohnorte zu- Sach- und Porträtfotografie. In Lazis Lehre nächst brieflich verabredet und vorgeklärt lässt sich eine der Wurzeln der erneuerungs- wurde. Dann fand ein Treffen im Stuttgarter bewussten deutschen Fotografie nach 1945 Haus von Windstoßer statt, bei dem sich eini- erkennen. ge Teilnehmer erstmals persönlich begegne- Literatur ten. So erinnert sich Schneiders zum Beispiel daran, Steinert vielleicht schon vorher, aber Textauszug: »Toni Schneiders – Fotografien von 1946–1980«, München 1999 Keetman erst in Stuttgart kennen gelernt zu weitere Literatur s. S. 43 haben. Bei dieser Zusammenkunft beschloss man, sich nach Steinerts Vorschlag bei Aus- stellungsbeteiligungen als Gruppe »fotoform« zu nennen. Auch wurde vereinbart, sich einer internen Beurteilung aller durch alle zu unterziehen. Das geschah dann auch, indem die von den Einzelnen vorgeschlagenen Bil- der allen Übrigen in einem Rundlaufverfahren zur kritischen Prüfung zugesandt wurden. Man schrieb auf die Rückseiten der Ab- züge seine Beurteilung im Telegrammstil. Erst wenn die Mehrheit zugestimmt hatte, durfte das eingereichte Bild in die Gruppen- ausstellung aufgenommen werden. Das Ver- fahren war hart, führte aber dazu, »fotoform« relativ einheitlich und mit hohem, anspruchs- vollem Niveau in der Öffentlichkeit erschei- nen zu lassen. Von den sechs Urmitgliedern kannten sich Reisewitz, Keetman, Lauter- wasser und Windstoßer bereits von Treffen bei der Ausstellung in Stuttgart »Die Photo- graphie« 1948 und zum Teil durch gemein-

Toni Schneiders,

Letzte Meldung

1956

Toni Schneiders,

Aus Mathon (Tirol), 1951 27 Fotografie in Rheinland-Pfalz

Dr. Ariane M. Fellbach-Stein

Rheinland-Pfalz hat einiges an Beiträgen zu Bei den Institutionen hat Rheinland-Pfalz mit bieten im Bereich der historischen wie zeit- dem Kunstverein Ludwigshafen eine Einrich- genössischen Fotografie; dies bezieht sich tung, die sich in den letzten Jahren verstärkt gleichermaßen auf Sammler, Einrichtungen der Fotografie angenommen hat, wie die bei- sowie Künstlerinnen und Künstler. So sam- den Großprojekte des Rhein-Neckar-Dreieck meln Ludine und Klaus Hinrichs vom Kunst- e.V. zur Kunst und Kultur der 20er Jahre raum Hinrichs in seit 1985 Fotografien (1994) sowie der 50er Jahre (1999) gezeigt von Rudolf Bonvie, Andreas Horlitz und haben, an denen sich der Kunstverein jeweils Astrid Klein. Darüber hinaus bildet die Foto- mit einer umfassenden Fotografieausstellung grafie im Ausstellungsprogramm der Galerie beteiligt hat. einen Mittelpunkt. Franz Toth aus Bingen, Das Motto des Kultursommers 2000 »Muse, der selbst fotografisch tätig ist, besitzt eine Mensch, Maschine« sowie die Vergabe des bedeutende Sammlung historischer Foto- Kunst- und Förderpreises in der Sparte Foto- grafien, vor allem von Theodor und Jacob grafie 1999 führten zu der Idee, den Wett- Hilsdorf. bewerb »Kunst und Künstler aus Rheinland- Was die Künstlerinnen und Künstler betrifft, Pfalz« im Jahr 2000 auf den Bereich der so gehören Nicola Perscheid (Moselweis), künstlerischen – im Gegensatz zur ange- Theodor und Jacob Hilsdorf (Bingen), August wandten – Fotografie zu beschränken. Außer- Sander (Herdorf) ebenso zu Rheinland-Pfalz – dem fehlte bislang in Rheinland-Pfalz eine auch wenn sie ihr eigentliches Lebenswerk erste Übersicht des eigenen, aktuellen foto- außerhalb des Landes erstellt haben – wie grafischen Schaffens. Immer noch ist die Marta Hoepffner (Pirmasens), der 1999 die Fotografie das Medium, das der Wirklichkeit höchste Auszeichnung des Landes, der am nächsten scheint. Künstlerinnen und Kunstpreis Rheinland-Pfalz verliehen wurde, Künstler, die sich der Fotografie als künstle- sowie Toni Schneiders (Koblenz/Bodensee) risches Medium bedienen, gestalten nicht und Wolfgang Reisewitz (Neustadt/Mainz), nur mit den durch das Medium vorgegebe- die als Mitglieder von »fotoform« in Anerken- nen Möglichkeiten, sie greifen auch in die nung ihres Lebenswerkes mit dem »Kultur- Realität ein bis hin zur ihrer vollständigen preis der Deutschen Gesellschaft für Fotogra- Umformung, um eine Wirklichkeit erschei- fie« ausgezeichnet wurden. »fotoform« hat nen zu lassen, die künstlich geschaffen ist. seine Entstehung einer Begebenheit zu ver- Die Ausstellung »Fotografie 2000«, die der danken, die in Rheinland-Pfalz stattfand. Kunstverein Eisenturm in Zusammenarbeit 1949 war die Einladung, sich an der zweiten mit dem Kulturdezernat der Stadt Mainz aus- Fotoausstellung im Rahmen der für die Fran- gerichtet hat, zeigte, ohne einen Anspruch zösische Besatzungszone veranstalteten auf Vollständigkeit zu erheben, ein Spektrum Wirtschaftsmesse in Neustadt an der Wein- der mit Rheinland-Pfalz verbundenen zeit- straße zu beteiligen, u. a. an Toni Schneiders genössischen fotografischen Positionen, die und Wolfgang Reisewitz ergangen. Resultat sich der vorgefundenen, gestalteten und dieser Einladung war ein Zerwürfnis mit der manipulierten Wirklichkeit bedienen. Ausstellungsleitung, das Auslöser für die Gründung von »fotoform« wurde, die aus den sechs von der Ausstellungsleitung Zurück- gewiesenen bestand.

28 Exakta, Erste Kleinbild- Fotokunst in Rheinland-Pfalz Spiegelreflex-Kamera ab 1933

III/2000

Die Fotografie hat international viel an Bedeu- tung gewonnen. Sie durchzieht und beein- flusst nach und nach das ganze Spektrum der visuellen Kunst. Die der Fotografie inne- wohnenden Qualitäten, ihre eigene bzw. einzigartige Bildsprache, wie die Anhänger dieses Mediums glauben, hat in dem oben erwähnten Prozess an Bedeutung gewonnen. Heutzutage ist die Fotografie ein fester Bestandteil im Bereich der Bildenden Kunst, sie ist überall präsent und hat einen starken Einfluss darauf, wie wir denken und handeln. Dieser Entwicklung hat auch der Kunst- und Förderpreis Rheinland-Pfalz Rechnung getra- gen, der 1999 erstmalig für Fotografie verge- ben wurde: an Marta Hoeppfner, die am 3. 4. 2000 verstorben ist, Rut Blees Luxem- burg und Martin Liebscher. Der Kunstverein Ludwigshafen zeigt vom 7.9. bis 29.10. 2000 unter dem Titel »Visurbia« eine Auswahl fotografischer Arbeiten der beiden Förder- preisträger.

Marta Hoepffner Marta Hoepffner wurde 1912 in Pirmasens geboren und wuchs dort als Kind der Eltern Karl Hoepffner, der Inhaber einer Schuhgroß- handlung war, und Marta Hoepffner auf. Schon früh förderte die Mutter die zeichneri- sche und malerische Begabung ihrer Tochter. Ihr ausgeprägtes Kunstinteresse und die Vor- liebe der Mutter für die avantgardistischen Kunstströmungen hinterließen ihre Spuren auch bei ihrer Tochter. Unterstützt wurde 1933 übernahmen die Nationalsozialisten Marta Hoepffner, dies auch durch das enge verwandtschaft- die Macht und auch die Städelschule wurde liche Verhältnis zu Hugo Ball. Selbstbildnis, 1935 einer ideologischen Gleichschaltung unter- 1927 siedelte Marta Hoepffner nach Frank- zogen. Marta Hoepffner verließ daraufhin furt um, da das elterliche Geschäft infolge die Kunstschule. Im Verborgenen entstanden der Inflation aufgegeben werden musste. in der Zeit zwischen 1934 und 1936 erste Zunächst half Marta Hoepffner zusammen fotografische Experimente. 1938 eröffnete mit ihrer Schwester am Aufbau eines neuen sie in den Atelierräumen in Frankfurt in der Geschäftes in Frankfurt mit, indem sie Kaiserstraße 11 die Werkstätte für Künstleri- Schuhentwürfe machte. Ab Herbst 1929 stu- sche Bildnisfotografie. 1939 bis 1945 führte dierte Marta Hoepffner Malerei, Grafik und sie die fotografischen Experimente und die Fotografie an der Frankfurter Kunstschule Anwendung neuer Techniken wie Solari- bei Professor Willi Baumeister. sation, Doppelbelichtung, Überblendung und Negativbilder fort. Die Umstände, unter denen Marta Hoepffner ihre künstlerische Arbeit entwickelt hat, waren alles andere als

29 Stenger, heute Sammlung Stenger im Museum Marta Hoepffner, Ludwig –Agfa-Historama, Köln. Zu ihren Gläser mit Rose, 1956 Bekanntschaften und Freunden zählten unter anderem Ida Kerkovius, Max Ackermann, Heinrich Wildemann, Dr. Hans Hildebrand, und in Hofheim entstanden Beziehungen zu Hanna Becker vom Rath, Marie-Luise Kasch- nitz, Ernst-Wilhelm Nay, Karl Schmitt-Rottluff und dem Ehepaar Rut und Adolf Arndt.

1951 erfolgte der künstlerische Austausch mit der Gruppe junger deutscher Lichtbild- ner »fotoform«. Marta Hoepffner beteiligte sich an Steinerts erster Ausstellung »subjek- tive fotografie« in der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken.

Die Foto-Privatschule Marta Hoepffner hatte mittlerweile auch im Ausland einen Namen. Die Schüler kamen aus allen europäischen Ländern und aus Übersee, um künstlerische Spezialkenntnisse bei Marta Hoepffner ken- nen zu lernen. 1962 wurde Irm Schoffers, Meisterschülerin von Marta Hoepffner, Leh- Marta Hoepffner, einfach. Es ist bemerkenswert, dass sie sich rerin und Teilhaberin an der Schule. Sie ent- auch nicht durch die kunstfeindlichen Selbstbildnis im wickelte neue Techniken und führte vor Umstände während der NS-Zeit hat davon allem Experimente mit 8-mm- und 16-mm- Spiegel, 1941 abbringen lassen, moderne Formulierungen Filmen im Unterricht ein. 1965 entwickelt in ihrem Medium der Fotografie zu finden, Marta Hoepffner erste Lichtkinetik, die sie ein eigenständiges Werk zu entwickeln, von dem wichtige Impulse ausgingen. Als Marta Hoepffner 1933 die Kunstschule verließ, war Marta Hoepffner, sie gerade 21 Jahre alt und konnte das, was sie gelernt hatte, nicht einfach fortführen. Porträt Prof.

Aber sie ließ sich nicht entmutigen. Sie Erich Stenger gründete 1934 ihr Atelier für Werbegrafik in Frankfurt und eröffnete sich dadurch nicht 1946 nur erweiterte technische Möglichkeiten, sondern auch neue Perspektiven für ihre künstlerische Entwicklung. Denn neben dem offiziellen Werk – Werbefotografien und Werbegrafiken, fotografierte Bildgeschichten und Bildcollagen für das Illustrierte Blatt der Frankfurter Zeitung – geschah das eigentli- che künstlerische Arbeiten im Verborgenen. Erst nach 1945 konnte sie offiziell weiterar- beiten.

Nachdem ihr Atelier 1944 ausgebombt wurde, zog sie nach Hofheim im Taunus. Dort grün- dete sie 1949 die Foto-Privatschule Marta Hoepffner, die sie bis 1974 geleitet hat. 1945/46 erfolgten auch die ersten Ankäufe durch Sammler, unter anderem von Dr. Erich

30

1997 verlieh das Land Hessen Marta Hoepffner für ihr künstlerisches Lebenswerk den »Maria-Sibylla- Merian-Preis für bildende Künstlerin- nen in Hessen. Im gleichen Jahr war sie in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen bei der Ausstellung »Deutsche Fotografie des 20. Jahrhunderts«. Gleichzeitig richtete das Stadtmuseum Hofheim im Taunus die Einzelausstel- Marta Hoepffner, »Vario-chromatische-Lichtobjekte« nennt. lung »Licht-Bilder – Bilder des Lichts. 1967–1969 wurde sie zu internationalen Marta Hoepffner, Fotokünstlerin und Päda- Prof. Willi Baumeister, Kinetikausstellungen eingeladen, die unter gogin« aus. Zuletzt war Marta Hoepffner in 1946. Rechts: in seinem anderem in der Kunsthalle Recklinghausen, der Pfalz 1998 zu sehen in der Ausstellung Kunsthalle Nürnberg, im Karl-Ernst-Osthaus- »Fotografie der 50er Jahre«, die der Kunstver- Atelier Museum in Hagen stattfanden. ein Ludwigshafen im Rahmen der 50er-Jahre- Ausstellung durchgeführt hat. 1971 verlegte sie ihren Lebensmittelpunkt zusammen mit ihrer Schwester Madeleine Nach den Worten von J. A. Schmoll gen. und Irm Schoffers nach Kressborn am Boden- Eisenwerth nimmt Marta Hoepffner »mit see und baute sich 1972 in Spanien ein zwei- ihren Arbeiten einen relativ genau bestimm- tes Domizil auf. baren Platz innerhalb der Geschichte der neueren Fotografie ein. Sie markiert zumal 1975 gab sie die Foto-Privatschule auf und in der deutschen Entwicklung des Mediums arbeitete nur noch freischaffend. 1977 fand jenes ›missing link‹ zwischen der ersten und die erste Retrospektive »Foto-Experimente zweiten Welle der experimentellen Foto- und lichtkinetische Objekte, 1936 bis 1976« grafie, die jeweils mit etwa 12 Jahren, näm- im Zentrum für Kunst, Liechtenstein, statt. lich 1920 bis 1932 und von 1948 bis 1960 1979 richtete das Karl-Ernst-Osthaus- annähernd zu datieren sind.« Museum in Hagen für Marta Hoepffner die große Übersichtsausstellung »Frühe Foto- Literatur

experimente und Farbfotogramme der Jahre Eva Scheid: »Licht-Bilder – Bilder des Lichts. Marta Hoepffner, 1935 bis 1965« aus. Fotokünstlerin und Pädagogin«, Hofheim, 1997

Marta Hoepffner, 1981 bis 1982 war sie an der Ausstellung »Avant-garde Photography in Silhouette im Garten der 1919–1939« in mehreren Städten der USA Fotoschule Hofheim beteiligt. 1984 zeigte die Pfalzgalerie Kai- serslautern Fotografien und Lichtobjekte. Die 1955 Vollendung des 75. Lebensjahres von Marta Hoepffner gab Anlass, Bilanz zu ziehen über ein reiches künstlerisches Leben und die verschiedenen Entwicklungsstufen der Malerin und Fotografin in einer Retrospek- tive herauszuarbeiten. Frau Dr. Fiedler-Ben- der brachte es in der Festschrift auf den Punkt: »In der Darstellung des breiten Spek- trums ihres 50-jährigen Schaffens wird nicht nur ein wichtiges Kapitel der Geschichte der Fotografie sichtbar, sondern auch ein Kapitel deutscher Kunstgeschichte.«

32 Lebendiges Rheinland-Pfalz Fotokunst in Rheinland-Pfalz Rolleiflex um 1960

III/2000 Seite 33 wird aus einem extra Doku- ment genom-

Rut Blees Luxemburg,

Eroica, 1997 Rut Blees Luxemburgmen Rut Blees Luxemburg, 1967 geboren in Leimen 1999 wurde sie für das Cité-Stipendium 2000 an der Mosel, lebt und arbeitet in London. des Landes Rheinland-Pfalz ausgewählt. 1990 bis 1993 studierte sie am Londoner »Der Ausweg liegt im Weg nach innen.« College of Printing und 1994 bis 1996 an der Diesen Satz des französischen Philosophen University of Westminster in London. Die Ent- Roland Barthes hat Rut Blees Luxemburg scheidung, in London zu studieren, begründet ihren Arbeiten vorangestellt. »Mit ihrer sie mit der Tatsache »es ist schneller, konzen- Kamera dringt Rut Blees Luxemburgs Auge trierter, nicht so eindimensional«. Wichtig ist aufmerksam und mit langen Belichtungs- ihr ein breit gefächertes Spektrum künstleri- zeiten ins Innere des städtischen Organismus scher Aussagen und die Absage an jede vor«, beschreibt Eva-Maria Reuther die Vor- nationale Beengtheit, was sie auch in ihrem gehensweise dieser Künstlerin. Rut Blees Namen sichtbar macht durch den Begriff Luxemburgs künstlerisches Betätigungsfeld »Luxemburg«. ist die Kultur der modernen Großstadt. 1997 war sie mit einigen Werken in der Aus- Über sorgfältig geplante Ausschnitte und stellung »›On the bright side of life‹ – zeit- ungewöhnliche Standorte macht Rut Blees genössische britische Fotografie« im Kunst- Luxemburg das gleichermaßen geheimnis- verein Ludwigshafen zu sehen. volle wie abschreckende Biotop Großstadt erfahrbar. 1998 wurde sie mit dem Ramboux-Preis in Trier ausgezeichnet. 1998 hatte sie ihre erste Darüber hinaus besitzen ihre reizvollen Einzelausstellung »London – Modern Project« Nachtaufnahmen eine hohe poetische Qua- in Rheinland-Pfalz im Kunstraum Trier. lität. Sie machen etwas sichtbar, das dem menschlichen Auge so nicht zugänglich ist. Rut Blees Luxemburg arbeitet nur mit den

33 vor Ort vorhandenen Lichtquellen, wie z. B. 1997/98 hat er ein Arbeitsstipendium des Straßenlaternen, Autoscheinwerfern usw. Museums für angewandte Kunst Wien erhal- Diese spärlichen Lichtverhältnisse bedeuten ten. 1998 war er im Rahmen des »Pfalz-Prei- eine lange Belichtungszeit und die jeweilige ses 1998« in der Pfalzgalerie Kaiserslautern Lichtfarbe der diversen Lichtquellen führt zu zu sehen. farblichen Veränderungen, die alles in einem 1999 nahm Liebscher am Wettbewerb »Emy- neuen Licht erscheinen lassen. Eingetaucht Roeder-Preis« im Kunstverein Ludwigshafen in Licht, Neonglanz und Scheinwerfer wird teil. Im gleichen Jahr wurde ihm der Kunst- London zu einer »noblen Skulptur«, verän- preis der DIFA »Frankfurter Welle« verliehen dern sich z. B. die Parkhäuser zu faszinieren- und er erhielt den Volksbanken-Kunstpreis den Welten. 1999 für die Arbeit »Speyer«. Das Städtische Museum Simeonstift in Trier »Schneller, weiter, höher« ist das Motto von hat bereits vor längerer Zeit an die Künst- Martin Liebscher, das seiner Meinung nach lerin den Auftrag für ein Projekt »Stadtland- auch in der Kunst Einzug halten muss. schaften Trier« vergeben. Die ersten Ergeb- Martin Liebscher verbindet künstlerische nisse wurden im Mai 1999 in der Partner- Fotografie mit den modernsten Erkenntnissen stadt Weimar unter dem Titel »Focus Trier« der digitalen Kommunikationstechnologie. gezeigt, die unter anderem auch Arbeiten Das Offensichtlichste an seinen Fotografien von Byrd Williams und Laura Padget beinhal- ist, dass er mit seiner Kamera eine 360-Grad- ten. Ende 1999 waren diese Arbeiten in Trier Sicht in eine lineare Abfolge bringt. Seine zu sehen. Bilder haben mit der Geschwindigkeit, mit Be- und mit Entschleunigung zu tun, zeigen Martin Liebscher verschiedene Tempi innerhalb der Aufnahmen. Martin Liebscher, 1964 in Naumburg an der Der auf Ordnung und Übersicht konditionier- Saale geboren, ist in Speyer aufgewachsen. te Blick wird hart gebremst, um im nächsten Seit 1993 lebt und arbeitet er in Berlin. Moment wieder in einen Schwindel erregen- den Strudel gezogen zu werden. 1990 bis 1995 studierte Martin Liebscher bei Thomas Beyerle und Martin Kippenberger an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste, Städelschule Frankfurt am Main. 1996 bekam er den Hans-Purrmann-Preis der Stadt Speyer.

34 Fotokunst in Rheinland-Pfalz

III/2000

Dabei bewegt er nicht nur den Apparat, son- jedoch ist gemeinsam, dass sie sich im In- Martin Liebscher, dern gleichzeitig auch den Film. Bei offener wie Ausland einen Namen gemacht haben Börse (Frankfurt) Linse wird der lichtempfindliche Streifen und sich für den Lebensraum der Metropo- Zelluloid mehr oder weniger gleichmäßig len, sei es Frankfurt, Berlin, New York, Los 2000 gespult. Angeles oder London, interessieren.

Einen Menschen zeigt Martin Liebscher be- Klaus Honnef beschreibt das fotografische sonders gern auf seinen Fotos: sich selbst. Denken von Martin Liebscher und Rut Blees Der bisherige Höhepunkt dieser Selbstdar- Luxemburg in seiner Laudatio: »War Marta stellungen ist das »längste Gruppenfoto der Hoepffner auf der Spur der tatsächlichen Welt«, mit dem der Künstler sich 1998 in das oder vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten und Guinessbuch eintragen konnte. Immerhin Ordnungen der Natur, der ersten Wirklichkeit 205-mal hat Martin Liebscher sich in dieses sozusagen, geht es in den Bildern und Bild- 37 Meter lange Foto eingescannt. Die Pfalz- serien der beiden Künstler um die Art und galerie Kaiserslautern richtete dieser »Fami- Weise der Wahrnehmung samt ihrer komple- lie« 1999 eine Einzelausstellung aus unter xen Modalität, die immer nur eine vermittel- dem Titel »Liebscher – eine Künstlerfamilie te, beeinflusste und mitunter auch vorgepräg- aus der Pfalz«. Erscheint diese Akkumulation te Erfahrung sein kann. In doppelter Fremd- der »Ich‘s« auf der Fotografie schon er- heit erscheint in ihren eindrucksvollen schreckend genug, so werden sie nur noch Bildern die sichtbare Welt, einerseits gebro- übertroffen von Videoarbeiten, wie z. B. die chen durch den Filter der massenhaft her- von George Michael mit Mary Blitch als gestellten technischen und elektronischen »Ladys and Gentlemen«. Bilder, andererseits gebrochen durch den fragmentarisierenden Blick der Kamera, Mit Martin Liebscher und Rut Blees Luxem- deren Bilder die Künstler in zusätzlicher burg sind zwei Preisträger ausgewählt wor- Manier noch zusätzlich ›verfremden‹.« den, die offensichtlich konträre fotografische

Positionen beziehen. So zielt der Einsatz des Literatur Mediums Fotografie in den Arbeiten bei Rut Blees Luxemburg auf Brillanz, Ruhe und Rut Blees Luxemburg und Martin Liebscher: »Visurbia«, Hrsg. Barbara Auer, Kunstverein Ludwigshafen am Rhein e.V., 2000 Statik, während die fotografische Ästhetik bei Martin Liebscher Bewegung, Dynamik und Chaos zu visualieren scheint. Beiden

35 Matthias Matzak,

Triptychon 2, 2000 Ausstellung Fotografie 2000

Explikation 1. Februar 2000: Die Ausschreibung er- scheint in der Sparte »Künstlerische Fotogra- fie«. Einsendeschluss für die Wettbewerbs- unterlagen ist der 1. April 2000.

15. April 2000: Tagung der Vorjury. Aus 87 Bewerbungen wählt die Jury anhand von Fotografien, Katalogen und Beschreibungen 38 Künstlerinnen und Künstler aus, ihre Originalwerke für die Hauptjury anzuliefern.

1. Juli 2000: Tagung der Hauptjury. Von den 38 Eingeladenen haben 37 ihre Arbeiten ein- gereicht, woraus die Jury ihre Auswahl für die Ausstellung trifft. Ein Beitrag wird ausju- riert. Anschließend erfolgt die Auswahl der für einen Preis in Frage kommenden Kandi- datinnen und Kandidaten in drei Durchgän- gen. Nach mehreren anregenden Diskus- sionsrunden steht die Entscheidung fest:

Literatur

»Fotografie 2000, Kunst und Künstler aus Rheinland-Pfalz«, Ausstellungskatalog. Hrsg. v. Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen, Mainz 2000

36 Fotokunst in Rheinland-Pfalz

III/2000

Die Preisträger

1. Preis für Matthias Matzak (Jg. 1964) Triptychon 2 von Matthias Matzak überzeugt durch seine Konzentration auf »unfertige Räume«, die in ihrer Unbestimmtheit Pro- jektionsflächen für eigene Vorstellungen bieten. Durch die Verschiebung seines Standpunktes konstruiert Matthias Matzak eine Wirklichkeit, die so in der Realität nicht existiert.

2. Preis für Kurt Schapper (Jg. 1954) Kurt Schapper,

In seinen unprätentiösen Fotografien offen- Aus dem Projekt: bart sich ein Blick, der Situationen und Gegenstände am Rande unserer Wahrneh- Alltagsland Vorderpfalz

mung entdeckt und sich ihnen unvoreinge- – Aspekte eines nommen nähert. Er lenkt die Aufmerksam- keit auf jene Orte, in denen wir uns täglich Lebensraumes bewegen, ohne sie zu beachten. Format und 1996/97 grafische Qualität seiner Schwarzweißfoto- grafien geben diesen Orten eine Präsenz, ohne sie zu überhöhen.

Literatur

Kurt Schapper: »Photoprojekte«, Pfalzgalerie Kaiserslautern, 1996 37 Marcus Höhn, 3. Preis für Marcus Höhn (Jg. 1967)

Normannenstraße In seiner »Normannenstraße« verbinden sich Bedeutung sich nur noch über den Titel er- Nahsicht und Zeitgeschichte zu einer Phäno- schließt. Sein Standpunkt ermöglicht eine Berlin 1999 menologie eines politisch-historischen Innen- Einsicht, ohne die ästhetische Autonomie (Stasi-Zentrale) raumes, dessen konkrete Funktion und des Interieurs zu leugnen.

38 2000 Fotokunst in Rheinland-Pfalz Digitalkamera

III/2000

Andrea Eßwein,

Andrea und Peter

2000

Einige weitere Aussteller

Andrea Eßwein (Jg. 1969) »Im Winter 1999 hat Andrea Eßwein eine piert. Nach der Fragmentierung des mensch- neue CopySerie begonnen, die bislang noch lichen Körpers in Einzelblätter setzt Andrea nicht abgeschlossen ist. Für ›Paare‹ hat sich Eßwein diese dann wieder zusammen. Die die derzeitige Asterstein-Stipendiatin befreun- Einzelkopien, allesamt in DIN-A4- oder DIN- dete Zweierbeziehungen als Kopiervorlagen A3-Format, werden zum Teil noch einmal ausgewählt, um deren Körper copygrafisch beschnitten, um dann entlang der Orthogo- abzulichten. Dabei werden die beiden Men- nalen aneinandergefügt zu werden. Auf schen auf die horizontale Fläche des Kopie- diese Art entstehen so genannte ›amerikani- rers gelegt und dann Stück für Stück abko- sche‹, also bis zur Hüfte reichende Paar- Porträts.« (Eßwein/Stamer)

39 Jörg Heieck, Jörg Heieck (Jg. 1964)

Westend Frankfurt »Die Werke Jörg Heiecks zeichnet ein inten- Kamera verringert. Den Photographen Jörg sives Farberlebnis aus. Auch zeigen seine Heieck hingegen drängt ein rein ästhetisches 1999 Arbeiten, dass für ihn nicht das Ausreizen Interesse. Die Perfektion der Farbwirkung der fototechnischen Möglichkeiten im Vorder- sucht er in der Auswahl des Bildausschnitts.« grund steht, mit denen bestimmte Farbeffek- Monika Jagfeld im Bildband »Photographie te erzielt werden können. Als Physiker ist er SPEKTRAL« von Jörg Heieck, 1999. in der Lage, Lichtreaktionen und -effekte gedanklich vorwegzunehmen, was für ihn Literatur den Reiz des Experimentierens mittels Jörg Heieck: »Photographie SPEKTRAL«; EDITION PANORAMA, 1999

Detlef Böhmer (Jg. 1958) »Es ist eine Abendaufnahme auf dem Platz der Pyramide vor dem Louvre, die aus einem Konzept (Grundidee) hervorgeht. Geplant war eine filigrane Technik der Achse von Paris, die ich von der Pyramide bis hin zur La Défense vorfand. Das Bild gibt mir außer- dem einen kontrastreichen geschichtlichen Eindruck von klassischer bis hin zu moder- Detlef Böhmer, ner Architektur wieder. Die Arbeit von Linien und Flächen gilt als mein fotografisches Louvre-Pyramide Merkmal, bei der ich hier eine besondere Paris 1998 Herausforderung fand.« (Detlef Böhmer)

40 Fotokunst in Rheinland-Pfalz

Martin Blume,

»Monsieur Allenbach

fährt weiter . . .«

1998, Silbergelatine

Martin Blume (Jg. 1956) »Martin Blume fühlt sich der klassischen Reisen durch Europa sowie in Nord- und Schwarz-Weiß-Photographie verpflichtet und Südamerika entstanden. Über das Sichtbare photographiert überwiegend im Großformat. hinausgehend vermitteln sie Stimmungen Seine Kompositionen und Abzüge bestechen und erzählen Geschichten.« durch ihre Ausarbeitung bis ins kleinste Detail. Seine »Photographischen Novellen« Literatur sind größtenteils in den letzten Jahren auf Martin Blume: »Feinste Photographien«, Mannheim 1993; »Photographische Novellen«, Lindemanns 2000 41 Die Autoren

Kunst in der Fotografie – verdienste liegen jedoch in seiner organisatorischen Fotografie als Kunst – S. 3 und publizistischen Tätigkeit. (Aus: »Photographie des 20. Jhdts.«, Museum Ludwig Köln, 1996). Dr. Berthold Roland Kunsthistoriker, geb. 1928 in Landau/Pfalz. August Sander (1876–1964) – S. 17 1970–1983 Kunstreferent (Museen, Bildende Kunst, Gabriele Conrath-Scholl, Literatur), Ltd. Min. Rat im Kultusministerium von geb. 1961 in Düsseldorf. Seit 1996 wissenschaftliche Rheinland-Pfalz. 1983–1993 Direktor des Landesmu- Mitarbeiterin in der Photographischen Sammlung/SK seums Mainz und von Schloss »Villa Ludwigshöhe« Stiftung Kultur, Köln, wo sich seit Ende des Jahres mit der Max-Slevogt-Galerie, Edenkoben. Viele kunst- 1992 das August-Sander-Archiv befindet. Zuvor und kulturgeschichtliche Publikationen. 1984, 1987 Studium der Fotografie (Klasse Professor Bernd und 1989 Ausstellungen mit Franz Toth von den Becher) und Kunstgeschichte an der Kunstakademie Fotografen Jacob und Theodor Hilsdorf in Mainz und in Düsseldorf; 1994/95 Stipendien zur Erforschung auf der Ludwigshöhe. Herausgeber der Kataloge zu des Werkes von August Sander durch die Kulturstif- diesen Ausstellungen. tung der Stadtsparkasse Köln und das J. Paul Getty Die besonderen Leistungen Museum in Los Angeles; verschiedene Veröffent- im Bereich der künstlerischen Fotografie lichungen zur Fotografie, insbesondere zu August in Rheinland-Pfalz – S. 6 Sander.

Franz Toth, Wolfgang Reisewitz – S. 22 Jahrgang 1936, Studium der Kunsterziehung, Kunst- Prof. Dr. Karl Steinorth (1931–2000) geschichte und Philosophie in Mainz, 1961 Lehrauf- Der Name Dr. Steinorth ist untrennbar mit dem trag für Fotografik. 1962–1964 Referendarausbildung. Namen Kodak verbunden. Er wurde 1963 Leiter der Bis zur Pensionierung 1998 Kunsterzieher an der Rechtsabteilung, ein Jahr später der Abteilung Presse- Hildegardisschule in Bingen und Fachleiter für Bil- und Öffentlichkeitsarbeit. 1970 wurde er Mitglied der dende Kunst am Staatlichen Studienseminar für das Geschäftsleitung der Kodak AG Stuttgart. 1967 war Lehramt an Gymnasien in Bad Kreuznach. er bereits Mitglied des Vorstandes der Deutschen 1970/71 Lehraufträge an der Erziehungswissen- Gesellschaft für Photographie (DGPh), 1984 wurde er schaftlichen Hochschule in Worms, 1982–1984 an der Vizepräsident, 1996 Präsident. Sein Wissen um die Universität Mainz. 1989 Berufung zum Ordentlichen Fotografie war enorm, seine Aktivitäten galten vor Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie allem der kulturellen Seite des Mediums. Dafür war für besondere Verdienste um die Fotografie (Wieder- er rastlos tätig, er verstarb plötzlich am 9. Februar entdeckung der Brüder Hilsdorf). 1996 Ausstellung dieses Jahres auf der Fahrt von Köln nach Stuttgart. »Licht-Bilder in Schwarz-Weiß« in Bingen, Bilder in einigen Museen und Privatsammlungen und in Toni Schneiders – S. 25 Auktions-Häusern in Berlin und München. Prof. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth Nicola Perscheid (1864–1930) – S. 8 Kunsthistoriker, geb. 1915 in Berlin. Gründungsdirek- tor des Kunsthistorischen Instituts der Universität Prof. Fritz Kempe (1909–1988) Saarbrücken, 1955 Ordinarius. 1966 Berufung an die Nach einer Fotografenlehre bei seinem Vater rich- Technische Universität München. Zahlreiche Publika- tete sich Fritz Kempe ein Atelier für Industrie- und tionen zur Architektur und Bildhauerkunst. Spezielle Werbefotografie in Berlin ein. 1945 ließ er sich als Beschäftigung mit der Fotografie. Veröffentlichungen Redakteur und Publizist in Hamburg nieder. Von zu diesem Thema u. a.: »Vom Sinn der Photographie«, 1949–1974 leitete er die Staatliche Landesbildstelle 1955; »Hugo Erfurth, Bildnisse«, 1961; »Fotografis- in Hamburg. 1952 gründete er die Hamburgische men in der Malerei des 20. Jahrhunderts«, 1970; Sammlung zur Geschichte der Fotografie, die heute »Malerei nach Fotografie«, 1970; Beiträge in »Malerei im Museum für Kunst und Gewerbe beheimatet ist. und Photographie im Dialog« von Erika Billeter, 1977. Damit gründete er eine der ersten Fotosammlungen in einem Museum. In der Fotografie beschäftigte er sich hauptsächlich mit dem Porträt; seine Haupt-

42 Fotokunst in Rheinland-Pfalz

III/2000

Fotografie in Rheinland-Pfalz – S. 28 Impressum Dr. Ariane M. Fellbach-Stein Ariane M. Fellbach-Stein, geboren 1960 in NRW, lebt seit 1998 in Mainz. Sie hat in München, Köln, Bonn,

Heidelberg und Mainz Kunstgeschichte, Theater- Lebendiges Rheinland-Pfalz wissenschaft, deutsche Sprache und ältere Literatur Zeitschrift für Wirtschaft, Wissenschaft studiert und 1996 über »Kunstpolitik in der Pfalz – und Kultur 1920–1945« promoviert. Seit 1998 ist sie Referentin Herausgegeben von der für Bildende Kunst im Ministerium für Kultur, LRP Landesbank Rheinland-Pfalz Jugend, Familie und Frauen in Rheinland-Pfalz. Verantwortlich für den Inhalt und Konzeption Jürgen Pitzer, Mainz

Gestaltung

Im nächsten Heft Büro für Gestaltung Hilger & Boie, Wiesbaden Von der Gesundheitspolizei zur globalen Vorsorge: Herstellung Hygienekonzepte seit Johann Peter Frank (1745–1821) Universitätsdruckerei H. Schmidt GmbH & Co., Mainz Aus Anlass des 256. Geburtstages des großen Wissenschaftlers Johann Schrift Peter Frank wollen wir die Grundlagen der modernen Hygiene darstellen, Corporate ASE die nach wie vor auf den bahnbrechenden umfassenden Plänen des in Rodalben geborenen Johann Peter Frank beruhen. Die Aktualität der Papier öffentlich organisierten Gesundheitsvorsorge ist durch neuerdings wieder Holzfrei weiß chlorfrei 2 2 gestiegene Gefahren weltweit und mit nie gekannter Geschwindigkeit sich Phönomatt 135 g/m und 250 g/m ausbreitende neue wie auch alte Krankheiten eindrücklich unter Beweis Auflage gestellt. 5.000

ISSN 0934-9294 Das neue Heft erscheint im April 2001.

Bibliografie Fotos und Abbildungen

S. 3 Aus J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, »Vom Sinn der Photographie«, Helmut Gernsheim: »Geschichte der Photographie. Die ersten hundert Jahre« (Propyläen Kunstgeschichte, Sonder- München 1980 band), Frankfurt a. M. – Berlin – Wien 1983; Ursula Peters: »Stilgeschichte der Fotografie in Deutschland 1839–1900«, Köln 1979; Zu Perscheid: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Petr Tausk: »Die Geschichte der Fotografie im 20. Jahrhundert«, DuMont Buchverlag Köln 1977; Zu August Sander: ©Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – Enno Kaufhold: »Bilder des Übergangs. Zur Mediengeschichte von Fotografie und Malerei in Deutschland um 1900«, August Sander Archiv, Köln, VG Bild-Kunst, Bonn 2000 Marburg 1986; Zu Marta Hoepffner: Stadtmuseum Hofheim am Taunus Franz Toth: »Nicola Perscheid, Theodor und Jacob Hilsdorf, August Sander – Der rheinland-pfälzische Beitrag zur Zu Otto Steinert: Fotografische Sammlung im Museum Folkwang, Essen Geschichte der Photographie«, Ausstellungskatalog, Hrsg. v. Landesmuseum Mainz, 1989, (vergriffen, ebenso die Kataloge zu den Ausstellungen Jacob Hilsdorf, 1984, und Theodor, 1987); Zu Fotografie 2000: von den Künstlern László Moholy-Nagy: »Malerei Fotografie Film«, Neue Bauhausbücher. Faksimile-Nachdruck nach der Ausgabe von Alle weiteren Abbildungen: Sammlung Franz Toth, Bingen 1927, Florian Kupferberg Verlag Mainz 1967; Erika Billeter: »Malerei und Photographie im Dialog von 1840 bis heute«, Mit Beiträgen von Prof. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, Benteli Verlag Bern 1977; Rückseite J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: »Vom Sinn der Photographie«, München 1980; »fotoform« und »subjektive fotografie«, Vortrag anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Deutschen Gesellschaft für Photographie an die ehemaligen Jacob Hilsdorf, Tilla Durieux, um 1910 Mitbegründer der Gruppe »fotoform«;

Wolfgang Reisewitz, Toni Schneiders und Siegfried Lauterwasser im Juli 1999 in München, im BULLETIN Deutsche fotografische Akademie, DFA-Ausstellung 2000; »Toni Schneiders: Photographien von 1946–1980«, Hrsg. von Ulrich Pohlmann, Mit Texten von J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, Schirmer/Mosel München 1999; Barbara Auer: »Künstler mit der Kamera – Photographie als Experiment«, 1994 und »Zwischen Abstraktion und Wirklichkeit – Fotografie der 50er Jahre«, 1999 (beide Ausstellungen Kunstverein Ludwigshafen am Rhein);

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