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SPIEGEL-GESPRÄCH „Zwischen Himmel und Hölle“ Der deutsche Trainer , 47, über seinen neuen Job bei Real Madrid, den Umgang mit hochbezahlten Primadonnen und seine Versuche, verletzte Spieler mit Gebeten zu heilen

SPIEGEL: Herr Schuster, seit zwei Monaten Schuster: Ich darf mich davon nicht beein- gehofft, dass die Erfolge schneller kommen. trainieren Sie das komplizierte Starensem- flussen lassen. Die Spieler passen genau Durch den Trainerwechsel und viele neue ble von Real Madrid. Was passiert, wenn auf, ob ich plötzlich meine Linie verlasse, Spieler hat sich auch die Philosophie geän- Ihnen da eigenwillige Spielertypen begeg- ob ich hilflos wirke. Das haben wir früher dert. Es ist wie bei einer Firma, wenn neue nen, wie Sie einer waren? auch gemacht. Man darf der Presse auch Leute kommen, da braucht man Zeit. Schuster: Viele Trainer waren nicht gerade nicht das Gefühl geben, dass sie einen SPIEGEL: Ihre Fußball-Philosophie scheint froh, einen Bernd Schuster in ihrer Mann- schon erwischt haben. Klare Antworten sich vom etwas hektischen Direktspiel zu schaft zu haben. Aber es war nicht alles geben, souverän sein – es geht nicht anders unterscheiden, das heute in der schlecht, und ich habe heute gern mit sol- auf so einer Etage. gepflegt wird. Mögen Sie keinen Power- chen Typen zu tun. Lieber jedenfalls als SPIEGEL: Als Sie dann nach dem 5:0-Sieg Fußball? mit lustlosen, blutarmen Spielern, die nur bei Villarreal als Heiliger gefeiert wurden, Schuster: Am Fußball meiner Mannschaf- dastehen und gucken. Das ist viel schlim- reagierten Sie ebenso gelassen. In Deutsch- ten soll man gleich erkennen: Da ist der mer, als wenn mal einer durchdreht. land hat man Sie eher als Kauz in Erinne- Schuster Trainer. Gut, Real Madrid muss SPIEGEL: Haben Sie in Madrid Spieler, in rung, dem man die nötige Lockerheit auf offensiv spielen, das wird verlangt, aber denen Sie sich selbst erkennen? diesem Parkett nicht zutraut. das ist ja nicht alles. Wir dürfen nicht be- Schuster: ist so einer. Oder auch Raúl Schuster: Ich wusste eben, was mich er- rechenbar sein. Ich will das variable Spiel. und Cannavaro. Unseren Neuzugang Wes- wartet. Es ist schon ein kleiner Vorteil, dass Wir müssen auch mal Konter spielen, dem ley Sneijder halten viele für einen einfa- ich bei Real gespielt habe. Und dass ich aus Gegner die Arbeit überlassen. Ich muss chen, lieben Jungen, aber der kann verbal Spanien die Spieler kenne. Guti und Raúl von einer Spitzenmannschaft verlangen auch ganz schön zulangen. Das ist okay. brauche ich nur anzuschauen, dann weiß können, in unterschiedlichen Situationen Ich frage mich dann oft: Was hätte ich jetzt ich, wie sie beieinander sind. Ich hatte auch passende Entscheidungen zu treffen. als Spieler vom Trainer gebraucht? Kon- frontation war meistens verkehrt. Wichtig war, dass man mich in die Verantwortung nahm. Dass ich auch mal gelobt, dann aber wieder gezügelt wurde. SPIEGEL: Warum hatten Sie so oft ein schwieriges Verhältnis zu Ihren Trainern? Schuster: Ich hatte nur Probleme mit Trai- nern, die keine Persönlichkeit hatten. Ich begann beim großen in Köln, und dann kam Karl-Heinz Hed- dergott, ein früherer Jugendtrainer. Der holte abends die Gitarre raus und sagte: Jungs, jetzt singen wir. Ich war 20, gerade Europameister geworden und habe nur den angeguckt und ge- dacht: Sind wir wieder in der A-Jugend? Bei manchen Trainern gibt es auch so et- was wie Neid auf große Spielerpersönlich- keiten. Wenn du als Trainer selbst der Star sein und die Musik machen willst, geht es in die Hose. Ich habe ja auch meine Persönlichkeit, aber ich weiß, dass Raúl der Star und Cannavaro Weltmeister ist. Ich muss nicht ständig in der Zeitung stehen. SPIEGEL: Die Meisterschaft hatte noch gar nicht begonnen, da gerieten Sie schon un- ter Beschuss. Die drittschlechteste Saison- vorbereitung der Geschichte, hieß es. Ein Kolumnist fragte, ob die Mannschaft

„schon eine Ruine“ sei. Ließ Sie das kalt? / AP ARMANGUE / AFP MARCOU PIERRE-PHILIPPE (L.); BERNAT (R.)

Real-Star Cannavaro (in Madrid) „Die passen genau auf, ob ich hilflos wirke“

82 der spiegel 37/2007 Real-Trainer Schuster: „Wenn du selbst der Star sein willst, geht es in die Hose“

SPIEGEL: Und Sie schauen bloß zu? und am Ende in Leverkusen, wo Sie mit wegen kam ich auch nach 13 Jahren nach Schuster: Ich bin der Meinung, dass die Rechtsanwalt zum Waldlauf antraten. Wa- Deutschland zurück. Das Vorurteil, ich sei Arbeit unter der Woche gemacht werden ren Sie auch verrückt? schon zu alt für die Bundesliga, hat mich sollte. Und dass man nicht beim Spiel noch Schuster: Natürlich waren wir nicht be- erst recht heißgemacht. wie ein Polizist herumturnen muss, als kloppt. Aber es gab Typen, und da zähle SPIEGEL: Es schien so, als sei Ihnen Deutsch- wäre gerade die Ampel kaputtgegangen. ich mich dazu, die lebten immer zwischen land zu spießig. Stimmt das? SPIEGEL: Ein Spieler mit Ihren Schwächen Himmel und Hölle. Einmal bist du in der Schuster: Ja, schon, aber da kam einiges in Zweikampf und Schnelligkeit – hätte der Lage, etwas ganz Großes zu machen, dann zusammen. Dass ich so jung war, dass mei- heute bei Ihnen einen Stammplatz? wieder reagierst du wie ein kleines Kind. ne Frau als meine Managerin in die Män- Schuster: Es scheint nur so, dass Spieler- konnte im Spiel Wahn- nerwelt Fußball einstieg. Sie war resolut, typen wie Bernd Schuster out sind. Weil sinnsdinger machen, und im nächsten Mo- sie war keine typische Spielerfrau. Immer sie nicht mehr da sind. Bis in die Achtziger ment flippte er aus. Oder Overath – der wenn es Probleme gab, hat man sie als Vor- waren Europa und Südamerika voll davon, war der absolute Hammer. So war ich wand benutzt. fast in jeder Mannschaft gab es solche auch. Ein Typ, der sich nicht im Griff hat, SPIEGEL: Ständig hat Sie der Verdacht ver- Typen. Von einer Generation zur anderen dann aber spontan etwas zeigt, was ande- folgt, Ihre sechs Jahre ältere Ehefrau Gaby war da plötzlich niemand mehr. Nein, mir re ihr Leben lang trainieren müssen. sei geldgierig, übe einen schlechten Ein- hat die Schnelligkeit nicht gefehlt, ich SPIEGEL: Sie brauchten das Ausflippen? fluss auf Sie aus, schotte Sie von der brauchte sie nicht in meinem Spiel. Günter Schuster: Es war wie bei John McEnroe, Außenwelt ab. Was ist die Wahrheit? Netzer war auch nicht schnell, Wolfgang der sich selbst gepusht hat, indem er den Schuster: Wir haben bestimmt Neid aus- Overath auch nicht so sehr. Wir haben Schiedsrichter zusammengebrüllt hat. Ich gelöst. Wir hatten Geld, Erfolg. Die Kritik schneller gedacht. hatte die Woche über Theater mit Trainer an meiner Frau war ungerecht. Sie hat halt SPIEGEL: Waren Spielmacher zwangsläufig oder Präsident, und am Wochenende ging unsere Familie verteidigt. Sie hatte das Einzelgänger, Primadonnen? die Post ab. Das ging nur mit einem wahn- richtige Händchen bei Vertragsverhand- Schuster: Platini, Zico, das waren Genies. sinnigen Selbstbewusstsein. lungen. Über Geld zu verhandeln, das Es gibt ja auch Maler, die solche Geistes- SPIEGEL: Hatten Sie Angst vor Langeweile? habe ich gehasst. Die Präsidenten und mei- blitze haben, von jetzt auf gleich. Im Prin- Schuster: Ich hasse Routine. Eigentlich ist ne Frau haben es genossen. zip sind das ja Verrückte. es ein Wunder, dass ich acht Jahre in Bar- SPIEGEL: Wer kümmert sich heute um Ihre SPIEGEL: Ihre Karriere ist gepflastert mit celona geblieben bin. Normalerweise ist Verträge? Konflikten – mit dem DFB, mit dem Präsi- es bei mir vorbei, wenn ich in ein Hotel Schuster: Eine Anwaltskanzlei. Meine Frau denten in Barcelona, wo Sie ein Jahr lang komme, und ich weiß schon, wer da kocht. hat sich als Beraterin verabschiedet, als ich auf der Tribüne saßen, bei Real Madrid, wo Ich habe dann Streit angefangen und bin vor sechs Jahren als Trainer nach Jerez Sie eine Abfindung bekamen, bei Atlético zu einem anderen Verein gegangen. Des- ging. Sie ist damals nicht mitgegangen.

der spiegel 37/2007 83 SPIEGEL: Sie haben ein Anwe- SPIEGEL: Gehören Sie eigentlich sen im Bergischen Land nahe noch der Glaubensgemeinschaft Köln. Ihre Frau lebt dort? Christliche Wissenschaft an? Schuster: Ja, mit meiner Jüngs- Schuster: Ja. Ich möchte gar ten, die aus Amerika zurück ist nicht daran denken, wie das und in Deutschland studiert. hier in Madrid alles wäre, wenn Meine älteste Tochter hat mich ich die Religion nicht hätte. jetzt zum Opa gemacht. Ich ein Egal ob evangelisch, katholisch Opa, das ist natürlich ein Ham- oder Christliche Wissenschaft mer. – wichtig ist der Halt. SPIEGEL: Sie haben nur 21 Län- SPIEGEL: In der Lehre Ihrer Ge- derspiele bestritten, sind der meinschaft heißt es, dass Angst wohl beste deutsche Fußballer, ähnlich wie Krankheit, Sünde der nie bei einer Weltmeister- und Tod nicht von Gott ge- schaft spielte. Bedauern Sie schaffen und damit pure Illu- das? sion des Menschen sei. Sind Sie Schuster: Ich habe unheimlich deshalb, weil Sie sich das so gern in der Nationalelf gespielt. einreden, derart gelassen? Wenn ich aus Spanien zum Na- Schuster: Angst produziert nur tionalteam kam, habe ich mich Negatives. Verletzungen, Krank- gefreut wie ein kleines Kind. heit. Deswegen muss man ver- Bundestrainer suchen, die Angst zu bewälti- hätte das wissen und mich gen. Ich komme auch in Situa- mehr schützen müssen. tionen, in denen ich Angst habe,

SPIEGEL: Schützen? Wovor? SIMON SVEN aber dann weiß ich, wie ich da- Schuster: In der Presse kam es Barca-Star Schuster (1986): „Ein Typ, der sich nicht im Griff hat“ gegen angehen muss. Da muss nicht gut an, dass ich im Aus- man am Ball bleiben. Immer land spielte. Die Bundesliga galt noch als mal, du bist im Fernsehen, dann sage ich: wieder gibt es Momente, in denen auch ich stärkste Liga der Welt, da ging man nicht Schalt das weg! Hilfe brauche. Wir haben in unserer Grup- weg. Wenn die Mannschaft sich sonntags in SPIEGEL: Wie kamen Sie darauf, dass Sie pe ja überall Leute, die einem helfen. Das Frankfurt traf, konnten Uli Stielike und ich nach der Karriere als Weltklassespieler ei- sind die sogenannten Ausüber, die gibt es aus Spanien noch nicht da sein, weil wir nen passablen Trainer abgeben würden? auch in Madrid, und die kann man problem- sonntags spielten, und schon gab es ein Schuster: Ich wusste ja nicht mal, dass ich los anrufen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. großes Gemecker. Der Jupp hat mich da das werden will. Den Trainerschein habe SPIEGEL: In Ihrem Glauben spielen Heilun- hängenlassen, mir wurde das Theater zu ich nur gemacht, um ihn zu haben. So wie gen durch Gedanken und Gebet eine Rol- viel. So kam es zum Rücktritt. Dabei hing ich den Kapitänsführerschein habe und le. Bekommen Sie als Trainer da Probleme ich so daran. Ich bereue das. Ich hätte 1990 den Motorradführerschein. Dabei werde mit den Mannschaftsärzten? Weltmeister werden können. ich sicher nie im Leben Motorrad fahren. Schuster: Nein. Als Spieler habe ich im- SPIEGEL: Bernd Schuster, der ewig Unver- Ich wollte nur irgendetwas im Fußball nahe mer verlangt, dass man meine Religion ak- standene? bei der Mannschaft machen. Masseur Schuster: Der erste Trainer nach Weiswei- konnte ich mir nicht vorstellen, Doktor ler, der mit mir geredet hat, war César Luis auch nicht, Busfahrer musste nicht sein. Menotti. Für den hätte ich jemanden um- SPIEGEL: In der vergangenen Saison wur- gebracht. Bei der Nationalmannschaft war den Sie kurz mit Bayern München in Ver- es noch ein Skandal gewesen, dass ich bei bindung gebracht. Es sah so aus, als hätten der Geburt meines dritten Kindes dabei Sie Ihre Chance auf den Trainerposten sein wollte und auf ein Spiel verzichtete – dort selbst verspielt, weil Sie zu deutlich gegen Albanien oder so. Dann in Barcelo- Interesse zeigten – wie ein Bewerber. na haben wir extra donnerstags die Ge- Schuster: Ich kann doch nicht nein sagen,

burt einleiten lassen, damit ich am Sonntag wenn ich genau da hin will. / PIXATHLON FRAILE VICTOR gegen Las Palmas spielen konnte. Alles SPIEGEL: Sind Sie immer so ehrlich? Schuster (M.), SPIEGEL-Redakteure* klar, sagte ich zu Menotti, morgen früh bin Schuster: Normalerweise ja. Gegenüber „Ich suche die Fehler bei mir selbst“ ich beim Training. Da sagt der: Nichts da, Spielern manchmal zu ehrlich. Beim 1. FC du bleibst erst mal bis morgen bei deiner Köln habe ich über den Stürmer Holger zeptiert. Und genauso respektiere ich auch, Familie. Ich dachte, der spinnt. Gaißmayer mal gesagt, für jeden Mitspie- dass die Doktoren ihre Arbeit machen SPIEGEL: Was hätten Sie als Trainer gern ler sei es eine Strafe, neben ihm spielen zu müssen. Ich behandle das Thema dann auf von Menotti? müssen. Aus solchen Fehlern lernt man. meine Art, indem ich auch Leute aus mei- Schuster: Die Fähigkeit, Niederlagen zu SPIEGEL: In Madrid haben Sie den Journa- nem Umfeld einbeziehe. akzeptieren. Ich mache mich da verrückt listen in den ersten Tagen erklärt, dass SPIEGEL: Sie beten für verletzte Spieler? und suche die Fehler bei mir selbst. Ich sie mit dem Trainer nicht auf Augenhöhe Schuster: Ja, aber ich mache da keine kann mir die Spiele auch nicht mehr da- reden könnten. Glauben Sie, das war große Geschichte daraus und rede auch nach auf Video anschauen, da könnte ich schlau? nicht mit den Spielern darüber. Das ist eine gar nicht mehr schlafen. Ich konnte sowie- Schuster: Ich kann mich in Sachen Jour- persönliche Arbeit, die ich nebenbei ma- so noch nie ein Spiel von mir im Fernsehen nalismus auch nicht mit den Journalisten che. Für mich, meine Familie. Warum nicht angucken, keine einzige Minute. Die Videos auf eine Stufe stellen. Und ich muss sagen für die Spieler? Der Schumi hat doch an- meiner Endspiele und von der EM 1980 dürfen, dass ich anders denke als die geblich sogar sein Auto ins Gebet einge- verstauben bei mir zu Hause. Ich kann Presse. schlossen, damit es nicht stehenbleibt. mich auch nicht in Pressekonferenzen re- SPIEGEL: Herr Schuster, wir danken Ihnen den hören. Und wenn Leute sagen: Schau * Jörg Kramer und Cathrin Gilbert in Madrid. für dieses Gespräch.

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