Markenbildung Story

LENNYWas ist besser als ein Dom Pérignon? Ein Dom Pérignon mit auf Eis , dem neuen Botschafter der Maison. Unsere Sonderkorrespondentin­ hat's ausprobiert. Und zudem, in Paris und Hautvillers, die ­Geschichte des beachtlichen Marketingerfolgs – wie aus einem Champagner der Champagner wurde – recherchiert.

Text: ODILE BURGER

ch stelle mein halbvolles Glas Dom breit. Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht der Schlangenlederboots plus 10 Zentimeter­ ­Pérignon auf die niedrige Tisch­platte ­wussten: Das Dinner, zu dem geladen ­ Rasta-Frisur – macht 187 Zentimeter. Und I und beginne, entnervt in ­meiner wurde, wurde bereits serviert. Es bestand gut sieht er aus – oh mein Gott! Lenny Handtasche zu wühlen. Wo ist nur das blöde­ aus feinen, aber doch eher kleinen Häppchen, ­Kravitz, der grosse Musiker, der auch Desig- Ding? Einmal gefunden, tippe ich unter­ ­ungefähr von der Grösse einer Kichererbse.­ ner und Fotograf ist, Schauspieler ebenfalls, dem Titel «Lenny-Notizen» Folgendes in Ich habe zögernd zugelangt, immer davon ein Multi­talent also. Lenny, der neu als Bot- mein Smartphone: «Es 21.45 Uhr, irgendwo­ ausgehend, das Dinner werde demnächst schafter der Luxus-Champagnermarke Dom im Zentrum von Paris, ein Nachtklub, serviert . . . Und natürlich hatte ich nichts zu Pérignon auftritt, steht da – in the flesh. ­gefühlte vier Stockwerke unter der Erde. Mittag gegessen – welche Frau würde nicht Es gehe um Inspiration, steht in der Unter der Erde sieht es wohl ziemlich auf ihren Lunch verzichten in Erwartung Pressemitteilung­ von Dom Pérignon. Die überall gleich aus. Weshalb sind wir nicht ­eines Dinners mit Monsieur Kravitz? Zusammen­arbeit von Lenny Kravitz und dem in einem romantischen Restaurant? Ich Ich blicke auf, da steht er – und ich bin Luxusbrand fusst auf der angeblich jahre- habe Hunger. Spaghetti oder Lenny?» ­erstaunt: Lenny erscheint mir ziemlich gross. langen Freundschaft mit Richard Geoffroy, So hatte ich es mir jedenfalls nicht vor- Doch es kann sich nicht um eine verzerrte dem wohl bekanntesten Kellermeister Frank- gestellt – das Dinner mit Lenny Kravitz, zu Wahrnehmung handeln, ich habe keine zwei reichs. Er leitet die Geschicke des Hauses seit dem geladen wurde. Wir warteten nun schon Gläser vom edlen Champagner getrunken. 28 Jahren. Ursprünglich Arzt, wird Geoffroy Mathieu BittonMathieu seit bald zwei Stunden in diesem dunk- Mein Hirn beginnt zu rechnen: 170 Zentime- gerne als intellektueller Weinmacher geprie-

Bild: len Klub. Immer noch kein Lenny weit und ter Körpergrösse plus 7 Zentimeter Absatz sen. Ein von Perfektionismus Getriebener,

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mit auffallend grosser Nase, übrigens. Sein oder Globus einkauft, ungefähr für 40 bis Riechorgan dürfte Gold wert sein. 55 Franken. Und den Dom Pérignon Brut 2009 Der erste Dom Pérignon wurde 1921 verkauft Globus für 549 Franken. Eine bei- auf den Markt gebracht, benannt nach dem nahe schon günstige Flasche kriegt man beim Benediktiner­mönch Pierre Pérignon. Die- Online-­Anbieter «Flaschenpost», dort kos- ser war 1668 bis zu seinem Tod Anfang tet der Dom Pérignon Blanc, 2009 ebenfalls, des 18. Jahrhunderts als Kellermeister für 145 Franken. Man kann es sich leisten – oder den wirtschaftlichen Erfolg der Abtei Haut- eben nicht, was auch egal ist: fake it till you villers in der Champagne verantwortlich. make it – nicht jeder Champagner-Trinker ­Pierre alias­ Dom Pérignon war ein akribi- ist ein Superreicher – zum exklusiven Kreis scher Tüftler und gilt als Erfinder der Kunst ­gehören wollen, darum geht es hier auch. der Assem­blage, dem sogenannten Ver- Die Dom Pérignon-Strategie funktioniert. schnitt von Rebsorten und Lagen. Nach der Ein begabtes Händchen haben die­ Französischen Revolution wurden viele der Marketing­leute auch bei der Wahl ­ihrer ­zuvor konfiszierten Landgüter verkauft, um ­Testimonials bewiesen: ­David Lynch die Staatskasse zu füllen. Zu diesen gehörte­ ­beispielsweise, der ­amerikanische auch die ehemalige Abtei. Jean-Rémy Moët ­Filmregisseur und -produzent («Blue ­Velvet», ­kaufte das Anwesen 1794 und machte dar- ­«Mulholland Drive»). Oder Christoph ­Waltz, aus ein Weingut, das noch heute der Firma Schauspieler aus Österreich und Gewin- Moët & Chandon gehört. ner zweier Oscars («Inglourious Basterds», Das angestrebte Ziel sei Reichhaltigkeit, «Django Unchained»). Und nun Lenny keine Schwere und keine Trockenheit im ­Kravitz. Was haben diese Männer gemein- ­Finale . . . Richard Geoffroy spricht viel bei sam? Sie alle sind kreative Talente, die dem Wine Tasting, dem wir beiwohnen am ­Herausragendes geleistet haben. Sie sind Tag nach dem «Dinner» mit Lenny. Wir sit- aber keine Stars, die die Masse ansprechen zen an einem langen Tisch mitten im Park und die jeder mag, weil sie niemandem was des Anwesens in Hautvillers und die ­Sonne tun, sondern Charaktertypen, in der zweiten­ brennt. «Erfolg entsteht am Widerstand», ­Lebenshälfte angekommen, die für konti­ sagt Geoffroy, und: Die grösste Herausfor- nuierlichen Erfolg stehen und die Stil haben. derung sei das unvorhersehbare Wetter. Tat- Die neue Dom Pérignon-Kampagne mit sächlich erfahre ich Ende August aus der Lenny Kravitz ist vielseitig, sie übergreift Zeitung, dass in der Champagne dieses Jahr Disziplinen und spiegelt somit das Leben und bereits am 20. des Monats die Weinlese Schaffen des Botschafters. ­Komponenten ­losging, einen Monat früher als im Vorjahr. sind ein Werbefilm, aber auch eine Ausstel- Aufgrund des heissen Sommers. lung mit Bildern, die Lenny mit seiner ­Leica Rückblickend erinnere ich mich, dass wir fotografiert hat. Der Film und die Bilder ent- erleichtert waren, als Richard Geoffroy, nach- standen in einer Villa in Los Angeles, ­deren dem er die perlage taxiert und das Bukett Design ebenfalls Lennys Werk ist. Der Wer- geprüft hatte, endlich einen Schluck nahm. bespot zeigt eine exklusive Party, die zu Und wir auch trinken durften. Keine Frage, ­diesem Zweck inszeniert wurde und zu der der Dom Pérignon ist gut – aber ist er wirk- Schauspielerin Susan Sarandon oder Mode­ lich besser als andere? So viel besser, dass er designer Alexander Wang, ein Schulfreund dreimal, viermal oder gar zehnmal mehr kos- von Lennys Tochter Zoë, kamen.

ten darf als ein Erzeugnis der Nachbarn? Auf Ganz oben: Rocker mit Flasche (und Gitarre), Seit Mai dieses Jahres ist Lenny ­Kravitz Wikipedia liest man, die ­Produktionsmenge Lenny Kravitz in Los Angeles. zudem auf Tournee. Er startete in München, sei eher hoch bei Dom Pérignon, vermut- Oben: «Machen Sie eine typische Handbewegung», war auch in Zürich. Jetzt ist er in ­Amerika. Lenny beim Öffnen eines Dom Pérignon. lich bei ein bis zwei Millionen Flaschen Vor wenigen Wochen kam sein neues ­ pro Jahr oder mehr. Genaueres ist nicht zu «Raise Vibration» heraus. Der Mann scheint ­erfahren. Die Luxusmarke schweigt, was nicht müde zu sein. Oder nur gut erholt.­ Vor ­wiederum die Annahme einer hohen Menge vielen Jahren kaufte­ er ein kleines Stück stützt. Es ­handelt sich also um ein Massen- Land auf den Bahamas, am Meer, an ­einem produkt, dessen hoher Preis es auch erst mit Den Dom Pérignon weissen Sandstrand. Dort parkierte­ er, zwi- zu ­einem begehrlichen­ Luxusprodukt macht. schen Palmen, seinen streamline­ trailer, Denn mit dem Preis steigt auch die Begehr- Brut 2009 verkauft ein Wohnwagen aus Aluminium­ im 1950er-­ lichkeit. Ein anderes Beispiel dafür ist der ­Globus für 549 ­Franken – Jahre-Look. Und dort verbringt er einen­ Kaffee von Starbucks. Eine Flasche Cham- Teil seines­ ­Lebens, in der Abgeschiedenheit.­ pagner einer­ grossen Marke, ohne Jahrgang, ­mit dem Preis steigt Er liest in der Hängematte, pflegt sei- gibt es, je nachdem, ob man bei Denner auch die Begehrlichkeit. nen kleinen Gemüsegarten.­ Zudem, als

46 WW Magazin Oktober / November Nr. 3 2018 Oben: Für ein gutes Bild geht der Künstler auf die Knie. Rechts: Lenny hat die coolsten (und schönsten) Freunde, Party chez Kravitz.

Kontrastprogramm quasi, lebt er seit über zehn Jahren in Paris, in einem ­riesengrossen Apartment mit allem erdenklichen Luxus – 2015 stand in der Zeitschrift Variety, die Wohnung sei auch zu mieten, für 175 000 Euro im Monat. Sie verfüge auf ­ungefähr 1500 Quadratmetern über sieben Schlafzim- mer und so weiter. «Ich habe mich in Paris verliebt, als ich 1989 das erste Mal dort war. Für mich ist es die schönste Stadt der Welt. Zudem Zeit zu verbringen. Da gibt es immer gute abgesehen vom Champagnertrinken?» – war Frankreich immer eines der Länder, ­Gespräche und viel zu lachen.» – «Was sind «­Inspiration, Kreation, der Austausch mit die meine­ Musik am meisten unterstütz- ­Deine bevorzugten Rezepte?» – «Das kommt ­Menschen und die Liebe.» ten und so geht diese Liebesgeschichte­ ­darauf an. Ich weiss das Gourmet-Zeugs zu Diese Antworten erhielt­ ich per Mail, ein- ­weiter.­ »­ –­ «Wenn Du Gäste hast, kochst Du schätzen, aber mir ist simpler Streetfood mal zurück von der Reise­ nach Paris und in für sie oder engagierst Du einen Koch? – lieber, den ich übrigens auch für eine Kunst die Champagne. Denn unsere Begegnung dort Mathieu Bitton, Bitton Miles Mathieu «Wenn ich Zeit habe, koche ich gerne. Es ist halte, insbesondere auf den Bahamas.» war zu kurz, es reichte­­ aber immerhin für ein

Bilder: eine entspannte Art, mit seinen Freunden – «Und was macht das Leben lebenswert, Foto (siehe Contributors Seite 6).