Plenarprotokoll 19/113

Deutscher

Stenografischer Bericht

113. Sitzung

Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit a) Erste Beratung des von der Bundesregie- , Bundesminister BMG ...... 13848 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- Dr. (AfD) ...... 13849 D haushaltsplans für das Haushaltsjahr (SPD) ...... 13851 A 2020 (Haushaltsgesetz 2020) Drucksache 19/11800 ...... 13827 A (FDP) ...... 13852 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 13853 C Finanzplan des Bundes 2019 bis 2023 Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/11801 ...... 13827 B DIE GRÜNEN) ...... 13854 C (CDU/CSU) ...... 13855 D Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD) ...... 13856 D , Bundesminister BMAS ...... 13827 B Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 13858 B (AfD) ...... 13829 C (FDP) ...... 13859 B Hermann Gröhe (CDU/CSU) ...... 13831 B (DIE LINKE) ...... 13860 B Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 13832 D Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13861 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 13834 B Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 13862 A Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13835 A Bärbel Bas (SPD) ...... 13863 B (SPD) ...... 13836 C Dr. (FDP) ...... 13863 D Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) ...... 13837 C (CDU/CSU) ...... 13864 D Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 13838 C (CDU/CSU) ...... 13865 D Kerstin Tack (SPD) ...... 13838 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . 13839 B Schlussrunde: Haushaltsgesetz 2020 (FDP) ...... 13841 A Johannes Kahrs (SPD) ...... 13866 D (SPD) ...... 13841 D (AfD) ...... 13868 A (DIE LINKE) ...... 13842 C Dr. André Berghegger (CDU/CSU) ...... 13869 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13843 C (FDP) ...... 13871 B (CDU/CSU) ...... 13844 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 13872 B Michael Groß (SPD) ...... 13845 C Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13873 B Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) 13846 C , Parl. Staatssekretärin BMF 13874 C II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Peter Boehringer (AfD) ...... 13876 A Nächste Sitzung ...... 13886 D Alois Rainer (CDU/CSU) ...... 13877 B Berichtigung ...... 13886 B Otto Fricke (FDP) ...... 13878 B (DIE LINKE) ...... 13879 D Anlage 1 Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13881 A Entschuldigte Abgeordnete ...... 13887 A (CDU/CSU) ...... 13882 A (SPD) ...... 13883 C Anlage 2 (CDU/CSU) ...... 13885 A Amtliche Mitteilungen ...... 13887 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13827

(A) (C)

113. Sitzung

Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Beginn: 09:00

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Grundsicherung sind heute über 1 Million Menschen Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte weniger als vor zehn Jahren als Langzeitarbeitslose zu nehmen Sie Platz. Ich eröffne die Sitzung. vermelden. Die Bruttolöhne in Deutschland sind im Durchschnitt um mehr als ein Viertel gestiegen, ebenso Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs- übrigens die Renten. punkte 1 a und b – fort: Ich erwähne das nicht, meine Damen und Herren, um a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- kleinzureden, vor welchen Herausforderungen wir jetzt gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest- stehen. Ich sage auch nicht, dass das die gesamte Lebens- stellung des Bundeshaushaltsplans für das wirklichkeit in Deutschland erfasst. Aber wenn wir jetzt Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020) in die 20er-Jahre gehen, dann bieten die letzten zehn Jah- Drucksache 19/11800 re, dann bietet das, was die Menschen in diesem Land geleistet haben, allen Grund zu realistischer Zuversicht, Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss dass wir die Aufgaben, die wir vor uns haben, auch be- (B) wältigen können. Dieses Land kann stolz darauf sein, was (D) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregie- in den letzten zehn Jahren geleistet wurde. rung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Finanzplan des Bundes 2019 bis 2023 Aber es geht nicht allein um gute Bilanzen und Statisti- Drucksache 19/11801 ken. Es geht um mehr, nämlich um die Frage, ob wir das Überweisungsvorschlag: Kernversprechen der sozialen Marktwirtschaft erneuern Haushaltsausschuss wollen. Dieses Kernversprechen lautet, dass wir in die- Wir haben am Dienstag für die heutige Aussprache sem Land nicht wirtschaftliche Stärke und Reichtum für eine Debattenzeit von insgesamt viereinhalb Stunden be- wenige wollen, sondern Wohlstand und Sicherheit für schlossen. viele. Wir sagen: Wir müssen dieses Kernversprechen erneuern, weil das heute in der Lebenswirklichkeit vieler Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes- Menschen nicht mehr Realität ist. Wenn wir Zuversicht ministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. und Vertrauen in die Zukunft dieses Landes haben wollen, Das Wort hat der Bundesminister Hubertus Heil. dann müssen wir dafür sorgen, dass der Fortschritt, der sich jetzt durch technologischen Wandel abzeichnet, nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Fortschritt für wenige im Sinne von Wohlstand für weni- ge ist, sondern sozialer Fortschritt für das ganze Land. Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stehen an der Schwelle eines neuen Jahrzehnts. In weni- der CDU/CSU) gen Monaten enden die 2010er-Jahre, die 2020er-Jahre Denn richtig ist, dass trotz aller Erfolge der Aufschwung beginnen. Bevor wir darüber reden, wie wir in die nächs- im letzten Jahrzehnt nicht bei allen Menschen angekom- ten zehn Jahre gehen, möchte ich vermessen, wo wir men ist. heute am Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik stehen. Tatsache ist, dass sich der Arbeitsmarkt in den letzten Wir reden hier nicht über statistische Kollateralschä- zehn Jahren sehr, sehr gut entwickelt hat. Die Arbeits- den. Wir reden über ganz konkrete Lebensschicksale von losigkeit ist um ein Drittel reduziert worden. Heute sind Menschen, Menschen wie beispielsweise Herrn Schmidt über 5,5 Millionen Menschen mehr in Lohn und Brot als aus Heidelberg, den ich kennengelernt habe. Herr vor zehn Jahren; ich rede von sozialversicherungspflich- Schmidt ist heute um die 40 Jahre alt. Vor vielen Jahren tiger Beschäftigung. In manchen Branchen und einigen hat er einen ziemlich großen Schicksalsschlag erlitten. Regionen herrscht faktisch Vollbeschäftigung. In der Seine Eltern sind relativ früh gestorben; das hat ihn aus 13828 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Bundesminister Hubertus Heil (A) der Bahn geworfen. Er hat seine Arbeit verloren, irgend- Es bringt Frieden in die Gesellschaft, es bringt Frieden in (C) wann auch seine Wohnung. Er war über 20 Jahre lang- die Familien; auch das bringen wir auf den Weg. zeitarbeitslos und eine Zeit lang, wie gesagt, auch woh- nungslos. Solche Biografien, solche Lebensschicksale (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) von Menschen haben wir im Blick. Ich war froh, dass Aber, Herr Präsident, meine Damen und Herren, Arbeit mir Herr Schmidt, als wir miteinander geredet haben, muss auch einen Unterschied machen, was die Rente in mitteilen konnte, dass er jetzt Arbeit gefunden hat. Damit Deutschland angeht. Ich habe beispielhaft auch Susanne ist er einer von 30 000 Menschen, die durch den sozialen Holtkotte in diesem Jahr kennengelernt, die in Bochum Arbeitsmarkt, den wir im letzten Jahr auf den Weg ge- als Reinigungskraft in einem Krankenhaus arbeitet. Das bracht haben, Arbeit gefunden haben. ist ein harter Job. Susanne Holtkotte ist jetzt 48 Jahre alt. Sie putzt die Betten im Krankenhaus. Jeder von uns weiß, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass das eine ganz, ganz wichtige Tätigkeit für unsere der CDU/CSU und der FDP) Gesellschaft ist; es geht um Hygiene in Krankenhäusern. Herr Schmidt arbeitet jetzt als Hausmeister in einer Sie verdient den Mindestlohn im Gebäudereinigerhand- Schule, und zwar – das klingt fast wie ein Märchen – in werk, knapp über 11 Euro. Wenn sie in 18 Jahren in Rente einer Waldorfschule. geht, war sie 41 Jahre berufstätig – und hätte nach ge- ltender Rechtslage eine Rente von nur 715 Euro. Susanne (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Holtkotte ist das klassische Beispiel dafür, dass wir end- Meine Damen und Herren, es geht um Menschen, und lich die Grundrente in Deutschland durchsetzen müssen. Arbeit macht eben einen Unterschied. Für Herrn Schmidt bedeutet Arbeit nicht nur Broterwerb, sondern auch Teil- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. habe am gesellschaftlichen Leben. Das heißt, Kollegin- Dr. [CDU/CSU] – nen und Kollegen zu haben, etwas zu leisten, Teil dieser Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit Be- Gesellschaft zu sein. Das dürfen wir nicht vergessen. darfsprüfung! – [CDU/ CSU]: Einfach mal an den Koalitionsvertrag Arbeit macht den Unterschied, und Arbeit muss den halten!) Unterschied machen, wenn es beispielsweise darum geht, Ich glaube, Herr Dobrindt, dass wir als Koalition in der die Löhne in der Pflege zu verbessern. Wir haben im Lage sind, dieses Problem gemeinsam zu lösen. Sommer das Gesetz für bessere Löhne in der Pflege be- schlossen als Ergebnis der Konzertierten Aktion Pflege – (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Hängt am zusammen mit dem Kollegen Spahn, der Kollegin Giffey Minister!) haben wir das auf den Weg gebracht –, weil es nicht nur Ich sage an die Kolleginnen und Kollegen der Koali- (B) darum geht, Menschen in Arbeit zu bringen, sondern auch (D) tionsfraktionen gerichtet: Mein Vorschlag liegt auf dem darum, den Wert der Arbeit in diesem Land zu stärken, Tisch. Wir werden darüber in den nächsten Wochen ver- und das gilt vor allen Dingen für die Pflege. handeln. Ich bin gern bereit, über die Zielgenauigkeit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meines Vorschlages zu reden und das miteinander zu klä- der CDU/CSU) ren. Aber eines will ich Susanne Holtkotte nach 41 Jahren Berufstätigkeit ersparen, nämlich dass sie zum Amt muss Wir müssen dafür sorgen, dass im Wandel der Arbeits- und erlebt, dass es um Fürsorgeleistungen geht. Die gesellschaft, im Zeitalter der Digitalisierung die Digitali- Rente, meine Damen und Herren, ist keine Fürsorgeleis- sierung nicht mit Ausbeutung verwechselt wird. Wir wer- tung. Das ist ein erworbener Verdienst von Menschen. Es den deshalb in der nächsten Woche im Bundeskabinett sind Anwartschaften, die Menschen erworben haben. dafür sorgen, dass wir in der Paketbranche endlich eine Nachunternehmerhaftung bekommen, die dafür sorgt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass die Menschen die Pakete, die beispielsweise über der CDU/CSU) Amazon bestellt werden, tatsächlich unter fairen, anstän- Wir müssen hier unterscheiden. Bei der Grundsiche- digen Arbeitsbedingungen und dem notwendigen sozia- rung geht es um existenzsichernde Leistungen; da gibt es len Schutz in Deutschland ausliefern. natürlich eine Bedürftigkeitsprüfung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Otto Fricke [FDP]: Aha!) der CDU/CSU) Wenn man nicht über die Runden kommt, muss man Arbeit muss einen Unterschied machen, auch für nachweisen, dass einem Unterstützung in Form von exis- Selbstständige, die wir in das System der Alterssicherung tenzsichernden Leistungen zusteht. Aber hier geht es ja einbeziehen wollen. Wir haben auch im Bereich der darum, dass Menschen mehr bekommen als das Existenz- Selbstständigen immer mehr Menschen, die ganz fleißig minimum. Es geht um den Lohn für die Arbeit ihres Le- arbeiten, aber am Ende des Tages in die Grundsicherung bens. fallen. Wir wollen und werden auch Normalverdiener in die- (Beifall bei der SPD) sem Land entlasten, zum Beispiel die Angehörigen und Wir werden an Lösungen arbeiten, aber ich habe eine Kinder von Pflegebedürftigen, damit Pflege in diesem Bitte. Ich habe erlebt, wie meine beiden Amtsvorgänge- Land nicht zu einem Thema wird, das Familien sozial rinnen, und , ver- spaltet. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz bringt eine sucht haben, die Grundrente auf den Weg zu bringen. Ich Entlastung für die arbeitende Mitte in dieser Gesellschaft. glaube, dass wir es an der Schwelle zum neuen Jahrzehnt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13829

Bundesminister Hubertus Heil (A) als Staat, als Gesellschaft als notwendig ansehen, dieses angeht. Ein großer amerikanischer Präsident – und glau- (C) Problem hinreichend zu lösen. Ich bin zuversichtlich, ben Sie mir, es gab große amerikanische Präsidenten - dass uns das in dieser Koalition gelingt. Wir stehen in der Pflicht. Wir werden uns einigen müssen, wir werden (Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN – Kompromisse finden müssen. Aber am Ende muss eine Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr Grundrente stehen, die diesen Namen auch verdient, mei- gut!) ne Damen und Herren. hat in ganz anderer Zeit einmal den Satz gesagt: Wir haben nichts so sehr zu fürchten wie die Furcht selbst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Roosevelt!) Es geht nicht nur um Statistiken und nicht nur um Ein- zelschicksale, sondern es geht um die Frage: Mit welcher „The only thing we have to fear is fear itself“, sagte Haltung geht diese Gesellschaft in das neue Jahrzehnt, ein Roosevelt 1933. Das waren schlimme Zeiten der Depres- Jahrzehnt voller Veränderungen, voller Wandel? Wie man sion; in solchen Zeiten befinden wir uns jetzt gar nicht. gestern in einer Studie der Bertelsmann Stiftung nachle- Aber da die Sorgen da sind, müssen wir in diesem Land sen konnte, müssen wir feststellen, dass trotz der guten sagen: Wir haben die Wahl zwischen Angst und realisti- wirtschaftlichen Lage Sorgen und Ängste bis in die Mitte scher Zuversicht. Wir wählen die Zuversicht, weil wir unserer Gesellschaft gekrochen sind, nämlich Sorgen, allen Grund dazu haben, mit Mut und Zuversicht an die wie es weitergeht, Sorgen um die Zukunft in einer Ar- Aufgaben am Arbeitsmarkt zu gehen. Das ist das, was beitsgesellschaft, die vom digitalen Wandel geprägt ist. diese Regierung gemeinsam leisten wird. Wir erleben ja auch, dass es inzwischen politische Schar- Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. latane gibt, die Ängste und Sorgen schüren und versu- chen, daraus ein Geschäftsmodell zu machen, ohne je (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ein Problem zu lösen, und die die Gesellschaft nur spal- ten. Das muss uns als Demokratinnen und Demokraten in Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: diesem Hause aufrütteln. Dazu gehört, dass wir den Men- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Uwe Witt, schen nicht versprechen, sie vor dem Wandel beschützen AfD. zu können; das kann Politik nicht. Aber dass wir Chancen und Schutz in Zeiten des Wandels organisieren, das ist die (Beifall bei der AfD) Aufgabe eines modernen Sozialstaates, meine Damen und Herren. Uwe Witt (AfD): (B) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lie- (D) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe be Gäste des Hohen Hauses! Herr Minister Heil, wenn ich Schummer [CDU/CSU]) Ihre Haushaltspläne dieser Legislatur lese, insbesondere Deshalb müssen wir vor allen Dingen den Arbeitsmarkt diesen, dann frage ich mich, warum Sie Helmut Schmidts in den Blick nehmen. Aussage „Rate den Mitbürgern nicht das Angenehmste, sondern das Beste“ mal wieder nicht beachtet haben. Wie- Das heißt, ganz konkret dafür zu sorgen, dass die Be- der mal doktern Sie an einem maroden System herum und schäftigten von heute auch die Arbeit von morgen ma- setzen auf bereits zigmal gescheiterte Projekte. Das ist so, chen können. Mit dem Qualifizierungschancengesetz ha- als wenn Sie mit einem Fahrzeug mit kapitalem Motor- ben wir einen wichtigen Baustein gelegt, um in schaden in die Werkstatt fahren und man den Motor noch Weiterbildung zu investieren und die Fachkräftesiche- tunt, anstatt ihn auszutauschen. rung von Unternehmen zu unterstützen. Aber wir müssen Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und mehr tun. Angesichts der konjunkturellen Risiken, die es Soziales ist nicht nur der größte Einzelhaushalt. Vor allen in der Weltwirtschaft gibt, müssen wir dafür sorgen, dass Dingen ist er derjenige, von dem direkt und indirekt die wir auch in schwierigen Zeiten Beschäftigung sichern meisten Menschen in diesem Land betroffen sind. Daher und auf Weiterbildung und Qualifizierung setzen. Das ist das Motto „Weiter so“ gerade bei diesem Haushalts- ist wirtschaftlich vernünftig, weil es die Fachkräftesiche- plan eine Katastrophe für die Bürger dieses Landes. rung unterstützt. Aber es ist vor allen Dingen wichtig, damit Menschen in Zeiten rasanten Wandels spüren, dass (Beifall bei der AfD) wir es schaffen. Das ist uns vor zehn Jahren in der Finanz- Denn die Zeichen stehen auf Sturm. Die Experten haben krise mit den veränderten Regeln zur Kurzarbeit gelun- düstere Prognosen. Die Zahl derer, die auf Unterstüt- gen – war damals Arbeitsminister –, und das zungsleistungen aus dem Ministerium von Herrn Heil an- muss uns, falls es notwendig wird, auch gelingen durch gewiesen sind, wird sich in den kommenden Jahren deut- die Verbindung von Kurzarbeit und Weiterbildung. Des- lich, wenn nicht sogar dramatisch, erhöhen. halb werde ich in diesem Herbst ein Arbeit-von-morgen- Gesetz vorlegen, meine Damen und Herren. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Echt?) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karsten Möring [CDU/CSU]) Sie sollten doch wissen, was sich da am Horizont schon deutlich zusammenbraut. Allein die DAX-Konzerne wol- Zum Schluss. Wir stehen auch an der Schwelle zu ei- len 150 000 Stellen in den nächsten zwölf Monaten ab- nem neuen Jahrzehnt, was Wirtschaft und Arbeitsmarkt bauen. 13830 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Uwe Witt (A) Aber es wird noch schlimmer. Durch Ihre verkorkste (Beifall bei der AfD) (C) Klimapolitik stehen besonders viele Stellen in Deutsch- Sie reden zwar ständig von sozialer Gerechtigkeit, aber lands Schlüsselbranche, dem Automobilbau, auf dem Ihre Interpretation von sozialer Gerechtigkeit verstehen Spiel. Ford, Volkswagen, Audi, BMW wollen bis 2021 Ihre ehemaligen Wähler schon lange nicht mehr, Herr an ihren deutschen Standorten über 50 000 Stellen strei- Heil. chen. Wie Sie alle wissen, sind dann immer auch die Zulieferbetriebe mit Zehntausenden von Mitarbeitern be- (Beifall bei der AfD) troffen. Continental zum Beispiel rechnet mit deutlich fünfstelligem Personalabbau. Mahle hat sein Werk in Daher ist es verdammt noch mal unsere Pflicht und Schul- Öhringen bereits geschlossen. Meine Damen und Herren, digkeit gegenüber dem Steuerzahler, mit mehr als kri- die deutsche Autoindustrie beschäftigt 800 000 Arbeitneh- tischem Blick den Haushaltsentwurf für Arbeit und mer in unserem Vaterland. Nach der aktuellen Oliver- Soziales, den Sie hier vorstellen, zu hinterfragen, bei- Wyman-Analyse benötigen die Autokonzerne durch Di- spielsweise das Programm für den sozialen Arbeitsmarkt, gitalisierung in den nächsten zehn Jahren 30 Prozent Mit- das sich einreiht in eine lange Reihe bereits gescheiterter arbeiter weniger. Herr Heil, Digitalisierung ist das The- Vorgängerprogramme. Sie investieren in einen fiktiven ma, das Sie und die Bundesregierung verschlafen haben. sozialen Arbeitsmarkt, und der tatsächliche Arbeitsmarkt bricht zusammen. (Beifall bei der AfD) (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dazu kommt noch der Arbeitsplatzabbau aus Gründen DIE GRÜNEN) der verkorksten Klimapolitik und der Rezession. Ich mag gar nicht daran denken, was passiert, wenn hier Da stellt sich die Frage: Wissen Sie eigentlich überhaupt, 45 Prozent von insgesamt 800 000 Arbeitsplätzen abge- was Sie da machen, Herr Heil, baut werden. Sie aber, Herr Heil, rechnen in Ihrem Haus- ( [CDU/CSU]: Wissen Sie haltsentwurf mit Einsparungen von über 900 Millionen eigentlich, was Sie da reden?) Euro, gerade beim Arbeitslosengeld II, obwohl Sie wis- sen müssten, was sich in Deutschland zusammenbraut. oder spielen Sie Vogel Strauß? Das hat doch nichts mit Wer erinnert sich nicht an Konzerne wie Schlecker, Air gesundem Optimismus zu tun. Da ist eine Rezession im Berlin, Quelle AG, den Baukonzern Philipp Holz- Anmarsch, und Herr Heil macht Sandkastenspiele mit mann AG und den Autobauer Karmann, die von heute dem Versuch eines sozialen Arbeitsmarktes, obwohl auf morgen vom Markt verschwunden sind. nachweislich alle vorherigen ähnlichen Versuche ge- scheitert sind. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ist das (B) in der sozialen Marktwirtschaft nun mal!) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Was wollen Sie denn machen? – Analysten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor- Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schung gehen bereits jetzt von einem Schrumpfen der NEN]: Sie haben doch keine Ahnung!) Wirtschaft aus. Ich gehe nicht so weit wie Ihr Genosse Kahrs in seiner ( [SPD]: Zählen Sie mal die Rede vorgestern mit seinen Aussagen über die AfD. neuen Unternehmen auf! Das dauert länger!) (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, was das Gute Rede! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ bedeutet: Rezession. Rezession bedeutet sinkende Steuer- DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben doch pro- einnahmen und erhöhten Druck auf die Renten- grammatisch gar nichts drauf bei der Sozialpo- versicherung, weil die Einnahmen sinken und die Aus- litik! Wieso haben Sie Ihren Parteitag abge- gaben durch die Babyboomer immer weiter steigen sagt?) werden. Weiter bedeutet Rezession aber auch sinkende Einnahmen bei der Arbeitslosenversicherung, und zwar – Aber, liebe SPD, wenn man mit kurzsichtiger sozialis- hören Sie genau zu, Herr Heil – bei gleichzeitig steigen- tischer Politik aus dem einst blühenden Wirtschafts- den – nicht sinkenden – Ausgaben des Staates. standort Deutschland ein Land der Bauern und Hartz- IV-Empfänger machen will, dann gehören Sie als Regie- Diese Veränderungen am Arbeitsmarkt und in der rungspartei verboten. Und ich hoffe schnellstens auf Neu- Wirtschaft können genauso hart einschlagen wie seiner- wahlen! zeit in den schon nicht mehr so neuen Bundesländern: deindustrialisierte Landstriche, klamme Kommunen, (Beifall bei der AfD – Michael Groß [SPD]: Sie Niedriglohnsektor. Noch heute ist der Lohnunterschied haben ja überhaupt keine Ahnung! – Sven zwischen Ost und West eklatant, Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt keine Ansätze! – Weitere Zu- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Zwischen rufe von der CDU/CSU, der SPD und dem Nord und Süd doch auch!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und noch immer ist eine Lohnangleichung zwischen Ost Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll; denn Sie und West in weiter Ferne. Es kann doch nicht sein, dass verkennen die Zeichen der Zeit und gehen weiterhin von ein Facharbeiter aus dem Bereich Metallbau im Osten einer guten Konjunktur für Deutschland aus. Anders kann 35 Prozent weniger Lohn erhält als der Metallbauer im man diesen von Ihrem Ministerium vorgelegten Haus- Westen. Womit soll man das rechtfertigen? haltsplan nicht interpretieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13831

Uwe Witt (A) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben Millionen Menschen wieder die Chance auf ein ei- (C) NEN]: Was ist denn mit der Rente? Was haben genverantwortliches, selbstbestimmtes Leben, auf Teil- Sie denn da für ein Konzept? Gar keins!) habe. Dies ist ein herausragender Erfolg unserer Dieser Haushaltsentwurf hält vor dem Hintergrund der gemeinsamen Anstrengungen. gravierendsten Veränderungen, die uns ins Haus stehen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei einer kritischen Prüfung nicht stand, insbesondere da Abgeordneten der SPD) nicht in ausreichendem Maße Vorsorge für diese Verän- derungen getroffen wurde. Wir erleben einen spürbaren Lohnanstieg und dank niedriger Preissteigerung seit einer Reihe von Jahren rea- Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Eines gebe le Verdienstzuwächse. Infolge der steigenden Löhne stei- ich Ihnen, Herr Minister Heil, noch mit auf den Weg: gen die Renten unserer Rentnerinnen und Rentner. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zugleich sind infolge der Entwicklung auf dem Arbeits- NEN]: Sie haben doch gar kein Konzept in der markt die Sozialkassen gut gefüllt. Wir haben die Bei- Sozialpolitik!) tragssätze senken können und haben heute innerhalb der EU unterdurchschnittliche Lohnnebenkosten. Wir müs- Dieses Land kann es sich nicht leisten, einen Vorschlag sen entschlossen daran arbeiten, dass diese Entwicklung nicht ernsthaft zu prüfen, nur weil er vermeintlich von den auch bei schwieriger werdenden außenwirtschaftlichen Falschen, nämlich von der AfD, kommt. Rahmenbedingungen, auch bei Strukturveränderungen Vielen Dank. erheblichen Ausmaßes anhält. Zugleich wollen wir uns besonders darum kümmern, dass diejenigen, die in den (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann letzten Jahren nicht an der positiven Entwicklung des ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Sozial- samten Landes teilgenommen haben, zielgenau in den parteitag absagen, weil man Angst vor der ei- Blick genommen werden. genen Courage hat! Gar kein Plan!) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Zielgenau!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wer von Deutschland das Zerrbild eines Jammertals Nächster Redner ist der Kollege Hermann Gröhe, zeichnet, wie das an den Rändern der politischen Debatte CDU/CSU. geschieht, der redet völlig an der Realität in unserem Land vorbei, in dem es den allermeisten Menschen wirk- (Beifall bei der CDU/CSU) lich gut geht. Ich erlaube mir die Bemerkung: Wer Volks- partei bleiben oder wieder werden will, sollte sich von (B) Hermann Gröhe (CDU/CSU): solcher Angstmache nicht anstecken lassen, meine Da- (D) Herr Präsident! Herr Minister, lieber Hubertus Heil! men, meine Herren. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wenn wir über den Einzelplan 11, den Haushalt des Bundesministeriums für (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeit und Soziales, reden, dann reden wir über den mit Abstand größten Etat im Bundeshaushalt: nachgerade Wir alle sind gefordert, dafür zu sorgen, dass diese gute 149 Milliarden Euro, 3,3 Milliarden mehr als im laufen- wirtschaftliche Entwicklung trotz ernstzunehmender Ein- den Jahr, 10 Milliarden mehr als 2018. All dies zeigt: trübungen weiter stabilisiert werden kann. Das heißt: Wir Deutschland ist ein leistungsstarker Sozialstaat. Darauf müssen alles unterlassen – auch manches, was zunächst sind wir stolz. Und wer dies als „marodes System“ diffa- wünschenswert erscheinen mag –, was die Wirtschafts- miert, will mit schäbiger Absicht Angst schüren. Das hat kraft und die Innovationskraft unseres Landes und die mit der Realität in diesem Land nichts zu tun, meine Da- Chancen kommender Generationen gefährdet. men, meine Herren. Für uns als Union gehören wirtschaftliche Vernunft (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem und soziale Verantwortung stets untrennbar zusammen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der FDP und des Abg. Dr. Dietmar (Beifall bei der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Bartsch [DIE LINKE]) Theoretisch!) Wir verfügen über ein festgefügtes soziales Netz, um Das heißt: Wenn wir uns für international wettbewerbsfä- das wir in anderen Ländern vielfach bewundert werden. hige Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft einset- Es wird nachgefragt: Wie organisiert ihr diese Sozialpart- zen, dann tun wir dies nicht allein aus wirtschaftspoliti- nerschaft, mit Sozialversicherungssystemen, in denen al- schen Gründen, sondern auch, weil es die zwingende le mitwirken, in denen es eine starke Selbstverwaltung Voraussetzung für einen nachhaltig leistungsfähigen So- gibt? All dies gilt weltweit vielerorts als Vorbild. zialstaat ist. Es ist albern, so zu tun, als sei der Sozialstaat nur eine Belastung für die Wirtschaft. Kluge Sozial- und Die gute Situation in unserem Land – darauf hat der Arbeitsmarktpolitik schafft eine wesentliche Vorausset- Minister zu Recht hingewiesen – ist vor allen Dingen dem zung für eine nachhaltig gute wirtschaftliche Entwick- guten Jahrzehnt starker Entwicklung auf dem Arbeits- lung. Gleichzeitig ist eine gute wirtschaftliche Entwick- markt zu verdanken. Wenn heute über 5 Millionen Men- lung zwingende Voraussetzung eines leistungsstarken schen mehr in Lohn und Arbeit sind, dann ist dies eben Sozialstaats. nicht nur eine statistische Größe, dann bedeutet dies nicht nur eine Entlastung von Sozialkassen, sondern dann ha- (Beifall bei der CDU/CSU) 13832 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Hermann Gröhe (A) Für uns geht es angesichts der Dimension unseres star- beteiligung zu erreichen und gerade auch kleine und mit- (C) ken Sozialstaats in der Weiterentwicklung stets um zwei- telständische Betriebe entsprechend zu unterstützen. erlei. Erstens: Die Beschäftigungsorientierung unserer Maßnahmen muss stets im Mittelpunkt stehen. Zweitens: Ja, wir wissen, dass es trotz guter Entwicklung in vie- Wir müssen dort zielgenau helfen, wo Ausbaunotwendig- len Bereichen des Arbeitsmarktes Herausforderungen für keiten bestehen. Ein unbezahlbares Wünsch-dir-was Branchen gibt, nicht zuletzt auch durch außenwirtschaft- untergräbt nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, son- liche Entwicklungen. Deswegen wird es auch immer wie- dern gefährdet auch die Nachhaltigkeit eines solidari- der darum gehen, gezielt zu helfen. Uns ist klar, dass schen Sozialstaats. Dem trägt die Politik der Koalition dabei auch heute schon Kurzarbeit – es gibt erweiterte Rechnung. Möglichkeiten im Wege der Rechtsverordnung – eine wichtige Rolle spielen kann. Ich sage aber sehr deutlich: Nachdem wir hier erneut in schäbiger Weise gehört Das Wichtigste ist, dass wir jetzt alles tun, um krisenhafte haben, wie die Auswirkungen des Teilhabechancengeset- Entwicklungen zu vermeiden, statt Krisenbekämpfungs- zes in Zweifel gezogen wurden, will ich ausdrücklich maßnahmen ins Schaufenster zu stellen. sagen: Wer einmal mit Menschen geredet hat – Hubertus Noch immer gilt, dass in den allermeisten Wirtschafts- Heil hat Beispiele genannt –, die nach vielen Jahren, in bereichen – das sagen die Arbeitsagenturen in den Bezir- denen sie am Arbeitsmarkt chancenlos waren, weil ver- ken – der Fachkräftemangel die Wachstumsbremse Num- schiedenste Vermittlungshemmnisse sie immer gegen mer eins ist. Deswegen war es ein wichtiger Durchbruch, Wände rennen ließen, wieder eine Arbeit gefunden ha- dass wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz deut- ben, und erlebt hat, was es für diese Menschen bedeutet, lich gemacht haben – übrigens auch als Zeichen der Wert- wieder Eigenverantwortung und Teilhabe zu erleben, der schätzung für berufliche Bildung –, dass nicht nur Aka- weiß, dass es hier nicht um eine statistische Größe geht – demikerinnen und Akademiker, sondern auch beruflich schon heute profitieren 30 000 Menschen von den neu Qualifizierte aus anderen Ländern auf unserem Arbeits- geschaffenen Maßnahmen –, sondern um einen Fort- markt eine Chance erhalten. Dass wir das zielgenau tun, schritt im Leben dieser Menschen. Diesen Weg gehen zeigen Sonderregelungen für IT-Kräfte. Dass wir aus den wir entschlossen weiter, meine Damen, meine Herren. Fehlern der Vergangenheit gelernt haben, zeigt die Wert- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei schätzung für das Erlernen der deutschen Sprache. Abgeordneten der SPD) Den Arbeitsmarkt zu stärken und damit die Grundlage Ich will auch ausdrücklich den Mitarbeiterinnen und Mit- für eine weitere gute Entwicklung von der Rentenpolitik arbeitern in den Jobcentern danken, die als Coaches mit bis zu vielen anderen Bereichen der Sozialpolitik zu le- gen, bestimmt unsere Arbeit. Das wird es auch weiterhin (B) einer ganzheitlichen Begleitung, die der individuellen Le- (D) benssituation eines früheren Langzeitarbeitslosen Rech- tun. nung trägt, einen Beitrag dazu leisten, dass diese Teilhabe (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) möglich ist.

Mich hat besonders erfreut – auch das straft die Diffa- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mierung dieser Maßnahmen Lügen –, aus den Jobcentern Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel, FDP. zu hören, in welchem Umfang – in einem für mich über- raschenden Umfang – sich auch die Privatwirtschaft an (Beifall bei der FDP) diesen Angeboten beteiligt. Es sind keineswegs nur kom- munale Einrichtungen oder Wohlfahrtsverbände. Auch Johannes Vogel (Olpe) (FDP): viele Menschen, die ein kleines, mittelständisches oder Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- größeres Unternehmen verantworten, sagen: Wenn ich ber Herr Minister, lieber Hubertus Heil! Nachdem wir diesen Menschen eine Chance gebe und dabei gut unter- jetzt eigentlich das ganze Jahr wegen des Blockadestreits stützt werde, dann ist das auch für mich als Unternehmen um die Grundrente keine größeren sozialpolitischen Ge- eine Chance. – Das zeigt, dass wir mit einem passgenauen setzesinitiativen erlebt haben, sozialen Arbeitsmarkt auf dem richtigen Weg sind. (Lachen bei der SPD – Kerstin Tack [SPD]: Das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ist ja frech! – Dagmar Ziegler [SPD]: Haben Sie die ganze Zeit geschlafen, oder was?) Um eine zielgenaue Orientierung bei der Beschäfti- gung geht es auch beim Qualifizierungschancengesetz. haben Sie jetzt einen Herbst der Entscheidungen ange- Gerade wo technologische Sprünge, aber auch andere kündigt. Ich muss sagen: Ich finde das gut. Die Frage ist Entwicklungen in einzelnen Branchen und Regionen Ar- allerdings, ob es die richtigen sein werden, liebe Kolle- beitsplätze durch Strukturwandel in Gefahr bringen, ist es ginnen und Kollegen. richtig, vorausschauend Arbeitslosigkeit zu vermeiden (Beifall bei der FDP) und Fachkräftepotenzial zu sichern. Und es ist klug, die erweiterten Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit in Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt erleben wir, dass die diesem Zusammenhang in die Nationale Weiter- Wirtschaft leicht schrumpft. Wir haben im August zum bildungsstrategie einzubinden, in der Bund, Länder und ersten Mal seit sechs Jahren saisonbereinigt einen Anstieg die Sozialpartner ihre Bemühungen bündeln. Es muss der Arbeitslosigkeit erlebt. Ja, das ist – Gott sei Dank – nicht zuletzt darum gehen, auch jene Berufs- und Be- keine schwere Krise wie 2008/2009; aber es ist schon eine völkerungsgruppen mit bisher wenig Weiterbildungs- Veränderung der Lage und auch der Geschäftsgrundlage. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13833

Johannes Vogel (Olpe) (A) Immerhin nimmt die Regierung das so ernst, dass sie an- Das zweite Thema, über das ich kurz sprechen will, ist (C) gekündigt hat, dem Parlament vorzuschlagen, die Krisen- natürlich die Rente. regelung bei der Kurzarbeit von 2008/2009 wieder einzuführen. Darüber kann man reden. Aber, liebe Kolle- (Kerstin Tack [SPD]: Ach!) ginnen und Kollegen, lieber Herr Minister, merken Sie In der Tat: Nachdem Sie im letzten Jahr Geld ausgegeben nicht, dass uns das auch andere Vorhaben hinterfragen haben, als gäbe es kein Morgen, allein hierbei in Ein- lassen sollte? trächtigkeit Mehrkosten in Höhe von einer Viertel Billion Euro bis 2030 produziert haben, die Rentenformel zulas- Sie haben angekündigt, diesen Herbst eine Änderung ten der Jungen manipuliert haben, also in jeder Hinsicht des Teilzeit- und Befristungsrechts vorzulegen. Also aus- eine zukunftsvergessene Politik gemacht haben, stellen gerechnet dann, wenn der Arbeitsmarkt sich eintrübt, Sie sich dieses Jahr wenigstens endlich der richtigen Fra- wollen Sie die Einstiegschancen für die Menschen ver- ge, nämlich: Wie können wir, lieber Kollege Hermann schlechtern und die Flexibilität des Arbeitsmarktes redu- Gröhe, zielgenau etwas gegen Altersarmut unternehmen? zieren. Das passt nicht zusammen. Wir haben gestern jedoch wieder schwarz auf weiß (Beifall bei der FDP) lesen können, lieber Minister Hubertus Heil, dass als Ant- Entweder geht es dem Arbeitsmarkt gut, dann brauchen wort auf diese wichtige Frage das Grundrentenmodell, wir keine Krisenregelung in der Kurzarbeit. Oder es geht das gerade diskutiert wird, leider ein sehr schlechter Vor- dem Arbeitsmarkt schlecht, dann sollten Sie aber sofort schlag ist. alles auf Eis legen, was Einstiegschancen von Menschen (Kerstin Tack [SPD]: Das stimmt ja nicht!) in den Arbeitsmarkt reduziert. Sie verteilen das Geld in krasser Art und Weise mit der (Beifall bei der FDP – Kerstin Tack [SPD]: So Gießkanne. ein Quatsch!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, das Richtig wäre hingegen, etwas gegen die Krise selbst zu ist doch Unsinn! – Kerstin Tack [SPD]: Das tun. stimmt überhaupt nicht!) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!) Die „Süddeutsche Zeitung“, nicht das „Handelsblatt“, nicht die „FAZ“, titelt dazu heute, dass Sie das mit der Ja, ich wünsche mir zum Beispiel Initiativen, die es Grün- „Zielgenauigkeit eines Rasensprengers“ tun würden. dern einfacher machen. Mit Blick auf die Ursachen frage ich: Warum senden Sie nicht jetzt ein klares Signal pro (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das (B) Freihandel? Warum ratifizieren Sie CETA, das euro- kann ja nur von Alexander Hagelüken kom- (D) päisch-kanadische Freihandelsabkommen, nicht endlich? men! Der hat davon keine Ahnung!) (Beifall bei der FDP) Nein, kommt es nicht. – Ich will das auch einmal visua- lisieren; denn ich glaube, dass das notwendig ist. Sie Warum treibt die Bundesregierung bzw. das Wirtschafts- kommen damit in der öffentlichen Debatte noch viel zu ministerium nicht gerade jetzt Freihandelsabkommen gut durch. zum Beispiel mit den ASEAN-Staaten voran? Das wären die Signale, die wir jetzt in weltwirtschaftlich schwieriger (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Lage bräuchten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben von drei verschiedenen Stellen Zahlen ge- (Beifall bei der FDP) sehen, die zeigen, wie ungenau Ihr Grundrentenmodell ist. Ihre eigenen Zahlen, Herr Minister, lieber Hubertus Das heißt natürlich auch, dass wir nach zehn Jahren Heil, zeigen: Wenn man die Modelle mit Bedarfsprüfung, Aufschwung, nach zehn Jahren sinkender Arbeitslosig- die Sie im Bund-Länder-Sozialpartnerdialog durchge- keit heute konstatieren müssen, dass Sie diese lange Zeit rechnet haben, nimmt, kommt man zu dem Schluss, dass nicht genutzt haben, um in guten Zeiten endlich einmal 97 Prozent der Empfänger gar nicht von Altersarmut be- wichtige Zukunftsreformen voranzutreiben. Das ist doch troffen wären. 97 Prozent! In den letzten Tagen des Au- ein Armutszeugnis. gust wurde eine Studie vom IW veröffentlicht, die zeigt, dass Ihr Rentenmodell an 80 Prozent der konkret von (Beifall bei der FDP) Altersarmut Betroffenen vorbeigeht. Gestern hat das Umso mehr ist es notwendig, diese Modernisierungs- DIW Zahlen vorgelegt, das ja nun wirklich kein SPD- schübe jetzt anzugehen und Lust auf Zukunft zu machen. fernes Institut ist. Diese zeigen, dass langfristig 90 Prozent Insofern freuen wir uns auf die Initiativen zur Moderni- der Empfänger bei Ihrem Modell gar nicht von zu wenig sierung des Arbeitszeitgesetzes. Wir freuen uns – da aller- Geld im Alter betroffen sind. dings muss ich eher das Ministerium für Wirtschaft und das Ministerium für Bildung als den Arbeitsminister Heil (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Definie- kritisieren – auf eine nationale Weiterbildungsstrategie, ren Sie Altersarmut! Was ist denn Altersar- die diesen Namen auch verdient. Wir dürfen dabei näm- mut?) lich nicht nur die Bundesagentur für Arbeit in den Blick Das ist ein krass ungenaues Modell, und deswegen ist es nehmen. Dafür wäre jetzt die Zeit. ein schlechter Vorschlag. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) 13834 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Johannes Vogel (Olpe) (A) Sie geben dafür zu viel Geld aus und haben zu wenig möchte besonders auf Ostdeutschland eingehen. In Ost- (C) Geld zur Verfügung, um denjenigen zu helfen, die unsere deutschland arbeitet jeder Dritte zu einem Niedriglohn. Unterstützung gerade brauchen, nämlich all diejenigen, Damit ist die Altersarmutswelle vorprogrammiert. Die die 34 Jahre und 11 Monate oder weniger Versicherungs- Zahlen machen deutlich, dass die Ostdeutschen nicht zeit und im Alter auch zu wenig Geld haben. Für diese nur das Gefühl haben, von der Bundesregierung abge- Menschen müssten wir zielgenau etwas tun. hängt zu sein, sondern dass sie auch tatsächlich abgehängt sind. Ich denke, 30 Jahre nach Maueröffnung muss die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Macht Rentenmauer endlich eingerissen werden, meine Damen doch einen Antrag für 25 Jahre! Dann stimmen und Herren. wir zu!) Das Schöne ist – ich komme zum Schluss, Herr Präsi- (Beifall bei der LINKEN) dent –: Wir als Linke fordern seit 30 Jahren – und da werden wir niemals nachlassen, bis wir es erreicht haben –, dass (Kerstin Tack [SPD]: Genau! Das ist das das Rentenunrecht beseitigt wird. Im Jahr 1991 hat ein Schöne!) Gesetz die Überleitung aller Zusatz- und Sonderversor- Das DIW hat auch unterstrichen, dass es anders geht. Es gungssysteme der DDR in die gesetzliche Renten- unterstützt nämlich unseren Ansatz der Basisrente, mit versicherung geregelt. Viele Ansprüche wurden einfach dem wir deutlich machen, dass man dafür sorgen kann, gestrichen. Es ging zum Beispiel um die Ansprüche von dass jeder, der gearbeitet und eingezahlt hat, im Alter Eisenbahnern und Balletttänzerinnen. Aber auch die ge- mehr als die Grundsicherung und mehr als diejenigen schiedenen Frauen wurden vernachlässigt. Sie kämpfen hat, die das nicht getan haben. Man kann auch dafür sor- bis heute um ihr Recht, und Die Linke steht an der Seite gen, dass diese Menschen im Alter nicht auf das Sozial- der geschiedenen Frauen, meine Damen und Herren. amt gehen müssen. Ein modernes, zielgenaues Modell ist möglich, (Beifall bei der LINKEN) (Dagmar Ziegler [SPD]: Hätten Sie mal Wir wollen eine solidarische Mindestrente. Vorausset- mitregiert! Dann hätten Sie es vielleicht!) zung dafür sind erstens höhere Löhne, zweitens eine Kor- rektur der Rentenformel, und drittens darf es nicht sein, und wir hoffen, dass Sie das in diesem Herbst noch vor- dass die Ostdeutschen bei der Rentenberechnung schlech- legen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. tergestellt werden. Das ist eine Ungerechtigkeit, und ge- (Beifall bei der FDP) gen die kämpfen wir, meine Damen und Herren. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nun sind ja Zahlen immer sehr abstrakt oder können Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, abstrakt sein. Darum muss man sich doch mal vor Augen Die Linke. führen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, und (Beifall bei der LINKEN) was bedeutet Altersarmut konkret? Altersarmut bedeutet Ausgrenzung, bedeutet Einsamkeit. Die Menschen haben Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Angst, ihre Wohnung zu verlieren. Sie kaufen sich kein Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten gesundes Essen mehr, können sich nicht mehr anständig Damen und Herren! Alleinstehend, alt, arm: Altersarmut ernähren. Sie haben keine sozialen Kontakte mehr. Sie wird in 20 Jahren mindestens jeden fünften Beschäftigten müssen ihre Gesundheit vernachlässigen. Sie können sich betreffen. Das ist nicht das Ergebnis unserer Studie, son- keinen Friseurbesuch und, was noch viel wichtiger ist, dern einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschafts- keinen Besuch bei der Fußpflege mehr leisten. Das ist forschung, die gestern vorgestellt wurde, und zwar im ja im Alter ein gravierendes Problem. Ist das eine Gesell- Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Da kann man also schaft, in der wir leben wollen? Wollen wir in einer Ge- nicht von einer Nähe zur SPD oder zur CDU sprechen. sellschaft leben, wo die alten Menschen Flaschen sam- Beide gemeinsam sind zu diesem Ergebnis gekommen. meln müssen, um sich ein kleines bisschen leisten zu Wir als Linke werden Altersarmut niemals akzeptieren. können? Das darf nicht sein. Altersarmut gehört be- kämpft, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir haben die Situation, dass sich die Anzahl der Men- schen, die im Alter armutsgefährdet sind, innerhalb von Ich habe die Erhöhung des Mindestlohnes eingefor- zwölf Jahren verdoppelt hat. Das hat Ursachen. Jeder dert. Aber gleichzeitig müssen auch die Mindestlohnbe- vierte Beschäftigte arbeitet im Niedriglohnsektor. Darum trüger von der Bundesregierung endlich zur Verantwor- fordern wir die Erhöhung des Mindestlohnes auf mindes- tung gezogen werden. tens 12 Euro, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ein Bauarbeiter aus Brandenburg erzählte mir, dass er Jedem dritten Berliner Beschäftigten droht Geldman- seine Überstunden nicht bezahlt bekommt und dass er, gel im Alter, hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss- wenn er darauf bestehen würde, dann seine Arbeit ver- Gaststätten festgestellt. Das ist aber nicht nur ein Berliner lieren würde. Ich finde, das kann nicht sein. Mindestlohn Problem. Es ist ein Problem im ganzen Land. Aber ich ist ein Recht, und wir brauchen Maßnahmen, um den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13835

Dr. Gesine Lötzsch (A) Mindestlohn durchzusetzen. Wir brauchen ihn nicht nur (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann (C) auf dem Papier, meine Damen und Herren. müssen wir die Beiträge anheben!) (Beifall bei der LINKEN) Sie wissen doch jetzt schon, dass Sie viel mehr tun müs- sen, um die Beitragshöhe zu stabilisieren, und zwar ab Es gibt das Projekt „Faire Mobilität“. Es umfasst neun 2024. Beratungsstellen, die finanziert werden, um sogenannte mobile Beschäftigte zu beraten. Diese mobilen Beschäf- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das tigten sind Opfer extremer Arbeitsausbeutung, Opfer, die brauchen wir nicht! Wir müssen die Beiträge wohlgemerkt in kleinen und mittleren Betrieben in anheben und den Riester-Quatsch abschaffen!) Deutschland beschäftigt sind, Wanderarbeiter oder besser Lohnsklaven. Sie sind so zahlreich geworden, dass inzwi- Sie haben auch so gar keine Idee, wie Sie eigentlich die schen eine neunte Beratungsstelle eröffnet werden muss- Mütterrente finanzieren werden. Ich habe zumindest te. Kein Lohn oder niedriger Lohn, unrechtmäßige Kün- nichts mehr dazu gehört. Aber genau diese Frage müssen digung durch den Arbeitgeber – das kann nicht sein. Die Sie doch erst beantworten. Beratungsstellen sind richtig, aber wir müssen konkrete (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Maßnahmen gegen Betriebe ergreifen, die Menschen wie Sklaven behandeln. Das ist unseres Landes unwürdig. Lieber Herr Kollege Birkwald, Sie schreien dazwi- Wir wollen ein solidarisches, ein gerechtes, ein sicheres schen. Ich höre Sie aber leider nicht. Stellen Sie mir eine Land für alle, meine Damen und Herren. Frage; dann kriege ich ein bisschen mehr Redezeit. Ich wäre dankbar dafür. (Beifall bei der LINKEN) Damit gehe ich auf das ein, was Sie angekündigt haben. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wenn Sie jetzt schon mit diesen Milliardenherausforde- rungen so lax umgehen, wenn Sie jetzt schon keine Ant- Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Ekin Deligöz, worten auf die Fragen unserer Zeit haben, wie wollen Sie Bündnis 90/Die Grünen. dann die Zukunftsfragen beantworten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Otto Fricke [FDP]: Genau!)

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zur Grundrente. Das ist ja seit Jahren ein Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Herr Hin-und-her-Spiel: Sie haben sie angekündigt. Dann ist Minister, der Aufwuchs in diesem Etat liegt im Moment das Vorhaben verschwunden. Dann wurde es wieder an- (B) bei 3,5 Milliarden Euro. Aber wir wissen: Es wird wahr- gekündigt, und dann ist es wieder verschwunden. Jetzt ist (D) scheinlich noch mehr sein; denn wir warten ja noch auf es gerade wieder angekündigt, und jeder spekuliert, was die Herbstprognose, und dann wird noch etwas drauf- da drinsteckt. Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht, und Sie kommen. Ehrlich gesagt: Dafür, dass Sie so viel Geld wahrscheinlich auch nicht. Sie haben nämlich keine Ah- verwalten, fand ich sowohl Ihre Rede als auch die Rede nung, wann Sie uns das vorlegen werden. Ich bin mal vom Kollegen Gröhe etwas ideenlos und unambitioniert. gespannt. Ich wage erst, darüber zu urteilen, wenn etwas vorgelegt wird. Aber ich kenne nichts. Kennen Sie denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein konkretes Modell? Nein. Ich kenne es auch nicht. und bei der FDP) Also reden Sie nicht darüber. Die Devise muss doch lau- ten: Handeln, und zwar jetzt sofort! Sie haben so viel zu tun. Ich will das mal anhand von Beispielen ein bisschen konkretisieren: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich fange mit dem Rentenkapitel an, weil da ja das Dann komme ich zum Komplex Arbeit. Ja, ich finde, meiste Geld drinsteckt. Laut Planung werden die Zu- die BA ist im Moment sehr, sehr gut gewappnet. Wenn die schüsse in diesem Bereich bis 2023 um 15 Milliarden Arbeitslosigkeit steigen sollte, wird uns das zwar teuer zu Euro auf eine Summe von 125 Milliarden Euro steigen. stehen kommen, aber noch ist die Lage sehr gut. Man Das ist eine stolze Summe. Aber erst dann kommt die muss da jetzt auch nichts wie Rezession prophezeien, doppelte Haltelinie für Beiträge und Leistungsniveau was noch nicht ist. Aber: Das Beste, um Arbeitslosigkeit richtig unter Druck. Wenn Sie jetzt von der doppelten zu vermeiden, sind immer noch Qualifizierung und Wei- Haltelinie und davon, was Sie Großartiges machen, re- terbildung. Da müssen Sie mehr investieren. Vor diesem den, dann ist das doch nur ein PR-Gag. Blüm hätte seine Hintergrund verstehe ich erst recht nicht, Herr Gröhe – echte Freude an dem, was Sie jetzt machen. Denn die ich sehe Sie gerade nicht –, warum Sie die BA so im Stich Probleme kommen erst ab 2024 auf uns zu, und darauf lassen. Schon wieder wird 1 Milliarde Euro von den Ein- haben Sie keine Antwort – gar keine. gliederungstiteln zu den Verwaltungstiteln rübergescho- ben. Wenn Sie wirklich Qualifizierung und Weiterbildung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wollen, dann müssen Sie doch die Eingliederungstitel Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir ausreichend ausstatten aber! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der Blüm gehört uns, nicht euch!) (Otto Fricke [FDP]: Ja!) Sie wissen doch jetzt schon, dass die Demografiereser- und dürfen nicht immer dieses Hü-und-hott-Spielchen ve viel zu niedrig ist. spielen. Sie machen sich da doch was vor. 13836 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Ekin Deligöz (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) (C) sowie bei Abgeordneten der FDP) Dann müssen Sie endlich mal damit aufhören, ständig Kerstin Tack (SPD): diese kontraproduktiven Sanktionen auszuführen. Über- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- nehmen Sie mal politische Verantwortung und überlassen ber Hubertus Heil! Meine sehr geehrten Damen und Sie nicht alles denen, die in Karlsruhe entscheiden. Das Herren! Wir Sozial- und Arbeitsmarktpolitikerinnen und erfordert nämlich politische Gestaltung. -politiker und das Bundesministerium tragen Verantwor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tung für die Frage, ob sich die Menschen in Deutschland geschützt und sicher fühlen können und ob sie auch in Übrigens: Bei dem, was Sie im Bereich des sozialen Zukunft am Arbeitsmarkt gut geschützt, gut unterstützt Arbeitsmarktes machen, haben Sie meine Fraktion immer und auf die Krise vorbereitet sind. Wir tragen die Verant- hinter sich. Ich finde diese Maßnahmen im Ansatz sehr wortung für die Frage, ob auch in schwierigen Lebens- gut, und ich finde, es ist zu früh, um darüber zu urteilen. situationen unsere Gemeinschaft, unser Staat dafür Sorge Ich glaube, wir müssen dem Ganzen einfach mehr Zeit trägt, dass wir ein Netz des Zusammenhalts haben, durch geben. das niemand in Deutschland fallen kann. Wir tragen dafür Über das, was Sie uns im Bereich beziehungsweise in Sorge, dass Ausbildung auch für die Zukunft garantiert Ergänzung des Qualifizierungschancengesetzes vorschla- ist. Wir tragen dafür Sorge, dass unsere Gemeinschaft gen, muss ich schon ein bisschen schmunzeln, weil: Su- auch Menschen mit Beeinträchtigungen trägt und sich pername, keine Inhalte. für zuständig erklärt. Wir tragen dafür die Verantwortung, dass wir Zusammenhalt in Deutschland gemeinschaftlich (Kerstin Tack [SPD]: Was?) organisieren. Und dann kündigen Sie noch ein Gesetz und noch ein (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gesetz an. Ich finde, Sie können noch so schöne Namen erfinden – Arbeit-von-übermorgen-Gesetz, Arbeit-von- Das tun wir mit immerhin 41 Prozent des gesamten Bun- gestern-oder-von-heute-Gesetz –, aber der Name macht deshaushaltes; richtiges, gut angelegtes Geld für den so- es nicht aus. Wir brauchen einen großen Wurf und nicht zialen Zusammenhalt in Deutschland. diese Politik der kleinen Schritte, wo nicht mal Sie wis- sen, was am Ende rauskommen wird bei der ganzen Ge- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje schichte. Der Name bringt noch keine Qualität in die Lezius [CDU/CSU]) ganze Sache. Dass das gut und richtig ist, sehen wir insbesondere an (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Entwicklung – auf die möchte ich gerne eingehen –, (D) sowie bei Abgeordneten der FDP) wenn es um Transformation und die Frage, wie sich der Arbeitsmarkt der Zukunft entwickelt, geht. Es ist richtig Ich möchte noch zwei offene Punkte ansprechen, Herr und gut, dass wir in dieser Koalition angefangen haben, Minister: Ich finde es sehr gut, was wir im Bereich der die Bundesagentur für Arbeit umzubauen und zu sagen: Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete tun. Aber wir Sie ist nicht mehr erst dann zuständig, wenn Arbeitslo- machen noch zu wenig für die Frauen in dieser Situation. sigkeit unmittelbar bevorsteht oder eingetreten ist, son- Da besteht eine große Lücke. Hier müssen wir noch stär- dern sie kann mit den Beitragsmitteln der arbeitenden ker agieren und Ideen entwickeln. Bevölkerung jetzt schon frühzeitig für Unterstützung in Ein Letztes. Sie arbeiten gerade an einem Entschädi- der Form sorgen, dass Fort- und Weiterbildung, dass Um- gungsrecht, SGB XIV. Sie haben vor, die Traumaambu- schulung auch dann finanziert wird, wenn die Arbeitslo- lanzen auszubauen. Das finde ich super. Aber Sie kon- sigkeit noch nicht eingetroffen ist. – Es ist gut, dass wir zentrieren sich auf Erwachsene. Kinder kommen in Ihren die Bundesagentur für Arbeit umgestalten zu einer Entwürfen nicht vor. Bundesagentur für Arbeit und Beschäftigung. Wir starten eine große Fortbildungsinitiative. Das ist gut, richtig, (Dr. [SPD]: Unglaublich! Das wichtig und vernünftige Politik. ist einfach falsch!) Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Johannes Vogel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [Olpe] [FDP]) Sie brauchen ihre eigenen Lösungen. Herr Minister, über- Noch besser ist es, dass wir damit nicht aufhören, dass sehen Sie nicht diejenigen, die unsere Unterstützung am wir mit dem Qualifizierungschancengesetz nur den ersten meisten brauchen und für die wir die größte Verantwor- Schritt gemacht haben und jetzt weitergehen und Antwor- tung tragen. Bitte denken Sie daran: Auch Kinder haben ten auf die Fragen finden: Wie organisieren wir das Mit- einen Anspruch auf eigene Rechte, auch in Ihrem Gesetz. machen des Staates? Wie können wir die Arbeit von mor- gen, die neue Anforderungen für die Beschäftigten zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Folge hat, begleiten und unterstützen? Wir lassen hier Kerstin Tack [SPD]: Kriegen sie auch!) weder die Betriebe noch die Beschäftigen in Deutschland allein, sondern wir erklären das zu einer gemeinschaft- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: lichen Aufgabe. Der Staat wird unterstützend begleiten Kerstin Tack, SPD, ist die nächste Rednerin. und niemanden alleinlassen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13837

Kerstin Tack (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) der CDU/CSU) Ulrike Schielke-Ziesing, AfD, ist die nächste Redne- Zur sozialen Sicherung. Ich habe mich wahnsinnig ge- rin. ärgert, als ich gelesen habe, dass aus den Reihen der FDP (Beifall bei der AfD) auf die Frage: „Wie viel staatliche Zuschüsse geben wir in die Rentenversicherung?“, gesagt wurde, dass das eine Verschwendung von Steuergeldern sein soll. Ich finde Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): es eine Frechheit. Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürger! Dieser Einzelplan stellt wieder (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Bartke neue Rekorde auf, aber nicht alles, was sich die Koalition [SPD]: Sehr richtig! – Matthias W. Birkwald vorgenommen hat, wird auch umgesetzt. Daher ist es [DIE LINKE]: Unverschämtheit!) interessant, zu sehen, was nicht in diesem Einzelplan Kollege Vogel, jetzt schwatzt du gerade in den eigenen steht. Das ist zum einen die Grundrente. Das ist aber auch Reihen, aber ich spreche dich konkret an. – Schön, dass klar; denn die soll es erst 2021 geben. Wir finden aber du mir zuhörst. auch in der mittelfristigen Finanzplanung nichts für die nächsten Jahre dazu. Da wird es schon interessant; denn (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Immer gerne, auch ohne Grundrente hatte Minister Scholz sehr große Kerstin!) Mühe, die schwarze Null zu erreichen. Es bleibt also spannend, wie die weitere Diskussion zur Grundrente in Ich finde es eine Frechheit und eine Unverschämtheit, der Koalition verläuft: So windig und unterfinanziert, wie was du heute wieder abgeliefert hast. von Minister Scholz vorgeschlagen, oder vielleicht doch (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Ach was?) solide gegenfinanziert? Wir werden es sehen. Ich finde, man kann sich nicht hierhinstellen und sagen, Wie eine neue Bertelsmann-Studie bestätigt – der Mi- dass 90 Prozent der Menschen in Deutschland so reich nister sprach es vorhin an –, ist unser Vorschlag zur Be- und so gut abgesichert sind, dass sie einer Aufstockung kämpfung der Altersarmut der richtige Weg: keine und einer Anerkennung ihrer Lebens- und Arbeitsleistung Grundrente mit der Gießkanne, sondern eine teilweise nicht bedürfen. Das ist eine Klatsche für die vielen Anrechnungsfreistellung der Rente bei der Grundsiche- Frauen, die von unserem Grundrentenmodell profitieren. rung im Alter. Diese Idee dürfen Sie gerne übernehmen. Ich finde es eine Frechheit, davon zu reden – übrigens ihr in eurem Konzept auch, aber ihr verlasst es bei der Kritik (Beifall bei der AfD – Kerstin Tack [SPD]: der anderen Konzepte –, es würde hier nicht um Fürsorge Nee, das machen wir auf keinen Fall!) (B) (D) gehen. Wenn ihr bei eurem Konzept ausschließlich bei Was fehlt noch im Einzelplan 11? Laut Koalitionsver- Freibeträgen bleibt, dann seid ihr in der Fürsorge. Dann trag soll es einen Fonds für Härtefälle geben, die bei der nennt es auch nicht Rente; denn das ist Verarsche, und das Umwertung der Renten Ost entstanden sind, beispiels- brauchen wir nicht. weise für die in der DDR geschiedenen Frauen. Wird (Beifall bei der SPD und der LINKEN) dieser Fonds 2020 immer noch nicht eingeführt? Viel- leicht habe ich die entsprechende Position ja nur über- lesen; denn es kann eigentlich nicht sein, dass ein Minis- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ter, der sich so sehr um die hart arbeitenden und fleißigen Frau Kollegin Tack. Menschen kümmert, diese Personengruppe einfach ver- gisst. Sind die Ostrentner, Minister Heil, nicht wichtig Kerstin Tack (SPD): genug? Sind es zu wenige Wähler, um sich ausreichend Ich komme zum Ende. um sie zu kümmern? Mit der Verteilung des Geldes wird natürlich auch die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Strategie des Ministeriums für Arbeit und Soziales für das Ja, bitte. kommende Jahr festgelegt. In der Präambel des Einzel- planes heißt es, dass das Ministerium mittels gezielter Kerstin Tack (SPD): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf Veränderungen rea- Zu sagen, es wäre eine Verschwendung von Steuermit- giert bzw. vorausschauend agiert. Wie bereitet sich das teln, wenn wir Geld in die gesetzliche Rentenversiche- Ministerium denn auf den digitalen Wandel der Arbeit rung geben, kann aus meiner Sicht wirklich nur aus dem vor? Wie viele Mittel werden in einem so wichtigen Be- Mund einer Partei der Besserverdienenden kommen. reich zur Verfügung gestellt? Es sind ganze 89,2 Millio- nen Euro; wenn wir eine zusätzliche Finanzspritze des (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Finanzministeriums dazurechnen. Das sind nicht einmal LINKEN) 0,1 Prozent des Gesamtumfanges des Einzelplanes 11. Das ist wirklich eine Frechheit. Das ist unverschämt. Ich Noch lächerlicher erscheint der Betrag, wenn wir uns finde, dass der Steuerzahler erkennen muss, woran er bei die berufsbezogene Deutschsprachförderung durch das der FDP ist. BAMF ansehen: 365 Millionen Euro allein für das Herzlichen Dank. Jahr 2020. Bereits in den letzten Haushaltsberatungen habe ich darauf hingewiesen, dass damit wieder dieselben (Beifall bei der SPD) falschen Schwerpunkte gesetzt werden. Die berufsbezo- 13838 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Ulrike Schielke-Ziesing (A) gene Deutschsprachförderung ist nicht so begehrt, wie die die zu weniger Integration und zu mehr Inakzeptanz bei (C) Höhe des Ansatzes vermuten ließe. Das Ministerium der Mehrheitsgesellschaft führt, müssen beendet werden. selbst schreibt in den Erläuterungen, dass die Mittel in diesem Jahr nicht vollumfänglich ausgeschöpft würden (Beifall bei der AfD) und der Ansatz für das nächste Jahr zurückgefahren wird. Diese Maßnahmen wären nötig. Leider liefert Minister Er wird aber nur sehr vorsichtig zurückgefahren, da sich Heil hier nicht. die konjunkturelle Entwicklung eintrüben würde und dies möglicherweise Auswirkungen auf die Integration von Vielen Dank. Flüchtlingen hätte. Ich werde mir das in den Berichters- tattergesprächen genauer erklären lassen; denn diese Ab- (Beifall bei der AfD) leitung ist für mich nicht logisch. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der AfD) Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Im letzten Jahr sind über 200 000 Deutsche ausgewan- Kollegen Johannes Vogel, FDP. dert. Die meisten von ihnen sind ausgebildete Fachkräfte, die wir in Deutschland dringend benötigen. Was machen (Beifall bei der AfD) die Zielländer richtig? Und viel wichtiger: Was macht die deutsche Bundesregierung falsch? Hier muss doch ange- Johannes Vogel (Olpe) (FDP): setzt werden, um diese Menschen in Deutschland zu hal- Liebe Kollegin Kerstin Tack, wir schätzen uns ja, glau- ten. Es müssen wieder Perspektiven aufgezeigt werden, be ich, persönlich eigentlich. Aber wenn Sie hier zu Wor- damit diese Fachkräfte in Deutschland bleiben. Wenn ten wie „Verarschung“, „Frechheit“, „Unverschämtheit“ aber der Hauptfokus weiterhin darauf liegt, Fachkräfte greifen, dann kann ich das – das muss ich ganz ehrlich aus aller Welt in Deutschland aufzunehmen und erst ein- sagen – so nicht stehenlassen. Offenbar hat die Kritik ja mal rudimentär auszubilden, und nicht darauf, die vor- wehgetan. Wenn man sich so in den Worten vergreift, ist handenen Fachkräfte zu unterstützen, dann wird sich das anzunehmen. Aber ich sage ganz ehrlich: Sie werden der Fachkräftemangel weiter verschärfen. es aushalten müssen, dass wir Ihnen Ergebnisse seriöser Kommen wir zur Rentenversicherung. Der Bundeszu- Forschungsinstitute zu Ihrer Politik in diesem Land vor- schuss zur gesetzlichen Rentenversicherung durchbricht halten. Und Sie werden es auch aushalten müssen, dass im Jahr 2020 die 100-Milliarden-Euro-Schallmauer. Das wir Ihnen vorhalten, dass Hundertausende Menschen hört sich unglaublich viel an. Man muss hier aber diffe- nach Ihrem Modell leer ausgehen, obwohl sie gearbeitet renzieren und schauen, was an Teilbeträgen enthalten ist haben und Versicherungszeiten haben, und zwar weil sie (B) und was nicht enthalten ist. Hier spreche ich wieder von vielleicht nur 34 Jahre und elf Monate gearbeitet haben. (D) den versicherungsfremden Leistungen. 2017 betrug die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schlagt Unterdeckung der versicherungsfremden Leistungen doch 25 Jahre vor!) 30 Milliarden Euro im Jahr. Wie könnte die gesetzliche Rentenversicherung aussehen, hätte sie dieses Geld tat- Das werden Sie aushalten müssen, weil uns diese Men- sächlich zur Verfügung? Beiträge könnten gesenkt wer- schen nicht egal sind. Ich finde, wer sprachlich so ent- den, das Rentenniveau könnte erhöht werden, oder man gleist, der richtet sich selbst. Aber wir haben ja die Chan- könnte der Rentenversicherung die Möglichkeit geben, ce, künftig wieder anders miteinander umzugehen. durch die Erhöhung der Nachhaltigkeitsrücklage für schlechtere Zeiten vorzusorgen. (Beifall bei der FDP)

(Beifall bei der AfD – [SPD]: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bei den Zinsen?) Mögen Sie antworten, Frau Kollegin Tack? – Bitte Das alles wird nicht passieren; denn mit einer Eins-zu- sehr. eins-Abrechnung der versicherungsfremden Leistungen müsste der Arbeitsminister seine Wahlkampfgeschenke Kerstin Tack (SPD): selbst finanzieren. Da ist es dann doch viel einfacher, die Versichertengemeinschaft zu belasten und sich um Die Frage der Wortwahl und danach, wie wir miteinan- die Finanzierung nicht weiter zu kümmern. der umgehen, stellt sich immer, wenn es um die Ausge- staltung der Grundrente geht. In vielen Veranstaltungen in Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Einzelplan 11 den letzten Tagen und Wochen haben wir das erlebt. Wir setzt wieder nicht die richtigen Akzente. Die berufliche erleben immer wieder, dass wir eine unterschiedliche Fort- und Weiterbildung muss gestärkt werden, damit Vorstellung davon haben, an welcher Stelle im Bereich Deutschland eigene Fachkräfte ausbilden und auch in der sozialen Sicherung in diesem Land sich der Staat wie Deutschland halten kann. Die Lücke der versicherungs- einbringen soll. Aber wenn man sich hinstellt und sagt, fremden Leistungen muss geschlossen werden, damit un- dass die Einbindung des Staates in die gesetzliche Ren- sere Rentner ein würdevolles Leben leben können. Und tenversicherung durch seine Zuschüsse eine Verschwen- die Subventionen einer die Gesellschaft schädigenden dung von Steuergeldern ist, Asylindustrie, (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Mit keinem (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Peinlich! Jetzt Wort! – Otto Fricke [FDP]: Wer hat das ge- wird es wieder ganz peinlich!) sagt?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13839

Kerstin Tack (A) dann haben wir dazu eine Meinung, und die sagen wir fähigen Sozialstaat. Dieser Haushalt zeigt: Unser Sozial- (C) auch. staat ist und bleibt leistungsfähig. Wenn Sie daherkommen und sagen, für Sie sei die Aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei zahlung einer Grundsicherung Teil des Rentensystems, Abgeordneten der SPD) eine Art Rente, dann muss ich sagen: Das ist einfach Zu Recht machen wir uns Sorgen um einige Anzeichen falsch. Dann muss man den Menschen in diesem Lande krisenhafter Entwicklungen in unserer Wirtschaft. Wenn sagen, dass man sich bei einer Aufstockung über die schon über die Renten-, die Arbeitslosenversicherung Grundsicherung im Bereich der Fürsorge befindet; denn usw. diskutiert wird, will ich als Erstes sagen: Wir werden es handelt sich dabei um eine Leistung des Sozialamtes Ende dieses Jahres in der gesetzlichen Rentenversiche- und nicht der Rentenversicherung. rung voraussichtlich eine Rücklage von 40 Milliarden (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto Euro haben. Das haben wir schon ewig lange nicht mehr Fricke [FDP]: Dann geht es ja erst recht um gehabt. Bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg Bedürftigkeit!) werden wir am Ende des Jahres voraussichtlich eine Rücklage in Höhe von 25 Milliarden Euro haben. Ich finde, wenn man diesen Sprachgebrauch nutzt, dann muss man sich auch ehrlich machen, dann darf (Otto Fricke [FDP]: Nein!) man das nicht anders kommunizieren, als es die Das haben wir noch nie gehabt. Das heißt unter dem Strukturen in diesem Land hergeben. Strich: Mit diesen hohen Rücklagen – vor allem der der (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Habe ich nicht Bundesagentur für Arbeit – sind wir für die Bekämpfung gemacht!) etwaiger Krisen besser gerüstet als je zuvor. Das ist die Sicherheit, die unsere Bürgerinnen und Bürger haben. Deshalb bin ich für Ehrlichkeit in der Sache und nicht für immer wiederkehrende Falschinformationen. Wenn man (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) das anders macht, dann muss man sich gefallen lassen, Ich verstehe ja, dass die Opposition etwas zu kritisieren dass andere dazu sagen: Da werden Leute hinter die Fich- finden muss und dass sie natürlich vor allen Dingen von te geführt. Ob man das so oder anders nennt, bleibt eine Krisen spricht, die auf uns zukommen könnten. Aber Entscheidung des Betrachters. Ich finde, dass es durchaus auch wenn uns Krisen drohen, ist die wichtigste Nach- in Ordnung ist, es auch in dieser Form zu sagen; denn das richt doch: Wir sind Gott sei Dank finanziell handlungs- ist eine wiederholte Falschinformation der Menschen in fähig, und wenn es notwendig ist, werden wir diese Rück- diesem Land. lagen auch dafür einsetzen, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und den Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit (B) (Beifall bei der SPD – Johannes Vogel [Olpe] (D) zu gewähren. Das ist das Wichtige. [FDP]: Das ist eine Lüge, ich hätte gesagt, das sei Verschwendung von Steuergeldern! Das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kann man im Protokoll nachlesen! Mit keinem Wenn man schon über krisenhafte Entwicklungen Wort!) spricht, dann wäre es schön, man würde auch feststellen, dass sie nicht hausgemacht sind. Die Verunsicherung der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: deutschen Wirtschaft, die sich derzeit breitmacht, kommt Dann können Sie ja in Zukunft wieder friedlich mit- vor allen Dingen extern zustande, durch die Handelskrie- einander umgehen. – Ich erteile das Wort dem Kollegen ge, die auf dieser Welt angezettelt werden, und auch durch Peter Weiß, CDU/CSU. den Brexit. Es wäre schön, wenn alle Fraktionen dieses Parlaments diese klare Analyse teilen und sich für eine (Beifall bei der CDU/CSU) Stärkung der europäischen Idee, gegen Handelskriege und für freien Handel in dieser Welt einsetzen würden. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Bei mancher Rede kann man ja schaudern, was Schreck- Abgeordneten der SPD und der FDP] FDP) liches auf uns zukommt. Ich will das nur einmal festhal- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir nutzen ten: Wir diskutieren über den Haushaltsansatz Arbeit und diesen Haushalt und die Gesetzgebung in diesem Herbst Soziales für 2020. Das ist der größte Posten im Bundes- auch dafür, die Bürgerinnen und Bürger weiter zu ent- haushalt. Wir steigern ihn erneut, das heißt, sein Anteil lasten. Aus vielen Zuschriften weiß ich, dass die Frage am Gesamtbundeshaushalt wird noch größer. Darüber hi- von Angehörigen Pflegebedürftiger, ob sie unterhalts- naus liegt eine mittelfristige Finanzplanung vor, in der der pflichtig sind, wenn das Geld des Pflegebedürftigen nicht einzige Haushalt, der in den kommenden Jahren noch ausreicht, eine große Rolle spielt. Deswegen ist es in der weiter anwachsen wird, dieser Haushalt ist, der Haushalt ganzen Palette von Entlastungen für die Bürgerinnen und für Arbeit und Soziales, der von heute 41 Prozent am Bürger, die wir uns miteinander vorgenommen haben, ein Gesamthaushalt auf knapp 44 Prozent am Gesamthaus- wichtiges Vorhaben, dass wir in diesem Herbst das An- halt im Jahr 2023 anwachsen wird. gehörigen-Entlastungsgesetz beschließen werden. Perso- nen, die nicht mehr als 100 000 Euro Jahreseinkommen (Otto Fricke [FDP]: Ja, ja!) haben, werden künftig von der Verpflichtung, für die Allein diese Fakten zeigen doch: Wir, die Regierungs- Pflege einzustehen, befreit werden. Das ist für viele Men- koalition, bekennen uns zu einem starken und handlungs- schen in unserem Land eine befreiende Nachricht, und sie 13840 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Peter Weiß (Emmendingen) (A) zeigt: Unser Staat ist handlungsfähig. Wir entlasten die tigste Ansatz in der Arbeit mit und für Menschen mit (C) Bürgerinnen und Bürger dort, wo wir können. Behinderungen ist es, den Weg in Arbeit für junge Men- schen mit Behinderungen besser zu öffnen. Das ist das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ziel, das wir mit dem Budget für Arbeit verfolgen, wel- bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. ches wir im Herbst zusammen beschließen wollen. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, da klatschen wir mal bei Herrn Weiß! Ausnahmsweise! Weil (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und das wirklich sinnvoll ist!) der SPD) Ich finde, es muss immer die Aufgabe der Sozialpolitik Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist jetzt sein, zuallererst auf die zu schauen, die Hilfe am drin- vielfach das Thema Rente angesprochen worden. Ja, gendsten notwendig haben. wir wollen ein zukunftsfestes System der Alterssicherung in Deutschland gestalten, das es vor allen Dingen mit den ( [CDU/CSU]: Auch auf die großen Herausforderungen durch den demografischen SPD?) Wandel aufnimmt. Dazu gehört eine zielgerichtete Ich habe mich deswegen in diesem Sommer aufgemacht, Grundrente. Wir als Union bekennen uns dazu. Wer mehrere Jobcenter zu besuchen und zu schauen, ob das, 35 Jahre gearbeitet, gepflegt, Kinder erzogen hat, der was wir für die Integration von Langzeitarbeitslosen be- sollte am Schluss auf jeden Fall mehr haben als Grund- schlossen haben, also von denen, die es am allerschwers- sicherung. Das werden wir auch verwirklichen. ten haben, wieder auf den Arbeitsmarkt zurückzukom- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und men, wirklich ankommt. Bei den Gesprächen mit der SPD) betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die diese Förderung jetzt über fünf Jahre erhalten können, habe Aber wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger ins- ich glückliche Gesichter gesehen, weil sie das Gefühl gesamt in der Zukunft auf eine ausreichende Altersver- haben, endlich wieder gebraucht zu werden. Ich habe sorgung blicken können. Deswegen sollte man nicht nur mit sehr vielen Coaches gesprochen. Ich muss sagen: auf die gesetzliche Rente schauen, sondern auch auf die Wir haben in unseren Jobcentern tolle Coaches, die sich ergänzende Altersvorsorge. Wir haben in der letzten wirklich umfassend kümmern. Legislaturperiode mit Unterstützung von Herrn Dr. Schäuble, damals noch als Bundesfinanzminister, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein bemerkenswertes Betriebsrentenstärkungsgesetz be- der SPD) schlossen. Ich bin aber über die Umsetzung nicht so Das zeigt eines: Es kommt nicht immer nur auf das große wahnsinnig glücklich. (B) Geld an, sondern viel wichtiger ist vielleicht, die persön- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ha- (D) liche und personale Hilfe zu gewährleisten. Ich muss sa- be ich Ihnen aber vorhergesagt, Herr Weiß! gen: Ich bin stolz darauf, dass wir die Stellung des Coa- Mehrfach! Das ist ein schlechtes Gesetz gewe- ches so stark im Gesetz verankert haben. Mit der sen!) finanziellen Förderung und mit der Unterstützung durch einen Coach kann es uns gelingen, Langzeitarbeitslosig- Deswegen halte ich es zum Beispiel für eine wichtige keit wirklich aufzubrechen und Menschen eine Perspek- Frage, die in der Rentenkommission geklärt werden tive zu geben, die daran schon gar nicht mehr geglaubt muss: Sollen wir nicht die betriebliche Altersvorsorge, haben. auf die heute rund 60 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bauen können, für alle Arbeitnehme- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) rinnen und Arbeitnehmer und für alle Unternehmen in Es sind vor allen Dingen Menschen mit Behinderun- Deutschland verpflichtend machen? gen, die, wie ich finde, in einem Sozialstaat einer ganz (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Wir haben uns schaffen wir die Doppelverbeitragung von Be- mit dem Bundesteilhabegesetz, in der letzten Legislatur- triebsrenten ab!) periode beschlossen, auf den langen Weg in die inklusive Gesellschaft gemacht. Wir werden mit diesem Haushalt Solche Fragen werden wir miteinander diskutieren und und mit den in diesem Herbst zu verabschiedenden Ge- prüfen müssen. setzen zwei weitere wichtige Punkte beschließen. Ich möchte, dass die Altersvorsorge, durchaus auch auf Der erste Punkt – das ist im Haushalt abgebildet –: Wir mehreren Beinen sicher stehend, für die Deutschen aus- werden die unabhängige, ergänzende Teilhabeberatung, reichend ist, dass man mit ihr auch im Alter den Lebens- also die neue Beratungsstruktur, die wir im Land als Ex- standard halten kann. Dafür ist nicht nur die gesetzliche periment aufgebaut haben, entfristen und dauerhaft finan- Rente, sondern auch eine zusätzliche Altersvorsorge ein zieren. Eine wichtige Nachricht für alle Menschen mit Thema, dessen wir uns nach den Beratungen der Behinderungen und deren Angehörige! Rentenkommission annehmen müssen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Bundeshaus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und halt 2020 – zusammen mit der Gesetzgebung, die wir in der SPD) diesem Herbst vorhaben – setzt ein starkes Signal für den Zweiter Punkt. Wir hatten schon im Bundesteilhabege- Sozialstaat. Zudem: Das, was wir hier leisten, kann sich setz das Budget für Arbeit eingeführt. Wir führen jetzt sehen lassen. Die Bürgerinnen und Bürger können darauf auch ein Budget für Ausbildung ein. Ich glaube, der wich- vertrauen: Wir werden den Krisen mit den Mitteln, die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13841

Peter Weiß (Emmendingen) (A) wir haben, entschieden entgegentreten, um die Arbeit für (Bundesminister Hubertus Heil erhebt erneut (C) die Menschen in diesem Land zu sichern. sein Glas in Richtung des Redners und trinkt es aus) Vielen Dank. Ja, ich merke, Sie müssen die zusätzlichen 3 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auch noch vertrinken. – 103 Prozent verwenden wir dafür. neten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kein Wort zur Doppelverbeitragung! In einem Sozialstaat könnten wir jetzt sagen: Das ist ja Dann wird das nichts mit der Betriebsrente!) okay, weil eine soziale Marktwirtschaft einen starken So- zialstaat braucht. – Aber das muss dann nach der Frage der Bedürftigkeit gehen. Sie merken, da kommt man dann Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zu der Frage: Wie gehen Sie eigentlich mit dem Thema Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDP. Grundrente um? Sie sprechen von Bedürftigkeitsprüfung. (Beifall bei der FDP) Eigentlich geht es um die Frage: Bedingungslose Grund- rente oder bedingungsfreie Grundrente? Otto Fricke (FDP): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach! Geschätzter Herr Präsident! Ich könnte jetzt wieder die Das ist doch völliger Unsinn! – Weitere Zurufe allgemeine Haushälterrede zu der Bedeutung und der von der LINKEN) Schwere des Haushaltes halten und Zahlen nennen. Aber Das merke ich doch an Ihrer Reaktion; Sie sind in der ich versuche, bildlich nicht nur klarzumachen, dass das Vergangenheit. der größte Einzelhaushalt ist, sondern mit Blick auf das fleißig arbeitende Kabinett – das nicht richtig zuhört, was Worüber wir hier eigentlich diskutieren müssten, ist die es aber sollte – auch einmal zu verdeutlichen, was dieser Frage: Bedingungsloses BAföG – ja oder nein? Aber was Haushalt für die Zukunft bedeutet. machen Sie beim BAföG? Die Mittel dafür werden um 300 Millionen Euro gesenkt. Das ist der Unterschied: Sie (Der Redner hält ein Glas Wasser hoch) bewegen sich weiterhin nur in die Richtung, Vergangen- Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürger, stellen heitslösungen darzustellen, statt in die Zukunft zu gehen Sie sich vor: Das ist das, was der Bundeshaushalt in den und dort das Geld entsprechend auszugeben. Jahren 2019 bis 2023 an zusätzlichen Ausgabemöglich- keiten hat. Herr Minister, so viel. Jetzt überlegen Sie ein- (Beifall bei der FDP) mal, was von diesen zusätzlichen Ausgabemöglichkei- Dabei sind Sie dann auch noch – auch das will ich (B) ten – welchen Schluck aus dem Glas – sich der Kollege sagen – letztlich – Herr Präsident, ich hoffe, das ist ein (D) Heil gönnt. besseres Wort als das, das die Kollegin Tack benutzt hat – bigott. (Der Redner leert das Glas in einem Zug – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Gleich verschütten Sie es!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Fricke, die Kollegin Mast würde Ihnen Das gesamte Glas! gerne eine Zwischenfrage stellen. (Bundesminister Hubertus Heil erhebt sein (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie Glas in Richtung des Redners) will wissen, was „bigott“ ist! – Gegenruf des Jetzt können Sie sagen – wie es der Kollege Weiß zum Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo- Schrecken seiner eigenen Fraktion gesagt hat –: Und das her sollen wir das wissen?) ist gut so. – Sie könnten aber auch auf dieses Kabinett schauen, das dort sitzt und – bis auf die Kollegin Otto Fricke (FDP): Hagedorn, die etwas schreibt – denkt –: Das ist doch nicht Gerne. schlimm. – Ist es denn richtig, wenn von den Mehrein- nahmen, die ein Staat hat, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Bundesminister Hubertus Heil trinkt aus Frau Kollegin Mast. seinem Glas) alles in Arbeit und Soziales fließt und nichts mehr in die Katja Mast (SPD): Bildung, nichts mehr in den Bereich Nachhaltigkeit und Sehr geehrter Herr Kollege Fricke, Sie haben bezüglich nichts Zusätzliches in den Bereich Familie geht? Das ist der Grundrente gerade das Wort „bedingungslos“ in den die Krux dieses Haushaltes und dieser Bundesregierung, Mund genommen. Ich hätte gerne von Ihnen eine Defini- meine Damen und Herren. tion von „bedingungslos“. Denn ich verstehe unter „be- dingungslos“ keinerlei Vorbedingungen, damit man die (Beifall bei der FDP) Grundrente bekommt. Ich sehe es aber so, dass der Vor- Wenn wir dann weitergehen – auch das will ich noch schlag von Hubertus Heil eine ganz wesentliche Bedin- verdeutlichen; es gibt Zahlen dazu –: Wir haben einen gung enthält dafür, dass man die Grundrente überhaupt Aufwuchs von 100 Prozent bei den Mehreinnahmen. bekommt, nämlich 35 Jahre Arbeit, Kindererziehung oder 103 Prozent, Kollege Heil. 103 Prozent! Pflege von Angehörigen. 13842 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Katja Mast (A) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das ist ja das verlieren. Im Endeffekt werden wir den Leuten dann et- (C) Problem!) was versprochen haben, was wir nicht halten können. Das Deshalb wäre es für mich spannend, zu hören, ob Sie ist keine moderne Haushaltspolitik, das ist keine moderne finden, „bedingungslos“ heißt „Es gibt keine Bedingun- Sozialpolitik, sondern das ist das Ermöglichen von Er- gen“ oder „Es gibt Bedingungen“. wartungen. Herr Minister, Sie haben gesagt: Es geht um Haltung. – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Da sage ich Ihnen: Nein, es geht nicht um Haltung, es geht Otto Fricke (FDP): um Handeln und um Hilfe, und die Haltung ist dabei Sehr geschätzte Frau Kollegin, erstens. Natürlich gibt sekundär. es – wie immer bei der Rente – Rahmenbedingungen, in Herzlichen Dank. denen sich die Rente bewegt, und dazu gehört auch die Frage eines bestimmten Zeitablaufes oder einer bestimm- (Beifall bei der FDP) ten Situation, wie etwa bei der Hinterbliebenenrente. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Katja Mast [SPD]: Also Bedingungen!) Jetzt hat das Wort die Kollegin Katja Kipping, Die Nur um Ihnen dazu ganz klar zu sagen: Was ist denn Linke. das eigentlich für eine komische Bedingung? (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Aber es ist eine Bedingung!) Katja Kipping (DIE LINKE): Wenn Sie 35 Jahre voll haben, bekommen Sie was. Wenn Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Herr Sie 35 Jahre minus einen Tag haben, bekommen Sie Fricke mit seinem amüsanten Wasserglasbeispiel leider nichts. verschwiegen hat, ist: Wenn es nach den Steuerplänen der FDP ginge, wäre in diesem Glas nichts drin. Sie (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist von der FDP wollen ja noch eine Wasserleitung aus im Rentenrecht immer so, Herr Kollege!) dem öffentlichen Haushalt zu den Superreichen legen, Solche Bedingungen sind meiner Meinung nach keine um ihnen Steuergeschenke zu machen. Bedingungen, und das ist genau das, wo ich immer wieder feststellen muss: Es wird nicht so sein. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (B) Nun zum Einzelplan Arbeit und Soziales. Dieser um- (D) Jetzt kommen wir – ich komme wieder zu meiner Rede, fasst 141 Seiten. Liebe Zuhörende, wissen Sie, was Ihnen Herr Präsident – einmal dazu, wie die SPD mit dem The- aus jeder dieser Seiten entgegenspringt? Es ist der Geist ma „Bedürftigkeitsprüfungen/Bedingungen bei der des Weiter-so. Weiter-so bedeutet weitere Verfestigung Rente“ umgegangen ist. Im Jahre 2001 haben Sie zusam- von Armut, weitere soziale Spaltung. men mit den Grünen bei der Hinterbliebenenrente die Frage der Bedingungen und der Bedürftigkeit angeschärft Herr Heil, in Ihrer Haushaltsrede vor einem Jahr war bis zum Gehtnichtmehr. Sie haben es in der Frage, ab das von Ihnen am meisten verwendete Adjektiv, also Ei- wann man sie bekommen muss und was dazugerechnet genschaftswort, „stark“. Ich sage Ihnen: Dieser Ansatz ist wird, verschärft. Sie als SPD haben gesagt: Bei der Hin- nicht stark, der verbleibt im Klein-Klein. In einem Ar- terbliebenenrente, die eigentlich mit der Leistung – meis- beitszeugnis würde es lediglich heißen: Er bemühte sich. tens des Mannes – im Zusammenhang stand, kürzen wir; (Beifall bei der LINKEN) da rechnen wir Arbeitslosengeld II an; da rechnen wir private Einnahmen an; da rechnen wir an, was es an ande- Die Lage ist wirklich zu ernst, als dass wir hier im sozial- rer Altersvorsorge gibt; wir rechnen sogar das Elterngeld politischen Klein-Klein verbleiben können. Was wir jetzt an. – Das haben Sie 2001 beschlossen. brauchen, ist eine sozialökonomische Wende. Aus Zeit- gründen kann ich nur wenige Probleme anreißen. So viel zu der Frage, wie Sie zu einer Bedürftigkeits- prüfung in der Rente stehen. Die Grünen haben es mitge- Nehmen wir zum Beispiel die Höhe der Hartz-IV-Re- macht. Was hat die CDU damals gemacht? Sie hat es – das gelsätze, wovon übrigens auch arme Rentnerinnen und ist das, was ich in der Diskussion hier so schlimm finde – Rentner betroffen sind. Alle bisherigen Sozialministerin- kritisiert. Auf gar keinen Fall dürfe man doch eine Be- nen und Sozialminister haben diese Regelsätze gezielt dürftigkeitsprüfung vornehmen. Verwechselte Rollen! kleingerechnet. Wenn wir nur die offensichtlichen Tricks unberücksichtigt ließen, müsste der Regelsatz deutlich Jetzt sage ich dieser sogenannten Großen Koalition, erhöht werden, perspektivisch auf knapp 600 Euro. was passieren wird: Sie werden am Ende feststellen, dass Sie, selbst wenn der Minister das Wasserglas ganz leer (Beifall bei der LINKEN) trinken wird, mathematisch nicht hinkommen, und dann Wir als Linke sind nach wie vor überzeugt: Hartz IV muss werden Sie sich auf einen Kompromiss einigen, der genau überwunden werden durch gute Arbeit, eine soziale Ar- so ist, wie Sie ihn bei der Witwenrente geschlossen haben, beitsmarktpolitik und durch eine sanktionsfreie Mindest- wie Sie ihn bei der Hinterbliebenenrente geschlossen ha- sicherung. ben. Dann kommen Sie mit einem Ergebnis heraus, mit dem Sie von der Union und Sie von der SPD das Gesicht (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13843

Katja Kipping (A) Ich verspreche Ihnen: Ich werde nicht ruhen, bis wir das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) erreicht haben. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In dem Zusammenhang möchte ich auch über die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Demokratinnen Sanktionen reden. Sie spielen im Haushalt gar nicht so und Demokraten! Ich will in der Kürze der Zeit versu- eine große Rolle. Wir haben es mit einer Anfrage ans chen, diese Debatte in einen gesellschaftlichen Kontext Licht gebracht: Es sind deutlich mehr Menschen von zu stellen. Uns allen ist doch klar: Wir erleben eine Zeit Hartz-IV-Sanktionen betroffen, als bisher angegeben höchster Relevanz. Die Klimakrise kennt keinen Auf- wurde. Was mich besonders berührt hat, ist: 13,7 Prozent schub. Nur durch konsequentes Handeln kann dieser Pla- aller Alleinerziehenden in Hartz IV sind im letzten Jahr net für uns Menschen tatsächlich dauerhaft erhalten wer- von Sanktionen betroffen gewesen, darunter sogar 1 200 den und lebenswert bleiben. Das erfordert natürlich Vollsanktionierte. radikale Maßnahmen; das ist allen klar, außer manchen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das bedeutet, dass sich unsere Wirtschaft und auch unser Unglaublich!) Lebensstil verändern müssen. Das wiederum bedeutet, dass wir politisch reagieren müssen. Sieht so die Unterstützung dieser Regierung für Allein- erziehende aus? 1 200 Vollsanktionen, diese Zahl ist nur Schauen wir auf die Automobilindustrie. Schon heute ein Beispiel von unzähligen dafür, dass wir dringend ei- wissen die vielen Beschäftigten der großen Konzerne und nen Kurswechsel und einen Regierungswechsel brau- ihrer Zulieferer, dass der Verbrennungsmotor keine Zu- chen. kunft hat. Sie stehen einem Strukturwandel in ihrem Be- reich gegenüber, der für sie und für ihre Familien hohe (Beifall bei der LINKEN und dem Risiken birgt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Jürgen Braun [AfD]: Genau! Weg mit der Ich habe zur Einstimmung auf die heutige Debatte die Industrie!) Protokolle der bisherigen Haushaltsdebatten nachgele- Werden alle ihre Jobs behalten? Was steht einem 50-jäh- sen. Mir ist aufgefallen: Rednerinnen und Redner der rigen Industriearbeiter bevor, wenn er seinen Job verliert? SPD reden gerne gegen die – Zitat – Angst, die die Po- Ein Leben in Hartz IV? Wir sagen: Das darf nicht passie- pulisten schüren. Ja, Abstiegsängste, Konkurrenzdruck, ren! Das darf nicht passieren, weil es zu persönlichen das befördert ein gesellschaftliches Klima, das den rech- Härten führen würde. Das darf auch nicht passieren, weil ten Hetzern in die Hände spielt. Da müssen wir heran. Das Rechtsextreme bereitstehen, gesellschaftliche Verunsi- Problem ist aber: Im Grunde Ihres Herzens agieren Sie cherung in brutalen Hass gegen Minderheiten zu verwan- (B) selbst noch ängstlich. Sie scheuen sich davor, das Offen- deln. Ihr Ziel besteht darin, unseren gesellschaftlichen (D) sichtliche anzusprechen. Auch heute waren Ihre Reden Konsens aufzulösen und unsere Demokratie in einen au- wieder ein Beispiel dafür, wie man mit unglaublicher In- toritären Staat zu verwandeln. brunst und Betonung von leeren Worten an dem vorbei- redet, was so offensichtlich ist. Solange wir hier nicht (Jürgen Braun [AfD]: Das wollen die Grünen! Mehrheiten und Mut haben, Konzerne und Millionenver- Sie wollen das!) mögen ordentlich zu Kasse zu bitten, wird das Geld für Unsere Aufgabe als Demokraten hier in diesem Parla- den nötigen Kampf gegen die Armut fehlen. Solange wir ment ist es, diesem Hass eine am Wohl aller Menschen diese Union in der Regierung haben, wird das, was not- orientierte Politik entgegenzusetzen. wendig ist, nicht passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Bartke wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der [SPD]: Ach Gott!) LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie sind die Ich sage Ihnen: Das Gebot der Stunde lautet nicht Ver- Totalitären!) zagtheit oder Weiter-so.Das Gebot der Stunde lautet: Was Politik greift zu kurz, liebe Mitglieder der Bundesre- dieses Land braucht, ist Mut zu einer sozialökonomischen gierung, wenn sich die Regierung unaufhörlich an Ein- Wende, auf dass alle in diesem Land garantiert vor Armut zelmaßnahmen abarbeitet und dabei keine Richtung er- geschützt sind, auf dass die Mitte deutlich bessergestellt kennen lässt. Die Menschen draußen haben eh schon ist, auf dass wir massiv in das Öffentliche investieren, das lange den Eindruck, dass diese Regierung wenig Gemein- heißt in Bildung, Begegnungsstätten, Bus, Bahn, Breit- sames voranbringt. Das lässt auch diese Debatte erken- band, ist Mut, mit allen Grundsätzen des Kapitalismus zu nen. Bestenfalls holt jeder etwas für sich heraus: Die brechen. Bisher werden Profite über das Wohl und Wehe Union bekommt die Mütterrente, die SPD etwas anderes, von Mensch und Natur gestellt. Richtiger wäre, Mensch Johannes Kahrs für seinen Wahlkreis dann noch irgendein und Natur gehen vor Profite. Geschenk. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der FDP) Ehrlich gesagt wird der Eindruck nicht besser, wenn man Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: diese Haushaltsberatungen beobachtet. Jetzt hat das Wort die Kollegin Corinna Rüffer, Bünd- Alle reden hier plötzlich über die Klimakrise, wahr- nis 90/Die Grünen. scheinlich – das nehme ich an – weil es gerade en vogue 13844 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Corinna Rüffer (A) ist. hat die Klimakrise, die Klimafrage ken und leistungsfähigen Sozialstaat. Der Haushalt des (C) gerade zur Menschheitsfrage erklärt. Natürlich hat sie BMAS ist auch in diesem Jahr der größte Einzeletat, recht. Aber das Problem ist doch, dass sie in all den Jahren mit fast 150 Milliarden Euro; das entspricht rund 40 Pro- nichts dagegen getan hat. zent der Gesamtausgaben des Bundes. Die Sozialleistun- gen in Deutschland übersteigen in diesem Jahr in der (Widerspruch bei der CDU/CSU) Summe erstmalig die 1 000-Milliarden-Euro-Grenze. Das ist empörend. Etwas dagegen zu tun, würde aber auch bedeuten, den Menschen, die verunsichert sind oder sich (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie vor dem sozialen Abstieg fürchten, Sicherheit zu geben. hoch ist unser Bruttoinlandsprodukt, Herr Kol- lege?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit anderen Worten: Jeder dritte Euro wird für Sozial- Stattdessen halten Sie starrsinnig am Dogma der leistungen ausgegeben. Das zeigt: Deutschland ist ein schwarzen Null fest und investieren eben nicht systema- starker und leistungsfähiger Sozialstaat. tisch in unsere Zukunft, weder ökologisch noch sozial. Wo ist die Garantierente, die wir als Grüne seit vielen (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulla Jahren fordern, um Altersarmut zu verhindern? Schmidt [Aachen] [SPD]) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sind Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schwarz- ja nur 40 Euro mehr Sozialhilfe!) rote Koalition hat in dieser Legislaturperiode viel für die Menschen getan. Wir bauen seit dem Jahr 2015 Jahr für Wo ist die Garantiesicherung, die nicht gängelt wie Hartz Jahr die kalte Progression ab. Wir haben den Beitrag zur IV, sondern Perspektiven schafft? Wo bleibt das Wunsch- Arbeitslosenversicherung gesenkt, die Parität bei den und Wahlrecht für Arbeitslose, für die es stattdessen Maß- Krankenversicherungsbeiträgen wiedereingeführt. Das nahmen von der Stange gibt? bedeutet, wir entlasten die arbeitende Mitte in unserem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Land, mehr Netto vom Brutto für rund 33 Millionen Be- schäftigte, die mit ihren Beiträgen die sozialen Siche- Wo wir schon beim Wunsch- und Wahlrecht sind, jetzt rungssysteme am Laufen halten. zu einem anderen Thema. Liebes BMAS, Jens Spahn plant gerade ein Gesetz, mit dem er Beatmungspatienten (Beifall bei der CDU/CSU) in Heime zwingen möchte, um Geld zu sparen. Zum 1. Juli 2019 haben wir das Kindergeld um 10 Euro ( [CDU/CSU]: Das stimmt doch erhöht, den Kinderzuschlag reformiert. Ab 2021 wollen gar nicht!) wir den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Zahler (B) vollständig abbauen und für weitere 6,5 Prozent senken. (D) Das geht auch Sie etwas an, lieber Minister. Ihr Haus hat Die Richtung stimmt, das Ziel noch nicht ganz; 30 Jahre die Aufgabe, für die Umsetzung der UN-Behinderten- nach dem Mauerfall gehört der Soli nicht mehr auf die rechtskonvention in diesem Land zu sorgen. Ich erwarte, Gehaltszettel der Menschen, er gehört in die Geschichts- dass Sie auf die Palme gehen, damit es nicht zu dem bücher, er hat ausgedient. kommt, was das Haus von Jens Spahn hier plant. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Ich sage zum Schluss: Nur eine inklusive Gesellschaft, die soziale Absicherung von Menschen, die aus gesund- die niemanden hängen lässt und auf die Begegnung von heitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, spürbar Vielfalt auf Augenhöhe zielt, wird den vielfältigen An- ausgebaut. Wir haben auch die Kindererziehungszeiten forderungen und Herausforderungen der Zukunft stand- für Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren sind, noch halten können. Daran müssen wir alle arbeiten. einmal spürbar verbessert; davon profitieren 10 Millionen Herzlichen Dank. Eltern in ganz Deutschland. Das war uns als Union, als CSU besonders wichtig, ein großer Erfolg, weil es kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kret bei den Menschen ankommt.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Ohne Bedürftigkeitsprü- Stephan Stracke, CDU/CSU, ist der nächste Redner. fung!) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer Kinder erzieht oder andere Menschen pflegt, der hat all unsere Stephan Stracke (CDU/CSU): Wertschätzung und Unterstützung verdient. Angehörige Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- von pflegenden Menschen sind Helden des Alltags, sie ren! Deutschland ist ein starkes Land, wir sind wirtschaft- kümmern sich nicht nur hingebungsvoll um den Pflege- lich erfolgreich. Wir wollen, dass dieser Erfolg tatsäch- bedürftigen, oftmals müssen sie auch ihre eigene beruf- lich auch bei allen in diesem Land ankommt: bei liche Entwicklung und ihr Privatleben zurückstellen. Sie Geringverdienern, Normalverdienern, bei Familien, bei leisten damit einen großen Dienst. Ich danke dafür. arbeitslosen oder kranken Menschen. Für diesen sozialen Zusammenhalt in unserem Land steht der Haushalt des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bundessozialministeriums. Deutschland hat einen star- neten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13845

Stephan Stracke (A) LINKE]: Grund genug, keine Bedürftigkeits- änderungen im Rahmen der Globalisierung und durch den (C) prüfung vorzusehen!) digitalen Wandel eines verlässlichen Sozialstaats. Unser Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, diese Menschen zu Sozialstaat ist gut und stark, weil wir wirtschaftlich stark unterstützen und sie finanziell zu entlasten. Aus diesem sind. Daran wollen wir festhalten und alles dafür tun, dass Grund wollen wir, dass Angehörige von Pflegebedürfti- dies so bleibt. gen erst ab einem Einkommen von mehr als 100 000 Euro Ein herzliches Dankeschön. im Jahr einen Beitrag zu den Pflegekosten leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Wir wollen auch den Arbeitsalltag von Pflegekräften Abgeordneten der SPD) spürbar verbessern. Zentral geht es dabei um mehr Zeit, um mehr Personal und um mehr Wertschätzung. Pflege- kräfte leisten viel; sie verdienen dafür auch eine gute Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bezahlung. Wir wollen jetzt den notwendigen gesetzli- Jetzt hat das Wort der Kollege Michael Groß, SPD. chen Rahmen schaffen, damit dies tatsächlich überall in (Beifall bei der SPD) Deutschland gelingt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Michael Groß (SPD): der Abg. [SPD]) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wollte Wir wollen die Lebensleistung von Menschen im Alter gerade mal einen Schluck aus dem Glas von Hubertus belohnen. Es muss in der Grundsicherung tatsächlich ei- Heil nehmen – aber nur einen ganz winzigen. nen Unterschied machen, ob ich lange gearbeitet habe, Kinder erzogen habe oder gepflegt habe oder ob ich dies (Otto Fricke [FDP]: Das wollen viele!) eben nicht getan habe, wenig oder gar nicht gearbeitet Das wollen viele. Aber die Relationen, die du, Otto, habe. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Leistung muss gerade dargestellt hast, sind natürlich nicht richtig; ich sich lohnen. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag so komme gleich darauf zurück. vereinbart, und daran halten wir fest. Wer am Mittwoch unserem Fraktionsvorsitzenden Rolf Wir können in diesem Bereich nicht mit der Gießkanne Mützenich zugehört hat, der hat gehört, dass wir gerecht arbeiten. Die Bertelsmann-Studie, die Berechnungen des regieren wollen. Wir wollen für mehr Gerechtigkeit sor- DIW haben nochmals deutlich gemacht, wie wenig ziel- gen. Wir wollen Brücken bauen und Gräben zuschütten, genau die Grundrente, die derzeit auf dem Tisch liegt, anstatt Gräben aufzuwerfen. Wir wollen Inklusion und tatsächlich ist: Wenn 85 Prozent derer, die begünstigt (B) Integration. Wir wollen den Menschen helfen, die schutz- (D) werden sollen, gar keinen Bedarf haben, gar keinen An- bedürftig sind und unsere Hilfe und Unterstützung brau- spruch auf Grundsicherungsleistungen haben, dann zeigt chen. Dieser Haushalt mit fast 150 Milliarden Euro ist, das: Die Grundrente ist nicht zielgenau. Wir müssen sie lieber Hubertus, genau das, was wir dazu brauchen. Herz- am tatsächlichen Bedarf orientieren, und dann muss sie lichen Dank an dein Haus, an dich und deine Mitarbeiter- solide finanziert sein und darf nicht auf Kosten der So- innen und Mitarbeiter. zialkassen gehen, so wie dies auch vorgeschlagen worden ist. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU) Mich wundert schon, dass ich jetzt anderthalb Stunden Wir haben hingegen vereinbart, dass wir die Gießkanne immer bei denjenigen Ekstase erlebt habe, die das Land vermeiden und eine klare Finanzierung ansteuern wollen. so schlechtreden, Weiterbildung und Qualifizierung sind von zentraler Bedeutung für unsere Gesellschaft. Der rasante techni- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach!) sche Fortschritt und die zunehmende Digitalisierung ver- dass man das Gefühl hat, es gäbe hier keine positive wirt- ändern tiefgreifend die Anforderungen an die Arbeits- schaftliche Entwicklung und nicht mehr Menschen, die welt. Aus diesem Grund haben wir auch diejenigen vom Tariflohn oder vom Mindestlohn oder von steigen- Unternehmen unterstützt, die sich dem Strukturwandel den Renten profitieren – in den letzten Jahren waren das stellen, und dies tun wir auch mit der Nationalen Weiter- plus 3 Prozent. bildungsstrategie. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn Die konjunkturelle Situation hat sich in der Tat etwas ihr immer schönredet, muss einer auf schlechte verschlechtert; aber von Krise können wir nicht reden. Entwicklungen aufmerksam machen!) Jeder kann sich darauf verlassen: Wenn eine wirtschaft- Hubertus Heil hat vorhin deutlich gemacht, dass wir liche Krise kommen sollte, werden wir schnell und un- denjenigen helfen müssen, die von diesem Wirtschafts- bürokratisch unterstützen. Wir sind dazu finanziell in der wachstum nicht profitieren. Ich habe mich gefreut, dass Lage, und wir haben auch die geeigneten Instrumente. jetzt viele in den Jobcentern unterwegs waren; wir hätten Die Instrumente, die uns erfolgreich durch 2009 und fast gemeinsam fahren können. Ich bin froh über jeden, 2010 geführt haben, sind auch diejenigen, die wir dann der sich damit auseinandersetzt, und ich freue mich auch, wieder aufrufen wollen. dass die Union sagt: Das ist ein erfolgreiches Instru- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme ment. – Übrigens: Der Mindestlohn war ein wichtiger zum Schluss. Die Menschen bedürfen aufgrund der Ver- Hebel, um das überhaupt in die Fläche zu bekommen. 13846 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Michael Groß (A) (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) (C) Ich habe natürlich selbst auch, weil ich aus dem Ruh- gebiet komme, sehr viel mit den Leitern der Jobcenter und Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): der Bundesagentur gesprochen; wir werden in der nächs- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- ten Woche mit ihnen einen Termin haben. Das ist ein ne Damen und Herren! Lieber Michael Groß, ich wider- Instrument, das vielen Menschen bundesweit, aber insbe- spreche dir ungern, aber das ist kein sozialdemokratischer sondere im Ruhrgebiet hilft. Ich kann Ihnen sagen, es ist Haushalt, sondern ein Haushalt unserer Koalition, und es genau so, wie viele Kolleginnen und Kollegen es schon ist in Summe ein Haushalt, über den sich zu diskutieren beschrieben haben: Es gibt eine große Zufriedenheit bei lohnt. denjenigen, die typischerweise über 45 sind, keinen Be- (Beifall bei der CDU/CSU) rufsabschluss haben und sagen: Ich habe jetzt wieder eine Aufgabe am Tag; ich bin Vorbild für meine Kinder, für Wie du zu Recht betont hast und wie viele Redner schon meine Familie. – Das hat Hubertus Heil, das haben wir in gesagt haben, ist der Einzelplan 11, über den wir heute der Regierungskoalition gut gemacht. diskutieren, der mit Abstand größte Einzelplan im Ge- samthaushalt: 148,56 Milliarden Euro sind geplant, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 3,3 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. der CDU/CSU) Ich möchte kurz auf wenige Punkte eingehen. Wir müssen aber auch sehen – damit widerspreche ich allen, die alles nur schwarzsehen –, dass in Deutschland Zunächst zur Arbeitsmarktpolitik. Die Bundesregie- investiert wird. Wir haben einen Fachkräftemangel. In rung schlägt vor, 37 Milliarden Euro dafür zu veranschla- den Chemiepark Marl wird gerade 1 Milliarde Euro in- gen. Das ist 1 Milliarde weniger als im Vorjahr. vestiert, und wir suchen händeringend Facharbeiter und Facharbeiterinnen. (Otto Fricke [FDP]: Dabei wird es nicht bleiben!) Ähnlich ist es im Bereich der Pflege. Diejenigen, die Das bildet die gute wirtschaftliche Entwicklung ab, die Pflegeeinrichtungen betreiben, suchen händeringend wir die letzten Jahre hatten. Auch Einsparungen waren Fachkräfte – es sind hauptsächlich Frauen –, finden aber möglich: 20,2 Milliarden Euro beim Arbeitslosengeld II – keine. Häufig wird das Problem dann über Zeitarbeit das sind 400 Millionen Euro weniger als im Vorjahr –; gelöst; aber das kann keine Lösung sein. Deswegen 6,2 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft und begrüßen wir es natürlich aufs Äußerste, dass die Heizung – 500 Millionen Euro weniger als im Vorjahr –; Bundesagentur für Arbeit mit Triple Win versucht, im für den Eingliederungstitel sind 10,1 Milliarden Euro vor- (B) (D) Ausland Fachkräfte zu gewinnen; das ist die Zukunft. gesehen. Das trägt den großen Anforderungen Rechnung, Deswegen bin ich auch froh, dass das Fachkräfteeinwan- die an die Vermittlung und Qualifizierung von Arbeits- derungsgesetz im nächsten Jahr in Kraft tritt und wir kräften gestellt werden. Menschen aus dem Ausland gewinnen werden, die bei uns arbeiten wollen, die bei uns pflegen wollen, die uns Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Ent- helfen wollen, dieses Land nach vorne zu bringen. wicklung – auch das war heute schon Thema und ist die Woche über mehrfach festgestellt worden – verläuft der- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hermann zeit aufgrund vielfältiger Einflüsse nicht so, wie wir uns Gröhe [CDU/CSU]) das wünschen. Peter Weiß hat schon einige Einflüsse ge- Ein letzter Satz: Neben den 149 Milliarden Euro für nannt: Brexit, Handelskriege, Steuer- und Abgabenlast, den Haushalt von Hubertus Heil investieren wir viel in Fachkräftemangel, nachlassende Konjunktur, Verschul- Bildung und Forschung: 18 Milliarden Euro, dazu kom- dung, Überregulierung. Deshalb hat die Konjunktur spür- men die Milliarden der Länder. Also, wer hier behauptet, bar nachgelassen. Unsere Unternehmer schauen skepti- wir investierten nicht in Bildung, sagt nicht die Wahrheit. scher in die Zukunft, und am Finanzmarkt entfesseln Wir investieren 40 Milliarden Euro zusätzlich in Beton, sich erhebliche Abwärtsrisiken. Auch die Arbeitslosig- Stein und Breitband – eine Rekordsumme. keit hat sich leicht erhöht. Es ist aber noch nicht ganz klar, ob es sich um einen Wendepunkt handelt oder um (Otto Fricke [FDP]: Nein!) eine kurzfristige konjunkturelle Eintrübung. Vieles spricht allerdings für eine weitere Abwärtsbewegung Das werden wir jetzt über Jahre verstetigen. Deswegen ist nicht nur bei der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern das ein sozialdemokratischer Haushalt, der in die Zukunft auch am Arbeitsmarkt. Doch wir sind gerüstet; die Vor- weist, der Menschen unterstützt, der aber auch in alle redner haben schon darauf hingewiesen. In zwei Mona- anderen Infrastrukturen investiert, und das ist gut so. ten, wenn die Verabschiedung des Bundeshaushalts an- Herzlichen Dank. Glück auf! steht, werden wir dank Herbstprognosen deutlich mehr über die Entwicklung wissen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Weiß Meine Damen und Herren, wieder größter Ausgaben- [Emmendingen] [CDU/CSU]) posten des Bundeshaushalts ist der Bereich Rente. Man sieht: Die ältere Generation liegt uns am Herzen. Ein ganz Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wichtiger Satz, den man nicht oft genug wiederholen Nächster Redner ist der Kollege , CDU/ kann: Rente ist Lohn für Lebensleistung. Das sollten CSU. wir immer wieder deutlich machen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13847

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Ein bereits heute brennendes Problem ist der Mangel (C) Birkwald [DIE LINKE]: Ohne Bedürftigkeits- an Pflegekräften. Doch Hoffnung auf Besserung der prüfung!) Situation macht mir die weltweite Ausdehnung der Suche Die dynamisch steigenden Ausgaben in Höhe von jetzt nach Pflegekräften. Zum Beispiel war Bundesgesund- 109,56 Milliarden Euro, also knapp 110 Milliarden Euro, heitsminister Jens Spahn vor Kurzem in Mexiko und sind der Hauptgrund für den Aufwuchs des Einzelplans hat sich um dieses Thema intensiv gekümmert. 11. Der Löwenanteil davon, 101,77 Milliarden Euro, Ich hoffe ebenso wie der Kollege Michael Groß, dass fließt an die Rentenversicherung. Das sind 3,76 Milliar- die Bundesagentur für Arbeit zusammen mit der GIZ und den Euro mehr als im Vorjahr. 7,7 Milliarden Euro sind ihrem noch jungen Programm „Triple Win“, das eine faire vorgesehen für die Grundsicherung im Alter; das sind Arbeitsmigration unter staatlicher Aufsicht ermöglichen 600 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Die Zukunfts- soll, erfolgreich sein wird. perspektiven sind auch ohne zusätzliche Leistungen, wie eine Grundrente und Ähnliches, bereits jetzt sehr dyna- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und misch. der SPD) Meine Damen und Herren, in dieser Woche wurde viel Damit kann dringend benötigten Arbeitskräften – nicht über Zuwanderung, insbesondere von Flüchtlingen und nur im Pflegebereich – eine Arbeits- und Lebensperspek- Scheinflüchtlingen, und vor allem deren unerwünschte tive in Deutschland eröffnet werden. Folgen diskutiert. Weniger wurde jedoch über die He- Meine Damen und Herren, langfristig mindestens ge- rausforderungen gesprochen, denen wir gegenüberstehen. nauso wichtig wie die Zuwanderung aus dem Ausland ist Denn wenn wir überhaupt etwas erreichen wollen, müs- die Qualifikation der hiesigen Kinder und Jugendlichen. sen wir die Zuwanderung von Fachkräften weiter erfolg- Dazu zählt in erster Linie und nicht nur bei Kindern mit reich vorantreiben. Nicht zuletzt auch deshalb nehmen Migrationshintergrund das Erlernen der deutschen Spra- wir für die Integration in den Arbeitsmarkt Millionen che für deren sicheren Gebrauch. Bayerns Ministerpräsi- Euro in die Hand. dent Söder hat Integrationsklassen eingerichtet, damit In den Veranschlagungen zu den Integrationskosten Kinder später dem Unterricht folgen und die Inhalte über- und zur berufsbezogenen Deutschsprachförderung sind haupt verstehen können. Dort gibt es in einzelnen Städten im Entwurf zum Bundeshaushalt 2020 allein für die auch attraktive Sprachangebote für Kleinkinder und de- Sprachausbildung von Migranten gut 1 Milliarde Euro ren Mütter von kommunaler Seite aus. vorgesehen. Hinzu kommen Mittel zur Integration in Leider gibt es andere Bundesländer, die es auch vier den Arbeitsmarkt. Mit all diesen Mitteln eröffnen wir Jahre nach der großen Zuwanderungswelle nicht ge- (B) den Migranten eine Perspektive, die bereit sind, am Ar- schafft haben, die entsprechenden Sprachfördermöglich- (D) beitsmarkt teilzunehmen und sich in die Gesellschaft zu keiten einzurichten. Dies mag teilweise daran liegen, dass integrieren. Kommunen mit hohem Migrationsanteil, wie etwa im Interesse ist bei vielen Zuwanderern offensichtlich vor- Ruhrgebiet, finanziell aus dem letzten Loch pfeifen. Zent- handen; immerhin arbeiten rund ein Drittel der aus ral ist jedoch, dass es genau diese Kinder sind, die in 10, kriegs- und krisenähnlichen Gebieten stammenden Men- 12, 15 Jahren in unseren Arbeitsmarkt eintreten und dann schen. Das sind mehr, als uns vor Jahren noch prognosti- über Jahrzehnte hinweg Leistungen erbringen sollen. ziert wurde. Sie sehen: Das Modell zum In-Arbeit-Brin- Meine Damen und Herren, sicherlich sind diese Kinder gen ist erfolgreich. Die Bundesagentur für Arbeit hat in mit Migrationshintergrund nicht alles Edelsteine oder den letzten Jahren mit Herrn Weise an der Spitze die Halbedelsteine. Aber es liegt im ureigenen Interesse richtige Richtung eingeschlagen und geeignete Maßnah- und in der Verantwortung der Länder, diese Steine zu men eingeleitet, die jetzt mit der erfolgreichen Umset- schleifen, das heißt, diesen jungen Menschen eine Le- zung und Weiterentwicklung unter Herrn Scheele deut- bensperspektive in unserer Gesellschaft zu ermöglichen liche Erfolge zeigen. und ihnen Chancen für eine angemessene gesellschaft- Dieser Tage erreichte mich die Nachricht, dass Integra- liche Teilhabe zu eröffnen. tionsförderung für Frauen in der Bundesagentur für Ar- Ich bin hoffnungsfroh, dass uns dies in der Zukunft beit in Baden-Württemberg intensiviert wird. Das er- gelingen wird. Ich freue mich vor diesem Hintergrund scheint sinnvoll; denn Frauen haben nach vorliegenden sehr auf die Beratungen des Bundeshaushaltes, die wir Erkenntnissen erheblich größere Integrationsprobleme jetzt gemeinsam angehen werden. als zugewanderte Männer. Die Bundesagentur für Arbeit ist nach ersten Notmaßnahmen, die sie 2015/2016 einge- Herzlichen Dank. leitet hat, nun also erfolgreich dabei, ein funktionierendes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Integrationssystem zu etablieren, das jetzt noch verfeinert Abgeordneten der SPD) und im Feintuning auf die vorhandenen Bedürfnisse und Bedarfe richtig zugeschnitten wird. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Als Gesetzgeber haben wir im Juni – es wurde mehr- Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen fach angesprochen – das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht vor. zur Gewinnung geeigneter Fachkräfte verabschiedet. Da- mit wollen wir dem absehbar größeren zukünftigen Fach- Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- kräftemangel begegnen. desministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15. 13848 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Bitte nehmen Sie wieder Platz. – Dann hat das Wort der Stellen zu schaffen und zu finanzieren, ist das eine. Das (C) Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn. ist wichtig; das ist ein großer Unterschied im Vergleich zu vor einigen Jahren. Das Geld für zusätzliche Pflegestellen (Beifall bei der CDU/CSU) ist da. Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: ( [DIE LINKE]: Zu wenig!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ja, Sie schreien immer, es seien zu wenig. Ich kann sie Fragen, ob der Staat gut funktioniert, ob die Gesellschaft auch nicht herbeizaubern. Das Dazwischenrufen bringt es die Versprechen hält, die sie gibt, stehen im Kern eines auch nicht. Davon bekommen Sie nicht eine zusätzliche Vertrauensverlustes, den wir alle, denke ich, in vielen Pflegekraft. Gesprächen und Veranstaltungen vor Ort auch in den letz- ten Wochen erlebt haben, dem wir immer wieder begeg- Was wir aber gemacht haben, ist: Wir haben für die nen. Dabei geht es um die Fragen, ob man zu einem an- Finanzierung der Stellen gesorgt und eine Veränderung gemessenen Zeitpunkt, in angemessener Nähe einen der Ausbildung vorgenommen. Ab dem 1. Januar muss in Arzttermin findet, um die Frage, ob ein Flughafen fertig diesem Bereich in Deutschland kein Schulgeld mehr ge- wird, um die Frage, ob Deutschland und Europa eigent- zahlt werden. Außerdem gibt es eine angemessene Aus- lich wissen, wer unser Land betritt. In all diesen Fragen bildungsvergütung. Die Finanzierung wurde gerade auch geht es darum, ob der Staat funktioniert und seine Ver- in der Debatte über Arbeit und Soziales in Bezug auf die sprechen hält. Bundesagentur – Stichworte: „Umschulung“ und „Wei- terqualifizierung“ – angesprochen. Auch das Anwerben Ich denke, wir brauchen weniger „Wir müssen“-Reden, von Fachkräften aus dem Ausland und die Kooperation und wir brauchen mehr Reden darüber, was wir schon mit anderen Staaten, vor allem mit Staaten, die über den getan, was wir schon umgesetzt haben. Wir brauchen eigenen Bedarf ausbilden, gehört zu unserem Maßnah- mehr „Wir wollen anpacken“-Reden. Wir brauchen we- menkatalog. Ich selbst werde nächste Woche dazu in Me- niger Wettbewerb darum, wer die Probleme am besten xiko sein. beschreibt – von diesen Beschreibungen haben wir wahr- lich genug –, sondern wir brauchen mehr Wettbewerb All diese und weitere konkrete Maßnahmen ergreifen darum, wer unaufgeregt, pragmatisch Probleme löst, wir. Sie sind immer gut im Beschreiben der Probleme, wir was im Alltag tatsächlich einen Unterschied macht. Ge- lösen die Probleme. Das ist der entscheidende Unter- nau das haben wir in der Gesundheitspolitik in den letzten schied. 18 Monaten in dieser Koalition gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich nenne als Beispiel die Pflege. Jeder von uns spürt in (B) Um konkrete Probleme zu lösen, haben wir in den (D) den Veranstaltungen vor Ort, in den Diskussionen in den letzten Monaten viel angepackt: Wir haben 18 Gesetze Krankenhäusern, in den Altenpflegeeinrichtungen, wie in 18 Monaten auf den Weg gebracht, deren Grundlage groß der Vertrauensverlust der Pflegekräfte ist, wie groß immer eine gute Analyse der Probleme ist, die immer auf Frust und Unzufriedenheit sind. Gerade dort haben wir einer breit geführten Debatte fußen, einer Debatte, bei der sehr bewusst Schritt für Schritt angefangen, und zwar mit es natürlich auch darum geht, miteinander zu ringen, auch konkreten Entscheidungen, die im Alltag einen Unter- mit Gegenargumenten umzugehen, um dann zu guten schied machen. Wir haben nicht das Blaue vom Himmel Lösungen zu finden. Wenn wir alle in den Diskussionen versprochen; vielmehr haben wir mit der Finanzierung für eine Sekunde unterstellen würden, der andere könnte zusätzlicher Stellen in den Krankenhäusern und der recht haben, dann würde das jedenfalls manche Debatte Schaffung von 13 000 zusätzlichen Stellen in der Alten- definitiv besser, leichter und vor allem zielorientierter pflege Entscheidungen getroffen, die tatsächlich vor Ort machen. Manchmal muss man auch Streit führen, ja, ankommen. und zwar nicht zum Selbstzweck, sondern im Interesse Und ja – um das gleich vorwegzunehmen –, ich weiß: von Patienten, von Pflegekräften, im Interesse von denen, Bei den 13 000 Stellen hapert es bei der Umsetzung. Ja, um die es geht. Entscheidend ist nur, dass aus jeder De- ich weiß: Im Hinblick darauf, dass wir die größte Verän- batte dann tatsächlich auch eine Entscheidung, ein Gesetz derung in der Finanzierung der Krankenhäuser im Land und die entsprechende Umsetzung hervorgehen. machen, nämlich dass die Pflege voll in die Selbstkosten- Genau mit dieser Herangehensweise haben wir in die- finanzierung einbezogen wird – also das, was Kranken- sem Herbst bzw. bis zum Jahresende noch viel vor. Wir häuser für Pflege aufwenden, wird voll finanziert wollen vier Gesetze auf den Weg bringen, um im Gesund- werden –, ja, bei der Einführung von Pflegepersonalun- heitswesen bessere Rahmenbedingungen für Fachkräfte tergrenzen, dass es etwa auf der Intensivstation eine Min- zu schaffen. Wir haben zum Teil Berufsgesetze, die seit destbesetzung von Pflegekräften in Relation zu den Pa- 40 oder 50 Jahren nicht überarbeitet worden sind und in tienten geben muss – bei all diesen Dingen ist es ihren Inhalten offenkundig nicht auf dem Stand von 2019 schwierig, und es hapert vor Ort manchmal. Das geht sein können. nicht von heute auf morgen. Aber entscheidend ist – wir steuern da, wo es notwendig ist –, dass wir mit all diesen Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Maßnahmen Schritt für Schritt einen Unterschied im All- schaffen wir ein eigenständiges Studium. Für die Ge- tag machen. Das ist jedenfalls unser Weg, Vertrauen zu- burtshilfe wird es ein duales Studium mit Praxis und rückzugewinnen, gerade auch in der Pflege. Theorie geben, das den wachsenden Anforderungen in diesem Bereich gerecht wird und entsprechend vorberei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tet. Im Bereich der Anästhesie und bei der operations- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13849

Bundesminister Jens Spahn (A) technischen Assistenz werden wir eine langjährige For- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (C) derung, erstmalig bundesweit einheitliche Ausbildungs- Wir diskutieren auch einen verpflichtenden Impfschutz vorschriften einzuführen, miteinander diskutieren und gegen Masern in Kita, Schule und Kindertagespflege, um beschließen. Es geht darum, die Kompetenzen pharma- möglichst viele Kinder – idealerweise alle Kinder – vor zeutisch-technischer Assistenten in den Apotheken bei einer Masernansteckung zu bewahren. Im Jahr 2019 ist der Abgabe von und der Beratung zu Arzneimitteln und eine Maserninfektion ein Risiko, das vermeidbar ist. Wir Medizinprodukten zu stärken. haben eine sichere Impfung. Ich bin nächste Woche bei Bei all diesen Maßnahmen geht es darum, die Berufs- den Vereinten Nationen, wo es um das globale Gesund- gesetze so zu verändern bzw. diese so mit Inhalten zu heitswesen geht. Mich treibt es um, dass das Ausrotten füllen, dass diese Berufe attraktiv bleiben. Es gibt wenige der Masern auf der Welt eher an Deutschland und Europa Bereiche, in denen wir einen so starken Fachkräftebedarf scheitert als an anderen Ländern. Deswegen haben wir als wie im Gesundheitswesen haben. Deswegen ist die Frage, Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag ge- wie Berufsgesetze inhaltlich gestaltet sind und welche macht. Perspektive sie für den weiteren persönlichen Lebensweg bieten, einer der ganz wichtigen Faktoren, um Fachkräfte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zu gewinnen. Allein in diesem Jahr werden wir das noch neten der FDP und der Abg. Bärbel Bas [SPD]) für vier wichtige Bereiche umsetzen. Ich denke, wenn wir da so rangehen, Debatten führen, Lösungen erarbeiten und diese eben auch umsetzen, dann (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben wir die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen, we- Zwei weitere Gesetze für Qualität und Patientensicher- niger „Wir müssten“, weniger Wolken schieben und Pro- heit sind in der Beratung. Dabei geht es um einen reform- bleme beschreiben, dafür mehr „Wir haben Folgendes ierten medizinischen Dienst, der unabhängig von den schon umgesetzt, und wir haben dieses noch vor, und Krankenkassen agieren soll. Das ist eine Debatte, die zwar jetzt“, mehr „Wir versprechen nicht das Blaue schon über 20 Jahre währt. Wir wollen den medizinischen vom Himmel, sondern packen solide an, um im Alltag Dienst aus den Krankenkassenstrukturen herauslösen und für Millionen Menschen einen Unterschied zu machen“. in eine eigene Struktur bringen, übrigens mit Beteiligung Mit dieser Blaupause wollen wir Vertrauen zurückgewin- der Patienten in den entsprechenden Aufsichtsgremien. nen. Damit machen wir Gesundheitspolitik, heute und in Zukunft. Wir wollen ein Implantateregister, mit dem wir zukünf- tig wissen, wer welche Hüfte, welches Knie oder welche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Herzklappe bekommen hat, um Patienten bei etwaigen Abgeordneten der SPD) (B) Problemen beispielsweise mit einem Herzschrittmacher (D) oder einem anderen Produkt effektiver helfen zu können und um vor allen Dingen in der Folge besser sehen zu Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: können, was in der Versorgung passiert. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Gehrke, AfD. Außerdem werden wir das Gesetz zur digitalen Ver- (Beifall bei der AfD) sorgung miteinander debattieren und zum Abschluss bringen. Dabei geht es darum – das, was wir dort ange- Dr. Axel Gehrke (AfD): hen, ist weltweit fast einmalig –, den Einsatz von Apps, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- digitale Gesundheitsanwendungen, auf Rezept, finanziell ren! Das Lesen eines Haushaltsplanes ist ja nicht unbe- von den Krankenkassen entsprechend unterstützt, zu er- dingt mit dem Lesen eines Kriminalromans vergleichbar. möglichen. Dafür muss natürlich auch sichergestellt sein, dass damit Qualität verbunden ist. Dafür schlagen wir ein (Tino Sorge [CDU/CSU]: Kommt aufs Kapitel entsprechendes Verfahren vor. Die App muss einen Un- an!) terschied für die Patienten im Alltag machen. Der Schritt- Gleichwohl spannend ist es dennoch; denn man erhofft zähler alleine reicht jedenfalls noch nicht. Vielmehr muss sich als Opposition einen Blick in die Glaskugel, eine für den Diabetiker oder den Bluthochdruckpatienten oder Antwort darauf, wie es grundsätzlich weitergehen wird. für viele andere eben eine Unterstützung im Alltag er- Um es vorweg zu sagen: Die Hoffnung auf das Erkennen reicht werden. neuer Ansätze im Gesundheitssystem geht fehl. Es geht Das Apothekengesetz, mit dem wir die Versorgung vor alles weiter wie bisher – business as usual –, und das, Ort stärken wollen, werden wir uns ansehen. Ich komme obwohl Sie, Herr Spahn, einen wirklich beeindrucken- selbst aus einem Dorf im Münsterland mit 3 700 Einwoh- den, fast schon hyperkinetischen Aktionismus vorlegen, nern. Ich weiß, wie wichtig die eine Apotheke im Dorf für um alle im System aufplatzenden Wunden gleichzeitig zu die Bewohner dort, zum Beispiel für meine Eltern, ist. sanieren. Deswegen wollen wir die Apotheken stärken, indem wir (Tino Sorge [CDU/CSU]: Da kommen Sie zusätzliche Dienstleistungen finanzieren, indem wir zu nicht mehr mit!) fairen Wettbewerbsbedingungen kommen, damit nicht die einen aus dem Ausland Boni geben können und die Aber machen wir uns doch nichts vor: Das alles sind anderen im Inland nicht. Genau das sind die konkreten Folgen vergangener Versäumnisse, der letzten zwölf Jah- Maßnahmen, mit denen wir für Patienten, aber auch für re GroKo, die vor allem in ihren finanziellen Ausmaßen diejenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, einen durch eine vorausschauende Politik zu vermeiden gewe- Unterschied machen wollen. sen wären, 13850 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Dr. Axel Gehrke (A) (Beifall bei der AfD) eben ausgeführt haben, uns nicht das Blaue vom Himmel (C) zum Beispiel die schon demnächst brutal zuschlagende versprechen. Offensichtlich wurde das Antragsverfahren demografische Keule. Sie war schon 1980 Gegenstand zu einem bürokratischen Monster. Lediglich 300 Anträge vieler Habilitationen, die darauf hinwiesen, dass ab wurden bisher bearbeitet und davon 125 bewilligt, wie 2020 ohne langfristige Gegensteuerung eine Überalte- sich aufgrund einer Anfrage der FDP-Fraktion herausge- rung der Gesellschaft auf uns zukommt. Nun sind wir stellt hat. Ich nehme an, dass die Kollegen nachfolgend 40 Jahre weiter, und unsere Regierung ist immer noch darüber noch sprechen werden, und verlasse deswegen auf der Suche nach dem richtigen Konzept, nach Lösun- dieses traurige Thema. gen, wie wir eben gehört haben. Das wird sich bitter rä- ( [SPD]: Weil Sie keine chen. Lösungen haben!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umlage- Wie sieht es nun mit dem TSVG aus? Die Versorgung finanzierung wird allein schon durch den jetzt bevorste- sollte ja besser, schneller und vor allem digitaler werden. henden sprunghaften Anstieg der Zahl derjenigen, die Auch hier wird mit organisatorisch-bürokratischen Mehr- versorgt werden müssen, gegenüber den immer weniger ausgaben in Höhe von unglaublichen 1,5 Milliarden Euro werdenden beruflich Tätigen, die das durch ihre Einzah- gerechnet, bevor – wenn überhaupt – eine signifikante lungen gegenfinanzieren sollen, kollabieren. Die zeitliche Leistungsverbesserung erkennbar ist, schon gar nicht eine Periode von 2020 bis etwa 2050 wird das Gesundheits- bessere digitale Versorgung. Im Gegenteil: Der Bundes- system so, wie es jetzt ist, vermutlich nicht überleben. rechnungshof hat den Ausbau der Telematikinfrastruktur (Beifall bei der AfD) noch Anfang dieses Jahres deutlich kritisiert. Ich möchte Ihnen das mit ein paar Positionen aus dem Die Versteigerung der 5G-Lizenzen hat ja nun zusätz- vorliegenden Entwurf belegen. Dass dieser Gesundheits- liche 6,55 Milliarden Euro eingebracht. Aber trotzdem haushalt mit einer Steigerung von 20 Millionen Euro sucht man vergeblich im Entwurf eine Position, die sich gleich 0,1 Prozent nicht weiter aufgebläht wurde, ist zu mit der Überprüfung der gesundheitlichen Auswirkungen begrüßen. Dass er aber weder tragfähige Strukturen für dieser Technik auseinandersetzt. Beitragssenkungen noch qualitative Verbesserungen im Sinne der Versorgung der Gesamtbevölkerung enthält (Beifall bei der AfD) und keinerlei Schwerpunkte für künftige Herausforderun- Auf unsere diesbezügliche Anfrage hat die Regierung ge- gen setzt, ist enttäuschend. antwortet, dass eventuelle Initiativen von den jeweils ver- fügbaren Haushaltsmitteln abhingen. Der vorliegende (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Haushalt war ganz offensichtlich um 20 Millionen Euro (B) GRÜNEN]: Was meinen Sie denn konkret?) (D) steigerbar. Und wenn man 5 Millionen Euro ausgeben Dagegen enthält der Entwurf insbesondere im Pflegebe- kann, um die Folgen der Abtreibung zu überprüfen, dann reich Versprechungen, die später schwer zu bezahlen sein ist mir diese Haltung völlig unverständlich. Die gesund- werden, insbesondere dann, wenn es stimmt, was Profes- heitlichen Sorgen der Bevölkerung, die nun flächende- sor Raffelhüschen errechnet hat, ckend und in den Städten in 50-Meter-Abständen mit an Ampeln und Straßenlaternen befestigten Sendern mit ho- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Oh!) her Energieabstrahlung leben sollen, nehmen Sie einfach wenn es stimmt; wir werden mal sehen – nämlich dass nicht ernst. die in den Sozialversicherungen versteckten Verbindlich- keiten (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wie? Was?) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Das werden wir so nicht hinnehmen. Das muss geändert kein Wissenschaftler! Der will nur Kohle ver- werden. dienen!) (Beifall bei der AfD – Dr. Georg Nüßlein die offizielle Staatsverschuldung um ein Dreifaches über- [CDU/CSU]: Mein Gott! Ihr greift auch alles steigen, aber die Regierungen trotz Geld in Hülle und auf! Ihr seid euch für nichts zu schade!) Fülle keine entsprechenden Rücklagen gebildet haben. Die zukünftige Gesundheit der Bürger scheint in die- Ich lasse mich gern vom Gegenteil überzeugen. sem Entwurf ohnehin eine eher untergeordnete Rolle zu Nach zwei Jahren haben wir ja nun Halbzeit, und man spielen. Zwar wollten Sie im Koalitionsvertrag die Prä- darf fragen: Was ist von den vielen Änderungen beim vention deutlich stärken. Aber das ist Ihnen gerade mal Bürger bisher angekommen? 5 Millionen Euro mehr wert, also genauso viel wie die Abtreibungsstudie. Und während das TSVG gerne büro- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: kratische 1,5 Milliarden Euro verschlingen darf, sind Oppositionsrede!) Ihnen Vorsorge und Rehamaßnahmen 1,8 Milliarden Eu- Nehmen wir mal die beiden wichtigsten Gesetze: das ro wert. So haben wir wieder einen Haushaltsentwurf, der Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und das Terminservice- das System wie bisher verwaltet, hohe Kosten produziert, und Versorgungsgesetz. aber keine grundlegenden Verbesserungen für alle Ver- sicherten bietet. Schade. Wieder eine Chance verpasst. Was den Pflegenotstand anbetrifft, erinnern wir uns ja Und auch die Glaskugel lässt grüßen. an die berühmten 13 000 neuen Stellen auf Kosten der gesetzlichen Kassen. Herr Spahn, Sie wollten ja, wie Sie Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13851

Dr. Axel Gehrke (A) (Beifall bei der AfD – Heike Baehrens [SPD]: Spahn, wenn Sie es nicht schaffen, Ihre Vorschläge gän- (C) Ein Blick in den Haushaltsplan hilft auch! – gig zu machen, dann lassen Sie sie einfach fallen und Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja, das ist riskieren Sie nicht die dringend benötigte Finanzreform die Zukunft!) der Kassen! (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Vizepräsidentin : Weinberg [DIE LINKE]) Das Wort hat die Kollegin Sabine Dittmar für die SPD- Fraktion. Umstritten ist dabei unter anderem die Entmachtung der Sozialpartner im Verwaltungsrat des GKV-Spitzen- (Beifall bei der SPD) verbandes. Ich möchte hier deutlich betonen: Als Sozialdemokratin werde ich jeden Angriff auf die Selbst- Sabine Dittmar (SPD): verwaltung zurückweisen. Das gilt auch für die Metho- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und denbewertung im G-BA und die Reform des Medizin- Kollegen! Auf die Feinheiten des Einzelplans 15 wird ischen Dienstes der Krankenversicherung. meine Kollegin eingehen. Ich möchte den Blick gerne auf unsere gesundheitspolitische Arbeit len- (Beifall bei der SPD) ken. Solidarität und Selbstverwaltung sind für meine Partei, Mehr als 18 Gesetze in 18 Monaten: Ich denke, es die SPD, tragende und unverzichtbare Grundprinzipien bleibt keinem verborgen, dass die Gesundheitspolitik der gesetzlichen Krankenversicherung. auf Hochtouren arbeitet. An dieser Stelle möchte ich auch einmal den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMG, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss Meine Damen und Herren, lange haben wir mit der sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Union um die Reform der Psychotherapeutenausbildung gute Zusammenarbeit danken. gerungen. Uns Sozialdemokraten war es wichtig, dass (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem auch die Psychotherapeuten in Ausbildung eine angemes- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- sene verpflichtende Vergütung erhalten. Das haben wir ordneten der LINKEN) jetzt im parlamentarischen Verfahren durchgesetzt und wir werden dieses Gesetz nun zügig zum Abschluss brin- Als SPD blicken wir auf erfolgreiche gesundheitspoli- gen. tische Monate zurück. Wir haben nicht nur die Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung wiederhergestellt, Vor uns liegt das Reha- und Intensivpflege-Stärkungs- (B) was die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die gesetz. Dazu wird die Kollegin Bas Näheres sagen. Aber, (D) Rentner und Rentnerinnen um 7 Milliarden Euro entlas- meine Damen und Herren, im Bereich der Pflege haben tet, sondern auch Soloselbstständige haben endlich be- wir – das hat auch der Herr Minister schon dargestellt – zahlbare Beiträge und Versicherte, die sich für eine haus- vieles gesetzlich angestoßen: für Pflegebedürftige, für arztzentrierte Versorgung entscheiden, erhalten einen pflegende Angehörige und auch für professionelle Pfle- Bonus, um nur einige Beispiele zu nennen. gekräfte. Die Herausforderungen sind nach wie vor im- mens. Motivierte und gut qualifizierte Pflegekräfte sind (Beifall bei der SPD) das Rückgrat der professionellen Pflege. Das A und O Diese erfolgreiche Arbeit wollen wir fortsetzen. Im neben Wertschätzung, guter und verlässlicher Arbeits- Herbst stehen mindestens neun weitere Gesetzentwürfe und Rahmenbedingungen ist aber auch eine bessere Ent- zur Beratung an. Die große Herausforderung besteht da- lohnung. An dieser Stelle möchte ich meinen ausdrück- rin, einerseits die medizinische und pflegerische Versor- lichen Dank an Arbeitsminister Hubertus Heil richten – gung zu sichern, den Patientinnen und Patienten den Zu- ist er noch da? gang auch zu hochteuren Innovationen zu garantieren und andererseits dabei für eine solide und verlässliche Finan- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nee, nee!) zierung zu sorgen. Ein großes und wichtiges Projekt, das nein, aber die Staatssekretärin –, der mit dem Gesetz für wir hoffentlich im Herbst endlich angehen werden, ist bessere Löhne in der Pflege die Grundlagen für einen deshalb die Reformierung der Kassenfinanzen. Es ist allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gelegt hat. dringend geboten, den Kassenausgleich auf Basis der vor- liegenden wissenschaftlichen Gutachten zu reformieren. (Beifall bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein Hier sind sich alle Akteure einig. Die Kassen brauchen [CDU/CSU]: Ach, der war das!) dieses Gesetz zügig, um ihre Haushalte solide planen zu Uns ist klar, dass die von allen gewünschten, geforder- können. Derzeit warten wir immer noch auf den Gesetz- ten und auch notwendigen Leistungsverbesserungen in entwurf. der Pflege nicht zum Nulltarif zu haben sind. Die augen- Auslöser für die monatelange Verzögerung sind aber blickliche Finanzierungsystematik führt aber zu einer ein- nicht die Regelungen zum Finanzausgleich der Kassen, seitigen Belastung der Bewohnerinnen und Bewohner sondern umstrittene Vorschläge von Minister Spahn zum von Pflegeheimen, die Eigenanteile steigen stetig. Das Organisationsrecht der Kassen, die im Übrigen gar nicht wollen wir nicht. Deshalb brauchen wir zügig, Kollegin- im Koalitionsvertrag vereinbart waren. Der Widerstand nen und Kollegen, eine Begrenzung der Eigenanteile und kommt nicht nur aus den Bundesministerien, sondern eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, am bes- auch geschlossen aus allen 16 Ländern. Herr Minister ten hin zu einer Pflegebürgerversicherung, die dann im 13852 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Sabine Dittmar (A) Übrigen auch Blaupause für die gesetzliche Krankenver- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) sicherung sein kann. Für die FDP-Fraktion hat nun Karsten Klein das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der LINKEN) Ich freue mich sehr, dass die SPD-Fraktion ebenso wie Karsten Klein (FDP): der Parteivorstand ein hervorragendes, zukunftsweisen- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister!, Liebe des Positionspapier zur Pflege verabschiedet hat, das eine Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, das hat jetzt gute Grundlage für die weitere Gesetzgebung bietet. Herr nichts mit Ihrem Haushalt zu tun: Ich weiß nicht, ob die Minister, Sie dürfen sich da gerne bedienen. Androhung, dass Gesetze in Monatstaktung oder im Herbst gar in Wochentaktung kommen, liebe Kollegin Meine Damen und Herren, bei all den vielen großen Dittmar, ein Qualitätsmerkmal für Regierungshandeln ist. Reformen dürfen wir aber auch Verbesserungen für oft kleine Patientengruppen nicht übersehen. So haben wir in (Beifall bei der FDP) den letzten Monaten deutliche Verbesserungen bei der Prophylaxe von HIV erreichen können sowie bei Men- Ich denke, da stellen sich vielen Versicherten eher andere schen, die an Krebs erkrankt sind und denen ein Fragen. Fertilitätsverlust durch die Behandlung droht. Da können Herr Minister, mit Blick auf Ihren Haushalt können wir nun auf Kosten der Krankenkassen Ei- und Samenzellen Freie Demokraten durchaus, auch wenn es dabei um klei- eingefroren werden. Nun zeichnet sich erfreulicherweise nere Haushaltstitel geht, Unterstützung signalisieren, auch eine Lösung für Frauen, die sich in der DDR durch zum Beispiel wenn es um die internationale Gesundheits- verunreinigte Anti-D-Prophylaxe in der Schwangerschaft vorsorge geht. Hier geht es vor allem auch um Leistun- mit Hepatitis C infiziert haben,ab. Wir alle kennen diese gen – ich hatte es bereits ausführlich dargestellt – im Fälle aus unseren Bürgerbüros. Es ist deshalb gut, dass humanitären Bereich. Im Übrigen zählen die Ausgaben Bewegung in die Sache kommt und wir eine Lösung fin- auch für die Berechnung der ODA-Quote. In diesem Be- den. reich haben Sie also unsere Unterstützung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der zweite Bereich, in dem Sie auf unsere Unterstüt- der CDU/CSU) zung zählen können, ist die Bewerbung der privaten Pfle- Das war im Übrigen auch immer wieder ein Anliegen gevorsorge. meiner Kollegen Kolbe und Diaby; denen war das sehr, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist doch (B) sehr wichtig. schon gescheitert!) (D) Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich Wir haben sehr erfreut zur Kenntnis genommen, dass Sie noch anmerken: Mir und meiner Fraktion ist es sehr unseren Vorstößen, da mehr Gas zu geben, nachgekom- wichtig, dass wir bei dem Thema „Entlastung der men sind und mehr Anstrengungen vollführt haben. In Betriebsrentner“ endlich weiterkommen. diesem Bereich können Sie weiterhin auf unsere Unter- (Beifall bei der SPD) stützung setzen. In den Koalitionsverhandlungen konnte sich die SPD (Beifall bei der FDP) nicht durchsetzen, die Doppelverbeitragung abzuschaf- Sie können auch auf unsere Unterstützung setzen, fen. Ich freue mich, dass mittlerweile Bewegung in die wenn Sie die Anstrengungen in der Digitalisierung im Sache gekommen ist. Gesundheitswesen weiter vorantreiben. Es ist wirklich (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wann wichtig, dass wir in diesem Bereich vorankommen. Sie kommt denn der Gesetzentwurf?) haben da erste Maßnahmen ergriffen. Da sind die Haus- haltsmittel auch gut aufgehoben. Unser Koalitionspartner hat den Handlungsbedarf er- kannt, und ich erwarte, dass wir sehr zügig eine Lösung Ein vierter Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die vorlegen. Qualifizierung für Pflegeberufe im Ausland; Sie haben es angesprochen. Herr Minister, Sie können Gesetze erlas- (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald sen, in denen festgelegt wird, mit welcher Quote Pflege- [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: plätze zu besetzen sind, was dazu führt, dass Intensivsta- CDU, macht mal! Kommt mal in die Hufe! tionen die Zahl der Betten abbauen müssen. Aber das Die Doppelverbeitragung muss weg! Klin- Entscheidende ist, dass wir danach auch Fachkräfte in gelt’s? Euer Parteitag ist bald ein Jahr her! – unserem Land zur Verfügung haben. Und dazu ist das Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: ein wichtiger Beitrag. Trink mal einen Schluck Wasser!) (Beifall bei der FDP) Sie sehen: Uns geht die Arbeit nicht aus. Ich freue mich darauf, bin hochmotiviert und wünsche noch einen Herr Minister, ein Bereich, in dem Sie nicht mit unserer schönen Tag. Unterstützung rechnen können, ist der Bereich der Rück- lagen im Gesundheitswesen. Der Gesundheitsfonds ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hält aktuell Rücklagen in Höhe von 9,7 Milliarden Euro. der CDU/CSU) Die Mindestreserve beträgt 5 Milliarden Euro. Bei der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13853

Karsten Klein (A) GKV liegen sie – Stand erstes Halbjahr dieses Jahres – bei Im Übrigen, Herr Minister, bin ich der Meinung, der (C) 20,8 Milliarden Euro. Solidaritätszuschlag sollte komplett abgeschafft werden. (Heike Baehrens [SPD]: Bei der PKV noch Vielen Dank. mehr!) (Beifall bei der FDP) Das ist das Vierfache der gesetzlichen Mindestreserven. Sie, Herr Minister, haben den Versicherten versprochen, dass sie die überschüssigen Reserven über niedrigere Zu- Vizepräsidentin Petra Pau: satzbeiträge zurückfließen lassen. Das Ganze findet aber Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die nicht statt, weil die Große Koalition nicht einen direkten Fraktion Die Linke. Rückfluss vereinbart hat, sondern einen Mechanismus, (Beifall bei der LINKEN) der dazu führt, dass noch einige Monate ins Land gehen werden. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): ( [CDU/CSU]: Oh!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Geld, das herumliegt, Herr Minister, weckt ja bekannt- ren! Wir als Linke sagen: Gesundheit darf keine Ware lich Begehrlichkeiten. sein. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Auch bei der FDP!) (Beifall bei der LINKEN) Nach Schätzungen des GKV-Spitzenverbands werden al- In der vergangenen Woche haben 215 Ärztinnen und Ärz- lein das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und das Termin- te sowie 19 Organisationen einen Appell veröffentlicht. service- und Versorgungsgesetz zu Mehrkosten in Höhe Darin fordern sie die Rettung der Medizin. Der wirt- von 21,4 Milliarden Euro bis Ende 2022 führen. 20,8 Mil- schaftliche Druck unterhöhle die Medizin, wird in dem liarden Euro in der Reserve, 21,4 Milliarden Euro Mehr- Aufruf treffend festgestellt. Angefangen habe alles mit kosten – da muss jedem klar werden, Herr Minister: Mit der Einführung der Fallpauschalen vor 16 Jahren. Jede der Rückführung der Beiträge an die Versicherten wird es Krankheit ist seitdem ein Produkt mit einem Preisschild. nichts mehr werden. Da sollten Sie den Versicherten end- Je teurer die Krankheiten, desto besser für die Eigentümer lich reinen Wein einschenken. der Krankenhäuser. Und das darf nicht sein, meine Da- men und Herren. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Wir erwarten grundsätzlich von Ihnen, dass Sie im Be- (B) reich der versicherungsfremden Leistungen endlich die Die Gesundheitsreform Anfang des Jahrtausends, ver- (D) Bremse ziehen und nicht immer neue wunderbare Projek- antwortet von SPD, Grünen und Union, hatte das gesamte te versprechen, die dann zukünftige Generationen belas- Gesundheitssystem dem Kapitalmarkt zu Füßen gelegt. ten, weil die Krankenversicherungsbeiträge steigen wer- Jetzt zeigt sich, dass das ein unverzeihlicher Fehler war. den. (Beifall bei der LINKEN) Bei dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimit- telversorgung, Herr Minister, erwarten wir von Ihnen, Denn was passiert jetzt? Private Equity Fonds, auch Heu- mal reinen Wein eingeschenkt zu bekommen. Genauer schrecken genannt, kaufen massenhaft Gesundheits- und geht es um die Frage, warum die ursprünglich geplante Pflegeeinrichtungen auf. Der Profit regiert. Unsere For- Einschränkung der Importklausel bzw. die zwischenzeit- derung ist: Wir brauchen Gesundheits- und Pflegeeinrich- lich von Ihrem Haus vorgeschlagene Komplettstreichung tungen in öffentlicher Hand. Sie müssen vor Profit, vor der Importklausel sich am Ende nicht in Ihrem Gesetz- Private Equity und Heuschrecken wirksam geschützt entwurf wiedergefunden hat. Medien in Deutschland, werden, meine Damen und Herren. auch die „Tagesschau“, haben vor zweieinhalb Wochen (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein ausgiebig darüber berichtet und auf eine erhebliche Ein- [CDU/CSU]: Sozialismus für alle!) flussnahme von Dritten, vor allem von Ihren Ministerkol- legen, hingewiesen. Das ist ein Vorwurf, dem wir Parla- Aber unser Gesundheitsminister Jens Spahn – ich habe mentarier aufgrund unserer Kontrollfunktion nachgehen ihn danach gefragt – hat überhaupt kein Problem mit Heu- müssen, Herr Minister. Ich möchte mir über diese Sache schrecken. Für ihn ist das Wettbewerb und wünschens- auf jeden Fall erst dann eine Meinung bilden, wenn ich wert. Ihre Stellungnahme zu dem Sachverhalt gehört habe. Aber wenn Sie unsere parlamentarischen Fragen mit all- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Verunglimpfen Sie gemeinen Ausführungen zum Verfahrensablauf beant- doch nicht Unternehmen als Heuschrecken! worten, nehmen Sie dieses Parlament nicht ernst und sich Das ist doch völlig neben der Sache!) selbst die Chance, die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. Die Frage ist nur: Auf wessen Rücken wird dieser Wett- bewerb ausgetragen? Im Gesundheitssystem stecken (Beifall bei der FDP) schließlich Milliarden, mehr als in dem Haushalt des Ge- Deshalb, Herr Minister, fordere ich Sie an dieser Stelle sundheitsministeriums. Seit 2017 wird pro Tag mehr als auf: Beantworten Sie unsere Nachfrage in dieser Sache 1 Milliarde Euro für die Gesundheit ausgegeben. Also angemessen, damit wir hier zu einem klaren Lagebild gibt es viele Begehrlichkeiten. Aber kommt dieses Geld kommen! immer bei den Patientinnen und Patienten, bei den Ärz- 13854 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Dr. Gesine Lötzsch (A) tinnen und Ärzten und bei den Pflegekräften an? Unsere (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abge- (C) Einschätzung ist: augenscheinlich nicht. ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Ein aktuelles Beispiel ist die künstliche Beatmung von Patientinnen und Patienten, über die gerade diskutiert Ich zitiere dafür lieber Martin Litsch, den Vorstandsvor- wird – ein Milliardengeschäft. Oft geht das zulasten der sitzenden des AOK-Bundesverbandes. Er stellt in einem Patienten. Die Betroffenen werden so lange wie möglich Interview fest: an die Maschinen angeschlossen; denn damit lässt sich Die Preise steigen, aber die Leistungen für die Ver- viel Geld verdienen. Schauen wir uns nur mal die Ver- sicherten verbessern sich bisher nicht. gleichszahlen an: Im Jahr 2005 wurden 1 000 Patienten künstlich beatmet, jetzt, 14 Jahre später, sind es 30 000. Ich denke, das ist kein gutes Zeugnis. Die Kassen geben für diese Intensivpflege mittlerweile (Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ fast 2 Milliarden Euro aus. Nun will der Gesundheitsmi- CSU]: Lesen Sie doch mal das ganze Interview nister, dass das nicht mehr zu Hause möglich ist, sondern vor! Nicht nur aus dem Kontext herausgerisse- nur noch in Krankenhäusern. Das ist eine Verschiebung ne Passagen!) auf dem Rücken der Patienten, keine Lösung, sondern eine Pseudolösung. Das finden wir nicht in Ordnung. Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist die Linke der Auffassung, dass der § 219a unbedingt abgeschafft (Beifall bei der LINKEN) werden muss. Die Frage ist also nicht: Ambulant oder stationär? Die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sind doch: Warum wirft ein dauerhaft kranker Patient mehr Profit ab als ein Patient, der wieder gesund wird? Warum wird in Deutschland wesentlich mehr operiert als Vizepräsidentin Petra Pau: in anderen, mit uns ökonomisch vergleichbaren Ländern? Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink für Da gibt es doch einen gravierenden Konstruktionsfehler. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gesundheit wurde zur Ware gemacht. Das lehnen wir als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Linke ab. (Beifall bei der LINKEN) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Linke unterstützt den Appell der Ärztinnen und Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- (B) Ärzte, in dem gefordert wird, erstens das Fallpauschalen- legen! Lieber Herr Minister, Sie haben gerade zu Recht (D) system zu ersetzen etwas Wichtiges angesprochen. Es gibt in der Tat eine Vertrauenskrise hinsichtlich der Versorgungssicherheit (Sabine Dittmar [SPD]: Durch was?) bei Gesundheit und Pflege in Deutschland; das ist ganz oder zumindest grundlegend zu reformieren und zweitens deutlich zu spüren. Ganz deutlich sehen wir auch, dass die die ökonomisch gesteuerte gefährliche Übertherapie ei- Menschen Ängste haben, ob tatsächlich in allen Regionen nerseits sowie die Unterversorgung von Patienten auf der gewährleistet ist, dass sie Zugang zu einer guten Gesund- anderen Seite zu stoppen. Der ökonomische Druck trifft heitsversorgung haben, ob gewährleistet ist, dass tatsäch- ja nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch die Pflege- lich Pflegekräfte zu ihnen nach Hause kommen, und ob einrichtungen und die niedergelassenen Ärzte. Der Man- gewährleistet ist, dass das schwerstbehinderte Kind mit- gel an Pflegekräften und Ärzten – das ist ja hier schon hilfe eines häuslichen Krankenpflegedienstes tatsächlich besprochen worden – nimmt ja flächendeckend zu. All zu Hause versorgt werden kann. diese Probleme sind seit Jahren ungelöst. Ich habe bereits All diese Sorgen haben wir, und wir haben sie nach im Jahre 2002 die damalige Gesundheitsministerin auf 15 Jahren CDU-geführter Regierung; das muss man ganz den Fachärztemangel hingewiesen. Damals wurde er klar sagen. Wir haben sie, obwohl wir hier in eineinhalb noch bestritten. Jahren bereits sieben Gesetzesvorhaben mit sehr umfang- reichen Veränderungen beschlossen haben, und wir haben Wir als Linke fordern eine solidarische Gesundheitsre- sie in einer Situation, in der wir draußen einen massiven form, die nicht an den Kapitalinteressen der Heuschre- Fachkräftemangel im Gesundheitswesen erleben, der sich cken orientiert ist. gewaschen hat und von dem wir wissen, dass wir erst den (Beifall bei der LINKEN) Anfang erleben. All das zeigt: Es geht darum, Vertrauen wieder zurückzugewinnen Gesundheit – ich kann das nur noch mal wiederholen – darf keine Ware sein. Im Mittelpunkt müssen der Patient, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Patientin, die Pflegekräfte, die Ärztinnen und die Ärz- und tragfähige Lösungen vorzulegen, die zeigen, dass wir te stehen. es wirklich schaffen, diese grundlegenden Probleme zu lösen. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh wei!) Herr Spahn hat eine Menge Gesetzentwürfe vorgelegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nicht alles, was er tut, ist falsch; meine Redezeit reicht Und da sage ich: Hier reicht es nicht, ein Feuerwerk aber nicht dazu aus, ihn zu loben. von vielen Gesetzen zu zünden, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13855

Maria Klein-Schmeink (A) (Beifall bei Abgeordneten des Versorgung einzubeziehen. Das ist die Aufgabe, die wir (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vor uns haben. wenn diese Gesetze immer wieder nur mehr vom Glei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen Wenn ich sehe, wie mühselig die Schritte bei der He- (Beifall bei Abgeordneten des bammenausbildung gegangen werden, wenn ich sehe, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wie mühselig die Schritte bei der Psychotherapieausbil- und eben nicht die grundlegend neuen Strukturen dung gegangen werden, schaffen, die wir brauchen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Demokratie ist halt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) manchmal mühselig, wenn es unterschiedliche Auffassungen gibt!) Ich nenne mal ein Beispiel: Bei der Versorgung von älteren und schwerstbehinderten Menschen gibt es einen und wenn ich höre, dass Sie der Akademisierung bei den komplexen Versorgungsbedarf vor Ort. Dabei geht es therapeutischen Gesundheitsberufen eine Absage erteilt nicht nur darum, dem Facharzt einen zusätzlichen EBM haben, dann glaube ich: Sie haben die eigentliche Heraus- zu geben, sondern auch darum, in tragfähige Versor- forderung, die sich in diesen Bereichen ergibt, noch nicht gungsnetze zu investieren, die vor Ort wirksam und verstanden. kooperativ die Versorgung sicherstellen. Darum muss es gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne: Es geht darum, solide anzupacken, Vertrauen zurückzugewinnen, aber auch den Mut für ent- Wenn ich das hinkriegen will, dann muss ich Anfangs- scheidende Reformen zu haben. Und der fehlt. investitionen tätigen und schauen, dass ich die Digitali- sierung genau dafür tatsächlich nutzen kann. Ich muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dafür sorgen, dass es so etwas wie Netzwerkbildung gibt, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], die dann auch finanziert, bezahlt und begleitet wird, und an die CDU/CSU gewandt: Nehmt euch das ich muss dafür sorgen, dass in unserem Regelwerk, in mal zu Herzen!) unseren Kollektivverträgen, die Möglichkeit geschaffen wird, all diese neuen Versorgungsformen tatsächlich ab- Vizepräsidentin Petra Pau: zubilden. Herr Minister, hier muss ich sagen: Da sind Sie nach eineinhalb Jahren Gesetzgebung und auch mit den Das Wort hat der Abgeordnete Lothar Riebsamen für (B) geplanten Gesetzen noch lange nicht. Das halte ich für die CDU/CSU-Fraktion. (D) einen sehr großen Fehler, (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weil: Wer jetzt nicht in die Versorgung von morgen Lothar Riebsamen (CDU/CSU): investiert, der wird den Versorgungsnöten hinterherlaufen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und und es nicht schaffen, genau das zu tun, was Sie vorhin zu Kollegen! Sich mit dem Haushalt zu befassen, heißt na- Recht angemahnt haben, nämlich Vertrauen in die Ver- türlich, sich mit Zahlen auseinanderzusetzen. Ein Blick sorgungssicherheit. auf die Zahlen der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten Jahren zeigt, dass wir hier einen deutlichen Vertrauen in die Versorgungssicherheit können wir nur Aufwuchs haben: Die Leistungsausgaben sind zwischen wiedererlangen, wenn wir das tatsächlich zu einem star- 2014 und 2018 von 194 Milliarden auf 226 Milliarden ken Thema machen. Nachdem Sie eine Kommission ge- Euro angestiegen, ein Plus von 16 Prozent. Sehr beacht- bildet haben, die Vorschläge gemacht hat, um die Gleich- lich, würde ich mal sagen. wertigkeit der Lebensverhältnisse in allen Regionen sicherzustellen, bei all den vorgeschlagenen Maßnahmen Aber das Besondere ist nicht die Steigerung, sondern aber Pflege und Gesundheit nicht einmal vorkommen, die Tatsache, dass wir diese enorme Steigerung, die mit Tariferhöhungen und Leistungssteigerungen zu tun hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bewältigt haben, ohne dass in diesen Jahren die Zusatz- frage ich mich: Wie wollen Sie dieses Vertrauen eigent- beiträge nennenswert erhöht wurden. Das haben wir einer lich zurückgewinnen? Wie wollen Sie das schaffen, wenn guten Konjunktur zu verdanken. Und das ganz Besondere Sie die Dinge nicht in die Hand nehmen? ist, dass wir in diesem Jahr 2019 überhaupt keine Steige- rungen bei den Zusatzbeiträgen haben. Wir haben sogar Zweites Thema. Wir sehen, dass wir einen massiven Senkungen. Das hat seinen guten Grund. Das hat damit zu Pflegenotstand, aber auch einen Fachkräftenotstand in tun, dass wir im Versichertenentlastungsgesetz festgelegt allen Gesundheitsberufen haben. Auch da sind wir gefor- haben, dass das Geld der Versicherten, das in den Rück- dert, nicht nur eine leichte Anpassung und Modernisie- lagen der Krankenkassen in zu großem Umfang gehortet rung der Berufsgesetze vorzunehmen, sondern tatsächlich wird, zurückgeführt werden muss, also an die Versicher- in Deutschland einen Perspektivwechsel hinzubekom- ten zurückgegeben werden muss. Diese Rechnung ist auf- men, indem wir von dem rein auf Ärzte zentrierten Ge- gegangen. sundheitswesen wegkommen, indem wir dahin kommen, alle Gesundheitsberufe mit ihrem Kompetenzprofil in die (Beifall bei der CDU/CSU) 13856 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Lothar Riebsamen (A) Nicht vergleichbar mit der gesetzlichen Krankenversi- bedingungen für die Kurzzeitpflege schlicht und ergrei- (C) cherung – natürlich nicht – ist die Pflegeversicherung, fend ganz deutlich verbessern. was den Ausgabenanwuchs anbelangt. Da haben wir im gleichen Zeitraum eine Steigerung von 50 Prozent. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hatten keine Rücklagen. Auch da hat uns allerdings die der CDU/CSU und der Abg. Nicole Westig Konjunktur etwas geholfen. Wir mussten aber Beiträge [FDP]) erhöhen, weil wir auch die Leistungen deutlich erhöht In allen Bereichen der Pflege geht es allerdings nicht haben – zugunsten der alten Menschen, aber auch zuguns- nur um Geld, sondern auch um Ressourcen an Menschen, ten der Familien. die bereit und in der Lage sind, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Deswegen müssen wir uns auch noch intensiver Wir haben mit der Neuordnung der Pflegestufen bzw. damit befassen, wie wir hier Strukturen verbessern kön- Pflegegrade zum ersten Mal Demenz in den Bereich der nen. Pflegeversorgung aufgenommen. Wir haben enorme Ent- lastungen für die Familien durchgesetzt. Ich möchte nur Wir haben jetzt das Pflegebudget bei den Krankenhäu- ein Beispiel nennen: Das ist das separate Budget für die sern geschaffen und einen Teil der Kosten aus den DRGs Tagespflege. Wenn man bei der Pflege jetzt auch noch die herausgenommen, nicht ohne Risiken. Wenn es wie hier Krankenhauspflege dazurechnet, also voller Tarifaus- darum geht, Strukturen und Prozesse zu verbessern, stel- gleich und die Tatsache, dass dem Krankenhaus jede zu- len sich bei einem Budget andere Fragen als bei den sätzliche Stelle bezahlt wird, dann würde ich mal sagen: DRGs. Deswegen müssen wir die Verbesserung von Wir sind in den vergangenen Jahren in der Pflege ordent- Prozessen in der Pflege bzw. im Krankenhaus noch mal lich vorangekommen. All das ist jeden Euro wert, den wir neu diskutieren. Wir haben auch die – berechtigte – For- an dieser Stelle mehr ausgeben, auch wenn dazu Beitrag- derung, die 3 Prozent, die bisher dafür bereitgestellt wer- serhöhungen in der Pflegeversicherung nötig waren. den, zu erhöhen, um hier zu Verbesserungen zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht auch um Strukturen im Krankenhausbereich. Ja, wir haben zu viele Krankenhäuser. Aber so einfach, Was ist aber in den kommenden Jahren zu erwarten? wie es sich die Bertelsmann-Stiftung macht, ist es nicht: Die Konjunktur trübt sich ein. Das wirtschaftliche Klima Es reicht nicht, einfach mehr als die Hälfte der Kranken- kühlt sich weltweit ab. Der Brexit lässt grüßen, der Han- häuser auszuradieren. Wir brauchen Strukturverbesserun- delsstreit lässt grüßen. Aus Boom wird Rezession, titeln gen, aber in der Form, dass wir bessere Qualitäten und die Zeitungen in diesen Tagen. Das geht natürlich auch Alternativangebote dort schaffen, wo vielleicht kein am Gesundheitswesen nicht vorbei, und wir müssen uns Krankenhaus mehr vorhanden ist, das sektorübergreifend (B) überlegen, wie wir an der Stelle gegensteuern. Es besteht arbeitet – SGB XI, aber auch innerhalb des SGB V sektor- (D) Handlungsbedarf, und ich denke, dass wir durchaus auch übergreifend –, um Netzwerke zu schaffen, damit auch eine Evaluierung dessen brauchen, was wir in den letzten die Orte, die möglicherweise kein Krankenhaus mehr ha- Jahren gemacht haben. Ich will ein paar Beispiele nennen. ben werden, nachher tatsächlich besser und mit neuen Strukturen dastehen als bisher. Das Thema Tagespflege habe ich schon angesprochen, ein sehr wichtiges Thema für die Familien. Wir müssen prüfen, ob das auch tatsächlich alles bei den Familien Vizepräsidentin Petra Pau: ankommt oder ob nicht noch zu viel in andere Bereiche Kollege Riebsamen, Sie können gerne weitersprechen, geht. tun das aber auf Kosten Ihrer Kollegen. Ein zweites Beispiel ist die Kurzzeitpflege; die habe ich noch nicht erwähnt. Frau Baehrens und ich sind im Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Moment zusammen dabei, uns Gedanken zum Thema Ich komme zum Schluss. Kurzzeitpflege zu machen. Wir haben im Koalitionsver- Wir werden diese Fragen zu diesem Haushalt im Aus- trag festgehalten, dass wir eine auskömmliche Finanzie- schuss beraten. Ich freue mich auf diese Beratungen und rung der Kurzzeitpflege brauchen. Die haben wir noch bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. nicht. Deswegen haben wir derzeit viel zu wenige Kurz- zeitpflegeplätze. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Familien können ihre Angehörigen nicht 52 Wochen im Jahr tagaus, tagein Tag und Nacht pflegen. Sie brau- chen Unterstützung durch Kurzzeitpflege, wenn sie sel- Vizepräsidentin Petra Pau: ber krank werden, ins Krankenhaus müssen oder mal Ur- Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack- laub brauchen. Dann finden sie aber nichts, und deswegen Winkemann für die AfD-Fraktion. brauchen wir an der Stelle ganz dringend Abhilfe. (Beifall bei der AfD) Auch den Heimen ist es nicht zu verdenken, dass sie keine Kurzzeitpflege vorhalten, wenn sie es nicht ausrei- Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): chend finanziert bekommen, und es gibt natürlich Druck Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Ver- durch Menschen, die Langzeitpflege brauchen und die geblich haben wir, die AfD, immer wieder Statistiken und Plätze deshalb belegen. Deswegen mache ich den Heimen Auswertungen zu flüchtlingsbedingten Kosten im Zu- ausdrücklich keinen Vorwurf. Wir müssen die Rahmen- sammenhang mit dem Gesundheitsfonds gefordert. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13857

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) (Zurufe von der SPD: Oh! – Bingo!) Und es geht weiter: Da die so gewonnenen Daten die (C) Grundlage für die Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds Geschehen ist nichts und kann es auch derzeit nicht. Denn bilden, sind alle Berechnungen, die dem Gesundheits- es gibt keine aussagefähigen Zahlen, die als Grundlage fonds derzeit zugrunde liegen, unbrauchbar, Makulatur, für den Gesundheitsfonds dienen können. schlicht und einfach für die Katz. Woran liegt das? Diese Große Koalition hat jahrelang Und was macht diese Bundesregierung? Sie lässt sich zugelassen, dass Krankenkassen und Krankenhäuser un- Zeit. Erst am 17. Juli 2019, also in der Sommerpause, zulässige pauschale Rechnungskürzungen – wahrschein- wurde vom Kabinett der Entwurf eines Reformgesetzes lich insgesamt in Höhe mehrerer Milliarden – vereinbaren beschlossen, um eine gesetzliche Klarstellung des Ver- und auf diese Weise Abrechnungsprüfungen umgehen. bots dieser im November 2018 endlich als unzulässig Das ist ein bodenloser Skandal auf Kosten der erkannten Vereinbarung in die Wege zu leiten. Jahrealte Beitragszahler, der Krankenkassen und des Steuerzahlers. Abrechnungen müssen jetzt überprüft werden, um Ab- (Beifall bei der AfD) rechnungsfehler und vor allem Betrügereien zu entde- cken, die zu einem Schaden von vielen Milliarden Euro Der Bundesrechnungshof und das Bundesversiche- geführt haben können. rungsamt und die Aufsichtsbehörden der Länder haben dann auch endlich im November 2018 die Rechtswidrig- Wie viele Millionen kostet diese Aufarbeitung den keit dieser Vereinbarungen ausdrücklich bestätigt. Über Steuerzahler – denn wer sonst soll das alles bezahlen? Jahre kamen Krankenkassen ihrer Pflicht zur Prüfung der Wie können Sie von Bürgern Gesetzestreue erwarten, Krankenhausabrechnungen nicht nach. Sie hatten indivi- wenn Sie selbst so grob fahrlässig mit der Gesundheit duelle Vereinbarungen mit den Krankenhäusern über pau- und dem Geld unserer Bürger umgehen? Wie können schale Rechnungskürzungen beschlossen und im Gegen- Sie bei dieser Sach- und Rechtslage zuverlässige Aussa- zug auf Abrechnungsprüfungen verzichtet. Damit gen über den Finanzbedarf des Gesundheitsfonds treffen? unterblieben auch die für bestimmte Fälle gesetzlich vor- Last, but not least: Nach den neuesten Zahlen des Ro- geschriebenen Prüfungen durch den Medizinischen bert-Koch-Instituts sind Erkrankungen an Hepatitis B im Dienst der Krankenversicherung. Krankenkassen sind letzten Jahr weiter explosiv gestiegen. Hepatitis B zählt aber gesetzlich verpflichtet, eine gutachtliche Stellung- bei chronischem Verlauf zu den bedeutendsten Ursachen nahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversiche- von Leberzellkarzinomen, rung einzuholen, wenn dies nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krank- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das heitsverlauf erforderlich ist. entspricht nicht der Realität!) (B) und der Tod als Folge hiervon rangiert weltweit auf Platz (D) (Beifall bei der AfD) zwei der krebsbedingten Todesursachen. Mit anderen Worten: Diese Vereinbarungen ermögli- Rechnet man die diesjährigen Zahlen des RKI hoch, chen es Krankenhäusern, sich von Prüfungen durch die kommt man auf 5 560 Fälle. Das bedeutet von 2018 zu Krankenkassen und damit des Medizinischen Dienst frei- 2019 eine Steigerung von circa 20 Prozent, also eine Stei- zukaufen. Wer aber hindert die Krankenhäuser, die Abzü- gerung von circa 635 Prozent seit 2014, als es in Deutsch- ge im Vorfeld einzukalkulieren und überhöhte Rechnun- land nur 755 Fälle gab. Bei Asylsuchenden kamen gen auszustellen, vor allem, wenn sie wissen, dass eine 2017 62 Prozent aus Afrika und 29 Prozent aus Asien, Überprüfung ohnehin nicht stattfindet? Es wurde also ein vorwiegend aus Syrien und Afghanistan. System erschaffen und von dieser Bundesregierung jahre- lang geduldet, das millionenfache Gelegenheit zum Ab- (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Nein!) rechnungsbetrug ermöglicht. Aktuelle Studien aus Deutschland zeigen laut RKI für (Beifall bei der AfD – Dr. Georg Nüßlein Personen mit Migrationshintergrund, dass 80 Prozent ih- [CDU/CSU]: Wie kommen Sie auf diese The- rer Erkrankungen an einer aktiven Hepatitis B unbekannt men?) war und dass sie auch nicht wussten, wie Hepatitis B übertragen wird. Es ist ein System, in dem durch pauschalen Verzicht der Überprüfung der Krankenhausabrechnungen in Kauf Wir, die AfD, fordern daher gezielte Screeningmaß- genommen wurde, dass medizinische Fälle unerkannt nahmen bei Asylsuchenden; bleiben, in denen der Medizinische Dienst eingeschaltet (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und Sie werden müsste. Mit anderen Worten: Derzeit haben we- wollen eine bürgerliche Partei sein? Sie sind der die Krankenkassen noch die Bundesregierung einen keine bürgerliche Partei!) genauen Überblick, mit welchen Krankheiten unsere Be- völkerung in welchem Umfang wirklich zu tun hat - denn die Dunkelziffer der Infizierten birgt wie bei HIV und Tuberkulose ein schreckliches epidemiologisches (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Potenzial. ein Skandal und eine kaum zu übertreffende Verantwor- (Beifall bei der AfD) tungslosigkeit jedem einzelnen Bürger unseres Landes gegenüber. Oder sollen solche Fälle wie der im September 2017 in Dresden gehäuft auftreten, Herr Spahn, wo nach der Ent- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) deckung eines aktiven TB-Falls circa 2 000 Kontaktper- 13858 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) sonen ermittelt wurden und über 3 000 Blutentnahmen Dittmar sagte „Feinheiten“ dazu. Ich möchte eher sagen, (C) erfolgt sind? Damals wurden 120 latente tuberkulöse In- dass es Punkte sind, die mir als Haushälterin unter den fektionen und sieben aktive Tuberkulosen ermittelt. Nägeln brennen. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Herr Minister Spahn, Sie wissen, Sie haben die volle LINKE]) Unterstützung des gesamten Hauses, wenn es um die Ge- winnung von medizinischem Fachpersonal geht. Wir ha- Wir, die AfD, brechen diese Schweigespirale. Unsere ben es heute schon gehört: Durch die Konzertierte Aktion Bevölkerung muss vor derartigen Krankheiten geschützt Pflege wurden 13 000 zusätzliche Pflegestellen geschaf- werden, und das nicht nur wegen der exorbitant hohen fen. Wir wissen, dass die Zahl der benötigten Pflegestel- Kosten. len wesentlich höher ist. Dramatisch: Aber es fehlen im (Zuruf der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Augenblick die Menschen für diese Stellen, das Fachper- sonal. Wir dürfen hier nicht den Fehler machen, dass wir Und wie oft müssen wir, die AfD, noch auf diese für Krankenhäuser und ambulante Pflegedienste gegeneinan- jedermann offenkundigen Gefahren hinweisen, bis auch der ausspielen; denn wir haben nichts gewonnen, wenn Sie, die Sie hier alle sitzen, endlich handeln? den Pflegediensten das Fachpersonal wegläuft und in die (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Krankenhäuser geht, weil es dort besser bezahlt wird. Ich [DIE LINKE]: Da beschweren Sie sich, dass weiß, wovon ich rede; denn ich komme aus einem länd- man Sie Rassisten nennt? Bei solchen Reden? lich geprägten Wahlkreis. Irre!) Wir brauchen deshalb unbedingt zusätzliche Fachkräf- te. Das funktioniert – da habe ich sehr viel Vertrauen in Vizepräsidentin Petra Pau: unsere guten Ministerien, in unsere sehr guten Minister- Frau Malsack-Winkemann, Sie müssen bitte zum innen und Minister – über verschiedene Instrumente, bei- Schluss kommen. spielsweise über die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge. Trotzdem ist es notwendig und richtig, dass Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): wir auch ausländische Fachkräfte gewinnen. Ihr Haus Ich bin gleich fertig. – Fakten hören nicht auf, zu exis- will den Etat für die Qualifizierung ausländischer Pflege- tieren, nur weil sie ignoriert werden. kräfte verdoppeln. Wir von der SPD-Fraktion begrüßen das ausdrücklich. Danke schön. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: (B) Rassistin! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE Kommen wir zum nächsten Punkt. Sie wollen einen (D) GRÜNEN: Ekelhaft! Schämen Sie sich!) neuen Titel schaffen für ein nationales Gesundheitsportal. Was steckt dahinter? Es handelt sich hier um eine Forde- rung aus dem Koalitionsvertrag, dass Gesundheitsinfor- Vizepräsidentin Petra Pau: mationen bereitgestellt werden sollen, die qualitativ Das Wort hat die Kollegin Sonja Amalie Steffen für die hochwertig und zugleich für alle Bürgerinnen und Bürger SPD-Fraktion. gut verständlich sein sollen, also eine Art „Dr. Google“, aber eben auf wissenschaftlichem Niveau und leicht ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ständlich. Die Idee ist gut und richtig. Wir werden im der CDU/CSU) Rahmen der Haushaltsberatungen darauf achten, keine Parallelstrukturen zu schaffen, weil es ja auch die Bun- Sonja Amalie Steffen (SPD): deszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt. Deshalb Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und müssen wir an dieser Stelle dafür sorgen, dass das alles so Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Tief durchatmen, richtig ist. Aber grundsätzlich begrüßen wir diesen neuen wir verlassen jetzt wieder das Land der gruseligen Hor- Titel. rormärchen Sie, Herr Minister, haben selbstverständlich auch un- (Zuruf der Abg. [AfD]) sere volle Unterstützung, die volle Unterstützung der und kehren zur Realität zurück, nämlich zur Haushalts- SPD-Fraktion, wenn es um das internationale Gesund- debatte. heitswesen geht. Dieser Titel steigt laut Entwurf um 11 Millionen Euro auf insgesamt 121,5 Millionen Euro. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Die globale Gesundheit ist extrem wichtig. Es gibt gerade der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE wieder einen Ebolaausbruch im Kongo mit bereits GRÜNEN) 2 000 Toten in diesem Jahr. Das ist sehr schlimm in einem Der Entwurf des Haushalts für das Bundesministerium der ärmsten Länder der Welt. Wir wissen, dass diese Er- für Gesundheit umfasst für das Jahr 2020 Gesamtausga- krankung sehr schnell zu einer humanitären Katastrophe ben in Höhe von 15,3 Milliarden Euro. Von dieser großen führt. Wir müssen da unbedingt helfen. Summe werden sogleich 14,5 Milliarden Euro in den Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sundheitsfonds für die gesetzliche Krankenversicherung der CDU/CSU) gesteckt. Es bleiben also noch 800 Millionen Euro übrig, über die das Parlament zu entscheiden hat. Ich möchte Ich habe in den vergangenen Haushaltsberatungen einige Punkte herausgreifen; meine Kollegin Sabine schon häufig über Polio geredet. Dank Rotary und dank Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13859

Sonja Amalie Steffen (A) GPEI ist die Kinderlähmung weltweit fast ausgerottet. Ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C) weiß nicht, ob sich der eine oder andere noch erinnert: viel Kostenträchtiges: Die bisherige Gesetzgebung Noch vor 30 Jahren hatten wir pro Jahr 350 000 Fälle von schlägt bei der GKV bis 2022 mit Mehrausgaben von Kinderlähmung. Und jetzt ist diese Krankheit nahezu aus- über 23 Milliarden Euro zu Buche. Die soziale Pflegever- gerottet, um 99,9 Prozent reduziert. Dennoch gibt es welt- sicherung wurde ebenfalls mit knapp 1 Milliarde Euro weit immer wieder Ausbrüche, in Pakistan, in Afghanis- belastet. Weitere teure Gesetzesvorhaben sind bereits tan und jetzt auch in Nigeria. Wir müssen unbedingt dafür vom Kabinett beschlossen. sorgen, dass diese Kampagne weiter unterstützt wird. Ich weiß, Herr Minister, dass in Ihrem Haus darüber nachge- Die Menschen in Deutschland sind grundsätzlich be- dacht wird, ob die Bekämpfung von Polio bei Ihnen unter- reit, in ihre Gesundheit zu investieren – aber es muss gebracht werden soll. Sie können jedenfalls damit rech- nachhaltig sein. Die gesetzlichen Krankenkassen haben nen, dass meine/unsere Unterstützung Ihnen in diesem aktuell zum Glück hohe Rücklagen. Doch wir müssen uns Bereich gewiss ist. darauf einrichten, dass die Beiträge nicht mehr so wie bisher sprudeln. Eine Politik mit immer mehr Leistungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ausweitungen wird uns deshalb früher oder später einho- der CDU/CSU) len. Ein letzter Punkt, den ich noch erwähnen möchte: die Gerade in der Pflegeversicherung verschleiern Beitrag- Neuregelung der Organspende. Wir wissen, wir haben sanhebungen und zusätzliche Kosten das Prinzip der Teil- eine sehr schwere, auch ethisch bedeutsame Entschei- leistung. So ist nur wenigen Bürgerinnen und Bürgern dung vor uns. Noch im Herbst dieses Jahres werden wir bewusst, dass sie bei Pflegebedürftigkeit eben nicht voll- über die Neuregelung der Organspende entscheiden. Die ständig abgesichert sind, dass es am besten wäre, früh- Kosten dafür haben wir noch nicht im Haushalt einge- zeitig zusätzlich vorzusorgen. Wir brauchen deshalb eine preist; das konnten wir auch gar nicht; denn es ist kosten- ehrliche Politik. Von Transparenz bei den Kosten des Ein- mäßig mit großen Unterschieden verbunden, ob wir uns zelnen für Gesundheit und Pflege sind wir weit entfernt. letztendlich für die Entscheidungslösung oder für die Wi- derspruchslösung aussprechen werden. Deshalb ist diese (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Stelle offen. Ich weiß nicht, ob wir es schaffen, diese Kosten bis zum Ende der Haushaltsberatungen in den Die Wirksamkeit der Gesetze lässt sich bezweifeln. Haushalt einzustellen; jedenfalls müssen wir darauf ach- Egal ob TSVG oder PpSG, man findet immer dasselbe ten. Schema: mehr Bürokratie und mehr staatliche Eingriffe in das Gesundheitswesen. Dabei wäre das Gegenteil richtig: Im Zusammenhang mit dem Thema Organspende will konsequente Entbürokratisierung und weniger Planwirt- (B) (D) ich noch ein Projekt erwähnen, das der SPD-Fraktion schaft. besonders am Herzen liegt, und zwar die Ausrichtung der Olympischen Spiele für Organtransplantierte. Wir (Beifall bei der FDP) wollen gerne – meine Kollegin , die Vor- So überrascht nicht, wenn viele Maßnahmen einfach sitzende des Sportausschusses, hat sich hierfür sehr ein- ins Leere laufen. Nehmen wir das Pflegepersonal-Stär- gesetzt –, dass diese Olympischen Spiele nach Deutsch- kungsgesetz. So gut der Name klingt: Das Personal, das land kommen. Wir denken, damit können wir ein Zeichen gestärkt werden soll, muss erst einmal vorhanden sein. setzen, dass wir Organtransplantation nicht nur in der Doch trotz des leergefegten Arbeitsmarktes Gesetzgebung unterstützen, sondern Organtransplanta- tion auch im praktischen Leben auf dem Schirm haben. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Da versagt An dieser Stelle haben Sie auch unsere Unterstützung. der Markt!) Ich bin sicher, dass wir sehr spannende Beratungen ist es einigen Einrichtungen gelungen, zusätzliche Pflege- haben werden, und freue mich dann auf die zweite/dritte kräfte einzustellen. Sie haben sich durch den Bürokratie- Lesung. dschungel gekämpft, um die Spahn-Stellen zu beantra- gen. Finanziell sind sie in Vorleistung gegangen. Aber (Beifall der SPD sowie bei Abgeordneten der bislang wurden überhaupt erst 300 Anträge bewilligt, so CDU/CSU) die Antwort auf unsere Anfrage. Viele Einrichtungen warten deshalb seit neun Monaten auf die Refinanzie- Vizepräsidentin Petra Pau: rung. Herr Minister, Sie sagen: Das Geld ist da. – Das nützt überhaupt nichts, wenn die Kassen dann nicht zah- Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Nicole len und die Pflegeheime auf ihren Personalkosten sitzen Westig das Wort. bleiben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP)

Nicole Westig (FDP): So stärkt man Pflegende gewiss nicht, und es hat eine Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! fatale Signalwirkung für die angeschlagene Pflege in Umtriebig ist er, der Gesundheitsminister, Deutschland. Da Sie von „Vertrauensverlust“ sprechen: Sorgen Sie dafür, dass die Stellen schnell refinanziert (Tino Sorge [CDU/CSU]: Fleißig!) werden und das Vertrauen wiederhergestellt wird! er hat viel auf den Weg gebracht, (Beifall bei der FDP) 13860 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Nicole Westig (A) Auch der Maßnahmenkatalog der Konzertierten Ak- Das kann man zum Beispiel an der Situation der Pflege (C) tion Pflege, auf den sich auch die Kanzlerin am Mittwoch sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege be- berufen hat, hilft wenig weiter. Es war sicher gut, alle legen: viele Ankündigungen, Initiativen, konzertierte Ak- Akteure an einen Tisch zu bringen, um einen gemeinsa- tionen, Verordnungen, Gesetze; aber wenig Wirkung, men Fahrplan zu entwickeln. Mit Blick auf das magere kaum ein spürbarer Fortschritt. Über die 13 000 Stellen und wenig konkrete Ergebnis kann man aber nur sagen: für die medizinische Behandlungspflege in den Senioren- Leider eine große Chance vertan! heimen ist ja bereits geredet worden. Real gibt es keine 300 davon; besetzt ist noch keine einzige. Das ist die (Heike Baehrens [SPD]: Dann haben Sie ihn Situation, die wir jetzt haben. Ich befürchte, es wird auch aber nicht gelesen!) bis zum Ende der Legislaturperiode nicht besser. Dort ist vieles unkonkret; vieles wurde sowieso schon Ein anderes Beispiel sind die Pflegepersonaluntergren- umgesetzt. zen in den sogenannten pflegeintensiven Bereichen in den Krankenhäusern. Ja, jetzt im zweiten Quartal, nachdem (Dr. [CDU/CSU]: Ist doch gut!) das scharfgestellt wurde, haben wir eine Erfüllungsquote Also: Der große Wurf ist es nicht; es ist eher wieder ein von 96 Prozent. Aber wie? Einmal durch Zusammenlegen Klein-Klein. von Stationen, Abziehen von Pflegepersonal aus anderen Bereichen, Bettenschließungen mit echten Versorgungs- (Beifall bei der FDP) lücken, teilweise Absenkung auf die Untergrenzen von Gut und richtig ist auch das Vorhaben, die Kinder von besser am Pflegebedarf der Patienten ausgerichteter Pfle- Pflegebedürftigen finanziell zu entlasten. Allerdings soll- geausstattung. te sich die Bundesregierung nur dann dafür abfeiern, Ein weiteres Beispiel: die Pflegebudgets ab 2020. Wir wenn sie auch ein entsprechendes Finanzkonzept präsen- haben zunächst einmal sehr begrüßt, dass die Pflege aus tieren kann. Entlastung für Bürgerinnen und Bürger auf den DRG-Fallpauschalen herausgenommen wird. In den den Weg zu bringen, die Kosten dafür dann aber einseitig Detailfragen wird es jedoch wieder richtig kompliziert, auf die Kommunen abzuwälzen, das ist unredlich und und es werden Folgeprobleme, die man kaum erwartet widerspricht dem Konnexitätsprinzip. hat, geschaffen. Es erscheint zumindest sehr fraglich, ob bis Jahresanfang 2020 alles steht. Die Pauschale pro Pfle- (Beifall bei der FDP) getag, die dann als Überbrückung vorgesehen ist, wird Fazit: Es ist richtig, Geld in die gesundheitliche Ver- zusammen mit anderen Problemen so manches Kranken- sorgung in unserem Land zu investieren; dies sollte je- haus in eine akute Finanznot bringen. Ebenfalls erweist (B) doch mit Weitsicht geschehen. Sie haben gesagt: Wir ver- sich die versprochene vollständige Refinanzierung der (D) sprechen nicht das Blaue vom Himmel. – Wir wissen Tariferhöhungen bei den Pflegekräften in der Umsetzung aber, dass die gute Wirtschaftslage Einbrüche erlebt. als Mogelpackung und verschärft damit die Finanznot so Was passiert, wenn die Einnahmen zurückgehen, die Aus- mancher Krankenhäuser zusätzlich. gaben aber steigen werden? Weiter steigende Beiträge Es gibt einen allgemeinen Unmut über die Situation in sind keine Lösung. Die Regierung wird nicht an den den Krankenhäusern. Im Krankenhaussystem verhalten wohlklingenden Namen ihrer Gesetze gemessen werden, sich alle mehr oder weniger systemlogisch; aber dieses sondern an einer verantwortungsvollen und nachhaltigen System ist hochproblematisch geworden und funktioniert Politik, die auch nachfolgenden Generationen gerecht immer weniger im Sinne dessen, was es leisten soll, näm- wird. lich eine gute, qualitativ hochwertige stationäre medizi- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Josef Rief nische Versorgung für die Menschen. [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN) Es gibt zu viele Aspekte, die ein gemeinwohlorientier- Vizepräsidentin Petra Pau: tes Ziel überlagern. Die Krankenhäuser stehen unterei- Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die nander in einem Hyperwettbewerb um Patienten, bei de- Fraktion Die Linke. nen sie möglichst lukrative Fallpauschalen abrechnen (Beifall bei der LINKEN) können. Die ökonomische Frage überlagert die medizin- ischen Versorgungsfragen und beschädigt die medizini- sche Ethik. Inzwischen ist rund ein Drittel der Kranken- Harald Weinberg (DIE LINKE): häuser in privater Hand, und dann kommt die Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Gewinnerzielungsabsicht als vorrangiges Ziel hinzu und und Kollegen! Es ist ja bereits mehrmals erwähnt worden: führt zu einer weiteren Kommerzialisierung. Man kann Minister Spahn mit Sicherheit keine Untätig- keit vorwerfen. Es ist ja Herbst – Zeit der Laubbläser. Nach 16 Jahren Finanzierung mit Fallpauschalen bei Mich erinnert das Handeln des Ministers schon etwas gleichzeitigem Herunterfahren der Mittel der Länder für an einen Laubbläser: sehr laut, unüberhörbar, immer Auf- die Investitionsförderung und ständigem stückhaftem merksamkeit auf sich ziehend. Aber am Ende löst er die Nachbessern bei den unbeabsichtigten Folgen dieser Probleme nicht, sondern bläst sie nur auf einen anderen Form der Finanzierung ist das ganze System in einer Haufen. wirklich schweren Krise. Das bleibt der Öffentlichkeit nicht verborgen – einige Beispiele sind bereits genannt (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) worden –: Es gibt die Reportagen von „Team Wallraff“; Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13861

Harald Weinberg (A) es gibt den Film „Der marktgerechte Patient“, der inzwi- der nun wirklich uns alle betrifft, nämlich in der Geburts- (C) schen über 100-mal in Deutschland gezeigt worden ist; es hilfe. Wir alle sind einmal geboren worden, meistens mit gibt die aktuelle „Stern“-Serie; es gibt das Bündnis der Hilfe einer Hebamme. Es gibt zu viele medizinisch „Krankenhaus statt Fabrik“; es gibt landauf, landab Ak- nicht notwendige Kaiserschnitte und gleichzeitig zu we- tionen und Streiks der Pflegekräfte für Entlastungstarif- nige Hebammen, die den Gebärenden eins zu eins zur verträge; es gibt einen Beschluss des letzten Ärztetages, Seite stehen: nach dem das DRG-System die Gesundheit von Beschäf- tigten und Patientinnen und Patienten gefährdet; es gibt ( [AfD]: Stimmt!) entsprechende Beschlüsse des Marburger Bundes, des Die Bedürfnisse von Frauen gehören endlich ins Zentrum Verbandes der Krankenhausdirektoren, des Verbandes der Geburtshilfe! der leitenden Krankenhausärzte usw. usf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insgesamt ist es, denke ich, absolut wichtig, noch ein- mal herauszustellen: Ein Krankenhaus muss keine Ge- Doch was machen Sie, Herr Spahn? Sie verschwenden winne machen! viel Geld für eine Abtreibungsstudie. Das ist doch ein Hohn! Nur dank des Einsatzes vieler Frauen konnte hier (Beifall bei der LINKEN) das Schlimmste verhindert werden. Der § 219 gehört end- lich abgeschafft! Die Krankenhäuser in diesem Land – damit schließe ich – sind von den Bürgern finanziert und geschaffen worden, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um für Bürger eine entsprechende medizinische Versor- sowie der Abg. Nicole Westig [FDP]) gung zu ermöglichen. Sie werden nach wie vor aus Steuermitteln und Versicherungsbeiträgen finanziert. Sie Frauen müssen ihre reproduktiven Selbstbestim- sind genauso wie viele andere Bereiche – Feuerwehr usw. mungsrechte wahrnehmen und auch einfordern können, usf. – ein Teil der Daseinsvorsorge, in der eine Orientie- genauso wie ihre Rechte rund um die Geburt. rung auf Gewinne völlig unangebracht ist. Endlich wird Deutschland allen anderen EU-Ländern folgen und lässt Hebammen künftig generell studieren. (Beifall bei der LINKEN) Gut für werdende Mütter, gut für die Hebammen. Es kann aber nicht sein, dass sich die Bundesregierung bei der Vizepräsidentin Petra Pau: Finanzierung jetzt einfach einen schlanken Fuß macht. Kollege Weinberg, Sie müssen zum Schluss kommen. Und wie sieht es bei der Notfallversorgung aus? Es ist gut, Herr Minister Spahn, dass Sie auch hier grüne Vor- Harald Weinberg (DIE LINKE): (B) schläge aufgreifen. Patientinnen und Patienten brauchen (D) Es ist an der Zeit, dass die Bürgerinnen und Bürger sich klare Angebote, wo sie im Notfall die passende Hilfe ihre Krankenhäuser zurückholen. finden. Der ewige Konflikt zwischen der niedergelasse- (Beifall bei der LINKEN) nen Ärzteschaft und den Krankenhäusern, während die Patientinnen und Patienten in den überfüllten Notaufnah- men sitzen, muss endlich ein Ende haben. Aber auch hier: Vizepräsidentin Petra Pau: Die Länder brauchen jetzt eine Anschubfinanzierung, um Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Dr. Kirsten integrierte Notfallzentren etablieren zu können. Kappert-Gonther das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viel zu oft denken Akteure im Gesundheitswesen in Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE abgeschotteten Bereichen. Dabei ist Gesundheit ein Quer- GRÜNEN): schnittsthema: „Health in All Policies“ – wie die WHO Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sagt –, Gesundheit in allen Bereichen. Im Haushalt des Seit Jahren warnen Pflegekräfte vor Engpässen in unse- Gesundheitsministeriums sehen wir davon viel zu wenig. rem Gesundheitssystem: auf Twitter, auf der Straße, über- Klimaschutz, Mobilität, Ernährungswende – wir Grüne all. Kürzlich haben sich auch Ärztinnen und Ärzte zu streiten für diese Themen auch deshalb so vehement, weil einem Aufruf zusammengetan. Sie fordern zu Recht, dass es um die Gesundheit von uns allen geht. Wer ist denn die Gelder so eingesetzt werden, dass sie den Patientinnen besonders betroffen von Feinstaub und der Erderhitzung? und Patienten bestmöglich zugutekommen. Es sind Menschen, die wenig Geld haben, die an den großen Straßen wohnen und nicht einfach woanders hin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ziehen können. 490 Hitzetote gab es letztes Jahr in Berlin. Arme Menschen sterben in unserem reichen Land viel Nun kann man sich fragen: Ist das denn nicht selbst- früher als gut situierte. verständlich? Leider nein. Unterversorgung, Fehlversor- gung und auch Überversorgung sind noch zu oft an der (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Tagesordnung. Das schadet den Patientinnen und Patien- leider so!) ten, und das dürfen wir uns nicht länger leisten. Sind Sie arm und eine Frau, tragen Sie sogar ein doppeltes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Risiko. Hier zu wenig und da zu viel, das heißt Über-, Unter- Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, diese und Fehlversorgung, das sehen wir auch in dem Bereich, Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Sie steht in der Verant- 13862 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) wortung, eine gute Gesundheitsversorgung und eine gute nicht vorankommen. Das halte ich für ganz wichtig. Des- (C) Pflege für alle zu sichern. halb steht das Digitale-Versorgung-Gesetz auf dem Plan. Ich glaube, dass wir da einen wichtigen und großen Vielen Dank. Schritt tun. Das sage ich all jenen, die eben nach dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) großen Wurf gefragt haben und ihn nicht sehen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Vizepräsidentin Petra Pau: Sonja Amalie Steffen [SPD]) Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die Des Weiteren merke ich, dass hier alle miteinander das CDU/CSU-Fraktion. Thema Pflege umtreibt. Das ist bei uns genauso. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) ein Topthema. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Ich hätte mir von der Opposition ge- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): wünscht, dass sie auch sagt: Da ist eine Menge gesche- Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ei- hen. gentlich könnte eine Haushaltsdebatte im Bereich Ge- (Dr. [FDP]: Übersichtlich!) sundheit eine sehr kurze Diskussion sein: 15,3 Milliarden Euro Volumen, 14,5 Milliarden Euro Zwangszuweisung Es ist wirklich eine Menge. Das haben Sie nicht gemacht. zum Gesundheitsfonds. Eigentlich ist der Herr Bundes- Sie haben sich nur beklagt, es gebe zu wenige Arbeits- gesundheitsminister ein armer Tropf. plätze. Das stimmt. Aber das, was wir hier zunächst be- einflussen können, sind die Rahmenbedingungen. Da ha- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) ben wir eine ganze Menge gemacht. Aber, meine Damen und Herren, wir alle miteinander Ich will einen Punkt herausgreifen, den ich für beson- als Gesundheitspolitiker verwalten ein Riesenausgaben- ders wichtig halte: Wir haben im Krankenhausbereich die volumen – 125 Milliarden Euro allein im ersten Halb- gesamte Pflege aus den DRGs, aus der Fallpauschalenfi- jahr 2019 –, nämlich das der GKV, der gesetzlichen Kran- nanzierung herausgenommen. Wir setzen uns in Zukunft kenversicherung. Es geht um Versicherungsgelder, es nicht mehr dem Vorwurf aus, dass hier zwangsbewirt- geht um das Gesundheitswesen, für das wir Verantwor- schaftet wird, sondern werden das alles refinanzieren, tung tragen. Aber wir tragen natürlich auch Verantwor- und zwar komplett. Das passiert zum 1. Januar 2020. tung für die Lohnnebenkosten. Ich sage das deshalb explizit, weil manche jetzt schon Da haben wir, glaube ich, ganz gut gewirkt. Wir tun das wieder lamentieren und sagen: Da kommt nichts. – Wir haben bis dahin eine Lücke. Ich bin guter Dinge, dass es (B) zusammen mit den Selbstverwaltungsorganen. Das funk- (D) tioniert manchmal gut, manchmal funktioniert es uns gelingt, auch im Hinblick auf diese Lücke etwas zu schlecht. Ich will auf einen Aspekt zu sprechen kommen, tun. Das ist ganz wichtig; ab dem 1. Januar 2020 ist die der zwar ein Randaspekt ist, der mir aber besonders wich- Voraussetzung sehr, sehr gut. Wir werden uns im Kran- tig ist. Ich will betonen, dass wir auch in dieser Legisla- kenhausbereich dann mit Themen wie der Grundversor- turperiode gelegentlich in die Selbstverwaltung einge- gung beschäftigen müssen und der Frage: Wie adressiert griffen haben: dort, wo es zu träge war, dort, wo keine man das richtig, wie macht man das? Dazu gehört auch Entscheidungen getroffen werden. Das zeichnet mutige die Frage der Verteilung: ambulant oder stationär? – Das Gesundheitspolitik aus. Wir korrigieren dann, wenn es war vorhin bei einem Redner Thema. Dafür haben wir die am Ende auf Schiedsgerichte ankommt. Grundlagen geschaffen. Nun hat die FDP den Gesundheitsminister „umtriebig“ Ich sage, die Bürger wollen nicht wissen, was wir ge- genannt. Die Linke hat vom „Laubbläser“ gesprochen. macht haben, sondern was kommt. Da ist eine Menge in Mir fällt dazu der neue Besen ein, der üblicherweise gut der Pipeline. Ich verweise auf die Masernimpfpflicht. Ich kehrt. Dieser Minister ist ein mutiger Minister. Ich hätte weiß, dass das in bestimmten Bevölkerungsteilen extrem gewollt, dass das der eine oder andere mal sagt. umstritten ist. Es ist aber angesichts der Risiken, die von dieser Krankheit ausgehen, und der hohen Ansteckungs- (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sie sagen es gefahr der richtige Schritt. Auch das ist mutig. Das muss ja jetzt! Das reicht!) man an dieser Stelle ganz klar sagen. Wenn Sie es nicht glauben, schauen Sie sich zum Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU) das an, was er im Bereich der gematik gemacht hat. Es ist eine Schande, dass wir Jahrzehnte gebraucht haben, bis Wir unterhalten uns über eine Lösung im Bereich der die Digitalisierung langsam und schrittweise im Gesund- Organspende. Wir haben die organisatorischen Grundla- heitswesen ankommt. Der Minister ist da auf einem aus- gen geschaffen, damit da mehr kommen kann. Ich persön- gezeichneten Weg, und wir wollen das unterstützen. lich – das sage ich Ihnen ganz offen – trete für die Wider- spruchslösung ein; denn ich glaube, an dieser Stelle Meine Damen und Herren, Datenschutz ist in einem brauchen wir wirklich den großen Wurf. Die Wider- sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen natürlich spruchslösung ist etwas, was man aus meiner Sicht ma- ein wichtiges Thema; ganz unstrittig. Aber wir müssen chen kann. den Datenschutz so organisieren, dass er am Schluss nicht beispielsweise der Forschung im Wege steht und er nicht Der Minister hat das Thema Apothekenversorgung an- einen Beitrag dazu leistet, dass uns die Datenbasis fehlt gesprochen. Das ist mir ein ganz besonderes Anliegen. und wir mit Fortschritten im gesundheitlichen Bereich Viele von uns – manche nicht – unterschätzen das Risiko Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13863

Dr. Georg Nüßlein (A) an dieser Stelle; das sage ich ganz deutlich. Wir sind an nachbessern; denn wir wollen, dass diese 13 000 Stellen (C) einem Punkt, an dem man deutlich sehen kann, was der besetzt werden. Onlinehandel aus dem Einzelhandel gemacht hat. Und wir alle können uns doch vorstellen, was es heißt, wenn (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dasselbe mit den Apotheken, die einen anderen Anspruch Gemeinsam ist uns auch wichtig, dass wir die Ange- als nur Distribution haben, passiert. Deshalb ist das, was hörigen jetzt entlasten. Das Gesetz dafür bringen wir bald wir hier gemeinsam auf den Weg bringen wollen, nicht zu auf den Weg. Viele haben Angst davor, dass sie in eine unterschätzen: eine gleiche Wettbewerbsbasis mit dem Situation geraten, in der sie mit ihrem Einkommen und Versandhandel auf der einen Seite, aber auch die Stärkung ihrem privaten Vermögen für die vollstationäre Pflege der Strukturen vor Ort. Das ist ganz wichtig. von Angehörigen haften müssen. Es ist, glaube ich, ein wichtiger Schritt, das anzugehen. Wir haben vorhin schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) davon gesprochen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Hebam- entlasten können. Wir setzen hier einen wichtigen Punkt menausbildung sagen: Akademisierung ist nicht immer und geben den Menschen eine Möglichkeit, sicher für die das Mittel der Wahl. Vielfach wird es uns von der Europä- Pflege zu sorgen. Wir ziehen die Grenze bei 100 000 Euro ischen Union ins Konzept gespült. So wie wir es jetzt Jahreseinkommen. Erst ab dieser Grenze sollen die So- vorhaben, als duales Studium, ist die Ausbildung praxis- zialämter auf die Angehörigen zurückgreifen können. Bis gebunden. dahin stellen wir die Bürgerinnen und Bürger frei und entlasten sie im Pflegefall von einer finanziellen Sorge. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ewig Gestrigen von der CSU!) (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird Das kann man so machen. Wir müssen aber auch über- nicht reichen!) legen, wie man das so organisieren kann, dass nicht dieje- Machen wir uns aber nichts vor: Ein wichtiger Punkt ist nigen, die jahrelang diesen Job gemacht haben, die viel auch, dass wir mit der Teilkaskofinanzierung der Pflege – Erfahrung haben, jetzt plötzlich benachteiligt werden ge- wir haben gerade über die Finanzierung gesprochen – genüber den Jungen, die akademisch ausgebildet nach- langfristig nicht weiterkommen. Wir alle wollen noch viel kommen. mehr in die Pflege investieren. Wir wollen höhere Löhne. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Deshalb müssen wir diesen Bereich solidarisch finanzie- GRÜNEN]: Wo ist die Regelung dafür im ren. Es wundert mich schon, dass die FDP nicht einmal Gesetz? Die gibt es doch gar nicht!) erwähnt, dass wir im Bereich der privaten Pflegeversiche- (B) rung Rücklagen in Höhe von 34 Milliarden Euro haben, (D) Praxis zählt, gerade im Gesundheitsbereich. die nicht in die Versorgung gehen, die nicht abgerufen Vielen herzlichen Dank. und nicht für die Pflege genutzt werden. Deshalb ist es sinnvoll, über eine Pflegebürgerversicherung nachzuden- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ken – ob Ihnen das gefällt oder nicht. Sonja Amalie Steffen [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Es macht keinen Sinn, das Geld dort liegenzulassen. Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas für die SPD- Fraktion. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD) Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Bärbel Bas (SPD): Bärbel Bas (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gerne. Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, der Haushaltsent- wurf, der uns vorliegt, zeigt deutlich, welche Prioritäten Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): wir gesetzt haben. Ein Thema – das wurde schon ange- Vielen Dank, dass Sie die Frage erlauben, Frau Kolle- sprochen – ist natürlich der Bereich Pflege: Mit gin. – Sie haben ja nun eine lange Liste mit Versprechun- 13 000 Stellen, die wir geschaffen haben, haben wir einen gen vorgetragen – Stichwort „Vollkaskofinanzierung“. wichtigen Punkt gesetzt. Ich sage für meine Kolleginnen Haben Sie eine ungefähre Ahnung, wie viele zig Milliar- und Kollegen aus der SPD-Fraktion aber auch, dass wir den das kostet? Wie wollen Sie das finanzieren? jetzt genau hinschauen müssen, ob wir diese Stellen auch besetzt kriegen. (Beifall bei der FDP – Sabine Dittmar [SPD]: Das hat sie doch gerade eben gesagt!) (Beifall bei der SPD) Bärbel Bas (SPD): Ich glaube, dass diejenigen, die diese Anträge bearbeiten, Ich glaube, ich habe gerade erläutert, wie wir das finan- ein bisschen zögerlich sind, unseren politischen Willen zieren. Wir werden das auf breitere Füße stellen. umzusetzen. Das sage ich auch in Richtung der Vertrags- partner und der Krankenkassen. Es ist wichtig, dass wir (Christian Dürr [FDP]: Geht es noch ein kleines hier noch einmal genau hinschauen, im Zweifel sogar bisschen konkreter?) 13864 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Bärbel Bas (A) Wenn alle Menschen, die von Pflege profitieren – das sind sagt: „Das rentiert sich nicht für mich; da mache ich kei- (C) alle –, in ein System einzahlen würden, dann hätten wir nen Gewinn“, dann ist das menschenverachtend und zy- die Probleme nicht. nisch. Wir müssen an dieser Stelle deutlich reagieren und diese Forschung mit staatlichen Mitteln wieder ins Leben (Christian Dürr [FDP]: Das ist nachhaltig rufen; denn sonst kostet es Menschenleben. falsch!) Wir müssen diese 34 Milliarden in die Pflege stecken. Es (Beifall bei der SPD) müsste eigentlich auch ein Anliegen der privaten Pflege- Ein weiteres Thema: Ich bin dem Minister sehr dank- versicherung sein, dass das Geld in die Versorgung fließt; bar dafür, dass er davon gesprochen hat, dass wir wieder denn auch die Privatversicherten profitieren davon. Vertrauen schaffen wollen. Im Moment ist ein Referen- tenentwurf zu einem Gesetz im Fokus, bei dem es um (Beifall bei der SPD) Menschen in der ambulanten Intensivpflege geht. Ich sa- Die Leistungen sind gleich. Bei der Bürgerversicherung, ge hier ganz deutlich für die SPD-Fraktion: Mit uns wird der Krankenversicherung, sehe ich ein, dass das Kon- es keine Umkehr des Vorrangs von ambulanter vor sta- strukt nicht ganz einfach umzusetzen ist. Bei der Pflege tionärer Pflege geben. ist es einfach. Die Leistungen sind gleich. Das kann man relativ schnell machen. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahlfreiheit!) (Christian Dürr [FDP]: Und damit sind alle Ich möchte den Menschen heute sagen, dass wir natürlich Probleme gelöst?) darauf achten, dass auch bei ambulanter Intensivpflege Von allen habe ich nicht gesprochen, aber ich kann Qualitätsstandard gewährleistet werden. Natürlich wollen Ihnen noch ein paar auflisten. wir auch, dass Menschen von Langzeitbeatmung ent- wöhnt werden. (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Es klingt aber so!) (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) Ich werde Ihnen noch ein paar Probleme nennen. Im Darüber werden wir uns einigen. Aber der Punkt, über Gegensatz zu Ihnen sind wir in der Regierung. den wir uns nicht einigen werden – das sage ich hier vo- raus –, ist, der stationären Pflege den Vorrang zu geben. (Beifall des Abg. [SPD]) Ich möchte einer Familie mit einem schwerstbehinderten Wir setzen uns nicht nur mit Fantasien auseinander, son- Kind, das von seinen Eltern zu Hause gepflegt werden dern wir lösen auch die Probleme. will, nicht sagen müssen: Das geht in Zukunft nur noch (B) stationär. (D) (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Doch! Das war gerade Fantasie, was Sie gesagt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben! der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Das ist Ihre Fantasie, weil Ihnen das nicht schmeckt. Ich bin aber gerne bereit, das weiter fortzuführen. Ich weiß, Diese Angst müssen wir den Menschen nehmen, und das dass Sie das reizt. Deswegen habe ich das auch gemacht. möchte ich heute tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Ich bedanke mich fürs Zuhören. Dürr [FDP]: Nein, es ist halt einfach nur falsch! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir sind sehr relaxt! Es ist nur falsch, was Sie der CDU/CSU) sagen!)

Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel, das uns zeigt, Vizepräsidentin Petra Pau: dass der Markt versagt. Wir haben, glaube ich, gestern Das Wort hat der Kollege Tino Sorge für die CDU/ im Fernsehen sehen können, welche Probleme die Anti- CSU-Fraktion. biotikaforschung macht. Da haben wir als Staat deutlich versagt, ja. Wir haben der Pharmaindustrie den Bereich (Beifall bei der CDU/CSU) der Forschung an wirklich lebenswichtigen Medikamen- ten allein überlassen. An diesem Punkt müssen wir etwas Tino Sorge (CDU/CSU): korrigieren. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Tino Sorge [CDU/CSU]: Da geht es doch um Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wir haben in dieser Wo- Rahmenbedingungen! Das muss man auch sa- che in den Haushaltsberatungen von der Opposition ja gen!) schon oft gehört, wie schlecht der Haushalt ist, dass es einerseits zu wenig ist, dass es andererseits zu viel ist, Nein, es geht nicht nur um Rahmenbedingungen. dass es zu langsam geht, dass es zu schnell geht. Aber wenn man das ganze Getöse der Opposition mal beisei- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Aber auch!) telässt, muss man schon festhalten: Beim BMG läuft es Man kann daran sehen, dass wir ein Risiko eingehen, momentan. 20 Gesetze – die Kollegin Dittmar hatte ge- wenn wir alles dem Markt überlassen. Wenn ein Sprecher sagt 18; wir sind bei 20 Gesetzen – in 18 Monaten, das ist dieser Branche den Menschen, die mit einem Keim infi- schon ein Leistungsausweis, bei dem selbst Ihr Kollege ziert sind, gegen den kein Antibiotikum hilft, ins Gesicht sagt: Was die Gesundheitspolitik angeht, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13865

Tino Sorge (A) gibt es doch eigentlich keinen Grund, aus der GroKo aus- sprochen. Nein, wir müssen auch über die Frage spre- (C) zusteigen. – Das ist richtig, und das ist auch gut so. chen: Wie können wir Pflege nachhaltig finanzieren? Wir müssen darüber sprechen, welche Eigenvorsorge je- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Einzelne treffen muss; denn der Staat kann nicht alles Liebe Kolleginnen und Kollegen, Haushaltsberatungen machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen geben uns ja auch immer die Möglichkeit, über auch schauen, dass wir diese individuellen Situationen grundsätzliche Fragen zu sprechen. so abgebildet bekommen, dass einerseits die Leistungs- fähigkeit Berücksichtigung findet, andererseits in be- Da geht es mir erstens um das Thema Prävention. Wir stimmten Situationen auch solidarisch geholfen wird. wissen alle und uns allen muss doch auffallen, dass sich Deshalb ist es auch logisch, dass wir im Haushalt bei- unser Gesundheitssystem viel zu oft darauf konzentriert, spielsweise 56 Millionen Euro für die Pflegezusatzver- zu behandeln, dem Patienten erst Hilfe zu geben, wenn sicherung vorgesehen haben. Ich halte das für den richti- der Krankheits- oder Pflegefall eingetreten ist, also wenn gen Weg. Das ist gut so. es oft schon viel zu spät ist. Da ist die entscheidende Frage: Was können wir in Zukunft besser machen? Wie Ein dritter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist können wir verhindern, dass der Fall, dass wir pflegebe- das Thema Digitalisierung; mein Kollege Georg Nüßlein dürftig oder krank werden, überhaupt erst eintritt? Denn hat es schon angesprochen. Die entscheidende Frage ist: wir wissen genau: Wir ersparen jedem Einzelnen dadurch Wie bekommen wir es hin, von unserem analogen, pa- Leid, wir erhöhen Lebensqualität, und wir ersparen un- piergetriebenen Gesundheitssystem in die digitale Welt serem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem unnö- zu kommen? Wir reden dabei von Sachen wie besserer tige Kosten. Da geht es insbesondere um tückische Vernetzung, Datennutzung, Assistenzsystemen, künstli- Krankheiten wie Krebs, da geht es um Krankheiten wie cher Intelligenz und selbstlernenden Algorithmen. Das Diabetes, da geht es um Krankheiten wie Adipositas. Und hört sich sehr, sehr abstrakt an. Aber um es konkret zu da geht es natürlich darum, dass wir auf der einen Seite machen: Es geht darum, dass kein Haushaltsplan abbilden über Leuchttürme hinausdenken und andererseits alle Be- kann, wie viel Geld in unserem Gesundheitswesen durch rufsgruppen und Bürger mitnehmen. Ich sage auch ein unnötige Doppeluntersuchungen, durch unnötige Infor- bisschen selbstkritisch, dass wir bei der Frage „Nationale mationsverluste, durch kontraindizierte Medikation und Diabetesstrategie“ durchaus schneller zu Potte kommen durch Falschdiagnosen ausgegeben wird. Deshalb wer- müssen. den wir das Digitale-Versorgung-Gesetz auf den Weg bringen. Das ist ein gutes Gesetz. Ich hoffe da auf Ihre (Sabine Dittmar [SPD]: Ja, dann reden Sie mit Unterstützung, freue mich auf die Beratungen in den Aus- Ihren Kollegen!) schüssen, (B) (D) Aber wir gehen auch – und das kann man uns nicht vor- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE halten – kontroverse Dinge an. Der Bundesgesundheits- GRÜNEN]: Wo ist denn die Patientenakte ge- minister hat unter anderem ein Gesetz zur Impfvorsorge blieben?) auf den Weg gebracht. Da geht es natürlich um den Impf- schutz der Bevölkerung. Wir alle wissen: Das ist eine sehr auf die kontroversen Diskussionen und wäre über eine emotionale Frage. Aber angesichts der Risiken müssen serviceorientierte oder konstruktiv-orientierte Opposition wir uns schon die Frage stellen: Wie finden wir den Aus- sehr, sehr erfreut. gleich zwischen individueller Selbstbestimmung auf der Vielen Dank. einen Seite und einer offenen Gesellschaft auf der ande- ren Seite, in der ich mich darauf verlassen kann, dass sich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei alle gegen Risiken, die wissenschaftlich auch begründbar Abgeordneten der SPD) sind, impfen lassen? Diesen Weg gehen wir, und das ist keine einfache Diskussion. Aber sie zeigt, dass wir auf Vizepräsidentin Petra Pau: dem richtigen Weg sind. Das Wort hat der Kollege Josef Rief für die CDU/CSU- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Fraktion. GRÜNEN]: Versuchen Sie lieber, die Quote bei den Erwachsenen zu erhöhen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist, ist das Thema „finanzielle Zukunft Josef Rief (CDU/CSU): der Pflege“. Hier ist ja schon viel darüber gesprochen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen worden, dass wir im Pflegebereich, auch aufgrund des und Herren! Liebe Gäste hier im Hohen Haus und zu demografischen Wandels oder aufgrund der tickenden Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des demografischen Zeitbombe, wie so häufig gesagt wird, Bundesgesundheitsministeriums ist im Bundeshalt nicht natürlich viel mehr machen müssen. Wir müssen nicht der größte Einzelplan, aber er setzt den Rahmen für die nur Geld in die Hand nehmen. Wir müssen auch darüber Ausgaben der gesetzlichen und privaten Krankenversi- sprechen, wie wir das perspektivisch unter Kostenge- cherung sowie der Pflegeversicherung. sichtspunkten hinbekommen. Da finde ich es nicht sehr ehrlich, wenn seitens der Opposition gesagt wird: Pflege Jeder von uns hat in seinem Leben Kontakt zum Ge- muss es zum Nulltarif geben, der Staat wird das schon sundheitswesen. Gesundheit geht uns also alle an, natür- machen. – Es wird von einer Vollkaskoversicherung ge- lich auch die rund 5,5 Millionen Menschen, die in 13866 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Josef Rief (A) Deutschland im Gesundheitswesen arbeiten und diesen so haltmachen. Deshalb nützt es uns, wenn wir diese Gei- (C) wichtigen Dienst für die Gesellschaft leisten. Dafür ge- ßeln der Menschheit so schnell und so frühzeitig wie bührt ihnen unser aller Dank. möglich eindämmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) des Abg. Martin Hebner [AfD]) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesund- An dieser Stelle weisen wir – auch zu Recht – immer heitshaushalt setzt auch weiterhin einen Schwerpunkt auf darauf hin: Wir haben eines der besten Gesundheitssys- Präventions- und Aufklärungsarbeit. Allein 63,5 Millio- teme der Welt. Das soll so bleiben. Und wir wollen in nen Euro stehen für Themen wie Aufklärung bei Drogen- vielen Bereichen noch besser werden. Diesem Vorhaben missbrauch, HIV-Prävention, Organspende, Erhöhung trägt der vorgelegte Gesundheitshaushalt Rechnung. Ich der Impfrate, Kindergesundheit und Diabetes zur Verfü- möchte auch Minister Jens Spahn herzlich für sein großes gung. Auch weiterhin ist Forschung im Gesundheitsbe- Engagement in seinem Ressort danken. Es tut sich etwas reich ein Schwerpunkt des Etats. Hier planen wir mit in diesem schwierigen Gelände, und zwar zum Besseren. einer Steigerung von 5 Millionen Euro rund 129 Millionen Euro ein. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt liegen Meine Damen und Herren, natürlich ist es die Aufgabe spannende Haushaltsberatungen vor uns. Ich bin über- der Opposition, zu opponieren, wie der Name schon sagt. zeugt, dass wir die kommenden Jahre stemmen und einen Aber: Was heute kam, unterstreicht geradezu die gute soliden Haushalt verabschieden, der unser Land weiter fit Politik von Ministerium und Koalition. Ich freue mich, macht für die Zukunft. Auch dieser Einzelhaushalt ist ein wenn wir Haushälter unseren Beitrag dazu leisten kön- Beleg für die Leistungsfähigkeit der Regierung und ein nen – bei aller gebotenen Sparsamkeit. Beweis für die zukunftsorientierte Politik der sie tragen- Wir machen weiter bei der Pflege. Die Pflegekampagne den Fraktionen. wird fortgeführt. Gleichzeitig verdoppeln wir die Mittel zur Anwerbung und Ausbildung ausländischer Pflege- Herzlichen Dank. kräfte. Neben dem Kosovo und den Philippinen soll es (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) jetzt eine Kooperation mit den mexikanischen Pflege- schulen geben. Das Gesundheitsministerium – und das ist richtig, meine Damen und Herren – konzentriert sich Vizepräsidentin Petra Pau: dabei auf Länder, die viele junge Arbeitskräfte haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es soll während der Denn wir können natürlich nicht unseren Bedarf aus Län- Rede der Abgeordneten Dr. Birgit Malsack-Winkemann (B) dern decken, denen wenige junge Arbeitskräfte zur Ver- eine Grenzüberschreitung gegeben haben. Ich konnte das (D) fügung stehen. Die Anwerbung ist bereits im Gange. Die bis zum Ablauf dieses Tagesordnungspunktes noch nicht Kapazitäten zur Visaerteilung an den Botschaften müssen überprüfen, da mir der vorläufige Protokollauszug noch wir jetzt schnell ausbauen. Ich glaube, allen ist der drin- nicht vorliegt. gende Bedarf bewusst. An fehlenden Visa kann und darf (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Die ganze es nicht liegen. Rede war eine Grenzüberschreitung!) (Beifall der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Sollte dies der Fall sein, kündige ich hier die entsprechen- Mit unserer Pflegekampagne versuchen wir gleichzei- de Rüge an. tig, qualifizierte Pflegekräfte, die nicht mehr als solche Wir verlassen jetzt diesen Tagesordnungspunkt, da mir arbeiten, in die Pflegeberufe zurückzuholen. Fast 5 Mil- weitere Wortmeldungen zu dem Einzelplan 15 nicht vor- lionen Euro setzen wir für Modellprojekte zur Verbesse- liegen. rung der Versorgung in der Pflege ein. Als Abgeordneter aus dem ländlichen Raum ist mir eine ordentliche orts- Wir kommen zur Schlussrunde. Ich bitte, die notwen- nahe Gesundheitsversorgung besonders wichtig. Wir ha- digen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig vorzu- ben mit dem letzten Haushalt bereits begonnen, Mittel für nehmen. – Das Wort zur ersten Rede der Schlussrunde hat Universitäten bereitzustellen, die mehr Landärzte ausbil- der Kollege Johannes Kahrs aus der SPD-Fraktion. den. Auf Länderebene gibt es ebenfalls Initiativen in die- (Beifall bei der SPD) se Richtung. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen unterstützen wir jetzt derartige Vorhaben. Weitere sollen Johannes Kahrs (SPD): auch in den alten Bundesländern folgen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kollegen! Die Koalition hat in dieser Woche Geschlos- senheit und Handlungsstärke gezeigt. Wir sind uns der Wir planen dafür für die kommenden vier Jahre 22,5 Mil- Verantwortung für dieses Land bewusst. Wir arbeiten lionen Euro ein. den Koalitionsvertrag ab. Die Vorhaben sind finanziert. Wir werden auch, meine Damen und Herren, unsere Wir stehen zu unserem Versprechen, keine neuen Verantwortung für die internationale Gesundheit weiter Schulden zu machen. Im Kern ist es so, dass diese Große wahrnehmen. So sind in diesem Haushaltsentwurf wei- Koalition in den letzten Monaten gezeigt hat – bei aller tere Mittel für die Weltgesundheitsorganisation vorgese- Aufregung –, wie Inhalte umgesetzt werden. Ich glaube, hen. Das ist im Lichte von Ebola dringend geboten. Jeder dieser Haushalt spiegelt das wider. Wir haben die Einzel- Mensch weiß, dass Epidemien an Ländergrenzen nicht etats einmal durchdekliniert. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13867

Johannes Kahrs (A) Was haben wir gelernt? Wir haben gelernt, dass Herr Wir haben im kommenden Jahr eine Rekordinvestition (C) Gauland sowie die AfD beim Thema Rente, Digitalisie- von über 40 Milliarden Euro. rung und Bildung ein Totalausfall sind, ( [Erfurt] [SPD]: Bravo!) (Beifall bei der SPD) Wir geben bei der Bahn über 50 Milliarden Euro aus. Die dass sich die AfD nicht um die Wähler kümmert, aber LuFV wird verlängert auf zehn Jahre. Ich glaube, dass das insbesondere darum, dass die Wohlhabenden keinen Soli vernünftig ist. zahlen müssen. Das heißt, neoliberale Politik von der AfD ist eine neue Mischung. Herr Gauland, vielen Dank (Beifall bei der SPD – Carsten Schneider für die Beiträge; wir haben gelernt, dass Sie spalten kön- [Erfurt] [SPD]: Ganz hervorragend!) nen. Wir haben es erlebt. Sie können Tatsachen verdre- Kollege Schneider hat wie immer recht. hen, Sie können Ängste bei den Menschen in diesem Land schüren; ( [FDP]: Räumen Sie die Skandale bei der Bahn auf!) (Martin Hebner [AfD]: Was können Sie außer schimpfen? Hier geht es um den Haushalt! Für den öffentlichen Nahverkehr haben wir die Mittel Kommen Sie zum Thema!) von 333 Millionen Euro auf 666 Millionen Euro erhöht, also verdoppelt. Das ist gut für U-Bahn- und Straßen- was Sie nicht können, ist, sauber und anständig einen bahntrassen. Wir haben viel für Kinder im Grundschul- Haushalt vorlegen. Das funktioniert nicht. alter und für die Ganztagsbetreuung gemacht. Ich möchte mich ganz herzlich bei Franziska Giffey dafür bedanken; (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ein wirklicher Lichtblick dieser Koalition. DIE GRÜNEN) Bei den Grünen – – (Beifall bei der SPD) Zu nennen sind ferner das Starke-Familien-Gesetz, der (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE soziale Wohnungsbau. Es ist so, dass die BImA zukünftig GRÜNEN]: Moment! Erst klatschen lassen!) auch Wohnungen bauen will. Mit dem sozialen Arbeits- Erst klatschen lassen. – Bei den Grünen haben wir ge- markt haben wir ein gutes Instrument geschaffen, mit lernt, dass Sie pro Jahr 35 Milliarden Euro neue Schulden dem wir Langzeitarbeitslosen helfen können. aufnehmen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Gleichzeitig ist es für uns wichtig, dass wir uns ein- (B) GRÜNEN]: Investieren wollen!) setzen für gleichwertige Lebensverhältnisse, dass wir uns (D) Erst mal wollen Sie die als Schulden aufnehmen. – kümmern werden um die Altschulden der Kommunen Dann wissen wir, dass Sie große Zahlen ins Schaufenster stellen. Bis das Geld abfließt, wird es dauern. Das heißt, (Otto Fricke [FDP]: Das ist doch wohl wir haben hier eine reine Schaufensterpolitik. Ländersache!) und dass wir gemeinsam gucken, dass der Kohlekompro- (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: miss finanziert wird. Heißt also, dass wir zusammen mit Für Fenster sind Sie zuständig!) den Ländern etwas tun werden. Ehrlicherweise muss man Und wir haben feststellen können, dass Sie keine Ant- dazusagen – der Kollege Rehberg wird es auch noch mal worten auf die Probleme haben, außer einem gemütlichen tun –, dass man die Länder manchmal zu ihrem Glück Wohlfühlgefühl, das Sie hier verbreiten wollen. Das zwingen muss, dass sie die Gelder dafür ausgeben, wofür reicht nicht. sie eingestellt worden sind, dass man den Ländern dabei helfen muss, sich um das zu kümmern, wofür sie zustän- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dig sind, zum Beispiel um die Kommunen. Beim Kollegen Lindner – der heute wieder mal nicht da (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist – ist es so, dass man immer noch merkt, dass er eigent- der CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke lich gerne hätte – irgendwie vielleicht doch – regieren [FDP]) wollen, können, müssen – keine Ahnung –, aber die FDP hat sich nun entschieden, nicht regieren zu wollen. Wir haben das Klimakabinett am 20. September. Da Deswegen sind Ihre Vorschläge ein bisschen armselig. wird ein Klimapaket verabschiedet. Das ist eine der wich- tigsten Zukunftsaufgaben; das muss zum einen sozialver- Bei den Linken hatten wir das übliche „Wünsch dir träglich ausgestaltet und gleichzeitig wirtschaftlich ver- was“. nünftig sein. Wenn wir das hinkriegen wollen, heißt das: Was wir vorgelegt haben, ist – wenn Sie es einmal Das Klimakabinett kann nur der Anfang eines Prozesses durchdeklinieren – sozial gerecht und zukunftsorientiert. sein. Wir müssen umsteuern, wenn wir diese Gesell- Wir entlasten Menschen. Wir investieren in die Zukunft. schaft, wenn wir diese Industrienation umweltfreundlich Beim Soli werden 90 Prozent der Menschen in diesem und klimaneutral umgestalten und wirtschaftlich vernünf- Land entlastet. tig und sozial ausgestalten wollen. Dabei man kann nur sagen, in welchen Bereichen man anfängt. Konkrete Ein- (Christian Dürr [FDP]: Das glaubt Ihnen doch zelmaßnahmen sind nicht das, worauf ich warte. Ich war- keiner!) te darauf, wie man die Probleme strukturell lösen kann. 13868 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Johannes Kahrs (A) Wie bekommen wir eine Beschleunigung im Planungs- Zweitens: der Euro, die EZB und der Zinsfuß. Wir (C) recht hin? Wie ist das mit dem Verbandsklagerecht? Wie haben zur Kenntnis genommen, dass der Notenbankgou- kriegen wir es hin, dass die Gelder, die in den Wohnungs- verneur Franzose sein muss oder mindestens dem Club bau gehen, auch abgerufen werden können? Wie können Med angehören muss. Man sollte diese Regelung in die wir dafür sorgen, dass das Geld, das zur Verfügung ge- EU-Verträge aufnehmen. Wir haben gelernt, dass eine stellt wird, auch abgerufen wird? Wie unterstützen wir die Gouverneurin auch keine Ökonomin sein muss, eine be- Wirtschaft? Wie unterstützen wir den Wohnungsbau, da- kennende Verletzerin der Verträge sein darf und in Wahr- mit klimaneutral gebaut werden kann? Dafür müssen wir heit Politikerin ist. Dies alles stärkt unser Vertrauen in die diesen Staat stärken, dafür müssen wir Personal einstel- Kompetenz und die Unabhängigkeit der Bank. Der poli- len. Das wird – am Anfang eher weniger – am langen tische Euro erhält nun, für jedermann sichtbar, seine in- Ende Geld kosten. Das müssen wir uns angucken. Was stitutionelle Vollendung. wir allerdings nicht brauchen, ist der Vorschlag von Herrn Diese Schändung der Idee einer Notenbank, meine Da- Altmaier einer Bürgerstiftung, wo man Menschen, die men und Herren, passt zu deren Negativzinspolitik und dort investieren, 2 Prozent Zinsen zahlt. Das heißt, wir der Tatsache, dass die EZB seit Jahren mit über 2 Billio- geben Millionären, Menschen mit viel Geld, die dort in- nen Euro die Euro-Staaten finanziert, obwohl jegliche vestieren, 2 Prozent Zinsen, die andere nicht kriegen. Das Staatsfinanzierung durch die Notenbank nach Artikel 123 ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. AEUV verboten ist. Der Bürger der Euro-Staaten kommt Das braucht kein Mensch. in diesem Trauerspiel nicht vor. Der Bürger wird Jahr für Vielen Dank. Jahr enteignet, damit die Staaten ungehindert Schulden anhäufen können. Dies hat dramatische Folgen für alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Formen monetärer Altersversorgung und, nebenbei be- der CDU/CSU) merkt, den vielapostrophierten Zusammenhalt der Gesell- schaft, was immer das sei. Was sich hier an sozialem Vizepräsidentin Petra Pau: Sprengstoff anhäuft, scheint den Eurokraten nicht klar Das Wort hat der Abgeordnete Albrecht Glaser für die zu sein. Es geht seit 2010 um einen Vermögensverlust AfD-Fraktion. der deutschen Sparer in Höhe von 650 Milliarden Euro. Drittens: die gesamtstaatlichen Kosten des Migrations- (Beifall bei der AfD) problems und deren weitere Entwicklung. Eine exakte Zahl ist nicht bekannt und nicht leicht rechenbar. Wir Albrecht Glaser (AfD): arbeiten daran. Man wird von mindestens 50 Milliarden (B) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Euro jährlich auszugehen haben. Jährlich! Die Migra- (D) informationsfreien Einbringungsrede des Herrn Finanz- tionsvorstellungen der Regierung gehen davon aus, dass ministers erlaube ich mir, auf Fakten hinzuweisen. auch in Zukunft Jahr für Jahr etwa 200 000 neue Immi- granten ins Land kommen. Meine Damen und Herren, (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE diese Zahl entspricht der Einwohnerzahl einer mittleren GRÜNEN]: Alternative Fakten!) Großstadt. Demzufolge muss jährlich die öffentliche und Erstens: die schwarze Null, das schwarze Loch. Jeder private Infrastruktur einer deutschen Großstadt auf die Bürger, der ein Auto hat, eine PC-Ausstattung oder viel- Beine gestellt werden. Die jährlichen Kosten für den leicht auch nur ein elektrisches Fahrrad, weiß, worum es Bau einer neuen Stadt in dieser Größe kann sich kaum geht: In relativ kurzer Zeit ist er ärmer, selbst wenn er jemand vorstellen. Gerechnet hat sie aufseiten der Bun- nicht mehr ausgegeben hat, als er eingenommen hat, weil desregierung gewiss niemand. alle diese Vermögensgegenstände verschleißen und sich Man muss sich dann noch die Landkarte Deutschlands entwerten. Der Bund hat eine gewaltige Verkehrsinfra- vorstellen und die dort vorhandenen Freiflächen an- struktur, eine hoch-, wenngleich unterinvestierte Armee, schauen, auf denen jedes Jahr eine neue Stadt gebaut Gebäude und EDV-Anlagen, Fahrzeugparks und vieles werden soll. Das könnte übrigens dazu führen, dass andere mehr. Jeder Kaufmann muss einen jährlichen Ver- man Windmühlen und Solarparks abräumen müsste, um mögensvergleich zwischen Beginn und Ende des Jahres versiegelte Flächen für eine neue Stadt bereitzustellen. anstellen, um zu wissen, ob er ärmer oder wohlhabender geworden ist. So verfahren auch viele Städte, Landkreise (Beifall bei der AfD) und der Heimatstadtstaat des Finanzministers. Die Mehr- Viertens: die Ausgaben für die EU und deren geplante zahl der EU-Staaten arbeitet mit solchen kaufmännischen Steigerungen bis 2023. Die Abführungen Deutschlands Haushalten, meine Damen und Herren, die deutliche an die EU werden im Haushalt als Einnahmen dargestellt, Mehrheit, nicht so Deutschland. Es geht also um die Fra- mit einem negativen Vorzeichen; eine Sünde gegen den ge, wie groß dieses schwarze Loch der jährlichen Ab- Verstand. Das heißt, zusammen mit anderen negativen schreibungen aller dem Werteverzehr unterliegenden Einnahmen in Höhe von über 60 Milliarden Euro führt Wirtschaftsgüter ist, und es geht um die Frage, wie groß diese Darstellung zur optischen Verkürzung der tatsäch- der Investitionsstau ist. Den könnte man, wenn man das lichen Einnahmen des Haushaltes und zugleich zu einer Erste wüsste, wunderbar beziffern. Es bleibt dabei: Ein optischen Verminderung der Ausgaben in gleicher Höhe. schwarzes Loch statt einer schwarzen Null ist das Signet auch dieses Bundeshaushalts. Die Zahlenangaben hierzu in allen Haushaltstexten und Presseveröffentlichungen, meine Damen und Herren, (Beifall bei der AfD) sind falsch. Die Leitprinzipien allen Haushaltsrechts – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13869

Albrecht Glaser (A) Klarheit, Wahrheit, Transparenz, Verbot der Saldierung Worüber reden wir also? Der Haushalt hat ein Volumen (C) von Einnahmen und Ausgaben – werden mit Füßen ge- von 360 Milliarden Euro – eine moderate Steigerung im treten. Die Eckwerte des Haushaltes 2020 auf der Ein- Vergleich zum letzten Jahr. Seit 2014 nehmen wir keine nahme- wie der Ausgabenseite betragen also nicht etwa neuen Schulden auf; wir halten also die Schuldenbremse 360 Milliarden Euro, wie uns glauben gemacht wird, son- wiederum ein. Und – nach etlichen Jahren das erste Mal – dern 421,5 Milliarden. Das ist das Haushaltsvolumen, wir erfüllen auch alle Maastricht-Kriterien, und zwar ins- über das wir beraten und entscheiden. besondere die gesamtstaatliche Verschuldungsquote; sie wird auf unter 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ge- (Beifall bei der AfD) drückt. Das ist nicht nur eine einfache Zahl, sondern sie Die geschilderte Darstellungsweise wird wohl deshalb steht für Glaubwürdigkeit und insbesondere für finanz- gewählt, um die Höhe der deutschen EU-Beiträge zu ver- ielle Stabilität. Dafür steht die Union, und vor allen Din- bergen; denn die geplante Steigerung der deutschen Um- gen steht dafür die Koalition. lage an die EU bis zum Zieljahr 2023 ist beispiellos. Die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und EU-Umlage von rund 21 Milliarden Euro im Jahr 2018 der SPD) soll auf 41 Milliarden im Jahr 2023 ansteigen, also um 20 Milliarden. Das bedeutet eine Steigerung von 95 Pro- Die Investitionen in diesem Haushalt sind auf hohem zent bzw. 14 Prozent per annum. Die Budgethoheit dafür Niveau, rund 40 Milliarden Euro. Im Finanzplan, den wir wandert zur EU, während das Geld zur Lösung inner- ja nicht beschließen werden, werden sie auf einer ähn- staatlicher Fragen an allen Ecken und Enden fehlt; wir lichen Größenordnung stabilisiert. haben gerade über Gesundheit und Soziales gesprochen. Ich habe unterschiedliche Kritik grundlegender Art ge- Hier liegt das Geld. Nehmen Sie es! hört, zum Beispiel: Der Haushalt sei eigentlich gar nicht Es gibt kein Naturgesetz, wonach Rationalität und Po- ausgeglichen. Das gelinge ja nur durch eine Entnahme litik Gegensätze sein müssen. Die Politik kann sich je- aus der Rücklage. doch so verhalten. Eine bekannte amerikanische Histori- (Christian Dürr [FDP]: Guter Punkt! Ja!) kerin nennt dies „Die Torheit der Regierenden“. Mit diesem Phänomen haben wir es hier zu tun. Ja oder nein? Ausgeglichen oder nicht? Ich bin der festen Überzeugung, lieber Christian: Der Haushalt ist ausge- Herzlichen Dank. glichen, weil Rücklagen ein Mittel des Haushaltsrechts sind. (Beifall bei der AfD) (Otto Fricke [FDP]: Nein, ist klar! Das sind nur (B) Vizepräsidentin Petra Pau: Kredite!) (D) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. André Wir verdanken die gute Befüllung dieser Rücklagen der Berghegger das Wort. umsichtigen Politik des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble, und Herr Scholz führt diese Politik (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt fort. Wenn wir der Opposition gefolgt wären, wäre das Geld schon längst weg. Wir haben für schwierigere Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Zeiten vorgesorgt, und davon profitieren wir jetzt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind in der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Haushaltswoche, wir beraten den Regierungsentwurf für Abgeordneten der SPD) den Haushalt 2020, und ich denke, es ist ein guter Ent- wurf. Wir werden uns aber als Parlament sicherlich an- Vizepräsidentin Petra Pau: strengen und aus diesem guten Entwurf einen noch besse- Kollege Berghegger, gestatten Sie eine Frage oder Be- ren Haushalt machen. Die Haushaltsplanberatungen merkung des Kollegen Fricke? stehen an, und Ende November wird es dann die zweite und die dritte Lesung geben. Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Ich habe diese Woche aufmerksam zugehört, ich habe Nein, ich möchte fortfahren. einige Anregungen wahrgenommen, die wirklich so sind, (Otto Fricke [FDP]: Das war mir klar! – Gegen- dass man darüber nachdenken sollte. Andere Anregungen ruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]: Hallo! – waren zumindest – höflich formuliert – interessant, und Eckhardt Rehberg [CDU/CSU], an den Abg. über wiederum andere, glaube ich, braucht man nicht zu Otto Fricke [FDP] gewandt: Du kannst mir reden. nachher eine Frage stellen!) Der Bundesrechnungshof – diejenigen, die im Berich- Ein zweiter Punkt. Die Investitionsquote wird bemän- terstattergespräch Anfang der Woche dabei waren, wissen gelt; sie betrage nur zwischen 10 und 11 Prozent. Natür- es – plant eine Veranstaltung mit dem Titel „Renaissance lich fände ich es besser, wenn mehr investiert würde; gar der Fakten“. Ich glaube, das passt hier ganz gut. Lassen keine Frage. Aber ein Etat wird nicht allein dadurch Sie uns in den Haushaltsberatungen über Fakten reden besser, dass man mehr investiert. Entscheidend ist: Das und nicht nur über Behauptungen, die sich vielleicht gut Geld muss auch abfließen. Es muss vor Ort ankommen. anhören. Wir können die Fakten ja unterschiedlich bewer- Wir führen hier immer eine Diskussion über Planzahlen – ten, aber das sollte eine gemeinsame Grundlage sein. das ist auch gut und richtig –, weil sie Vorstellungen 13870 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Dr. André Berghegger (A) wiedergeben. Aber entscheidend – das weiß jeder – sind Glück steht diese Schuldenbremse in der Verfassung (C) die Ergebnisse vor Ort. und nicht in irgendeinem Gesetz. Hier kommen wir zu einem Problem, das jeder eigent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei lich wissen müsste. Wenn wir uns die Zahlen genau angu- Abgeordneten der FDP) cken und fragen: „Wie viel ist denn eigentlich vom Jahr 2018 ins Jahr 2019 übertragen worden?“, dann werden Sie ist, wenn man genauer hinschaut, auch gerade für wir feststellen, dass wir 20 Milliarden Euro an Resten solche Konstruktionen gedacht. Sie hat nämlich eine haben. 20 Milliarden Euro sind nicht ausgegeben. Des- Konjunkturkomponente. Das heißt, sie kann atmen. Und wegen ist unsere Hausaufgabe, die wir erfüllen müssen, sie hat ja auch einen Sinn: Wir wollen nachfolgende Ge- dass die Plan- und die Istzahlen besser zusammenpassen. nerationen nicht überfordern. Genau deswegen ist die Es dauert teilweise Jahre, bis Geld abfließt. Dazu einige Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz gut Beispiele: und richtig gewesen. Sie steht auch für nachhaltige Fi- nanzpolitik, so wie wir es oben beschrieben haben. Das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz, das ers- te: Wer weiß noch, von wann es ist? Es ist von 2015. Ein Wermutstropfen bleibt aber; das ist an dich, liebe Wenn man sich die Positionen anschaut, die vor Ort viel Bettina, bzw. an das Finanzministerium gerichtet. Ich Gutes bewirken – gar keine Frage! –, dann wird klar: Aus kann nachvollziehen – ich finde es trotzdem nicht schön –, diesem Etat sind erst knapp 50 Prozent abgeflossen – aus dass der Wirtschaftsplan zum EKF zur ersten Lesung 2015. noch nicht vorgelegen hat. Wir warten auf den 20. Sep- tember und die konkreten Maßnahmen. Wir wissen ja Der soziale Wohnungsbau. Wir geben in den letzten auch, dass der EKF ein Volumen von weit über 6 Milliar- Jahren und auch in diesem Jahr Mittel des Bundes, den Euro hat und deswegen in dieser Konstellation wich- 1,5 Milliarden Euro. Mit der zugesagten, verabredeten tig ist. Aber zugesagt ist, dass wir die Informationen Gegenfinanzierung durch die Länder könnten damit rund rechtzeitig vor der zweiten und dritten Lesung bekom- 45 000 Wohnungen neu gebaut werden. Wie viele sind men. Darauf bitte ich zu achten. nach Angaben der Länder im letzten Jahr entstanden? 27 000! Da ist also noch deutlich Luft nach oben. Hier (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gibt es eine große Bandbreite. Lieber Alois Rainer, 6 600 der FDP) Wohnungen waren es in Bayern, NRW ist auf einem ähn- Wichtig scheint mir nur zu sein, dass wir nicht nur von lichen Stand. Aber ein Bundesland hat sogar gar keine Klimaschutz, sondern auch von Naturschutz und vor allen neugebauten Wohnungen gemeldet. Ich werde jetzt das Dingen von Nachhaltigkeit insgesamt sprechen und ver- (B) Saarland hier nicht erwähnen. suchen, aus diesem Gesamtpaket ambitionierte, aber rea- (D) listische Ziele abzuleiten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Natürlich, liebe Grünen, finde ich es toll und wün- Setzen Sie, liebe Länder, das Geld ordnungsgemäß ein, schenswert, den Individualverkehr zu reduzieren. Aber und finanzieren Sie gegen. Dann können wir dieses wich- gemach, gemach! Nicht mit Verboten, unsozialen Preisen tige Thema auch voranbringen. oder mit der großstädtischen Brille! Das muss klug ge- macht werden, lieber Tobias, mit Anreizen, bezahlbar für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei alle, vor allen Dingen auch im ländlichen Raum umsetz- Abgeordneten der SPD) bar. Der Breitbandausbau. Über 4 Milliarden Euro stehen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dafür zur Verfügung. Wir alle kennen die Beispiele aus neten der SPD und des Abg. Michael Theurer den Wahlkreisen. Wir haben Förderbescheide bekommen [FDP]) für Untersuchungen und dann auch für die konkreten Baumaßnahmen. Aber wie lange dauert es denn, bis die Der Individualverkehr vor Ort hat verschiedene Funk- Kabel für die Breitbandversorgung in die Erde gelegt tionen. Er ist ein Stück Lebensqualität, ein Stück Freiheit werden und der Bürger vor Ort davon profitiert? Das ist und vor allen Dingen auch ein Stück soziale, gesellschaft- eine Schwierigkeit, der wir uns stellen müssen. liche Teilhabe. Darauf legen Sie doch auch immer größ- ten Wert. Wenn man in Berlin oder in anderen Groß- Wir haben nämlich das Problem, dass wir öffentliche städten – der Rüdiger Kruse hat es, glaube ich, diese Ausschreibungsvorschriften haben, die man zum Teil Woche auch erwähnt – aus der Tür herausgeht, dann stol- nicht mehr nachvollziehen kann. Wir müssen Planungs- pert man relativ schnell in eine U- oder S-Bahn-Station kapazitäten im öffentlichen wie im privaten Bereich erhö- oder Bushaltestelle und kann sofort von A nach B fahren. hen. Die Baukapazitäten müssen angehoben werden. Und Im ländlichen Raum ist das etwas anders. Ich lade Sie wir müssen die Bürokratie im Auge behalten. Diese Ver- gerne mal in meinen Wahlkreis ein. Wenn wir von Norden krustungen, diese Investitionsbremsen müssen wir lösen, nach Süden einmal durchfahren, sind das anderthalb im öffentlichen wie im privaten Bereich. Alleine den Etat Stunden mit dem Auto. Das können wir ja mal mit dem erhöhen ist nur eine mögliche Maßnahme, aber nicht die Bus und der Bahn machen. Ich bitte nur: Kommen Sie umfassende Lösung. Anfang der Woche, damit wir rechtzeitig zur Plenarsit- zung wieder zurück sind. Die nächste Kritik, die ich hörte: Die Schuldenbremse muss weg; je eher, desto besser. – Ich behaupte: Zum Das geht nicht so schnell. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13871

Dr. André Berghegger (A) (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- darf zitieren –: „Deutschlands wirtschaftliches Funda- (C) NEN]: Ja! Aber Sie tun ja auch nichts dage- ment bröckelt bedenklich.“ gen!) Daher finde ich es sehr erschreckend, dass dem Bun- Wir müssen vor Ort schauen, wie wir die Maßnahmen desfinanzminister bei der Einbringung des Haushalts da- umsetzen und dabei die kommunale Selbstverwaltung zu überhaupt nichts eingefallen ist, außer dass man viel- und die Finanzhoheit berücksichtigen. leicht dagegenhalten wollte, falls sich die Konjunktur anders entwickelt, als man hoffe. Ich glaube, Frau Kolle- Ich komme zu der Schlussfolgerung. Die finanzielle gin Hagedorn, man darf vom Finanzminister einer der Klammer – das haben Johannes Kahrs und Ecki Rehberg wirtschaftsstärksten Nationen Europas etwas mehr Fanta- immer wieder betont, und man kann es gar nicht oft genug sie und vor allem auch Anstrengung erwarten, als zu sa- wiederholen – müssen wir beachten. Der Bund hat die gen: Wir setzen auf das Prinzip Hoffnung. Länder und Kommunen in den letzten Jahren in einer nicht dagewesenen Art und Weise finanziell unterstützt, (Beifall bei der FDP) und das wird in Zukunft auch noch so fortgesetzt. Die Schätzungen über die bestehenden Steuereinnah- Ab dem nächsten Jahr sind die Steuereinnahmen der men belegen dies überdies. Jens Boysen-Hogrefe vom Länder größer als die des Bundes. Das liegt insbesondere Kieler Institut für Weltwirtschaft und Mitglied im Kreis an der Übertragung der Umsatzsteueranteile, also von un- der Steuerschätzer mahnte, dass die Steuereinnahmen in gebundenem Geld, das dort zur Verfügung steht. den Jahren 2020 und 2021 jeweils um rund 10 Milliarden Euro niedriger ausfallen könnten, als man dies noch im Von diesem Jahr bis zum Jahr 2023 entsteht bei den Mai angenommen hat. Ländern eine Mehreinnahme von über 70 Milliarden Eu- ro. Mit diesen zusätzlichen Mitteln kann man, glaube ich, Meine Damen und Herren, das sind deutliche Alarm- eine ganze Menge unter Prioritätensetzung dort vor Ort zeichen, auf die Politik auch konkrete Antworten geben leisten. muss, Nur weil eine Aufgabe an verschiedenen Stellen im (Beifall bei der FDP) Bundesgebiet auftaucht, heißt das noch nicht, dass der ein Stück mehr als das Prinzip Hoffnung. Bund sie erfüllen muss. Die zuvörderst zu erledigende Aufgabe der Länder ist die ordnungsgemäße Finanzaus- Das Schlimme ist: Die Situation ist auch nicht vom stattung der Kommunen. Daran muss man immer wieder Himmel gefallen. Es war absehbar – schon seit längerer erinnern. Zeit. Der Brexit, der Handelskrieg, aber auch andere Sa- chen stehen nicht erst seit gestern vor der Tür, sondern es (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zeichnet sich ab, dass unsere Wirtschaft dies alles sehr (D) Von daher: Wir haben eine solide Grundlage mit die- stark spüren wird. Hier ist die Abkühlung auch bereits sem Haushaltsplanentwurf. Wir werden Prioritäten set- angekommen, und es ist Aufgabe der Politik, in einer zen. Es liegt jetzt an uns, daraus einen besseren Haushalt solchen Situation alles dafür zu tun, dass unser Land zu- zu machen. kunftsfest und sicher gemacht wird. Vielen Dank fürs freundliche Zuhören. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Das ist mehr als das Prinzip Hoffnung. Johannes Kahrs [SPD]) Wenn ich mir mal so angucke, was in den steuerlichen Bereichen, gerade bei der Einnahmesituation, in der letz- Vizepräsidentin Petra Pau: ten Zeit passiert ist – oder nicht passiert ist –, zeigt sich: Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Katja Wir haben hier große Probleme. Eine Unternehmens- Hessel das Wort. teuerreform, sagt der Finanzminister, ist nicht notwendig. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Eckhardt (Michael Theurer [FDP]: Doch!) Rehberg [CDU/CSU]) Um uns herum, überall, werden die Unternehmensteuern reformiert, damit die Wirtschaft zukunftsfähig gemacht Katja Hessel (FDP): wird. Nur unser Bundesfinanzminister sagt: Ist nicht not- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Lie- wendig. be Kollegen! Das ist die Schlussrunde der Haushaltswo- (Christian Dürr [FDP]: Ach so! – Michael che. Am Anfang der Woche wurde der Haushalt von Theurer [FDP]: Skandal!) Bundesfinanzminister Olaf Scholz eingebracht, und diese Woche haben aber auch die Forschungsinstitute gewarnt, Abschaffung des Solidaritätszuschlages: 90 Prozent dass die deutsche Wirtschaft auch im dritten Quartal sollen davon betroffen werden. Die Kapitalgesellschaften schrumpfen wird. und viele Unternehmen sind davon eben nicht betroffen. Dies wäre das richtige Signal in einer sich abzeichnenden Wir stehen an der Schwelle einer Rezession. Im dritten Rezession gewesen. Hier passiert seitens des Finanzmi- Quartal erwarten wir ein Minus von 0,3 Prozent. Damit nisteriums nichts. rutscht die Konjunktur in eine technische Rezession; das sind zwei Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleis- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tung. Das DIW beschreibt die Situation wie folgt – ich der AfD) 13872 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Katja Hessel (A) Vielleicht an dieser Stelle auch ganz kurz: Es ist auch (Beifall bei der LINKEN) (C) Danke zu sagen den Leistungsträgern dieser Nation. Was Über einen Haushalt zu reden in einer wichtigen Frage, zu macht die SPD-Bundestagsfraktion? Sie verhöhnt sie mit der keine Zahlen vorliegen, das ist so was von unseriös; tollen Bildern vom Cocktail schlürfenden, im Liegestuhl das können wir uns als Parlament hier nicht bieten lassen. liegenden Steuerzahler. Vielen Dank dafür! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Ich sage Ihnen: Wir als Linke haben viele gute Ideen, Es wäre einfach, Bürokratie abzubauen; passiert auch wie wir Klima-, Umwelt-, Natur- und Artenschutz finan- nicht. Wir hatten diese Woche im Finanzausschuss eine zieren können. An erster Stelle steht eine gerechte Steuer- Anhörung zum Thema Grundsteuer. Ein Bürokratie- reform. Das jetzige Steuersystem bestraft die Armen und monster kommt auf uns zu. Wir brauchen mehr als begünstigt die Reichen. 1 Prozent unserer Bevölkerung 3 200 Finanzbeamte für die Umsetzung der Grundsteuer. verfügt über ein Drittel des gesamten Eigentums. Das ist Wo sollen diese denn bitte herkommen? Wo ist denn hier doch eine dramatische Schieflage. Das muss geändert mit einer Entlastung zu rechnen? werden. Dann schauen wir uns an, welche Schwerpunkte in (Beifall bei der LINKEN) diesem Haushalt gesetzt werden. Schwerpunkte für die Zukunft? Sehe ich nicht. Digitalisierung, Infrastruktur – Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ma- Fehlanzeige. Bei der Bildung wird gespart: Es werden chen eine Steuerpolitik für die Vermögenden. Mit unserer 70 Millionen Euro weniger angesetzt. Dafür haben wir Forderung nach einer Vermögensteuer vertreten wir üb- aber bei den Renten und bei den Sozialleistungen einen rigens die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Die großen Anstieg. Beim nächsten Haushalt wird wahr- neoliberale „Wirtschaftswoche“ gab eine Umfrage in scheinlich mehr als ein Drittel der Mittel in die Auftrag. Sie wollte wissen – O-Ton „Wirtschaftswo- Rentenkasse fließen. Hier wären Reformen ebenfalls che“ –, „wie viel Sozialismus“ denn in den Deutschen dringend angebracht gewesen; hier wäre auch im Haus- stecke. Die Frage war: Leisten die reichsten 10 Prozent halt entsprechend gegenzusteuern. einen ausreichenden Beitrag zur Finanzierung des Ge- meinwesens? 65 Prozent sagten Nein, und 61 Prozent Dann kommen wir zum Thema Solidaritätszuschlag der Befragten sagten: Wir brauchen eine Vermögen- zurück. Wahrscheinlich ist die Nichtabschaffung des So- steuer. – Richten Sie sich endlich nach der Mehrheit der lidaritätszuschlages vollständig verfassungswidrig. Das Bevölkerung. Bundesverfassungsgericht wird darüber Anfang nächsten Jahres entscheiden können. Auch hierfür hat der Haushalt (Beifall bei der LINKEN) keine Vorsorge getroffen. Wir haben genau das gleiche (B) Ich glaube, eine solidarische und ökologische Steuer- (D) Problem, das wir immer haben in der Steuerpolitik dieser reform muss bei denen ansetzen, die den größten ökolo- Regierung: Wir warten darauf, dass das Bundesverfas- gischen Fußabdruck hinterlassen. Nicht nur die Grünen sungsgericht kommt und uns sagt, dass das, was hier ent- verweisen auf umweltschädliche Subventionen, die abge- schieden worden ist, verfassungswidrig ist. Das ist keine baut werden müssen; das ist richtig. Mir kommt aller- zukunftsfähige Politik, meine Damen und Herren. dings in der gesamten Debatte immer zu kurz, dass Vielen Dank. Aufrüstung und Krieg die brutalsten Formen der Umwelt- zerstörung sind, und die Rüstungsindustrie wird von der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bundesregierung besonders subventioniert. Das muss der AfD) endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Die Rüstungsindustrie kann Mondpreise aufrufen; das Fraktion Die Linke. Verteidigungsministerium zahlt jeden Preis, egal ob die Waffen funktionieren oder nicht. Der Rüstungskonzern (Beifall bei der LINKEN) Rheinmetall konnte dank Bundesregierung seine Divi- dende von 2012 auf 2018 um 16,7 Prozent steigern. Ich Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): finde, das ist die falsche Richtung. Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin (Beifall bei der LINKEN) Merkel hat ja am Mittwoch die Klimafrage zur Mensch- Das Klimapaket muss also so sein, dass der ökologi- heitsfrage erklärt, und sie will nun Klimakanzlerin wer- sche Kriegsabdruck eine wichtige Messgröße wird. We- den. Ich finde, das ist nach einer so langen Kanzlerschaft niger Rüstung und weniger Kriege sind ein wichtiger doch ein Vorsatz, zu dem man sagen muss: Da hätte sie Schritt zu mehr Klima- und Umweltschutz. Packen wir doch längst schon etwas tun müssen. das an. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir reden eine ganze Woche lang über den Haushalt; Man kann, meine Damen und Herren, mit kleinen doch diese Regierung hat es über den Sommer nicht ge- Schritten beginnen. Innerdeutsche Flüge werden von schafft, ein Klimapaket zu schnüren. Ich finde, das ist Bundesbeamten in hohem Maße absolviert. Im vergange- wirklich eine mehr als schwache Leistung. nen Jahr – und die Zahlen steigen an – waren es 229 116 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13873

Dr. Gesine Lötzsch (A) innerdeutsche Flüge. Gehen Sie als Vorbild voran, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) streichen Sie die innerdeutschen Flüge für Bundesbeam- sowie des Abg. Otto Fricke [FDP]) te! Das kann man schon heute veranlassen. Dafür braucht Herr Kollege Berghegger, Sie haben es doch selber man kein Klimakabinett. erwähnt: Wir sind hier am Ende der Haushaltswoche (Beifall bei der LINKEN) und haben alle keine Ahnung, was Sie im Bereich Klima- schutz machen werden. Ein vieldiskutiertes Thema in dieser Woche war auch „Wohnungsbau und bezahlbare Mieten“. Es wurde heftig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diskutiert: Was machen die da im Land Berlin? Ein Mie- und bei der FDP sowie des Abg. Jörg Cezanne tendeckel, ist das überhaupt rechtmäßig? – Erstens darf [DIE LINKE]) ich Ihnen mitteilen, dass wir ein sehr gutes Rechtsgut- Wir haben keine Ahnung, wann Sie Ihre konkreten Vor- achten haben, das die Rechtmäßigkeit des Mietendeckels schläge vorlegen werden, aber sollen schon mal darüber noch einmal bestätigt hat; wir haben es in dieser Woche beraten. vorgestellt. Zweitens. Die „Wirtschaftswoche“ fragte nach einer bundesweiten Einführung eines Mietende- Sie wollen konkrete Vorschläge? Ich mache Ihnen noch ckels. Dafür sprachen sich 53 Prozent der Befragten aus. – einen: Lassen Sie uns doch an die klimaschädlichen Sub- Wir wollen also einen Mietendeckel, und wir wollen in ventionen herangehen! Da können wir nicht nur Geld ein- mehr preiswerte Wohnungen investieren. Die Investi- sparen, sondern wirklich was gestalten. tionsbremse muss gelöst werden. Das Missverhältnis „14 Prozent Rüstungsquote und nur 11 Prozent Investi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionsquote“ muss beendet werden. Das wäre doch eine Alternative zu Ihrer Ideenlosigkeit und Planlosigkeit oder gar dem mangelnden Gestaltungs- (Beifall bei der LINKEN) willen. Davon nämlich zeugt das, was Sie uns vorgelegt In diesem Haushalt sind etliche Mittel für die Feier- haben. lichkeiten zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit ein- Zu Ihrem Argument, Sie seien gar nicht strukturell im gestellt; erst wurden sie ja vergessen. Für uns ist wichtig, Minus. Doch, das sind Sie. Sie greifen ja nicht nur in den dass im Zusammenhang mit der deutschen Einheit noch Etat, Sie greifen auch in die Sozialkassen. Es sind 13 Mil- einmal über die Treuhand aufgeklärt wird. Die Treuhand liarden Euro, die Sie über die Absenkung der Flüchtlings- war die größte Arbeitsplatzvernichtungsmaschine in der reserve und die GMA verfügbar machen. Das ist das, was deutschen Geschichte, bekannt ist. Was die meisten aber unter den Tisch kehren, (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Unglaublich!) ist: Sie greifen auch in die Rentenkasse. Glauben Sie denn (B) wirklich, die Mütterrente finanziert sich von allein? (D) und darum fordert unsere Fraktion einen Treuhand-Unter- suchungsausschuss. Da werden wir nicht nachlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katja Hessel [FDP]) Vielen Dank. 10 Milliarden Euro, die vom Himmel herabfallen? Das (Beifall bei der LINKEN) geht zulasten der Versicherten, und auch das ist Teil Ihres strukturellen Minus. Machen Sie sich da doch mal ehr- Vizepräsidentin : lich! Machen Sie doch mal, was dringend notwendig ist, nämlich Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu geben! Vielen Dank, Gesine Lötzsch. – Ihnen einen schönen Da geht es um Zukunft und klimafitte Haushaltspolitik. guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Und Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif, auch nicht Dann kommt die nächste Rednerin: Ekin Deligöz für für Sie. Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie reden davon, dass die schwarze Null notwendig ist für die Generationengerechtigkeit. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- (Dr. h. c. [UnivKyiv] [CDU/ legen! Jetzt würde ich auch gerne sagen „Sehr geehrter CSU]: Das ist ja was ganz Neues!) Herr Minister!“, aber er ist ja gar nicht da. Sehr geehrte Ist sie aber nicht. Zur Generationengerechtigkeit gehören Frau Staatssekretärin! Schön, dass Sie da sind! Ich finde nämlich auch Kindergärten. Zur Generationengerechtig- es sehr interessant, dass auch in dieser Abschlussdebatte keit gehören Schulen. die Redner der Koalition uns Grünen vorwerfen, keine konkreten Vorschläge zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Swen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Schulz [Spandau] [SPD]) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder gar Zur Generationengerechtigkeit gehören Brücken, Stra- keine!) ßen, die Deutsche Bahn, der ÖPNV. Ja, es ist so: Auf Ich finde, das zeigt eigentlich nur, was Sie hier vorgelegt dem Land kommen Sie nicht vorwärts, weil da weder haben, nämlich einen Haushalt der offenen Baustellen. ein Bus fährt noch die Bahn. Zu sagen: „Schafft euch Warum legen Sie nicht diese konkreten Vorschläge vor? einfach Autos an!“, ist doch nicht die Antwort darauf. 13874 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Ekin Deligöz (A) (Beifall bei Abgeordneten des Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Ekin Deligöz. – Nächste Rednerin: die Parlamentarische Staatssekretärin Bettina Hagedorn. Was machen die Jugendlichen, wenn sie keinen Führer- schein haben? Was machen alte Menschen, die sich nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten trauen, Auto zu fahren? Was machen all diese Menschen? der CDU/CSU) Ja, auch die brauchen auf dem Land eine Antwort.Da reicht es nicht, zu sagen: „mehr Autos“, da müssen wir in die Strukturen investieren. Da sind Sie in der Pflicht. Bettina Hagedorn, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Sie können doch nicht einfach sagen: Es ist, wie es ist; das minister der Finanzen: kann man nicht ändern. Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kol- legen! Ich möchte am Anfang darüber aufklären, warum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich hier stehe sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Zuruf von der AfD: Das fragen wir uns auch!) Sie sagen, man könne gar nicht all das umsetzen, was man an Investitionen vornehmen könnte, weil wir die und nicht unser Finanzminister Olaf Scholz; ich hörte das Planungskapazitäten nicht haben, weil wir die Verwal- vorhin aus den Reihen der AfD, jetzt hat sich auch Ekin tungskapazitäten nicht haben. Sorry, Sie sind in der Re- Deligöz angeschlossen. Haushälter sollten das wissen, gierung. Dann schaffen Sie doch diese Kapazitäten. weil sie regelmäßig die Vorberichte zu Ecofin und zur Euro-Gruppe bekommen; der letzte liegt Ihnen seit ein (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Habt ihr im paar Tagen vor. Minister Scholz ist in Helsinki bei der Bundesrat blockiert! Ihr habt im Bundesrat al- Euro-Gruppe und beim informellen Ecofin-Treffen. Ich les an Planungsbeschleunigung blockiert!) kann nachvollziehen – und erwarte nichts anderes –, dass Sie finden, er sollte lieber hier sein und auf europäischer Was haben Sie die letzten zehn Jahre gemacht? Das ist Ebene schwänzen. doch nur ein Beweis dafür, dass Sie da etwas versäumt haben. Sie hätten das doch machen können. Sie hätten in (Zuruf von der AfD: Ja, richtig! – Dr. Tobias diesen Bereichen investieren und diese Kapazitäten Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schaffen können. können Sie ja hinfahren!) Ich gehe aber davon aus, dass der Rest des Hauses es gut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und richtig findet, dass der Minister die Gelegenheit (B) (D) nutzt, mit allen europäischen Kollegen den Dialog zu Sie sagen, man könne jetzt nicht mit Schuldenmachen pflegen und Europa auf einen guten Weg zu bringen in agieren. Gleichzeitig verbieten Sie sich jegliche Form des schwieriger Zeit. Denkens an Alternativen zu Ihrer schwarz-roten Groko- Null. Dabei gibt es in Ihren Reihen durchaus Ideen, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie man umsetzen könnte, wenn Sie nur den Mut hätten, die des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) auch auszusprechen. Aber das tun Sie nicht. Vor allem verkennen Sie eines: Das, was vor zehn Jahren stimmte, Ich möchte auch kurz auf das eingehen, was die Kolle- muss lange nicht zehn Jahre später auch noch gelten. Es gin Katja Hessel vorhin gesagt hat, nämlich der Finanz- hat sich in diesem Land etwas verändert. Es hat sich in der minister hätte hier das Prinzip Hoffnung gepredigt. Das Zinsstruktur etwas verändert, es hat sich in der Investi- ist natürlich absurd. Ich kann nahtlos an die Rede von tionsstruktur etwas verändert, ja, auch bei den Schulden André Berghegger anschließen – und bedanke mich hat sich etwas verändert. Gerade das verpflichtet uns gleichzeitig für diese Rede, weil viele Inhalte vorwegge- doch, einen Schritt weiterzudenken und nicht stehen zu nommen wurden, die ich jetzt nicht mehr bringen muss –: bleiben. Genau das ist der Vorschlag, den meine Fraktion Die Bundesregierung hat diesen Haushaltsentwurf vorge- Ihnen hier unterbreitet hat. legt, weil er solide, weil er angemessen ist. Wir haben keine Rezession, und wir müssen auch keine herbeireden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben eine Wachstumsdelle. Die nehmen wir auch ernst, und wir sind selbstverständlich vorbereitet. Der Kollege Jung hat in seiner Rede gesagt, eine Alter- native zu Schuldenmachen könnte sein, Prioritäten zu Ich will nur darauf aufmerksam machen – die, die nicht setzen. Sie können gar keine Prioritäten setzen. Wissen im Haushaltsausschuss sind, wissen das vielleicht nicht –: Sie, warum? Weil Sie gar keine Prioritäten haben, weil Noch vor der Bereinigungssitzung wird es eine neue Sie nach der Devise verfahren: Die CDU/CSU bekommt Steuerschätzung geben. Wir werden sehen, was da he- die Mütterrente, die SPD bekommt dafür dieses oder je- rauskommt. Wie es in den letzten 17 Jahren, in denen nes andere, und – frei nach meiner großartigen Kollegin ich im Haushaltsausschuss war, üblich war, wird diese Corinna Rüffer, die das heute Morgen gesagt hat – der Steuerschätzung dann in den aktuellen Haushalt einge- Kollege Kahrs bekommt dann alles von seinen Wunsch- preist. In den letzten Jahren haben wir davon häufig pro- vorstellungen für Hamburg. – Das ist Ihre Politik, und das fitiert, weil die Steuerschätzungen positiver waren. ist Ihre Bilanz. Sorry, das ist zu wenig für dieses Land. (Zuruf von der FDP: Das wird jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) andersherum sein!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13875

Parl. Staatssekretärin Bettina Hagedorn (A) Ich mache nur darauf aufmerksam: Es kann auch einmal Das nächste große Thema, das uns diese Woche be- (C) andersherum sein. Der Haushaltsausschuss hat aber im- schäftigt hat, waren die Investitionen. Ich kann auch hier mer angemessen darauf reagiert. nahtlos an meinen Kollegen André Berghegger anknüp- fen: Es fließen jedes Jahr 40 Milliarden Euro an Investi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tionen, und das bis zum Ende des Finanzplans. Das sind der CDU/CSU) round about 160 Milliarden Euro bis 2023. Dieses Geld Es ist ein solider, ein ausgewogener Haushalt. Wir be- muss erst einmal ausgegeben werden. Das Rätsel, warum weisen damit als Bundesregierung: Wir halten unsere Zu- wir leider in allen Planungsbereichen Staus beim Mittel- sagen aus dem Koalitionsvertrag eins zu eins ein. Wir abfluss haben – das betrifft den Bund, die Länder, die sind verlässlich; die Bürgerinnen und Bürger können sich Kommunen und übrigens auch die Privatwirtschaft –, auf unser Wort verlassen. ist leicht aufzulösen: Es liegt am Fachkräftemangel. Wir haben in der Vergangenheit nicht genug ausgebildet und Weil das so ist, möchte ich ein Thema aufgreifen, das nicht genug eingestellt. Es gab immer die Predigt vom heute Morgen bei der Aussprache zum Haushalt für Ar- vermeintlich schlanken Staat, der aber eher verhungert beit und Soziales, aber auch zu anderen Haushalten de- war. Vor diesem Hintergrund wird jetzt das Geld nicht battiert wurde, nämlich den Zusammenhalt in unserer ausgegeben. Gesellschaft. Er war vorhin Thema beim Gesundheits- haushalt und gestern beim Haushalt für Familie, André Berghegger hat gesagt, wie viele Ausgabereste Senioren, Frauen und Jugend. Aber auch der Bildungsetat wir im Moment aufseiten des Bundes haben. Alle mit ist für den sozialen Zusammenhalt und die Zukunftsfä- volkswirtschaftlichem Verstand müssten nachvollziehen higkeit unseres Landes wichtig. In all diese Bereiche in- können: Mehr Geld hilft nicht; das hat auch die Bundes- vestieren wir enorm, auch wenn man die letzten Jahre kanzlerin hier am Mittwoch gesagt. Wir müssen das Geld betrachtet, mit Kraft und mit Power. Ja, wir profitieren zielgerichtet ausgeben. Mehr Geld würde den Markt ak- von den niedrigen Zinsen; das ist richtig. Aber wir nutzen tuell nur überhitzen und die Preise verderben. Was wir als dies für Investitionen, und die sind solide finanziert, nicht Bundesregierung machen müssen und auch machen, ist, nur in diesem Haushalt, sondern auch im Finanzplan bis den Menschen und den Unternehmen in diesem Land zu 2023. sagen: Wir investieren langfristig; wir tragen Vorsorge, Ekin Deligöz hat gerade gefragt, wo der Finanzminis- dass die Investitionsquoten so hoch bleiben. – Damit ge- ben wir den Unternehmen die Sicherheit, die sie brau- ter ist. Liebe Ekin, ich habe mich heute Morgen schon chen, um ihre Kapazitäten aufzustocken. einmal etwas gewundert, nämlich als du bei der Ausspra- che zum Etat für Arbeit und Soziales das Qualifizierungs- Zum Schluss möchte ich noch etwas zum EKF sagen. (B) chancengesetz als Teil des Haushaltes kritisiert hast. Es Ja, lieber André Berghegger, auch für das Finanzministe- (D) ist übrigens seit dem 1. Januar 2019 in Kraft, und die rium ist das keine schöne Situation. Aber ich glaube, es Grünen haben zugestimmt. Deshalb fand ich die Kritik wäre auch kritikwürdig gewesen, wenn das Finanzminis- heute irgendwie komisch. terium einen Vorschlag für den EKF vorgelegt hätte, wo (Beifall bei der SPD) wir doch noch auf die Ergebnisse des Klimakabinetts warten. Auch aus Respekt vor den Häusern, die daran Von Ihnen, Frau Hessel von der FDP, ist die Rente an- beteiligt sind, ist es geboten, deren Vorschläge entgegen- gesprochen worden, und Sie haben gesagt, dass wir drin- zunehmen. Das wird am 20. September geschehen. Das gend Reformen machen müssten. Dazu will ich etwas Kabinett wird dann am 25. September darüber entschei- sagen, das vielleicht nicht jeder weiß: Jeder Renten-Euro, den, und danach werden wir alles zeitnah, wie es sich den wir in der Bundesrepublik ausgeben, wird seit min- gehört und wie Sie es zu Recht erwarten, in den Haus- destens 15 Jahren – diesen Zeitraum habe ich im Blick – haltsausschuss einbringen. Lassen Sie mich aber noch zu einem Drittel über Steuern finanziert. Das ist nichts hinzufügen: Wir müssen auch die vorhandenen Projekte Neues; das war schon immer so. im EKF einmal auf den Prüfstand stellen. Es gibt vieles, bei dem wir sagen müssen: Das war gut gemeint; aber das (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine schöne Rede heute!) Geld fließt einfach nicht ab. – Prioritäten setzen, wurde gerade gesagt. Ja, das tun wir gemeinsam, und zwar auf Dass die Kosten steigen, ist normal, ist vorhersehbar und Vorschlag des Klimakabinetts. von dieser Regierung auch eingepreist. Wir geben den Rentnerinnen und Rentnern in diesem Land Sicherheit Ich freue mich auf die Beratungen im Haushaltsaus- und werden das auch in Zukunft weiter tun. Selbstver- schuss. ständlich wird der Steuerzuschuss steigen. Vielen Dank. (Beifall des Abg. [Heidelberg] [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn Sie sagen, das dürfe nicht sein, dann frage ich: Was wollen Sie eigentlich konkret? Einen Kahlschlag bei den Rentnern? Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Bettina Hagedorn.- Nächster Redner: für (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: die AfD-Fraktion . Aber war jetzt die Rente mit 63 eine gute Idee, oder was?) (Beifall bei der AfD) 13876 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

(A) Peter Boehringer (AfD): Vor allem ist auch hier wiederum nichts marktwirtschaft- (C) Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! lich, obwohl Herr Altmaier das diese Woche in seiner Ich sagte ja am Dienstag hier zur ersten Lesung, der im Rede dreimal behauptet hat. Wir lassen der Regierung Haushalt noch gänzlich fehlende Klimateil sei eine parla- diese Orwell’sche Begriffsverwirrung nicht durchgehen. mentarische Zumutung. Doch die größte Zumutung der Schwarz ist nicht Weiß, und Plan ist nicht Markt! Woche war eine andere. Der Finanzminister hat nämlich auf die Frage, warum wir in Deutschland aus der Kohle (Beifall bei der AfD) aussteigen, wenn gleichzeitig in Afrika und Asien 1 000 Statt sich einfach am regulären Kapitalmarkt zinsfrei das neue Kohlekraftwerke gebaut werden, geantwortet: Wir Stiftungskapital zu beschaffen, will die GroKo nun hoch- tun es, weil wir es können. verzinste Klimaanleihen begeben. (Johannes Kahrs [SPD]: Und er hat recht!) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nicht die GroKo!) Die Regierung gibt ihren ideologischen Machbarkeits- wahn also zu. Man plant ernsthaft Zinssubventionen über den Haushalt. Wie auch sonst? Diese Schnapsidee wird den Steuerzah- Wir erleben mehrfache Volksverdummung: ler ohne Not 1 Milliarde Euro pro Jahr kosten. (Johannes Kahrs [SPD]: Das fängt mit Ihrer (Beifall bei der AfD) Rede an! – [Spandau] [SPD]: Da kennen Sie sich ja aus!) Fürs Protokoll also: Söders Klimaanleihe, der Öko- schatzbrief der SPD oder nun eben Altmaiers Klimastif- Erstens agiert man auf Basis der unhaltbaren Ideologie tung – all das sind teure Planwirtschaft, medialer Aktio- einer Schuld des in Deutschland menschengemachten nismus und natürlich auch links-grüner Populismus CO2 an irgendeiner signifikanten Klimaveränderung; seitens der Regierung. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Johannes (Beifall bei der AfD) Kahrs [SPD]: Wie wäre es denn mal mit der Sachebene?) Das gilt selbstredend auch für die Verwendungsseite der Stiftungsmilliarden. Diese Stiftung wird ein Fest das wurde bei der Umweltdebatte diese Woche sehr klar. und eine Spielwiese für Ökofreaks mit ideologischem Zweitens will man uns weismachen, der CO2-Zertifikate- Machbarkeitswahn und ohne jedes Gespür für marktfähi- Handel sei eine marktwirtschaftliche Lösung. Die Kanz- ge Projekte sein. Es graust einem schon jetzt, wenn man (B) lerin etwa erklärte uns am Mittwoch, der Staat dürfe nur daran denkt, welcher Unsinn hiermit finanziert wird. Herr (D) Rahmenbedingungen setzen. Schön wäre es. Doch die Berghegger, ich bin ganz sicher: Das Geld wird abfließen. GroKo betreibt etwas ganz anderes: die willkürliche Kon- Es gibt immer mehr Ideen für Unsinn, als Geld im Haus- tingentierung des deutschen CO2-Ausstoßes. Ein System halt zur Verfügung steht. aber, bei dem die Angebotsseite künstlich zwangsver- knappt wird, heißt einfach nur Planwirtschaft. (Beifall bei der AfD) Wie der Finanzminister am Dienstag schon sagte: Das (Beifall bei der AfD) ist gelebter Keynesianismus, mit vielen, vielen Milliar- Noch dazu ist es ein unwissenschaftlicher Plan; denn es den. – Genau. Man darf also erwarten, dass die GroKo gibt kein Modell, das aus welcher auch immer gewählten schon sehr bald bedingungslos Lord Keynes folgt und Reduktion des deutschen CO2-Ausstoßes irgendeine damit auch dessen Rat, die Regierung sollte Menschen messbare Änderung der Erdtemperatur errechnet. Es ist dafür bezahlen, Löcher zu graben und sie dann wieder keine Marktwirtschaft, über die Mengenkontingentierung zuzuschütten. von Zertifikaten einen Zielpreis für die CO -Tonne zu 2 Solche keynesianische Qualität haben übrigens viele erzwingen. Aber genau das will die GroKo – und leider vom Bund geförderte Projekte. Schon seit Jahren finan- auch alle anderen Altparteien. Man darf gespannt sein, ziert die GroKo fast jede politisch korrekte Marotte. Nur welchen Zielpreis das Klimakabinett in einer Woche dann ein paar Beispiele: ein holistisches Gendergerechtigkeits- auswürfeln wird und welche deutschen Schlüsselindus- programm in Tansania, Graffitikunst in Zentralafrika und trien durch solchen Ökosozialismus weiter abgewickelt ein Forschungsprojekt – kein Witz – „Wie entstehen Vä- werden. ter und Mütter?“. Dann gibt es noch die ominösen Pläne des Bundeswirt- (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) schaftsministers für eine Klimastiftung. Zum einen hätte uns Haushälter natürlich interessiert, wie viele Milliarden Die Kanzlerin meinte in ihrer Rede ja verständnislos: Wie Euro Startkapital die Stiftung denn aus dem Bundeshaus- kann man nur von einer Verschwendung von Steuergel- halt bekommen soll. Zum anderen wäre eine solche Stif- dern sprechen? – Nun, Frau Merkel – sie ist natürlich tung natürlich ein neuer Schattenhaushalt, genau das, was nicht hier –, das sind nur drei von Tausenden Beispielen. eigentlich alle Fraktionen in diesem Haus außer den Grü- Sie verstehen das in Ihrer Weltentrücktheit nicht. Die von nen nicht mehr wollen, weil dadurch der Grundsatz der Ihnen – außer in Sonntagsreden – verachteten Steuerbür- Haushaltsklarheit verletzt wird. ger verstehen das aber sehr wohl. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13877

Peter Boehringer (A) Zur Außenpolitik. Noch immer steht eine Medienmel- liche Diskussionen noch einmal Revue passieren lassen (C) dung im Raum, wonach viel Geld an den Irak fließen können. In der Gänze werden wir es nicht schaffen; sonst könnte, damit IS-Mörder mit deutschem Pass dort nicht wären wir morgen noch hier. Es wurden viele Ideen und zu streng verurteilt werden. Vorschläge eingebracht. Wir werden in den kommenden Wochen in den Haushaltsberatungen intensiv darüber dis- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Woher kutieren; denn schließlich ist das Haushaltsrecht das Kö- kommt Ihre Information? Von Propagandasen- nigsrecht des Parlaments. Es geht um die Menschen in dern! Das ist ganz unanständig! – Weitere Zu- unserem Land, vor allem auch um die Sachpolitik in un- rufe von der SPD) serem Land; aber ohne Geld ist jede Sachpolitik schwie- Herr Binding, es war klar, dass das kommt. Das ist nicht rig. dementiert worden. Hören Sie zu, dann lernen Sie noch Mittlerweile ist dies der siebte Haushalt in Folge ohne etwas. Neuverschuldung. Dies liegt maßgeblich an der Arbeit (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: der unionsgeführten Bundesregierung der letzten Jahre. Unanständig ist das!) (Lachen des Abg. Stefan Schmidt Ich fordere die Regierung erneut zu einer Erklärung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) über die Entstehung dieser Meldung auf und inzwischen Es zeigt, dass wir in dieser Großen Koalition eine gute auch die Staatssender ZDF und ARD, die vorliegenden Arbeit geleistet haben. Dies bildet sich auch in der Fi- einschlägigen Papiere der Regierung offenzulegen. nanzsituation nicht nur des Bundes, sondern auch der (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Lächer- Länder und der Kommunen ab. Noch nie in der Geschich- lich! – Dr. [BÜNDNIS 90/ te der Bundesrepublik Deutschland waren die Steuerein- DIE GRÜNEN]: Furchtbar!) nahmen so hoch. Noch nie in der Geschichte haben die Bundesländer so hohe Überschüsse erzielt wie jetzt. Und Natürlich haben wir heute keinen Vertreter des Auswär- noch nie in der Geschichte tigen Amtes hier. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Auch wenn die Summe, um die es geht, sich inzwi- sie so viel Geld von uns gefordert!) schen reduziert hat, scheint weiterhin klar, dass die Re- gierung ernsthafte Gespräche mit dem Irak und Syrien wurde so viel investiert wie jetzt. über die Zahlung von bis zu 1 Milliarde Dollar für das In den vergangenen Tagen und auch heute wurde viel Wohlergehen von etwa 70 IS-Kämpfern führt. über die Investitionen geredet. Ja, es wäre ganz schön, (B) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dienstag wenn wir noch die eine oder andere Milliarde Euro für (D) waren es 20 Milliarden!) Investitionen ins Schaufenster stellen könnten. Aber ich frage auf der anderen Seite: Was machen wir mit dem Das ist so nicht erklärbar, auch nicht mit einer Fürsorge- Geld für Investitionen, das nicht abfließt, weil die Stan- pflicht gegenüber deutschen Staatsbürgern. dards in unserem Land so hoch sind? Liebe Ekin, ich habe (Beifall bei der AfD) deine Worte sehr wohl gehört. Du bist für Straßenbau, für Brückenbau. Dann sage deinen Freunden vor Ort, dass An diese Fürsorgepflicht hätte sich das Außenministe- Demonstrationen nicht förderlich sind, wenn wir eine rium doch bitte im Fall des Journalisten Billy Six erinnern Ortsumgehung bauen. Wir bräuchten bei Investitionen können, der schuldlos in ein venezolanisches Folterge- auch Unterstützung aus der Fraktion der Grünen; denn fängnis gesteckt wurde, den das Auswärtige Amt vier sie sind wichtig und notwendig für die Menschen in un- Monate lang so gut wie nicht konsularisch betreut hat, serem Land. und für dessen Wohlergehen von Leib und Leben es nie- mals auch nur einen Bruchteil der Plansumme für IS- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Kämpfer ausgeben würde. Abgeordneten der FDP) Herzlichen Dank. Es wurde auch darüber gesprochen, eventuell in die Neuverschuldung zu gehen, weil die Zinsen so günstig (Beifall bei der AfD – Dr. Franziska Brantner sind. Das ist zwar verführerisch, meine Damen und Her- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Russia Tod- ren, aber es wäre fatal für unsere nachkommenden Gene- ay“ hat gesprochen! Verschwörungstheorien rationen. Ich denke, dies wäre der falsche Weg. Wir spre- ohne Ende!) chen in dieser Zeit viel über Nachhaltigkeit. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Vizepräsidentin Claudia Roth: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Nachhaltigkeit Vielen Dank, Herr Boehringer. – Nächster Redner für haben Sie keine Ahnung!) die CDU/CSU-Fraktion: Alois Rainer. Es ist wichtig – keine Frage –, dass wir gerade die Klima- (Beifall bei der CDU/CSU) diskussion führen, dass wir über Klimaschutz diskutieren. Aber wenn wir nachfolgenden Generationen die Chance Alois Rainer (CDU/CSU): nehmen, sich finanziell zu entwickeln und in diesem Land Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zu investieren, ist das auch keine Nachhaltigkeit. Wir Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich müssen beides vernünftig miteinander diskutieren. Das freue mich, dass wir zum Abschluss dieser Woche sämt- braucht etwas Zeit. Das Klimakabinett wird uns am 13878 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Alois Rainer (A) 20. September gute Vorschläge präsentieren, die wir, den- (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt kommt’s!) (C) ke ich, in den kommenden Wochen sehr intensiv disku- Nach einer Woche – mit ständigen Zwischenrufen von tieren werden, weil es hier um die Zukunft der Menschen, Johannes Kahrs - vor allem der jungen Menschen in unserem Land geht. (Heiterkeit bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) sollte man zu einem Fazit kommen. Das Fazit lautet: Das Meine Damen und Herren, wenn gestern der Bundes- ist – das muss man leider feststellen; es ist von vielen hier innenminister über den sozialen Woh- angesprochen worden – ein Weiter-so. nungsbau gesagt hat: „Die Mittel fließen bei einigen Län- dern nicht so ab, wie wir uns das vorstellen“, dann kann (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein ich den Appell nur an die Länder weitergeben: Liebe solides Weiter-so! Genau!) Bundesländer, nehmt das Geld des Bundes und investiert zusätzlich mit eigenen Mitteln in den sozialen Wohnungs- Es werden dieselben Diskussionen geführt. Es gibt den- bau. Wir unterstützen hier gern, aber nicht nur beim so- selben Verweis vonseiten des Finanzministeriums auf die zialen Wohnungsbau, sondern auch in anderen Bereichen. angebliche Vorsicht beim Haushalt, wie es auch seitens Bei KIP 2, dem Kommunalinvestitionsprogramm, das mit der Staatssekretärin vorgetragen wurde. 3,5 Milliarden Euro gefüllt ist, sind noch keine 100 Mil- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wenn es gut lionen Euro abgeflossen, und es wurde schon 2017 be- läuft, was soll man da ändern?) schlossen. Aber während der ganzen Woche – Bettina Hagedorn war Wir vonseiten des Bundes übernehmen gerne viele fi- die ganze Zeit hier – war es doch genau andersherum. Da nanzielle Aufgaben der Kommunen und auch der Länder. erzählte jeder, wo er mehr Geld ausgeben möchte. Da Aber in einer Zeit, wo es so ausschaut, als würden die sagte jeder: Ich hätte noch eine Idee. finanziellen Mittel für uns nicht unbedingt weiter in den Himmel wachsen, ist es an der Zeit, eben auch Mittel (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ich denke, wir zurückzuhalten und zu sagen: Wir konzentrieren uns auf haben keine Ideen!) die Aufgaben, die der Bund zu erledigen hat, und bauen Man muss sich doch einmal auf das zurückbesinnen, wieder fest auf das föderale Fundament. Wir wissen, dass was den Haushalt ausmacht, nämlich die Haushaltsgrund- die Länder da am besten entscheiden können, wo sie zu- sätze. Das hört sich schlimm an, beinhaltet aber viel ständig sind. Da dürfen und können sie investieren. Wir Wahrheit und Wichtigkeit. Es gibt zum Beispiel den unterstützen gern im Rahmen unserer Möglichkeiten; Haushaltsgrundsatz der Einheit und Vollständigkeit. Herr aber irgendwann ist es genug. Man bedenke, dass zwi- Kollege Berghegger hat ja leider versäumt, meine Zwi- (B) (D) schen 2019 und 2023 knapp 73 Milliarden Euro aus den schenfrage zuzulassen. Aber ich will auf Sie eingehen Umsatzsteuereinnahmen an die Länder fließen. Das ist und Sie fragen: Das ist also eine schwarze Null? Herr nicht unerheblich, das ist eine große Summe. Die Finan- Kollege Berghegger, die Asylrücklage, die Sie benutzen, zierungsverantwortung für die Kommunen – das kann ist eine Rücklage. Was denkt denn jetzt der Otto Normal- man nicht oft genug sagen – haben die Bundesländer. verbraucher? Der denkt: Oh, Herr Berghegger und seine Wir hoffen, dass sie dieser Verantwortung auch nachkom- Kollegen haben irgendwo 9 Milliarden Euro herumlie- men; denn das müssen sie. gen, die sie jetzt verwenden. Herr Kollege Berghegger, (Beifall bei der CDU/CSU) diese 9 Milliarden Euro aus der Asylrücklage sind eine Kreditermächtigung. Meine Damen und Herren, wir haben einen guten Haushaltsentwurf vorgelegt bekommen. Wir als Haushäl- (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) ter haben das Selbstbewusstsein – auch das Parlament Diese erlaubt Ihnen nur, zusätzliche Kredite aufzuneh- sollte dieses Selbstbewusstsein haben; ich lade alle zur men. Um das für die Bürger klarzumachen, sage ich: Herr Diskussion ein –, diesen guten Entwurf noch etwas besser Berghegger hat Ihnen erklärt, der Haushalt sei ausgegli- zu machen. Ich freue mich auf die intensiven Beratungen chen. Wir nehmen zwar noch mal eine Kreditkarte und in den kommenden Wochen, auf die Beratungen im Haus- hauen noch mal 9 Milliarden Euro raus, es ist aber eigent- haltsausschuss und in der Bereinigungssitzung, aber vor lich ausgeglichen. Wann die Summe, die mit der Kredit- allem auf die Beschlussfassung hier im Hohen Hause. karte bezahlt wurde, beglichen wird, ist ja vollkommen Vielen herzlichen Dank. egal. – So ist Ihre Politik, und das ist weder eine vernünf- tige noch einheitliche und auch keine vollständige Haus- (Beifall bei der CDU/CSU) haltspolitik. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Alois Rainer. – Nächster Redner: für die Vollständigkeit ist, wie ich finde, ein schönes Wort. FDP-Fraktion Otto Fricke. Vom Kollegen Berghegger wurde auch gesagt: Liebe Re- gierung, wir freuen uns, wenn wir irgendwann mal den (Beifall bei der FDP) Rest des Haushaltes vorgelegt bekommen. – Ich habe es noch nicht erlebt, und in der Geschichte der Bundesre- Otto Fricke (FDP): publik Deutschland hat es das noch nie gegeben, dass ein Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolle- wesentlicher Teil des Entwurfs eines Bundeshaushaltes ginnen und Kollegen! zur ersten Lesung von einer Bundesregierung bewusst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13879

Otto Fricke (A) und zielgerichtet nicht vorgelegt wird. Das ist Missach- (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider [Er- (C) tung des Parlamentes – nichts anderes! furt] [SPD]: Aber dass der Schuldenstand sinkt, nehmen Sie zur Kenntnis, oder?) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ich hätte vom Kabinett mehr Ideen und mehr Mut er- AfD) wartet. Sie jedoch haben sich nur mit der Frage beschäf- tigt, wofür man mehr Geld ausgeben kann. Ich hätte er- Wir hören vonseiten der Koalition immer wieder: Wir wartet, dass man sich bei den Investitionen nicht auch mussten uns halt Zeit lassen. – Verdammt noch mal! Wäre noch dafür rühmt, dass die absolute Zahl steigt. Das ist es denn nicht ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, das Gleiche, als wenn jemand zum ersten Mal Geld ver- dass dieses Kabinett auch mal im Sommer zusammen- dient und sagt: kommt und den Entwurf dann so vorlegt, dass man ihn hier auch ordentlich beraten kann? Nein, Sie scheuen die (Johannes Kahrs [SPD]: Otto, ihr hättet das al- Debatte. Ich kann das ja verstehen. les machen können! Ihr hättet nur wollen müs- sen, sollen, können!) Wir haben jetzt eine Bundesölheizungsministerin, die noch nicht genau weiß, wie sie mit all dem umgehen soll. Ich spare jetzt pro Monat nicht nur 10 Euro, sondern ich Überhaupt gibt es im Kabinett niemanden, der genau spare jetzt, obwohl ich 1 000 Euro pro Monat mehr habe, weiß, wie er oder sie den Finanzminister überhaupt künftig 11 Euro und bin ein toller Sparer oder Investor. – kriegt – er ist ja im Moment auf irgendwelchen Regional- Genau so schlafwandelt diese Regierung beim Thema konferenzen –, aber vor allen Dingen wie er oder sie den Investitionen durch die Gegend. Finanzminister dazu kriegt, dass er für den jeweiligen Haushalt genug Geld zur Verfügung stellt. Sie können (Beifall bei der FDP) es an den lächelnden Gesichtern sehen: Sie hätten das Meine Damen und Herren, die Institute haben uns ges- Geld alle gerne. Dazu wird es Streit geben. Wir als Parla- tern und vorgestern wiederum vorgerechnet und gezeigt, ment bzw. als Haushaltsausschuss dürfen dann erst mal dass das von der Regierung für den Haushalt eingeplante staunen und gucken und nachher versuchen, den Mist Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent auf gar keinen Fall wieder einigermaßen hinzubekommen. So ist doch die erreicht werden kann. Das wissen alle Koalitionäre. Das Lage. weiß die Regierung. Das weiß auch das Parlament. Sie wissen aufgrund der Steuereinnahmen in diesem Jahr (Beifall bei der FDP) auch schon jetzt, dass die Steuereinnahmen sinken. Sie Meine Damen und Herren, dabei müssten wir hier doch wissen, wie es auf dem Arbeitsmarkt aussieht, und Sie eigentlich ganz anders reden. Ich erinnere mich noch – sehen, dass es diese Koalition in diesem Jahr geschafft (B) (D) manche Mitglieder des Haushaltsausschusses werden das hat, bereits im ersten Halbjahr 11 Milliarden Euro auch tun –, wie das in den Jahren 2007, 2008 und 2009 Schulden mehr zu haben als noch zu Beginn des Jahres. war. Da haben wir immer wieder gehört: Ja, ja, alles gut. All das sind trübe Aussichten. Man kann nur hoffen, Läuft doch. – Dann auf einmal merkten wir, dass es ab- dass der Herbst noch ein paar Lichtblicke bringt – jeden- wärts ging. Wir hatten die Anzeichen, dass irgendetwas falls mehr als die, die wir bisher von dieser Regierung nicht stimmt, zwar schon vorher gesehen. Aber was pas- gesehen haben. Die FDP wird es kontrollieren, wird Ge- sierte damals? Die Große Koalition sagte: Nein, nein, genvorschläge machen, wird das Haushaltsverfahren aber alles in Ordnung. Klappt schon. Wir machen weiter so; wie immer fair begleiten. es funktioniert. – Dann ging es abwärts. Und was ist dann passiert? Dann stellte sich hier ein Herr Steinbrück – das Vielen Dank. war auch so ein SPD-Finanzminister - (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ein sehr Und nicht regieren wollen!) erfolgreicher!) hin und sagte: Wir geben jetzt zusätzlich 17 Milliarden Vizepräsidentin Claudia Roth: Euro aus. Vielen Dank, Otto Fricke. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke: Fabio De Masi. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie wollten ja nicht regieren, Herr Fricke!) (Beifall bei der LINKEN) Er hat gesagt – das kann man im Protokoll nachlesen –: Diese 17 Milliarden Euro für den Investitions- und Til- Fabio De Masi (DIE LINKE): gungsfonds werden wir so schnell wie möglich zurück- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! zahlen. – Es wurde genau dieselbe Geschichte erzählt. Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Und was ist passiert, liebe Sozialdemokraten? Erstens: (Johannes Kahrs [SPD]: Ohne Fliege?) Er wurde Spitzenkandidat, in dem Fall zwar für die Bundestagswahl und nicht für den Vorsitz seiner Partei. Der Abschwung droht. Wir haben den Brexit vor uns. Wir Zweitens: Er war weg. Die Schulden aus dem Investi- haben zweifelsohne die größte Herausforderung der tions- und Tilgungsfonds belaufen sich nicht nur auf Menschheitsgeschichte zu bestehen – den Klimawandel. 17 Milliarden Euro, sondern auf 19 Milliarden Euro. Die Menschen, die ich so treffe, sind oft sehr bescheiden. Das ist keine Lösung, wie man auf sich verändernde Zei- Sie haben keine großen Ansprüche. Sie wollen keine Fin- ten eingeht. Das ist Schlafwagenpolitik. ca auf Mallorca. Sie wollen keine Briefkastenfirma auf 13880 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Fabio De Masi (A) den Virgin Islands. Sie, die Menschen, die sich hart an- Ich will hier auch noch mal auf zwei Argumente ein- (C) strengen und an die Regeln halten, wollen anständig be- gehen, die diese Woche in der Debatte genannt wurden. handelt werden. Insofern ist entscheidend, wie die Bun- desregierung mit diesen Menschen umgeht, verehrte Der Herr Finanzminister hat zum Beispiel gesagt, man Kolleginnen und Kollegen. solle dann investieren, wenn man in der Krise steckt. Das sei gelebter Keynesianismus. Ich glaube, da hat er Keynes (Beifall bei der LINKEN) falsch verstanden. Es geht darum, den Konjunkturzyklus zu glätten. Das heißt, man muss vorher investieren, damit Deswegen ist die Frage des Klimawandels eben auch eine man erst gar nicht in der Grütze steckt; denn wenn man Frage der sozialen Gerechtigkeit; denn Sie oder ich, wir drinsteckt, wird es teurer, verehrte Kolleginnen und Kol- können uns eine Wohnung in Berlin-Mitte leisten und legen. dann zum Parlament laufen. Aber Menschen, die sich die Miete in den Innenstädten nicht mehr leisten können, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- können nicht zu ihrem Arbeitsplatz laufen, die sind ange- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wiesen auf Verkehrsmittel. Vor diesem Hintergrund ist es ein sehr deutliches Signal, wenn Sie in diesem Haushalt Der Kollege Binding hat ein Argument genannt, das 50 Milliarden Euro für Rüstung einplanen, aber nur 1 Mil- ich schon ernster nehme. Er hat gesagt: Wir haben ja liarde Euro für den sozialen Wohnungsbau. keine Kapazitäten in der Bauwirtschaft mehr. – Aber wenn wir mehr investieren würden, dann würde die Bau- (Beifall bei der LINKEN) wirtschaft auch mehr Kapazitäten vorhalten; denn sie Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal die braucht Planungssicherheit für ihre Investitionen. Deswe- Frage wiederholen, die ich hier bereits am Dienstag ge- gen ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Geld in die Hand zu stellt habe. Die Verteidigungsministerin – eben war sie nehmen. noch da – beharrt ja auf dem Ziel, 2 Prozent des Brutto- (Beifall bei der LINKEN – Eckhardt Rehberg inlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Ich stelle hier [CDU/CSU]: Die kriegen aber keine Leute! noch einmal die Frage: Was passiert denn, wenn das Brut- Das ist das Problem!) toinlandsprodukt sinkt? Der Finanzminister hat davon gesprochen, dass wir (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Eine sehr Zukunftsoptimismus bräuchten. Er hat Roosevelt zitiert. gute Frage!) Da bin ich sehr gerne bei Ihnen. Denn was hat Roosevelt Werden wir dann eigentlich die Rüstungsausgaben nach gesagt? Er hat gesagt: Wir müssen die Reichen in diesem unten fahren? Das ist doch eine berechtigte Frage, auf die Land endlich besteuern, wir müssen die Arbeitnehmer (B) ich hier in dieser Debatte noch überhaupt keine Antwort schützen, und wir müssen öffentliche Investitionen auf- (D) gehört habe. legen und Zukunftsoptimismus ausstrahlen. – Ich glaube, viele Menschen wünschen sich ein Land, in dem sie Bus- (Beifall bei der LINKEN) se und Bahnen besser benutzen können. Aber wir zäumen Es gibt zahlreiche Ökonomen wie den arbeitgeberna- das Pferd doch von der falschen Seite auf, wenn wir zum hen Ökonom Michael Hüther oder den sehr renommierten Beispiel über CO2-Steuern diskutieren, die ein Reicher Ökonom Jens Südekum, die sagen: Das Geld liegt auf der vielleicht wegstecken kann, und dann nicht anfangen, in Straße, weil wir momentan negative Zinsen zahlen. – Das die Bahn zu investieren, damit die Menschen endlich eine heißt, es gibt einige reiche Leute, die zahlen uns sogar Alternative haben. Das müssen wir tun, verehrte Kolle- Geld dafür, die schenken uns Geld, damit sie uns einen ginnen und Kollegen. Kredit geben dürfen. Wenn wir uns heute 1 Euro leihen, (Beifall bei der LINKEN) dann müssen wir morgen 90 Cent zurückzahlen. Die EZB ist mit der Geldpolitik völlig überfordert. Die sind mit Eine letzte Bemerkung. Herr Roosevelt hat auch ge- ihrem Latein am Ende. Von daher ist es völlig verrückt, sagt, es sei schlimmer, vom organisierten Geld regiert zu einerseits die Negativzinsen zu beklagen und andererseits werden als vom organisierten Verbrechen. Insofern ist es hier in Deutschland nicht mehr zu investieren. überhaupt nicht hinnehmbar, dass wir zehn Jahre nach der Finanzkrise und vor der nächsten keine Finanztransak- (Beifall bei der LINKEN) tionsteuer haben, sondern stattdessen eine Steuer, die Ich will in diesem Zusammenhang auch noch mal da- 98 Prozent der Finanztransaktionen ausnimmt. Das sind rauf hinweisen – der Kollege Fricke hat es ja angespro- die Prioritäten dieser Regierung, und das müssen wir der chen –, dass es wirklich Grundschulniveau ist, wenn man Bevölkerung sehr deutlich sagen. hier sagt: Wir investieren 40 Milliarden Euro. – Es gibt ja auch einen Verschleiß, und das Bruttoinlandsprodukt ist Vielen Dank. auch gewachsen. Von daher ist eben die Investitionsquote (Beifall bei der LINKEN) relevant, und da sind wir doch in der OECD unter den Industrienationen absolutes Mittelfeld. Das kann doch nicht der Anspruch für die viertgrößte Volkswirtschaft Vizepräsidentin Claudia Roth: der Welt sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank, Fabio De Masi. – Nächster Redner: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13881

(A) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Europa, mit unserem Planeten hinwollen, liebe Kollegin- (C) Vielen Dank. – Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe nen und Kollegen. Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Haushaltswoche neigt sich dem Ende zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wenn ich die letzten Tage so Revue passieren lasse, fühle Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Gleich mit ich mich, ehrlich gesagt, an eine Zeitreise erinnert; dem ganzen Planeten? Wohl eher mit Deutsch- land!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ach was!) Das Einzige, was Sie noch irgendwie zusammenhält denn diese Haushaltsdebatte hätte auch vor zwölf Mona- und wofür Sie sich hier abfeiern, ist dieses Phantom der ten stattfinden können. Als wäre im letzten Jahr gar nichts schwarzen Null. Ich meine, wir könnten von diesem Pult passiert, legen Sie uns hier einen Haushaltsentwurf vor, aus darüber streiten und diskutieren, ob eine schwarze der überhaupt keine Rücksicht darauf nimmt, dass sich Null sinnvoll ist oder nicht; die Klimakrise weiter verschärft, der keine Rücksicht da- rauf nimmt, dass international die Krisenherde weiter zu- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: nehmen, der keine Rücksicht darauf nimmt, dass der Be- Selbstverständlich!) darf an Investitionen nicht kleiner, sondern deutlich das kann man ja machen. Aber was Sie uns hier vorlegen, größer geworden ist, meine Damen und Herren. Nein, ist kein Haushalt, bei dem die Einnahmen irgendwie die was Sie heute hier vorlegen, zeigt: Sie lügen sich doch Ausgaben decken. Sie nennen das so, aber machen es in die eigene Tasche, wenn Sie von einem guten Haus- selbst nicht. Das zeigt, dass Ihre Haushaltspolitik völlig haltsentwurf sprechen. symbolhaft, völlig inkonsistent geworden ist und am En- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – de nur noch an einem einzigen Symbol hängt, statt Ant- Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Wer hat worten auf die Fragen der Zukunft geben zu wollen. denn damit angefangen?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wissen doch selbst, dass das Dokument, das heute Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe einen auf dem Tisch liegt, überholt ist wie kaum ein Haushalt je 18 Monate alten Sohn, und ich frage mich schon, was zuvor zu diesem Zeitpunkt der Beratungen. für eine Welt wir unseren Kindern überlassen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine Es haben schon mehrere Rednerinnen und Redner ange- mit keinen neuen Schulden zum Beispiel!) sprochen: Klimaschutz ist in diesem Entwurf eine große (B) Was für ein Gespräch werde ich mit meinem Sohn mal (D) Leerstelle. Am 20. September tagen Sie dann. Danach führen, wenn er so alt ist wie ich jetzt? Wenn er mich dann werden Sie sich irgendwie abfeiern und den Menschen fragt: „Papa, was habt ihr damals gemacht, als das Klima erzählen, Sie hätten jetzt die Lösung für alle Probleme. auf diesem Planeten heißer wurde? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Wir haben dachte, ihr feiert mit bei guten Ergebnissen!) völlig verrücktgespielt!) Und dann werden wir im Haushaltsausschuss erst mal Was habt ihr damals gemacht, als der Zusammenhalt auf aufdröseln müssen, was Sie da im Klein-Klein vorhaben. dieser Welt gefährdet war? So geht doch keine wirklich zukunftsgerichtete Klima- politik, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Dr. [AfD]: Verrücktgespielt! Völlig verrückt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was habt ihr damals für den Breitbandausbau, eine mo- Darüber hinaus – das haben wir gestern aus den Me- derne Infrastruktur, für die Basis unseres Wohlstands und dien erfahren – braucht die Bahn plötzlich 3 Milliarden unseren Zusammenhalt gemacht?“, dann will ich meinem Euro mehr. Diese Woche standen die Fachministerinnen Sohn nicht antworten müssen: Wir haben nur darauf ge- und Fachminister hier an diesem Pult und haben ihre achtet, wie unsere Situation bei den Banken aussieht. Wünsche präsentiert und vorgetragen, was sie alles gerne hätten. Aber Vorschläge, wo sie umschichten, woran sie Meine Damen und Herren, Generationengerechtigkeit wirklich arbeiten, wo sie einsparen und wo sie klima- ist doch mehr als eine Null unter Ihrem Haushalt. Gene- schädliche Subventionen streichen können, haben wir rationengerechtigkeit ist doch, wenn wir an morgen den- nicht von ihnen gehört. ken, wenn wir jetzt handeln, wenn wir gegen die Klima- krise angehen, wenn wir in unsere Infrastruktur, in In den letzten Jahren hatten Sie doch eine relativ kom- Zusammenhalt, in Bildung und in Forschung investieren. fortable Situation. Da hatten Sie jedes Jahr Steuermehr- Das alles tun Sie mit diesem Haushaltsentwurf nicht. Wir einnahmen und Mehreinnahmen und noch mal Mehrein- Grüne werden Ihnen in den anstehenden Beratungen auf- nahmen. Das war der Kitt, der Ihre Große Koalition zeigen, was ein wirklich generationengerechter Bundes- zusammengehalten hat. Das war der Kitt, durch den Sie haushalt ist. in den Haushaltsberatungen Geld verteilen konnten: für ein Lieblingsprojekt hier und für ein Lieblingsprojekt Herzlichen Dank. dort. Aber was Sie darüber vergessen haben, ist, dass Sie keinen Plan haben, wo Sie mit diesem Land, mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13882 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wenn wir an das Planungsrecht herangehen, dann nicht (C) Vielen Dank, Tobias Lindner. – Nächster Redner: Eck- nur für die Windkraft, sondern für alle Bereiche der Infra- hardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. struktur in Deutschland. Nur so werden wir an dieser Stelle auch vorankommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Man kann bei den Investitionen immer sagen: Es ist zu Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wenig. Wir haben 2015 Reste von gut 9 Milliarden Euro Wir sollten anlässlich des 30. Jahrestags des Mauerfalls übertragen. Vom Haushalt 2018 zu 2019 waren es gut daran denken, wo wir herkommen. Frau Kollegin 19 Milliarden Euro: Breitbandausbau über 4 Milliarden Lötzsch, ich kann mich noch gut entsinnen, wie ich im Euro, Verkehrsinfrastruktur – zum Glück überjährig – Herbst 1989 von Erfurt nach Berlin gefahren bin und mir 3 Milliarden Euro. So kann ich weiter durchzählen. Dazu dort das Chemiekombinat Bitterfeld oder die Gießerei kommen die Sondermögen. Darauf sind meine Kollegen Barth oder die Werften – mein Vater war Rohrschlosser – eingegangen. Von den 7 Milliarden Euro des Kommunal- und die dortigen Arbeitsbedingungen angesehen habe. investitionsförderungsfonds sind nur 1,6 Milliarden Euro Wenn Sie heute sagen, die Treuhand habe Tausende Ar - abgeflossen. Das erste Kapitel hat 2015 begonnen. Jetzt beitsplätze vernichtet, dann sage ich Ihnen eines: Zu die- kommen die ersten Länder mit der Bitte – wir haben sem Zeitpunkt vor 30 Jahren gab es in ehemaligen DDR schon einmal verlängert –, das über 2020 hinaus zu so gut wie keinen wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz. Die verlängern. Es läuft fünf lange Jahre. Übrigens: Auch Arbeitsbedingungen waren für die allermeisten Arbeit- im ersten Kapitel waren schon energetische Schul- nehmerinnen und Arbeitnehmer miserabel. Wenn Sie sich sanierungen möglich. heute nach 30 Jahren umsehen – ich schaue dabei in Ihre Richtung, Herr Kollege Lindner – und über Deutschland Ich sage meinem Vorredner: Baukapazitäten? Wie wol- reden, dann müssen Sie mit einpreisen, dass 20 Prozent len Sie die denn schaffen? Wissen Sie, ich habe großes unseres Vaterlandes aufgebaut werden mussten. Glück. Ich wohne heute noch dort, wo ich zur Schule (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gegangen bin. Aus meinem alten Schulumfeld gibt es einen Heizungs- und Sanitärmeister, einen Fliesenleger- Kollege Lindner, ich bin seit 2009 im Haushaltsaus- meister. Die kenne ich alle gut. Wenn ich die nicht kennen schuss. Der Forschungs- und Entwicklungsetat zum Bei- würde, würde ich auch bei mir in Mecklenburg-Vorpom- spiel hat sich in anderthalb Jahrzehnten mehr als verdop- mern mehr als ein Jahr warten, bis jemand kommt. Wenn (B) pelt. Wenn ich mir den Verkehrsetat ansehe, muss ich Sie sich die Handwerksberufe ansehen: Heizung, Sanitär (D) sagen: Niemand hat Alexander Dobrindt im Jahr 2013 und Elektro sind heute Hightech. Das ist nicht einfach nur geglaubt, Rohrstock, Kluppe, Gewindeschneider. Das ist ein biss- chen mehr. Im Handwerk sind Dutzende, Hunderte Lehr- (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: stellen frei. Das ist unser Problem. Wir haben nicht nur Dass die Maut kommt!) einen Fachkräftemangel, sondern wir haben auch einen dass wir den Investitionshochlauf schaffen. Alexander Arbeitskräftemangel. Junge Menschen wieder für das Dobrindt hat in seinem ersten Jahr Baufreigaben im Stra- Handwerk zu begeistern, ist eine Aufgabe. Und dann ßenneubau in Höhe von 3,6 Milliarden Euro erreicht. würden wir auch mehr investiv umsetzen. Letztes Jahr waren es nur noch 535 Millionen Euro. Die Ursache dafür, dass die Investitionsmittel nicht abfließen, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der liegt unter anderem bei den Grünen, weil sie jegliche FDP) Planungsbeschleunigung im Bundesrat blockieren. Das Wenn Sie den Kontakt nach draußen nicht ganz ver- ist die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. loren haben, dann werden Sie Bürgermeister finden, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Ihnen entweder sagen: „Ich finde keinen Anbieter auf bei Abgeordneten der SPD) meine öffentliche Ausschreibung“, oder: Es sind Mond- scheinangebote. Wenn Sie einzelne Gewerke betrachten, Auf einmal soll bei der Windkraft Datenschutz außer dann stellen Sie fest, dass es dort in den letzten drei, vier Kraft gesetzt werden. Jetzt wundert man sich, dass sich Jahren Preissteigerungen von 25 Prozent gab. Wer jetzt Bürgerinitiativen der gleichen Mittel bedienen wie die noch mehr Geld ins Schaufenster stellt, der wird die Kos- Initiativen vor 20, 30, 40 Jahren gegen Ortsumgehungen, ten höher treiben. Er wird es immer noch teurer machen. den Ausbau der Elbe usw. usf. Ich habe von den Grünen Wer die mangelnden Humanressourcen erhöhen und die nichts dazu gehört, dass das Tötungsverbot aufgehoben Kostensteigerungen reduzieren will, gerade im öffentli- werden soll, dass die Rote Liste korrigiert werden soll. chen Bereich, dem sage ich: Viel Vergnügen an dieser Sie sind still, weil es um die Windkraft geht. Liebe Kol- Stelle. leginnen und Kollegen, ich finde, das ist ziemlich schein- heilig. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Die EZB hat sich entschieden, den Zins, wenn man sein bei Abgeordneten der SPD – Dr. Tobias Geld dort parken will, bei minus 0,5 Prozent anzusetzen. Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt Ich halte das für hoch problematisch, gerade gegenüber keine Legendenbildung!) Kleinsparern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13883

Eckhardt Rehberg (A) (Beatrix von Storch [AfD]: Anders geht der Dennis Rohde (SPD): (C) Euro eben nicht!) Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Es stellt sich die Frage: Wo legt man sein Geld an? und Kollegen! Wir haben jetzt noch 13 Minuten erste Lesung zu diesem Haushalt plus das, was ich auf meine (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ihre Rettungspolitik sechs Minuten eventuell noch draufpacken muss. beinhaltet genau das!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Übrigens, Herr Kollege, 1,90 Euro entspräche Negativ- zinsen von minus 10 Prozent. Der Zins liegt bei minus Vizepräsidentin Claudia Roth: 0,5 Prozent. Ich bin also bei 99,5 Cent auf 1 Euro. Die Nein. Grundrechenarten sollten Sie beherrschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dennis Rohde (SPD): Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie sollten nicht Einen Versuch war es wert. – Dann haben wir bis zur mit mir in Mathematik konkurrieren!) Bereinigungssitzung am 14. November einiges an Arbeit Die Frage, die sich angesichts des Wirkens der EZB vor uns. Das ist uns klar. Wir wissen: Da kommen noch stellt, ist: Ist das Problem mangelnder Investitionen in Herausforderungen, insbesondere durch das Klimakabi- Europa wirklich der Negativzins? Oder muss man sich nett, auf uns zu. Aber unser Ziel wird sein, Frau Staats- mal damit befassen: In der Förderperiode von 2014 bis sekretärin, dass Ihr Minister in der Schlussrunde der 2020 betrug die Gesamtsumme bereitgestellter Mittel für zweiten Lesung sich aus dem Jahr 2018 zitieren kann, europäische Haushalte 960 Milliarden Euro. Liebe Kol- als er sagte: Das Parlament hat es geschafft, aus einem leginnen und Kollegen, wissen Sie, wie viel Geld nicht guten Haushalt einen noch besseren zu machen. Das ist abgerufen wurde? 280 Milliarden Euro, 30 Prozent, ins- unser Ziel für die Haushaltsverhandlungen in den komm- besondere im Kohäsionsfonds 170 Milliarden Euro. Das enden Monaten. ist mehr als ein Jahreshaushalt der Europäischen Union. (Beifall bei der SPD) Deswegen ist das Gebot der Stunde aus meiner Sicht, nicht ständig zu fordern, die Zinsschraube nach oben zu Wir wissen um die Herausforderungen. Ich habe ge- drehen, sondern zu fordern, endlich in Brüssel für Ent- rade gesagt: Das Klimakabinett tagt noch. Wir warten auf bürokratisierung und die Verwendung dieses Geldes zu die Ergebnisse. Es ist uns bewusst, dass wir danach den sorgen, damit die Wirtschaft in Europa wieder floriert. Ich Haushalt noch einmal werden anfassen müssen. Wir ma- halte es für problematisch, wie mit dem Thema Negativ- chen das nach den Grundsätzen von Haushaltsklarheit zinsen umgegangen wird. und Haushaltswahrheit, wenn die konkreten Projekte (B) auf dem Tisch liegen. Das ist der richtige Weg, liebe (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Kolleginnen und Kollegen. Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der SPD – Ekin Deligöz [BÜND- Eine letzte Bemerkung. Liebe Kollegin Deligöz, es NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ich dachte, Sie kommt schon darauf an, wie man das Klimapaket an- sind der Gesetzgeber!) packt. Bei meinen Nachbarn ist am Wochenende ange- kommen: Sie müssen alle ihre Ölheizungen rausschmei- Ja, wir sind bereit, Geld in die Hand zu nehmen. Denn ßen – Ordnungsrecht. uns ist vollkommen klar: Wir machen es nicht nur, weil wir es können – wie der Finanzminister richtigerweise (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE gesagt hat –, sondern wir machen es auch, weil es unsere GRÜNEN]: So ein Quatsch!) Verantwortung für künftige Generationen ist, einen intak- ten Planeten zu übergeben. Das kann man negieren, das Ich sag dir ganz genau: Mein Haus ist 1988 gebaut. Damit kann man ausblenden, und das kann man verleugnen, passe ich in kein EnEV bei der KfW. Wenn ich etwas aber die Aufgabe ist da, und die Verantwortung ist klar. machen will, dann kann ich das Haus eigentlich nur ab- Diejenigen, Herr Boehringer, die negieren, die ausblen- reißen oder zu Kosten sanieren, die nicht mehr vertretbar den und die verleugnen, sind eben nicht bereit, sich der sind. Die Häuser meiner Nachbarn – beide sind Rentner – Verantwortung für die Menschen in diesem Land und auf sind 80 Jahre bzw. 120 Jahre alt. Was sagen wir diesen diesem Kontinent zu stellen. Sie sollten sich selbst hinter- Menschen? Ich kann mich nur Worten der Kanzlerin vom fragen, was Sie hier eigentlich machen, liebe Kolleginnen Mittwoch anschließen: Man sollte gelegentlich nicht mit und Kollegen. so viel Arroganz dem ländlichen Raum gegenübertreten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Herzlichen Dank. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie GRÜNEN) bei Abgeordneten der SPD) Was in den politischen Debatten der letzten Jahre – ich bin seit sechs Jahren Mitglied des Deutschen Bundesta- Vizepräsidentin Claudia Roth: ges – auffällt: Es gibt immer ein mediales Megathema, ein Vielen Dank, Eckhardt Rehberg. – Nächster Redner für Thema, das in der Wahrnehmung über allen anderen die SPD-Fraktion: Dennis Rohde. schwebt. Das vermittelt den Eindruck, wir würden uns hier nur mit diesem einen Thema beschäftigen. Solche (Beifall bei der SPD) Themen waren in den letzten sechs Jahren die Griechen- 13884 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Dennis Rohde (A) land-Hilfe, TTIP, die Migration, und jetzt ist es der Kli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) maschutz. Ich finde, das wird der Komplexität der Debat- CDU/CSU) ten, die wir hier führen, nicht gerecht; Ja, wir wollen eine Grundrente für Menschen, die ihr (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Leben lang gearbeitet und sich in diese Gesellschaft ein- CSU und der FDP) gebracht haben; denn wir dürfen nicht zulassen, dass ge- rade diese Menschen am Ende mit kleinen Minirenten denn wir beschäftigen uns mit vielen Themen, die das abgespeist werden. Und ja, wir als Sozialdemokraten Leben der Menschen konkret betreffen, derer wir uns an- wollen das ganz ohne Bedürftigkeitsprüfung. nehmen müssen, und das sind oft Themen der Gerechtig- keit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will als Beispiel die Wohnungsnot ansprechen. Ich will deutlich sagen: Ich bin es langsam leid, immer Wohnungsnot, Wohnungsmangel führt in den Städten über die Gattin des Mannes zu diskutieren. Ich finde, im zu teilweise dramatischen Mietsteigerungen. Wir wissen: Jahr 2019 sollten wir endlich mal aufhören, Frauen immer Wir müssen dagegensetzen, bauen, bauen, bauen, aber wieder über ihre Männer zu definieren, liebe Kolleginnen auch den ländlichen Raum stärken. Genau deswegen ge- und Kollegen. ben wir 1 Milliarde Euro in den sozialen Wohnungsbau, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten um die Länder bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Aber der FDP) wir erwarten eben auch, dass die Länder ihren Teil dazu beitragen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sind nicht im Jahr 1950. Wenn eine Frau – und das betrifft hauptsächlich Frauen – ihr Leben lang gearbeitet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hat, dann hat sie sich selbst einen Anspruch erarbeitet. Ich der CDU/CSU) finde, sie muss es sich wahrlich nicht gefallen lassen, von uns wieder auf ihren Mann reduziert zu werden, liebe Natürlich müssen wir in dieser Debatte auch sagen: Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen den ländlichen Raum stärken, eben auch, um Städte zu entlasten. Ich will das deutlich machen: (Beifall bei der SPD) Natürlich braucht man in diesem Land an jeder Milch- kanne schnelles Internet, nicht für die Milchkanne, aber Wir haben uns vorgenommen, die Bezieher kleiner und für das Haus, das dahintersteht, in dem Menschen woh- mittlerer Einkommen in diesem Land zu entlasten, indem nen. Sie sollen ihr Leben gestalten können und für schnel- wir den Solidaritätszuschlag abschaffen. Wir werden ab 2021 90 Prozent der Menschen in diesem Land davon (B) les Internet eben nicht in die Städte ziehen müssen. Ich (D) finde, auch das ist unsere Aufgabe als deutsches Parla- entlastet haben. Frau Hessel, ich fand das, was Sie gerade ment. gesagt haben, verräterisch. Sie meinten, wir hätten die Leistungsträger in dieser Gesellschaft außen vor gelassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich finde, die Leistungsträger in dieser Gesellschaft, die der CDU/CSU) Erzieherinnen und Erzieher, die Pflegerinnen und Pfleger und die Handwerker, entlasten wir mit diesem Gesetz. Wir stärken mit diesem Haushalt Familien. Wir inves- Deshalb ist es richtig und wichtig und gut so, wie wir tieren in Kindergärten, wir investieren in Kinderkrippen, das tun. wir haben in dieser Koalition das Kindergeld erhöht, wir haben das Gute-KiTa-Gesetz und das Starke-Familien- (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Und Gesetz verabschiedet. Das ist ein substanzieller Beitrag, die anderen sind keine Leistungsträger?) damit Familien ihr Leben individuell und frei planen kön- nen. Das ist ein Stück gelebte Gerechtigkeit, und auch Ich finde, es wäre ein verheerendes Zeichen, jetzt die dafür steht diese Koalition. Topmanager in diesem Land, die ein Gehalt von 100 000 Euro oder mehr beziehen, mit Steuerentlastun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen zu belohnen. der CDU/CSU) (Otto Fricke [FDP]: Dann seid ihr als Ich will etwas ansprechen, was nicht im medialen Fo- Abgeordnete Topmanager, oder was?) kus steht, was aber viele Menschen in diesem Land be- Ich will am Ende auch Folgendes sagen: Die Mütter trifft: das von Hubertus Heil gerade angesprochene An- und Väter des Grundgesetzes haben uns in die Verfassung gehörigen-Entlastungsgesetz. Wir erleben, dass in diesem geschrieben, dass Deutschland ein sozialer Bundesstaat Land Menschen für pflegebedürftige Elternteile zahlen ist. Daraus leitet sich die Aufgabe ab, relative Armut zu müssen, zu denen sie im Zweifel nie eine elterliche Be- bekämpfen. Und relative Armut bekämpft man, indem ziehung hatten, und sie müssen zahlen, obwohl sie am man die Reichen in diesem Land stärker besteuert als Ende des Monats eigentlich jeden Euro für sich selbst die Ärmeren. Das, was wir machen, ist nicht nur politisch und ihre Familien bräuchten. Der Gesetzesvorschlag die- klug; es ist sogar verfassungsrechtlich geboten. ser Regierung wird dazu führen, dass das Gros dieser Menschen von diesen Kosten freigestellt wird. Auch Vielen Dank, liebe Kollegen. das ist konkrete Politik für viele Menschen in diesem Land, konkrete Politik für mehr Gerechtigkeit in diesem (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Land. Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13885

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: nen Euro – liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, (C) Vielen Dank, Dennis Rohde. – Die letzte Rednerin in auch das sind übrigens Investitionen –, und über den dieser lebendigen Debatte: für die CDU/CSU Antje Mietwohnungsneubau und steuerliche Sonderabschrei- Tillmann. bungen werden Investitionen in Höhe von über 2 Milliar- den Euro erfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bundesrat hat sich lange gewehrt, dem Gesetz zu- Antje Tillmann (CDU/CSU): zustimmen; im Juni ist das Gesetz endlich in Kraft ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! treten. Das heißt, auch Mietwohnungen können steuerlich Verehrte Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche begünstigt saniert und neu gebaut werden. Das ist ein viel erlebt: Die FDP hat uns Gedichte vorgetragen, guter Schritt für die Mieterinnen und Mieter, und ich bin froh, dass uns das gelungen ist. (Otto Fricke [FDP]: Die ihr nicht kanntet!) (Beifall bei der CDU/CSU) die Linken finden Investitionen nur dann interessant, wenn sie im Bundeshaushalt stehen, und die AfD findet Zum selben Thema gehört die Reform der Grundsteuer. Das ist die größte Reform für die Mieterinnen, Mieter und alles Mist und zeigt mit dem Satz, CO2 sei eine gute Gabe Gottes, nur, dass sie weder das Klima noch den christ- Kommunen in dieser Legislaturperiode. Ich verspreche lichen Glauben verstanden hat; denn die Bewahrung der Ihnen, dass wir alles, was in unserer Hand liegt, versu- Schöpfung gehört zu meinem christlichen Glauben auf chen werden – hoffentlich auch schaffen werden –, damit jeden Fall mit dazu. die Mieten dadurch nicht steigen. Liebe Kollegin Lötzsch, ich garantiere Ihnen auch, dass wir es nicht zu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lassen werden, dass Mieterinnen und Mieter demnächst neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE eine Vermögensteuer auf Gebäude zahlen müssen; denn GRÜNEN) es ist doch völlig klar: Derjenige, der die Vermögensteuer auf ein Mietgrundstück zahlen muss, legt sie sofort auf Richtig ist, dass dieser Haushaltsentwurf – ich betone: die Mieten um. – Sie wollen die Mieterinnen und Mieter wir fangen gerade erst mit der Debatte an – ein guter entgegen dem, was Sie immer erzählen, weiter belasten. Dreiklang aus Bürgerentlastung, Investitionen und Haus- Das werden wir nicht zulassen. Wir wollen, dass das Mie- haltskonsolidierung ist. In diesem Haushalt entfaltet näm- ten nicht weiter verteuert wird, und deshalb ist das mit uns lich das Familienentlastungsgesetz erstmalig seine volle nicht zu machen. Wirkung. Durch das Kindergeld, den Kinderfreibetrag und den Kinderzuschlag entlasten wir die Familien (Beifall bei der CDU/CSU) (B) 2020 um 2,2 Milliarden Euro. Mit demselben Gesetz ent- (D) lasten wir alle Bürgerinnen und Bürger um weitere 2 Mil- Liebe Kollegin Hessel, ich bin sehr gespannt darauf, liarden Euro von der kalten Progression. Das, was jahr- wann das erste Mal in einem Bundesland das Abwei- zehntelang ein Thema war, gibt es seit sechs Jahren nicht chungsrecht in Anspruch genommen wird. Die Bayern mehr. Wir neutralisieren die kalte Progression, die werden das Grundsteuergesetz hoffentlich einfacher ge- schleichende Steuererhöhung, jedes Jahr – auch in diesem stalten, als es im Bundesgesetz vorgesehen ist. Sie regie- Haushalt wieder. Das sind 2 Milliarden Euro, die wir den ren in den Ländern mit. Ich hoffe, dass wir das demnächst Bürgerinnen und Bürgern zurückgeben. ausprobieren können, um auch da Verwaltungskosten zu sparen. Das wäre in unserem Sinne. Wir haben mehr Fö- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deralismus, wir haben den Ländern diese Kompetenz ge- geben, und das ist auch gut so. Darüber hinaus entlasten wir die Bürger mit der weitgehenden Abschaffung des Solidaritätszuschlags (Beifall bei der CDU/CSU) für über 90 Prozent der Steuerpflichtigen um weitere 10 Milliarden Euro. Das sind 10 Milliarden Euro, die Wir haben die Familien weiter entlastet. Nachdem wir die Bürgerinnen und Bürger mehr zur Verfügung haben. in den vergangenen Jahren für den Neubau von Kinder- gärten und für die Sanierung von Schulen gesorgt haben, In der Summe sind das bis 2021 20 Milliarden Euro, investieren wir jetzt mit dem Gute-KiTa-Gesetz 5,5 Mil- mit denen die Bürgerinnen und Bürger investieren, Ver- liarden Euro nach unserem Wunsch in die Qualität der mögen anschaffen oder sonstige Bedürfnisse erfüllen Kindergärten: durch einen anderen Fachkräfte-Kind- können. Das ist in einer Zeit, in der die Wirtschaft nicht Schlüssel, durch mehr Qualität bei den Fachkräften. In mehr so wächst, wie wir uns das wünschen, gut angele- einigen Ländern werden die Elternbeiträge gesenkt. Ich gtes Geld; weil auch sie investieren und konsumieren und will das gar nicht schlechtreden, aber ich hoffe, dass die damit die Wirtschaft ankurbeln. Qualität dabei nicht auf der Strecke bleibt. Das sind ins- gesamt 5,5 Milliarden Euro, die auch den Familien zugu- (Beifall bei der CDU/CSU) tekommen, weil die Eltern in Ruhe arbeiten gehen kön- Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger um den nen, da sie wissen, ihre Kinder sind gut betreut. Hauptkostenfaktor. In vielen Haushalten ist gar nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mehr die Steuer das Problem, sondern das Wohnen ist der SPD) teuer geworden, und in diesem Bereich setzen wir auch in diesem Haushalt einen Schwerpunkt. Der soziale Woh- Dasselbe gilt für das Thema Schule. Mit dem Digital- nungsbau wird mit 2 Milliarden Euro unterstützt, durch Pakt Schule stellen wir sicher, dass die Schule im heuti- das Baukindergeld entlasten wir Familien um 860 Millio- gen Zeitalter auch ankommt und die Digitalisierung in der 13886 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

Antje Tillmann (A) Schule zu einem Grundthema wird, damit die jungen (Beifall der Abg. Britta Katharina Dassler (C) Menschen lernen, die digitalen Medien in der Bildung [FDP]) zu akzeptieren, um ihr Berufsleben gut anfangen zu kön- nen. Daneben nenne ich das BAföG, die Verbesserung Diese Reform brauchen wir gar nicht hinsichtlich einer des Bildungspaktes, das Wohngeld und unzählige Einzel- großen finanziellen Entlastung, sondern weil wir struktu- gesetze. Dadurch wird den Bürgerinnen und Bürgern ein relle Probleme in den Unternehmen haben. Ich nenne die Teil der Steuern, die sie vorher entrichtet haben, wieder Stichworte „Thesaurierungsbegünstigung“, „rechtsform- zurückgegeben. neutrale Besteuerung“, aber auch „Hinzurechnungsbe- steuerung beim Außensteuerrecht“. Das alles kann man Bleibt das Thema Investitionen – in dieser Debatte ein tun, ohne dafür große Mittel in die Hand zu nehmen. Eine sehr intensiv diskutiertes Thema –: Gerade die Linken solche Reform ist erforderlich. haben immer wieder beanstandet, dass die Investitions- mittel im Bundeshaushalt nicht ausreichen. Zur Frage, wie wir das finanzieren – dazu haben meh- rere Redner schon etwas gesagt –: Nach dem Auslaufen (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Stimmt ja des Länderfinanzausgleichs 2020 stellt der Bund den auch!) Ländern zusätzlich zu den höheren Umsatzsteuereinnah- Mit 40 Milliarden Euro sind sie so hoch wie nie. Wenn Sie men 10 Milliarden Euro an finanziellen Mitteln zur Ver- die über 10 Milliarden Euro dazurechnen, die wir privat fügung. Das ist, glaube ich, hinreichend, damit die Länder dadurch akquirieren, dass Bürgerinnen und Bürger inves- künftig ihren Aufgaben wieder selbst nachkommen und tieren, ist das eine Investitionsquote auf Rekordniveau. wir uns auf die Bundesaufgaben konzentrieren können. Der Etat des Bundesforschungsministeriums mit Das ist wirtschaftliche Konsolidierung. Das ist auch 18 Milliarden Euro investiert natürlich mit Bildung und Klimaschutz. Das Geld bekommen wir zusammen. Es Forschung ebenfalls in die Zukunft. Allein die Program- steht zur Verfügung, weil wir in den letzten Jahren gut me ZIM und INNO-KOM mit 870 Millionen Euro für gewirtschaftet haben. Machen wir uns an die Aufgaben Unternehmen führen dazu, dass auch in Zukunft Investi- heran! tionen in Bildung und Forschung möglich sind. Wir werden im nächsten Monat die steuerliche For- Ich danke Ihnen. schungsförderung weiter beraten und sie auf den Weg (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. bringen. Wir möchten, dass mittelständische Unterneh- Britta Katharina Dassler [FDP]) men es sich leisten können, zu forschen, damit sie auch morgen noch wettbewerbsfähig sind. Ich sage an dieser (B) Stelle schon einmal zu, dass wir auf jeden Fall in diesem Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) Gesetz auch die Auftragsforschung verankert haben Vielen Dank, Antje Tillmann. – Damit schließe ich die möchten. Wir wollen, dass davon nicht nur große Kon- Aussprache. zerne profitieren; das ist gut. Aber wir wollen auch, dass sich der Mittelstand über Auftragsforschung Investitio- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf nen und Innovationen einkaufen kann. Hier ist noch Dis- den Drucksachen 19/11800 und 19/11801 an den Haus- kussionsbedarf. haltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beschlossen. neten der SPD und der Abg. Britta Katharina Dassler [FDP]) Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung, wir sind am Schluss der Haushaltswoche angekommen. Letzter Punkt: Haushaltskonsolidierung. Bei allem Ge- rede über Krise: Dieser Bundeshaushalt ist so aufgestellt, Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- dass wir gut reagieren können, wenn der wirtschaftliche tages auf Mittwoch, den 25. September 2019, 13 Uhr, ein. Abschwung sich tatsächlich manifestiert. Ich sage gerne – dafür wird der Koalitionspartner Verständnis haben –: Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende. Die Wir halten es für erforderlich, eine Unternehmensteuerre- Sitzung ist geschlossen. form auf den Weg zu bringen, um diesen Abschwung möglichst abzuflachen. (Schluss: 14.07 Uhr)

Berichtigung 112. Sitzung, Seite 13783 C, dritter Absatz: Erster und zweiter Satz sind wie folgt zu lesen: „Wir haben auch für den Fonds „Sexueller Missbrauch“ einiges getan. Wir haben die Mittel um 28 Millionen Euro auf 45 Millionen Euro erhöht.“ Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13887

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Abgeordnete(r) Entschuldigte Abgeordnete Rabanus, Martin SPD

Abgeordnete(r) Roth (Heringen), Michael SPD Rupprecht, Albert CDU/CSU Bär, Dorothee CDU/CSU Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Dassler, Britta Katharina FDP Schiefner, Udo SPD Esken, Saskia SPD Schmid, Dr. Nils SPD Freitag, Dagmar SPD Schulz, Jimmy FDP Freudenstein, Dr. Astrid CDU/CSU Todtenhausen, Manfred FDP Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Gabriel, Sigmar SPD Weber, Gabi SPD Gerdes, Michael SPD Weiler, Albert H. CDU/CSU Gminder, Franziska AfD Weisgerber, Dr. Anja CDU/CSU Grötsch, Uli SPD Werner, Katrin DIE LINKE Hagl-Kehl, Rita SPD Zeulner, Emmi CDU/CSU Hartmann, Sebastian SPD (B) (D) Hendricks, Dr. Barbara SPD *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Hess, Martin AfD Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Anlage 2 Holtz, Ottmar von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Jensen, Gyde * FDP Der Bundesrat hat in seiner 979. Sitzung am 28. Juni 2019 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen Kamann, Uwe fraktionslos bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grund- gesetzes nicht zu stellen: Kemmerich, Thomas L. FDP – Gesetz zur Anpassung der Berufsausbildungsbei- Lischka, Burkhard SPD hilfe und des Ausbildungsgeldes Magwas, Yvonne CDU/CSU – Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäf- tigung von Ausländerinnen und Ausländern – Aus- Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU länderbeschäftigungsförderungsgesetz Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU – Drittes Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleis- tungsgesetzes Mattheis, Hilde SPD – Viertes Gesetz zur Änderung des Agrarstatistikge- Meyer, Christoph FDP setzes Mieruch, Mario fraktionslos – Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleis- tungsmissbrauch Nahles, Andrea SPD – Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelver- Petry, Dr. Frauke fraktionslos sorgung Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung ge- Post, Florian SPD fasst: 13888 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

(A) Zu Artikel 1 Nummer 13 (§ 43 Absatz 3a AMG) sollte auch mit weniger drastischen Eingriffen in die Ver- (C) sorgung dieser sensiblen Patientengruppe erreichbar sein. Der Bundesrat stellt fest, dass die Versorgung der Hämo- philen in Deutschland über die Heimselbstbehandlung Um dem berechtigten Anliegen nach Preistransparenz international anerkannt und seit Jahrzehnten etabliert ist. Rechnung zu tragen, können die einzelnen Krankenkas- sen bilaterale Rabattverträge nach § 130a SGB V oder Der Bundesrat befürchtet, dass die Änderungen des AMG § 130c SGB V abschließen und im Gegenzug eine aus- eine Schwächung der Zentrumsversorgung zur Folge ha- reichende Honorierung der Zentren grundsätzlich über ben, weil die enge Bindung zwischen Zentrum und Pati- Versorgungsverträge sicherstellen. Inhaltlich ergänzt ent durchbrochen wird. wird dies durch die Änderung des § 132i SGB V. Nach Der Bundesrat erinnert an den Beschluss der 81. Gesund- dieser schließen Krankenkassen oder deren Landesver- heitsministerkonferenz (GMK) zur Absicherung und bände Versorgungsverträge mit ärztlichen Einrichtungen, Stärkung der Hämophiliebehandlung in Deutschland. die auf die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Die GMK stellte einstimmig fest, dass sich die Heim- Hämophilie durch hämostaseologisch qualifizierte Ärzte selbstbehandlung der Bluterpatientinnen und -patienten spezialisiert sind. grundsätzlich bewährt hat und dass dabei die Abgabe der Gerinnungsfaktorenkonzentrate durch die hämosta- – Gesetz zum Ersten IT-Änderungsstaatsvertrag seologisch qualifizierten Ärzte an ihre Patienten nach – Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Aus- § 47 AMG eine wichtige Rolle spielt. Die GMK bat zu- reisepflicht gleich die Kultusministerkonferenz, sich für den Erhalt und die Stärkung der Hämophiliebehandlung in interdis- – Zweites Gesetz zur Verbesserung der Registrierung ziplinären Behandlungszentren (Comprehensive Care und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asyl- Centres, CCC) an den Universitätskliniken einzusetzen. rechtlichen Zwecken (Zweites Datenaustauschver- besserungsgesetz – 2. DAVG) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das mit der Rege- lung beabsichtigte Ziel, den „aktuellen Entwicklungen in – Gesetz zur Entfristung des Integrationsgesetzes der spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie Rechnung zu tragen“, auch mit weniger dras- – Fachkräfteeinwanderungsgesetz tischen Eingriffen in die Versorgung dieser sensiblen Pa- – Gesetz über die Duldung bei Ausbildung und Be- tientengruppe erreichbar wäre. schäftigung Begründung: Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung ge- (B) Die Möglichkeit der Direktabgabe von Gerinnungspräpa- fasst: (D) raten durch Ärzte, die mit dem Transfusionsgesetz von 1998 im AMG verankert worden ist, dient vor allem einer a) Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem Gesetz über qualitätsgesicherten Abgabe mit der damit einhergehen- Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung geflüch- den gründlichen Dokumentation durch die Ärzte und ist teten Menschen in Arbeit und Ausbildung ein rechts- heute Grundlage einer sicheren und qualitativ hochwerti- sicherer Aufenthalt ermöglicht werden soll. gen Versorgung der Patienten. b) Nach Auffassung des Bundesrates sind Regelungen Die Änderung des Vertriebswegs hätte eine erhebliche erforderlich, die für Menschen, die sich bereits in Aus- Schwächung der Zentrumsversorgung zur Folge, weil bildung und Beschäftigung befinden oder die eine die enge Bindung zwischen Zentrum und Patient durch- Ausbildungs- oder Beschäftigungsstelle konkret in brochen würde. Die damit verbundene Verlagerung der Aussicht haben, und für die Betriebe, die geflüchtete Versorgung ist aus ärztlicher Perspektive genauso wenig Menschen ausbilden und beschäftigen wollen, Rechts- wünschenswert wie aus Sicht des Patienten. Dies bestä- und Planungssicherheit schaffen. tigten die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkom- c) Der Bundesrat bedauert, dass die Anregungen des mission der deutschen Ärzteschaft in ihrer Stellungnahme Bundesrates in seiner Stellungnahme in BR-Drucksa- zum Referentenentwurf des Gesetzes für mehr Sicherheit che 8/19 (Beschluss) in weiten Teilen nicht aufgegrif- in der Arzneimittelversorgung. An der grundsätzlichen fen wurden und befürchtet, dass aufgrund der weiter- Kritik ändern auch geringfügige Nachbesserungen des hin im Gesetz vorgesehenen Zugangshürden und Gesetzentwurfs nichts. Ausschlüsse vielen Personen, die voraussichtlich län- Die Änderungen würden zudem dazu führen, dass inno- gerfristig in Deutschland bleiben werden, der Zugang vativen Versorgungsverträgen zwischen Krankenkassen zur Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung ver- und Hämophiliezentren die Grundlage entzogen wird. wehrt bleiben wird. Solche Verträge gibt es mittlerweile flächendeckend mit den Ersatzkassen (vdek-Vertrag) sowie mit einigen regio- d) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sorgfältig nalen AOKen und Betriebskrankenkassen. Bei diesen zu beobachten, in welchem Umfang die Duldung bei Verträgen wird auch der wirtschaftliche Einsatz der Arz- Ausbildung und Beschäftigung tatsächlich in An- neimittel zur Vertragsgrundlage gemacht. spruch genommen wird, vor allem aber, in welchem Umfang und in welchen Fällen die neu geschaffenen Das mit der Regelung beabsichtigte Ziel, den „aktuellen Duldungstatbestände nicht greifen, wobei auch die Entwicklungen in der spezifischen Therapie von Gerin- Auswirkungen der Befristung der Regelungen in den nungsstörungen bei Hämophilie Rechnung zu tragen“, Blick genommen werden sollten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019 13889

(A) e) Die Wirkung der Regelungen sollte zeitnah überprüft Bericht über die Entwicklung der Menschenrechts- (C) und gegebenenfalls ein Gesetz vorgelegt werden, mit situation in Deutschland (Berichtszeitraum Juli dem in Anlehnung an die Vorschläge des Bundesrates 2016 bis Juni 2017) in seiner Stellungnahme in BR-Drucksache 8/19 (Be- schluss) der Zugang zur Duldung bei Ausbildung und Drucksache 19/172 Beschäftigung verbessert und erweitert wird. – Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Men- schenrechte f) Bei der Prüfung sollte auch berücksichtigt werden, welche Auswirkungen die neu geschaffenen Regelun- Jahresbericht 2017 gen zur Beschränkung des Zugangs zu Beschäftigung und der Anrechnung von Duldungszeiten in Fällen, in Drucksache 19/6492 denen von einer ungeklärten Identität ausgegangen – Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Men- wird, auf die Integration von geflüchteten Menschen schenrechte in den Arbeitsmarkt haben. Bericht über die Entwicklung der Menschenrechts- – Gesetz zur nachhaltigen Stärkung der personellen situation in Deutschland im Zeitraum Juli 2017 bis Einsatzbereitschaft der Bundeswehr (Bundeswehr- Juni 2018 Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz – BwEinsatz- BerStG) Drucksache 19/6493 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/ geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdo- 2370 vom 14. Dezember 2016 zur Änderung der kumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Richtlinie 2012/34/EU bezüglich der Öffnung des tung abgesehen hat. Marktes für inländische Schienenpersonenver- kehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahn- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz infrastruktur Drucksache 19/910 Nr. A.24 Ratsdokument 11011/17 – Gesetz zur Erteilung der Zustimmung nach § 7 Ab- Drucksache 19/910 Nr. A.25 satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 des Integrations- Ratsdokument 12181/17 verantwortungsgesetzes zu dem Vorschlag einer Drucksache 19/4344 Nr. A.17 KOM(2018)364 endg. Satzungsänderung der Europäischen Investitions- Drucksache 19/10784 Nr. A.4 bank vom 19. März 2019 KOM(2019)198 endg.

(B) – Gesetz zu der Vereinbarung vom 10. Oktober 2018 Finanzausschuss (D) zwischen der Regierung der Bundesrepublik Drucksache 19/910 Nr. A.33 Deutschland und der Regierung der Republik Polen Ratsdokument 10363/17 Drucksache 19/910 Nr. A.34 über Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strate- Ratsdokument 10582/17 gische Umweltprüfungen im grenzüberschreiten- Drucksache 19/910 Nr. A.35 den Rahmen (Vertragsgesetz zur Deutsch-Polni- Ratsdokument 10654/17 schen Vereinbarung über Umweltprüfungen) Drucksache 19/910 Nr. A.36 Ratsdokument 10850/17 – Gesetz zu dem Protokoll vom 6. Februar 2019 zum Drucksache 19/910 Nr. A.40 Ratsdokument 12431/17 Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik Drucksache 19/910 Nr. A.46 Nordmazedonien Ratsdokument 16011/17 Drucksache 19/1382 Nr. C.1 – Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwoh- Ratsdokument 8890/17 nungsneubaus Drucksache 19/1780 Nr. A.7 Ratsdokument 6988/18 – Drittes Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig- Drucksache 19/1780 Nr. A.9 keitsgesetzes Ratsdokument 7064/18 Drucksache 19/1780 Nr. A.10 Ratsdokument 7066/18 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie ge- Drucksache 19/1930 Nr. A.5 mäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Ratsdokument 7407/18 Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen abse- Drucksache 19/4978 Nr. A.13 hen: Ratsdokument 12111/18 Drucksache 19/5665 Nr. A.1 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Ratsdokument 13166/18 Drucksache 19/10784 Nr. A.6 Hilfe Ratsdokument 9200/19 – Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Men- Haushaltsausschuss schenrechte Drucksache 19/10072 Nr. A.8 EU-Dok 123/2019 Jahresbericht 2016 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 19/171 Drucksache 19/3112 Nr. A.44 Ratsdokument 9075/18 – Unterrichtung durch das Deutsche Institut für Men- Drucksache 19/10072 Nr. A.17 schenrechte EP P8_TA-PROV(2019)0329 13890 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2019

(A) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (C) Drucksache 19/5999 Nr. A.18 Ratsdokument 13537/18 Drucksache 19/5999 Nr. A.20 Ratsdokument 13544/18

(B) (D)

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