Te r ro r is m u s

Gewalttätiger Extremismus

Verbotener Nachrichtendienst

Proliferation und N uklearkrim inalität

Organisierte Kriminalität

Mai 2000

Herausgegeben vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement

Vertrieb: Bundesamt für Bauten und Logistik / Eidgenössische Drucksachen- und Materialzentrale, 3003 Bern http://www.admin.ch/EDMZ

Art. Nr. 410.105 d 05.2000 2100 BAP 3-2000

Der Staatsschutzbericht ist ebenfalls unter der Internet-Adresse der Bundespolizei http://www.bupo.admin.ch/ abrufbar.

Vorwort

Dass die innere Sicherheit der Schweiz nach wie vor Gefahren aus- gesetzt ist, zeigten etwa die europaweiten Gewaltakte im Gefolge der Verhaftung von PKK-Führer Abdullah Öcalan in Kenia im Febru- ar 1999. Botschaftsbesetzungen in Bern und Zürich, das Eindringen auf das UNO-Gelände in Genf und weitere Besetzungsaktionen zeigten auf, dass die PKK eine Organisation mit sehr hohem Mobili- sierungspotenzial und manifestem Gewaltpotenzial blieb. Der Staatsschutzbericht 1999, der wie in den Vorjahren in Zusam- menarbeit mit den kantonalen Polizeien erstellt wurde, zeigt aber auch weitere Risiken und Gefahren für die innere Sicherheit der Schweiz auf: • Rechtsextreme Organisationen weisen steigende Mitgliederzah- len auf, • neben der weiter andauernden klassischen Spionage rückt die Abhörungsproblematik in der internationalen Telekommunikation immer mehr in den Vordergrund, • im Bereich der organisierten Kriminalität zeigte es sich erneut, dass kriminelle Vorgänge im Ausland immer wieder Querverbin- dungen in die Schweiz haben, • die Verletzlichkeit der Informationsgesellschaft durch Hacker, Sabotage, aber auch grössere Netzzusammenbrüche sind zu einem aktuellen, auch die innere Sicherheit tangierenden The- ma geworden.

Die kurdischen Gewaltakte führten in Kombination mit dem gleich- zeitig ausbrechenden offenen Krieg im die Grenzen des schweizerischen Polizeisystems vor Augen: Nötige Bewachungs- aufgaben brachten die kantonalen und städtischen Polizeien an die Grenzen der Belastbarkeit; sie mussten durch subsidiäre Armee- Einsätze unterstützt werden.

Ein wichtiger Schritt zur verbesserten Zusammenarbeit zwischen den Kantonspolizeien und der Bundespolizei konnte 1999 durch den Anschluss der kantonalen Sicherheitsorgane an das standardisierte Staatsschutz-Informations-System (ISIS) getätigt werden. Das seit 1994 bestehende System dient insbesondere den gerichtspolizeili- chen Ermittlungen in Fällen der Bundesgerichtsbarkeit, dem präven- tiven Staatsschutz und sicherheitspolizeilichen Aufgaben.

Sowohl bei der Lagebeurteilung und Früherkennung als auch bei Verhinderung und Bekämpfung von Risiken und Gefahren für die Schweiz kommt der internationalen Zusammenarbeit herausragende Bedeutung zu. Von besonderem Wert dafür ist die Einbindung der Bundespolizei in den internationalen Nachrichtenaustausch unter den Nachrichten- und Sicherheitsdiensten, namentlich im europäi- schen Raum.

1999 war ein Jahr wichtiger Weichenstellungen für die Zukunft der inneren Sicherheit der Schweiz. Die Bundespolizei wurde zusam- men mit dem Sicherheitsdienst der Bundesverwaltung (SID) im Sep- tember von der Bundesanwaltschaft abgetrennt und ins Bundesamt für Polizei überführt. Eine Prozessanalyse wird im laufenden Jahr die optimalste Organisationsstruktur für die Polizeiorganisation auf Stufe Bund aufzeigen. Auf Anfang 2001 soll diese dann umgesetzt werden.

Gleichzeitig wird im grösseren Zusammenhang das gesamte Sy- stem der inneren Sicherheit der Schweiz einer Überprüfung unter- zogen. Unter dem Namen USIS (Überprüfung des Systems Innere Sicherheit der Schweiz) soll neben der Organisationsstruktur auf Bundesebene auch die Aufgabenteilung Bund/Kantone optimiert werden. Der Realisierungsplan für USIS soll 2002 vorliegen. Die Schweiz wird damit im 21. Jahrhundert ihre innere Sicherheit effi- zienter schützen können.

Der Ihnen vorliegende Staatsschutzbericht 1999 als Rechenschaftsbericht der Staatsschutzorgane des Bundes dient nicht zuletzt der Transparenz der Tätigkeiten dieser Organe und zur Darlegung ihrer Lageeinschätzung. Er ist damit Teil einer demokratisch legitimierten Staatsschutztätigkeit.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei sowie die kantonalen und städtischen Staatsschutzbehörden haben 1999 ei- nen überdurchschnittlichen Einsatz geleistet. Ich danke ihnen dafür und hoffe, dass auch in der anspruchsvollen Reorganisationszeit und in neuen Polizeistrukturen die Staatsschutztätigkeit ebenso er- folgreich weitergeführt werden kann.

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Urs von Daeniken Chef Bundespolizei Inhaltsverzeichnis

1. TERRORISMUS UND GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS...... 9

1.1. Allgemeine Tendenzen - Schwerpunkt Ausländerextremismus...... 9 Die Entwicklung in den wichtigsten Konfliktgebieten ...... 9 Auswirkungen auf die Schweiz ...... 10

1.2. Gewalttätiger Extremismus in der Schweiz ...... 12 1.2.1. Rechtsextremismus...... 13 Rechtsextreme Gewalt in der Schweiz 1999 ...... 22 1.2.2. Linksextremismus...... 28

1.3. Kurdisch-türkische Gruppen...... 36 Überblick und allgemeine Entwicklungstendenzen...... 36 Entwicklung in der Schweiz...... 39 Potenzial und Struktur der PKK in der Schweiz...... 42 Linksextreme türkische Gruppen ...... 45 Überblick und allgemeine Entwicklungstendenzen...... 46 Potenzial und Struktur der TKP/ML in der Schweiz ...... 46 Potenzial und Struktur der DHKP-C und der THKP-C in der Schweiz ...... 47

1.4. Der Kosovo-Konflikt ...... 49 Auswirkungen auf die Schweiz ...... 50

1.5. Arabisch-islamistische Gruppen ...... 56 Entwicklung in Richtung Politisierung ...... 56 Präsidentenwechsel bringt Beruhigung in Algerien ...... 56 Urteile gegen Unterstützer in Europa gefällt ...... 57 Stabilere Sicherheitslage in Ägypten ...... 58 Usama Bin Ladens Rolle...... 58 Naher Osten ...... 59

1.6. Terrorismus in anderen Ländern ...... 61 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ...... 61

Staatsschutzbericht 1999 5

2. VERBOTENER NACHRICHTENDIENST ...... 63

2.1. Entwicklung 1999...... 63

2.2. Spionage in der Schweiz...... 63

2.3. Statistik Spionageabwehr Schweiz...... 67

2.4. Wirtschaftsspionage und Communications Intelligence (COMINT) ...... 69 Wirtschaftsspionage heute ...... 69 Der Begriff "Wirtschaftsspionage" ...... 70 Trend hin zur Wirtschaftsspionage...... 71 Communications Intelligence (COMINT)...... 71 Was ist COMINT?...... 71 Wie funktioniert COMINT? ...... 73 Mittlerweile umfassende Abhörung ...... 74 COMINT als Mittel der Wirtschaftsspionage ...... 75 Vermehrtes öffentliches Interesse an ECHELON ...... 76 Beurteilung und Ausblick...... 77

2.5. "Das Schwarzbuch des KGB" ...... 78

3. PROLIFERATION...... 82

3.1. Massnahmen zur Verhinderung der A-Waffen-Proliferation und Nuklearkriminalität ...... 84 Vertrag über ein umfassendes Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) ...... 84 Nuklearkriminalität in Europa und in der Schweiz...... 85

3.2. Massnahmen zur Verhinderung der Proliferation im B- und C-Bereich ...... 86 Erneute Aufmerksamkeit für B-Waffen-Entwicklung ...... 86 Verhandlungen zur Schaffung eines Verifikationsmechanismus für B-Waffen ...... 87 Abwehrkonzept B-Terror-Gefahren in der Schweiz ...... 88 Chemie-Waffen-Übereinkommen: Inspektionen in der Schweiz...... 89

6 Staatsschutzbericht 1999 3.3. Transit und Export von Kriegsmaterial und Dual-use-Gütern...... 89 Illegale Transit- und Vermittlungsgeschäfte...... 89 Kontrolle zivil und militärisch verwendbarer Güter...... 90

4. ORGANISIERTE KRIMINALITÄT UND KORRUPTION...... 93

4.1. Organisierte Kriminalität...... 93 Russische OK im Vordergrund...... 94 Schlepperbanden aus Albanien ...... 95 Finanzplatz Schweiz...... 95 Mehr Kompetenzen für Bundesbehörden ...... 96

4.2. Korruption und Beamtendelikte...... 97 Der Fall Bellasi ...... 98 Unregelmässigkeiten bei Spesenabrechnung ...... 99

5. ANDERE ARBEITSGEBIETE DER BUNDESPOLIZEI ...... 100

5.1. Zentralstelle zur Bekämpfung des illegalen Kriegsmaterialverkehrs ...... 100

5.2. Zentralstelle Sprengstoff und Pyrotechnik ...... 101 Internationale Aktivitäten...... 102 Laufende Projekte ...... 102 Neue Technologien ...... 102 Wissenschaftlicher Forschungsdienst...... 103

5.3. Zentralstelle Waffen...... 106 Bewilligungen ...... 106 Aufbau von Datenbanken...... 106 Unterstützung der Behörden im Gesetzesvollzug...... 107 Arbeitsgruppen ...... 107

5.4. Personensicherheitsprüfungen ...... 108 Rechtsgrundlagen ...... 108 Durchführung...... 108

Staatsschutzbericht 1999 7 5.5. Ausländerrechtliche Massnahmen ...... 109 Asyl- und Einbürgerungsbereich ...... 109 Fernhaltemassnahmen...... 110 Überprüfung von Einreisen...... 112 Gewaltextremistisches Material...... 112

5.6. Einsätze von Zivilpolizeibeobachtern in friedenserhaltenden Aktionen...... 114

5.7. Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr ...... 117

5.8. Moderne Informationstechnologien und innere Sicherheit ...... 118

5.9. Sekten / Scientology / AUM ...... 122 Endzeitsekten: Sonnenfinsternis und Millennium...... 122 Voraussetzungen der Lagebeurteilung ...... 123 Unterschiedliches Lagebild in Europa...... 124 Scientology...... 124 Verhaftung und Verurteilung von Mitgliedern der AUM Shinrikyo in Japan ...... 124

5.10. Ermittlungen im Mordfall Walter Arnold...... 125

Anhänge

A Organisation und Aufgaben der Staatsschutz- 127 behörden/Bundespolizei B Kontrollen des Staatsschutzes 133 C Parlamentarische Vorstösse im Bereich der inneren 135 Sicherheit 1999 D Bundespolizei auf dem Internet 188 E Abkürzungsverzeichnis 189 F Verzeichnis der Organisationen 193 und Gruppen

8 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1. Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1.1. Allgemeine Tendenzen - Schwerpunkt Ausländerextremismus

Wie in den Vorjahren nahmen ethnische Spannungen, religiöse Ethnische und andere Konflikte weltweit zu. Die Tätigkeiten extremisti- Spannungen scher Gruppierungen, die auf Vorgänge in ihrem Heimatland nehmen reagierten, wirkten sich zunehmend auch auf die innere Sicher- weiter zu heit von nicht am Konflikt beteiligten Ländern aus. So führte die Verhaftung von PKK-Führer Öcalan in ganz Europa zu gewalt- tätigen Übergriffen und prägte in der ersten Jahreshälfte 1999 neben dem Krieg im Kosovo die Entwicklung des gewalttätigen Extremismus auch in der Schweiz.

Die Entwicklung in den wichtigsten Konfliktgebieten Für die Lage in der Türkei eröffneten sich in der zweiten Jah- Tendenz zur reshälfte 1999 durch die wiederholten Friedensappelle des von Politisierung einem türkischen Gericht zum Tode verurteilten PKK-Führers der PKK Abdullah Öcalan neue Perspektiven. Es wurden Signale für ei- ne vertiefte Politisierung der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und eine politische Lösung des Kurdenkonflikts gesetzt. Die gewaltextremistischen Aktivitäten der PKK sind seither rückläu- fig. Die türkische Regierung reagierte allerdings zurückhaltend. Die PKK bleibt trotz dieser Entwicklung angesichts intakter Kommandostrukturen, hohen Mobilisierungspotenzials und la- tenter Militanz des Mitglieder- und Unterstützerkreises die be- deutendste Organisation mit gewaltextremistischem Potenzial in Europa und der Schweiz.

Im Kosovo eskalierte das Geschehen, und die NATO führte mit Spannungen einer Luftintervention den ersten Krieg ihrer Geschichte. Rund im Kosovo 900'000 Personen der kosovarischen Bevölkerungsgruppe ver- halten an liessen teilweise unter Zwang die südserbische Provinz und suchten Zuflucht in den Nachbarstaaten und in ganz Europa. Die Rückkehr der Flüchtlinge nach der Stationierung von Frie- denssicherungstruppen (KFOR) hat eingesetzt. Die internatio-

Staatsschutzbericht 1999 9

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

nale Staatengemeinschaft steht angesichts der hohen Gewalt- bereitschaft im Kosovo und eines möglichen Domino-Effekts einer Unabhängigkeit des Kosovo vor schwer lösbaren Aufga- ben.

In Algerien brachten der Präsidentenwechsel und ein von der Regierung initiiertes Amnestiegesetz eine leichte Beruhigung der Lage. Im Vergleich zu vergangenen Jahren verlief der Ra- Islamistische madan ruhig. In Ägypten will die Gamaa al Islamija ihre Ziele Gewalt vermehrt mit politischen Mitteln anstreben. Die Lage sowohl in nimmt ab Algerien als auch in Ägypten bestätigten 1999 einen seit länge- rem erkennbaren Trend des islamischen Fundamentalismus in Richtung Politisierung und weniger gewalttätigen Aktionen. Nach der Wahl von Ehud Barak zum neuen israelischen Mini- sterpräsidenten erhielten die Bestrebungen um einen langfristi- gen Frieden im Nahen Osten wieder Aufwind. Der ethnische Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen hielt auch 1999 an und verlagerte sich zunehmend auf den gesamten nördlichen Teil der Insel.

Weitere Gebiete extremistischer und terroristischer Gewalt in Europa Gruppe Gewaltentwicklung

Korsika / Front de Libéra- Weiterhin schwere Sprengstoffanschläge. Im Frankreich tion Nationale Herbst 1999 erste Sondierungsgespräche mit der Corse (FLNC) französischen Regierung und unbefristeter Waf- fenstillstand von sechs korsischen Terrorgruppen.

Nordirland Irish Republican Vereinzelte Gewaltaktivitäten und politische Mor- Army/ de. Trotz schwieriger Umsetzung des Friedens- Provisional IRA plans Aufnahme der Tätigkeit der Nordirland- (IRA/PIRA) Regionalregierung im Herbst 1999.

Spanien / Baskenland und Gescheiterte Friedensgespräche im Herbst 1999 Frankreich Freiheit (ETA) führen zur Eskalation der Gewalt. Schwindende Unterstützung der ETA in der Bevölkerung.

Auswirkungen auf die Schweiz Gewalt- Auch die Schweiz war von gewaltextremistischen und terroristi- ausbruch schen Entwicklungen betroffen; sie blieb für einschlägige Grup- nach Öcalan- pen als logistische Basis und Aufenthaltsraum sowie für deren Verhaftung Propaganda bedeutsam.

10 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

So reagierten PKK-Mitglieder und Sympathisanten mit Beset- zungsaktionen, Geiselnahmen und Anschlägen auf die Fest- nahme ihres Führers in Kenia. Nach den Friedensappellen Abdullah Öcalans beruhigte sich die Lage weitgehend, und die Unterstützung des PKK-Führers erfolgte im Rahmen von friedli- chen Kundgebungen und politischen Aktivitäten. Die kosovarische Diaspora in der Schweiz unterstützte mit Illegale Waf- Sammelaktionen verschiedene politische Gruppierungen, pri- fenkäufe für mär die UCK; Mitglieder der kosovarischen Gemeinschaft tätig- Kosovo ten wiederum illegale Waffenkäufe. Die Zusammenarbeit europäischer Polizeibehörden führte in der Schweiz im Umfeld von Unterstützergruppen und Sympa- GIA-Aktivist thisanten des algerischen Terrorismus zu einer weiteren Ver- verhaftet haftung eines GIA-Aktivisten; ein Algerier wurde nach Frankreich ausgeliefert. Es ist ein klarer Trend zur Vergrösserung und weiteren Aktivie- rung der rechtsextremen Szene erkennbar. Rechtsextreme Stärkere Gruppierungen in der Schweiz haben intensive Auslandkontak- rechtsextreme te und besuchen regelmässig Veranstaltungen in den Nachbar- Szene ländern. Im linksextremen Spektrum verlagerte sich der Schwerpunkt der Aktionen immer mehr auf die Thematik der Globalisierung Schwerpunkt der Wirtschaft. So kam es anlässlich des World Economic Fo- Anti- rums in Davos durch Mitglieder der länderübergreifenden Anti- globalisierung globalisierungsbewegung zu gewaltsamen Aktionen.

Weitere Vorkommnisse des europäischen Terrorismus Gruppe Ereignis Rote Armee Horst Ludwig Meyer anlässlich Personenkontrolle in Fraktion (RAF) Wien am 15.9.1999 erschossen. Festnahme seiner H.L. Meyer Begleiterin Andrea Martina Klump und Auslieferung A.M. Klump Ende 1999 an Deutschland.

Carlos / Johan- Verurteilung des Carlos-Gefährten am 17.1.2000 nes Weinrich zur lebenslanger Haft wegen der Organisation des Anschlags auf das Kulturzentrum "Maison de Fran- ce" in Berlin 1983.

Brigate Rosse Hinweise auf vermehrte Aktivitäten der italienischen /Rote Brigaden linksextremen Gruppe, u.a. Ermordung eines hohen (BR) Regierungsbeamten am 20.5.1999 in Rom.

Staatsschutzbericht 1999 11

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1.2. Gewalttätiger Extremismus in der Schweiz

1999 erhielt die rechtsextreme Szene primär in der Deutsch- schweiz Zulauf und erhöhte ihre Aktivitäten. Der harte Kern von 600 bis 700 Skinheads, die die rechtsextreme Szene in der Mehr und Schweiz klar dominieren, verfügt auch über ausgezeichnete jüngere Kontakte ins Ausland. Der gegenseitige Besuch von Aktivitäten Rechts- - primär in den Nachbarländern - ist häufig. Die Kontakte rei- extreme chen aber auch bis nach Schweden, wo 1999 eine Welle von Gewalt den Rechtsextremismus zu einem wichtigen Thema der öffentlichen Diskussion machte. Die Szene hat sich stark ver- jüngt, ein guter Teil der schweizerischen Skinheads ist noch minderjährig. Eine Hausdurchsuchung bei einem bekannten schweizerischen Skinhead-Versand in Neuenburg zeigte auf, dass mit grossen Mengen rechtsextremen Schriftgutes und Tonträgern gehandelt wird; es wurden Tausende von einschlä- gigen CDs sichergestellt. Zugenommen haben auch die An- schläge auf Asylunterkünfte.

Ein leichtes Abflauen der Aktivitäten war beim Linksextremis- Linksextreme mus zu verzeichnen. Der Schwerpunkt der linksextremen Ge- gegen Globali- walt verlegt sich immer mehr auf die Bekämpfung der sierung und Globalisierung. Diese Aktionen reihen sich in einen weltweiten NATO Trend ein: Die gewaltsamen Demonstrationen in Genf 1998 und Seattle 1999 fanden jeweils im Umfeld grosser Konferen- zen der World Trade Organisation (WTO) statt. Proteste gegen den NATO-Einsatz im Kosovo schliesslich führten in Zürich zu zwei Farbanschlägen gegen ein Gebäude der ETH und die Wohnung eines Truppenkommandanten.

Wie schon in den Vorjahren kam es zu mehreren Ausschrei- tungen zwischen rechts- und linksextremen Gruppierungen so- Weiterhin Aus- wie Ausländergruppen. Verschiedene Überfälle auf besetzte schreitungen Häuser, mehrmals von der Polizei verhinderte Zusammen- zwischen links stösse im Berner Hauptbahnhof, aber auch Vorfälle im Umfeld und rechts von Eishockeyspielen gehörten dazu. Die Auseinandersetzun- gen wurden mehrheitlich von Rechtsextremen ausgelöst. Aber auch die linksextreme Szene, speziell im Bereich des so ge- nannten Schwarzen Blocks, ist als potenziell sehr gewalttätig einzuschätzen; dies zeigt sich jährlich bei der "Nachdemo" im Anschluss an die Zürcher 1.-Mai-Feiern.

12 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1.2.1. Rechtsextremismus

Die Szene ist weitgehend konspirativ organisiert, und die Aktivi- täten in den Kantonen werden zum Teil unterschiedlich erfasst. Deshalb ist es schwierig, eine umfassende und kohärente Sta- Szene weiter tistik über den Rechtsextremismus in der Schweiz zu führen. aktiviert Trotzdem ist für 1999 ein klarer Trend zur Vergrösserung und auch weiteren Aktivierung der Szene erkennbar. Während der Bundespolizei 1998 noch 13 bedeutendere Treffen von Skin- heads gemeldet wurden, waren es im Berichtsjahr 19, und die gewalttätigen Aktionen nahmen von acht auf elf zu. Wie schon Anfang der Neunzigerjahre stieg auch die Zahl der Anschläge auf Asylunterkünfte, und zwar von drei Anschlägen 1998 auf elf im Berichtsjahr. Für mehrere Anschläge zeichneten Skinheads verantwortlich. Dabei ist allerdings von einer gewissen Dunkel- ziffer auszugehen.

Anlass zur Sorge gibt die weitere Zunahme der Gewaltbereit- schaft. So werden Exponenten der rechtsextremen Szene im- mer wieder in Strafverfahren verwickelt, sei es wegen Übergriffen auf "Fremde" oder "Linke" oder Verstössen gegen das Waffengesetz und die Strassenverkehrsordnung. Als Bei- spiel für die grössere Aggressivität sei ein Vorfall im April 1999 Hohe Gewalt- erwähnt. Die Polizei konnte in Riehen/BS eine Auseinanderset- bereitschaft zung zwischen grösseren Gruppen von Skinheads und Kurden verhindern, die auf eine relativ belanglose Auseinandersetzung zwischen je einem Exponenten der beiden Gruppen zurück- ging. Im Rahmen der Polizeiaktion wurde eine grössere Anzahl Schlagwaffen - u.a. Baseballschläger und Äxte - sowie Molo- towcocktails sichergestellt. Die befragten Skinheads zeigten keinerlei Zweifel, dass sie diese Waffen auch eingesetzt hätten. Gegen 34 Personen, darunter 31 grösstenteils männliche Skin- heads, wurden Strafverfahren eingeleitet. Rund die Hälfte der Skinheads Angeschuldigten waren zum Tatzeitpunkt weniger als 18 Jahre immer jünger alt und unterstehen damit dem Jugendstrafgesetz. Diese Al- tersstruktur entspricht der gesamtschweizerischen Situation: Die Mehrheit der Skinheads sind zwischen 16 und 22 Jahre alt, bei fast allen Gruppierungen machen Minderjährige mit.

Verschiedentlich wurden Schusswaffen, wie Pump-Action- Gewehre, sichergestellt. Das grosse Waffeninteresse der Skin- heads zeigte sich zum Beispiel auch, als bei einer Kontrolle in Bern deutsche Skinheads als Grund für ihre Reise die Beschaf-

Staatsschutzbericht 1999 13

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

fung von Büchern über die neue Gefechtschiess- technik der Schweizer Armee und andere ein- schlägige Literatur anga- ben, oder aber im Besuch von Schiesskursen.

Die Schwerpunkte der lo- se organisierten Skin- head-Szene liegen in den Kantonen Zürich, Aargau, Bern, Luzern, Basel sowie Schwerpunkt in der Ostschweiz. In der in der Deutsch- Westschweiz sind weni- schweiz ger Aktivitäten zu ver- zeichnen, allerdings bestehen auch dort Skin- head-Netzwerke. So konnte Anfang März in Neuenburg im Rahmen einer Hausdurchsuchung der Sitz des in der Szene bekannten "Mjölnir-Versands" ausge- hoben werden. Dabei wurden grosse Mengen rechtsextremen Materials beschlagnahmt, darunter 4'500 CDs, Zeitschriften, Kataloge, Videokassetten und T-Shirts.

Während 1998 eine grössere Anzahl von Skinhead-Konzerten mit Hunderten von Teilnehmern stattfanden, führte die verstärk- Weniger Skin- te Polizeipräsenz und das Verbot einiger Veranstaltungen head-Konzerte durch die jeweiligen Gemeinden 1999 zu einem Rückgang. Bei den konspirativ organisierten Konzerten wird oft nur ein Treff- punkt angegeben; die versammelten Konzertteilnehmer werden dann im Konvoi zum geheimen Konzertort geleitet, was recht- zeitiges Erkennen und Verhindern der Anlässe schwierig macht. So gelang es den Organisatoren, in Wiedlisbach/BE und Gretzenbach/SO grössere Konzerte abzuhalten. An beiden Or- ten waren gegen 300 Besucher anwesend, vor allem aus der Deutschschweiz, aber auch aus Deutschland und anderen Ländern. Die Musikgruppen stammten aus der Schweiz, Deutschland und Spanien. An diversen Skinhead-Konzerten im Ausland konnten Schweizer Teilnehmer festgestellt werden.

14 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Die engen internationalen Verflechtungen der schweizerischen Skinheads zeigte die versuchte Aktion zum Rudolf-Hess- Todestag am 17. August auf. Da in Deutschland mittlerweile Internationale grössere Anlässe durch die starke präventive Polizeitätigkeit Aktion zu praktisch nicht mehr durchführbar sind, verlegten süddeutsche Rudolf-Hess- Skins ihre Aktivitäten in die Schweiz. Dabei wurden sie von den Todestag schweizerischen Hammerskins (SHS) unterstützt. Nach einem Zwischenstopp in Hedingen/ZH trafen sich Skinheads aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden in Wangen a.d.A./BE, wo gegen 100 Personen von der Polizei kontrolliert wurden. Rund 80 fuhren danach vor die deutsche Botschaft in Bern, um dort eine Kundgebung abzuhalten. Diese wurde von der Polizei nach kurzer Zeit aufgelöst.

Wie schon in den Vorjahren betrieben die schweizerischen Skin-Zines und Skinheads eine rege Publikationstätigkeit. Sie gaben verschie- Internet- dene Zeitschriften, so genannte Skin-Zines, heraus, auch konn- Homepages ten vereinzelte Homepages von schweizerischen Skins auf dem Internet festgestellt werden. Der Schwerpunkt der rechts- extremen Sites auf dem Internet liegt aber weiterhin im Ausland (siehe Seite 26).

Die Organisationen der schweizerischen Skinheads und zugewandter Gruppie- rungen sind breit gestreut. Hammerskins Die SHS stellen zwar weiter- als Dachorga- hin eine Art Dachorganisation nisation dar und haben auch dieses Jahr viele Auslandkontakte gepflegt und die genannten zwei Konzerte organisiert. Auf lokaler Ebene ändert sich aber die Zusammensetzung der Gruppen laufend: einer- seits als Folge interner Kon- flikte und Neuausrichtungen, Häufige Auflö- andererseits, um dem Druck sungen und der Ermittlungsbehörden zu Neugrün- entgehen. dungen

Staatsschutzbericht 1999 15

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Neu ist in der Schweiz auch ein Ableger der internationalen "Blood & Honour"-Bewegung aktiv. Die Ideologie der ursprüng- lich englischen Bewegung setzt sich aus rassistischen, frem- denfeindlichen und antisemitischen Elementen zusammen und betont die Höherwertigkeit der weissen Rasse. Starken Wert wird auch auf das "Schweizertum" gelegt: Schlagworte wie "Heimat", "Schweizer Kultur" oder "Unabhängigkeit von auslän- dischem Einfluss" prägen die Schriften der Organisation, die Schweizertum sich als "Speerspitze im nationalen Kampf gegen eine multikul- als Kernwert turelle Gesellschaft" versteht. Obwohl die Gruppe Blood & Ho- nour Schweiz erst Ende Dezember 1998 in Basel gegründet worden sein soll, gehören ihr bereits Mitglieder in den Kantonen Aargau, Bern, Baselland, Waadt und Zürich an, wobei zum Teil auch Mehrfachmitgliedschaften bei anderen Skinhead- Gruppierungen bestehen. Bereits sind Mitglieder durch ein- schlägige Delikte straffällig geworden.

Der Aufstieg von Blood & Honour und die Grün- dung weiterer, kleinerer Gruppierungen gehen Differenzen wohl auf einen gewissen um Führungs- Elitismus der SHS zu- anspruch rück. Sie nehmen nur sehr restriktiv neue Mit- glieder auf. So zeichnen sich zwischen SHS und Blood & Honour bereits ernsthafte Differenzen ab.

Das Ansteigen der Zahl der Skinheads ist auch auf einen Generationen- wechsel und ein Nachzug sehr junger Mitglieder aus der Hooligan-Szene rund um Eishockey- und Fussballteams zurückzu- Nachwuchs führen. Es ist auch frappierend, wie stark sich die Rhetorik der aus Hooligan- Skinheads wie z.B. Blood & Honour sich dem Vokabular rechts Szene stehender politischer Organisationen bedient. Schlagworte wie der "Kampf gegen die Überfremdung" und die "absolute Unab- hängigkeit der Schweiz von ausländischem Einfluss" werden

16 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

von den Skinheads aufgenommen und in das rassistische und gewalttätige Weltbild integriert.

Aktive Skinhead-Gruppierungen in der Schweiz Charakterisierung

Als wichtigste Gruppierung der schweizerischen Skinheads eine Art Schwei- Dachorganisation mit elitärem Führungsanspruch. Ursprünglich aus zerische den USA stammend, wurde 1990 in Luzern der erste Ableger in Eu- Hammerskins ropa gegründet. Ca. 60 bis 70 Mitglieder, darunter wenige Frauen. (SHS) Der aus 10 Personen bestehende Vorstand ist verantwortlich für die Redaktion aller Veröffentlichungen und die internationalen Kontakte. Neue Mitglieder haben eine mehrmonatige Probezeit zu bestehen und müssen mindestens 18 Jahre alt sein. Wichtige interne Informa- tionsquellen sind ein nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes "Infoblatt", das Infotelefon, und das Skinzine "Hammer". Mitglieder und Anhän- ger der SHS beteiligten sich auch 1999 an gewalttätigen Auseinan- dersetzungen. Ein grosser Teil der Anlässe der Skinhead-Szene wurde durch Hammerskins organisiert.

Ende 1998 als Ableger einer internationalen Bewegung gegründet; Blood & rassistisches und ultranationales Gedankengut. Mitglieder v.a. in Honour Aargau, Bern, Baselland, Waadt und Zürich. Sieht sich in Konkurrenz Schweiz zu den Hammerskins Schweiz. Eigene Zeitschrift "Blood & Honour Schweiz". Mitglieder sind bereits durch einschlägige Delikte straffällig geworden. Enge internationale Kontakte, so Reisen nach Dänemark und Schweden zu Gesinnungsgenossen.

Im August 1997 ohne grössere personelle Veränderungen aus der Nationale Organisation Bern hervorgegangen. Es gehören ihr rund 25 Mitglie- Offensive, der an. Eine so genannte Arische Aktion Bern ist wahrscheinlich eine früher Organi- Abspaltung der Nationalen Offensive. Im Kanton Bern gibt es ausser- sation Bern dem rund 100 nicht organisierte Skinheads. Schwerpunkte bilden Langenthal und die Region Lyss - Biel sowie die Agglomeration Bern; 1999 Mitgliederzuwachs.

1993 in Sempach/LU gegründet. Gegenwärtig etwa 20 Aktivisten und Morgenstern 50 bis 60 Sympathisanten. Die Gruppierung wurde durch ihre be- stimmende Rolle beim Überfall von Hochdorf/LU im Jahre 1995 be- kannt. Enge Beziehungen zu den SHS. 1999 Organisation verschiedener Feste im Kanton Luzern und Besuch nationaler und in- ternationaler Veranstaltungen; etwa 15 Prozent Mitgliederzuwachs.

Staatsschutzbericht 1999 17

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Nationale Die seit 1996 bestehende NIS wurde im Kanton Zürich gegründet. Un- Initiative ter den rund 50 Mitgliedern gibt es zahlreiche Skinheads. Vereinsor- Schweiz (NIS) gan der NIS ist "Der Morgenstern". Es bestehen enge Verflechtungen mit anderen Skinhead-Gruppierungen und zahlreiche Verbindungen zu führenden deutschen Rechtsextremisten. Die NIS unternahm auch Versuche, Ableger jenseits der Grenze zu schaffen. Die Adresse der NIS ist weiterhin ein Postfach in Uster/ZH. 1999 wurden im Namen der NIS Morddrohungen gegen Leserbriefschreiber versandt.

Patriotischer Ostschweizer Skinhead-Gruppe, 1995 gegründet. Enge Bindungen zu Ostflügel (POF) den SHS. Organisiert jährlich ein grösseres Skinhead-Treffen, meist im Kanton Thurgau. Jeweils etwa 100 bis 150 Teilnehmer aus der Schweiz und dem benachbarten Ausland, gute Beziehungen in den ausländi- schen Bodenseeraum. Vier POF-Mitglieder bilden die einzige bekannte schweizerische Skinhead-Band "Erbarmungslos". POF-Aktivisten geben in unregelmässigen Abständen das Skinzine "Morgenrot" heraus. Trotz organisatorischen Schwächen sind insbesondere im Kanton Thurgau Bestrebungen im Gange, neue, vereinsähnliche Strukturen als Sektion der SHS zu schaffen. Mehrere Dutzend Aktivisten und Sympathisanten. Der POF steht in enger Beziehung zur St. Galler Skinhead-Szene. Im Fürstentum Liechtenstein besteht eine Untergruppe (POF FL), von der zurzeit keine Aktivitäten bekannt sind. Geben professionell produziertes Skinzine "Morgenrot" heraus.

Kamerad- Anfang 1999 gegründet als Abspaltung des POF. Grösstenteils Rhein- schaftsbund taler und Thurgauer Skinheads, enge Beziehungen zur Lindauer Sze- Ostschweiz ne. Circa 30 bis 50 Sympathisanten zwischen 15 und 19 Jahren, übersteigerter Patriotismus und gegen "Überfremdung und Einwande- rung von Asylanten". Mehrere Zusammenstösse mit Punks im Kanton St. Gallen.

18 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Gegründet 1998 als weitere Abspaltung des POF. 1999 in Schlägerei- Patr. Jugend en im Kanton Thurgau und Winterthur verwickelt. Winterthur

1999 erstmals aufgetaucht. Eigene Internet-Site, die nach einer Inter- Volkssturm vention der Kantonspolizei Zürich geschlossen wurde. Führt einen Unterland "Volkssturm-Versand" mit einschlägigen Angeboten wie Publikationen und CDs.

Die Aktivitäten der Skinheads in der welschen Schweiz haben sich seit Skinheads in 1996 stetig verstärkt. Der harte Kern von Aktivisten umfasst in den der West- Kantonen Neuenburg, Genf, Waadt und Wallis rund 20 bis 30 Perso- schweiz und nen. Die Skinhead-Szene im Kanton Tessin umfasst rund 15 bis 20 im Tessin Aktivisten. Organisationsstrukturen und Gruppierungen sind keine be- kannt. Einzelne Skins nehmen auch an Zusammenkünften in der Deutsch- oder Westschweiz teil. Es bestehen Kontakte zu entspre- chenden Gruppierungen im benachbarten Ausland.

Zudem gibt es eine Anzahl von weiteren örtlichen Kleingruppen mit häufig wechselnden Gruppenbezeichnungen, wie zum Bei- spiel Vereinigte Jugend Schweiz, Volkssturm Mittelland, Rechte Schweizer Jugend, Berserker, Widerstandsbewegung Schwar- zer Adler, Böhse Patrioten Fricktal (BPF), Kameradschaft Wy- nenthal-Surenthal.

Bedeutendere Skinhead-Treffen 1999 Die Treffen sind eine wichtige Aktivitätsform der Skinheads; sie weisen regionalen bis internationalen Charakter auf.

Ort / Datum Ereignis Derendingen/SO Treffen mit etwa 70 Teilnehmern; keine Zwischen- 10.4.99 fälle. Im Fahrzeug eines teilnehmenden bekannten Skinheads konnte diverses rechtsextremes Mate- rial sichergestellt werden. Gegen ihn und einen weiteren Skinhead erfolgte eine Anzeige wegen Widerhandlung gegen die Antirassismus- Gesetzgebung (Art. 261bis StGB).

Root/LU Ruhig verlaufenes Treffen einiger Skinheads in ei- 6.6.99 ner Scheune.

Urnäsch/AR Fest in einer Privatliegenschaft mit rund 40 Teil- 12.6.99 nehmern.

Staatsschutzbericht 1999 19

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Sempach/LU Grillparty der SHS und der Gruppe Morgenstern 19.6.99 auf einem öffentlichen Grillplatz mit gegen 70 Teil- nehmern aus verschiedenen Deutschschweizer Kantonen und aus Deutschland.

Gretzenbach/SO Einschlägiges Konzert mit rund 300 Teilnehmern 10.7.99 aus acht Deutschschweizer Kantonen und aus dem benachbarten Ausland (30 bis 40 Prozent), vor allem aus Deutschland. Zutritt hatten nur den Veranstaltern bekannte Skinheads mit Begleitern.

Langenhart bei Grillparty in einem Festzelt auf einem von einem Müllheim/TG Bauern zur Verfügung gestellten Grundstück. Das 17.7.99 Treffen mit gut 130 Teilnehmern war von der Gruppe POF organisiert. Keine Verstösse gegen die Antirassismus-Gesetzgebung.

Kirchleerau/AG Treffen einer unbekannten Anzahl von Teilneh- 23.7.99 mern in einem Waldgebiet. Bei einem dort festge- stellten grossen Effektenlager fanden sich mehrere CDs mit Naziliedern.

Meilen/ZH Treffen der SHS mit rund 70 Personen in einem 31.7.99 Pfadfinderheim.

Willisau/LU Von der Gruppe Morgenstern durchgeführte Skin- 31.7.99 head-Veranstaltung an einer abgelegenen Örtlich- keit. Rund 80 Teilnehmer aus verschiedenen Kantonen und aus Deutschland.

Glattfelden/ZH Treffen in einer Forsthütte mit rund 30 Personen 4.8.99 aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland.

Rigi- Treffen der SHS mit über 100 hauptsächlich aus Scheidegg/SZ der Schweiz und aus Deutschland angereisten 21./22.8.99 Teilnehmern.

St-Oyens/VD Ruhig verlaufenes privates Treffen mit über 40 18./19.9.99 Personen. Die Teilnehmer hielten sich an die Auf- lagen der Polizei.

20 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Ruchwil, Gde. Treffen mit rund 40 Teilnehmern aus fünf Deutsch- Seedorf/BE schweizer Kantonen in einer Waldhütte. Die Einla- 26.9.99 dung war durch die Nationale Offensive erfolgt. Auf den Zufahrtsstrassen wurden verschiedene Schlag- und Stichwaffen, eine Kugelschreiber- Waffe und rechtsextremes Material (Propaganda- schriften und CDs) sichergestellt.

Bäriswil/BE Geburtstagsparty mit über 30 Teilnehmern aus 2.10.99 dem Kanton Bern in einer Waldhütte. Einladung durch die Arische Aktion Bern.

Niederdorf/BL Geburtstagsparty im Garten eines Privathauses 9.10.99 mit 17 Personen aus den Kantonen Basel-Land, Aargau, Bern und Waadt. Darunter befanden sich vier bekannte Skinhead-Exponenten. Am Ver- sammlungsort war eine Fahne mit dem Kelten- kreuz und der Aufschrift "Blood & Honour" angebracht.

Wiedlisbach/BE Von den SHS organisiertes Skinhead-Konzert mit 18.12.99 rund 300 Besuchern aus verschiedenen Deutsch- schweizer Kantonen sowie aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Bulgarien. Keine Zwischenfälle, jedoch teilweise empfindliche Stö- rungen des privaten und öffentlichen Verkehrs. Über zwei Drittel der Teilnehmer waren Anhänger der SHS, die restlichen Besucher sollen zu glei- chen Teilen den Gruppierungen Berserker, Mor- genstern und Blood & Honour angehört haben.

Raum Zürich Rockkonzert mit der Skinhead-Band "Helvetic 18.12.99 Black Metal Mafia". Über den Verlauf der als "Braune Messe - Sonnwende" bezeichneten Ver- anstaltung ist nichts bekannt.

Malters/LU Skinhead-Treffen mit rund 50 Teilnehmern in einer 27.12.99 Betriebskantine.

Malters/LU Skinhead-Treffen mit rund 60 Teilnehmern am sel- 31.12.99 ben Ort.

Staatsschutzbericht 1999 21

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Rechtsextreme Gewalt in der Schweiz 1999 Gewalttätige Aktionen von Skinheads Ort / Datum Ereignis Bern Rund 30 Skinheads drangen gewaltsam in eine im Mar- 29.1.99 zili-Quartier gelegene Wohngemeinschaft ein. Die schwarz gekleideten Angreifer waren mit Schlagstöcken und Messern bewaffnet und grösstenteils vermummt. Sie zerschlugen Fensterscheiben und stiessen die Bewohner zu Boden.

St. Gallen Skinheads griffen in der Innenstadt eine Gruppe von rund 6.2.99 80 Personen an und verursachten eine Massenschläge- rei. Sechs Personen wurden vorübergehend festgenom- men.

Lyssach/ Eine Gruppe von etwa 20 Skinheads schlug vor einem BE als Skinhead-Treffpunkt bekannten Restaurant fünf Per- 13.3.99 sonen zusammen. Schon Ende 1998 war am selben Ort von dieser Gruppe ein Mann spitalreif geschlagen wor- den.

Winterthur Etwa 30 vermutlich der rechtsextremen Szene angehö- 20.3.99 rende Personen überfielen nachts ein bereits geschlos- senes Restaurant der Alternativszene in der Altstadt. Sie verursachten Sachschaden und bedrohten auch Anwoh- ner, die den Vorfall vom Fenster aus beobachtet hatten. Die Gruppe war mit Schlaginstrumenten bewaffnet. Trotz sofort eingeleiteter Fahndung konnte sie unerkannt ent- kommen.

22 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Oster- Alkoholisierte Skinheads griffen eine kurz zuvor von mundi- Hausbesetzern geräumte Liegenschaft an und verur- gen/BE sachten beträchtlichen Sachschaden. 11.4.99

Sirnach/TG Schlägerei zwischen Skinheads und Jugendlichen aus 18.6.99 Ex-Jugoslawien. Die anrückende Polizei traf nur noch drei beteiligte Personen an, alle aus der Winterthurer Skinhead-Szene. Mehrere parkierte Fahrzeuge wurden beschädigt, jedoch niemand wurde ernsthaft verletzt.

Winterthur Eine Gruppe von etwa 15 Skinheads griff etwa gleich vie- 19.6.99 le Punks zum Teil massiv tätlich an. Mehrere Personen, auch Unbeteiligte, wurden verletzt. Zwölf Mitglieder der Skinhead-Gruppe wurden vorübergehend festgenom- men. Ein Reizgasspray und nicht zum Einsatz gekom- mene Schlagstöcke wurden konfisziert.

Koppi- Anrempelungen und Keilereien zwischen Skinheads und gen/BE Ausländern. Ein Skinhead wurde wegen rassistischer 11.7.99 Äusserungen und Beschimpfung verzeigt.

Zürich Skinheads griffen beim Bahnhof Stadelhofen eine Grup- 20.8.99 pe Jugendlicher aus der Punker-Szene tätlich an. Zwei Personen wurden verletzt, eine davon musste hospitali- siert werden. Die beiden Haupttäter, ein 19- und ein 21- jähriger Schweizer, wurden festgenommen.

Bern Anlässlich eines Barfestivals auf dem alten EMPFA- 26.9.99 Gelände kam es zu einer Schlägerei zwischen Skin- heads und verschiedenen jungen Ausländern. Beim Ein- treffen der Polizei war die Auseinandersetzung bereits beendet.

Zürich Im Anschluss an eine bewilligte Demonstration zum 30.10.99 Thema "Stopp den menschenfeindlichen Ausschaffun- gen" in der Innenstadt kam es zu Schlägereien zwischen linksgerichteten Teilnehmern und Skinheads. In beiden Lagern wurde je eine Person verletzt. Eine Person aus der rechtsgerichteten Szene wurde festgenommen.

Staatsschutzbericht 1999 23

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Ereignisse im Zusammenhang mit Einrichtungen des Asylwe- sens 1993 - 1999 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Sprengstoff------1 - anschläge

Brandfälle 3 7 2 6 2 1 3*)

Schusswaf- - 2 1 - - - 2 feneinsätze

Drohungen 4 - - - 1 - 3

Sachbeschä- 2 1 3 - - 1 3 digungen

Total 9 10 6 6 3 3 11

*) In einem Fall konnte die Brandursache nicht mit Sicherheit geklärt werden. Die Statistik erfasst nur Gewaltakte gegen Asylbewerberunterkünfte; Angriffe auf Asylbewerber selbst sind darin nicht enthalten.

Die Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte haben nach vier Jahren des Rückgangs wieder deutlich zugenommen. Sie ha- Deutlich mehr ben sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdreifacht und den Anschläge letztmals höchsten Stand von 1994 übertroffen. Ebenso wie in jenem Jahr waren auch 1999 wieder zwei Anschläge mit Schusswaffen zu verzeichnen. Im Gegensatz zu 1998 wurde kein Sprengstoffanschlag begangen.

24 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Weitere ausländerfeindliche Vorfälle Nebst den Gewaltakten gegen Asylbewerberunterkünfte wurde Viele eine beträchtliche Zahl von Übergriffen gegen ausländische Übergriffe Personen verübt. So stach Mitte August ein Schweizer mit ei- auf Ausländer nem Messer auf einen israelischen Touristen ein und verletzte diesen schwer. Der Angegriffene war zum Opfer geworden, weil er an der Kipa als Jude erkennbar war. Der Täter stellte sich anschliessend der Polizei und gab an, er habe aus Juden- hass gehandelt. Er litt unter psychischen Problemen.

Ausländerfeindliche und antisemitische Flugblätter, Sprayereien und Kleber wurden an verschiedenen Orten in der Schweiz an Gebäuden angebracht oder Privaten anonym zugestellt. Oft Drohbriefe und wurden dabei nationalsozialistische Vorlagen einfach kopiert. Schmierereien Wie schon 1998 versandte eine "Aktion Saubere Schweiz" fremdenfeindliche Drohbriefe, u.a. an eine im Berner Oberland tätige Baufirma und an Fussballklubs, in denen auch Ausländer spielen. Sie enthielten zum Teil massive Drohungen. In einem Fall wurden drei parkierte Fahrzeuge von Fahrenden mit Stei- nen beworfen und zum Teil stark beschädigt. Eine Gedenkstät- te, die Basler Schüler einem durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen türkischen Kollegen errichtet hatten, wurde zer- stört und mit Naziparolen versprayt. Bei einer türkischen Käse- rei wurden die Schaufensterscheiben eingeschlagen und Kleber mit rassistischen Parolen angebracht.

Staatsschutzbericht 1999 25

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Da es sich bei solchen Delikten vorwiegend um Antragsdelikte handelt, ist von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen.

Rechtsextreme Inhalte auf dem Internet Die Bundespolizei hatte bereits 1998 als Folge der starken Zu- nahme rechtsextremer Websites den schweizerischen Internet- Providern eine Reihe von ausländischen rechtsextremen und rassistischen Websites zur Sperrung empfohlen. Dies, weil im Gegensatz zu schweizerischen Sites wegen sehr unterschiedli- cher Rechtssysteme die direkte Strafverfolgung meist nicht möglich ist. Um die schwierigen rechtlichen und technischen Möglichkeiten Rahmenbedingungen einer solchen Sperrung abzuklären, zur Sperrung gründete die Bundespolizei zusammen mit anderen interessier- diskutiert ten Bundesämtern und verschiedenen Internet-Providern eine Kontaktgruppe, in der die aufgeworfenen Fragen weiter verfolgt werden. Der Begriff der illegalen Inhalte wurde dabei nicht auf Meinungsäusserungsdelikte beschränkt. Es wurden auch The- men wie Kinderpornografie, Verkauf illegaler Substanzen oder Glücksspiele via Internet mit aufgenommen.

Ein erster Entwurf eines Arbeitspapiers der Kontaktgruppe ging im Frühsommer 1999 in die Vernehmlassung. Vor allem Fragen der Strafbarkeit der Provider (Gehilfenschaft oder Strafbarkeit im Sinne des Medienstrafrechts) und der Verhältnismässigkeit Provider unter von Sperrungen blieben kontrovers. Ein Ergänzungsgutachten bestimmten des Bundesamts für Justiz bejahte eine subsidiäre Verantwort- Bedingungen lichkeit respektive eine mögliche Gehilfenschaft unter bestimm- strafbar ten Bedingungen. Die Kontaktgruppe wird nun im laufenden Jahr versuchen, gemeinsame Lösungen zur Verhinderung der Verbreitung solcher Inhalte auf dem Internet zu finden. Proble- matische Websites können der Bundespolizei jederzeit gemel- det werden.

Bild aus rechts- extremer Website

26 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Anwendung der Strafnorm gegen Rassismus (Art. 261 bis StGB) Für die Strafverfolgung sind grundsätzlich die Kantone zustän- dig. Die Bundespolizei hat in zahlreichen, ihr zur Kenntnis ge- brachten Fällen Meldung oder Anzeige an die kantonalen Strafverfolgungsbehörden erstattet.

Auch 1999 wurden im Vergleich zu den Vorjahren mehr Verur- teilungen wegen Rassismus ausgesprochen. Wichtig war der Verurteilungen Fall eines Skinheads, den das Bezirksgericht Bremgarten/AG nehmen zu Anfang Mai 1999 wegen Handels mit rassistischen Nazi-Rock- CDs zu vier Monaten Gefängnis und zu einer Busse von 1'000 Franken verurteilte. Erstmals wurde damit die Rassismus- Strafnorm auch auf Musiktexte angewendet.

Wegweisend war weiter ein Urteil des Bundesgerichts vom 10. August 1999. Das Bundesgericht hiess eine Beschwerde der Waadtländer Staatsanwaltschaft gut und hob den Frei- spruch für einen Buchhändler durch das Waadtländer Kan- tonsgericht vom 8. Juni 1998 auf. Dieser hatte das umstrittene revisionistische Buch "Les mythes fondateurs de la politique is- raélienne" des französischen Autors Roger Garaudy verkauft. In der Begründung hielt das Bundesgericht fest, dass sich der Wegweisendes Täter bei Verletzung der Strafnorm gegen Rassismus nicht auf Urteil des die im Medienstrafrecht (Art. 27 StGB) vorgesehene Kaska- Bundes- denhaftung berufen und die gesamte strafrechtliche Verantwor- gerichts tung auf den Autor abwälzen kann. Das Medienstrafrecht sei, entgegen der Meinung der Vorinstanz, bei Verstössen gegen diese Strafnorm nicht anwendbar. Denn dessen Beizug dürfe nicht zu einem Resultat führen, das im Gegensatz zum Willen des Gesetzgebers stehe.

Schliesslich bestätigte das Aargauer Obergericht am 23. Juni 1999 die erstinstanzlich ausgesprochene unbedingte Gefäng- Unbedingte nisstrafe von 15 Monaten gegen den Basler Holocaustleugner Strafe und Buchautor Jürgen Graf. Bestätigt wurden ebenfalls die bestätigt Busse von 20'000 Franken und die Genugtuung zu Gunsten ei- nes Zivilklägers.

Staatsschutzbericht 1999 27

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Überblick über die bisher übermittelten rechtskräftigen Urteile (Stand Ende 1999) Urteile 1995-97 1998 1999 Total seit 1995 Antisemitismus 3 5 7 15 Revisionismus 4 2 3 9 Rassistische Schriften / 6 3 11 20 Äusserungen Andere Gründe 1 0 0 1 Einstellungen (Frei- 18 18 23 59 spruch, Nichteintreten usw.) Total an die Bundes- 32 28 44 104 anwaltschaft übermit- telte Urteile

1.2.2. Linksextremismus

Im Vergleich zum Vorjahr wurden zwar mehr linksextreme An- schläge (Brandanschläge, Farbschmierereien und -sprayereien sowie Angriffe mit grossen Feuerwerkskörpern) verübt, jedoch Mehr bei weitem nicht Schäden im Ausmass der schweren Übergriffe Anschläge - in Genf Mitte Mai 1998 angerichtet. Der grösste Schaden ent- weniger Scha- stand bei einem Doppelanschlag in Zürich im Zusammenhang den mit dem Krieg in Jugoslawien und dem angeblichen Engage- ment der Schweiz in diesem Konflikt.

Von Demonstranten verändertes Logo von Davos Eine neue Angriffsform war die Unterbrechung der Stromver- Angriffe auf sorgung durch die Erzeugung eines Kurzschlusses: einmal Strom- während des Davoser Weltwirtschaftsforums an einer Freilei- versorgung tung, einmal in Genf beim Gebäude der Welthandelsorganisati- on WTO. Beide Male richtete sich die Aktion gegen die Globalisierung der Wirtschaft.

28 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

In den meisten Fällen wurden Bekennerbriefe am Tatort hinter- legt oder den Medien zugestellt. Mehrere der Bekennerschrei- ben, vor allem in Zürich, waren mit "für eine revolutionäre Täter im Um- Perspektive" unterzeichnet, was - wie die Art der Anschläge - kreis des RAZ für eine Täterschaft im Umkreis des Revolutionären Aufbaus vermutet Zürich (RAZ) respektive Schweiz spricht. Bis anhin war es al- lerdings nicht möglich, bei dieser bis 1995 zurückgehenden Se- rie von Sprengstoffanschlägen Täter festzunehmen.

Die 1. Abteilung des Bezirksgerichtes Zürich verurteilte hinge- gen am 4. März 1999 die Vorsitzende des RAZ wegen Land- friedensbruchs, Sachbeschädigung und Verstosses gegen das Vermummungsverbot zu sechs Monaten Gefängnis unbedingt. Die Anklage ging auf Vorfälle während der "Nachdemo" des Zürcher 1.-Mai-Umzugs zurück.

Am 19. November 1999 wurde ein ehemaliges Mitglied der ita- lienischen linksextremen Brigate Rosse/Roten Brigaden (BR), Ehemalige vom Strafgericht des Bezirks La Chaux-de-Fonds wegen Vor- Rotbrigadisten bereitung eines Raubüberfalls, Fälschung von Ausweisen, verurteilt Verwendung gefälschter Ausweise und illegalen Waffenbesit- zes zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Ein Schweizer und eine Schweizerin erhielten sechs bzw. fünf Mo- nate Haftstrafe.

Der ehemalige BR-Angehörige war im Dezember 1998 wäh- rend eines Urlaubs aus dem Gefängnis von Novara geflohen und am 20. Januar 1999 in La Chaux-de-Fonds erneut verhaf- tet worden. Die Polizei stiess dabei auf mehrere Waffen und Munition. Er und seine Komplizen planten einen bewaffneten Raubüberfall in La Chaux-de-Fonds. Nach Verbüssung seiner Schweizer Strafe soll er an Italien ausgeliefert werden, wo er eine lebenslange Freiheitsstrafe abzusitzen hat.

Auch von linksextremen Gruppierungen wird immer stärker vom Internet Gebrauch gemacht. Die Mobilisierung für grosse De- Durch Internet monstrationen geschieht im internationalen Rahmen. Dies zeig- mobiliseren te sich in starkem Masse beim Welthandelsgipfel in Seattle/USA, der durch schwere Ausschreitungen stark beein- trächtigt wurde. Im kleineren Rahmen erfolgte dies auch bei den Weltwirtschaftsforen in Davos 1999 und 2000, wo die län- derübergreifende Mobilisierung zu einer internationalen Teil- nehmerschaft bei den illegalen Demonstrationen führte.

Staatsschutzbericht 1999 29

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Anschläge und Störaktionen gegen Behörden, Parteien und die Wirtschaft Wie schon im Vorjahr lag der Schwerpunkt bei Anschlägen, de- ren Täter im Umfeld des RAZ oder des Revolutionären Aufbaus Schweiz vermutet werden. Daneben gab es Übergriffe durch Autonome und aus dem Kreis von Gegnern der Globalisierung. Ein Anschlag und eine Bombendrohung waren gegen die SVP Schweiz resp. ihren "Zürcher Flügel" gerichtet, ein Anschlag ist dem Öko-Extremismus zuzuordnen (Animal Liberation Front [ALF]).

Plakat gegen Kölner G7-Weltwirtschaftsgipfel

30 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Ort / Datum Ereignis Davos/GR Zwei Tage nach Eröffnung des Weltwirtschaftsfo- 30.1.99 rums sabotierte eine unbekannte Gruppe auf pro- fessionelle Art die Stromversorgung von Davos. Es kam im Ort zu einem kurzen Stromausfall. Das Kongresszentrum war davon nicht betroffen. In ei- nem anonymen Schreiben an eine Westschweizer Zeitung wurde der Stromunterbruch als "Kom- mandoaktion" bezeichnet. Die in englischer Spra- che abgefasste Mitteilung war mit "Sand in the Wheels" (Sand im Getriebe) unterzeichnet.

Lamone/TI Unbekannte sprayten mit roter Lackfarbe Schmie- 1.3.99 rereien auf Scheiben und Mauern einer Lebens- mittelfirma. Die radikale Natur- und Tier- schutzbewegung Animal Liberation Front (ALF) bekannte sich zum Anschlag.

Lugano Während eines Auftritts von Nationalrat Christoph 3.3.99 Blocher als Gastredner an einer Veranstaltung im Kongresszentrum ging eine anonyme Bomben- drohung ein. Die rund 500 Anwesenden mussten den Saal räumen. Bei der anschliessenden Durchsuchung wurde nichts gefunden.

Zürich Unbekannte Täter zündeten zwei mittels Klebe- 17.3.99 band am Hintereingang einer Liegenschaft im Kreis 6 befestigte Knallraketen. Durch die Explo- sion gingen Scheiben in Brüche. Die Täter hinter- liessen ein Bekennerschreiben. An der Fassade wurden gegen die ABB gerichtete Graffiti mit dem Text "ABB Jobkiller und Völkermörder" gesprayt. Sachschaden von mehreren Tausend Franken.

Basel Unbekannte Täter beschmierten zwei Gebäude 17.3.99 mit Farbe und verklebten Türschlösser mit Kon- taktkleber. Zwei Plakate mit der Aufschrift "Money makes the world go round" und "ABB Völkermör- der und Jobkiller" waren am Tatort angebracht. Ein aufgefundenes Bekennerschreiben war mit "Für eine revolutionäre Perspektive" unterzeich- net.

Staatsschutzbericht 1999 31

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Wettingen/ Aus Anlass der Generalversammlung der ABB im AG Tägerhardzentrum wurden an den Gebäudefas- 18.3.99 saden zwei mit schwarzer Farbe ausgeführte Sprayereien "ABB Jobkiller, Völkermörder" ange- bracht. An weiteren Orten, u.a. am Bahnhof und am Postamt, wurde ein Plakat mit einer dreispra- chigen, gegen die ABB gerichteten Erklärung, be- festigt. Da die Tat kurz nach deren Begehung entdeckt wurde, gelang es, einen Mann und eine Frau, beide in Zürich wohnhaft, festzunehmen. Sie sind als Exponenten des RAZ bekannt. Wie in Ba- sel war das Plakat mit "Für eine revolutionäre Perspektive" unterzeichnet.

Zürich Aus Protest gegen die NATO-Angriffe auf Jugo- 15.4.99 slawien, den Schweizer Beitrag zur NATO- Partnerschaft für den Frieden sowie die Militärein- sätze zur Flüchtlingsbetreuung und zum Schutz von Konsulaten verübten Unbekannte einen mas- siven Farbanschlag auf die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der ETH im Kreis 1. Ausserdem wurde die Wohnung des Kommandanten der Ostschweizer Territorialdivisi- on im Kreis 2 mit Farbe beschmutzt und mit Feu- erwerkskörpern beschossen. In einem per E-Mail zugestellten anonymen Bekennerschreiben wurde die Tat als "Angriff gegen Kapital und Militär" be- zeichnet. Der Gesamtschaden beträgt rund 200'000 Franken.

32 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Schaffhausen Am Rande einer Versammlung der Jungen SVP 20.4.99 machte eine Gruppe Jugendlicher mit einer Stör- aktion auf sich aufmerksam. Sie hängten nach der Versammlung ausserhalb des Lokals Plakate mit der Abbildung Adolf Hitlers auf und entwendeten in einer anderen Räumlichkeit des Restaurants ei- ne Schweizerfahne. Offenbar handelte es sich um Punks, welche provozieren wollten.

Zürich Das auf einem Privatparkplatz abgestellte Auto ei- 18.5.99 nes Detektivs der Stadtpolizei Zürich wurde be- schädigt. Die Täter hinterliessen ein Beken- nerschreiben "Communiqué zum Urteil von Andrea" (Verurteilung der Präsidentin des RAZ im März 1999) mit dem Schriftzug der Zeitschrift des RAZ, "aufbau". Der Beamte hatte als Zeuge vor der Bezirksanwaltschaft Zürich gegen die Verur- teilte ausgesagt.

Zürich Es wurde ein Brandanschlag auf das Büro der 27.5.99 American Airlines verübt. Eine unbekannte Frau warf eine unkonventionelle Brandvorrichtung durch die Eingangstüre, was zu einer sehr starken Rauchentwicklung führte. Ein am Tatort zurückgelassenes Bekennerschreiben wandte sich gegen die Luftangriffe im Balkan, gegen weltweite Zerstörung und Krieg sowie gegen die "Firmen der Kriegsstrategen" und "Kriegstreiber und -schmarotzer im Land". Das Schreiben war mit "Für eine revolutionäre Perspektive" unterzeichnet.

Bern Der tschechischen Botschaft wurde ein Drohbrief 17.6.99 zugestellt, in dem u.a. angeprangert wurde, dass es in Tschechien zahlreiche Neonazis gebe und ein Drittel der Polizisten Mitglieder und Sympathisanten rechtsextremer Organisationen seien. Das Schrei- ben war mit "Hoch die anti-nationale Solidarität" und "Revolutionäre Anarchisten Zug" unterzeichnet.

Winterthur Anlässlich des Albani-Festes verprügelten etwa 27.6.99 zehn linksextreme Jugendliche einen Angehörigen der rechtsextremen Szene schwer. Er musste in Spitalpflege verbracht werden.

Wermets- Unbekannte Täter beschmierten Haus und Auto hausen/ZH des Präsidenten der SVP der Schweiz mit Farbe 5.9.99 und stopften Fäkalien in seinen Briefkasten.

Staatsschutzbericht 1999 33

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Genf Etwa 15 junge, sich als Studenten ausgebende 16.11.99 Leute drangen ins Gebäude der Welthandelsor- ganisation (WTO) ein und ketteten sich zum Teil an das Geländer der Haupttreppe. Ein Dutzend weitere Demonstranten konnte unbeachtet auf das Dach des Gebäudes gelangen. Sie entrollten dort ein Spruchband mit der Schrift: "WTO KILLS PEOPLE, KILL THE WTO" (Die WTO tötet Men- schen, tötet die WTO). Rund 30 weitere Personen blockierten unterdessen den Strassenverkehr durch metallene Absperrschranken. Auf Flugblät- tern wurde gegen die am 30. November begin- nende neue Verhandlungsrunde der WTO in Seattle/USA protestiert. Nach rund zwei Stunden verliessen alle Protestierenden das Gebäude. Der Sicherheitsdienst der WTO hatte die Angeketteten vom Geländer losgetrennt.

Zürich Am frühen Morgen verübten unbekannte Täter 25.11.99 vermutlich gleichzeitig Anschläge mit selbst geba- stelten Sprengsätzen aus Feuerwerksraketen auf drei amerikanische Objekte; die Chase Manhattan Bank, American Airlines und American Center / Consular Agency. Es entstand grösserer Sach- schaden. An allen Tatorten fand sich die Sprayin- schrift "Free Mumia - Solidarität mit den politischen Gefangenen". Mit den Anschlägen pro- testierte laut einem Bekennerschreiben ein Komi- tee "Freedom for Mumia Abu Jamal - Solidarität mit den kämpfenden politischen Gefangenen - Für eine revolutionäre Perspektive" gegen die Politik der USA. [Abu Jamal ist ein in den USA zum Tode verurteilter afroamerikanischer Journalist und An- gehöriger der Black Panthers, dessen Hinrichtung Anfang Dezember 1999 hätte vollzogen werden sollen.]

34 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Genf Unbekannte legten die Stromversorgung des 3.12.99 Hauptsitzes der WTO durch einen Kurzschluss für 45 Minuten lahm. Eine Gruppe namens La Reinet- te Verte bekannte sich zum Anschlag.

Bern Etwa 35, teils vermummte Personen eines Komi- 10.12.99 tees "Die Erwerbslosigkeit bekämpfen, nicht die Erwerbslosen" drangen in die Büros des Staats- sekretariates für Wirtschaft (seco) an der Monbi- joustrasse ein und besetzten diese für gut zwei Stunden. Es gelang, die Eindringlinge im Ge- spräch zu beruhigen. Auf den Beizug der Polizei wurde verzichtet.

Gewalttätige Demonstrationen aus dem linksextremen Spektrum Ort / Datum Ereignis Zürich Nach der offiziellen Kundgebung kam es an der 1.5.99 1.-Mai-Feier wiederum zu Ausschreitungen bei der so genannten Nachdemonstration. Einige Hundert Linksautonome des Schwarzen Blocks nahmen daran teil. Nach einem längeren Marsch ohne Tät- lichkeiten kam es zu Konfrontationen mit den Poli- zeikräften. Diese mussten auch Auseinander- setzungen mit rechtsextremen Gruppen verhin- dern. Die Sachbeschädigungen waren geringer als in den Vorjahren. Das Obergericht und das Deutsche Konsulat wurden massiv mit Farbe be- worfen. Insgesamt wurden 38 Personen - 33 Männer und 5 Frauen - vorübergehend festge- nommen. Davon werden 23 Personen dem links- extremen und 11 dem rechtsextremen Lager zugerechnet. Drei Polizeibeamte und mindestens zwei Demonstranten wurden verletzt.

Zürich Gegen 200 Jugendliche aus autonomen Kreisen 18.6.99 führten im Stadtkreis 5 unter dem Motto "Reclaim the streets" eine gegen das Gipfeltreffen der Re- gierungschefs der führenden Industriestaaten (G- 7) vom 18. bis 20. Juni 1999 in Köln gerichtete Manifestation durch. Laut einem Flugblatt hatte eine Gruppe gleichen Namens aus London zu dieser weltweiten Protestaktion aufgerufen. Es kam zu verschiedenen Sachbeschädigungen.

Staatsschutzbericht 1999 35

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1.3. Kurdisch-türkische Gruppen

Die Festnahme des Kurdenführers Abdullah Öcalan am 15. Februar 1999 in Kenia führte weltweit zu militanten Aktio- nen von PKK-Anhängern. Die Besetzungsaktionen mit Geisel- nahmen, die gewaltsamen Zwischenfälle und die Mobilisierung einer grossen Anzahl von Angehörigen und Sympathisanten der PKK zeigten das gewaltextremistische Potenzial der kurdi- schen Organisation.

Überblick und allgemeine Entwicklungstendenzen Die historischen Wurzeln des heutigen Kurdenkonflikts liegen PKK kämpft im Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und der Auf- seit 1984 splitterung des kurdischen Siedlungsgebietes auf vier Staaten. An der Spitze der kurdischen Protestbewegung in der Türkei,

Symbol der PKK

dem kurdischen Siedlungsgebiet mit der grössten Volksgruppe, steht die zunächst vor allem im Südosten der Türkei operieren- de PKK, die seit 1984 in einem Guerillakrieg den türkischen Si- cherheitskräften gegenübersteht. Ziel ihres bewaffneten Kampfes und ihrer in letzter Zeit verstärkten politischen Bemü- hungen war ursprünglich ein unabhängiges Kurdistan, später hingegen eine föderative Lösung mit kurdischer Selbstbestim- mung innerhalb eines künftigen türkischen Staatsverbandes. Eine Unterstützung dieser Bestrebungen erfolgt durch die Or- ganisationsstrukturen der PKK in Europa, sowohl mit finanziel- len Mitteln aus Spendengeldkampagnen als auch mit propagandistischen Aktivitäten. Man will politische Entschei- dungsträger in Europa für eine Unterstützung bei der Lösung der Kurdenfrage gewinnen.

36 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Fernsehansprache Öcalans im MED-TV während seines Rom-Aufenthalts

Die Festnahme des PKK-Generalsekretärs am 15. Februar 1999 in Kenia und seine Überführung in die Türkei lösten welt- weit zahlreiche militante Aktionen von PKK-Anhängern aus. Die Festnahme Kurden in Europa wurden zu einer "Generalmobilmachung" Öcalans löst aufgerufen. In einer Reihe von europäischen Staaten, aber weltweit Ge- auch im Nahen Osten und in Übersee kam es zu Kundgebun- waltakte aus gen, Botschaftsbesetzungen und anderen gewalttätigen Aktio- nen. Radikale PKK-Mitglieder besetzten binnen weniger Stunden in ganz Europa diplomatische Missionen Griechen- lands, Kenias sowie Israels - derjenigen Länder, die sie für die Festnahme Öcalans verantwortlich machten - aber auch Büros von Parteien und internationalen Organisationen. Teilweise wurden bei diesen Aktionen Geiseln genommen. In der Türkei selber fanden massive Proteste sowohl in den kurdischen Pro- vinzen als auch in den von Kurden bewohnten Stadtteilen Istanbuls statt.

Abdullah Öcalan wurde am 29. Juni 1999 durch das türkische Staatssicherheitsgericht zum Tode verurteilt. Zunächst kam es nach Bekanntwerden des Todesurteils wiederum zu massiven Ausschreitungen und gewaltsamen Aktionen. Anschliessend beruhigte sich die Lage weitgehend. Während seines Prozes- ses hatte Öcalan mehrmals die Mitglieder der PKK aufgerufen, den bewaffneten Kampf zu beenden und sich aus der Türkei PKK unter- zurückzuziehen. Der Friedensappell, der eine seit 1993 begon- stützt Frie- nene Linie der Politisierung der PKK weiterführt, wird vom poli- densappelle tischen wie vom militärischen Arm der PKK mitgetragen und Öcalans bisher von ihren Anhängern befolgt. Schwerpunkt der Unter- stützung der Mitglieder und Anhänger der PKK für ihren Gene- ralsekretär bilden nun Solidaritätskundgebungen und politische Aktivitäten.

Staatsschutzbericht 1999 37

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Öcalan im Gerichtssaal wäh- rend seines Prozes- ses auf Imrali

Das Todesurteil gegen Öcalan wurde von den verschiedenen türkischen Rekursinstanzen bestätigt. Die türkische Regierung Todesurteil entschied am 12. Januar 2000 allerdings, das Todesurteil zu- vorläufig aus- mindest bis zum Spruch des Europäischen Gerichtshofs für gesetzt Menschenrechte in Strassburg auszusetzen. Dies bedeutet ei- ne gewisse Entspannung und lässt den Weg für eine Aufhe- bung resp. Umwandlung des Todesurteils offen. Die Strategie der PKK bleibt auf eine politische Lösung der Kurdenfrage aus- gerichtet. Mit dem Entscheid wurde auch militanten PKK- Aktivisten die Grundlage für gewaltsame Aktivitäten entzogen. Politische Signale der türkischen Regierung werden die weitere Entwicklung massgebend beeinflussen. Bei einem Ausbleiben der aus PKK-Sicht positiven Signale in Richtung Selbstbestim- mung ist aber mittelfristig ein Rückfall in gewalttätige Konfronta- tionen auch ausserhalb der Türkei nicht auszuschliessen.

Die Reaktion auf die Gefangennahme Öcalans zeigte deutlich, wie sehr die kurdische Nationalbewegung ein internationales Phänomen geworden ist. Die Aktionen beweisen die weltweite Potenzial der Verbreitung der kurdischen Bewegung, ihren hohen Motivie- PKK bleibt be- rungsgrad und ihre straffe Organisation. Auch wenn die PKK deutend jetzt eine friedliche Linie verfolgt, ist sie mit ihren intakten Kommandostrukturen, ihrem grossen Potenzial und der laten- ten Militanz ihres Unterstützer- und Sympathisantenkreises wei- terhin die bedeutendste Organisation mit gewaltextremis- tischem Potenzial in Europa und der Schweiz. Sie könnte gewaltsame Aktivitäten innert kürzester Zeit wieder aufnehmen.

38 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Entwicklung in der Schweiz Von den gewaltsamen Aktionen nach der Festnahme Öcalans waren in der Schweiz vor allem Zürich, Bern und Genf betrof- fen, wo es zu Besetzungen der griechischen Vertretungen, Besetzungen zweier Gebäude internationaler Organisationen und teilweise und Geisel- zu Geiselnahmen kam. Im Raum Basel wurden mehrere nahmen Brandanschläge auf türkische Einrichtungen verübt. Weiter durch PKK- wurden die Büros des Weltkirchenrates in Genf sowie des Par- Angehörige teisekretariats der FDP in Bern besetzt. Der "Sonderstab Gei- selnahme und Erpressung" (SOGE) gelangte zum Einsatz. Die Besetzungen und die Geiselnahmen konnten ohne Blutver- giessen beendet werden.

Brandanschlag auf türkischen Lastwagen in Basel nach der Festnahme Öcalans in Kenia

Staatsschutzbericht 1999 39

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Besetzung der griechischen Botschaft in Muri/BE durch PKK-Angehörige

Die wichtigsten Aktionen verliefen im Einzelnen wie folgt: Ort / Datum Ereignisse

Muri/BE Besetzung der griechischen Botschaft durch etwa 16.-17.2.99 100 Kurden (20 bis 30 Kurden im Gebäude) am frü- hen Morgen. Gegen 12 Uhr zerstörten die Kurden die Fensterscheiben der Botschaft, anschliessend entspannte sich die Lage etwas. Am Abend des 16. Februar versuchte ein Kurde vor der Botschaft, Gewaltsame sich selber zu verbrennen. Die Besetzung der Bot- PKK- schaft wurde am 17. Februar gegen 19 Uhr beendet. Aktivitäten nach Öcalan- Zürich Besetzung des griechischen Konsulates durch etwa 16.-17.2.99 40 bis 50 Kurden (in der Nacht auf den Mittwoch be- Festnahme fanden sich bis zu zirka 200 Kurden im Gebäude). Sie drohten mit Selbstverbrennung. Der Hausbesit- zer und ein Polizist wurden als Geiseln genommen. Zunächst wurde eine Geisel freigelassen. Die Beset- zung wurde am 17. Februar beendet und die zweite Geisel freigelassen.

Genf Eindringen von etwa 20 Kurden auf das Gelände der 16.-17.2.99 UNO. Weitere Demonstranten auf der Place des Na- tions. Die UNO wünschte keine Intervention der Po- lizei. Aktion am Nachmittag des 17. Februar beendet.

Genf Vorübergehende Besetzung des SP-Sekretariats, 10 16.2.99 Anwesende festgehalten. Ein Versuch, das UNO- Hochkommissariat für Flüchtlinge zu besetzen, wur- de von der Polizei vereitelt. Besetzung noch glei- chentags beendet.

40 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Pratteln/BL Molotowcocktails beschädigten die Büroräumlichkei- 18.2.99 ten der Garage Iskender.

Basel Versuchter Brandanschlag auf das türkische 18.2.99 Reisebüro Sahlan-Reisen. Zwei Täter festgenommen. Möglicher Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Garage Iskender.

Bern Besetzung des FDP-Generalsekretariats in Bern für 19.2.99 einige Stunden durch 20 bis 30 Kurden, zwei Mitar- beiter des Sekretariats als Geiseln genommen. Glei- chentags gegen 19.30 Uhr beendet, Geiseln freigelassen.

Genf Vorübergehende Besetzung des Gebäudes des 19.2.99 Weltkirchenrates (ÖRK). Nachdem der ÖRK einen Appell zu Gunsten von Öcalan erliess, zogen die Kurden ab.

Uster/ZH Brandanschlag mittels Molotowcocktails auf den tür- 19.2.99 kischen Kulturverein. Das Feuer breitete sich nicht aus. Zusammenhang mit PKK-Aktivitäten unsicher.

Basel Brandanschlag auf türkisches Lebensmittelgeschäft, 20.2.99 Brandsatz gelöscht.

Basel Brandanschlag auf zwei türkische Lastwagen. Wa- 20./21.2.99 gen ausgebrannt, Täter unbekannt.

Basel Brandanschlag auf das türkische Kleidergeschäft 21.2.99 Moderate. Das Geschäft brannte aus. Drei Kurdin- nen als mutmassliche Täterinnen festgenommen.

Freiburg Fensterscheibe des Reisebüros Agence de voyages 22.2.99 du Sud eingeschlagen. Das Reisebüro arbeitet mit der Turkish Airlines zusammen. Zusammenhang mit PKK-Aktivitäten unsicher.

Staatsschutzbericht 1999 41

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Bombendrohungen, alle ohne Folge • Anonyme Bombendrohung gegen das Bundesamt für Flüchtlinge in Wabern/BE am 19.2.1999. 700 Personen evakuiert. • Anonyme Bombendrohung gegen ein Benetton-Geschäft in Bern am 20.2.1999. • Bombendrohung gegen das Gebäude des internationalen Arbeitsamtes (BIT) in Genf am 23.2.1999. 1'000 Personen evakuiert.

In diese Zeitspanne fielen auch verschiedene nationale Gross- demonstrationen, so in Zürich, Genf und Bellinzona. Diese ver- liefen zumeist ohne gewalttätige Ausschreitungen. Seit Ende der Besetzungsaktionen verliefen alle Manifestationen der PKK in der Schweiz friedlich.

Strafverfahren Die Bundesanwaltschaft eröffnete gegen die Besetzer des grie- gegen Beset- chischen Konsulates in Zürich, gegen jene der griechischen zer Botschaft in Muri/BE sowie des UNO-Hauptgebäudes in Genf gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren. Am 6. April 1999 er- folgte die Delegationsverfügung an die Behörden der Kantone Zürich, Bern und Genf. In Genf wurde kein Verfahren eröffnet. Die beiden anderen Verfahren waren Ende 1999 noch hängig.

Infolge der Ereignisse im Februar und dem Kosovo-Krieg be- schloss der Bundesrat, die Armee mit der Bewachung gefähr- Armee deter Objekte zu beauftragen, für deren Schutz der Bund bewacht zuständig ist. Der Armee-Einsatz wurde zunächst im Septem- gefährdete ber 1999 auf ein tieferes Niveau zurückgestuft und schliesslich Objekte im Dezember 1999 beendet. Im Rahmen des Arme-Einsatzes beauftragte der Bundesrat die Bundespolizei mit der Führung des nationalen Nachrichtenverbundes. In der Durchführung dieses Auftrags erliess die Bundespolizei entsprechende Wei- sungen und erstellte in der Folge zuerst wöchentlich, später dann vierzehntäglich insgesamt drei Dutzend Bulletins zur Lage zuhanden aller Mitglieder des Verbunds (Kantone, Bundesstel- len, Armee).

Potenzial und Struktur der PKK in der Schweiz Die Zahl der Aktivisten/Sympathisanten der PKK wird heute auf 4'000 geschätzt. Ungefähr 100 Personen gehören dem Kreis der hauptamtlichen Kader an. Die gesamte Mobilisierungska- pazität der PKK in der Schweiz liegt bei etwa 20'000 Personen.

42 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Bei den bisher beobachteten Gewaltformen handelt es sich um Gruppen- und Einzelaktionen. Parteisitz Der Sitz der schweizerischen PKK-Parteizentrale befindet sich nach wie vor in Basel. Die Leitung der PKK Schweiz obliegt ei- nem von der Europazentrale eingesetzten Territorialsekretär. Er wird unterstützt von meist in der Schweiz ansässigen Regional- führern und Koordinatoren. Das PKK-Territorium Schweiz ist in die drei Hauptregionen Basel, Bern und Zürich gegliedert. Die Hauptregion Zürich ist, zumindest im finanziellen Bereich, auch Bedeutendes für Italien verantwortlich. Die Regionalführer werden in den Potenzial der Hauptregionen von Koordinatoren bei der Ausübung ihrer Auf- PKK in der gaben unterstützt. In den grösseren Städten einer Hauptregion Schweiz sind PKK-Lokale Anlauf- und Kontaktstelle für Aktivisten und Sympathisanten der PKK. Das Kurdistan-Komitee in Genf, auch "Aussenministerium der PKK" genannt, hat in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Es unterhält in wichtigen Regionen des PKK-Einflussgebiets "Aussendienstvertretungen", so in Bern, Zürich, Basel und Delémont. Diese Parallelstrukturen sind in vielen Fälle in die örtlichen PKK-Lokale integriert. Führungsfunktionäre Die amtierenden PKK-Führungsfunktionäre sind den Mitglie- dern ausschliesslich unter ihren Decknamen bekannt. Ihr Ver- halten ist äusserst konspirativ. Die Kontaktaufnahme zwischen den PKK-Führungskadern erfolgt meist über eine öffentliche Telefonkabine auf Mobiltelefone, die laufend ausgetauscht werden. Aktivitäten Neben der politischen Öffentlichkeitsarbeit zählen eine Reihe weiterer Tätigkeitsbereiche, wie politische und militärische Schulung der Kader sowie Geldbeschaffung zur Finanzierung des Parteiapparates, zu den Aufgaben der PKK-Leitung. Wich- Ausbildungs- tige Tätigkeitsfelder bilden auch das Anwerben und Ausbilden lager auch in der jungen Kader. Seit Jahren werden auch in der Schweiz der Schweiz Ausbildungslager durchgeführt. Für die Durchführung gewalttätiger Aktionen (Bestrafungen, Brandanschläge usw.) werden PKK-Angehörige aus dem be- nachbarten Ausland eingesetzt. Nach Ausführung der Tat rei- sen sie sofort wieder aus.

Staatsschutzbericht 1999 43

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Plakat mit Demonstra- tionsaufruf der TKIP (PKK)

Finanzierungsmethoden der PKK Der Finanzbedarf der PKK ist erheblich. Ihre Geldbeschaf- Spendengelder fungsaktivitäten sind im Vergleich zu anderen extremistischen gewaltsam Organisationen besonders ausgeprägt. Sie finanziert ihren Par- eingetrieben teiapparat und ihre Aktivitäten in der Türkei im Wesentlichen durch Spendengeldsammlungen, Mitgliederbeiträge, Einnah- men aus dem Verkauf von Publikationen und Überschüssen aus parteieigenen Unternehmen. Bei den Spendengeldsamm- lungen wird die so genannte Revolutionssteuer sowohl bei kur- dischen als auch türkischen Landsleuten erhoben. So betrug das Spendenziel 1998 für die Schweiz 3,5 Millionen Franken. Die Höhe der zu sammelnden Beträge wurde auch 1999 durch die Zentrale festgelegt. Gegen Ende der Aktion erfolgen die Geldsammlungen mittels Einschüchterung und sogar zuneh- mend gewalttätig, da die Geldeintreiber den für ihr Gebiet fest- gelegten Betrag auf Grund freiwilliger Leistungen allein jeweils nicht zusammenbringen.

44 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Nachfolgesender von MED-TV Der im Mai 1994 in London gegründete Fernsehsender MED- TV diente der PKK als Propaganda- und Massenkommunikati- onsmittel. Wegen Nichtbeachtung von Unparteilichkeitsbestim- mungen verfügte die britische Konzessionsbehörde ein Sendeverbot und entzog schliesslich am 23. April 1999 dem Sender die Lizenz.

Unter dem Namen MEDYA-TV nahm ein neuer PKK- Satellitensender am 30. Juli 1999 in Frankreich seinen Betrieb Nachfolge- auf. Der neue Sender gleicht in wesentlichen Programminhal- sender ähnelt ten dem unter anderem wegen Aufrufen zu Gewalt verbotenen MED-TV stark Fernsehsender MED-TV. Auch das Logo von MEDYA-TV ist identisch mit jenem seines Vorgängers MED-TV. Die Beiträge von MEDYA-TV werden in verschiedenen türkischen Dialekten gesendet.

Logo des neuen kurdischen TV-Senders MEDYA

Linksextreme türkische Gruppen Zwei linksextreme Gruppen prägen die terroristischen Aktivitä- Weiterhin ten in der Türkei: die Türkische Kommunistische Partei/Marxis- für den ten-Leninisten (TKP/ML) und die Nachfolgeorganisationen der Kommunismus Devrimci Sol, nämlich die Revolutionäre Volksbefreiungspartei/ -front (DHKP-C) sowie die Türkische Volksbefreiungspartei/ -front (THKP-C). Sie zielen unverändert auf die Einführung ei-

Staatsschutzbericht 1999 45

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

nes kommunistischen Herrschaftssystems. Die jüngsten Revol- ten in verschiedenen türkischen Gefängnisses gehen haupt- sächlich auf Vertreter des türkischen Linksextremismus zurück.

Überblick und allgemeine Entwicklungstendenzen In Europa gingen die Gewaltaktionen durch türkische linksex- Gewaltaktio- treme Gruppen zurück. Die TKP/ML, die DHKP-C sowie die nen zurückge- THKP-C thematisierten verschiedene weltpolitische Ereignisse, gangen insbesondere aber die Festnahme des Generalsekretärs der PKK und die Gefängnisrevolten in der Türkei. Nach wie vor kam es zwischen den beiden rivalisierenden und verfeindeten Flügeln der DHKP-C und THKP-C zu gewalttätigen Auseinan- dersetzungen. Intensive Strafverfolgungsmassnahmen mit Festnahmen und Verurteilungen der wichtigsten Führungsfunk- tionäre in Deutschland, Belgien und der Schweiz schwächten allerdings die beiden Flügel der Devrimci Sol. Inhaftierungen in Belgien lösten eine Reihe von Protestaktionen und Solidaritäts- kundgebungen aus. Angesichts des Fahndungsdrucks in Deutschland verlagerten die Führungsverantwortlichen ihre Ak- tivitäten ins benachbarte Ausland. Die noch laufenden Ermitt- lungen in Belgien lassen auf ausgeprägte internationale - teilweise geheime - Organisationsstrukturen der DHKP-C schliessen.

Potenzial und Struktur der TKP/ML in der Schweiz Die Zahl der Aktivisten und Sympathisanten der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) wird heute auf etwa 500 geschätzt.

Die gegenwärtige Organisationsstruktur der 1972 gegründeten TKP/ML geht auf die Spaltung der Organisation in die beiden Stärkerer Par- rivalisierenden Flügel Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) tizan-Flügel und TKP/ML Partizan im Jahr 1994 zurück. Dabei entfaltet der mitgliederstärkere Partizan-Flügel deutlich mehr Aktivitäten.

Die schweizerische Zentrale der TKP/ML befindet sich in Basel, mit Klublokalen in den grösseren Schweizer Städten. Die Füh- rungsfunktionäre arbeiten weitgehend konspirativ und nehmen an den europäischen Aktivitäten der TKP/ML teil.

Im Verlaufe des Jahres 1999 kam es in der Schweiz nur zu we- nigen gewaltsamen Zwischenfällen und Aktivitäten durch Mit-

46 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus glieder der TKP/ML, so z.B. gewaltsame Geldeintreibungen in Basel und Zürich. Diverse Veranstaltungen der Organisation wurden durch einen eigenen Sicherheitsdienst überwacht und Solidarisierung verliefen friedlich. Die TKP/ML solidarisierte sich bei verschie- mit der PKK denen Themen mit anderen türkischen Gruppen und auch mit der kurdischen PKK. An den europaweiten Solidaritätskundge- bungen nach der Festnahme des PKK-Führers Öcalan war je- weils auch die TKP/ML vertreten. Im Herbst beteiligte sie sich an den organisationsübergreifenden Solidaritätskundgebungen linksextremer türkischer Gruppierungen im Zusammenhang mit den Gefängnisrevolten in der Türkei.

Potenzial und Struktur der DHKP-C und der THKP-C in der Schweiz Die Zahl der Aktivisten/Sympathisanten der 1978 gegründeten Revolutionären Linken (Devrimci Sol), gespalten in DHKP-C und THKP-C, wird in der Schweiz auf etwa 400 Personen ge- schätzt. Ungefähr 30 Personen gehören dem harten Kern an. Zur Zeit verfügen beide Flügel über Vereinslokale, die als Kul- turvereinslokale oder Informationsbüros getarnt sind. Die Füh- rung der DHKP-C Schweiz agiert vorwiegend von ihrer Zürcher Zentrale (Kurtulus-Pressezentrum) aus. In Basel besitzt die Or- ganisation unter dem Namen Volkskulturverein neue Vereins- räumlichkeiten. Das wichtigste Klublokal der THKP-C befindet sich in Zürich in den Vereinsräumlichkeiten der Volksakademie Kultur- und Bildungszentrum, ein weiteres ist in Basel. Ein Grossteil der Aktivitäten der DHKP-C und der THKP-C erfolgt im Grossraum Basel, Bern und Zürich. Mehrere Personen des Führungsgremiums der DHKP-C wur- den ersetzt. Nach wie vor verhalten sich die Vertreter der bei- den Flügel konspirativ. Die Mitglieder der DHKP-C verwenden Verschlüsselungsprogramme und operieren bei Aktionen mit Konspiratives Computern und Mobiltelefonen mit Easy-Cards. Für die Über- Verhalten der mittlung von Informationen und Weisungen sowie beim Kontakt Mitglieder zwischen den Mitgliedern werden Geheimcodes benutzt. Beide Fraktionen kämpfen nach wie vor mit erheblichen finan- ziellen Problemen. Die jährlichen Spendenkampagnen und der Vertrieb von Publikationen bilden die Haupteinnahmequellen der Organisation. Das vorgegebene Spendenziel der DHKP-C für die Schweiz lag bei rund 100'000 Franken. Vereinzelt war die Spendenkampagne von Drohungen und Gewalt begleitet.

Staatsschutzbericht 1999 47

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Keine Flügel- Anders als im europäischen Ausland kam es in der Schweiz zu kämpfe in der keinen gewaltsamen Flügelkämpfen der verfeindeten Fraktio- Schweiz nen. Die 1999 in der Schweiz durchgeführten internationalen Veranstaltungen der THKP-C verliefen gewaltfrei.

Titelblatt einer neuen Publikation der DHKP-C

Festnahme von DHKP-C-Exponenten in der Schweiz Am 15. Oktober 1999 wurde der international gesuchte Europa- und Deutschland-Verantwortliche der DHKP-C, Nuri Eryüksel, in Chur festgenommen. Gegen ihn bestand ein internationaler Haftbefehl des Deutschen Bundesgerichtshofs wegen Ver- dachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Tötungsdelikten, Brandstiftungen und anderer Delikte. Die Schweizer Behörden eröffneten eine Einreisesperre gegen Eryüksel. Er wurde im Frühjahr 2000 nach Deutschland ausge- liefert.

Deutschen Be- Am 14. November 1999 wurde Hulusi Dogan auf dem Genfer hörden über- Flughafen Cointrin auf Grund eines durch die deutschen Be- geben hörden unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristi- schen Vereinigung erlassenen internationalen Haftbefehls festgenommen. Dogan wurde zunächst in Auslieferungshaft genommen und am 15. November 1999 den deutschen Behör- den übergeben. Dogan war im Zeitraum von 1996 bis 1998 DHKP-C-Verantwortlicher für den Raum Stuttgart. Seit April 1999 war er Leiter der DHKP-C Schweiz. Er wechselte laufend seinen Aufenthaltsort und besass in der Schweiz keinen offiziel- len Wohnsitz.

48 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1.4. Der Kosovo-Konflikt

1999 war für den Kosovo das Jahr tief greifender Veränderun- gen. Diplomatische Vermittlungsbemühungen und Friedensver- handlungen der westlichen Staatengemeinschaft scheiterten und mündeten in eine Luftintervention der NATO. Nach intensi- NATO-Luft- ven diplomatischen Bemühungen und unter dem Druck der intervention Luftangriffe stimmte Slobodan Milosevic am 3. Juni 1999 nach schliesslich einem internationalen Friedensplan zu. Die Sicher- Eskalation des heitslage im Kosovo wird seither durch eine internationale Konflikts Schutztruppe stabilisiert. Die kriegerischen Ereignisse in der südserbischen Provinz führten zur grössten Fluchtbewegung von Kriegsflüchtlingen der Nachkriegszeit, etwa 900'000 Men- schen verliessen teilweise unter Zwang das Land. Die Schweiz, wo eine der grössten kosovarischen Diaspora in Europa lebt, war von der Flüchtlingswelle besonders betroffen. Ihre Bedeu- tung als Logistikstützpunkt und Finanzierungsbasis primär für die kosovo-albanische Befreiungsarmee von Kosova (UCK) wurde durch einen weiteren Fall von Waffenschmuggel unter- strichen.

Einsatzplan der jugoslawischen Truppen im Kosovo - Frühjahr 1999

Staatsschutzbericht 1999 49

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Aufmarsch der UCK im Sommer 1999

Auswirkungen auf die Schweiz Die Stimmung innerhalb der ex-jugoslawischen Diaspora blieb Lage in auf einem hohen Niveau angespannt. Leitende Funktionäre Diaspora sowohl serbischer als auch kosovo-albanischer Organisationen gespannt sprachen sich jedoch auch während des Krieges in ihrer Hei- mat gegen gewaltsame Aktionen aus. Zu tätlichen Auseinan- dersetzungen zwischen Kosovo-Albanern und Serben kam es nur in Einzelfällen. Die kosovarische Diaspora unterstützte wei- terhin die kosovo-albanischen Organisationen mit bedeutenden Geldspenden.

Nach wie vor wird ein bedeutender Teil des Drogenhandels in der Schweiz durch Gruppen aus der Bundesrepublik Jugosla- wien, vorwiegend aus dem Kosovo, abgewickelt. Hiebei ist Finanziert nicht auszuschliessen, dass deren Einnahmen teilweise auch Drogenhandel der Finanzierung extremistischer Gruppen dienen. Von der extremistische Schweiz aus kehrten während der Phase der NATO-Inter- Gruppen? vention viele junge Kosovo-Albaner in die Heimat zurück, um vor allem die UCK im Kampf zu unterstützen.

Die Schweiz dient ferner als Basis für verschiedene politische Parteien der kosovo-albanischen Volksgruppe. Führende Ver- treter der Parteien ebenso wie Exponenten der ehemaligen UCK hatten oder haben noch immer ihren Wohnsitz in der Schweiz.

50 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Ein Risikopotenzial besteht weiter, denn die Unterstützung der militanten Gruppen aus der Diaspora wird fortgeführt. Bei einer Verschärfung der Lage im Kosovo kann dies in der Schweiz zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen.

Wichtige Ereignisse und gewaltsame Vorfälle mit u.a. direktem Bezug zum Kosovo-Konflikt 1999 ! Der serbische Kulturverein Nikola Tesla veranstaltete am 27. und 28. März in Luzern bewilligte Mahnwachen. Diese Demonstran- verliefen zunächst friedlich. Am 28. März griff dann unver- ten in Luzern mutet eine Gruppe von etwa 30 Personen, wahrscheinlich überfallen Kosovo-Albaner, die rund 1'000 Teilnehmer mit Holzlatten, Eisenstangen und Wurfgeschossen an. Durch einen Poli- zeieinsatz konnten grössere Ausschreitungen verhindert werden.

! Am 28. März kam es im Anschluss an eine Mahnwache auf dem Bundesplatz in Bern zu gewalttätigen Zwischenfällen zwischen Serben und Kosovo-Albanern. Dabei wurden vier Teilnehmer der Mahnwache von zwei Kosovo-Albanern beschimpft und mit einem Messer bedroht. Zudem brannte das Fahrzeug eines Serben, der ebenfalls an der Mahnwa- che teilgenommen hatte, vollständig aus.

! Am 29. März beschädigte eine Gruppe von rund 50 - len Serben nach einer bewilligten, friedlich verlaufenen Kundgebung gegen die NATO-Luftangriffe das deutsche Generalkonsulat.

! Im Anschluss an eine Anti-NATO-Kundgebung in Genf wurde am 30. März ein 40-jähriger Serbe im Verlaufe einer Auseinandersetzung erstochen. Drei Männer aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden verhaftet. Unter dem Ein- Serbe nach druck der Bluttat verbot die Genfer Regierung sämtliche Kundgebung Kundgebungen im Zusammenhang mit dem Kosovo- erstochen Konflikt. Ein Genfer Gericht verurteilte zwei Kosovo- Albaner am 16. Februar 2000 wegen Angriffs mit Todesfol- ge zu je drei Jahren Gefängnis, ein dritter Angeklagter wurde freigesprochen. Der Haupttäter konnte nicht eruiert werden.

Staatsschutzbericht 1999 51

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

! Am 3. April fand in Zürich eine von der "Serbischen Unab- hängigen Gemeinschaft in der Schweiz" organisierte Kundgebung mit etwa 600 Teilnehmern statt. Ein Kosovo- Albaner wurde dabei zusammengeschlagen.

! In der Nacht auf den 4. April wurde ein Kosovo-Albaner in Luzern von mehreren Personen angegriffen und niederge- stochen.

! Am 5. April ereignete sich im "Bois-Noir" bei St-Maurice/VS zwischen dem Geschäftsführer eines Restaurants und ei- nem im Kanton Waadt wohnhaften Kosovo-Albaner eine Schiesserei. Der Schütze wurde verhaftet.

! Bei einer Schiesserei in Zürich-Oerlikon am 16. April wurde ein Bosnier getötet. Fünf weitere Männer aus dem ehema- ligen Jugoslawien wurden verletzt.

! Am 21. April verhaftete die Polizei in einer Garage in Rüm- lang/ZH fünf jugoslawische Staatsangehörige wegen Ver- dachts der Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz und das Waffengesetz. In einem Fahrzeug wurden zwei Gewehre und Munition sichergestellt.

! In die Wohnung eines Exponenten der UCK in der Schweiz wurde am 25. April ein Einbruch verübt. Die unbekannten Einbrecher entwendeten einen grösseren Geldbetrag und mehrere Disketten mit etwa 20'000 Spender-Adressen.

! Im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt gingen bei verschiedenen Personen und Stellen Drohbriefe und tele- fonische Bombendrohungen ein; so auch gegen einen Fussballklub, bei denen Serben mitspielen, und einen poli- tischen Vertreter der Kosovo-Albaner.

52 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Strukturen und Aktivitäten von Gruppen aus der Bundesrepu- blik Jugoslawien in der Schweiz Gruppierungen Aktivitäten LDK Durchführung von bewilligten Aktionen und grösseren Kundgebungen, hoher In der Schweiz etwa 40 Mobilisierungsgrad im Kreise der koso- Untersektionen. Mitglie- varischen Migration. Rege Finanzbe- derzahl nach eigenen An- schaffungsaktivitäten. gaben rund 3'000.

LPK (bis November 1999) Finanzielle und logistische Unterstützung der UCK, extremistische Propaganda in In der Schweiz etwa 20 Zeitungen und an Veranstaltungen mit Ortsgruppen, insgesamt Aufrufen zur Gewaltanwendung zum etwa 500 Mitglieder und Sturz der serbischen Herrschaft über zahlreiche Sympathisan- den Kosovo. Aufrufe zur Teilnahme am ten. Zahlreiche Funktionä- Kampf im Kosovo. Einrichtung von re traten gleichzeitig in der Spendenfonds (neue Bezeichnung: Fon- Führungsebene des Fondi di i Kosovës), Kundgebungen. Hinweise i Kosovës und der UCK in auf Verflechtungen mit der UCK. Be- Erscheinung. schaffungsaktivitäten (Waffen) der LPK für die UCK. Herausgeberin der Zeitung "Zëri i Kosovës".

UCK Nur vereinzelt eigene Strukturen in der Schweiz Schweiz. Hinweise auf eine wichtiges Hin- Offiziell seit 20. Septem- Zusammenarbeit zwischen der UCK und terland ber 1999 aufgelöst, neue der LPK Schweiz auf finanzieller und zivile Struktur Kosovo Pro- logistischer Ebene. tection Corps (KPC) PPDK - Auslandfraktion Vertritt die politische Linie der LPK. Die PPDK formulierte ihre politischen Ziele Gründung November wie folgt: Vollständige Unabhängigkeit 1999 in der Schweiz. Zu- und Aufbau eines demokratischen Koso- sammenschluss von LPK vo; Wiederaufbau, Integration in den und UCK. Gründungsrat Balkan und Europa; Bemühungen für die mit 51 Mitgliedern. Freilassung der kosovarischen Gefange- nen aus serbischer Haft.

LKCK Punktuelle Zusammenarbeit mit der UCK. Finanzielle und logistische Unter- Basispotenzial gering stützung des bewaffneten Kampfes. Ex- tremistische Propaganda an Veranstal- tungen und in der eigenen Zeitschrift "Clirimi".

Staatsschutzbericht 1999 53

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Verurteilung von Mitgliedern eines 1998 aufgedeckten Waffen- schieberrings Im Prozess gegen drei Mitglieder eines im Oktober 1998 in mehreren Kantonen aufgedeckten Kosovo-Waffenschieberrings wurden am 17. Dezember 1999 durch das Bezirksgericht Wer- Milde Strafen denberg/SG die Urteile gefällt. Zwei Angeklagte erhielten be- für Waffen- dingte Freiheitsstrafen von 12 und 18 Monaten, ein irakischer schieber Geschäftsmann wurde freigesprochen. Im Sommer 1999 wurde ein bis dahin gesperrtes Spendenkonto - welches teilweise der Finanzierung des Waffenschmuggels gedient hatte - durch die Bundesanwaltschaft unter Auflagen wieder freigegeben.

Erneuter Fall von Waffenschieberei zu Gunsten der UCK Im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt wurden von mehre- ren Personen vorwiegend kosovo-albanischer Herkunft Ende 1998/Anfang 1999 Waffen und Munition in der Schweiz beschafft und mit dem Endziel Kosovo nach Albanien transportiert. Dabei erhielt eine Person den Auftrag direkt vom Stab der UCK. Aus den Ermittlungen haben sich bisher zwei verschiedene Komple- xe von illegalen Waffengeschäften herauskristallisiert.

Die italienischen Zollbehörden beschlagnahmten am 9. Februar 1999 in einem in Luzern beladenen und vom dortigen Zoll ab- Missbrauch ei- gefertigten Lastwagen mit Hilfsgütern grössere Mengen Waffen nes Hilfsgüter- und Munition. Es wurden vier Pump-Action-Gewehre, eine Pi- transportes stole, ein Seriefeuer-Gewehr, eine Trommel-Flinte, 40 Zielfern- rohr-Gewehre, 40 Schalldämpfer, 32'000 Schuss Munition und 90 militärische Tarnanzüge gefunden. Die Bundesanwaltschaft eröffnete am 22. Februar 1999 ein gerichtspolizeiliches Ermitt- lungsverfahren, das sich zunächst wegen Verdachts auf Wider- handlung gegen das Kriegsmaterialgesetz und eventuell das Güterkontrollgesetz gegen den Chauffeur richtete. Die Ermitt- lungen wurden auf acht Kantone ausgedehnt. Bei den Verdäch- tigten handelt es sich um Schweizer, Jugoslawen und Albaner.

Im Laufe der Ermittlungen zeigte es sich, dass weitere Hinter- männer der Waffenschieberei in der Schweiz tätig gewesen wa- ren. Das Verfahren wurde auf vier in der Schweiz wohnhafte jugoslawische Staatsangehörige sowie zwei Schweizer ausge- dehnt. Einer der beiden Schweizer, ein Waffenhändler, wird verdächtigt, Gewehre und eine grössere Menge Munition an Jugoslawen verkauft zu haben. Er ist im Wesentlichen gestän- dig. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

54 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Sichergestellte Waffen und Munition im zweiten aufgedeckten Fall von Waffenschieberei zu Gunsten der UCK

Waffenversteck unter den für den Kosovo bestimmten Hilfsgütern

Staatsschutzbericht 1999 55

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1.5. Arabisch-islamistische Gruppen

Entwicklung in Richtung Politisierung

Weniger Insgesamt bestätigten die Entwicklungen im Jahr 1999 den seit Terrorakte Anfang der Neunzigerjahre erkennbaren Trend, dass terroristi- sche Gewaltakte verstärkt religiös oder ethnisch und weniger politisch motiviert sind. So dient der islamistische Fundamenta- lismus gewalttätigen Gruppierungen als gemeinsame Klammer zur Rekrutierung von Aktivisten und Sympathisanten. 1999 zeichnete sich zudem eine Verlagerung der Aktivitäten einiger aus dem islamistischen Umfeld stammenden Organisationen ab: Beispielsweise kehrte sich die ägyptische Gruppierung Gamaa al Islamija von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen ab und wendete sich dem politischen Agieren zu. Trotz diesen Entwicklungen bleibt jedoch ein Risikopotenzial für von Splittergruppen oder Einzeltätern verübte Terrorakte be- stehen.

Präsidentenwechsel bringt Beruhigung in Algerien Sicherheits- Nach dem Rücktritt von Präsident Liamine Zeroual stellte die lage Wahl von Abdelaziz Bouteflika Mitte April den ersten Schritt zur verbessert Verbesserung der Sicherheitslage im seit dem Verbot der isla- mistischen Front Islamique du Salut (FIS) von Gewalttaten ge- beutelten Algerien dar. Während sich die Armée Islamique du Salut (AIS), die als bewaffneter Arm der FIS gilt, seit 1997 an einen mit der Regierung in geheimen Gesprächen ausgehan- delten Waffenstillstand hält, blieben andere Gruppierungen 1999 terroristisch aktiv: Die Aktivitäten der im Herbst 1991 ge- gründeten Groupe Islamique Armé (GIA) unter Antar Zouabri und die 1996 als Absplitterung aus der GIA hervorgegangene Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC) un- ter Hassan Hattab waren aber weniger koordiniert und blieben isoliert. Am 22. November wurde Abdelkader Hachani in Algier erschossen. Er hatte nebst Abassi Madani und Ali Benhadj der engsten Führungsspitze der FIS angehört. Mitte Dezember wurde ein mutmassliches GIA-Mitglied als Tatverdächtiger fest- genommen. Der islamische Fastenmonat Ramadan - in den vergangenen Jahren jeweils trauriger Höhepunkt des Mordens - verlief vergleichsweise ruhig.

56 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Am 16. September befürwortete eine überwältigende Mehrheit Grosses Mehr der Stimmenden in einer Referendumsabstimmung das von für Amnestie- Präsident Bouteflika initiierte Amnestiegesetz zur "Nationalen gesetz Versöhnung". In den Genuss der Amnestie kommen islamisti- sche Fundamentalisten, die nicht direkt an Anschlägen, Massa- kern oder anderen Gewalttaten beteiligt gewesen sind. Bis zu 15'000 Personen sollen von dem Gesetz profitieren können. Bis Ende 1999 stellten sich laut Regierungsangaben rund 80 Pro- zent der Aktivisten, vor allem der AIS und der Ligue islamique pour le Djihad et Dâawa (LIDD), freiwillig. Falls die algerische Regierung nun mit Erfolg gegen die verbleibenden aktiven Ge- walttäter vorzugehen vermag, ist mit einer weiteren Verbesse- rung der Sicherheitslage zu rechnen.

Urteile gegen Unterstützer in Europa gefällt In den letzten Jahren wurden in westeuropäischen Staaten, die Interventionen bevorzugt als Rückzugsgebiete dienten, verschiedene Netz- stören Netz- werke von Unterstützergruppen und Sympathisanten algeri- werke scher Terrorgruppen aufgedeckt. Die Interventionen der Polizeibehörden scheinen besonders die Kommunikationswege zwischen den vor allem in Frankreich, Belgien, Italien, Deutsch- land, Grossbritannien, aber auch der Schweiz aktiven Unter- stützergruppen nachhaltig gestört zu haben.

Bei mehreren teilweise seit Jahren laufenden Prozessen gegen Urteile wegen GIA-Aktivisten und -Sympathisanten in Belgien und Frankreich Anschlägen wurden die Urteile gefällt. Zu zehn Jahren Gefängnis wurde un- auf Pariser ter anderem Sami Aït Ali Belkacem verurteilt, der sich in frühe- Metro ren Jahren auch in der Schweiz aufgehalten hatte. Belkacem wurde schuldig gesprochen, 1995/1996 an den Bombenattenta- ten in der Pariser Untergrund- und Vorortsbahn, bei denen 10 Menschen getötet und über 180 verletzt worden waren, be- teiligt gewesen zu sein. Im Zusammenhang mit den Prozessen gab es Drohungen für Terrorakte, die aber glücklicherweise nicht in die Tat umgesetzt wurden.

Die Schweiz lieferte im Juni einen im Mai des Vorjahres inhaf- GIA-Aktivist an tierten Algerier an Frankreich aus, der dort der Zugehörigkeit zu Frankreich einer terroristischen Organisation angeklagt ist. Ende August ausgeliefert wurde in der Ostschweiz ein Mitglied der GIA verhaftet. Spani- en stellte ein Gesuch auf Auslieferung des Mannes.

Staatsschutzbericht 1999 57

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Stabilere Sicherheitslage in Ägypten Seit dem Attentat von Luxor im November 1997 verbesserte sich die Sicherheitslage in Ägypten. Dazu trug einerseits das harte Vorgehen der Behörden bei. Andererseits hat die Mitte Abkehr von der Siebzigerjahre entstandene Terrororganisation Gamaa al gewaltorien- Islamija seit dem Luxor-Attentat einen weniger gewaltorientier- tiertem Kurs ten Kurs eingeschlagen. Im März 1999 erklärte die Organisati- on formell einen Waffenstillstand mit der Zusage, künftig ihre Ziele auf politischem Weg durchsetzen zu wollen. Während es Anzeichen gibt, dass die Gamaa al Islamija tatsächlich wieder auf den bereits in ihren Anfängen praktizierten Weg des politi- schen Agierens einschwenken will, hat die sunnitische Terror- gruppe Islamischer Jihad eine Fortsetzung ihrer gewalttätigen Aktionen - vorab gegen die USA und Israel - angekündigt. Nach wie vor dient Westeuropa - besonders Grossbritannien - Mit- gliedern und Sympathisanten der ägyptischen Terrororganisa- tionen als Rückzugs- und Propagandaraum.

Im Nachgang zum Luxor-Attentat haben sich die Angehörigen der 36 Opfer aus der Schweiz mit Vertretern von Versicherun- gen und Reiseveranstaltern geeinigt, für die noch immer nicht gedeckten Schäden insgesamt 4,8 Millionen Franken aus ei- nem neu zu schaffenden Fonds zu erhalten.

Usama Bin Ladens Rolle In den Medien aufgetauchte Spekulationen, wonach Bin Laden auch hinter dem Luxor-Attentat in Ägypten stehen soll, lassen sich durch keine konkreten Beweise belegen. Der von den USA als Drahtzieher der Bombenanschläge auf die beiden US- Mutmassliche Botschaften in Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania) im Mitarbeiter August 1998 gesuchte Bin Laden hält sich in Afghanistan auf. Bin Ladens Im Laufe des Jahres wurden weltweit mehrere angebliche Mit- verhaftet arbeiter Bin Ladens verhaftet, so beispielsweise vor Weihnach- ten ein algerischer Staatsbürger mit mutmasslichen Verbindungen zu Bin Laden wie auch zu algerischen Terror- gruppierungen. Dieser hatte mit explosiven Materialien von Ka- nada her in die USA einreisen wollen. Immer wieder kursierten Gerüchte über geplante Terrorakte Bin Ladens; dies besonders im Blick auf den Jahreswechsel 1999/2000, der dann aber ohne Zwischenfälle verlief. Konkrete Hinweise zu geplanten Gewalt- aktionen oder zu den Anschlägen auf die Botschaften in Ost- afrika liegen noch nicht vor; auch wurden noch keine Prozesse eröffnet. Vermutungen über die Höhe der Bin Laden zur Verfü-

58 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

gung stehenden Geldmittel liessen sich nicht erhärten. Abklä- rungen ergaben keinerlei Erkenntnisse über organisatorische oder finanzielle Strukturen zur Unterstützung Bin Ladens in der Schweiz oder aus der Schweiz.

Naher Osten Friedensprozess wieder belebt Unter Ehud Barak, der am 17. Mai zum Nachfolger Benjamin Barak strebt Netanjahus als israelischer Ministerpräsident gewählt wurde, baldigen Frie- lebten die Bemühungen um einen langfristigen Frieden im Na- den an hen Osten wieder auf. Israel hat die Verhandlungen mit den pa- lästinensischen Autonomiebehörden über den künftigen Status der palästinensischen Gebiete intensiviert und nach fast drei- jährigem Unterbruch wieder Gespräche mit Syrien vorab über die Rückgabe der seit dem 6-Tage-Krieg von 1967 durch Israel besetzten Golan-Höhen aufgenommen. Im Jahr 2000 sollen die Abkommen für einen befriedeten Nahen Osten endgültig aus- gehandelt sein.

Auch 1999 kosteten Scharmützel zwischen Sicherheitskräften und militanten Gegnern des Friedensprozesses im Westjordan- land und im Gaza-Streifen Menschenleben. Im Südlibanon hiel- ten die Konfrontationen zwischen Kämpfern der 1982 gegrün-

Staatsschutzbericht 1999 59

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

deten schiitischen Hizballah-Miliz sowie den israelischen Trup- pen und der mit ihnen verbündeten südlibanesischen Miliz an.

Bombendro- Die Bundespolizei überprüfte Hinweise, wonach auf die Syna- hungen in der goge in Baden/AG ein Bombenattentat geplant war. Die Ermitt- Schweiz lungen bestätigten die Aussagen des Informanten jedoch nicht. Auch bei zwei Filialen von Grossverteilern im Tessin eingegan- gene Bombendrohungen mit angeblichem Bezug zu Gruppie- rungen im Nahen Osten erwiesen sich als falscher Alarm.

Studentenproteste und Sammelaktionen iranischer Oppositio- neller Im Juli kam es vorab in der iranischen Hauptstadt Teheran zu teilweise von massiven Krawallen begleiteten Demonstrationen Tausender reformorientierter Studenten. Darauf folgende Kundgebungen von Sympathisantinnen und Sympathisanten in der Schweiz und weltweit verliefen ohne Zwischenfälle. In der Schweiz fielen in erster Linie weiterhin die Geldsammlungen Exil-Iraner oppositioneller Exil-Iraner zu Gunsten des Widerstands im sammeln Geld Heimatland auf. Die Sammelaktionen werden unter anderem für Kampf durchgeführt von der "Vereinigung der iranischen Flüchtlinge". Geworben wird häufig mit Patenschaften für Waisenkinder. Die Spenderinnen und Spender sollen sich verpflichten, für ein Waisenkind regelmässig - beispielsweise monatlich - einen be- stimmten Betrag zuzusichern. Teilweise wird versucht, die Spender mittels Dauer-Bankanweisungen längerfristig zu bin- den. Die Organisationen, unter deren Namen die Sammlungen laufen, sind von der Zentralstelle für Wohlfahrtsunternehmen (ZEWO) nicht anerkannt. Die in der Schweiz aktiven Geld- sammler reisen für ihre Tätigkeit vielfach aus Frankreich oder Deutschland an.

60 Staatsschutzbericht 1999

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

1.6. Terrorismus in anderen Ländern

Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Der ethnische Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen im überwiegend von Tamilen bewohnten Nordosten Sri Lankas Konflikt wei- blieb auch 1999 ungelöst. Die Gefechte zwischen der srilanki- terhin ungelöst schen Armee und den Befreiungstigern von Tamil Eelam hiel-

Bild vom "National Heroes' Day" 1999 und dem LTTE- Führer Prabhakaran ten unvermindert an und verlagerten sich zunehmend auf den gesamten nördlichen Teil der Insel. Entsprechend hat dabei die Anschläge Zahl der Kriegsvertriebenen zugenommen. Mit landesweiten ausserhalb terroristischen Aktivitäten - Sprengstoffanschläge gegen wirt- des Konflikt- schaftliche und öffentliche Einrichtungen, Selbstmordattentate gebiets gegen ranghohe Politiker - unterstreichen die LTTE ihre Ge- waltbereitschaft auch ausserhalb des engeren Konfliktgebietes.

Ihre Anliegen verbreiten die LTTE unter anderem mittels einer breiten Palette von selbst hergestelltem Propagandamaterial. Kampfszenen So werden beispielsweise in Filmproduktionen Original- auf kampfszenen, LTTE-Truppenübungen und Ansprachen ihrer Propaganda- Führer dargestellt, erbeutetes und zerstörtes Kriegsmaterial material gezeigt oder Erfolgsmeldungen der LTTE verkündet. Ebenso sind auf der Homepage "eelamweb" Informationen über den

Staatsschutzbericht 1999 61

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus

Befreiungskampf in Sri Lanka sowie detaillierte Angaben und Hinweise über Tätigkeiten der LTTE zu finden.

In der Schweiz wurden kulturelle Anlässe sowie eine bewilligte Demonstration mit dem Thema "Humanitäre Notlage im Norden Sri Lankas" organisiert. Am Rande dieser Veranstaltungen wurden wiederum die Propagandaprodukte der LTTE angebo- ten und Geld gesammelt.

62 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

2. Verbotener Nachrichtendienst

2.1. Entwicklung 1999

Nach wie vor sind heute ausländische Nachrichtendienste mit der geheimen Beschaffung von Informationen unter Bruch ND-Tätigkeit fremden Rechts beauftragt. Rückstände in den Forschungs- läuft weiter und Entwicklungstätigkeiten begründen ihr Interesse an Infor- mationen vorweg aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Wirtschaftsspionage wird jedoch nicht nur von östlichen Staaten betrieben. Aufklärungsaktivitäten finden auch unter befreundeten oder gar verbündeten westlichen Staaten statt. Die neuen Informationstechnologien mit ihren weltum- spannenden Telekommunikations- und Datennetzen und die Möglichkeiten zur globalen Abhörung der Datenübertragungen stellen mittlerweile die umfassendste Informationsquelle für Wirtschaftsspione dar.

In der Schweiz wurden 1999 zwei Spionagefälle aufgedeckt. Zwei Spiona- Ein Diplomat der russischen Botschaft in Bern musste die gefälle Schweiz wegen unerlaubter nachrichtendienstlicher Aktivitäten aufgedeckt gegen ein Drittland verlassen, und Schweizer Privatdetektive beschafften sich für in- und ausländische Auftraggeber Informa- tionen über Kunden verschiedener schweizerischer Banken.

Zudem wurden in den Aufzeichnungen von Vassili Mitrokhine, einem ehemaligen Agenten des früheren sowjetischen Nach- richtendienstes KGB, Hinweise auf nachrichtendienstliche Ak- tionen des KGB in der Schweiz gefunden.

2.2. Spionage in der Schweiz

Ein als Attaché bei der Botschaft der Russischen Föderation in Diplomatische Bern tätiger Agent des zivilen Auslandnachrichtendienstes Stellung miss- (SVR) warb einen Angehörigen einer ausländischen Vertretung braucht in Bern nachrichtendienstlich an. Nachdem der russische Di- plomat turnusgemäss ins Heimatland zurückgekehrt war, nahm dessen Nachfolger, ebenfalls ein identifizierter SVR-Agent, er- neut Kontakt mit der Zielperson auf und veranlasste diese zur

Staatsschutzbericht 1999 63

Verbotener Nachrichtendienst

Übergabe verschiedener Dokumente und Informationen. In en- ger Zusammenarbeit mit der Kantons- und der Stadtpolizei Bern konnten mehrere konspirative Treffen zwischen den bei- den festgestellt werden.

Am 23. November 1999 wurde der russische Diplomat anläss- lich eines solchen Treffens mit seiner Kontaktperson polizeilich angehalten. Weil er wegen seiner diplomatischen Immunität in der Schweiz nicht gerichtlich verfolgt werden kann, verlangte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenhei- ten (EDA) bei der russischen Botschaft in Bern dessen Abberu- fung. Er hat die Schweiz in der Zwischenzeit verlassen. Die Bundespolizei hat gegen die beiden russischen Diplomaten Einreisesperren verfügt.

Im Auftrag in- und ausländischer Interessenten beschaffte sich Verdacht des ein Schweizer Privatdetektiv unter Einschaltung weiterer Pri- wirtschaft- vatdetektive und verschiedener Bankangestellten Informationen lichen Nach- über Kunden von Schweizer Banken. Ende November 1999 richten- konnte die Bundespolizei in Zusammenarbeit mit der Kantons- dienstes und der Stadtpolizei Zürich vier Personen verhaften. Diese ge- standen, seit etwa 1997 mehrere Dutzend Mal illegal Informa- tionen über Bankkunden beschafft und an die Auftraggeber weitergeleitet zu haben. Die Ermittlungen sind noch nicht abge- schlossen.

Anklage gegen Im Februar 1998 hatten mehrere Agenten des israelischen Mossad- Nachrichtendienstes Mossad versucht, im Keller eines Wohn- Agenten hauses in Köniz bei Bern eine illegale Abhöreinrichtung zu in- zugelassen stallieren. Ein Agent konnte verhaftet werden. Am 24. April 1998 wurde der Israeli gegen Hinterlegung einer Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen (siehe Staatsschutzbericht 1998, S.100).

64 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

Abhöreinrichtung in Köniz

Die Anklagekammer des Bundesgerichts hat die Anklage ge- gen den Mossad-Agenten zugelassen. Sie lautet auf verbotene Handlungen für einen fremden Staat, politischen Nachrichten- dienst, versuchtes Abhören und Aufnehmen fremder Gesprä- che sowie wiederholten Gebrauch verfälschter ausländischer Ausweise. Der Prozess soll in der ersten Jahreshälfte 2000 stattfinden.

Im April 1998 wurde in Basel ein Beamter des deutschen Lan- Verurteilung desamtes für Verfassungsschutz (LfV) Baden-Württemberg an- eines lässlich eines konspirativen Treffens mit seiner Schweizer LfV-Beamten Informantin festgenommen. Er hatte versucht, über seine Kon- taktperson an Informationen über Scientology-Mitglieder in der Schweiz zu gelangen.

Am 29. November 1999 wurde der LfV-Beamte vom Basler Strafgericht wegen verbotener Handlungen für einen fremden Staat und wegen verbotenen politischen Nachrichtendienstes zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 30 Tagen verurteilt. Die mitangeklagte Schweizerin wurde zu 10 Tagen Gefängnis be- dingt verurteilt. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Staatsschutzbericht 1999 65

Verbotener Nachrichtendienst

Einreisesperre Ein ehemaliger Offizier des britischen Auslandnachrichtendien- gegen ehema- stes SIS - bekannt unter dem früheren Namen MI 6 - drohte der ligen Agenten britischen Regierung wiederholt mit der Veröffentlichung eines des MI 6 Buches über Operationen, Quellen und Methoden des SIS. Während seines Aufenthaltes in der Schweiz erklärte er in einer Fernsehsendung, dass er die Veröffentlichung eines Buches über den SIS plane. Ebenso drohte er mit der Veröffentlichung einer Namensliste von SIS-Agenten via Internet. Ein Genfer Gericht verfügte deshalb am 30. April 1999 auf Ersuchen der britischen Behörden ein Publikationsverbot der fraglichen Na- mensliste. Die Bundespolizei ermahnte ihn zudem, seinen Auf- enthalt in der Schweiz nicht zur Vorbereitung einer nach britischem Recht strafbaren Amtsgeheimnisverletzung zu miss- brauchen und die britischen Behörden nicht unter Druck zu set- zen.

Trotzdem wurde am 12. Mai 1999 in den USA eine Liste mit 115 Namen mutmasslicher SIS-Agenten im Internet publiziert. Durch diesen elektronischen Versand der Namensliste brach der Ex-Agent seine Auflagen gegenüber der Bundespolizei. Weil er nicht gewillt war, die Rechtsordnung der Schweiz ein- zuhalten, und dessen Anwesenheit auf Schweizer Gebiet ge- eignet war, die innere und äussere Sicherheit der Schweiz zu gefährden, erliess die Bundespolizei am 3. Juni 1999 gegen ihn eine Einreisesperre. Diese wurde ihm am 7. Juni 1999 eröffnet, worauf er die Schweiz am 8. Juni 1999 verliess.

Trotz Einreisesperre versuchte der Brite im Oktober und No- vember 1999 illegal in die Schweiz einzureisen. Er wurde des- halb gebüsst. Sein Rekurs ist hängig.

66 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

2.3. Statistik Spionageabwehr Schweiz

In der Schweiz wurden in den letzten zehn Jahren (1990 - 1999) insgesamt 36 Fälle verbotenen Nachrichtendienstes im Sinne der Artikel 271 - 274 und 301 StGB aufgedeckt.

Aufgedeckte Spionagefälle von 1990 - 1999

8 7 6 6 5 lle ä 4 4 4 4 2 2

Anzahl F 2 1 1

0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

In diese 36 Spionagefälle waren 64 Personen verschiedener Nationalitäten verwickelt. Unter diesen befanden sich 20 Schweizer, 15 Diplomaten und Funktionäre internationaler Or- ganisationen sowie neun ausländische Beamte.

Verbotene Handlungen im Sinne der Art. 271 - 274, 301 StGB 1990 - 1999

20 17 18 16 14 10 lle

ä 12 8 10 8 6 Anzahl F 4 0 0 1 2 0 r ü nde ä rischer

ä ND rischer ND ND Mehrere Staaten ä Milit Tatbest Verbotene Politischer ND gegen fremde Handlungen f fremde Staaten Wirtschaftlicher Milit

Staatsschutzbericht 1999 67

Verbotener Nachrichtendienst

Gegen die 15 Diplomaten wurden folgende Massnahmen ergrif- fen: Art der Erledigung Anzahl Diplomaten

Persona-non-grata-Erklärungen und Ein- 7 reisesperren

Massnahmen Ausreise von Diplomaten, bevor Mass- 7 gegen Diplo- nahmen gegen sie ergriffen werden maten konnten. - Einreisesperren Bekanntwerden der nachrichtendienstli- 1 chen Tätigkeit, nachdem der Diplomat die Schweiz bereits turnusgemäss ver- lassen hatte. - Einreisesperre Total 15

Wegen erkannter nachrichtendienstlicher Tätigkeit im Ausland wurden 1990 bis 1999 gegen 132 Diplomaten Einreisesperren verfügt. Infolge nachrichtendienstlicher Vorbelastung wurde in 12 Fällen Diplomaten das Agrément zum Postenantritt in der Schweiz verweigert.

ND-Aktivitäten von 1990 - 1999 zu Gunsten folgender Staaten

16 14 14 * Durch polizeiliche Ermittlungen und/oder 12 gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren festgestellte verbotene Handlungen im Sinne der

lle * 10 ä Art. 271 - 274, 301 StGB 8

6 5 Anzahl F 4 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1

0

GUS USA BRD Israel Indien Algerien Ruanda (Ex-) DDR Frankreich Philippinen Unbestimmt

(Ex-) Jugoslawien

68 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

2.4. Wirtschaftsspionage und Communications Intelligence (COMINT)

Nach wie vor sind ausländische Nachrichtendienste mit der ille- galen Informationsbeschaffung beauftragt, vorweg in den Be- reichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Die neuen Informationstechnologien mit ihren weltumspannenden Daten- netzen stellen dabei mittlerweile die umfassendste Informati- onsquelle für Wirtschaftsspione dar.

Dieses Kapitel, das auf allgemeinen und offenen Erkenntnissen beruht, führt in die Methoden und Abläufe der Wirtschaftsspio- nage ein. Weiter zeigt es anhand des Beispiels eines amerika- nisch-britischen COMINT-Systems (das unter dem Namen ECHELON bekannt geworden ist) die heutigen Gefahren der Abhörung der elektronischen Daten- und Sprachübermittlung auf. Über 30 andere Dienste betreiben ebenfalls Communicati- ons Intelligence. Allein die Russische Föderale Agentur für Regierungsverbindung und Information beim Präsidenten der Russischen Föderation (FAPSI) soll über 50'000 Angestellte beschäftigen.

Wirtschaftsspionage heute Im Zentrum der Ausspähungsbemühungen ausländischer Bereiche und Nachrichtendienste stehen heute die Bereiche Wirtschaft, Wis- Methoden der senschaft und Technik. Vielfach wird versucht, die Informatio- Informations- nen auf legalem Weg zu beschaffen. Zwischen legaler und beschaffung illegaler Informationsbeschaffung besteht aber eine breite Grauzone.

Nach 1989 wurden die Methoden der Informationsbeschaffung teilweise geändert. Nebst der klassischen Spionagetätigkeit (Gewinnung von Informationen durch Nötigung und psychi- schen Druck, verdeckte Werbung, Führung von Agenten) wer- den die Informationen vermehrt über gesellschaftliche Kontakte oder Abschöpfung offener Quellen (Forschungsberichte, Di- plomarbeiten, Fachliteratur, Handbücher, Dokumentationen, Patent-/ Lizenzunterlagen sowie die Inanspruchnahme von Da- tenbanken und öffentlichen Bibliotheken) gewonnen. Durch den Ankauf von Firmen, die Gründung von Gemeinschaftsunter- nehmen, das Einholen von Angeboten und die Analyse von

Staatsschutzbericht 1999 69

Verbotener Nachrichtendienst

Produkten lassen sich ebenfalls auf verhältnismässig einfache Weise Informationen beschaffen. Darüber hinaus bieten ge- mischte Firmen und Jointventures die Möglichkeit, nachrichten- dienstlich tätige Personen getarnt einzuschleusen.

Die leistungsfähigen elektronischen Informations- und Kommu- nikationsmittel und die Zunahme des elektronischen Datenaus- tauschs über Entwicklung, Produktion und Forschung eröffnen berechtigten und unberechtigten Nutzern kaum mehr kontrol- lierbare Zugangs- und Zugriffsmöglichkeiten. Mittlerweile dürfte die Informationstechnologie mit ihren weltumspannenden Da- tennetzen die umfassendste Informationsquelle für Wirtschafts- spione darstellen. Der Einsatz immer perfekterer technischer Aufklärungsmittel erschwert das Erkennen von Spionageangrif- fen.

Der Begriff "Wirtschaftsspionage" Wirtschafts- Die sprachliche Verwirrung beim Begriff Wirtschaftsspionage ist spionage im gross. Gebräuchlich sind auch die Begriffe Betriebsspionage, engeren, im Industriespionage, Wettbewerbsspionage, Konkurrenzspiona- weiteren Sinne ge, Informationsspionage, Werkspionage sowie illegaler Tech- nologietransfer. In der öffentlichen Diskussion wird in der Regel nicht differenziert zwischen Wirtschaftsspionage im engeren Sinne (von Geheimdiensten betriebene Ausspähungsaktivitä- ten) und Wirtschaftsspionage im weiteren Sinne (den von in- und ausländischen Konkurrenten veranlassten Ausforschungs- bemühungen).

Machtposition Für den Erfolg einer Volkswirtschaft sind heute Informationen durch Wirt- sowie technologisches und betriebswirtschaftliches Know-how schaftsspio- entscheidend. Wirtschaftsmächte wie auch Entwicklungsländer nage stärken investieren deshalb hohe Prozentanteile ihrer nationalen Ge- heimdienstbudgets in die Wirtschaftsspionage mit dem Ziel, ih- re wirtschaftliche oder militärische Machtposition zu stärken.

Während die Konkurrenzspionage in der Regel auf bestimmte Produkte und Projekte abzielt und kurzfristig angelegt ist, ist die nachrichtendienstlich gesteuerte Spionage langfristig konzipiert. Sie ist bestrebt, möglichst umfassende Informationen aus allen interessierenden Bereichen zu beschaffen.

Bei der Spionage unter Hochtechnologiestaaten mit multinatio- nal strukturierten Industrien stehen die Ausforschung von

70 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

Markt- und Absatzstrategien sowie die Beeinflussung von Ent- scheidungsträgern im Vordergrund. Für technologisch weniger entwickelte Staaten ist eher die kostengünstige und teilweise auch wahllose Beschaffung von Informationen zur Optimierung der eigenen Forschung und Entwicklung von Bedeutung.

Trend hin zur Wirtschaftsspionage In der Schweiz konnten von 1980 bis 1999 insgesamt 131 Spio- nagefälle aufgedeckt werden. 28 Fälle betrafen ausschliesslich Aufgedeckte den Tatbestand des verbotenen wirtschaftlichen Nachrichten- Spionagefälle dienstes im Sinne von Art. 273 StGB. In 61 weiteren Spionage- in der Schweiz fällen war der Tatbestand des wirtschaftlichen Nach- richtendienstes zumindest Teil der Spionageaktivitäten. Daraus folgt, dass der wirtschaftliche Nachrichtendienst in fast 70% al- ler Fälle zumindest Teil der Spionageziele darstellte.

Das schweizerische Bankenwesen war schon immer Ziel nach- richtendienstlicher Ausspähungsbemühungen: In- und auslän- Ziele der Aus- dische Auftraggeber versuchten über Mittelsmänner an spähung Informationen über Schweizer Bankkunden zu gelangen. Die französische Zollfahndung wie auch italienische Behörden ver- suchten mehrmals Informationen über Konten ihrer Landsleute bei Schweizer Banken zu erlangen. Auch die schweizerische Pharma- und Maschinenindustrie war von verschiedenen Fällen von Industrie- und Werksspionage betroffen. Weltweit waren in den letzten Jahren zahlreiche gegen Wirtschafts- und For- schungsbetriebe gerichtete Spionagefälle zu verzeichnen. Sie zeigen, dass Aufklärungsaktivitäten auch zwischen befreunde- ten oder gar verbündeten Staaten durchaus zur Tagesordnung gehören.

Communications Intelligence (COMINT)1 Was ist COMINT? Unter dem Begriff "COMINT" versteht man die verdeckte Abhö- rung, Auswertung und Weitergabe in- und ausländischer Tele- kommunikationsübertragungen. COMINT ermöglicht interessierten

1 Die folgenden Ausführungen stammen ausschliesslich aus öffentlichen Quellen, können aber mittlerweile als realistische Einschätzung über die Kapazitäten der globalen Abhörsysteme betrachtet werden. Offizielle Be- stätigungen zu den Aussagen liegen von Seiten der betroffenen Länder aus nahe liegenden Gründen keine vor.

Staatsschutzbericht 1999 71

Verbotener Nachrichtendienst

Kreisen weltweiten Zugang zu Informationen über politische, wirt- schaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen.

Als Folge des wachsenden Welthandels sind Informationen aus der Wirtschaft und über wissenschaftliche und technische Ent- wicklungen zu einem wichtigen Bestandteil der COMINT ge- worden. Seit kurzem gehören auch Informationen über Drogenhandel, Geldwäscherei, organisierte Kriminalität und Terrorismus zu den Beschaffungszielen.

Die Ausgaben für COMINT werden weltweit auf jährlich 20 bis 30 Milliarden Schweizer Franken geschätzt, ein grosser Teil soll UKUSA-Allianz dabei auf die UKUSA-Allianz entfallen. Diese geht auf ein be- und UKUSA- reits 1947 zwischen Grossbritannien (Government Communica- Abkommen tions Headquarters, GCHQ) und den USA (National Security Agency, NSA) abgeschlossenes Abkommen über die Fernmel- denachrichtenbeschaffung zurück. In einer zweiten Phase tra- ten der UKUSA-Allianz das Communications Security Establishment (CSE) Kanadas, das Defence Signals Directora- te (DSD) Australiens und das Government Communications Security Bureau (GCSB) Neuseelands bei. Schliesslich sollen sich der Allianz auch Nachrichtendienste aus Deutschland, Ja- pan, Norwegen, Südkorea und der Türkei zumindest informell angeschlossen haben. Das UKUSA-Abkommen umfasst die heimliche Abhörung von internationalen kommerziellen und re- gionalen Telekommunikationssatelliten sowie von Land- und Unterwasser-Telekommunikationsleitungen, die aus Netzwer- ken von Kabeln und Richtstrahlverbindungen bestehen.

Das von der UKUSA-Allianz seit den Achtzigerjahren weitge- Abhörnetzwerk hend automatisiert betriebene Abhörnetzwerk ist unter dem ECHELON Namen ECHELON bekannt und schöpft breitbandig Informatio- nen in grosser Quantität ab. Das ECHELON-System verbindet weltweit Dutzende von Hochleistungscomputern, welche die von den Abhörstationen empfangenen Informationen in Echtzeit entschlüsseln und nach bestimmten Kriterien verarbeiten. In der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde das System erst nach zwei Berichten des Technologiefragenausschusses des euro- päischen Parlamentes (STOA).

72 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

Wie funktioniert COMINT? Entscheidend für die Beschaffung der gesuchten Informationen ist der erfolgreiche Zugriff auf den anvisierten Kommunikations- träger, wie z. B. Funkverbindungen, internationale Satelliten- verbindungen, Richtstrahlstrecken oder Unterwasserkabel. Je nach Technologie werden Streusignale von Richtstrahlstrecken im Weltall und Satellitenabstrahlungen am Boden abgehört, oder es wird sogar ein direkter, wenn auch riskanter Kontakt zu Unterwasserkabeln hergestellt.

COMINT-Satelliten in geostationären Umlaufbahnen (Quelle: Campbell, Interception Capabilities 2000, Edinburgh 1999)

Ausgehend von der Anzahl Antennen, welche zurzeit in Abhör- stationen montiert sind, ist anzunehmen, dass allein die USA mindestens 120 auf Satelliten gerichtete Abhörsysteme betrei- ben.

Amerikanische Abhöranlage in Bad Aibling/ Deutschland © F. Heller /ARGUM

Staatsschutzbericht 1999 73

Verbotener Nachrichtendienst

Die wachsende Verbreitung von Unterwasser- und vor allem Glasfaserkabeln mit sehr hoher Übertragungskapazität und die damit verbundene Verlagerung des Verkehrs weg von Satelli- ten erschwert jedoch zusehends das Abhören von Fernmelde- verbindungen: Im Gegensatz zur Abhörung von Übermittlungen aus dem Äther ist für die Gewinnung von Nachrichten aus Ka- beln ein physischer Kontakt erforderlich. Das Anbringen der benötigten Aufnahme- und Übermittlungsgeräte sowie deren Energieversorgung macht deshalb die konspirative Abhörung schwierig und riskant. Glasfaserkabel haben im Gegensatz zu Kupferkabeln auch keine Abstrahlung und sind deshalb prak- tisch nur noch - wenn überhaupt - an den regelmässig ange- brachten Verstärkerstationen abhörbar.

Mittlerweile umfassende Abhörung Währenddem die Funkabhörung bis in die Vierzigerjahre zu- rückgeht, begann die systematische Abhörung der Kommunika- ECHELON tionssatelliten im Jahre 1971 mit je einer Abhörstation in den auch ein USA und in Grossbritannien. Später wurden diese Möglichkei- System für ten im Zeichen des Ost/West-Konfliktes stark ausgebaut. Es Wirtschafts- entstanden neue Abhörstationen in den USA, Kanada, Australi- spionage en, Puerto Rico und Neuseeland, die mit Hochleistungscompu- tern mit spezieller Software (Dictionary-Computer) ausgestattet wurden. Diese durchforsten mit Hilfe von Suchmaschinen und Spracherkennungsprogrammen nach vordefinierten Suchkrite- rien und Schlüsselwörtern die abgehörten Informationen. Trotz der Fülle der Verbindungen ist anzunehmen, dass ein grosser Teil der Gespräche, in denen genügend vordefinierte Kriterien enthalten sind, von einer Abhörstation empfangen, aufgezeich- net und ausgewertet werden. ECHELON ist deshalb de facto auch ein System für die Belange der Wirtschaftsspionage und ermöglicht zum Beispiel der amerikanischen NSA einen wert- vollen Einblick in internationale Handels- und Vertragsabkom- men.

Neben der UKUSA-Allianz betreiben auch andere Nationen Weitere Ab- COMINT von Satelliten. Die russische FAPSI unterhält grosse hörsysteme Bodenabhörstationen in Kuba und Vietnam. Deutsche und französische Nachrichtendienste sollen ebenfalls Satelliten- Abhörstationen betreiben. So darf laut einem neuen Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts der Bundesnachrich- tendienst (BND) die internationale über Satellit oder Richtfunk laufende Telefon-, Telex- und Telefaxkommunikation mit einem

74 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst elektronischen Raster überwachen, um schwere Gefahren, die Deutschland aus dem Ausland drohen, frühzeitig erkennen zu können. China und Staaten aus dem Nahen Osten und Asien, insbesondere Israel, Indien und Pakistan, investierten ebenfalls in hohem Mass in solche Abhörsysteme. Kürzlich legte auch der schweizerische Strategische Nachrichtendienst einen Plan für zwei Abhörstationen öffentlich vor. National- und Ständerat haben Mitte Dezember 1999 einem weiteren Kredit für den Auf- und Ausbau dieses elektronischen Aufklärungssystems zuge- stimmt.

Das enorme Wachstum des Internets und ähnlicher digitaler Verbindungen stellt eine grosse Herausforderung für COMINT- Internet Agenturen dar. Seit den frühen Neunzigerjahren wurden neue als Herausfor- COMINT-Systeme zur Beschaffung, Aussortierung und Analyse derung von Internet-Übermittlungen eingeführt. Zu einem grossen Teil werden Internet-Verbindungen von Europa nach Asien, Ozea- nien, Afrika oder Südamerika - ja selbst innerhalb Europas - über die USA geleitet und können damit von amerikanischen Diensten problemlos abgehört werden. Es ist allerdings noch umstritten, inwieweit die riesigen Datenmengen des Internets wirklich zielgerichtet ausgewertet werden können.

COMINT als Mittel der Wirtschaftsspionage ECHELON und ähnliche Systeme verfolgen heutzutage haupt- sächlich nichtmilitärische Aufklärungsziele. Die Abhörsysteme Fallbeispiele dienen dabei nicht nur der Überwachung von Terroristen und Angehörigen der Organisierten Kriminalität, sondern auch der Beschaffung von Informationen aus Wirtschaft und Politik. Dies bestätigte ein früherer Beamter des amerikanischen National Security Council 1993 in England. Er erklärte, die europäische Firma Panavia sei wegen ihrer Handelstätigkeit mit dem Nahen Osten gezielt überwacht worden. Dabei seien u.a. die Suchbe- griffe Tornado oder Panavia definiert worden. Aus einer ande- ren Quelle wurde 1994 bekannt, dass die NSA von einem kommerziellen Kommunikationssatelliten sämtliche Telefonge- spräche und Faxe zwischen dem europäischen Airbus- Konsortium, der nationalen Fluglinie und der Regierung Saudi- Arabiens abgehört und McDonnell Douglas zur Verfügung ge- stellt haben soll. McDonnell Douglas erhielt schliesslich einen Auftrag über 6 Milliarden US-Dollar.

Dadurch, dass es dem französischen Geheimdienst gelang, das letzte ICE-Angebot der deutschen Firma Siemens abzuhö-

Staatsschutzbericht 1999 75

Verbotener Nachrichtendienst

ren, soll diese den ICE-Auftrag in Korea verloren haben. Sie- mens Deutschland hatte unverschlüsselt an seine koreanische Niederlassung gefaxt, worauf das Angebot vom französischen TGV-Konsortium unterboten werden konnte. Hinweise dafür, dass die USA und andere Staaten ihre CO- Abhören MINT-Einrichtungen auch nützen, um befreundete Staaten und befreundeter Gastländer abzuhören, mehren sich. Stichhaltige Beweise im Staaten Einzelfall zu finden ist jedoch praktisch unmöglich. Es muss aber heute davon ausgegangen werden, dass alle öffentlichen, nicht mit starker Kryptografie verschlüsselten Verbindungen abhörbar sind.

Vermehrtes öffentliches Interesse an ECHELON Seit den beiden Berichten des europäischen Parlaments über ECHELON und der Veröffentlichung des Buches "Secret Po- wer" des neuseeländischen Forschers Nicky Hager 1996 sind die Aktivitäten von ECHELON und ähnlichen Systemen anderer Länder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Es mehren sich diesbezüglich Anfragen, Vorstösse und Stellung- nahmen, so vor dem europäischen Parlament, in Frankreich, Italien und auch den USA. 1998 erklärte der damalige europäische Kommissär Martin Bangemann zuhanden des Parlaments, die Europäische Kom- mission wie auch der Rat besässen keine Hinweise, dass das ECHELON-System so bestehe, wie es geschildert werde. Sollte ein solches System tatsächlich existieren, wäre dies allerdings eine flagrante Verletzung von internationalen Rechten, Indivi- dualrechten der Bürger und selbstverständlich auch ein Angriff auf die Sicherheit der Mitgliedsländer. In der Schweiz wurde während der Sommersession 1998 in der von Nationalrat Hans Steffen die Frage an den Bundesrat ge- stellt, ob er Kenntnis von ECHELON habe, welche Auswirkun- Massnahmen gen auf Politik und Wirtschaft dieses System haben könnte und gegen ob Massnahmen dagegen vorgesehen oder ergriffen worden ECHELON seien. In seiner Antwort führte der Bundesrat aus, dass er von ECHELON Kenntnis habe, die Entwicklung verfolge und die Gefahren kenne. Der Bundesrat erachte die Netzwerkchiffrie- rung als eine sinnvolle Massnahme. Entsprechende Projekte in dieser Richtung würden in Industrie und Verwaltung vorange- trieben. Für die Informatiksicherheit in der Bundesverwaltung seien für die nächsten fünf Jahre 100 Millionen Franken einge- stellt.

76 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

Beurteilung und Ausblick Fremde Nachrichtendienste interessieren sich nahezu für den Spektrum gesamten Bereich der industriellen Forschung, Entwicklung und der Produktion, des Handels und der wirtschaftlichen Organisation. Interessen Besonders interessant ist der Hochtechnologiebereich. Anvi- siert werden vor allem Unternehmen mit herausragendem Know-how, wobei die Grösse des Betriebes keine Rolle spielt. Auch innovative Klein- und Mittelbetriebe müssen jederzeit da- mit rechnen, ein begehrtes Ausspähungsziel darzustellen. Nachrichtendienste beschränken sich nicht darauf, einzelne Be- triebe auszuforschen. Vielmehr wird auch versucht, Informatio- nen dort abzuziehen, wo diese in konzentrierter Form und möglichst aus verschiedenen Unternehmen oder Branchen gleichzeitig vorliegen (Fachkonferenzen, Ausstellungen, Dach- verbände).

Schätzungen über das Ausmass der wirtschaftlichen Schäden Schäden für durch die Wirtschaftsspionage sind sehr schwierig. Dies wegen die Wirtschaft der ausserordentlich hohen Dunkelziffer und dem Problem, ei- nen verlässlichen Massstab für die materiellen und immateriel- len Folgen zu finden. In Deutschland werden die durch Industrie- und Wirtschaftsspionage entstandenen Schäden für die Wirtschaft auf bis zu 50 Milliarden DM jährlich geschätzt. Laut einem Bericht der American Society for Industrial Security (ASIS) erlitten die US-Unternehmen 1997 durch Industriespio- nage Verluste in der Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar.

Angesichts der umfassenden Überwachungsmöglichkeiten aus Bessere Ver- COMINT-Systemen wird die zentrale Bedeutung der Ver- schlüsselung schlüsselung von elektronisch übermittelten Daten offenbar. als Gegen- Gegen elektronische Abhörung als Form der Wirtschaftsspio- massnahme nage hilft primär eine schwer dechiffrierbare, "starke" Ver- schlüsselung. Für die Schweiz ist es ein zentrales Bedürfnis, möglichst schnell und auf breiter Front sichere Verschlüsse- lungssysteme anzuwenden. Deshalb sind Angebote der USA, an Drittländer "schwache" und damit potenziell leicht dechif- frierbare Kryptosysteme auszuliefern, abzulehnen. In Anbe- tracht der auf dem Spiel stehenden wirtschaftlichen Werte sind nachhaltige präventive kryptografische Gegenmassnahmen überfällig.

Staatsschutzbericht 1999 77

Verbotener Nachrichtendienst

2.5. "Das Schwarzbuch des KGB"

Im Oktober 1999 erregte ein Buch des britischen Geheim- dienstexperten Christopher Andrew internationales Aufsehen. Es basiert auf den Angaben von Vassili Mitrokhine, einem 1992 nach Grossbritannien übergelaufenen pensionierten Obersten des damaligen sowjetischen KGB. Mitrokhine hatte den briti- schen Behörden umfangreiche, während seiner 12-jährigen Ar- beit als Archivar der Auslandauf- klärung des KGB gemachte Noti- zen übergeben. Die britischen Nachrichtendienste informierten die betroffenen Länder über den Inhalt der Akten, so auch die Schweizerische Bundespolizei. Das Buch zeigte auf, wie umfas- send die Operationen des KGB im Kalten Krieg angelegt waren.

Bei der Bundespolizei gingen aus Über 100 den Mitrokhine-Akten über 100 Informationen nachrichtendienstlich relevante In- eingegangen formationen ein (21 davon bezo- gen sich auf Agenten oder Illegale des KGB, 20 betrafen politische Vorgänge [Solschenizyn, Finanzierung der Kommunistischen Partei der Schweiz], 12 gaben Einblick in die Strukturen und Aktivitäten der KGB-Residenturen in Bern und in Genf). Gegen sieben der in den Informationen erwähnten Personen waren früher Ermittlungsverfahren geführt worden. Fünf von ihnen wa- ren verurteilt worden.

Alle Fälle Die Prüfung der die Schweiz betreffenden Informationen ergab verjährt allerdings keine aktuellen Verdachtsgründe, die zu einer straf- rechtlichen Verfolgung Anlass geboten hätten. In allen Fällen dürfte die Verjährung eingetreten sein.

Eine tiefer gehende Analyse der Mitrokhine-Informationen wur- de allerdings dadurch verunmöglicht, dass die Bundespolizei wegen des Bundesbeschlusses über die Einsicht in Akten der Bundesanwaltschaft (SR 172.213.54; Art. 7 Abs. 3) grundsätz- lich keinen Zugang mehr zu ihren vom Sonderbeauftragten dem Bundesarchiv abgelieferten Akten hat.

78 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst

Das Buch enthält Hinweise auf verschiedene Aktionen des so- wjetischen KGB in der Schweiz:

Ausgangspunkt für das Auffinden ...

Die Bundespolizei konnte Anfang Dezember 1998 aus einem KGB-Versteck Erdversteck eine Funkausrüstung bergen, die Mitte der Sechzi- im Kanton gerjahre durch KGB-Angehörige vergraben worden war. Die Freiburg russische Botschaft wurde über den Fund orientiert und aufge-

... und die Ausgrabung der Anlage

fordert, allfällige andere in der Schweiz angelegte Verstecke zu melden. Dies geschah bisher nicht. In Aussicht gestellte Ge- spräche fanden nicht statt (siehe Staatsschutzbericht 1998, S. 106).

Seither sind auch in Belgien und Deutschland vergrabene Funkausrüstungen aufgetaucht. Mitte September 1999 wurden in Erdverstecken in der Umgebung von Brüssel drei Funkanla- gen aufgefunden. Im Gegensatz zur in der Schweiz aufgefun-

Staatsschutzbericht 1999 79

Verbotener Nachrichtendienst

denen KGB-Funkanlage waren sie jedoch nicht mit Sprengfal- len gesichert. Im Oktober 1999 wurden in Deutschland analoge Erdverstecke des ehemaligen ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheitsdienst (MfS) entdeckt.

Gruppe F Es wurden auch Sabotageziele der sogenannten Gruppe F be- kannt, namentlich die Operation ZVENO: Um vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR abzulenken, hatte der KGB 1968 einen Anschlag auf die Öl-Pipelinie BRD - Italien vorbereitet. Mit einem Leitungsbruch auf österreichi- schem Territorium am Bodensee sollte die Trinkwasserreserve der Bodenseeanrainerstaaten verschmutzt werden. Die Aktion war so angelegt worden, dass absichtlich gelegte Spuren auf südtirolische Terroristen hinweisen würden. Für diese von der KGB-Residentur in Wien geplante Operation waren zwei Agen- ten zur Vorbereitung eingesetzt worden. Aus politischen Grün- den wurde die Aktion dann aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Bei einem der beiden handelte es sich um einen so genannten Illegalen (ein unter falscher Identität für längere Zeit im Operationsgebiet eingesetzter Agent), welcher sich 1969 als angeblicher Schweizer Rückwanderer wieder in der Schweiz angemeldet hatte. Die Bundespolizei identifizierte ihn als sowjetischen Geheimagenten. Im Februar 1970 eröffnete die Bundesanwaltschaft gegen ihn und seine Ehefrau ein ge- richtspolizeiliches Ermittlungsverfahren. Die beiden wurden später verurteilt.

Massnahmen Der KGB hatte Massnahmen gegen Alexander Solschenizyn in gegen Alexan- der Schweiz geplant. Der Plan für diese so genannte Operation der Solscheni- PAUK wurde 1974 vom damaligen KGB-Vorsitzenden Andro- zyn pov gutgeheissen.

Solschenizyns antisowjetischen Aktivitäten in der Schweiz und in der UdSSR sollten behindert und er sollte in den Augen der Weltöffentlichkeit diskreditiert werden. Ebenso versuchte man, ihm Unsicherheit und Angst vor möglichen, gegen ihn und sei- ne Familie gerichtete KGB-Aktionen einzujagen. Seine Kom- munikationskanäle sowie die Anhänger und Helfer in der UdSSR sollten identifiziert, abgefangen und isoliert werden, um ihm dadurch mögliche Informationsquellen zu entziehen. Die sowjetischen Residenturen in der Schweiz waren beauftragt, den Fall Solschenizyn auf politischer Ebene zu thematisieren. Damit sollte erreicht werden, dass Solschenizyn in der Schweiz

80 Staatsschutzbericht 1999

Verbotener Nachrichtendienst wegen seiner Aktivitäten, welche die bilateralen Beziehungen gefährden könnten, zur unerwünschten Person erklärt wurde.

Die KGB-Residenturen in Bern und Genf sollten zudem unter Einsatz von Agenten Kontakte zu Solschenizyn anbahnen. Zu- sätzlich beabsichtigte der KGB, einen Beamten in die Schweiz zu entsenden, um operative Massnahmen gegen ihn zu ergrei- fen.

Der KGB setzte zur Überwachung der Kontakte Solschenizyns mit Anhängern in der Sowjetunion und seiner Aktivitäten im Westen auch Agenten des tschechischen Nachrichtendienstes StB auf ihn an.

In der Schweiz wurden damals in diesem Fall polizeiliche Ab- klärungen getätigt. Die Tatbestände sind heute verjährt.

Staatsschutzbericht 1999 81

Proliferation

3. Proliferation

Attraktivität Vor dem Hintergrund des Kosovo-Konflikts haben die Massen- von Massen- vernichtungswaffen als strategisches Abwehrmittel gegen die vernichtungs- Überlegenheit hoch technisierter konventioneller Waffen wie- waffen der an Bedeutung gewonnen. Auch 1999 gab es viele Indizien, dass gewisse Schwellenländer versuchten, die Exportkontroll- regimes für Massenvernichtungswaffen durch Technologie- transfer zu umgehen. Unter Vorwand ziviler Anwendungs- zwecke bemühten sie sich, direkt oder über Umwege auf dem Weltmarkt zivil wie auch militärisch verwendbare Güter und Know-how zu erwerben, um eigene Rüstungskapazitäten auf- zubauen.

Mittels Satellitentechnik lassen sich die nuklearen Rüstungsprojekte weltweit verfolgen. Das Bild zeigt den für die Plutoniumherstellung verwende- ten militärischen Kernreaktor Khusab in Pakistan. Quelle: Federation of American Scientists/Public Eye.

1999 traten die Verhandlungen im Rahmen der Genfer Abrü- stungskonferenz einmal mehr an Ort. Bezüglich eines Produkti- onsverbots von spaltbarem Material für Nuklearwaffen (FMCT) kam es zu keinen substanziellen Ergebnissen; im B-Bereich

82 Staatsschutzbericht 1999

Proliferation wurden im Hinblick auf ein Zusatzprotokoll für ein Verifikations- regime nur kleine Fortschritte erreicht. Im C-Bereich konnten Problemati- anlässlich der vierten Jahreskonferenz der Organisation zum sche Verifika- Verbot chemischer Waffen (OPCW) Lücken im Vertragsvollzug tionsregimes immer noch nicht geschlossen werden. Ursachen dafür sind die Angst der Schwellenländer oder der Grossmächte selbst vor dem Verlust des militärstrategischen Handlungsspielraums. Dazu kommt die Furcht der führenden Industrieländer, dass mit Verifikationsregimes durch Drittstaaten Einblicke in die zivile chemische und biotechnologische Spitzenforschung und -produktion genommen werden könnte.

Die Schweiz wirkt in allen multilateralen Exportkontrollvereinba- Mitwirkung der rungen für zivil und militärisch verwendbare Güter mit. Das gilt Schweiz namentlich für die Vereinbarung von Wassenaar (Dual-use- Güter), das Raketentechnologie-Kontrollregime, die Australien- Gruppe (B- und C-Waffen-Bereich) und die Gruppe der Nu- klearlieferländer. Sie unterstützt die Umsetzung des Chemie- Waffen-Übereinkommens mit dem AC-Labor Spiez und beteiligt sich an der Ausbildung der Inspektoren. Weiter bewirbt sie sich mit Genf um den Sitz einer neuen Organisation zur Überwa- chung des Biologie-Waffen-Übereinkommens.

Die Bundespolizei arbeitet auf dem Gebiet der Nonproliferation Auftrag der im Inland mit allen zuständigen Bundesbehörden, den kantona- Bundespolizei len Instanzen sowie mit den für den Vollzug, Kontrolle, Verhü- tung und Strafverfolgung zuständigen Behörden des Auslands zusammen. Sie leistet im Auftrag der Bundesanwaltschaft ge- gebenenfalls Rechts- und Amtshilfe und koordiniert im polizeili- chen Bereich den Informationsfluss zwischen In- und Ausland.

Vorbeugende Massnahmen, um frühzeitig Gefährdungen durch Prävention den verbotenen Handel mit Waffen, radioaktiven Materialien als Teil des und illegalen Technologietransfer zu erkennen, sind gemäss Staats- dem sicherheitspolitischen Bericht (SIPOL B 2000) weiterhin schutzes ausdrücklich Teil des Staatsschutz-Auftrages.

Staatsschutzbericht 1999 83

Proliferation

3.1. Massnahmen zur Verhinderung der A-Waffen-Proliferation und Nuklearkriminalität

Vertrag über ein umfassendes Verbot von Nuklearversu- chen (CTBT) Bundesrat zur Nach dem Nationalrat (1. März 1999) hat auch der Ständerat Ratifikation (31. Mai 1999) die Genehmigung des Bundesbeschlusses zum ermächtigt Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen beschlossen. Damit wird der Bundesrat ermächtigt, den Com- prehensive Test Ban Treaty (CTBT) vom 24. September 1996 zu ratifizieren.

Die Schweiz will sich an einem internationalen Überwachungs- system (IMS) des nuklearen Teststoppabkommens (CTBT) mit der Station Davos des Schweizerischen Erdbebendienstes (ETH Zürich) beteiligen. Quelle: Erdbebendienst der ETHZ.

Schweizer Der CTBT verpflichtet jeden Vertragsstaat, keine Versuchs- Messstationen oder anderen Explosionen mit nuklearen Waffen durchzuführen beteiligt und solche Explosionen an jedem Ort, der unter seiner Ho- heitsgewalt oder Kontrolle steht, zu verbieten und zu verhin- dern. Ein internationales Überwachungssystem von 321 nationalen seismografischen Messstationen soll die Einhaltung 84 Staatsschutzbericht 1999

Proliferation des Vertrags garantieren. Die Schweiz beteiligt sich daran mit ihrer seismischen Messstation in Davos. Auch bei der gegen- wärtigen Ausarbeitung der Überwachungsmassnahmen sowie am Aufbau der Verifikationsorganisation wirkt die Schweiz aktiv mit.

Das Inkrafttreten des CTBT hängt von der Ratifikation des Ver- Inkrafttreten trages durch die 44 Staaten mit einem Kernwaffenpotenzial ab. bleibt Dazu gehören die fünf offiziellen Atommächte, die De-facto- blockiert Atommächte Indien, Pakistan und Israel, aber auch das Schwellenland Nordkorea. Auch die Schweiz zählt wegen ihrer zivilen Kernreaktoren zu dieser Staatengruppe. Bis jetzt ist der CTBT von 41 dieser 44 Staaten unterzeichnet worden, 16 da- von haben ihn ratifiziert. Indien und Pakistan bekundeten immer wieder unterschiedliche Bereitschaft, das Abkommen zu unter- zeichnen. Im US-amerikanischen Senat ist die Ratifizierung des CTBT am 13. Oktober 1999 an der notwendigen Zweidrittels- mehrheit gescheitert. Nach Meinung der Organisation für die Umsetzung des Abkommens nehmen allerdings die vorberei- tenden Arbeiten für eine Überwachung eines weltweiten Test- verbots ohnehin mehrere Jahre in Anspruch. Bis dahin sollten auch die USA und weitere Staaten das Abkommen ratifiziert haben.

Nuklearkriminalität in Europa und in der Schweiz Waffenfähiges Material wurde, soweit bekannt, seit 1994 in Kein waffen- Europa nicht mehr angeboten. Nach wie vor werden aber zum fähiges Mate- Teil grosse Mengen radioaktiver Stoffe sichergestellt. Es han- rial angeboten delt sich dabei u.a. um Natururan, schwach und leicht ange- reichertes Uran, Cäsium-137, Beryllium und Strontium-90. Gemäss Statistik der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA stellten 1999 Zoll- und Polizeibehörden von Bulgarien, Kanada, Deutschland, Estland, Georgien, Litauen, Norwegen, Rumänien, der Slowakischen Republik, Spanien, Südafrika, Tschechien, Türkei, Ukraine und Weissrussland Fälle illegalen Handels mit radioaktiven Gütern fest.

Die deutliche Abnahme von Fällen illegalen Handels mit radio- Griffige aktiven Materialien - vor allem in den westeuropäischen Län- Prävention dern - ist auf zwei Ursachen zurückzuführen: einerseits greifen die nationalen und internationalen präventiven Anstrengungen, andererseits scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu ha-

Staatsschutzbericht 1999 85

Proliferation

ben, dass es für diese Güter keinen echten illegalen Markt gibt. Bis jetzt konnten die Einzelfälle auch nicht mit Formen der or- ganisierten Kriminalität in Verbindung gebracht werden.

Schweiz 1999 musste die Bundespolizei gestützt auf die Atom- und ohne neue Strahlenschutzgesetzgebung keine Sicherstellungen vorneh- Verfahren men oder neue Verfahren eröffnen. Es kam auch zu keinen ernsthaften Drohungen oder Erpressungsversuchen mit nuklea- ren Materialien.

Angesichts der instabilen Lage in Osteuropa muss davon ausgegangen werden, dass der Zugang zu radioaktiven Mate- Risiken beste- rialien für Unbefugte weiterhin möglich bleibt. Deshalb kann hen weiter auch künftig keine Entwarnung in Bezug auf die Nuklearkrimi- nalität gegeben werden. Die präventiven Massnahmen, wie sie z.B. im Zollbereich in gewissen Ländern Mittel- und Osteu- ropas schon konsequent umgesetzt wurden, müssen weiter- geführt werden.

Radioaktivi- Die Bundespolizei führte in enger Zusammenarbeit mit den tätskontrollen Zollorganen und Zürcher Behörden (Kantons- und Flughafen- im Flughafen polizei sowie Umweltschutzdienst der Kantonspolizei) 1999 Zürich-Kloten zehn Kontrollen durch. Bislang konnte kein radioaktives oder giftiges Material entdeckt werden.

3.2. Massnahmen zur Verhinderung der Proliferation im B- und C-Bereich

Erneute Aufmerksamkeit für B-Waffen-Entwicklung B-Waffen- Mit dem im Jahre 1975 in Kraft getretenen und von 135 Staaten Übereinkom- (darunter die Schweiz) unterzeichneten B-Waffen-Überein- men ohne Veri- kommen (BWÜ) wurde erstmals die Entwicklung, Produktion fikation und Lagerung einer ganzen Kategorie von Massenvernich- tungswaffen verboten. Da biologische Waffen zu diesem Zeit- punkt aus militärischer Sicht nur beschränkt von strategischem Nutzen waren, wurde auf Verifikationsmassnahmen verzichtet. Zwischenzeitlich ist diese Schwäche des BWÜ offensichtlich geworden. Die rasante Entwicklung der letzten Jahre auf dem Gebiet der Bio- und Gentechnologie eröffnet die Möglichkeit,

86 Staatsschutzbericht 1999

Proliferation biologische Agenzien und Toxine in grösseren Mengen herzu- stellen.

Deshalb ist das Interesse an der Entwicklung von B-Waffen - Neue Risiken auch für sog. Schwellenländer - erheblich gewachsen. Dies wiederum birgt das Risiko, dass terroristische Organisationen den Einsatz von B-Kampfstoffen erwägen könnten. Im Irak deckte die UNSCOM ein umfangreiches Programm zur Ent- wicklung von B-Waffen auf. Auch stellte sich heraus, dass die frühere Sowjetunion bis 1992 ein offensives B-Waffen- Programm betrieben hatte. Mindestens zehn weitere Staaten (doppelt so viele wie beim Inkrafttreten des BWÜ) stehen im Verdacht, B-Waffen zu entwickeln.

Ein Fermenter in Al Hakam (IRQ), der zur Produktion sowohl von Impfstoffen als auch von B-Kampfstoffen verwendet werden konnte. Unter anderem hatte auch eine schweizerische Anlagenbau-Firma 1985 und 1986 grosse Fermenter in den Irak geliefert. (Quelle: UNSCOM Photo)

Verhandlungen zur Schaffung eines Verifikationsmecha- nismus für B-Waffen Fortschritte in Richtung eines Verifikationsregimes konnten bei Vorbild Che- den alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen mie-Waffen- erst 1991 erzielt werden. Die Vertragsstaaten einigten sich auf Konvention die Einrichtung einer Gruppe von Regierungsexperten (VE- REX), die vom wissenschaftlich-technischen Standpunkt aus potentielle Verifikationsmassnahmen identifizieren und überprü-

Staatsschutzbericht 1999 87

Proliferation

fen sollte. Wegweisend dafür waren die Verhandlungen zur Chemie-Waffen-Konvention, bei der die Unterzeichnerstaaten auf Souveränitätsrechte verzichteten. Sie erklärten sich bereit, die Dual-use-Funktionen von Labors und Produktionsanlagen internationalen Kontrollen zu unterstellen. Die VEREX-Gruppe hat eine Reihe von möglichen Verifikationsmassnahmen identi- fiziert und evaluiert. Diese Vorschläge werden seit 1994 in einer sog. Ad Hoc Group (AHG) weiterverfolgt. Ziel ist es, sie als rechtsverbindliches Zusatzprotokoll mit Massnahmen zur Über- prüfung des B-Waffen-Verbots zu formulieren. Mit der Durch- führung und der Überwachung dieser Massnahmen soll eine neu zu schaffende B-Waffen-Organisation beauftragt werden.

Vorbereitung Die Verhandlungen zur Schaffung eines solchen Verifikati- eines Zusatz- onsmechanismus wurden 1999 in Genf wieder aufgenommen. protokolls Spätestens im Jahr 2001 soll ein Zusatzprotokoll für rechtlich bindende Verifikationsmassnahmen vorliegen. Basis des neu- en Verifikationssystems soll - ähnlich dem System des Che- mie-Waffen-Übereinkommens - voraussichtlich ein Dekla- rations- und Inspektionswesen im Bereich militärischer Anlagen und Programme sowie ziviler B-Waffen-relevanter Produktionseinrichtungen und Tätigkeiten sein. Daneben sind bei Verdacht auf Vertragsbrüche Sonderinspektionen vorge- sehen. Ausmass und Form sämtlicher Verifikationsmassnah- men sind zurzeit noch umstritten. Die Schweiz, die sich seit Beginn der Verhandlungen aktiv für den Aufbau eines Kon- trollorgans einsetzte, hat sich mit Genf um dessen künftigen Sitz beworben.

Dual-use- Wirksame Kontrollen sind bei B-Waffen bedeutend schwieriger Güter als Pro- als bei anderen Massenvernichtungswaffen. Insbesondere blem lassen sich die kritischen Mengen von Pathogenen nicht defi- nieren oder quantifizieren, wie dies im Chemie-Waffen- Übereinkommen hinsichtlich chemischer Substanzen der Fall ist. Zudem handelt es sich bei den zur Herstellung biologischer Waffen erforderlichen Mitteln weitgehend um so genannte Du- al-use-Güter, welche auch in der zivilen Forschung wie in Me- dizin oder Pharmazie eingesetzt werden.

Abwehrkonzept B-Terror-Gefahren in der Schweiz Polizeiliche Nach den Saringas-Anschlägen der AUM-Sekte in Tokio 1995 Bundeskom- drängte sich auch für die Schweiz eine Neueinschätzung der petenz Lage hinsichtlich möglicher B-Terror-Anschläge auf. Eine Ar- beitsgruppe auf Stufe Bund/Kantone hat 1999 nach dem Vor-

88 Staatsschutzbericht 1999

Proliferation

bild bestehender Abwehrkonzepte im A- und C-Bereich dazu ein entsprechendes Grundlagendokument erarbeitet. Ein mög- licher B-Terror-Fall fiele gemäss Art. 340 Ziff. 1 StGB sowie speziell bei Widerhandlungen gegen das Güterkontrollgesetz unter Bundeszuständigkeit. In die polizeiliche Bundeskompe- tenz wird voraussichtlich auch die Kontrolle über die Einhal- tung der gesetzlichen Bestimmungen eines künftigen Verifikationsregimes der B-Waffen-Konvention fallen.

Chemie-Waffen-Übereinkommen: Inspektionen in der Schweiz Die Schweiz gehört dem Chemie-Waffen-Übereinkommen seit Kontrollierte seinem Inkrafttreten im April 1997 an. Bei den nationalen Voll- Chemie- zugsmassnahmen steht die Deklarations- und Inspektionspflicht betriebe für zivile chemische Industriebetriebe im Vordergrund. Eben- falls der Inspektionspflicht unterstellt ist das AC-Laboratorium in Spiez, das in kleinsten Mengen Kampfstoffe herstellt, die der Überprüfung von Schutz- und Messeinrichtungen dienen. 1999 wurden durch die OPCW fünf Inspektionen in vier Betrieben durchgeführt.

3.3. Transit und Export von Kriegsmaterial und Dual-use-Gütern

Illegale Transit- und Vermittlungsgeschäfte Versuche, den Transit von Kriegsmaterial illegal über die Schweiz abzuwickeln, haben gegenüber dem Vorjahr zuge- Mehr Kriegs- nommen. Verschiedene Transitsendungen von Kriegsmaterial, materialtransit zu denen keine entsprechende Bewilligungen vorlagen, wurden durch das Zollinspektorat auf dem Flughafen Zürich blockiert. Zu den Adressaten zählten auch Länder, die in zwischenstaatli- che Konflikte oder Bürgerkriege verwickelt waren. Die Mehrzahl der Transitsendung war bezüglich Waffentypen und Bestim- mungsland allerdings unproblematisch. Bei den vorübergehend beschlagnahmten Gütern handelte es sich um Bestandteile von Kampfflugzeugen, Raketen, Torpedos und Kanonen sowie Mu-

Staatsschutzbericht 1999 89

Proliferation

nition und Zündmechanismen. Herkunftsländer dieser Sendun- gen waren Brasilien, China, Frankreich, Georgien, Grossbritan- nien, Israel, Russland, Singapur, Tschechien und die USA; Zielländer waren Ägypten, Chile, Indien, Israel, Kongo, Polen, Slowenien, Südafrika, Türkei und Zypern. In zehn (1998: acht) Fällen wurde ein gerichtspolizeiliches Verfahren eröffnet.

Ein Bericht eines Sonderausschusses des US-Reprä- sentantenhauses warf China im Mai 1999 öffentlich Atomspionage vor. Der sog. Cox-Report begründete den Vorwurf u.a. mit der Lockerung multilateraler Ex- portkontrollregimes seit 1994.

Pilotfall Ver- Die Bundesanwaltschaft hat am 22. März 1999 erstmals ein mittlungs- Verfahren wegen Verdachts der Widerhandlung im Sinne von geschäfte Art. 33 des Kriegsmaterialgesetzes (KMG) eröffnet. Das Ver- fahren hat insofern wegweisenden Charakter, als es sich seit Inkrafttreten des revidierten KMG im Frühling 1998 um den er- sten Fall unerlaubter "Vermittlungstätigkeit" handelt. Bei den Ermittlungen wurde auch abgeklärt, ob der Tatbestand nach Art. 6, Abs. 3a ("Schaffung der wesentlichen Voraussetzung für den Abschluss von Verträgen ...") des KMG erfüllt ist. Die Un- tersuchungen waren Ende 1999 noch nicht abgeschlossen.

Kontrolle zivil und militärisch verwendbarer Güter Neue Rechts- Die Schweiz bleibt für Beschaffer von Dual-use-Gütern von grundlagen grossem Interesse. Dies wegen des technologischen Standes bewährt der Schweizer Industrie insbesondere auf dem Gebiet der

90 Staatsschutzbericht 1999

Proliferation

Werkzeugmaschinen, der Chemie und Biotechnologie, aber auch wegen ihrer Bedeutung als internationaler Finanzplatz im Zentrum Europas. Potenziell gefragt sind weiterhin Produkte der Mess- und Regeltechnik, der chemischen Industrie (Pro- dukte und Anlagen) und von Biotechnologiefirmen. Die Rechtsgrundlagen für die Kontrollmassnahmen zur Verhinde- rung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Technologie (Güterkontrollgesetz, GKG, SR 946.202) haben sich bewährt und wurden den neuen An- forderungen angepasst.

Der Bundesrat hat 1999 vier Gesetzesrevisionen zum Güter- GKG: einfa- kontrollgesetz in die Vernehmlassung gegeben. Demnach sol- chere Kon- len zur Vereinfachung der Export- und Importkontrollverfahren trollverfahren für strategisch heikle Güter bei gleich strengen Kontrollen für ein Geschäft möglichst nur noch eine Stelle zuständig und ei- ne Bewilligung notwendig sein.

Der Bundesrat beschloss ferner, die Güterkontrollverordnung (GKV) sowie die Anhänge der Kriegsmaterialverordnung Änderungen (KMV) auf den 1. Oktober 1999 zu ändern. Gleichzeitig hat von Verord- das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement eine Revisi- nungen und on der GKV und der Chemikalienkontrollverordnung (ChKV) Ausfuhrlisten gutgeheissen und auf den 1. Januar 2000 in Kraft gesetzt. Das Bewilligungsverfahren für die Ausfuhr wird sich vor allem im Bereich der Werkzeugmaschinen, der Telekommunikation und der Verschlüsselungshardware und -software ändern. Für Polen und Tschechien werden sowohl im Kriegsmaterial- als auch im Bereich der Dual-use-Güter erleichterte Bedingungen gelten, da diese beiden Länder inzwischen Mitglieder aller vier internationalen Exportkontrollregimes sind.

Im Bereich der Nonproliferation wurden 1999 sechs (1998: Weniger neue acht) gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren eröffnet. Dabei Ermittlungs- handelte es sich grösstenteils um Geschäfte mit konventionel- verfahren len Waffen, einschliesslich Waffen- und Munitionsbeschaffun- gen für die Krisengebiete im ehemaligen Jugoslawien. 1999 mussten keine neuen Untersuchungen eingeleitet werden, die den Export von Bestandtteilen für Massenvernichtungswaffen betrafen.

Im Rahmen der Abklärungen der südafrikanischen Wahrheits- Ermittlungen kommission hatte sich herausgestellt, dass unter dem Apart- im Fall Süd- heidregime die Armee seit 1982 ein geheimes B- und C- afrika

Staatsschutzbericht 1999 91

Proliferation

Waffen-Projekt verfolgte. Deren Leiter, Wouter Basson, der Kontakte mit Geschäftspartnern in der Schweiz gepflegt hatte, wurde in Südafrika unter mehrfache Mordanklage gestellt. In diesem Zusammenhang erhärtete sich der Verdacht, dass Technologien und Material, die dem GKG unterliegen, illegal nach Südafrika exportiert wurden. Die Bundesanwaltschaft hat deshalb am 22. Juni 1999 ein Ermittlungsverfahren u.a. we- gen Verletzung des Güterkontrollgesetzes gegen unbekannt eingeleitet. Der Prozess gegen Basson wurde in Südafrika im Oktober 1999 eröffnet. Ob im Rahmen dieses Prozesses die Schweiz rechtshilfeweise an die südafrikanischen Behörden gelangen wird, ist noch offen.

92 Staatsschutzbericht 1999

Organisierte Kriminalität

4. Organisierte Kriminalität und Korruption

4.1. Organisierte Kriminalität

Kriminelle Organisationen bauten ihren Aktionsradius auch OK baut 1999 weiter aus. Drogenschmuggel, Schutzgelderpressungen, Aktivitäten illegaler Handel mit Waffen, Fahrzeugen und Kunstgegenstän- weltweit aus den, unrechtmässige Devisengeschäfte sowie Betrugs- und andere Finanzgeschäfte in vielfältiger Ausgestaltung haben sich als international betriebenes Geschäft der organisierten Kriminalität (OK) etabliert. Die Tendenz zur Globalisierung in der Wirtschaft findet ihren Gegenpart im Trend zur weltweit vernetzten organisierten Kriminalität. Der Gewinn der OK wird auf bis zu 1'000 Milliarden Franken jährlich geschätzt. Für die Strafermittlungs- und Staatsschutzbehörden bedingt die fort- schreitende Internationalisierung eine noch intensivere grenz- überschreitende Zusammenarbeit. Allerdings wird diese Arbeit dadurch erschwert, dass sich Hinweise und Verdachtsmomente im Bereich der OK zwar zunehmend häufen, aber auf Grund beschränkter Ressourcen nur in relativ wenigen Fällen zu ein- deutigen Beweisketten verdichtet werden können. Die Bundes- polizei leistete 1999 bei der Bekämpfung der OK gestützt auf Artikel 2 des Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicher- heit (BWIS) vor allem im Bereich strategischer Umfeldanalysen und Analysen internationaler Tendenzen Unterstützung für die zuständigen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden. Zudem lei- tete sie Erkenntnisse über OK an die zuständigen Behörden weiter. Im für die Schweiz im Bereich der internationalen Zusammen- Europa für arbeit besonders wichtigen europäischen Raum sorgten vor al- Schweiz lem Organisationen und Personen mit Verbindungen zur wichtig Gemeinschaft der unabhängigen Staaten (GUS) sowie Grup- pen mit Bezügen zu Albanien und zur Bundesrepublik Jugosla- wien für Aufmerksamkeit. In Italien machte die Mafia auch 1999 mit Schutzgelderpressungen und Drogenhandel sowie mit meh- reren Mordanschlägen von sich reden. In den skandinavischen Ländern - insbesondere in Schweden und Dänemark - standen als kriminell eingestufte Motorradgangs in Verbindung zur in- ternationalen OK.

Staatsschutzbericht 1999 93

Organisierte Kriminalität

Russische OK im Vordergrund

Mehr als 300 der insgesamt schätzungsweise rund 6'000 russi- schen OK-Gruppen sollen über internationale Verbindungen Globale verfügen. Bestätigt sind namentlich Beziehungen zur italieni- Verbindungen schen Mafia. Im gesellschaftlichen und politischen System der russischen Russlands, aber auch anderer GUS-Teilrepubliken, ist die OK Grenzlinie zwischen legaler Wirtschaftstätigkeit und organisier- ter Kriminalität oft nur schwierig zu ziehen. Die russische Staatsanwaltschaft führt ein Verfahren gegen Pavel Borodin, den Finanzchef des früheren russischen Präsidenten Boris Jel- zin, gegen verschiedene andere hohe russische Beamte, ge- gen Jelzin selbst und gegen zwei seiner Töchter. Die Schweiz ist von diesem Verfahren insofern betroffen, als die russischen Behörden die Firma Mabetex mit Sitz in Lugano verdächtigen, grosse Geldsummen als Bestechung für die Vergabe und Aus- führung von Restaurationsarbeiten am Kreml, dem Haus der Regierung und dem Parlamentsgebäude in Moskau mit einem Auftragsvolumen von insgesamt mehreren Hundert Millionen Franken gezahlt zu haben. Das Verfahren in Russland ist noch im Gange, die Schweiz hat im Rahmen der Rechtshilfe Akten an die russischen Behörden überwiesen. Zudem ermittelt die russische Staatsanwaltschaft gegen Boris Beresowski und zwei frühere Mitarbeiter der halbstaatlichen russischen Fluggesell- schaft Aeroflot, die unter dem Verdacht stehen, über zwei Lau- sanner Finanzgesellschaften Gelder veruntreut zu haben. Ende 1999 hat die Bundesanwaltschaft das entsprechende Rechtshilfeverfahren mit einer Schlussverfügung abgeschlos- sen. Das Verfahren in Russland läuft weiter. Im Zusammen- hang mit diesen beiden Ermittlungsverfahren weilten Vertreter der russischen Generalstaatsanwaltschaft mehrere Male zu Ar- beitsbesuchen in der Schweiz.

Ein anderes Strafverfahren der russischen Staatsanwaltschaft IWF-Gelder dokumentiert die Internationalität der OK: Verschiedene Perso- abgezweigt? nen und Finanzinstitute werden verdächtigt, in der Zeit zwi- schen Oktober 1998 und März 1999 über Konten bei einer New Yorker Bank bis zu vier Milliarden US-Dollar verschoben und gewaschen zu haben. Bei den Geldern handelt es sich mögli- cherweise um Kredite, welche der Internationale Währungs- fonds (IWF) Russland zur Stützung des Rubels gewährt hatte.

94 Staatsschutzbericht 1999

Organisierte Kriminalität

Zwei der Hauptverdächtigen sind in Russland aufgewachsen und leben heute in den USA, weshalb auch dort ein Verfahren läuft. Die Angeklagten haben inzwischen grundsätzlich gestan- den, an der Geldwäscherei beteiligt gewesen zu sein. Die zu- ständigen Schweizer Strafverfolgungsbehörden liessen im Zusammenhang mit diesem Fall bei mehreren Schweizer Ban- ken bisher rund 26 Millionen Franken einfrieren.

Die Zusammenarbeit mit Amtskollegen in der GUS gestaltet Schwierige sich für westeuropäische Strafermittler nicht zuletzt wegen der Zusammenar- unsicheren Rechtslage in diesen Staaten teilweise problema- beit mit GUS tisch. In der Schweiz sind 1999 58 Rechtshilfeersuchen aus Russland eingegangen. Von diesen konnte eine Hand voll bis- her abgeschlossen werden. Zuständig für den Vollzug sind zum grössten Teil kantonale Behörden, während die Bundesanwalt- schaft bisher nur in Einzelfällen die Federführung inne hatte.

Schlepperbanden aus Albanien Wo immer ein Konflikt zu einer kriegerischen Auseinanderset- zung eskaliert, entsteht ein rechtlich nicht mehr kontrollierter und kaum kontrollierbarer Raum, wo sich OK-Strukturen rasch Konflikte entwickeln können. Menschenschlepper machten 1999 am begünstigen Rande des Kosovo-Konflikts mit der Not der Flüchtlinge Ge- OK-Strukturen schäfte. OK-Gruppen vorab aus Albanien steuerten die Flucht- bewegung, wobei sie arbeitsteilig mit Gruppierungen aus Montenegro, Kroatien, der Türkei, Griechenland und Italien zu- sammenwirkten. Die ausserordentlich gut organisierten Schleu- serbanden haben das Schlepperwesen professionalisiert und unterstützen auch den Wunsch der Flüchtenden zur Weiterrei- se nach Mitteleuropa. In Albanien sind OK-Gruppen dabei, die staatlichen Einrichtungen zu unterwandern. In der Schweiz wird nach wie vor ein bedeutender Teil des Drogenhandels durch Gruppen aus der Bundesrepublik Jugoslawien - vorwiegend aus dem Kosovo - abgewickelt. Zudem wurde ein weiterer Fall von Waffenschieberei aufgedeckt (siehe dazu auch Kap. 1.4.)

Finanzplatz Schweiz Mit einer Ausweitung der OK-Strukturen ist auch künftig zu rechnen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass Wirtschaftsbe- OK weiterhin reiche durch die OK kontrolliert und Firmen unterwandert wer- eine Gefahr den, wodurch die Volkswirtschaft von kriminellen Gruppen missbraucht werden kann. In der Schweiz sind es insbesondere

Staatsschutzbericht 1999 95

Organisierte Kriminalität

Geschäftsleute aus Osteuropa, die teilweise unter möglicher- weise falschen Angaben Firmen gründen oder sich an beste- henden Unternehmen beteiligen.

Die Schweiz behält im europäischen Umfeld als wichtiger Fi- nanzplatz mit einer gut funktionierenden Infrastruktur und ei- nem hohen Mass an politischer Stabilität wie auch individueller Sicherheit auch weiterhin eine besondere Stellung. Auch krimi- nelle Organisationen sind sich der Vorzüge eines starken Fi- nanzplatzes bewusst. Transaktionen zum Zweck der Grosser Geldwäscherei und andere illegale Geldgeschäfte werden im- Imageschaden mer wieder auch über Konten bei Schweizer Banken oder über Filialen ausländischer Geldinstitute in der Schweiz abgewickelt. Der Finanzplatz Schweiz ist davon schwergewichtig in den Bankzentren Lugano, Genf, Zürich und Lausanne betroffen. Obwohl die Schweiz als Staat sowie auch seine Bürgerinnen und Bürger grösstenteils nicht direkt bedroht sind, ist der durch negative Schlagzeilen entstehende Schaden für den Finanz- platz gross.

Zwar kann derzeit nicht davon gesprochen werden, dass sich kriminelle Organisationen in der Schweizer Wirtschaft gross- Bedrohung räumig eingenistet haben oder dass das politische System von durch OK OK-Strukturen unterwandert ist. Die Bedrohung des ökonomi- bleibt beste- schen wie auch des politischen Systems durch die OK bleibt hen aber nicht zuletzt wegen der massiven finanziellen Mittel, wel- che gewissen OK-Gruppen zur Verfügung stehen, bestehen.

Mehr Kompetenzen für Bundesbehörden Um der OK nachhaltig entgegentreten zu können, bedürfen die Strafverfolgungsbehörden noch verstärkter Mittel. In der inter- nationalen Zusammenarbeit hat sich die Rechtshilfe als geeig- net erwiesen. Mutmasslichen Mitgliedern krimineller Organisationen die Einreise zu erschweren oder ganz zu unter- Einreise sagen (Einreisesperren), hat sich als Präventionsmassnahme erschweren bewährt. Zwar werden illegale Aktivitäten dadurch nicht verun- möglicht, doch der nach wie vor häufig auf persönlichen Kon- takten basierende Informationsaustausch zwischen einzelnen Sektionen krimineller Organisationen wird dadurch stark ver- langsamt und behindert.

Mit der so genannten Effizienzvorlage fällt die Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Geldwäscherei und Korruption künftig in die Kompetenz der Bundesbehörden. Neu muss die Bundes-

96 Staatsschutzbericht 1999

Organisierte Kriminalität anwaltschaft aktiv werden, wenn Delikte zu einem wesentlichen Teil im Ausland oder in mehreren Schweizer Kantonen began- Effizienz- gen wurden oder wenn die kantonalen Behörden an die Gren- vorlage stärkt zen ihrer Kapazitäten stossen. Bei Fällen aus dem Bereich der Strafverfol- Wirtschaftskriminalität kann die Bundesanwaltschaft auf kanto- gung durch nales Ersuchen hin ermitteln. Es ist damit zu rechnen, dass Bund jährlich mindestens mehrere Dutzend Fälle, die bisher von ver- schiedenen Kantonen bearbeitet werden, neu in die Kompetenz der Bundesbehörden fallen.

Neu sollen zudem Unternehmen mit bis zu 5 Millionen Franken Firmen neu gebüsst werden können, wenn eine Straftat keiner bestimmten straffähig Person zugeordnet werden kann. Der Ständerat hat die ent- sprechende Vorlage in erster Lesung im Dezember beraten; der Nationalrat folgt im Jahr 2000.

4.2. Korruption und Beamtendelikte

Im von der unabhängigen Organisation Transparency Interna- Wenig tional jährlich erhobenen Index der Korruptionswahrnehmung Korruption in befindet sich die Schweiz unter den zehn Staaten, die von den der Schweiz befragten Fachleuten als von Korruption nur wenig durchdrun- gen eingeschätzt werden. Noch weniger korrupt als die Schweiz werden nur noch skandinavische Länder eingeschätzt. Um Korruptionsdelikten - vor allem auch im internationalen Ge- schäftsverkehr - noch besser entgegentreten zu können, haben die eidgenössischen Räte 1999 der Verschärfung des Korrupti- onsstrafrechts, der so genannten Effizienzvorlage und der Rati- fizierung des OECD-Abkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Ver- kehr zugestimmt.

Neu fallen Korruptionsdelikte in die Kompetenz der Bundesan- Korruptions- waltschaft, wenn sie im Ausland begangen wurden oder mehre- strafrecht re Kantone betreffen. Die Verschärfung des Korruptionsstraf- verschärft rechts bringt mit sich, dass Bestechung im Strafgesetzbuch (StGB) neu unter einem eigenen Titel geregelt ist. Aktive Be- stechung gilt zudem künftig als Verbrechen statt als Vergehen und kann mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft werden. Strenger bestraft werden zudem Vorstufen der eigentlichen Be- stechung, das so genannte Anfüttern oder die Vergabe von Geschenken. Abgeschafft wurde zudem die aus dem Jahr 1946

Staatsschutzbericht 1999 97

Organisierte Kriminalität

stammende Regelung, nach der Schmiergelder von den Steu- ern abgezogen werden konnten.

Der Fall Bellasi Besondere Aufmerksamkeit wurde im Jahr 1999 dem Fall des früheren Rechnungsführers der Untergruppe Nachrichtendienst des VBS, Dino Bellasi, zuteil.

8,8 Mio. Dino Bellasi wird verdächtigt, als Rechnungsführer der Unter- Franken gruppe Nachrichtendienst - und weiterhin, nachdem er den veruntreut Bundesdienst quittiert hatte - bei der Nationalbank mit so ge- nannten Vorsschussmandaten für fiktiv aufgebotene Truppen- teile des militärischen Nachrichtendienstes zirka 8,8 Millionen Franken in die eigene Tasche abgezweigt zu haben. Es liegen Hinweise vor, dass Bellasi während der fraglichen Zeit für Lie- genschaften, Waffen, Geschenke, Reisen und einen äusserst luxuriösen Lebenswandel Aufwendungen von insgesamt rund 6,5 Millionen Franken hatte. Im Zuge der Ermittlungen führte die Bundespolizei in Zusammenarbeit mit kantonalen Polizei- korps rund ein Dutzend Hausdurchsuchungen durch, befragte sechs Beschuldigte, 28 Auskunftspersonen in der Schweiz und zwei Zeugen in Österreich.

Baldige Am 12. August orientierte das VBS erstmals über den Betrugs- Verhaftung fall. Umgehend wurde die Bundesanwaltschaft eingeschaltet. Zudem ordnete das VBS eine Administrativuntersuchung an. Am 13. August wurden Dino Bellasi und seine Ehefrau unter enger Zusammenarbeit mit kantonalen Polizeikorps auf dem Flughafen Zürich-Kloten verhaftet. Zudem entdeckte die Bun- despolizei ein Waffenlager Bellasis, der in der Folge behaupte- te, seine Vorgesetzten hätten ihn mit dem Aufbau eines Schattennachrichtendienstes beauftragt. Ende August widerrief Bellasi seine Aussagen, die zuvor eingeleiteten Strafverfahren gegen zwei der drei belasteten Vorgesetzten wurden einge- stellt.

Am 26. November überwies die Bundesanwaltschaft die Ver- Ermittlungen fahren gegen Bellasi und einen seiner Vorgesetzten an die Eid- gehen weiter genössische Untersuchungsrichterin. Bellasi wird des Betrugs, der Veruntreuung, der Urkundenfälschung, der Amtsan- massung, der Geldwäscherei, der falschen Anschuldigung und der Verleumdung beschuldigt. Der Vorgesetzte Bellasis wird

98 Staatsschutzbericht 1999

Organisierte Kriminalität des Amtsmissbrauchs und der Veruntreuung beschuldigt. Die Ermittlungen sind weiterhin im Gange.

Obwohl sich die Aussagen Bellasis, er habe im Auftrag seiner Vorgesetzten einen Schattennachrichtendienst aufbauen wol- Verletzlichkeit len, nicht belegen lassen, kommt dem Fall eine weiter gehende sensitiver Bedeutung zu. Die in Frage stehenden Delikte einerseits und Bereiche das immense Interesse der Öffentlichkeit andererseits zeigten aufgezeigt die Verletzlichkeit dieses sensitiven Bereichs der Bundesver- waltung. Besonders eindringlich stellte sich die Frage nach dem künftigen Prozedere für die Sicherheitsprüfungen für Angestell- te in der Bundesverwaltung.

Unregelmässigkeiten bei Spesenabrechnung In einem weiteren Fall leitete die Bundesanwaltschaft wegen Ermittlung Unregelmässigkeiten bei der Abrechnung von Spesen für Emp- gegen früheren fänge zum Schweizer Nationalfeiertag ein Ermittlungsverfahren Botschafter gegen den früheren Botschafter der Schweiz in Kroatien ein. Auf den Abrechnungen sollen jeweils deutlich mehr Gäste an- gegeben worden sein, als tatsächlich an den Empfängen an- wesend waren. Es geht dabei um eine Deliktsumme von rund 50'000 Franken.

Staatsschutzbericht 1999 99

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

5. Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

5.1. Zentralstelle zur Bekämpfung des illega- len Kriegsmaterialverkehrs

86 KMG-Fälle Im Berichtsjahr wurden der Zentralstelle 86 (1998: 147) Fälle gemeldet wegen Verdachts auf Verstösse gegen das Kriegsmaterialge- setz (KMG) gemeldet. Davon wurden insgesamt 37 (93) Fälle zur Verfolgung und Beurteilung an kantonale Strafuntersu- chungsbehörden delegiert. Weiter wurde ein (1) Strafübernah- mebegehren an ausländische Justizbehörden gestellt.

Rückgang Der markante Rückgang der Straffälle sowie der Delegationen wegen an die kantonalen Strafuntersuchungsbehörden ist auf das In- Inkrafttretens krafttreten des neuen Bundesgesetzes über Waffen, Waffenzu- des neuen behör und Munition vom 20. Juni 1997 (Waffengesetz, WG) per Waffengeset- 1. Januar 1999 zurückzuführen. Neu ist für die Einfuhr von zes leichtem Kriegsmaterial (Faust- und Handfeuerwaffen) durch Privatpersonen keine Bewilligung mehr nach dem Kriegsmate- rialgesetz, sondern nach dem Waffengesetz erforderlich.

In zehn Fällen erfolgten Einstellungsverfügungen der Bundes- 10 Fälle anwaltschaft bzw. waren die Fälle bereits ohne Einholen einer eingestellt Delegationsverfügung zusammen mit schwerwiegenderen De- likten von einem kantonalen Gericht beurteilt worden. Die Bun- desanwaltschaft verzichtet in solchen Fällen gemäss ständiger Praxis auf eine nachträgliche Intervention.

17 Fälle mit In 17 (24) Fällen lag entweder eine Widerhandlung gegen das Widerhand- neue Waffengesetz (kantonale Gerichtsbarkeit) vor, oder die lungen oder Vorermittlungen, inklusive Erledigung von Rechtshilfeersuchen ohne ausländischer Justizbehörden, ergaben keine Hinweise auf Verstösse KMG-Verletzungen.

16 Fälle von 16 Fälle betrafen Transitsendungen von Kriegsmaterial, bei de- Transit- nen Durchfuhrbewilligungen fehlten. Entweder wurde die erfor- sendungen derliche Bewilligung im Nachhinein eingeholt oder aber das Material musste an den Absender zurückgesandt werden, weil 100 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei das Empfängerland von der Schweiz aus nicht mit Kriegsmate- rial beliefert werden darf. Fünf Verfahren sind noch offen.

Gemeinsam mit den kantonalen Polizeibehörden wurden 20 20 Grund- (24) Gesuche um Grundbewilligungen für den Handel und die bewilligungen Vermittlung von Kriegsmaterial überprüft. Vier (zwei) Gesuchen überprüft konnte wegen Fehlens der erforderlichen Zusatzbewilligungen nicht zugestimmt werden.

Überprüfungen des Eintreffens von ausgeführtem Kriegsmate- rial im Bestimmungsland (gemäss Art. 20 der Kriegsmaterial- verordnung, KMV) ergaben keine Unregelmässigkeiten.

5.2. Zentralstelle Sprengstoff und Pyrotechnik

Die Tätigkeit der Zentralstelle Sprengstoff und Pyrotechnik Aufgaben der (ZSP) basiert auf Artikel 33 des Bundesgesetzes vom 25. März Zentralstelle 1977 über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz, SprstG). Die wichtigsten Aufgaben der Zentralstelle sind:

! Das Bearbeiten aller der Bundesgerichtsbarkeit unterste- henden Sprengstoffdelikte gemäss nachstehender Stati- stik. ! Das Verbreiten von Informationen und Erkenntnissen im Sprengstoff- und Pyrotechnikbereich auf nationaler Ebene (Polizeikorps) mittels vierteljährlich erscheinenden Bulle- tins. ! Die Oberaufsicht über den Vollzug der Sprengstoff- gesetzgebung im Zusammenhang mit Verkehr, Transport, Schutz und Sicherheit usw. ! Die Erteilung von Einfuhr- und Herstellungsbewilligungen für Sprengmittel, pyrotechnische Gegenstände für zivile Zwecke, Schiesspulver sowie Industriemunition gemäss Art. 15 der Sprengstoffverordnung. Die Gebühreneinnah- men gemäss Art. 35 Sprengstoffverordnung für das Jahr 1999 betrugen rund 50'000 Franken. Insgesamt wurden 784 Bewilligungen erteilt.

Staatsschutzbericht 1999 101

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Internationale Aktivitäten Europäische Die europäischen Bestrebungen zur Umsetzung der Richtlinie Zusammenar- 93/15/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Harmonisierung beit der Bestimmungen über das Inverkehrbringen und die Kontrolle fortgesetzt von Explosivstoffen für zivile Zwecke wurden im Rahmen des Comité Européen de Normalisation CEN TC 321 fortgesetzt.

Einsitz in Im Nachgang zum Sprengstoffanschlag auf einen Jumbo-Jet Expertenkom- über Lockerbie (Schottland) im Jahre 1988 beauftragte die in- mission ternationale Zivilluftfahrt-Organisation ICAO eine Ad-hoc- Expertengruppe mit der Ausarbeitung eines Übereinkommens über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens. Am 21. Juni 1998 wurde das Vertragswerk in Kraft gesetzt. Die Interessen der Schweiz werden vom Wissenschaft- lichen Forschungsdienst (WFD) wahrgenommen, welcher 1999 in die entsprechende ständige Expertenkommission der ICAO aufgenommen wurde.

Laufende Projekte Ziel dieses Projekts ist es, sämtliche pyrotechnischen Gegen- Systematische stände zu erfassen, ihre Sicherheit bei der Handhabung zu prü- Erfassung fen und über ihre Zulassung in der Schweiz zu entscheiden. Pyrotechnik 1999 mussten die Erfassungs- und Prüfkriterien in Zusammen- arbeit mit den betroffenen Wirtschaftskreisen überarbeitet wer- den. Im Jahr 2000 werden die Leitdaten erfasst.

Revision Nach der Ämterkonsultation im Juni/Juli 1999 und deren Aus- Sprengstoff- wertung wurden der Vorentwurf und der erläuternde Bericht fer- verordnung tiggestellt. Am 27. Dezember 1999 konnte ein breit abgestütztes Vernehmlassungsverfahren (über 70 Adressaten) gestartet werden.

Neue Technologien In enger Zusammenarbeit mit dem WFD, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA), dem Bundesamt für Be- rufsbildung und Technologie (BBT) sowie den betroffenen kan- tonalen Behörden und Bauunternehmungen evaluierte die ZSP ein schwedisches Pumpsystem für Sprengemulsion und erteilte die Zulassung für die Schweiz. Der Mischvorgang der aus zwei

102 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Komponenten bestehenden Emulsion erfolgt vor Ort, so dass diese erst im Bohrloch selbst zu Sprengstoff wird. Dieses Sy- stem löst viele Lager- und Transportprobleme und ermöglicht ein rasches und sicheres Laden von Bohrlöchern. Damit kön- nen zum Beispiel die hohen Sicherheitsanforderungen des NEAT-Eisenbahnprojektes erfüllt werden.

Der ausserordentlich strenge Winter 1998/1999 zeigte mit sei- Künstlicher nen folgenschweren Lawinen deutlich, dass nach weiteren Mit- Lawinenab- teln zur künstlichen Lawinenauslösung gesucht werden muss. schuss Die zum Teil dazu verwendeten Armeewaffen (Raketenrohr und Minenwerfer) und Munition werden bald nicht mehr zur Verfü- gung stehen. Die ZSP evaluierte zusammen mit anderen Part- nern diverse Systeme und prüfte diese auf ihre Sicherheit und Zuverlässigkeit. Ein französisches System wurde bereits zuge- lassen; ein österreichisches Produkt steht kurz vor der Zulas- sung. Einer schweizerischen Entwicklung wurde für die Saison 1999/2000 eine Testphase bewilligt.

Wissenschaftlicher Forschungsdienst Der zu 85 Prozent für die Bundespolizei und zu 15 Prozent für WFD arbeitet das VBS arbeitende Wissenschaftliche Forschungsdienst zu 85 Prozent (WFD) umfasst 15 Stellen, welche der Stadtpolizei Zürich ad- für ministrativ unterstellt sind. Diese Spezialisten sind auf dem Ge- Bundespolizei biet der Sprengstoffanalyse und der Pyrotechnik sowie der diesbezüglichen Spurensicherung, der Entschärfung von Un- konventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) tätig. Die Lohn-, Ausrüstungs- und Ausbildungskosten für den Unter- halt des WFD werden vom Bund getragen. Der WFD unterhält rund um die Uhr einen Pikettdienst und deckt die ganze Schweiz ab.

Staatsschutzbericht 1999 103

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Delegationen/Vereinigungsverfügungen

30 24 25 20 18 20 17 15 13 13 15 11 10 7 8 7 8 4 5 3 3 2 1 0 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Art. 224 StGB Art. 225 StGB Art. 226 StGB

Sprengmitteldiebstähle

8 6 6 5

4 3 3 2 2 2 2 2 1 1 00 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Diebstähle Davon aufgeklärt

104 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Unfälle und Bagatellfälle

200 149 137 147 137 150 131 131

100

50 18 21 10 13 13 8 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Unfälle Bagatellfälle

Sprengstoffanschläge

25 20 20 17 20 16 15 13 13 10 10 5 3 5 1 2 2 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Anschläge Davon ermittelte Täter

Staatsschutzbericht 1999 105

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

5.3. Zentralstelle Waffen

Seit 1. Januar 1999 ist das Bundesgesetz über Waffen, Waf- fenzubehör und Munition vom 20. Juni 1997 (Waffengesetz, Neues Waffen- WG) in Kraft. Mit dem WG sowie der zugehörigen Verordnung gesetz seit (Waffenverordnung, WV) hat der Gesetzgeber auf Stufe Bund 1. Januar 1999 eine bei der Bundespolizei angegliederte Zentralstelle Waffen in Kraft (ZSW) geschaffen. Nach kurzer Vorbereitungszeit hat die ZSW ihre Arbeit am 14. Dezember 1998 aufgenommen. Ihre Aufgabe ist es, die Vollzugsbehörden (Kantone und Zoll) zu beraten und deren Tätigkeiten zu koordinieren (Art. 39 WG).

Bewilligungen Die ZSW hat 1999 folgende Bewilligungen erteilt

1. Gewerbsmässige Einfuhr (Art. 24 WG) : 227 2. Gewerbsmässige Durchfuhr (Art. 24 WG) : 176 3. Vertiefte Abklärungen (Art. 16 WV) : 13 4. Entscheide über Waffenerwerbsscheine für auslän- 16 dische Staatsangehörige ohne Niederlassungs- bewilligung (Art. 12 WG) : 5. Entscheide betreffend Bewilligungen für Waffenhersteller: 4

Für die vertieften Abklärungen (Pt. 3) wurden Experten der Gruppe Rüstung in Thun als neutrale Gutachter beigezogen. Bei den unter Pt. 4 und 5 aufgeführten Fällen handelt es sich um auf kantonaler Ebene gefällte, negative Entscheide, die von den Betroffenen angefochten wurden. Alle Fälle sind noch nicht definitiv entschieden.

Seit Anfang 2000 liegt die Kompetenz für die Erteilung von Durchfuhrbewilligungen beim Staatssekretariat für Wirtschaft (seco, EVD).

Aufbau von Datenbanken

Automatisier- Die ZSW hat gemäss ihrem Auftrag (Art. 12 und 14 WG) mit tes Waffenre- dem Aufbau eines automatisierten Waffenregisters begonnen. gister Sie führt eine Datenbank über die von den Kantonen erstatte-

106 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei ten Meldungen betreffend ausländische Staatsangehörige ohne Niederlassungsbewilligung, die eine Waffe oder einen wesentli- chen Waffenbestandteil erworben haben, sowie ein Register über die erworbenen Waffen oder wesentlichen Waffenbestandteile (Art. 13 WG). Die ZSW ist befugt, der zuständigen Behörde des Wohnsitz- oder des Heimatstaates der Erwerber einen Ausdruck der Registerdaten zuzustellen (Art. 13 WG).

Unterstützung der Behörden im Gesetzesvollzug Mit der Schaffung der ZSW wurde grosses Gewicht auf die Un- terstützung der für den Vollzug des neuen Waffenrechts ver- Empfehlungen antwortlichen kantonalen Behörden gelegt. Dazu gehört der erlassen Erlass von Weisungen und die Erarbeitung von Erhebungsfor- mularen für die Bewilligungspraxis. Ferner ist ein Leitfaden für die kantonalen Beamten erstellt worden.

Als Entscheidhilfe für kantonale Polizeistellen und Zollbeamte dient ein im Dezember 1999 herausgegebener Katalog beson- Katalog be- derer Waffen. Er enthält die Beschreibung derjenigen Gegen- sonderer Waf- stände, welche im Sinne von Art. 4 WG als verbotene oder fen erstellt erlaubte Waffen gelten. Gekennzeichnet sind darin auch dieje- nigen Waffen, die nur mit kantonalen Ausnahmebewilligungen erworben, getragen, vermittelt, eingeführt, hergestellt oder ab- geändert werden dürfen (Art. 48 WV). Schliesslich wird ver- merkt, ob zusätzlich zu den waffenrechtlichen Bestimmungen auch zollrechtliche Erlasse beachtet werden müssen.

Arbeitsgruppen Die ZSW präsidierte verschiedene Arbeitsgruppen mit dem Ziel, allfällige Vollzugsprobleme des neuen Waffenrechts rechtzeitig zu erkennen und zu lösen. Wichtige mit Bundes- und Kantons- vertretern besetzte Koordinationsgremien sind ! die Arbeitsgruppe Revision der Waffenverordnung, ! der Arbeitsausschuss Waffen und Munition für die Koordi- nation und Vereinheitlichung des Gesetzesvollzugs und ! die Arbeitsgruppe Waffenbörsen für die Regulierung und Kontrollen von Waffenbörsen. Auf internationaler Ebene beteiligte sich die ZSW u.a. an den Arbeiten für eine UNO-Konvention zur Kontrolle von Kleinwaf- fen.

Staatsschutzbericht 1999 107

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

5.4. Personensicherheitsprüfungen

Mit der Regelung der Sicherheitsprüfungen von Bediensteten des Bundes, Angehörigen der Armee sowie Dritten, die an klassifizierten Projekten im Bereich der inneren oder der äusse- ren Sicherheit mitwirken, soll Sicherheitsrisiken durch Korrupti- on entgegengewirkt werden.

Rechtsgrundlagen Die Personensicherheitsprüfungen basieren auf folgenden rechtlichen Grundlagen: ! Art. 19-21 des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120) ! Verordnung über die Personensicherheitsprüfungen (PSPV; SR 120.4)

Durchführung VBS als Der Bundesrat hat in der PSPV die Abteilung Informations- und Fachstelle Objektsicherheit (AIOS) des VBS als Fachstelle für die Sicher- heitsprüfungen bezeichnet. Die Fachstelle erhebt in der Regel die für die Sicherheitsprüfung notwendigen Daten selbst. Nur in Fällen, in denen sie keine Zugriffsrechte auf die Daten hat, werden die Informationen über die zivilen und militärischen Si- cherheitsorgane erhoben. Für die Sicherheitsprüfung werden die Register der Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane von Bund und Kantonen konsultiert Register von Bund und Kan- und zusätzlich sicherheitsrelevante Daten über die Lebensfüh- tonen konsul- rung der betroffenen Person erhoben, insbesondere über ihre tieren persönlichen Beziehungen und familiären Verhältnisse, ihre fi- nanzielle Lage, ihre Beziehungen zum Ausland und über Aktivi- täten, welche die innere oder die äussere Sicherheit gefährden könnten. Über die Ausübung verfassungsmässiger Rechte werden keine Daten erhoben. Die betroffene Person muss ausdrücklich und mit Unterschrift Schriftliche der Durchführung der Prüfung zugestimmt haben. Die Fachstel- Zustimmung le teilt der geprüften Person das Ergebnis der Abklärungen und nötig ihre Beurteilung des Sicherheitsrisikos mit. Innert zehn Tagen kann Einsicht in die Prüfungsunterlagen genommen und die

108 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Berichtigung falscher Daten oder die Entfernung überholter Da- ten verlangt werden.

Bearbeitungen 1997 bis 1999 durch die Bundespolizei

1997 1998 1999 Zivile Bundesverwaltung 141 Pers. 147 Pers. 181 Pers. Militärischer Bereich - Armeeangehörige 15'880 Pers. 17'571 Pers. 17'380 Pers. - Dritte Personen 2'575 Pers. 4'265 Pers. 5'042 Pers. - angeforderte Berichte 1'025 Pers. 1'326 Pers. 2'400 Pers.

5.5. Ausländerrechtliche Massnahmen

Asyl- und Einbürgerungsbereich 1999 wurden zuhanden des Bundesamtes für Flüchtlinge rund 2‘600 (Vorjahr 2‘800) Asylgesuche geprüft. Gemäss Artikel 53 Leicht weniger und 73 des Asylgesetzes (SR 142.31) wird kein Asyl gewährt, Asylgesuche wenn ein Asyl-Suchender oder eine schutzbedürftige Person geprüft die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet hat oder verletzt. 122 (130) Gesuche erforderten umfangreichere Abklärungen.

Am 1. Oktober 1999 ist das total revidierte Asylgesetz in Kraft getreten. Seitdem kann auch aus sicherheitsrelevanten Grün- den im Sinne von Artikel 63 oder 78 des Gesetzes Antrag auf Widerruf des Asyls beantragt werden, wenn ein Flüchtling oder Revidiertes eine schutzbedürftige Person die innere oder die äussere Si- Asylgesetz cherheit bzw. die öffentliche Sicherheit und Ordnung der seit 1. Oktober Schweiz verletzt oder gefährdet oder besonders verwerfliche 1999 in Kraft Handlungen begangen hat. Im Jahre 1999 musste die Bundes- polizei keinen Antrag stellen.

Auf der Grundlage des Bundesgesetzes über Erwerb und Ver- lust des Schweizer Bürgerrechts (SR 141.0) überprüfte der

Staatsschutzbericht 1999 109

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Ausländerdienst der Bundespolizei 1999 zuhanden des Bun- 20'200 Einbür- desamtes für Ausländerfragen, Sektion Bürgerrecht, rund gerungsgesu- 20'200 (Vorjahr 22'000) Einbürgerungsgesuche. Das Gesetz che überprüft setzt voraus, dass ein Bewerber oder eine Bewerberin die inne- re und äussere Sicherheit des Landes nicht gefährden darf. In 30 (30) Fällen mussten erweiterte Untersuchungen eingeleitet werden.

In mehreren Fällen wurden den betroffenen Asyl- und Einbür- gerungsbehörden erhebliche Sicherheitsbedenken gemeldet.

Fernhaltemassnahmen 1999 verfügte die Bundespolizei gegen 147 (Vorjahr 82) Perso- 147 Einreise- nen eine Einreisesperre. Davon 117 (57) gegen Extremisten sperren ver- und Terroristen, 23 (18) gegen Angehörige eines Nachrichten- fügt dienstes sowie aus verschiedenen Gründen gegen sieben wei- tere Personen.

Am 3. Juni 1999 erliess die Bundespolizei gegen einen ehema- ligen Mitarbeiter des britischen Auslandnachrichtendienstes Secret Intelligence Service (SIS) eine Einreisesperre. Dieser hatte seinen seit September 1998 dauernden Aufenthalt in der Früherem SIS- Schweiz missbraucht, um entgegen konkreter Ermahnungen Mitarbeiter durch die Bundespolizei nach britischem Recht strafbare Amts- Einreise geheimnisverletzungen vorzubereiten und damit die britischen verboten Behörden unter Druck zu setzen. Am 12. Mai 1999 wurde in den USA eine Liste mit 115 Namen mutmasslicher SIS- Agenten im Internet publiziert. Durch diesen elektronischen Versand der Namensliste brach der Ex-Agent seine Auflagen gegenüber der Bundespolizei und verstiess gegen ein am 30. April 1999 von einem Genfer Gericht ausgesprochenes Pu- blikationsverbot.

Weiter wurde gegen einen deutschen Rechtsextremisten, wel- Sperre gegen cher 1971 die neonazistische Deutsche Bürgerinitiative (DBI) deutschen gegründet hatte, eine Einreisesperre ausgesprochen. Er wurde Rechtsextre- im Juni 1982 als Anführer einer Gruppe, die des Mordes in zwei misten und des Mordversuchs in acht Fällen verdächtigt wurde, in Deutschland zu 13 Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlas- sung im Februar 1990 war er erneut in der rechtsextremen Szene aktiv. Die Einreisesperre soll verhindern, dass er in der Schweiz als Gastreferent auftreten und seine Anhänger radika- lisieren kann.

110 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Im September 1999 wurde einem identifizierten Offizier des Zi- Einreise von vilen Auslandnachrichtendienstes der Russischen Föderation SVR-Offizier (SVR), Ehegatte einer russischen Diplomatin, die Einreise ver- verweigert weigert.

Im Dezember 1999 wurde ein russischer Diplomat wegen sei- Erklärung zur ner illegalen nachrichtendienstlichen Tätigkeit in der Schweiz Persona non zur Persona non grata erklärt und gegen ihn eine Einreisesper- grata re verfügt.

Verschiedene Beschwerden gegen den Erlass einer Einreise- sperre wurden 1999 durch den Beschwerdedienst des Eidge- Mehrere Be- nössischen Justiz- und Polizeidepartements, in einem Fall in schwerden zweiter Instanz durch den Bundesrat, abgewiesen. Es betraf abgewiesen dies u.a. ein Kadermitglied der PKK, einen ehemaligen Spitzel des türkischen Nachrichtendienstes sowie einen Exponenten der algerischen Front Islamique du Salut (FIS).

Am 22. Oktober 1999 konnte der in Frankreich wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zehn Jahren Haft verurteilte Maurice Papon nach Frankreich überstellt werden. Maurice Papon Gegen ihn erliess die Bundespolizei bereits am 12. Oktober nach Frank- 1999 eine Einreisesperre, nachdem bekannt geworden war, er reich über- habe die Absicht, sich einer zu erwartenden Verhaftung durch stellt Flucht in die Schweiz zu entziehen. Am 19. Oktober 1999 in- formierten die französischen Behörden den Chef der Bundes- polizei, Maurice Papon habe sich ihrer Kontrolle entzogen. Umgehende polizeiliche Abklärungen ergaben, dass er sich be- reits seit dem 11. Oktober in der Schweiz aufhielt. Er wurde am 21. Oktober 1999 zur Verhaftung ausgeschrieben und konnte gleichentags festgenommen werden. Im Interesse der äusseren und inneren Sicherheit der Schweiz entschied der Bundesrat auf Antrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeideparte- ments, Maurice Papon in Anwendung von Art. 70 und 102 Abs. 8 und 10 der Bundesverfassung unverzüglich aus der Schweiz auszuweisen.

Staatsschutzbericht 1999 111

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Überprüfung von Einreisen

Der Ausländerdienst überprüfte 1999 zuhanden des Bundes- 1'700 Auslän- amtes für Ausländerfragen und des Eidgenössischen Departe- der überprüft ments für auswärtige Angelegenheiten ca. 1'700 (Vorjahr ca. 1'800) Ausländer.

Die Verhaftung von Abdullah Öcalan, die blutigen Auseinander- setzungen in Algerien und Sri Lanka sowie der Kosovo-Konflikt führten dazu, dass vermehrt Angehörige aus Ländern, die von inneren gewaltsamen Unruhen betroffen sind, überprüft wur- den.

Kampf gegen Der Bekämpfung der Schlepperei, von deren Auswirkungen die Schlepperei Schweiz in verschiedenen Bereichen betroffen ist, kommt auch aus der Sicht der Bundespolizei eine wesentliche Bedeutung zu. Unter anderem kann das Einschleusen von Mitgliedern ex- tremistischer Gruppierungen in die Schweiz die innere Sicher- heit des Landes gefährden und die Beziehungen der Schweiz zu andern Staaten erheblich belasten. Vertiefte Abklärungen und eine koordinierte Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen auf internationaler Ebene sowie auf Stufe Bund und Kanton sol- len ermöglichen, Missbräuche zu erkennen und wirksam zu be- kämpfen.

Gewaltextremistisches Material Im Sinne von Art. 13 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Mass- nahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) wurden 31 Fälle der Bundespolizei 1999 insgesamt 31 Fälle gemeldet, bei de- gemeldet nen der Vertrieb, die Lagerung, der Transport oder die Einfuhr von gewaltextremistischem Material festgestellt worden war. Dieses Material, das teilweise zur Gewalt oder zum bewaffne- ten Widerstand aufruft resp. rassistische Inhalte aufweist, kann nach Aufhebung des Propagandamaterialbeschlusses (SR 120) seit Mitte 1998 auf Bundesebene nicht mehr beschlagnahmt und eingezogen werden. Auf Grund der erwähnten Meldungen und der Erfahrungen anderer europäischer Staaten in diesem Bereich wird gegenwärtig geprüft, ob eine neue rechtliche Grundlage zu schaffen ist, die die Beschlagnahme, die Einzie- hung und Vernichtung von solchem Material künftig wieder er- möglicht.

112 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Die folgende Aufstellung gibt Auskunft über die Art und Menge des gemeldeten Materials:

Organisation Anzahl Bewegung Meldun- Art Menge Gruppierung gen des Materials des Materials MLKP/DHKP-C Türkisches oder 07 Schriftsachen 2'460 Zeitungen kurdisches Material Tonträger 2 Compact Discs

LTTE Tamilisches Material 01 Schriftsachen 200 kg Zeitungen

UCK Kosovo-albanisches 03 Schriftsachen 22,3 kg Broschüren Material

Skinheads Rechtsextremisti- 16 Schriftsachen 500 Kleber sches Material Tonträger 131 Compact Discs

Mit Urteil vom 26. Juli 1999 hat das Schweizerische Bundesge- richt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde eines Empfängers Beschwerde von gewaltextremistischem Material der Kurdischen Arbeiter- gegen Vernich- partei (PKK) einstimmig abgewiesen und die vom Bundesrat tung von PKK- verfügte Einziehung und Vernichtung von fast 90 kg Propagan- Material abge- damaterial geschützt. Die fraglichen Schriften, die geeignet wa- wiesen ren, eine Radikalisierung der in der Schweiz lebenden Kurden herbeizuführen, wurden anlässlich ihrer Einfuhr von den zu- ständigen Zollbehörden sichergestellt und Anfang 1998 in An- wendung des damals noch geltenden Propagandamaterial- beschlusses von der Bundesanwaltschaft/Bundespolizei be- schlagnahmt. Der Bundesrat verfügte in der Folge deren Einziehung. Aus Sicht des Bundesgerichts war diese Mass- nahme verhältnismässig. Zudem enthielt das Propagandamate- rial laut dem Urteil aus Lausanne nicht nur zulässige Kritik an der türkischen Regierung, sondern eigentliche Beschimpfun- gen, welche die aussenpolitischen Beziehungen der Schweiz und ihre Neutralität beeinträchtigen könnten. Die Abwehr all dieser Gefährdungen rechtfertigt gemäss bundesgerichtlicher Praxis auch empfindliche Einschränkungen der Meinungsäus- serungs- und Pressefreiheit. Staatsschutzbericht 1999 113

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Der Aufsichtsbeschwerde eines anderen Beschwerdeführers, dessen rechtsextremistisches Material beschlagnahmt und ein- gezogen wurde, hat der Beschwerdedienst des Eidgenössi- schen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) am 15. Dezem- ber 1999 keine Folge gegeben.

5.6. Einsätze von Zivilpolizeibeobachtern in friedenserhaltenden Aktionen

Konzept für Der Bundesrat genehmigte nach längeren Vorarbeiten und Pi- Ausbildung loteinsätzen am 23. Juni 1999 ein Konzept über die Ausbildung und Einsatz und den Einsatz von Zivilpolizeibeobachtern (englisch: Civilian genehmigt Police Monitor / CIVPOL). Darin wurden die politischen Leit- planken der Einsätze bestätigt und die Bundespolizei, zusam- men mit der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV), als federführende Stelle für die Durchführung solcher Einsätze be- zeichnet.

Im Rahmen der Piloteinsätze und in Realisierung des Konzep- CIVPOL- tes koordinierte die Bundespolizei 1999 die Einsätze von Missionen schweizerischen Polizeibeamten in den bereits erfolgreich lau- fenden Missionen der UNO in Bosnien-Herzegowina (United Nations International Police Task Force / IPTF) und der OSZE in Kroatien (Police Monitoring Group / PMG). Auf eine Beteili- gung an der zivilen UN-Mission im Kosovo (United Nations Inte- rim Administration Mission in Kosovo / UNMIK) musste die Schweiz aber vorerst verzichten, weil die UNO für diesen Ein- satz nur noch bewaffnete Teilnehmer aufnahm. Die politischen und operationellen Voraussetzungen für diese neue, im Kon- zept noch nicht vorgesehene Art von Einsätzen waren nicht ge- geben.

Die Einsätze werden in enger Zusammenarbeit mit dem Eidge- nössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten und der EZV organisiert. Letztere beteiligt sich mit Grenzwächtern massgeblich am Personalkontingent. Die finanziellen Mittel für die Einsätze stammen aus dem Kredit des EDA für friedenser- haltende Massnahmen.

114 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

CIVPOL-Beobachter haben nach Massgabe des von der jewei- ligen internationalen Organisation beschlossenen Mandates zu Aufgaben der der jeweiligen Aktion verschiedene Aufgaben. Diese bestehen CIVPOL- in den klassischen Missionen vor allem aus Beobachter ! dem Überwachen der lokalen Polizei bei der Erfüllung ih- rer Aufgaben, namentlich in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte und der geltenden Gesetze, ! der Beratung und Ausbildung der lokalen Polizeibehörden, ! der Beurteilung der Sicherheitslage.

CIVPOL-Posten bei der Ausbildung von OSZE- Mitarbeitern in Bière

CIVPOL-Beobachter haben im Einsatzland in der Regel keine Polizeifunktionen wie Polizeibeamte in der Schweiz, sondern sind als Beobachter, Berater und Rapportierende zuhanden der Beobachter verantwortlichen internationalen Organisation tätig. Sie können ohne Polizei- so entscheidend zur Errichtung und Stabilisierung rechtsstaatli- funktion cher Verhältnisse in einer Krisenregion beitragen und helfen, das Vertrauen der Zivilbevölkerung, insbesondere der Angehö- rigen von Minderheiten, in die Behörden wiederherzustellen.

In der UNMIK hingegen wird von der CIVPOL in der derzeitigen Phase auch die aktive Aufrechterhaltung der öffentlichen Ord- nung und Sicherheit übernommen, weil im Kosovo nach dem Ausnahme Rückzug der serbischen Staatsmacht keine Strukturen hierzu UNMIK mehr bestehen. Die UNMIK nimmt hier also die exekutiven Funktionen selbst wahr, bis wieder eine eigene lokale Polizei- organisation aufgebaut ist.

Staatsschutzbericht 1999 115

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Das Personal wird aus den Polizeikorps der Schweizer Kantone Rekrutierung und der Städte sowie aus dem Grenzwachtkorps (GWK) rekru- des Personals tiert. Zum Anforderungsprofil gehören eine polizeiliche bzw. grenzwachtspezifische Grundausbildung, mehrjährige Berufser- fahrung, psychische Stabilität und sehr gute Englischkenntnis-

CIVPOL bei der IPTF in Bosnien-Herzegowina

se. Zur Vorbereitung werden die Kandidatinnen und Kandidaten in einem internationalen Kurs in Schweden für ihre Aufgaben spezifisch ausgebildet. 1999 konnte die Schweizer Beteiligung am Instruktorenteam um einen weiteren Polizeibeamten mit CIVPOL-Einsatzerfahrung auf zwei erhöht werden. 15 Beam- tinnen und Beamte von Polizei und Grenzwache nahmen mit Erfolg an zwei Kursen teil. 15 Beobachter Im Einsatz standen bei der IPTF und der PMG 1999 total 15 im Einsatz CIVPOL-Beobachter. Diese stammten aus den Polizeikorps der Kantone Genf, Solothurn, Waadt und Zug sowie aus dem Grenzwachtkorps. Diese Einsätze werden auch im Jahre 2000 fortgesetzt. Ferner unterstützte die Bundespolizei 1999 im Rahmen der CIVPOL-Aktivitäten die Ausbildung von Schweizer OSZE- Mitarbeitern mit einem praxisorientierten Posten und war mit zwei Teilnehmern an der internationalen Übung VIKING vertre- ten. Diese schulte im Rahmen der Partnerschaft für den Frie- den in Schweden und den baltischen Staaten die militärisch- zivile Zusammenarbeit bei friedensunterstützenden Operatio- nen.

116 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

5.7. Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr

Die Bundespolizei nimmt verschiedene Aufgaben wahr, die der Sicherheit im Luftverkehr dienen. Sie erstellt zuhanden des Aufgaben zur Bundesamtes für Zivilluftfahrt, der Flughafenpolizeien und Luft- Sicherheit verkehrsunternehmen sowie zuhanden des Nationalen Sicher- des Luftver- heitsausschusses Luftfahrt Lage- und Bedrohungsanalysen. kehrs Daneben koordiniert sie die Rekrutierung, Ausbildung und den Einsatz der Sicherheitsbeauftragten im Luftverkehr und wirkt bei der Prüfung und Anordnung von Sicherheitsmassnahmen auf schweizerischen Flughäfen oder für schweizerische Luft- fahrtgesellschaften mit.

1999 gab es insgesamt 117 für die internationale zivile Luftfahrt sicherheitsrelevante Vorfälle. In 16 dieser Fälle waren die 117 sicher- Schweiz oder deren Luftverkehrsunternehmen und -einrich- heits- tungen direkt oder indirekt betroffen. So gingen sieben Bom- relevante bendrohungen gegen schweizerische Flugzeuge oder Vorfälle Infrastruktureinrichtungen ein, die sich jedoch als gegenstands- los erwiesen. Vier Schweizer befanden sich in der Gewalt der Entführer des Airbus A300 der Indian Airlines in Kanda- har/Afghanistan. In Harare/Zimbabwe wurden drei Amerikaner beim Einsteigen in eine Swissair-Maschine von den lokalen Behörden verhaftet. Sie befanden sich im Besitze verschiede- ner Waffen und beabsichtigten, via Zürich in die Vereinigten Staaten zu fliegen. Die französische Polizei konnte auf dem Flughafen Basel-Mülhausen eine mehrköpfige Diebesbande verhaften, welche über längere Zeit hinweg wertvolle Güter aus den Frachthallen des Flughafens gestohlen hatte.

Das Jahr 1999 brachte eine starke Zunahme von Vorkommnis- sen mit betrunkenen, randalierenden oder sich den Anweisun- Häufiger gen der Besatzungen widersetzenden Passagieren (40 der Schwierig- erwähnten 117 sicherheitsrelevanten Vorfälle). In zwei Fällen keiten mit war die Swissair auf Nordatlantikflügen direkt betroffen, und in Passagieren zwei weiteren Fällen sahen sich die Piloten anderer Fluggesell- schaften wegen betrunkener Passagiere aus der Schweiz zu einer unplanmässigen Zwischenlandung oder anderen Ord- nungsmassnahmen gezwungen.

Staatsschutzbericht 1999 117

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Sicherheitsrelevante Vorfälle der internationalen zivilen Luft- fahrt Jahr Entführungen Andere Vorfälle* Total 1993 23 4 27

1994 21 12 33

1995 9 21 30

1996 12 27 39

1997 9 26 35

1998 13 26 39

1999 12 105 117

*) kriminelle oder andere sicherheitsrelevante Akte gegen Flugzeuge und Einrichtungen des Luftverkehrs

5.8. Moderne Informationstechnologien und innere Sicherheit

Für viele Leute ist die Informationsrevolution schon zum Alltag geworden, und 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben Zugang zum Internet. So überrascht es nicht, dass auch extre- mistische Organisationen auf dem World Wide Web präsent sind. In den Arbeitsgebieten der Bundespolizei spielt das Inter- net denn auch eine immer grössere Rolle. Die Bundespolizei ist auf verschiedenen Fronten aktiv und wirkt auch bei der neu ge- gründeten Stiftung InfoSurance - Sicherheit der Informationsin- frastruktur in der Schweiz aktiv mit.

Demonstrati- Rechts- und linksextreme Websites wiesen in den letzten zwei onsaufrufe per bis drei Jahren exponentielle Wachstumsraten auf. Neben der Internet Propaganda und dem Vertrieb verbotener Schriften (z.B. zur Umgehung der Antirassismus-Gesetzgebung) steht immer mehr auch die Organisation von Demonstrationen und anderen Veranstaltungen im Vordergrund. So benützten die Organisato-

118 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei ren der in stadtweite Unruhen ausmündenden Demonstrationen gegen das WTO-Gipfeltreffen im amerikanischen Seattle das Internet zur weltweiten Koordination der verschiedenen Grup- pierungen. Auch die Ankündigungen für die nicht bewilligten Demonstrationen gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos wa- ren im Internet nachzulesen, inklusive Zugfahrplan und Wetter- vorhersagen.

Während grosse Demonstrationen vor allem offen im World Wide Web angekündigt und damit auch von Polizeistellen ein- Technologie- gesehen werden können, werden bei den laufenden Kontakten schub bei ex- der verschiedenen Gruppen z.T. moderne Verschlüsselungs- tremistischen und Sicherheitstechniken benützt. So gibt es z.B. bei einigen Gruppen rechtsextremen Sites geschlossene Bereiche, in denen nach Eingabe des Passwortes ohne störende "Zuhörer" kommuni- ziert werden kann. Dazu kommen neue Informationstechnolo- gien wie etwa die WAP-Funktelefonie (Wireless Application Protocol), mit denen sich das Internet problemlos überall auf das Handy holen lässt. Damit können zum Beispiel rechtsex- treme Grossanlässe wie Konzerte noch verdeckter als bis anhin organisiert und der Treffpunkt erst im allerletzten Moment einer grösseren Anzahl von Teilnehmern bekannt gegeben werden. Es wird dann noch schwieriger, eine präventive Polizeipräsenz aufzubauen.

Mit neuesten Technologien wird auch rechtsextreme Musik verbreitet. Auf immer mehr rechtsextremen Websites werden

Staatsschutzbericht 1999 119

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

ganze Musikstücke im so genannten MP3-Format zur Verfü- Rechtsextre- gung gestellt. Dieses Komprimierungsverfahren für Daten er- me Inhalte auf möglicht es dem Internet-Nutzer, digitalisierte Musik einfach auf dem WWW den eigenen Computer herunterzuladen, abzuspielen und damit auch eigene CDs herzustellen. Selbstredend kann via Internet auch der Inhalt von rassistischen Publikationen von Servern aus dem Ausland problemlos in die Schweiz übertragen wer- den.

Die Bundespolizei hat deshalb 1998 die schweizerischen Inter- net-Provider aufgefordert, die Sperrung rechtsextremer Websi- tes im Ausland zu prüfen. Sie hat die Kontaktgruppe Internet ins Leben gerufen, um die komplizierten rechtlichen und techni- schen Umstände eines solchen Vorgehens mit anderen Bun- desämtern und den Providern zu diskutieren. Für weitere Informationen zur Kontaktgruppe siehe Kapitel 1.2., Gewalttäti- ger Extremismus in der Schweiz.

Internet- Doch das Internet wird nicht nur zur Koordination links- und Kriminalität rechtsextremer Gruppierungen und als Transportmittel für ille- allgemein gale Inhalte benützt. Es werden auch immer mehr Straftaten im Steigen be- mittels Internet selbst verübt. In den letzten 12 bis 24 Monaten griffen haben sich die Hackeraktivitäten von einer Art Kunstform - es ging vor allem darum, aufzuzeigen, dass bestimmte Systeme gehackt werden können - immer stärker auf die kriminelle Ebe- ne verlagert. So wurden vor allem in den USA mehrere Firmen erpresst, indem ihnen Kreditkartendaten in grossen Mengen entwendet und bei Nichtbezahlung der Forderung mit einer Pu- blikation der Daten auf einer öffentlich zugänglichen Website gedroht wurde. Im Fall der Musikfirma CD Universe setzte ein Hacker namens "Maxim" seine Drohung in die Tat um und pu- blizierte Anfang Januar 2000 über 25'000 Kreditkartennum- mern. Laut Medienberichten wurde die Datei mehrere Tausend Male heruntergeladen, bevor sie vom Server gelöscht werden konnte. Einer anderen Hackergruppe gelang es 1999 sogar, ei- nen britischen Aufklärungssatelliten mehrere Stunden unter ihre Kontrolle zu bringen. Neue Exploits von Hackergruppen, die sich meist relativ einfacher Verfahren bedienen und sich be- kannte, aber nicht behobene Sicherheitslücken nutzbar ma- chen, sind momentan praktisch wöchentlich in den Medien. In der Forschung wird schon rege über Cyber-Terrorismus wie z.B. die elektronische Lahmlegung eines wichtigen Schaltzen- trums der Stromversorgung (siehe dazu auch Staatsschutzbe- richt 1998, Kapitel 6) durch Extremisten spekuliert. Es gibt aber

120 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei bis heute noch keine gesicherten Erkenntnisse, dass solche (Noch) kein Anschläge schon durchgeführt wurden. Dem im letztjährigen Cyber- Staatsschutzbericht erwähnten politisch motivierten Angriff ser- Terrorismus bischer Hacker auf eine kosovo-albanische Website in der Schweiz folgten allerdings mittlerweile weitere Attacken auf die Website der NATO und auf kosovo-albanische Sites in Deutschland. Auch im Bereich des Extremismus und Terroris- mus scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis grös- sere Vorfälle auch im Bereich der neuen Informations- technologien auftreten. In den Vereinigten Staaten sind durch Präsident Clinton bereits mehrere 100 Millionen US-Dollar ge- sprochen worden, um die Verletzlichkeit der dortigen Informati- onsinfrastrukturen zu vermindern; verschiedene europäische Länder haben Studienkommissionen zu diesem Thema einge- setzt.

Die Bundespolizei verfolgt diese Entwicklung bereits seit eini- Neue Stiftung gen Jahren. Sie hat sich deshalb aktiv an der Gründung der InfoSurance Stiftung InfoSurance beteiligt. Die primär privatwirtschaftliche Stiftung unter Beteiligung verschiedener Bundesstellen (neben der Bundespolizei auch das Bundesamt für wirtschaftliche Lan- desversorgung, das Bundesamt für Kommunikation und die Gruppe Rüstung) will als Informationsdrehscheibe zwischen den verschiedenen privaten Sektoren, dem öffentlichen Sektor, der Forschung, aber auch den Sicherheitsdiensten dienen. Die Stiftung ist Mitte November 1999 der Öffentlichkeit vorgestellt und von verschiedenen Firmen bereits mit gegen einer Million Franken unterstützt worden. Der Bundesrat hat in diesem Zu- sammenhang ein Konzept "Information Assurance" in Auftrag gegeben. Dieses ist gegenwärtig in der Ämterkonsultation und sieht ebenfalls finanzielle Mittel für die Stiftung vor.

Die Stiftung hat sich im Einzelnen folgende Ziele gesetzt ! Sensibilisieren der Entscheidungsträger und Benützer im Hauptziel Sen- öffentlichen und im privaten Bereich hinsichtlich Gefahren sibilisierung und Risiken der Informationstechnologien. Fördern von auf neue Grundlagenwissen und Aufbau einer Know-How-Doku- Risiken mentation.

! Risiken erkennen, analysieren und korrelieren; Vorfälle er- fassen und bekannt machen, Entwicklungen analysieren und die Erkenntnisse den Beteiligten zur Verfügung stel- len.

Staatsschutzbericht 1999 121

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

! Organisatorischen, technischen und konzeptionellen Schutz schaffen. Informationsmanagement zur Präventi- on, Früherkennung, Intervention und Normalisierung. Er- stellen eines Kompetenzzentrums und Führen einer Alarmzentrale, Zertifizierungsstelle usw.

Die Geschäftsstelle der Stiftung hat ihren Betrieb Anfang 2000 aufgenommen und stellt ein Grundangebot an allgemeinen In- formationen sowie einen Marktplatz von Veranstaltungen und Kursen im Bereich Information Assurance unter der Adresse www.infosurance.ch auf dem Internet zur Verfügung.

5.9. Sekten / Scientology / AUM

Im Verlaufe der letzten Jahre wurde die Öffentlichkeit auf Grund Prävention nur mehrerer Ereignisse (Drama des Sonnentemplerordens in der bei Verdacht Schweiz, Frankreich und Kanada; Giftgasanschlag der AUM- auf Staats- Sekte in Tokio) auf das Phänomen Sekten und Gewalt auf- schutzdelikte merksam. Diese Vorkommnisse führten zur Frage, ob aus der Sicht des Staatsschutzes ein Handlungsbedarf bestehe und die Bundespolizei tätig werden sollte.

Religiöse Gruppierungen stehen unter dem Schutz der Grund- rechte, insbesondere der Glaubens-, Gewissens-, Kultus- und Vereinsfreiheit. Die Staatsschutzorgane in der Schweiz werden auf Grund des geltenden Rechts nur dann präventiv polizeilich tätig, wenn der Verdacht besteht, dass im Zusammenhang mit der Sektentätigkeit staatsschutzrelevante Verbrechen oder Vergehen begangen werden. Solange keine Indizien zur An- nahme Anlass geben, die Sicherheit des Landes oder der Ein- wohner sei durch die Aktivität solcher Gruppen gefährdet, befasst sich die Bundespolizei grundsätzlich nicht mit Sekten.

Endzeitsekten: Sonnenfinsternis und Millennium 1999 gab es zwei besondere Daten, die erhöhte Aufmerksam- Jahrtausend- keit erforderten: die totale Sonnenfinsternis vom 11. August und wechsel der Jahrtausendwechsel.

122 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Es galt festzustellen, ob diese besonderen Daten für apokalyp- tische Sekten, d.h. religiöse Gruppen, die auf die Endzeit aus- Gewaltaktio- gerichtet sind, Anlass geben könnten, Weltuntergangsstim- nen durch mung zu verbreiten und diese Endzeiterwartung mit apokalypti- gewaltsamen Aktionen zu unterstützen. In Israel wurden im sche Sekten? Hinblick auf das Millennium Sektenmitglieder festgenommen und ausgeschafft, da sie im Verdacht standen, gewalttätige Ak- tionen zu planen. Die amerikanische Bundespolizei FBI erstellte ihrerseits einen ausführlichen Bericht über die Sektenlage (Pro- ject Megiddo, Oktober 1999 ). Sie analysierte das Umfeld und identifizierte diejenigen Gruppen, die aktiv dazu beitragen könn- ten, den Weltuntergang zum Jahreswechsel herbeizubeschwö- ren.

Um ein Bild über die Sicherheitslage der Schweiz zu erhalten, führte die Bundespolizei eine international abgestimmte Lage- beurteilung durch. Als Ergebnis konnte festgestellt werden, Kein besonde- dass für die Schweiz kein besonderes Gefährdungspotenzial res Gefähr- bestand. Die überwiegende Mehrheit der apokalyptischen dungspotenzial Gruppierungen stellen für die Gesellschaft als Ganzes und für staatliche Institutionen keine Gefährdung dar. Allerdings konnte das Risiko nicht ausgeschlossen werden, dass Einzelpersonen Ziel von medienwirksamen Gewaltakten würden. An beiden sensiblen Daten kam es zu keinen erwähnenswerten Zwischen- fällen.

Voraussetzungen der Lagebeurteilung Bei der Lagebeurteilung kann zwischen ständigen Merkmalen und sich verändernden Merkmalen, die auch als Warnzeichen verstanden werden können, unterschieden werden.

Ständige Merkmale von potenziell destruktiven Sekten sind Merkmale zum Beispiel: destruktiver

! Charismatische Führerpersönlichkeiten Sekten ! Missionarischer Eifer ! Ausgrenzung von nicht der Gruppierung angehörigen Menschen (Wir / Sie-Mentalität)

Verändernde Merkmale, die auch ein Warnzeichen sein kön- nen: ! Verstärkte Datumsfixiertheit ! Rückzug aus der Öffentlichkeit oder Ortsveränderung

Staatsschutzbericht 1999 123

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

! Situationen, die die Gruppe als Druck interpretiert (fehlen- de finanzielle Mittel, starker Mitgliederschwund, Austritt von Kernmitgliedern usw.)

Bei der Interpretation der Merkmale ist jedoch Vorsicht gebo- ten; nicht immer führen solche Warnzeichen auch zu gewalttä- tigen Aktionen. Dazu kommt, dass für Aussenstehende die Entwicklung innerhalb der Gruppe schwer erkennbar ist und deshalb kriminelle Handlungen kaum vorhersehbar sind.

Unterschiedliches Lagebild in Europa Vergleicht man die Situation in der Schweiz mit derjenigen un- Rechtsgrund- serer Nachbarländer, so stellt man fest, dass in Europa die lagen und rechtlichen Grundlagen zum Ergreifen von präventiven und re- Massnahmen pressiven Massnahmen im Sektenbereich stark variieren. Ne- variieren ben den nationalen Gesetzen sind auch die jeweiligen Gefährdungslagen sehr unterschiedlich. In Skandinavien und in Italien zum Beispiel wird ein besonderes Augenmerk auf die so genannten satanistischen Sekten gerichtet, weil diese in der Vergangenheit mit gewaltextremistischem, rassistischem Ge- dankengut und sogar Ritualmorden die Bevölkerung aufge- schreckt haben.

Scientology Die Frage, ob Scientology - in Deutschland als sicherheitsrele- Keine Gefähr- vante, international agierende Organisation eingestuft - die Si- dung für Si- cherheit der Schweiz gefährdet, kann zurzeit verneint werden. cherheit der Zu diesem Schluss kommt eine Arbeitsgruppe der Bundespoli- Schweiz zei in ihrem Bericht "Scientology in der Schweiz“, welcher im Auftrag der Konsultativen Staatsschutzkommission erstellt und im Juli 1998 herausgegeben wurde (der Bericht ist im Volltext auf der Website der Bundespolizei abrufbar).

Verhaftung und Verurteilung von Mitgliedern der AUM Shinrikyo in Japan Japan über- Japan hat Ende 1999 ein Gesetz erlassen, das die intensive wacht Sekten Überwachung von Sekten und anderen ähnlichen Gruppen intensiv durch die Polizei ermöglicht. Insbesondere sollen dadurch Akti- vitäten von extremistischen Organisationen wie die Kultsekte AUM Shinrikyo intensiver kontrolliert werden können. Diese

124 Staatsschutzbericht 1999

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

Sekte hat in Japan in den Jahren 1994 und 1995 mit dem Ner- vengas Sarin Anschläge auf Untergrundbahnen in Matsumoto und Tokio verübt, bei denen insgesamt 19 Personen getötet und um die 5'000 verletzt wurden.

Im September 1999 hat ein japanisches Gericht erstmals ein an diesen Anschlägen beteiligtes Führungsmitglied der AUM- Todesurteil für Sekte zum Tod verurteilt. Masato Yokoyama wurde schuldig AUM-Mitglied gesprochen, zusammen mit vier anderen AUM-Mitgliedern das tödliche Nervengift in U-Bahn-Wagen in Tokio versprüht zu ha- ben. Zwei weitere Sektenmitglieder, die an dem Anschlag ebenfalls direkt beteiligt waren, wurden zu lebenslangen Haft- strafen verurteilt. Anhänger des Kults wollen sich laut japani- schen Medien um den im Dezember 1999 freigelassenen ehemaligen Sprecher und engen Vertrauten des Führers Shoko Asahara, Fumihiro Joyu, neu formieren. Der Prozess gegen den Sektenführer Asahara ist noch nicht abgeschlossen.

Da die Sekte in der japanischen Öffentlichkeit massiv unter AUM unter Druck geraten ist und um ihr Überleben fürchtet, hat sie sich im Druck Dezember 1999 erstmals für die Tat in Tokio öffentlich ent- schuldigt. Sie hat zudem ihren Namen in Aleph, den ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets, geändert.

5.10. Ermittlungen im Mordfall Walter Arnold 17.7.1996, in Antananarivo / Madagaskar

Am Morgen des 17. Juli 1996 wurde Walter Arnold, Projektleiter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in DEZA- Madagaskar, im Zentrum der madagassischen Hauptstadt An- Projektleiter tananarivo tot aufgefunden. Er lag gefesselt in seinem am tot aufgefun- Strassenrand parkierten Auto. Eine Untersuchung ergab, dass den Arnold durch Strangulation gestorben war.

Die örtlichen Behörden eröffneten ein Verfahren wegen Mor- des, und im Januar 1997 leitete auch die Schweizerische Bun- desanwaltschaft ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren ein.

Staatsschutzbericht 1999 125

Andere Arbeitsgebiete der Bundespolizei

In dem Bericht der madagassischen Untersuchungsinstanzen wurden ohne nähere Begründung gewisse Schweizer Mitarbei- ter des Ermordeten der Tat verdächtigt. Weil die Verdächtigten unter schweizerischer Gerichtsbarkeit stünden, erklärten die Behörden den Fall als eine rein schweizerische Angelegenheit.

Motiv für das Mittlerweile ergaben die in der Schweiz durchgeführten Ermitt- Verbrechen lungen, gestützt auf einzelne Informationen aus Madagaskar, dass das Motiv des Verbrechens entweder im Zusammenhang mit den DEZA-Projekten auf der Insel oder mit einer persönli- chen Angelegenheit von Walter Arnold stehen könnte.

Im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens reisten dreimal Ermittler der Bundespolizei nach Madagaskar. Die dort gesammelten Fakten und kriminaltechnischen Daten ermöglichten eine annä- Ermittlungen hernd genaue zeitliche Rekonstruktion der Ereignisse. Es zeig- in Madagaskar te sich, dass der Mord an Walter Arnold mit anderen Tötungsdelikten zusammenhängen könnte, die einige Tage zu- vor in Antananarivo stattgefunden hatten. Auch liessen sich Bezüge zwischen diesen Delikten und den Aktivitäten eines madagassischen Staatsangehörigen nachweisen, der im Au- gust 1999 bei einer Schiesserei getötet wurde. Auf Grund der durch die schweizerischen Ermittlungen gewonnenen Erkennt- nisse liessen die madagassischen Behörden die Anschuldigun- gen gegen nicht näher identifizierte Schweizer Mitarbeiter fallen und qualifizierten die Vorwürfe als haltlose Hypothesen.

Die Schweizer Ermittlungsergebnisse führten weiter zu Rück- Weitere Ermitt- schlüssen auf die mögliche Herkunft der Urheber des Mordan- lungsmission schlags. Nach einer Spur kann die Beteiligung einer auf der geplant Insel aktiven mafiosen Organisation nicht ausgeschlossen wer- den. Andere Indizien verweisen eher auf einen Zusammenhang mit einem lokalen Raubzug auf ausländisches Eigentum.

Die Bundespolizei wird in einer weiteren Ermittlungsmission diese ernst zu nehmenden Hypothesen näher prüfen.

126 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Anhang A ______

Organisation und Aufgaben der Staatsschutzbehörden / Bundespolizei

Die Bundespolizei wurde mit dem Erlass des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934 geschaf- fen, dessen Artikel 17 Absatz 3 der Bundesanwaltschaft "zur Bundespolizei einheitlichen Durchführung des Fahndungs- und Informations- 1934 geschaf- dienstes im Interesse der Wahrung der inneren und äusseren fen Sicherheit der Eidgenossenschaft das nötige Personal" beigibt. Aus bescheidenen Anfängen entwickelte sie sich zu einem mo- dernen Polizeidienst. Bis zum 31. August 1999 war die Bun- despolizei eine Hauptabteilung der Bundesanwaltschaft. Seit dem 1. September 1999 ist sie als Hauptabteilung dem Bun- desamt für Polizei zugewiesen. Im Rahmen eines Reorganisa- tionsprojekts werden seither die Strukturen der Polizeidienste des Bundes überprüft.

Heute besteht die Bundespolizei im Wesentlichen aus: ! einem Stab inklusive Übersetzern und Übermittlungs- dienst,

! einem Büro für Auslandverbindungen, Organisation ! einem Kontrolldienst für die allgemeine Qualitätskontrolle der Bundes- und die Überwachung der Datenqualität im Staatsschutz- polizei Informations-System (ISIS), ! drei operativen Abteilungen für - die Terrorismus- und die Extremismusabwehr, - die Spionageabwehr, - die Bekämpfung der Proliferation von Massenvernich- tungswaffen, ihrer Technologie und Trägersysteme und von Kriegsmaterial sowie für die Erfüllung der Aufgaben im Bereich der organisierten Kriminalität, des Sprengstoffwesens, der Pyrotechnik und des Waffengesetzes,

Staatsschutzbericht 1999 127

Anhänge

! einer Abteilung für die zentrale Bearbeitung und Registrie- rung der Informationen, bestehend aus Vorauswertung und Auswertung sowie einem Ausländerdienst.

Chef Bundespolizei

Stab Verbindungs- • Recht • Sekretariat büro • Uem/Pikett • Uebersetzung Kontroll- • Stabsdienste dienst

Terrorismus- u. Nonproliferation Information Extremismus- Spionageabwehr Zentralstellen und abwehr Org. Kriminalität Auswertung

Kommissariat Kommissariat Kommissariat NP/O/K Vorauswertung TE/EX I ND I • ZS AtomG • Zentralstelle ZS Kriegsmaterial • IS GKG Kommissariat Kommissariat Polizeiliche TE/EX II ND II Auswertung

Zentralstellen Kommissariat Sprengstoff, Ausländer- Techn. Dienst TE/EX III Pyrotechnik und Waffen Dienst

Zwischen der Eidgenossenschaft und der Stadt Zürich besteht ein Vertrag über den Wissenschaftlichen Forschungsdienst (WFD). Dieser Dienst ist in die Stadtpolizei Zürich integriert, wird aber vom Bund finanziert und beauftragt. Er ist das krimi- naltechnische und naturwissenschaftliche Expertenorgan der Bundespolizei und als einzige kriminaltechnische Organisation dieser Art in der Schweiz vor allem auf die Untersuchung von Sprengstoffdelikten spezialisiert.

Einsatz Die Bundespolizei wird grundsätzlich auf drei Arten tätig:

Tätigkeiten ! als gerichtliche Polizei unter Leitung der Bundesanwalt- der Bundes- schaft, polizei ! präventiv-polizeilich (informativ und durch administrative Massnahmen), ! koordinierend im Bereich sicherheitspolizeilicher Mass- nahmen.

128 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Entsprechend der föderativen Staatsstruktur der Schweiz ar- beitet die Bundespolizei in ihren Tätigkeiten eng mit den Poli- zeikorps der Kantone und der Gemeinden zusammen. Diese unterhalten mehrheitlich spezielle Dienststellen zur Erfüllung der Aufgaben des Staatsschutzes. Sie werden vom Bund für die Mitwirkung an präventiv-polizeilichen Aufgaben entschädigt, während sie im Bereich der gerichtlichen Polizei grundsätzlich zur unentgeltlichen Zusammenarbeit verpflichtet sind.

Innerhalb der Bundespolizei werden die gerichtspolizeilichen und die präventiven Aufgaben einheitlich von der jeweils im Fachgebiet zuständigen Abteilung erfüllt.

Gerichtliche Polizei Die gerichtliche Polizei des Bundes untersucht diejenigen De- likte, die der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt sind. Darunter fallen insbesondere die Delikte gegen den Staat und die Lan- Delikte unter desverteidigung (wie z.B. Hochverrat und verbotener Nach- Bundesge- richtendienst), die Sprengstoffdelikte nach dem Strafgesetz- richtsbarkeit buch, die Widerhandlungen gegen die Kriegsmaterial-, die untersuchen Atom- und die Luftfahrtgesetzgebung, die Delikte im Bereich der Kontrolle von zivil und militärisch verwendbaren Gütern und besonderen militärischen Gütern (vor allem zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen) sowie schwe- re Verstösse gegen die Aussenwirtschaftsgesetzgebung.

Die gerichtliche Polizei steht unter der Leitung des Bundesan- walts und wird nach den Bestimmungen der Bundesstrafpro- zessordnung ausgeübt. In ihrem Rahmen können auch die kantonalen Strafverfolgungs- und Polizeiorgane sowie die übri- gen Beamten und Angestellten des Bundes und der Kantone in ihrem Wirkungskreis eingesetzt werden. Gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren des Bundes werden durch die Bundesan- waltschaft bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachtes er- öffnet.

Prävention: Information und Massnahmen Im Sinne des Staatsschutzes sind unter Prävention administra- tive und polizeiliche Massnahmen zu verstehen, die das Erken- Erkennen und nen und Verhüten von Handlungen bezwecken, welche die Verhüten innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährden können. Zum Kernbereich des Beobachtungsfeldes gehören namentlich terroristische, extremistische und nachrichtendienstliche Orga-

Staatsschutzbericht 1999 129

Anhänge

nisationen, bei welchen sich der Verdacht auf eine Gefährdung Bundesrat ge- der Sicherheit der Schweiz konkretisiert hat. Diese werden in nehmigt der vom Bundesrat jährlich genehmigten so genannten Beob- Beobachtungs- achtungsliste bezeichnet. Über diese Organisationen bearbeitet liste die Bundespolizei alle wichtigen Informationen, ansonsten nur jene mit einem konkreten Bezug zu staatsschutzrelevanten Er- eignissen. Präventiv-polizeiliche Massnahmen bestehen in der Regel aus Programmen und Einzelabklärungen zur frühzeitigen Erken- nung von Gefährdungen oder Straftaten. Die entsprechenden Erkenntnisse führen zu weiteren eigenen Massnahmen oder werden den zuständigen Behörden mitgeteilt. Administrative Administrative Massnahmen werden vor allem auf dem Gebiet Massnahmen der Fremdenpolizei ergriffen durch die Verhängung von Einrei- sesperren, die Beantragung von Ausweisungen und die Begut- achtung von Asyl- und Einbürgerungsgesuchen unter Sicherheitsaspekten.

Im Einzelnen umfassen die präventiven Massnahmen: ! Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen gegenüber Aus- ländern: Präventive - Antragstellung an den Bundesrat für Ausweisungen nach Massnahmen Artikel 70 der Bundesverfassung (Artikel 121 Absatz 2 gemäss neuer Bundesverfassung, gültig seit 1. Januar 2000), - Verfügung von Einreisesperren, - Antrag auf Verweigerung oder Widerruf eines Visums, - Stellungnahme zur Erteilung des Agréments an Diploma- ten, - Anträge auf Verweigerung von Reisepapieren an schrif- tenlose Ausländer. ! Sicherungsmassnahmen betreffend Ausländer: - Begutachtung von Asyl- und Einbürgerungsgesuchen. ! Kontroll- und Fernhaltemassnahmen: - Veranlassung besonderer Grenzkontrollen (Kontrollen bestimmter Ausländer aus bestimmten Ländern), - Aufenthaltsfeststellungen, - Ausschreibungen im Fahndungsregister, - Mitwirkung bei Sicherheitsprüfungen im militärischen und zivilen Bereich.

130 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Der Informationsdienst des präventiven Staatsschutzes be- schafft und bearbeitet somit Daten, ohne dass der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung in Bundeszuständigkeit vorliegen muss. Dieses Instrument dient damit primär der Er- kennung und Verhinderung staatsgefährlicher Handlungen und Delikte und kann bei konkretem Verdacht zu gerichtspolizeili- chen Ermittlungen des Bundes oder - auf Anzeige - der zustän- digen kantonalen Behörden führen.

Die Erkenntnisse werden darüber hinaus zu Lagebeurteilungen zuhanden des Bundesrates, der Departemente und anderer Entscheidträger verdichtet.

Der Informationsdienst im Besonderen Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inne- ren Sicherheit (BWIS) vom 21. März 1997 (SR 120) definiert die BWIS als Rah- Aufgaben, Arbeitsgebiete und -mittel im Bereich der präventi- men ven Informationsbeschaffung. Ein wesentlicher Teil der Er- kenntnisse wird aus offenen Quellen, durch das Einholen von Auskünften, die Entgegennahme freiwillig erstatteter Meldun- gen sowie die Einsichtnahme in amtliche Akten anderer Ver- waltungszweige gewonnen.

Informationen über Personen dürfen nicht unter Verletzung der Prävention geschützten Geheimsphäre beschafft werden. Somit stehen der ohne Bundespolizei im präventiven Bereich keine technischen Über- technische wachungsmittel wie Telefonkontrollen oder Abhörgeräte zum Überwachung Eindringen in den Privatbereich zur Verfügung.

Umfang und Inhalt der Informationsbeschaffung und -bearbei- tung richten sich nach dem im BWIS beschriebenen Auftrag der Nachrichten Staatsschutzorgane. Die Nachrichtenbeschaffung erfolgt koor- koordiniert diniert und zielgerichtet. Die starken Verflechtungen und Quer- und zielgerich- bezüge, welche die verschiedenen Arbeitsgebiete des tet beschaffen Staatsschutzes aufweisen, erfordern eine zentrale und umfas- sende Bearbeitung und Auswertung der Informationen.

Für die Datenbearbeitung und -pflege betreibt die Bundespoli- Staatsschutz- zei das Staatsschutz-Informations-System ISIS. Mit der Ver- Informations- ordnung vom 1. Dezember 1999 konnte das frühere, System ISIS provisorische System auf der Rechtsgrundlage des BWIS in ein definitives überführt werden. Die neue, seit dem 1. Januar 2000 gültige ISIS-Verordnung enthält zahlreiche Vorschriften über

Staatsschutzbericht 1999 131

Anhänge

die Registrierung, Qualitätskontrolle, Benutzung und Weiter- gabe der von der Bundespolizei bearbeiteten Informationen. Sie definiert die Aufgaben des internen Kontrolldienstes, der bei allen im Rahmen des Staatsschutzes registrierten Informatio- nen die Rechtmässigkeit und Exaktheit der Datenbearbeitung kontrolliert. Unter dem Geltungsbereich der neuen Verordnung können auch sämtliche Staatsschutzdienste der Kantone an das ISIS angeschlossen werden und haben damit Zugriff auf die für ihre Tätigkeit spezifisch notwendigen Informationen.

Koordination von sicherheitspolizeilichen Massnahmen Unterstützung Grundsätzlich sind die Kantone selbst für die Aufrechterhaltung bei von Ruhe und Ordnung auf ihrem Gebiet zuständig. Besondere besonderen Ereignisse wie beispielsweise Katastrophen, Terroranschläge Ereignissen oder Grosskundgebungen können die Kräfte der Kantone und Polizeikonkordate jedoch überfordern. Zur Bewältigung solcher Ereignisse können dem betroffenen Kanton fallweise Polizei- kräfte aus anderen Kantonen oder - bei besonderen Vorausset- zungen - Kräfte der Armee zur Verfügung gestellt werden. Für diese Fälle erarbeitet die Bundespolizei zusammen mit den Kantonen die notwendigen Beurteilungs- und Entscheidungs- grundlagen und koordiniert zwischen den zuständigen Stellen des Bundes und der Kantone.

Ferner hat die Bundespolizei Koordinations- und Mitwirkungs- aufgaben im Bereich der Sicherheitsmassnahmen im Luftver- kehr sowie beim Einsatz von Polizeibeamten bei friedenserhaltenden Aktionen internationaler Organisationen vorab der UNO und der OSZE (CIVPOL).

132 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Anhang B ______

Kontrollen des Staatsschutzes

Bericht des Generalsekretariats EJPD

Die präventive Arbeit der Bundespolizei wird auf vier Ebenen Kontrolle der kontrolliert: präventiven Arbeit ! Die Geschäftsprüfungsdelegation, eine gemeinsame Unter- kommission der Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte, übt die parlamentarische Oberaufsicht aus und kann sich mit allen präventiven und administrativen Belangen der Bundespolizei befassen; sie wird zudem summarisch über die gerichtspolizeilichen Verfahren informiert. ! Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte prüft auf Ge- such hin, ob über die betreffende Person Daten im Staats- schutz-Informations-System ISIS bearbeitet werden und ob eine allfällige Bearbeitung rechtmässig erfolgt (Art. 18 BWIS); er kann auch aus eigener Initiative Kontrollen durchführen (Art. 27 DSG). ! Das EJPD führt seit 1992 besondere Verwaltungskontrol- len durch (Art. 26 Abs. 1 BWIS). ! Die Bundespolizei hat einen eigenen Kontrolldienst, der insbesondere die rechtskonforme Führung des ISIS über- wacht (Art. 15 Abs. 5 BWIS).

Die Kontrollen durch das EJPD werden seit 1998 durch das Team des Inspektorats durchgeführt. Der Kontrollplan 1999 sah für die Bundespolizei zwei Inspektionen vor.

Die erste Inspektion befasste sich mit einem Fahndungspro- Inspektion gramm, d.h. einer Aktion, die aus Geheimhaltungsgründen eines nicht näher geschildert werden kann. Als Ergebnis hält das In- Fahndungs- spektorat fest, dass das kontrollierte Fahndungsprogramm in programms Einklang mit dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wah-

Staatsschutzbericht 1999 133

Anhänge

rung der inneren Sicherheit und die es ergänzenden Weisun- gen über die Durchführung des Staatsschutzes steht. Es wurde jedoch die Frage aufgeworfen, ob der vom Programm erfasste Ausschnitt, der zwar relevant für das betreffende Risiko ist, auch als repräsentativ für den ganzen Bereich gelten kann. Im weiteren gab die Inspektion Anlass, die Optimierung des Infor- mationsflusses zum Departement einzuleiten. Der richtige In- formationsstand ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung der politischen Führung.

Die zweite Inspektion befasste sich mit verschiedenen Teilen des Staatsschutz-Informations-Systems ISIS. Sie betraf einer- Inspektion der seits die neue elektronische Aktenverwaltung EAV, welche die elektronischen längerfristige Zugriffsmöglichkeit auf die Akten ermöglicht und Aktenverwal- insbesondere den amtsinternen Aktenfluss erheblich verein- tung facht. Die Informationsbearbeitung auf Papier wird dadurch nicht eliminiert, aber auf die Bearbeitung des Originaldossiers eingeengt, das noch von der Sachbearbeitung zum Entschei- dungsträger zirkuliert, wogegen Mitbeteiligte nur über das In- formationssystem einbezogen werden. Die EAV wird von der überwiegenden Zahl der Beteiligten als grosser Fortschritt emp- funden; die Auffassung wird vom Inspektorat geteilt.

Die Inspektion prüfte andererseits die periodische Gesamtbe- urteilung der Einträge im ISIS. Es wird dabei fünf Jahre nach der Eingabe des ersten Vorgangs über die Weiterbearbeitung oder Löschung von Einträgen entschieden; dies erfolgt nach besonders strengen Massstäben für die ungesicherten Daten. Gesamtbeur- Die Überprüfung erfolgt rechtskonform, wurde jedoch bisher teilung der aus Kapazitätsgründen auf Datensätze mit weniger als 40 Vor- ISIS-Einträge gängen beschränkt. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass vor geprüft allem Personendatensätze mit wenig Aktivitäten überprüft und in zahlreichen Fällen gelöscht werden können. Die betroffenen Personen figurieren damit nicht mehr im ISIS. Nachteil diese Vorgehens ist hingegen, dass Datensätze mit vielen Eintragun- gen, darunter vor allem Sach- und Organisationsstämme nicht innert Frist überprüft worden sind. Dies muss innert nützlicher Frist nachgeholt werden.

Keine Diffe- Vom eidgenössischen Datenschutzbeauftragten wurden 1999 renzen bei 18 18 Einsichtsgesuche behandelt. Keines gab zu Differenzen An- Einsichts- lass. Total sind seit Inkrafttreten des BWIS Mitte 1998 26 Ge- gesuchen suche gestellt worden.

134 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Anhang C ______

Parlamentarische Vorstösse im Bereich der inneren Sicherheit 1999

Eine komplette Liste der parlamentarischen Vorstösse der letz- ten Jahren ist auf der Website des Parlaments abrufbar und kann auch nach Stichworten abgefragt werden (www.parlament.ch). Die vorliegende Liste enthält nur Ge- schäfte mit direktem Bezug zur inneren Sicherheit der Schweiz.

Parlamentarische Initiativen

Keine

Motionen

Nationalrat 99.3072: Mo Jaquet-Berger Christiane 15. März 1999

Sicherheit ohne Armee und Bundespolizei Eingereichter Text Die Präsenz der Armee in Genf und Bern zur Gewährleistung der Sicherheit von Personen und Gebäuden wirft grundsätzlich Fragen zur Rolle und Aufgabe der Armee auf. Zudem ist die Armee zu einem Zeitpunkt aufgeboten worden, da als Folge der Sparbemühungen der Gemeinwesen im öffentlichen Dienst die Zahl der Polizisten zurückgeht, während die Zahl der Verzei- gungen zunimmt.

Der Einsatz der Armee stellt somit ein fragwürdiges Mittel dar, die durch die Sparpolitik entstandenen Lücken wieder zu schliessen.

Wir beauftragen darum den Bundesrat, die nötigen Mittel zur Finanzierung einer bestimmten Zahl von Polizistenstellen in

Staatsschutzbericht 1999 135

Anhänge

den Kantonen und den grossen Städten zur Verfügung zu stel- len. Dazu wären entsprechende Quoten festzulegen. Diese Po- lizisten würden wie ihre Kollegen ausgebildet und wie sie für Aufgaben auf der Strasse eingesetzt. Sie könnten von den Städten oder den Kantonen bei Bedarf abgerufen werden. Die- se Ausbildung und der regelmässige Kontakt zur Bevölkerung sind unumgänglich, sollen gewisse Auswüchse vermieden wer- den.

Gleichzeitig sollte sichergestellt werden, dass der Bestand an Polizisten in den betroffenen Städten und Kantonen auf diese Weise erhöht würde. Dies wäre die Voraussetzung für die Fi- nanzierung durch den Bund.

Mit dieser Lösung liessen sich die Risiken der Schaffung einer Bundespolizei, von der das Volk nichts wissen will, sowie der Einsatz der Armee, der sehr fragwürdig bleibt, vermeiden.

Stellungnahme des Bundesrates 26. Mai 1999

Gemäss den Wiener Übereinkommen über diplomatische bzw. konsularische Beziehungen und den Bestimmungen der Sitz- abkommen haben die unter völkerrechtlichem Schutz stehen- den Objekte ein Recht auf besonderen Schutz. Da die Kantone gegen aussen Teil der Eidgenossenschaft und damit ebenfalls unmittelbar Träger völkerrechtlicher Pflichten sind, ist diese Schutzpflicht eine gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Kantone.

Mit dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der in- neren Sicherheit (BWIS; SR 120) wird der Vollzug völkerrechtli- cher Schutzpflichten grundsätzlich an die Kantone delegiert. Im Gegenzug sieht Art. 28 Abs. 2 BWIS vor, dass der Bund den Kantonen, die in grossem Ausmass solche Schutzaufgaben er- füllen müssen, sowie bei ausserordentlichen Ereignissen eine angemessene Abgeltung leistet.

Zurzeit erarbeiten Vertreter des Bundes und der Kantone den Leistungsumfang und die Kriterien für die Abgeltung. Dabei soll gemäss einer Arbeitsgruppe am Grundsatz festgehalten wer- den, dass die Aufgabenerfüllung durch die Kantone auch künf- tig auf Unentgeltlichkeit beruht. Erst wenn die Schutzaufgaben zugunsten des Bundes ein so grosses Ausmass erreichen,

136 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge dass eine unentgeltliche Auftragserfüllung nicht mehr zumutbar ist, ist eine finanzielle Abgeltung vorgesehen.

Der Bund leistet bereits heute eine Pauschalentschädigung von 5 bzw. 4 Mio. Franken für die Sicherheit der ausländischen Ver- tretungen und internationalen Organisationen in Genf bzw. Bern. Ausserdem finanziert er in Genf und Bern ein spezielles, in die Kantonspolizei integriertes Bewachungskorps von je ma- ximal 30 Personen.

Bei der Bewältigung mehrerer zeitlich zusammenfallender Grossereignisse stossen die betroffenen Polizeikorps an ihre Kapazitätsgrenzen, wie die gegenwärtige, unbefriedigende Si- tuation bei den Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Oecalan und dem Krieg in Jugoslawien zeigt. Diesem Umstand ist im Rahmen der Überprüfung des schweizerischen Systems der inneren Sicherheit gemeinsam mit den Kantonen Rechnung zu tragen. Der Bund erachtet es deshalb als erforderlich, diesen Bereich gesamthaft, unter Ein- bezug des Grenz- und des Festungswachtkorps, zu überprüfen.

Erklärung des Bundesrates 26. Mai 1999

Der Bundesrat beantragt, den Auftrag abzuschreiben

Beschlüsse: 18.06.1999 NR - Die Motion wird in Form eines Postulates überwiesen.

Mitunterzeichnende: Berberat Didier Carobbio Werner Chiffelle Pierre de Dardel Jean-Nils Gonseth Ruth Grobet Christian Kuhn Katrin Ruffy Victor Spielmann Jean von Felten Margrith Widmer Hans Ziegler Jean (12)

Nationalrat 99.3198 Mo Leu Josef 22. April 1999

Operationelle Sicherheitspolizeitruppe auf Stufe Bund Eingereichter Text Der Bundesrat wird aufgefordert, eine operationelle Sicher- heitspolizeitruppe auf nationaler Stufe zu schaffen, die rasch und, wenn nötig, für längere Dauer den kantonalen Behörden

Staatsschutzbericht 1999 137

Anhänge

zur Unterstützung ihrer Polizeikorps bei Schutzaufträgen zur Verfügung gestellt werden kann.

Begründung Die kantonalen Polizeitruppen sind aufgrund der Entwicklung (Kurden, Kosovo) mit ihren Kontingenten an den Rand ihrer Kapazitäten geraten. In den Städten Zürich, Bern und Genf sind Armee-Einheiten bereits in diverse Objektschutzaufträge ein- gebunden. Gleichzeitig sind weitere Armee-Einheiten im Be- treuungsdienst für Asylsuchende engagiert. Zudem wurden sie bei den Lawinenniedergängen im Februar beansprucht. Das Kurstableau 1999 musste kurzfristig umgestellt werden, damit genügend Truppen zur Verfügung stehen, denn aufgrund der kurzen WK-Dauer von drei Wochen und der erforderlichen Überlappung der Ablösungen ist der Personalbedarf sehr hoch. Zudem zeichnet sich ab, dass bald keine Truppen mehr zur Verfügung stehen, weil die im letzten Jahr eingesetzten Ein- heiten erst wieder im nächsten Jahr Dienst leisten. Die für sol- che Fälle vorgesehene Verfügung des Assistenzdienstes ist jedoch nach wie vor problematisch, da einerseits die Verfüg- barkeit unserer Milizsoldaten aus wirtschaftlichen Gründen ein- geschränkt ist und andererseits die Anrechnung der Diensttage über das WK-Mass hinaus immer noch nicht geregelt ist.

Die Häufung der Ereignisse hat gezeigt, dass a. die Notwendigkeit für den subsidiären Einsatz der Armee sehr rasch erfolgen kann; b. diese Einheiten aufgrund des WK-Rhythmus jedoch nicht be- liebig verfügbar sind und dadurch ein "Ausbildungs- und Trai- ningsloch" von vier Jahren in Kauf nehmen müssen; c. geeignete Truppen nicht à fonds zur Verfügung stehen. Be- reits musste auf Kampftruppen zurückgegriffen werden, da die Territorialtruppen nicht mehr im Dienst sind.

Deshalb muss eine Lösung gefunden werden, die es erlaubt, rasch und zu jeder Zeit auf geeignete Formationen zurückgrei- fen zu können, die die kantonalen Polizeikorps bei Schutzauf- gaben verstärken können. (Für die Unterstützung bei Interventionsaufgaben sind nur spezielle Teile der Kampftrup- pen aus Profil- und Ausbildungsgründen geeignet, die primär für Interventionen im Kriegsfall ausgebildet werden, aber auch für Interventionsaufgaben zugunsten der Kantone und bei Eva- kuationen im Ausland eingesetzt werden können. Sie werden hier ausgeklammert.)

138 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Denkbar wäre etwa ein Reservemodell, bei dem in jedem ein- zelnen Kanton zusätzliche Reserven der Kantonspolizei gebil- det werden und sich der Bund an den Kosten sowie an der Koordination der Ausbildung beteiligt. Eine andere Variante geht von der Bildung einer neuen Truppe auf Stufe Bund aus, deren Kern z. B. aus geeigneten Armee-Einheiten oder durch ein entsprechend weiterentwickeltes Festungswachtkorps ge- bildet werden könnte.

Stellungnahme des Bundesrates 25. August 1999

Die Problematik der beschränkten Kapazität der kantonalen Po- lizeikorps für Schutzaufgaben zugunsten der Eidgenossen- schaft ist dem Bund seit längerem bewusst. Aus diesem Grund unterstützt er den Kanton Genf und die Stadt Bern, indem er ein in die Kantonspolizei bzw. Stadtpolizei integriertes Bewa- chungskorps von je dreissig Personen finanziert. Während das Korps in Genf bereits im Einsatz steht, ist dasjenige in Bern noch im Aufbau begriffen. Auch bei voller Einsatzfähigkeit bei- der Bewachungskorps wären die Polizeitruppen jedoch nicht in der Lage, die aufgrund des Prozesses gegen den Kurdenführer Öcalan gegenwärtig vom Bund verlangten Schutzmassnahmen zugunsten gefährdeter Einrichtungen durchzuführen. Der Bun- desrat hat deshalb nicht gezögert, den Hilfeersuchen der Kan- tone und der Städte nachzukommen und Truppen zu ihrer Unterstützung zu gewähren.

Zurzeit sind im Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport die Arbeiten am Reformprozess "Armee XXI" in vollem Gange. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement seinerseits ist daran, eine Projektorganisa- tion zur Überprüfung des Gesamtsystems Innere Sicherheit der Schweiz zusammen mit interessierten Stellen von Bund und Kantonen zu konzipieren. Es wäre nicht sinnvoll, diesen Über- prüfungen vorzugreifen und zum jetzigen Zeitpunkt eine Si- cherheitspolizeitruppe auf Stufe Bund zu verankern. Indessen soll im Rahmen der laufenden Reformphase "Armee XXI" und des in Planung begriffenen Projektes Usis (Überprüfung Sy- stem innere Sicherheit) die vom Motionär verlangte operatio- nelle Sicherheitspolizeitruppe auf Stufe Bund als Variante geprüft werden.

Staatsschutzbericht 1999 139

Anhänge

Erklärung des Bundesrates 25. August 1999

Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwan- deln.

Mitunterzeichnende: Antille Charles-Albert Baumberger Peter Bonny Jean-Pierre Bosshard Walter Durrer Adalbert Eberhard Toni Egerszegi-Obrist Christine Engelberger Eduard Engler Rolf Fritschi Oscar Gadient Brigitta M. Hess Peter Hochreute- ner Norbert Lötscher Josef Schmid Odilo Widrig Hans Werner Wittenwiler Milli Zapfl Rosmarie (18)

Nationalrat 99.3299 - Mo Banga Boris 17. Juni 1999

Waffenimitationen und "soft air guns". Revision des Waffenge- setzes Eingereichter Text

Der Erwerb und das Tragen von Waffennachbildungen und "soft air guns" sollen möglichst eingeschränkt werden. Der Bundesrat wird deshalb beauftragt, eine entsprechende Revi- sion des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waf- fenzubehör und Munition (SR 514.54) vorzulegen.

Begründung 1. 1997 sprachen sich sowohl der Bundes- als auch der Natio- nalrat bei den Gesetzesberatungen gegen einen entsprechen- den Minderheitsantrag aus. Seither hat sich jedoch die Situation verschärft, und es besteht nach Auffassung der Mehr- heit der kantonalen Polizeikorps klarer Handlungsbedarf. Be- sonders betroffen sind diejenigen Kantone, bei denen "soft air guns" bislang gesetzlichen Restriktionen unterworfen waren.

2. Das Angebot an "soft air guns" hat explosionsartig zuge- nommen. Bald sind sämtliche real existierenden Revolver, Pi- stolen, Maschinenpistolen, Gewehre und automatischen Gewehre als hundertprozentige Imitationen erhältlich. Diese führen im polizeilichen Alltag immer mehr zu fatalen Ver- wechslungen, was ein grosses Sicherheitsrisiko darstellt.

140 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

3. "Soft air guns" sind ebenfalls keine Spielzeugwaffen, weil sie eine weit höhere Schussenergie als 0,08 Joule (Art. 2 Abs. 3 Spielzeugverordnung, SR 817.044.1 bzw. Euronorm EN 71, Teil 1, Ziff. 3.2.2.10.3) aufweisen. Menschen und Tiere können bei unsachgemässer Handhabung verletzt werden. Und man- gels gesetzlicher Grundlagen ist ebenfalls eine vorbeugende Unfallverhütung nicht möglich.

Stellungnahme des Bundesrates 20. Oktober 1999

Der Bundesrat ist sich der Problematik um die "soft air guns" und die realistischen Imitate echter Waffen bewusst. Die Zen- tralstelle Waffen der Bundespolizei, der die Anwendung der Waffengesetzgebung zusammen mit den Kantonen obliegt, ver- folgt die Entwicklung und steht mit den Polizeikorps in engem Kontakt. Eine kürzliche Umfrage bei ausgewählten Kantonen hat ergeben, dass die Verbreitung tatsächlich zunimmt und sich schon einige Fälle von Verwechslungen bei Waffenimitaten er- eignet haben.

Geschosse, die eine Schussenergie von maximal 0,08 Joule aufweisen, gelten nach europäischen Normen als Spielzeuge und fallen unter die entsprechende Gesetzgebung. Bernische Messungen haben aber gezeigt, dass die Schussenergie bei den "soft air guns" bei 0,5 Joule liegt. Die deutsche und die österreichische Gesetzgebung sind bezüglich der "soft air guns" restriktiver. In der Schweiz fallen die Imitationswaffen weder unter das Waffengesetz noch unter die Spielzeugverord- nung.

Der Bundesrat und das Parlament haben im Rahmen der Be- ratungen des Waffengesetzes bewusst darauf verzichtet, diese "Waffen" zu regeln. Ein entsprechender Antrag in der Sicher- heitspolitischen Kommission des Nationalrates wurde mit der Begründung, die Aufnahme von Imitationswaffen ins Waffenge- setz würde zu Abgrenzungsproblemen führen, deutlich abge- lehnt. Das Vorhandensein eines gewissen Risikos, welches von diesen Nachbildungswaffen ausgehen kann, wurde damals in Kauf genommen.

Nachdem das Gesetz erst seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft steht, sollten vor einer allfälligen Revision andere Mass- nahmen getroffen werden. Gespräche zu freiwilligem Kenn-

Staatsschutzbericht 1999 141

Anhänge

zeichnen von Imitationswaffen durch die Hersteller (wie etwa in den USA) sind im Gange.

Der Bundesrat verkennt das Gefährdungspotential, das durch diese im Waffengesetz nicht enthaltenen Gegenständen aus- geht, nicht. Er ist bereit, die Motion im Sinne der Erwägungen als Postulat entgegenzunehmen, den Handlungsbedarf abzu- klären und gegebenenfalls gesetzliche Beschränkungen zu un- terbreiten.

Erklärung des Bundesrates 20. Oktober 1999

Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwan- deln.

Mitunterzeichnende: Aeppli Wartmann Regine Aguet Pierre Al- der Fredi Baumann Stephanie Béguelin Michel Berberat Didier Borer Roland Bühlmann Cécile Chiffelle Pierre Dünki Max Fankhauser Angeline Fässler Hildegard Geiser Barbara Genner Ruth Gonseth Ruth Gross Andreas Grossenbacher Ruth Gün- ter Paul Gysin Remo Haering Barbara Heim Alex Hubmann Vreni Imhof Rudolf Jossen Peter Jutzet Erwin Kalbermatten Ruth Keller Christine Kuhn Katrin Leemann Ursula Leuenberger Ernst Marti Werner Meier Hans Rechsteiner Paul Ruffy Victor Schmid Odilo Semadeni Silva Anita Strahm Rudolf Stump Doris Tschäppät Alexander Vermot Ruth-Gaby Vollmer Peter von Allmen Hansueli von Felten Margrith Widmer Hans Zbinden Hans Zwygart Otto (46)

Nationalrat 99.3398 - Mo Grobet Christian 31. August 1999

Abschaffung des Nachrichtendienstes Eingereichter Text Der Bundesrat wird aufgefordert, jeglichen offiziellen oder vom Bund unterstützten Nachrichtendienst, der Spionage betreibt, abzuschaffen und den Kampf gegen die Spionage (Aktivitäten der Gegenspionage) ausschliesslich der Bundespolizei zu über- tragen.

142 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Begründung Nach der Affäre Bachmann und der Affäre um P 26 und P 27 wirft ein neuer Skandal ein trübes Licht auf den Nachrichten- dienst unserer Armee. Diese jüngste Affäre zeigt erneut, wel- cher Geist im Nachrichtendienst der Armee herrscht. Trotz der Beschlüsse des Parlaments - die damit einmal mehr verhöhnt werden -, hat man noch immer nicht Abstand genommen von der Idee, eine illegale Geheimarmee oder eine geheime Unter- einheit der Armee am Rande der offiziellen Dienste zu schaf- fen. Es ist in der Tat offensichtlich, dass der Mitarbeiter Bellasi mit Wissen seiner Vorgesetzten gehandelt hat, sei es bei den umfangreichen Geldbezügen, die er nach seinem angeblichen Ausscheiden aus dem Nachrichtendienst mit expliziter Billigung seiner Vorgesetzen tätigte, sei es beim Aufbau seines Waffen- arsenals, wofür ihm zahlreiche Bewilligungen ausgestellt wer- den mussten und das anlässlich von Pseudowiederholungskursen offiziell benutzt wurde. Was den Lebenswandel von Bellasi und die Verwendung sehr bedeuten- der Summen namentlich für den Kauf von Immobilien betrifft, ist es ebenso offensichtlich, dass sie einem Dienst nicht verborgen bleiben konnten, dessen Zweck ja genau darin besteht, gut in- formiert zu sein, und dies nicht zuletzt über die Aktivitäten sei- ner eigenen Mitarbeiter, angesichts des notorischen Risikos, auf Abwege zu geraten, dem diese ausgesetzt sind.

Die offiziellen Erklärungen, wonach Bellasi als Einzeltäter und ohne Wissen seiner Vorgesetzten und seiner Arbeitskollegen gehandelt habe, sind ganz einfach unglaubwürdig und vermö- gen niemanden zu überzeugen, um so weniger, als die Fakten, die von den Medien enthüllt werden, das Gegenteil beweisen.

Angesichts derart gravierender Vorkommnisse und der extre- men Passivität - um nicht zu sagen: Komplizenschaft - der Per- sonen, die dafür zu sorgen hätten, dass ein Nachrichtendienst sich an die gesetzlichen Bestimmungen, gegen die er in den letzten Jahren andauernd verstossen hat, endlich hält, ist es ausgeschlossen, eine Organisation aufrechtzuerhalten, die von einem Skandal in den nächsten schlittert und eine Geisteshal- tung an den Tag legt, die mit ihrer völligen Missachtung der Prinzipien unserer demokratischen Institutionen ganz einfach intolerabel geworden ist. Es sind im Übrigen die Ziele, die sich solche Dienste setzen, und die Methoden, die sie dabei verfol- gen, sowie die überbordende Fantasie ihrer Verantwortlichen, die gewisse Mitarbeiter dazu bringen, sich zu solch aberwitzi-

Staatsschutzbericht 1999 143

Anhänge

gen Unternehmungen berufen zu fühlen. Von daher erstaunt es nicht, dass einige unter ihnen plötzlich Gefallen finden an Si- mulationsspielen oder sich mit James Bond identifizieren und dazu übergehen, ihre Wahnvorstellungen in illegale Handlun- gen umzusetzen, die ihnen am Ende gar noch, im Bewusstsein der ihnen übertragenen Mission, absolut zulässig erscheinen. Trotz ihres surrealistischen Charakters sind sie jedoch alles andere als amüsant und bergen vielmehr die Gefahr, unsere gute Ordnung zu destabilisieren.

Die Notwendigkeit eines Nachrichtendienstes wird im übrigen mit Nachdruck bestritten. Der Schweiz als neutralem Land steht es schlecht an, nach den Methoden gewisser Staaten und zum Schaden anderer Länder eine Spionagetätigkeit aufzuziehen, besonders wenn dabei Aktionen ausserhalb des nationalen Territoriums und in Verletzung der Gesetze der betroffenen Länder durchgeführt werden. Dass die Nachrichtendienste der Armee angeblich dazu übergegangen sind, hochoffiziell öko- nomische und andere Analysen durchzuführen, rechtfertigt es in keiner Weise - wie etwa zu hören ist -,dass solche Analysen von Geheimagenten gemacht werden, birgt dies doch offen- sichtlich die grosse Gefahr, dass man sich dieser Instrumente als Deckmantel für illegale Aktionen bedient. Solche Aufgaben können und müssen von anderen Diensten der Bundesverwal- tung in aller Offenheit wahrgenommen werden, und sie werden es ja schon und gewiss mit grösserer Effizienz und unter der strengen Kontrolle durch den Bundesrat und das Parlament.

Aus diesen Gründen verlangt die vorliegende Motion die Ab- schaffung sämtlicher schweizerischen Spionagedienste.

Was aber selbstverständlich fortgeführt und noch verstärkt werden muss, ist der Kampf gegen die Spionagetätigkeit aus- ländischer Geheimagenten in der Schweiz, die nicht zuletzt auch profitiert haben von gewissen illegalen Komplizenschaften mit dem Geheimdienst der Armee. Gegenspionage ist aber an- fällig für Entgleisungen, haben doch gewisse Verantwortliche die fatale Tendenz, Gegenspionage mit Spionage zu verwech- seln!

Die Spionageabwehr darf nicht Geheimdiensten vorbehalten bleiben, die im Verborgenen agieren, sondern muss aus- schliesslich den offiziellen Stellen der Bundespolizei als einer ihrer vordringlichsten Zwecke anvertraut werden. Die Bundes-

144 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge polizei arbeitet im Rahmen genauer gesetzlicher Vorgaben und unter der Aufsicht von Kontrollorganen. Nur so kann verhindert werden, dass die Armee ein weiteres Mal auf die Idee kommt, illegale Geheimstrukturen aufzubauen.

Stellungnahme des Bundesrates 4. Oktober 1999

An der Sondersession vom August 1999 sind drei Motionen (Grobet, 99.3398; Jaquet, 99.3399; grüne Fraktion, 99.3411) eingereicht worden, welche die Abschaffung des Nachrichten- dienstes fordern.

Der Bundesrat teilt die Entrüstung über die Veruntreuung einer grossen Summe öffentlichen Geldes.

In diesem Zusammenhang sei folgendes in Erinnerung gerufen: 1. Wir kennen in der Schweiz keinen Geheimdienst, sondern einen Nachrichtendienst, der als Untergruppe im Generalstab angesiedelt ist. Innerhalb des Nachrichtendienstes unterschei- den wir den strategischen Nachrichtendienst vom Armeenach- richtendienst. Neben diesen beiden Diensten sind ein kleiner Stab und das Militärprookoll in der UGND eingegliedert.

2. Herr Dino Bellasi war im Stab der UGND tätig, später im Mi- litärprotokoll.

3. "Geheim" sind nicht sämtliche Tätigkeiten des Nachrichten- dienstes, sondern lediglich gewisse Aspekte des strategischen Nachrichtendienstes (Partner, Quellen, Personal, Finanzen). Dies ist nicht eine schweizerische Eigenart, sondern internatio- nal üblich und unabdingbar notwendig. Die Mitglieder der Ge- schäftsprüfungsdelegation und die Eidgenössische Finanzkontrolle werden regelmässig über die Verwendung der finanziellen Mittel informiert. Die politische Kontrolle ist ge- währleistet.

4. Ins Zentrum der Kritik ist vornehmlich der strategische Nach- richtendienst geraten. Nach Artikel 99 Absatz 1 des Militärge- setzes beschafft der Nachrichtendienst sicherheitspolitisch bedeutsame Informationen aus dem Ausland, bewertet und verbreitet sie. Damit ist klar, dass sich der strategische Nach- richtendienst ausschliesslich mit Informationen aus dem Aus- land befasst. Die Nachrichtenbeschaffung im Inland ist Sache

Staatsschutzbericht 1999 145

Anhänge

der Bundespolizei. Erst wenn Truppen zum Assistenzdienst oder Aktivdienst aufgeboten werden, beschafft der Armeenach- richtendienst im Inland Nachrichten, um die armeerelevante Lage darzustellen.

5. Gerade im Zusammenhang mit den Aktivitäten der PKK und dem Öcalan-Prozess als auch im Zusammenhang mit den Wir- ren auf dem Balkan ist es den verschiedenen Instanzen (VBS/GST/ND, EJPD, EFD/OZD, EDA) gelungen, die notwen- digen Entscheidgrundlagen für die Landesregierung bereitzu- stellen. Entscheidend ist die Tatsache, dass keine der erwähnten Stellen allein einen umfassenden Bericht zu erstel- len in der Lage ist. Mit Grundsatzentscheiden zur Koordination der Nachrichtendienste hat der Bundesrat im Frühjahr 1999 den Weg zur noch besseren Vernetzung des Nachrichtenauf- kommens vorgezeichnet.

Im Lichte der bisherigen Erkenntnisse und auch längerfristiger Überlegungen kommt für den Bundesrat die Abschaffung des Nachrichtendienstes nicht in Frage. Der Bundesrat ist sich aber bewusst, dass die Arbeit und Funktionsweise des Nachrichten- dienstes aus demokratischer und staatspolitischer Sicht hoch sensibel ist. Die Schweiz ist angesichts der Vernetzung der modernen Welt, der Komplexität künftiger Herausforderungen und des grenzüberschreitenden Charakters vieler Bedrohun- gen, Gefahren und Risiken auf einen leistungsfähigen Nach- richtendienst angewiesen. Er muss Lagebeurteilungen als Grundlagen für Entscheide der Regierung liefern und für die Schweiz wichtige Ereignisse frühzeitig erkennen.

Im Sinne vermehrter Transparenz soll der Öffentlichkeit ermög- licht werden, einzelne Produkte des Nachrichtendienstes via In- ternet kennenzulernen und zu nutzen. Im übrigen hat der Chef des Eidgenössischen Departementes für Verteidigung, Bevöl- kerungsschutz und Sport eine Studienkommission unter der Leitung von alt Staatssekretär Edouard Brunner damit be- auftragt, sämtliche Belange der UGND mit ihren Schnittstellen zu anderen Departementen zu analysieren und bis am 15. Fe- bruar 2000 Bericht zu erstatten.

Zudem beabsichtigt der Bundesrat, seine Kontrollverantwortung verstärkt wahrzunehmen und sich dazu regelmässig über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten sowie über die Verwendung der finanziellen Mittel ins Bild zu setzen.

146 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Aufgrund des Dargelegten beantragt der Bundesrat die Ableh- nung der Motion.

Erklärung des Bundesrates 4. Oktober 1999

Der Bundesrat beantragt, die Motion abzulehnen.

Mitunterzeichnende: de Dardel Jean-Nils Ziegler Jean Jaquet- Berger Christiane (3)

Ständerat 99.3469 - Mo Rochat Eric 22. September 1999

Bildung einer Polizeireserve für Kantone und Bund Eingereichter Text Ich beauftrage den Bundesrat damit, eine dezentralisierte Poli- zeireserve zu bilden.

Die Schaffung einer dezentralisierten Polizeireserve wird es uns ermöglichen, den Kampf gegen die Kriminalität zu verbes- sern, effizient gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen, die Armee zu entlasten und schnell über eine Reserve zu ver- fügen, die auf Anfrage von einem oder mehreren Kantonen oder bei kritischen Ereignissen mit nationalen oder internatio- nalen Auswirkungen eingreifen kann.

Die Mitglieder dieser Reserve werden nach gemeinsam fest- gelegten Normen von den Kantonen rekrutiert und ausgebildet. Dann werden sie in die Kantonspolizei integriert, um diese in ih- rer Aufgabe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der Sicherheit zu unterstützen. Sie können in- nert kürzester Zeit mobilisiert und in Kantonen eingesetzt wer- den, die ihre Hilfe benötigen. So dürften auch Konkordate, sowohl interkantonal als auch auf Bundesebene, besser funk- tionieren, wenn die Bedürfnisse die Möglichkeiten der Konkor- date übersteigen sollten.

Die Zahl der benötigten Polizeikräfte beläuft sich auf beinahe tausend, will man die gegenwärtig von der Armee wahrgenom- menen Aktivitäten übernehmen und genug Polizisten zur Ver-

Staatsschutzbericht 1999 147

Anhänge

fügung haben, um kritische Situationen, sei es von deren Art oder Dauer her, unter Kontrolle zu haben. Der Bund und die Kantone sollen die Zahlungsmodalitäten partnerschaftlich und im Rahmen des neuen Finanzausgleichs festlegen: Dabei zu berücksichtigen sind die benötigten Infrastrukturen, die allfällige Schaffung von Basiskantonen, die Verteilung der Polizeikräfte nach Kantonen und die bei den verschiedenen Partnern er- brachten Leistungen. Deshalb, und um die Finanzfrage nicht komplizierter als nötig zu machen, können auch Leistungsver- einbarungen zwischen dem Bund und den Kantonen und um- gekehrt getroffen werden. Bei der Bestimmung des Anteils des Bundes sollte berücksichtigt werden, dass durch eine Entla- stung der Armee Einsparungen gemacht werden.

Begründung Die Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass zur Un- terstützung der Polizei immer häufiger auf die Armee zurückge- griffen werden musste und dass sich die Umsetzung der Vereinbarungen zur interkantonalen Zusammenarbeit im Poli- zeiwesen aus finanziellen Gründen und wegen Personalman- gels schwierig gestaltet. Auf Grund von Sparprogrammen wurden in den meisten Kantonen Polizeikräfte abgebaut, ob- wohl deren Aufgaben immer komplexer wurden und die Krimi- nalität zunehmend durch Gewalt, Mobilität, Technisierung und Professionalität gekennzeichnet ist. Diese heikle Situation scheint leider nicht nur vorübergehend zu sein. Punktuelle Massnahmen zur momentanen Lösung von Problemen genü- gen nicht. Die Organisation der Polizei in der Schweiz sollte grundsätzlich überarbeitet und modernisiert werden, ohne dass die Zuständigkeiten der einzelnen Kantone und die föderalisti- sche Struktur unseres Landes tangiert werden.

Deshalb scheint es ratsam, drei durch Aufgabenbereich, Tätig- keitsbereich und Art der Zusammenarbeit klar definierte Stufen zu schaffen, nämlich Kanton, "Regionen" und Bund. Diese drei Ebenen müssen ein auf enger Zusammenarbeit basierendes zusammenhängendes Ganzes bilden, wobei auch Prinzipien wie Delegation, Interoperabilität, Flexibilität und Föderalismus berücksichtigt werden müssen:

- Kantone: Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Schutz der Sicherheit, gerichtliche Polizei für Sachen, die in ih- ren Kompetenzbereich fallen;

148 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

- Regionen: interkantonale Operationen; Zusammenarbeit er- ster Stufe, Kompetenzzentren, um innerhalb der Regionen die Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen zu fördern; - Bund: Datenbanken und Informationsauswertung, internatio- nale Kontakte, Ermittlungen, die in seinen Kompetenzbereich fallen, Koordination der übrigen Ermittlungen, Zusammenarbeit zweiter (oben genannte Polizeireserve einsetzen) und dritter Stufe (Festungswachtkorps, Armee).

Stellungnahme des Bundesrates 10. November 1999

Die Motion zielt in die gleiche Richtung wie das Postulat Jaquet (99.3072) und die Motion Leu (99.3198). Ersteres verlangt die Bereitstellung von Mitteln zur Finanzierung einer bestimmten Zahl von Polizeistellen in den Kantonen und den grossen Städ- ten. Letztere fordert eine operationelle Sicherheitspolizeitruppe auf Stufe Bund, damit die kantonalen Polizeikorps zur Verstär- kung rasch auf geeignete Formationen zurückgreifen können. Dabei kämen sowohl die Bildung einer neuen Truppe auf Stufe Bund als auch die Schaffung von zusätzlichen Reserven in den kantonalen Polizeikorps in Frage.

Wie der Bundesrat mehrmals zum Ausdruck gebracht hat, ist ihm die Problematik der beschränkten Kapazitäten der kanto- nalen Polizeikorps für Schutzaufgaben zugunsten der Eidge- nossenschaft durchaus bewusst. Zusammen mit den Kantonen hat er denn auch nach einer möglichen Lösung gesucht. Heute unterstützt der Bund den Kanton Genf und die Stadt Bern, in- dem er je ein in die Kantonspolizei bzw. Stadtpolizei integriertes Bewachungskorps von dreissig Personen finanziert. Das Eid- genössische Justiz- und Polizeidepartement seinerseits hat die Projektorganisation Usis (Überprüfung des System der inneren Sicherheit) unter Einbezug der interessierten Stellen von Bund und Kantonen eingesetzt. Die vorliegende Forderung nach ei- ner Polizeireserve für Kantone und Bund ist nach Meinung des Bundesrates ebenfalls in die Überprüfung des Gesamtsystems der inneren Sicherheit der Schweiz einbeziehen.

Erklärung des Bundesrates 10. November 1999

Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwan- deln.

Staatsschutzbericht 1999 149

Anhänge

Beschlüsse: 22.12.1999 - Der Vorstoss wird abgeschrieben, da der Urheber aus dem Rat ausgeschieden ist.

Mitunterzeichnende: Beerli Christine Bieri Peter Cavadini Jean Danioth Hans Delalay Edouard Frick Bruno Gemperli Paul Hess Hans Loretan Willy Merz Hans-Rudolf Paupe Pierre Respini Renzo Schallberger Peter-Josef Schiesser Fritz Schweiger Rolf Zimmerli Ulrich (16)

Nationalrat 99.3519 - Mo Freund Jakob 7. Oktober 1999

Extremistische ausländische Organisationen in der Schweiz Eingereichter Text Ich fordere den Bundesrat auf, geeignete Massnahmen zu er- greifen, damit die Schweiz nicht länger Zentrum extremistischer ausländischer Organisationen bleibt.

Begründung Der Staatsschutzbericht 1998 hat u. a. bereits darauf hingewie- sen, dass die politische Führung der UCK in der Schweiz ver- treten ist und dass der Schweiz auch als Logistikstützpunkt und Finanzierungsbasis grosse Bedeutung zukommt. Mindestens ein Teil der Gelder der kriminellen Tätigkeiten der UCK stammt aus illegalen Geschäften wie Drogenschmuggel sowie einer sogenannten Unabhängigkeitssteuer, die von Kosovo-Albanern im Ausland bezahlt werden muss.

Die PKK ist in der Schweiz nicht verboten und kann hier unge- stört Ausbildungslager für Jugendliche mit Blick auf den Gue- rillakampf organisieren. Zudem treibt auch sie bei ihren Landsleuten im Ausland Beiträge zur Finanzierung ihres Kamp- fes ein.

Neben UCK und PKK existieren in der Schweiz weitere extre- mistische Gruppierungen mit ausländischen Beziehungen, wel- che die Strukturen unseres Landes nutzen, um ungestört ihre kriminellen Aktivitäten zu organisieren. Einer weiteren Aus- dehnung und Unterwanderung und damit einer ernsthaften Be- drohung der Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit in der Schweiz kann jetzt noch Einhalt geboten werden. Dazu sind aber griffige

150 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Massnahmen, wie die sofortige Ausschaffung der Führer sol- cher Vereinigungen, notwendig.

Stellungnahme des Bundesrates 1. Dezember 1999

In ihren Staatsschutzberichten orientiert die Bundespolizei re- gelmässig über ihre Erkenntnisse über extremistische Auslän- derorganisationen. In den letzten Jahren standen ex- jugoslawische, kurdische und türkische, islamistische sowie sri- lankische Gruppen im Vordergrund. In den Staatsschutzbe- richten wird aber auch über präventiv und repressiv getroffene Massnahmen gegen illegale Tätigkeiten berichtet.

Der Bundesrat hatte - veranlasst durch parlamentarische Vor- stösse, die durch die jüngsten gewalttätigen Ereignisse im Zu- sammenhang mit dem Kurdenkonflikt ausgelöst wurden - in den letzten Monaten mehrfach Gelegenheit, sich zur Problematik il- legaler Tätigkeiten ausländischer Organisationen und ihrer An- gehörigen zu äussern. Er hat bei der Beantwortung dieser Vorstösse jeweils auch über die getroffenen Massnahmen be- richtet. Zu erwähnen sind insbesondere:

- die dringliche Interpellation der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei, 99.3025, "Aktionen von Kurden in der Schweiz"; - die dringliche Interpellation der freisinnig-demokratischen Fraktion, 99.3028, "Öcalan, PKK und die innere Sicherheit der Schweiz"; - die Einfache Anfrage Lauper, 99.1005, "Innere Sicherheit und Geiselnahme der PKK"; - die Interpellation Widrig, 99.3175, "Gefährdung der Sicherheit durch Personen aus Krisen- und Kriegsgebieten".

Zusammengefasst lässt sich Folgendes festhalten:

Weltweit bestehen zahlreiche Konflikte, die durch Minderhei- tenprobleme, Unabhängigkeitsbestrebungen, ethnische Span- nungen, religiöse oder ideologische Kämpfe oder durch soziale Ungerechtigkeiten verursacht sind. Die dadurch ausgelösten Migrationsströme betreffen auch die Schweiz. Viele Ausländer sind politisch aktiv oder gar Mitglieder von Organisationen, die an Konflikten beteiligt sind. Einzelne Organisationen beschrän- ken sich nicht auf politische Tätigkeiten, sondern unterstützen aktiv oder sind selber Konfliktparteien in ihren Herkunftslän-

Staatsschutzbericht 1999 151

Anhänge

dern. Mehrfach haben sich in den letzten Jahren mit Konfliktla- gen im Ausland verbundene gewalttätige Auseinandersetzun- gen auch auf die innere Sicherheit der Schweiz ausgewirkt. Was gewalttätige oder extremistische Tätigkeiten betrifft, weist die Schweiz aber insgesamt eine günstigere Lage auf als ande- re europäische Staaten und kann nicht als Zentrum extremisti- scher ausländischer Organisationen betrachtet werden.

Soweit sich ausländische Organisationen auf politische Tätig- keiten beschränken und dabei die schweizerische Rechtsord- nung respektieren, ist dagegen nichts einzuwenden. Falls sie hier gewalttätig vorgehen oder Angehörige Delikte begehen, ist dagegen präventiv wie repressiv vorzugehen. Der Rechtsstaat kann nur bestehen, wenn Gewalttätigkeiten oder sonstige wi- derrechtliche Handlungen mit der konsequenten Anwendung der straf- und ausländerrechtlichen Bestimmungen geahndet werden. Im Extremfall sind auch Massnahmen wie Verbote von ausländischen Organisationen oder einzelnen der von ihnen entfalteten Tätigkeiten nicht auszuschliessen.

Der Bundesrat hat - wie in den Antworten auf die genannten Vorstösse mehrfach ausgeführt - auf die durch Krisenlagen im Ausland bei uns ausgelösten rechtswidrigen Handlungen aus- ländischer extremistischer Organisationen und ihrer Mitglieder stets rasch reagiert und in den letzten Jahren namentlich fol- gende Massnahmen angeordnet:

- Er hat Massnahmen für einen verstärkten Staatsschutz be- schlossen, um über ein möglichst umfassendes Lagebild über die Tätigkeiten solcher Organisationen und von deren Expo- nenten zu verfügen. - Er hat - soweit es in seiner Zuständigkeit lag - Sicherheits- massnahmen (namentlich zum Schutz bedrohter Objekte in Bundeszuständigkeit) veranlasst und die Grenzbewachung ver- stärkt. - Er hat seine Auffassung bekräftigt, dass es keine politische Rechtfertigung für Gewaltakte oder sonstige rechtswidrige Handlungen gibt, und die Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen ersucht, strafbare Handlungen konsequent zu verfolgen. - Er hat die zuständigen Behörden von Bund und Kantonen aufgefordert, das bestehende fremdenpolizeiliche bzw. asyl- rechtliche Instrumentarium weiter konsequent anzuwenden. Dazu zählen namentlich Einreisesperren, die Zwangsmass-

152 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge nahmen im Ausländerrecht, Asylverweigerungen und - soweit rechtlich und faktisch möglich - Wegweisungen, Ausweisungen und Rückschaffungen. - Er hat den Angehörigen bestimmter Staaten den Erwerb und das Tragen von Waffen verboten. - Er hat - solange dafür eine Rechtsgrundlage bestand - Propa- gandamaterial, in dem zu Gewalt aufgerufen wird, konsequent eingezogen.

Ein Verbot von ausländischen Organisationen - welches schweizerischer Tradition widerspräche, sich aus polizeilicher Sicht kaum durchsetzen liesse und die Angehörigen solcher Organisationen noch vermehrt in den Untergrund drängen wür- de - hat der Bundesrat auch mit Blick auf Erfahrungen im Aus- land bisher weder als geeignet noch als nötig betrachtet. Er hat aber auch dargelegt, dass er ein Verbot dann in Erwägung zie- hen müsste, wenn die getroffenen Massnahmen nicht zum Zie- le führten.

Der Bundesrat hat somit gestützt auf die geltenden rechtlichen Grundlagen bereits eine ganze Reihe von Massnahmen ergrif- fen, um rechtswidrige Tätigkeiten ausländischer extremistischer Organisationen in der Schweiz zu verhindern oder zu bekämp- fen. Andere Massnahmen wie Verbote von Organisationen be- hält er sich im Falle einer Verschärfung der durch sie verursachten Gefährdungslage vor. Ob das gegenwärtige rechtliche Instrumentarium ausreicht, klärt gegenwärtig eine von Bund und Kantonen eingesetzte Arbeitsgruppe zum Thema "Ausländerkriminalität" ab. Sie analysiert die aktuelle Bedro- hung von Sicherheit, Ordnung und behördlicher Tätigkeit durch kriminelles Verhalten, Gewaltakte und Missbräuche von Aus- ländern. Sie wird ihren Schlussbericht Ende September 2000 vorlegen. Der Bundesrat wird nach Massgabe der Bedrohungslage und gestützt auf die bestehenden rechtlichen Grundlagen weiterhin die erforderlichen Massnahmen treffen. Für die Prüfung der Frage, ob neue gesetzliche Grundlagen nötig sind, gilt es, die Arbeiten der Arbeitsgruppe "Ausländerkriminalität" abzuwarten.

Erklärung des Bundesrates 1. Dezember 1999 Der Bundesrat beantragt, die Motion in ein Postulat umzuwan- deln.

Staatsschutzbericht 1999 153

Anhänge

Beschlüsse: 22.12.1999 NR - Die Motion wird in Form eines Postulates überwiesen.

Mitunterzeichnende: Baumann J. Alexander Binder Max Borer Roland Brunner Toni Fehr Lisbeth Kunz Josef Maurer Ueli Schenk Simon (8)

Postulate

Keine

Interpellationen

Nationalrat 99.3025 - D Ip Fraktion der Schweiz. Volkspartei 2. März 1999

Aktionen von Kurden in der Schweiz Eingereichter Text Wie der vergangene Samstag zeigte, hat sich die Situation be- züglich der demonstrierenden Kurden in der Schweiz immer noch nicht beruhigt. Die grundsätzliche Toleranz der Bevölke- rung, die auf einem gewissen Verständnis dem Anliegen ge- genüber basiert, ist nach den gewalttätigen Übergriffen strapaziert. Andererseits ist das Risiko einer internationalen Eskalation aufgrund der jetzigen Lage (Anklage von Öcalan in der Türkei) schwierig einzuschätzen.

Wir bitten den Bundesrat um Beantwortung der folgenden Fra- gen:

1. Wie beurteilt er die Lage und die getroffenen Vorkehrungen in Bezug auf die Aktionen von Kurden in der Schweiz? 2. Hat er in dieser Angelegenheit Vorstellungen über eine koor- dinierte Politik bei gleichzeitigen Aktionen in verschiedenen Kantonen? 3. Mit welchen Massnahmen kann aus seiner Sicht die Rechts- staatlichkeit und die Funktion der Institutionen gesichert wer- den? 4. Wie beurteilt er das Risiko einer Eskalation?

154 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

5. Wo sieht er Möglichkeiten für die Schweiz, als neutraler Vermittler international zu einer Lösung beizutragen?

Antwort des Bundesrates 15. März 1999

Ab dem 16. Februar 1999 erfolgten im Nachgang zur Verhaf- tung und Verbringung des Führers der "Kurdischen Arbeiter- partei" (PKK) Abdullah Oecalan in die Türkei in vielen europäischen Staaten Dutzende von Besetzungen von Bot- schaften, Gebäuden internationaler Organisationen und Par- teilokalen - teils verbunden mit Geiselnahmen - sowie zahlreiche Brandanschläge durch Angehörige kurdischer ge- waltextremistischer Gruppen. In der Schweiz waren namentlich Genf, Bern, Zürich und Basel betroffen. Der Bundesrat stuft diese Ereignisse unter dem Blickwinkel der inneren Sicherheit als gravierend ein. Er kam aufgrund seiner Beurteilung der La- ge zum Schluss, dass Gewaltakte durch Angehörige und Sym- pathisanten der PKK und namentlich Angriffe auf diplomatische Vertretungen ausländischer Staaten und Einrichtungen interna- tionaler Organisationen auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden können. Er hat deshalb in Anbetracht dieser kritischen Situation und den Begehren des Regierungsrates des Kantons Genf sowie der Städte Bern und Zürich am 1. März 1999 - unter Vorbehalt von Hilfsgesuchen der Kantone Bern und Zürich - die Verstärkung und Entlastung der Polizei durch Angehörige der Armee zwecks Bewachung in Bundesverantwortung stehender Einrichtungen beschlossen. Inzwischen ist das Gesuch des Kantons Bern beim Bundesrat eingetroffen. Mit Schreiben vom 3. März 1999 hat der Regierungsrat des Kantons Zürich vorläu- fig darauf verzichtet, das Angebot des Bundesrates anzuneh- men.

Der Bundesrat beantwortet die in diesem Zusammenhang ge- stellten Fragen wie folgt:

1. Die PKK ist aufgrund ihres Organisationsgrades, ihrer Füh- rungs- und Mobilisierungsstärke und ihrem personellen Poten- tial in vielen Staaten jederzeit in der Lage, Besetzungsaktionen oder andere Straftaten wie Brandanschläge gegen unge- schützte Objekte durchzuführen. Ungewissheiten über den Oe- calan-Prozess in der Türkei und Nachfolgeprobleme innerhalb der PKK beherrschen nach wie vor die Lage bezüglich dieser Organisation und der von ihren Aktionen betroffenen europäi-

Staatsschutzbericht 1999 155

Anhänge

schen Staaten, inklusive der Schweiz. Die vom Bundesrat ge- troffenen Massnahmen - Bewilligung eines Truppeneinsatzes zur Entlastung der Poli- zeikräfte für Bewachungsaufgaben von Objekten in Bundeszu- ständigkeit - Weiterführung der 1993 gegen die PKK beschlossenen Mass- nahmen im Bereiche des Staatsschutzes (namentlich intensi- vierte Informationsbeschaffung, vermehrte Einreisesperren gegen PKK-Kaderleute, konsequente Durchsetzung des Waf- fentragverbots) verfolgen das Ziel, den Handlungsspielraum der PKK soweit wie möglich einzuschränken und jenen der Polizeikräfte durch Entlastung von Schutzaufgaben zu erhöhen, damit sie im Falle weiterer Gewaltaktionen rasch mit den nötigen Mitteln interve- nieren können. Der Bundesrat ist klar der Ansicht, dass Gewalt in einem Rechtsstaat nicht geduldet werden darf, es auch keine politische Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt gibt und Gewalt mit vereinten Kräften zu verhindern und zu ahnden ist. Er sieht seine Haltung auch von den EU-Innenministern be- stätigt.

2. Gleichzeitige Aktionen gewalttätiger Extremisten in verschie- denen Kantonen können nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grunde hat der Bundesrat zur Unterstützung der Polizei für Bewachungsaufgaben keinen interkantonalen Polizeieinsatz vorgesehen, sondern einen Truppeneinsatz bewilligt. Denn es konnte nicht angehen, durch die Entsendung von Polizeibe- amten anderer Kantone nach Genf, Bern und Zürich die Si- cherheitsdispositive in den übrigen Kantonen zu schwächen. Damit bleibt gesamtschweizerisch eine polizeiliche Einsatzre- serve zur Verfügung, die nötigenfalls für Interventionen einge- setzt werden kann. Im Falle neuer Besetzungen mit Geiselnahmen zum Zwecke der Nötigung von Behörden des Bundes oder des Auslandes würde wiederum der unter der Lei- tung des Vorstehers des EJPD stehende "Sonderstab Gei- selnahme und Erpressung" (SOGE) in Aktion treten und bun- desseitig das Vorgehen gegen die Gewalttäter bestimmen bzw. gesamtschweizerisch koordinieren.

3. Der Bundesrat hat - wie bereits erwähnt - Massnahmen zum verbesserten Schutze bedrohter Objekte in Bundeszuständig- keit sowie solche für einen verstärkten Staatsschutz beschlos- sen. Es gilt, auf die Geschehnisse in angemessener und einem Rechtsstaat würdigen Weise zu reagieren. Der Rechtsstaat

156 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge kann nur bestehen, wenn widerrechtliche Handlungen mit der konsequenten Anwendung der straf- und ausländerrechtlichen Bestimmungen geahndet werden. Es geht nicht an, sich ge- genüber Rechtsbrechern auf falsches Entgegenkommen ein- zulassen. Es gilt schnell, entschlossen, aber auch mit Augenmass die erforderlichen Strafuntersuchungen an die Hand zu nehmen und ausgesprochene Strafurteile zu vollzie- hen. Der Bundesrat ist überdies der festen Ansicht, dass die folgenden Massnahmen gestützt auf die bestehenden gesetzli- chen Grundlagen durch die zuständigen Behörden von Bund und Kantonen konsequent anzuwenden sind:

- Gegen mutmassliche Angehörige gewaltextremistischer Or- ganisationen, die sich im Ausland befinden, werden von den zuständigen Stellen des EJPD Einreisesperren verhängt. Damit besteht bei einer allfälligen Missachtung der Einreisesperre gleichzeitig ein Ausschaffungshaftgrund.

- Angehörige gewaltextremistischer Organisationen ohne Auf- enthalts- oder Niederlassungsbewilligung bzw. mit Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung ausserhalb des Asylbereichs, die an gewalttätigen Aktionen beteiligt waren, sind weg- bzw. auszuweisen. Für den Fall, dass sich der Vollzug der Wegwei- sung als unzulässig erweist, wurde den Kantonen empfohlen, diese Personen einzugrenzen.

- Personen, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, die sich aber gewaltextremistisch betätigt haben oder einer gewaltex- tremistischen Organisation angehören, sind als asylunwürdig zu betrachten und das Asyl ist ihnen zu verweigern. Liegen er- hebliche Gründe dafür vor, dass sie die Sicherheit der Schweiz gefährden, können sie weggewiesen werden. Erweist sich der Vollzug infolge der völkerrechtlichen Schranke von Artikel 3 EMRK als unzulässig, sollen sie eingegrenzt werden.

- Flüchtlinge, denen die Schweiz Asyl gewährt hat und die sich gewaltextremistisch betätigt haben, können unter gewissen Be- dingungen ausgewiesen werden, allerdings ist auch hier die völkerrechtliche Schranke von Artikel 3 EMRK zu beachten. Ein Verbot der PKK, welches schweizerischer Tradition wider- spricht, sich aus polizeilicher Sicht kaum durchsetzen lässt und Angehörige der PKK noch vermehrt in den Untergrund drängen würde, betrachtet der Bundesrat zurzeit als nicht sinnvoll. Soll-

Staatsschutzbericht 1999 157

Anhänge

ten die getroffenen Massnahmen nicht zum Ziele führen, müss- te es u.U. dennoch in Erwägung gezogen werden.

4. Die PKK dürfte jetzt primär das Ziel verfolgen, eine maximale Unterstützung für Oecalan in der Türkei zu suchen und zu die- sem Zwecke - durch entsprechende politische oder gewaltsame Aktionen - Druck auf die europäischen Regierungen und auf in- ternationale Organisationen auszuüben, damit diese ihrerseits Druck auf die Türkei ausüben. Sie verfügt über ein beträchtli- ches, jederzeit mobilisierbares Potential, um nötigenfalls wei- tere Gewalttaten zu verüben. Ob und in welchem Umfange sie wieder in Aktion tritt, hängt von der Entwicklung der Lage und namentlich vom Schicksal ihres Führers Oecalan ab. Die schweizerischen Behörden haben Massnahmen getroffen, um einer allfälligen Wideraufnahme der Gewalttätigkeiten wirksam zu begegnen.

5. Aufgrund seiner heutigen Lagebeurteilung hält es der Bun- desrat für unwahrscheinlich, dass die internationale Staatenwelt in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, die Kurdenproblematik in ihrer ganzen, auch regionalen Dimension einer politischen Lösung zuzuführen. Demgegenüber sind Verbesserungen der Lage der kurdischen Bevölkerung in der Türkei vordringlich, und sie sind nach Auffassung des Bundesrates für einen Mit- gliedstaat des Europarates und der OSZE auch eine Pflicht. Wie schon in den letzten Jahren wird die Schweiz deshalb in diesen Organisationen, wo sie ja über volle Mitgliedschaft ver- fügt, jeden Ansatz, welcher zur Lösung der Kurdenfrage führen kann, unterstützen.

Beschlüsse: 17.03.1999 NR - Erledigt.

Nationalrat 99.3028 - D Ip Freisinnig-demokratische Fraktion 2. März 1999

Öcalan. PKK und die innere Sicherheit der Schweiz Eingereichter Text Die Verhaftung des Führers der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Öcalan, hat an verschiedenen Orten in Europa, darunter auch in der Schweiz, zu heftigen Reaktionen und zu Gewalttaten sei- tens der Kurden geführt. Der Bundesrat wird eingeladen, zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:

158 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

1. Mit welchen politischen Massnahmen will er die unbefriedi- gende Situation des kurdischen Volkes durch internationalen Druck verbessern und die türkischen Behörden zur Einhaltung der Menschenrechte anhalten?

2. Was kehrt er vor, um seinen Forderungen gegenüber der Türkei nach einem fairen Prozess gegen Öcalan mit Zulassung einer internationalen Beobachterdelegation Nachdruck zu ver- leihen?

3. Wie funktioniert die internationale Zusammenarbeit, um der- art gefährliche Herausforderungen rechtzeitig in den Griff zu bekommen? Ist die Schweiz im sicherheitspolitischen Bereich isoliert?

4. Welches sind seine Absichten, um die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zur Verhinderung von Gewaltakten im Zu- sammenhang mit der Situation des kurdischen Volkes zu ver- stärken?

5. Welche Massnahmen will er ergreifen, um durch präventives Vorgehen der Polizei weitere Gewaltakte in der Schweiz zu verhindern? Ist er insbesondere bereit, die PKK-Führungsstruk- tur in der Schweiz namentlich offen zu legen, die zuständigen Chefs für die Gewaltakte in Zürich, Genf, Muri bei Bern und Bern zur Verantwortung zu ziehen, entsprechend zu bestrafen und im Wiederholungsfall auszuweisen?

6. Hält er es für möglich, dass auch in der Schweiz Schutzgel- der erpresst werden, um die PKK zu finanzieren?

7. Sind die Instrumente, die Bund und Kantone zur Hand haben nicht veraltet? Entspricht ein solch träges Zusammenarbeits- modell von Bund und Kantonen den neuen Bedrohungsformen oder muss eine Bundessicherheitspolizei geschaffen werden?

Begründung Grosse Teile der schweizerischen Bevölkerung sind nach den Gewaltakten kurdischer Aktivisten in den letzten Wochen ver- unsichert. Zum einen ist Sympathie und einiges Verständnis für die Wut und die verzweifelte Lage der Kurden vorhanden, auf der anderen Seite sind die Besetzungen und Geiselnahmen als inakzeptabel und für die Anliegen der Kurden als völlig kontra- produktiv zu verurteilen. In dieser Situation ist der Bundesrat

Staatsschutzbericht 1999 159

Anhänge

gefordert, auf der innen- und aussenpolitischen Ebene aktiv zu werden, um der Komplexität der Problematik gerecht zu wer- den. Europa und damit auch die Schweiz haben ihren aktiven Beitrag zur Lösung dieses Konfliktes beizutragen. Auf der aus- senpolitischen Ebene muss dies in erster Linie über den Euro- parat, die EU, die UNO, direkte Interventionen gegenüber der Türkei und allenfalls die NATO erfolgen. Das Schwergewicht des schweizerischen Beitrages hat über den Europarat und di- rekt gegenüber der Türkei, wie dies der Bundesrat bereits ge- tan hat, zu erfolgen.

Die Verunsicherung der schweizerischen Bevölkerung kann nur über ein entschlossenes, aber besonnenes Vorgehen zur Ver- hinderung von Gewaltakten begegnet werden. Es gehört dazu auch die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die sich nicht an unsere Gesetze halten und das schweizerische Gastrecht für Gewaltakte missbrauchen.

Antwort des Bundesrates 15. März 1999

1. Der Bundesrat ist sich der oft schwierigen Situation der kur- dischen Bevölkerung in der Türkei sowie in den Staaten Irak, Syrien und Iran seit Jahren bewusst. Wegen der regionalen Dimension der Kurdenfrage ist die Entwicklung von politischen Lösungsansätzen ausserordentlich anspruchsvoll, und sie be- darf einer breiten internationalen Abstützung.

Im Fall der Türkei, wo die zahlenmässig grösste kurdische Be- völkerung lebt, erweist sich eine Lösung der Kurdenfrage nicht zuletzt wegen des vorherrschenden Konzepts des laizistischen Einheitsstaates als besonders schwierig. Um auf die Türkei in dieser Problematik Einfluss nehmen zu können, ist die Mitwir- kung der internationalen Staatengemeinschaft unerlässlich. Die Schweiz hat deshalb in den letzten Jahren wiederholt in der OSZE und im Europarat Vorstösse unternommen, um die Tür- kei zur Anerkennung gewisser Minderheitenrechte zugunsten der Kurden sowie zur Respektierung der Menschenrechte an- zuhalten. Viel Unterstützung hat sie dabei bei anderen Mitglied- staaten dieser Organisation jeweils nicht gefunden. Trotzdem wird der Bundesrat weiterhin diesen multilateralen Handlungs- rahmen benützen, um sich dort zugunsten einer verbesserten Stellung der kurdischen Bevölkerung einzusetzen. Der Bundes- rat wird im Sinn der Guten Dienste auch die Unterstützung ge-

160 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge eigneter internationaler Initiativen für eine politische Lösung der Kurdenfrage sorgfältig prüfen. Dieses Angebot hat er auch in seiner Erklärung vom 17. Februar 1999 bekräftigt, als er zu den Aktionen der Kurden Stellung nahm.

2. Die vom Bundesrat formulierten Erwartungen bezüglich des Prozesses gegen Oecalan wurden am 23. Februar 1999 der türkischen Geschäftsträgerin in Bern zur Kenntnis gebracht. Sowohl in Bern als auch in Ankara werden die zuständigen Stellen des Bundes den Behörden der Türkei ihre Anliegen mit Nachdruck in Erinnerung rufen. Auch die Ständige Vertretung der Schweiz beim Europarat ist angewiesen worden, sich zu- gunsten eines Tätigwerdens des Europarates in der Sache Oe- calan zu verwenden. Eine Folge davon bildete der Besuch des Antifolter-Komitees des Europarats im Gefängnis Oecalans, welcher am 2. März 1999 erfolgte. Die Schweiz befürwortet im weiteren eine Präsenz von Europarats-Vertretern beim Oeca- lan-Prozess.

3. Vieles - so unter anderem die begleitende Berichterstattung im kurdischen Fernsehen MED-TV sowie die zeitliche Abstim- mung der Gewalttaten - deutete darauf hin, dass die Beset- zungs- und Geiselnahmeaktionen vom 16. Februar 1999 und den darauf folgenden Tagen zentral gesteuert wurden. Das Zentralkomitee der PKK hat laut dem Kurdistan- Informationszentrum in Köln die Aktionen in den verschiedenen Staaten als Generalmobilmachung der Kurden in Europa be- zeichnet. Die PKK hat mit diesen zentral gesteuerten Aus- schreitungen in ganz Europa bewiesen, dass sie für alle betroffenen Staaten ein erhebliches Bedrohungspotential dar- stellt.

Bei dieser Ausgangslage ist es klar, dass einer solchen inter- nationalen Bedrohung nur durch eine internationale Zusam- menarbeit der zuständigen Sicherheitsbehörden wirkungsvoll begegnet werden kann. Dies gilt vorab für den gegenseitigen Informationsaustausch. Zwar sind schweizerische Sicherheits- behörden in mehreren internationalen Gremien vertreten und pflegen eine enge Zusammenarbeit auch unter den Nachrich- tendiensten, doch die Nichtmitgliedschaft unseres Landes in der Europäischen Union auferlegt - wie der Bundesrat bereits mehrfach ausgeführt hat - einer vollwertigen Teilnahme an der europäischen Sicherheitszusammenarbeit enge Schranken. Deshalb muss die Schweiz auf allen Gebieten der inneren Si-

Staatsschutzbericht 1999 161

Anhänge

cherheit - vom Visumbereich über das Asylwesen bis hin zur Zusammenarbeit von Polizei und Justiz - Nachteile in Kauf nehmen. Umso mehr hat der Bundesrat die freundschaftliche Geste der deutschen EU-Präsidentschaft geschätzt, den Vor- steher des EJPD zu einem Treffen der EU-Innenminister vom 23. Februar 1999 bezüglich der kurdischen Ausschreitungen nach Bonn einzuladen. Dabei hat es sich indessen gezeigt, dass davon auch Mitgliedländer der EU überrascht worden sind, was die Grenzen der Zusammenarbeit im Bereich der in- neren Sicherheit aufzeigt, wenn nationale Interessen tangiert sind.

4. Um den Schaden des Abseitsstehens unseres Landes von der europäischen Sicherheitszusammenarbeit zu begrenzen, hat die Schweiz in einer ersten Phase Verhandlungen mit ihren Nachbarstaaten aufgenommen. Mit Frankreich und Italien wur- den Abkommen unterzeichnet und zwischenzeitlich vom Natio- nalrat auch ratifiziert, welche unter anderem die grenzpolizeiliche Zusammenarbeit verstärken und die Rück- übernahme illegal Eingereister regeln. Der Bundesrat hofft, noch in diesem Frühjahr auch mit Deutschland und Oesterreich Abkommen über die Polizeizusammenarbeit unterzeichnen zu können. Gewisse Probleme können indessen nur multilateral gelöst werden. Der Bundesrat hat sich seit einigen Jahren und ganz speziell im letzten Jahr sehr aktiv um eine Zusammenar- beit mit den Schengener Staaten bzw. der EU bemüht. Der Vorsteher des EJPD hat diesbezüglich mehrere aussenpoliti- sche Initiativen ergriffen. Dabei zeigten die zuständigen Mini- ster der Nachbarstaaten für die Anliegen der Schweiz viel Verständnis.

Trotzdem gelang es nicht, eine Annäherung der Schweiz an Schengen zu erreichen. Einzelne Schengener Staaten haben nämlich ein solches Ansinnen an der Exekutivausschusssitzung im vergangenen September als "Rosinenpicken" kategorisch abgelehnt. Vordergründig wurde insbesondere auf die fehlen- den aussenpolitischen Kompetenzen der Schengener Gruppe hingewiesen. Ein weiterer Grund liegt auch darin, dass der Schengener Rechtsbestand mit dem Inkrafttreten des Amster- damer Vertrags in die EU integriert wird, was zur Auflösung der Schengener Gremien auf diesen Zeitpunkt führt.

Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages werden unter anderem die Bereiche Asyl und Visa vom 3. in den 1. Pfeiler

162 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

überführt. Zudem wird der Schengener Aquis in den Unions- vertrag integriert - wobei noch nicht bestimmt wurde, welchem Pfeiler der Aquis zugeführt wird. Damit besteht auch für den Bundesrat eine neue Ausgangslage.

Der Bundesrat wird nach dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags im Lauf dieses Jahres unter Berücksichtigung des Ab- schlusses der bilateralen Sektorverhandlungen Schweiz-EU ei- ne Neubeurteilung der Lage vornehmen, um die Strategie zur Annäherung der Schweiz an die EU-Sicherheitskooperation al- lenfalls neu zu definieren. Solange die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, scheinen Zusammenarbeitsmöglichkeiten am ehe- sten bezüglich Abschluss eines Parallelabkommens zur Dubli- ner- und zur Europolkonvention zu bestehen.

5. Der Bundesrat hat bereits Massnahmen zum verbesserten Schutz bedrohter Objekte in Bundeszuständigkeit sowie solche für einen verstärkten Staatsschutz beschlossen. Es gilt, auf die Geschehnisse in angemessener und einem Rechtsstaat würdi- gen Weise zu reagieren. Es geht nicht an, sich gegenüber Rechtsbrechern auf falsches Entgegenkommen einzulassen. Namentlich sind schnell, entschlossen, aber auch mit Augen- mass die erforderlichen Strafuntersuchungen an die Hand zu nehmen und ausgesprochene Strafurteile zu vollziehen. Der Bundesrat ist überdies der Ansicht, dass die folgenden Mass- nahmen gestützt auf die bestehenden gesetzlichen Grundlagen durch die zuständigen Behörden von Bund und Kantonen kon- sequent anzuwenden sind:

- Gegen mutmassliche Angehörige gewaltextremistischer Or- ganisationen, die sich im Ausland befinden, werden von den zuständigen Stellen des EJPD vermehrt Einreisesperren ver- hängt. Damit besteht bei einer allfälligen Missachtung der Ein- reisesperre gleichzeitig ein Ausschaffungshaftgrund.

- Angehörige gewaltextremistischer Organisationen ohne Auf- enthalts- oder Niederlassungsbewilligung bzw. mit Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung ausserhalb des Asylbereichs, die an gewalttätigen Aktionen beteiligt waren, sind weg- bzw. auszuweisen. Für den Fall, dass sich der Vollzug der Wegwei- sung als unzulässig erweist, hat der Vorsteher des EJPD den Kantonen empfohlen, diese Personen einzugrenzen.

Staatsschutzbericht 1999 163

Anhänge

- Personen, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, die sich aber gewaltextremistisch betätigt haben oder einer gewaltex- tremistischen Organisation angehören, sind als asylunwürdig zu betrachten und das Asyl ist ihnen zu verweigern. Liegen er- hebliche Gründe dafür vor, dass sie die Sicherheit der Schweiz gefährden, können sie weggewiesen werden. Erweist sich der Vollzug infolge der völkerrechtlichen Schranke von Artikel 3 EMRK als unzulässig, sollen sie eingegrenzt werden.

- Flüchtlinge, denen die Schweiz Asyl gewährt hat und die sich gewaltextremistisch betätigt haben, können unter gewissen Be- dingungen ausgewiesen werden, allerdings ist auch hier die völkerrechtliche Schranke von Artikel 3 EMRK zu beachten.

Ein Verbot der PKK, welches schweizerischer Tradition wider- spricht, sich aus polizeilicher Sicht kaum durchsetzen lässt und Angehörige der PKK noch vermehrt in den Untergrund drängen würde, betrachtet der Bundesrat zur Zeit als nicht sinnvoll. Soll- ten die getroffenen Massnahmen nicht zum Ziele führen, müste es u.U. dennoch in Erwägung gezogen werden.

Die PKK wird im übrigen seit mehreren Jahren von den Staats- schutzbehörden beobachtet. Die Erkenntnisse der Bundespoli- zei über diese Organisation finden sich in den vom EJPD publizierten Staatsschutzberichten. Soweit Erkenntnisse über die Führungsstrukturen der PKK für die Oeffentlichkeit be- stimmt sind, sind sie in diesen Berichten enthalten.

6. Wie andere Ausländergruppen, die in ihrem Heimatstaat in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, weist auch die PKK einen grossen Finanzbedarf auf. Sie finanziert ihren Parteiap- parat und ihre Unterstützung des Kampfes in der Türkei im we- sentlichen durch Spendengeldsammlungen, Mitgliederbeiträge und Einnahmen aus dem Verkauf von Publikationen. Die Höhe der zu sammelnden Beträge wird durch die PKK-Zentrale pro Gebiet festgelegt. Gegen Ende der Sammelperiode erfolgen die Geldsammlungen zunehmend mit Zwang, da die Geldeintreiber den für ihr Gebiet festgelegten Betrag aufgrund (nur) freiwilliger Leistungen jeweils nicht zusammenbringen. Es sind zahlreiche gewaltsame Geldbeschaffungsaktionen bekannt. Im bereits er- wähnte Staatsschutzbericht der Bundespolizei (für das Jahr 1997) wird eine ganze Reihe solcher Fälle geschildert.

164 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

7. Eine vom Vorsteher des EJPD eingesetzte interdeparte- mentale Arbeitsgruppe unter Mitwirkung der Kantone hat in ih- rem vom Bundesrat zur Kenntnis genommenen Zwischenbericht festgestellt, dass unsere föderalistische Staatsstruktur im Polizeibereich namentlich bei der internatio- nalen Verbrechensbekämpfung und der Bewältigung der Mi- grationsprobleme an ihre Grenzen stösst. Das gesamte System der inneren Sicherheit und namentlich auch die Aufgabentei- lung zwischen Bund und Kantonen wird deshalb im Auftrag des Vorstehers des EJPD von einer Arbeitsgruppe daraufhin über- prüft, ob die heutigen Strukturen hinsichtlich der aktuellen und künftigen Bedrohungen noch zweckmässig sind. Zur Diskus- sion steht dabei auch die künftige Rolle des Grenzwachtkorps.

Wie die jüngsten Ereignisse aufzeigen, stossen die schweizeri- schen Polizeikorps bei der Bewältigung mehrerer zeitlich zu- sammenfallender sicherheitspolizeilicher Grossereignisse an ihre Kapazitätsgrenzen, wenn sich die Notwendigkeit einer län- geren Einsatzdauer ergibt. Die Arbeitsgruppe wird bei ihren Ar- beiten auch diesen Umstand in ihre Prüfung einbeziehen und mögliche Lösungsvorschläge ausarbeiten.

Beschlüsse: 17.03.1999 NR - Erledigt.

Nationalrat 99.3053 - Ip Grobet Christian 9. März 1999

Polizeiaufgaben für die Armee Eingereichter Text Obwohl die Lage total ruhig ist, schickt der Bundesrat die Ar- mee nach Genf!

In einer Zeit, da sich die politische Situation in Europa ent- spannt hat und da die europäischen Länder endlich die Militär- budgets stark kürzen, hält der Bundesrat an einer überholten Konzeption fest, wonach wir immer noch eine starke Armee brauchen. Damit rechtfertigt er die Aufrechterhaltung eines völ- lig überrissenen Militärbudgets.

Es ist jedoch inakzeptabel, dass die Armee Polizeiaufgaben übernimmt, für die sie nicht ausgebildet ist und die nicht in ihren Aufgabenbereich fallen, nur um die übertriebenen finanziellen Mittel zu rechtfertigen, die ihr zur Verfügung gestellt werden.

Staatsschutzbericht 1999 165

Anhänge

Ich möchte hier zwar nicht an die tragischen Folgen der Stras- sendemonstrationen in der Zwischenkriegszeit erinnern, jedoch darauf hinweisen, dass es Aufgabe der zivilen Behörden und der lokalen Polizei ist, die öffentliche Ordnung aufrechtzuer- halten. Die lokale Polizei ist dafür ausgebildet, sie ist mit der lo- kalen Umgebung vertraut und sie ist der Sprache des Einsatzortes mächtig. Normalerweise sind die Bestände der lo- kalen Polizei in den Kantonen genügend gross. Für die seltenen und nicht lange dauernden Grossdemonstra- tionen kann Unterstützung aus den anderen Kantonen angefor- dert werden. Bleibt somit das Problem des Schutzes von diplomatischen Vertretungen, für den der Bundesrat sich einverstanden erklärt hat, eine polizeiliche Spezialeinheit zu finanzieren. Ebenso bleibt das Problem des Schutzes des Palais des Nations, euro- päischer Hauptsitz der Vereinten Nationen, für den die UNO wegen der Exterritorialität des Gebietes, auf dem das Gebäude steht, verantwortlich ist. Aufgrund dieser Feststellungen bitte ich den Bundesrat, be- stimmte Ereignisse nicht mehr unnötig zu dramatisieren und an Ort und Stelle eher den Dialog mit den Menschen zu suchen, die zu Recht gegen den Völkermord an ihren Landsleuten de- monstrieren, als ein Repressionsdispositiv bereitzustellen, das für die zu bewältigende Aufgabe übertrieben und unangemes- sen ist. Kann der Bundesrat ausserdem Auskunft darüber geben, wie hoch die wirklichen Schutzbedürfnisse der ausländischen di- plomatischen Vertretungen sind, ob er diese unterschätzt hat und ob er gedenkt, die für diese Aufgabe geschaffene polizeili- che Bewachungseinheit zu ergänzen? Hat der Bundesrat das UNO-Generalsekretariat kontaktiert, da- mit dieses ein angemessenes Sicherheitsdispositiv für das Ge- biet des Palais des Nations in Genf bereitstellt, wo die lokale Polizei nicht eingreifen darf?

Antwort des Bundesrates 26. Mai 1999 Die militärische Sicherheitslage in Europa hat sich - abgesehen vom Nato-Militäreinsatz gegen Jugoslawien - weitgehend ent- spannt, doch ist gleichzeitig eine markante Verschlechterung

166 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge der innenpolitischen Sicherheitslage in den einzelnen Staaten zu verzeichnen; so beschäftigt die Kurdenproblematik die euro- päischen Länder schon seit mehreren Jahren, und die Fest- nahme des PKK-Führers Öcalan hat zu zahlreichen Demonstrationen und Drohungen auch in der Schweiz geführt. Der bevorstehende Prozess gegen den Kurdenführer und ins- besondere das zu erwartende Urteil dürften erneut zu einer Welle der Gewalt auch in europäischen Städten führen.

Die Nato-Luftangriffe gegen Jugoslawien hatten in mehreren europäischen Ländern, darunter auch die Schweiz, zahlreiche Demonstrationen mit teilweise gewalttätigen Ausschreitungen, Sachbeschädigungen, Verletzten und sogar Toten zur Folge.

Die ausländischen Vertretungen und die internationalen Orga- nisationen in der Schweiz waren bis vor einigen Jahren kaum gefährdet. Seit Beginn der 90-iger Jahre (u.a. Vorfall bei der türkischen Botschaft in Bern) hat sich die Gefährdungslage je- doch deutlich verschärft. Insbesondere ausländische oppositio- nelle Gruppen tragen ihre innerstaatlichen Konflikte zunehmend in der Schweiz aus. Heute können koordinierte Aktionen mittels schneller Alarmierungsmöglichkeiten (TV-Sender via Satellit, Internet, Natel) gleichzeitig in verschiedenen Staaten durchge- führt werden. Dies hat wesentlich zum veränderten Bedro- hungsbild für die ausländischen Vertretungen und die internationalen Organisationen beigetragen.

Aufgrund mehrerer Vorfälle (u.a. drei gewaltsame Besetzungen des Palais des Nations in Genf) haben diplomatische Vertreter der Vereinten Nationen und verschiedener europäischer Staa- ten die Schweiz um eine sofortige Verstärkung der Schutz- massnahmen ersucht. Dabei hat sich ziemlich rasch gezeigt, dass die Kräfte der betroffenen Polizeikorps für einen länger dauernden Schutzeinsatz nicht ausreichen. Die gegenwärtigen Bestände sind auf einen normalen Betrieb und kurze Spitzen, aber nicht auf einen anhaltenden Bewachungseinsatz ausge- richtet. Bei der Bewältigung mehrerer zeitlich zusammenfallen- der Grossereignisse stossen die Korps rasch an ihre Kapazitätsgrenzen.

Um weiteren Gewaltakten vorzubeugen, hat der Bundesrat am 1. März 1999 auf Ersuchen der Genfer Kantonsregierung und im Hinblick auf mögliche weitere kantonale Gesuche beschlos- sen, überlastete kantonale oder städtische Polizeikorps beim

Staatsschutzbericht 1999 167

Anhänge

Schutz gefährdeter Objekte in Bundesverantwortung durch die Truppen zu unterstützen (Botschaften, Konsulate und Residen- zen von ausländischen Staaten sowie internationale Organisa- tionen).

Der Bundesrat weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die Ar- mee nicht für einen Bewachungsdienst aufgedrängt hat, son- dern die Anfragen des Kantons Genf sowie der Städte Bern und Zürich Auslöser für diese Hilfeleistung seitens des Bundes waren.

Der Truppeneinsatz erfolgt primär zur Entlastung der Polizei von Bewachungsaufgaben zum Schutz der vom Bund bezeich- neten Objekte in Bundesverantwortung. Die Truppen sind den zivilen Polizeikorps zugewiesen und den Kommandanten der jeweiligen Territorialdivision einsatzunterstellt.

Der Bewachungsauftrag an die Truppen ist vergleichbar mit dem Wachtdienst im Wiederholungskurs (WK) und wird be- waffnet durchgeführt. Jeder Schweizer Soldat wird bereits in der Rekrutenschule (RS) im Wachtdienst ausgebildet. Auf die- sen Grundkenntnissen basiert die vertiefte, einsatzbezogene Ausbildung von 3 Tagen im WK. Ausserdem erhalten die Sol- daten vor ihrem Bewachungseinsatz eine kurze Ausbildung in den Bereichen Psychologie, Kommunikation, Brandbekämp- fung und Erste Hilfe.

Bei auftauchenden Problemen oder in Notfällen müssen die Armee-Angehörigen die Interventionsgruppen der Polizei alar- mieren. Die Waffen dürfen nur zum Eigenschutz eingesetzt werden. Interventionen (Personenkontrollen, Personenanhal- tungen und Festnahmen) erfolgen ausschliesslich durch die zi- vilen Polizeikräfte. Die Armee übt somit keine Polizeiaufgaben aus, für die sie nicht ausgebildet ist.

Weil es sich bei der gegenwärtigen Bedrohung um ein flächen- deckendes Problem handelt und mit gleichzeitigen Aktionen gewalttätiger Extremisten gerechnet werden muss, fällt ein in- terkantonaler Polizeieinsatz ausser Betracht. Ein solcher hätte unweigerlich eine Schwächung der Sicherheitsdispositive der- jenigen Kantone zur Folge, die Polizeikräfte beisteuern müss- ten. Ausserdem dürfen Polizeikräfte nicht schwergewichtig für Bewachungsaufgaben eingesetzt werden, weil gesamtschwei- zerisch eine ausreichende Einsatzreserve für allfällige Interven-

168 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge tionen vorhanden sein muss. Aus diesen Gründen hat der Bun- desrat von einem interkantonalen Polizeieinsatz abgesehen.

Gemäss den Wiener Übereinkommen über diplomatische bzw. konsularische Beziehungen und nach den Bestimmungen der Sitzabkommen haben die unter völkerrechtlichem Schutz ste- henden Objekte ein Recht auf besonderen Schutz. Grundsätz- lich ist der Empfangsstaat für die Schutzmassnahmen ausserhalb des Areals der ausländischen Vertretungen und in- ternationalen Organisationen verantwortlich. Für die Sicherheit innerhalb der Umfriedung und der Gebäude haben die einzel- nen Staaten selber zu sorgen. So entscheiden sie in jedem Fall selber darüber, ob Angehörige der Polizei diesen Bereich be- treten und gegen allfällige Demonstranten vorgehen dürfen. Mit dem UNO-Generalsekretariat in Genf ist ein entsprechendes Sicherheitsdispositiv abgesprochen. Auch haben mehrere Stel- len der Bundesverwaltung Gespräche mit der UNO geführt, um die Sicherheit zu erhöhen. Vor allem im baulichen Bereich sind bis heute verschiedene Sicherheitsmassnahmen realisiert wor- den.

Sorgt sich die Schweiz nicht oder nur ungenügend um die Si- cherheit von ausländischen Vertretungen und internationalen Organisationen, könnte dies auf die Dauer auch ihrer traditio- nellen Rolle als Gastland für grosse internationale Konferenzen zu humanitären und wirtschaftlichen Fragen schaden.

Der Generaldirektor der UNO hat der Ständigen Mission der Schweiz bei den internationalen Organisationen in Genf seinen Dank dafür ausgesprochen, dass der Bundesrat die militärische Unterstützung zugunsten des Kantons Genf bewilligt hat. Wei- ter haben die für die Sicherheit zuständigen Stellen der UNO mehrmals ihre Zufriedenheit hinsichtlich des Sicherheitsdispo- sitivs und der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit der Kan- tonspolizei Genf und den Truppen geäussert.

Gemäss Art. 24 BWIS (SR 120) wird der Vollzug völkerrechtli- cher Schutzpflichten grundsätzlich an die Kantone delegiert. Ar- tikel 28 Absatz 2 BWIS sieht vor, dass der Bund im Gegenzug den Kantonen, die in grossem Ausmass solche Schutzauf- gaben erfüllen müssen, sowie bei ausserordentlichen Ereignis- sen eine angemessene Abgeltung leistet.

Staatsschutzbericht 1999 169

Anhänge

Demnach ist für die Sicherheit der ausländischen Vertretungen und internationalen Organisationen in Genf der Kanton zustän- dig. Zur Erfüllung seiner Schutzpflichten erhält er zurzeit eine jährliche Pauschalentschädigung von 5 Mio. Franken.

Zusätzlich finanziert der Bund in Genf ein spezielles, in die Kantonspolizei integriertes Bewachungskorps von maximal 30 Personen. Bis anhin wurden erst 24 der 30 Stellen besetzt. Doch auch ein Vollbestand dieser polizeilichen Bewachungs- einheit wäre nicht in der Lage, die gegenwärtig notwendigen Bewachungen durchzuführen. Wie es sich mit zusätzlichen Stellen für das Bewachungskorps in Genf verhält, kann frühe- stens nach Erreichen des Vollbestandes und den daraus resul- tierenden Erfahrungen beantwortet werden.

Beschlüsse: 18.06.1999 NR - Die Diskussion wird verschoben. 13.12.1999 NR - Erledigt.

Mitunterzeichnendeé: de Dardel Jean-Nils Spielmann Jean Ziegler Jean (3)

Nationalrat 99.3175 - Ip Widrig Hans Werner 21. April 1999

Gefährdung der Sicherheit durch Personen aus Krisen- und Kriegsgebieten Eingereichter Text An verschiedenen Demonstrationen der letzten Zeit, insbeson- dere von Kurden, Serben und Albanern, haben sich zum Teil gravierende Zwischenfälle ereignet. Zudem ist bei Gewalt- und Drogendelikten in der Schweiz ein hoher Anteil an ausländi- schen Beteiligten zu verzeichnen. Offenbar besteht vor allem bei Personen aus Krisen- und Kriegsgebieten, wie dem ehema- ligen Jugoslawien, eine höhere Gewaltbereitschaft.

Der Bundesrat ist gebeten, folgende Fragen zu beantworten:

1. Welche Präventionsmassnahmen sind seitens des Bundes und der Kantone vorgesehen, falls Konflikte, z. B. zwischen Al- banern und Serben, auf die Schweiz übergreifen?

170 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

2. Was gedenkt der Bundesrat bei kommenden Demonstratio- nen ausländischer Gruppierungen bezüglich Bewilligung und Sicherheit vorzukehren?

3. Was unternimmt er, um die Straftaten von sogenannten Kri- minaltouristen zu unterbinden?

4. Von den Bosnien-Flüchtlingen sind drei Viertel wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Wie viele sind noch in der Schweiz, und wie verteilen sie sich im Arbeitsmarkt?

Begründung Der Urheber verzichtet auf eine Begründung und wünscht eine schriftliche Antwort.

Antwort des Bundesrates 8. Juni 1999

Der Bundesrat beantwortet die vom Interpellanten gestellten Fragen wie folgt:

1. Der Bundesrat zählt die Gewährleistung der inneren Sicher- heit zu den prioritären staatlichen Aufgaben, in die sich Bund und Kantone teilen. Die primäre Verantwortung liegt dabei bei den Kantonen, während der Bund vorab informierend, koordi- nierend, gesetzgeberisch und staatsvertraglich tätig ist. Das Territorium der Schweiz darf nicht zum Austragungsort gewalt- samer Auseinandersetzungen zwischen ausländischen gewalt- extremistischen Gruppen werden. Ebenso wenig dürfen gewaltextremistische Aktivitäten gegen Schweizer, schweizeri- sche Einrichtungen oder Interessen oder Gewaltakte gegen Flüchtlinge oder Asylsuchende geduldet werden. Die gewaltex- tremistischen Potentiale und deren Strukturen müssen deshalb laufend festgestellt und durch geeignete Massnahmen über- wacht werden. Gewaltextremistische Gruppen müssen befrie- det und im Falle von Ausländern möglichst von der Schweiz ferngehalten oder aus der Schweiz weggewiesen werden.

Seitens des Bundes werden die in Kraft stehenden Massnah- men für einen verstärkten Staatsschutz und die Sicherheits- und Schutzmassnahmen, namentlich für bedrohte Objekte in Bundeszuständigkeit, lageorientiert weitergeführt. Den Angehö- rigen bestimmter Staaten (Bundesrepublik Jugoslawien, Kroa- tien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Türkei, Sri Lanka,

Staatsschutzbericht 1999 171

Anhänge

Algerien und Albanien) ist der Erwerb und das Tragen von Waf- fen verboten.

Das bestehende fremdenpolizeiliche bzw. asylrechtliche In- strumentarium ist weiter konsequent anzuwenden. Dazu zählen namentlich die Wegweisungen, Ausweisungen und Einreise- sperren, die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht und die Rückübernahmeabkommen. Die Asylgesuche von Straffälligen und auffälligen Asylsuchenden werden prioritär behandelt. Wenn immer rechtlich und faktisch möglich, sind Rückschaf- fungen straffälliger Asylsuchender vorzunehmen. Das für die Umsetzung dieser Massnahmen benötigte zusätzliche Personal wurde dem Bundesrat im Rahmen der strategischen Leistungs- bereitschaft der Asylbehörden des Bundes beantragt und von diesem am 13. Januar 1999 bewilligt. Die Aufstockung der Per- sonalreserve um 5,7 Millionen Franken oder 57 Stellen wird für den Aufbau einer Abteilung Vollzugsunterstützung im BFF und im Verfahrensbereich für die vermehrte Durchführung von Bun- desanhörungen eingesetzt. Bei der Unterbringung von neu ein- gereisten Asylsuchenden in den Empfangsstellen und Notunterkünften des Bundes wird darauf geachtet, dass Perso- nen, die verfeindeten Nationen oder Ethnien angehören, nach Möglichkeit getrennt untergebracht werden. Zur Wahrung der Sicherheit in den Empfangsstellen ist Securitas-Personal an- wesend. Daneben ist weiterhin durch Gespräche und geeignete Kontakte mässigend auf die organisierten Ausländergruppen einzuwirken. Ebenso soll die Aufrechterhaltung des Verteil- schlüssels von Asylsuchenden auf die Kantone zur ausgewo- genen Verteilung verschiedener Ethnien beitragen. Bei begangenen Gewalttätigkeiten sind die Schuldigen rasch zu eruieren und von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zur Verantwortung zu ziehen.

Die erforderlichen polizeilichen Präventivmassnahmen (Mass- nahmen zum Schutze gefährdeter Personen und Objekte, die Nichtbewilligung von Demonstrationen, Anwendung des Frem- denpolizeirechtes usw.) obliegen primär den Kantonen. Das- selbe gilt für die Strafverfolgung. Sie sind vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement angewiesen bzw. aufgefordert worden, in ihrem Zuständigkeitsbereich das fremdenpolizeiliche und strafrechtliche Instrumentarium konsequent anzuwenden. Denn es gibt keine politische oder sonstige Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt. Der Rechtsstaat kann nur beste-

172 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge hen, wenn widerrechtliche Handlungen konsequent geahndet werden.

Das Problem der Kriminalität sowohl der sich hier aufhaltenden als auch zur Deliktausübung einreisenden Ausländer ist - wie die erwähnten Massnahmen zeigen - erkannt. Ausserdem wird, gestützt auf bereits ergangene und getroffene Vorabklärungen, eine vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und von der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorin- nen und -direktoren gemeinsam präsidierte gemischte Arbeits- gruppe Ausländerkriminalität eingesetzt, welche - die Lage erarbeiten; - ein Inventar der verfügbaren präventiven und repressiven Mit- tel erstellen; - den Handlungsbedarf eruieren; - Abstimmungsprobleme untersuchen; und - Lösungsvorschläge erarbeiten soll.

2. Demonstrationen werden in der bundesgerichtlichen Praxis als Manifestationen der Meinungsäusserungs- und Versamm- lungsfreiheit geschützt. Demonstrationen können indessen Schranken gesetzt werden. Es ist den Kantonen, denen primär auch die Verantwortung für die Wahrung der öffentlichen Ord- nung zukommt, bzw. den Gemeinden überlassen, Bestimmun- gen über Kundgebungen auf öffentlichem Grund zu erlassen. In den meisten Kantonen und Gemeinden unterstehen Demon- strationen einer Bewilligungspflicht. Beim Entscheid über die Bewilligung einer Demonstration ist eine Güterabwägung zwi- schen den verschiedenen Interessen vorzunehmen; dabei ist auch dem Gesichtspunkt der Sicherheit bzw. der polizeilichen Gefahrenabwehr Rechnung zu tragen.

Diese Güterabwägung wird von den kantonalen bzw. kommu- nalen Behörden im Vorfeld von Demonstrationen im Rahmen des Bewilligungsverfahrens vorgenommen. Die Bundespolizei teilt den kantonalen Polizeiorganen von sich aus oder auf An- frage Erkenntnisse mit, die für den Entscheid für oder wider ei- ne Bewilligung wesentlich sind. Sofern der Bund betroffen ist (etwa bei Demonstrationen vor dem Bundeshaus oder vor aus- ländischen Botschaften), werden erforderliche Sicherheits- massnahmen mit den Bundesbehörden abgesprochen.

Ein grundsätzliches Demonstrationsverbot betrachtet der Bun- desrat zurzeit weder als nötig noch als zulässig.

Staatsschutzbericht 1999 173

Anhänge

3. Die Schweiz hat seit 1995 mit allen Nachbarstaaten Ver- handlungen über den Abschluss von bilateralen Abkommen aufgenommen. Die Verhandlungen sind inzwischen abge- schlossen und folgende Abkommen unterzeichnet worden: - mit Frankreich am 11. Mai 1998 ein Abkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz-, Polizei- und Zollsachen sowie am 28. Oktober 1998 ein Rückübernahmeab- kommen; - mit Italien am 10. September 1998 ein Abkommen über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden, ein Rücküber- nahmeabkommen sowie ein Vertrag zur Ergänzung des Euro- päischen Rechtshilfeübereinkommens; - mit Deutschland am 27. April 1999 ein Vertrag über die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenar- beit, am 8. Juli 1999 entsprechende Anpassungen der bilate- ralen Zusatzverträge zum Europäischen Rechtshilfe- und Auslieferungsübereinkommen sowie zum Abkommen über Durchgangsrechte; - mit Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein schliesslich am 27. April 1999 ein trilateraler Vertrag über die grenzüber- schreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehör- den.

Die Abkommen über Justiz-, Polizei- und Zollzusammenarbeit wurden durch das Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. März 1985 über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsüberein- kommen) inspiriert. Die Abkommen mit Frankreich und Italien sind bereits von den eidgenössischen Räten genehmigt wor- den; diejenigen mit Deutschland sowie mit Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein werden den Räten noch im Jahre 1999 unterbreitet werden.

Die Abkommen über Justiz-, Polizei- und Zollzusammenarbeit ermöglichen eine Konsolidierung der Rechtsgrundlagen im Be- reich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Dies erlaubt künftig eine wirksamere Bekämpfung des Kriminaltourismus, der illegalen Migration sowie der internationalen Kriminalität und des Terrorismus.

Mit dem gleichen Ziel hat die Schweiz in den vergangenen Jah- ren mit zahlreichen weiteren Staaten bilaterale Vereinbarungen

174 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge im Hinblick auf eine verstärkte Zusammenarbeit getroffen. Der Bundesrat ist bestrebt, das Vertragsnetz insbesondere auf dem Gebiet der Rechtshilfe und der Auslieferung auszubauen. Dazu kommt der Aufbau eines Netzes von Polizeiverbindungsbeam- ten. In den USA, bei Interpol, in Deutschland und in Tschechien wurden Verbindungsbeamte stationiert. Ferner laufen Ver- handlungen mit den Fluggesellschaften, um die Zusammenar- beit bei der Prävention illegaler Einreisen auf dem Luftweg zu verbessern. Schliesslich wird im Rahmen der laufenden Anag- Revision die Frage verschärfter Sanktionen gegen Beförde- rungsunternehmen geprüft.

Um der transnationalen Kriminalität entgegenzuwirken, wurden auch die Massnahmen an der Grenze intensiviert. So hat der Bundesrat im März 1998 das Grenzwachtkorps durch hundert Angehörige des Festungswachtkorps verstärkt. Im logistischen Bereich wird das Grenzwachtkorps durch das VBS mit zusätzli- chen Helikopterflugstunden, Fahrzeugen sowie Schutz- und Beobachtungsmaterial (Überziehschutzwesten, Maschinenpi- stolen, Nachtsichtgeräte) unterstützt. Auch Nationalrat Freund verlangt in seiner vom Bundesrat entgegengenommenen Mo- tion (98.3450), das Grenzwachtkorps sei mit zusätzlicher Infra- struktur auszurüsten. Diese dient dazu, Ausweisfälschungen rascher zu erkennen, Rauschgiftschmuggel besser aufzu- dec??ken, Personen schneller zu identifizieren und kon- struktionsbedingte Hohlräume in Fahrzeugen besser zu überprüfen. Schliesslich ist das Grenzwachtkorps bestrebt, durch organisatorische und taktische Massnahmen Effizienz und Effektivität der Grenzkontrollen laufend zu verbessern.

Wie der Bundesrat insbesondere in der Botschaft vom 14. De- zember 1998 zu den Abkommen mit Frankreich und Italien (BBl 1999 1485ff.) und im Integrationsbericht vom 3. Februar 1999 (BBl 1999 4178) dargelegt hat, kann jedoch das anvisierte und für die Gewährleistung der inneren Sicherheit wesentliche Ziel eines homogenen grenzüberschreitenden Sicherheitsraumes auf dem Weg bilateraler Abkommen bzw. einer Verstärkung der Grenzkontrollen nicht erreicht werden.

4. Insgesamt sind im Zentralen Ausländerregister Ende Juni 1999 rund 35 000 Personen aus Bosnien und Herzegowina (etwa 325 000 aus dem gesamten ehemaligen Jugoslawien) mit ständigem Wohnaufenthalt in der Schweiz aufgeführt, ein- schliesslich der rund 7800 anerkannten Flüchtlinge und huma-

Staatsschutzbericht 1999 175

Anhänge

nitär aufgenommenen Personen. Bei gut 27 000 Personen handelt es sich um bereits vor dem Krieg als Arbeitskräfte re- krutierte ehemalige Saisonniers oder mit der Familie nachge- zogene Daueraufenthalter. Diese Erwerbstätigen, vor allem ehemalige Saisonniers, sind vorwiegend im Bau- und Gastge- werbe tätig; sie sind aber vermehrt auch in saisonunabhängige Branchen abgewandert und in der Metall- und Maschinenindu- strie sowie in Reinigungs-, Unterhalts- und anderen Dienstlei- stungsbereichen aktiv.

Aufgrund des Bosnien-Krieges fanden rund 22'100 kriegsver- triebene Personen aus Bosnien und Herzegowina Schutz in der Schweiz. Darunter befanden sich viele Personen, die als Flüchtlinge anerkannt wurden und damit ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz erhielten (vgl. oben). Bei Kriegsende waren es da- her noch rund 18'000 Personen, die von der Aufhebung der gruppenweisen vorläufigen Aufnahme betroffen waren und für die Teilnahme am Rückkehr- und Wiedereingliederungspro- gramm Bosnien und Herzegowina in Frage kamen.

Von diesen rund 18'000 ausreisepflichtigen Personen sind im Rahmen des Bosnien-Programms 10'000 Personen ausgereist (8'000 aus dem Asylbereich und 2'000 aus dem Ausländerbe- reich). Weitere 700 Personen sind selbständig ausgereist. So- mit sind rund 7'300 Personen noch in der Schweiz. Davon wurden 3'550 Personen vorläufig aufgenommen oder ihr Fall fremdenpolizeilich geregelt. Bei 2'250 Personen sind noch Be- schwerdeverfahren hängig. Bei den übrigen Fällen ist entweder die vom Kanton angesetzte Ausreisefrist noch nicht abgelaufen oder die Wegweisung wurde noch nicht vollzogen.

Von den Erwerbstätigen aus dem Asylbereich sind rund ein Drittel im Bau- und ein Viertel im Gastgewerbe tätig. Die übri- gen sind in erster Linie mit Hilfsarbeiten in der Industrie und im allgemeinen Dienstleistungsbereich betraut.

Beschlüsse: 08.10.1999 NR - Die Diskussion wird verschoben.

Mitunterzeichnende: Dettling Toni Eberhard Toni Fehr Hans Heim Alex Imhof Rudolf Leu Josef (6)

176 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Nationalrat 99.3271: Ip Reimann Maximilian 15. Juni 1999

Fragwürdige Aussagen der Bundespolizei über die Rechtsex- tremistenszene Eingereichter Text In der Sendung «10 vor 10» vom 13. April 1999 berichtete das Fernsehen DRS über eine angeblich ungebremste Szene ge- walttätiger rechtsextremistischer Jugendlicher im aargauischen Dorf Gipf-Oberfrick. Der Gemeinderat von Gipf-Oberfrick ver- wahrte sich in einer öffentlichen Stellungnahme vom 19. April 1999 in aller Form gegen diese Sendung, weil sie «die tatsäch- lichen Verhältnisse in keiner Art und Weise widerspiegelt». Auch das Bezirksamt Laufenburg sowie die Kantonspolizei Aargau konnten auf meine Anfrage hin die im TV-Beitrag be- haupteten Vorfälle in keiner Weise bestätigen. In seinem Schlussbericht vom 12. Mai 1999 kommt auch Otto Schoch, Ombudsmann DRS, zur Erkenntnis, dass der TV-Beitrag gegen das Gebot der Sachgerechtigkeit verstossen hat, insbesondere in seiner räumlich-geographischen Dimension. Der TV-Beitrag stützte sich in erster Linie auf Dominique Reymond, den Spre- cher der Bundesanwaltschaft bzw. der Bundespolizei, als Kron- zeugen. Dieser bestätigte im Film, dass gegen besagte Szene in Gipf-Oberfrick polizeiliche Ermittlungen durchgeführt wurden, dass eine Anzahl Leute aus Gipf-Oberfrick identifiziert und da- selbst rassistisches Material beschlagnahmt werden konnte usw.

In diesem Zusammenhang frage ich den Bundesrat an:

1. Warum ist im Staatsschutzbericht 1998 mit keinem Wort die Rede von besagter rechtsextremistischer Gewaltszene in Gipf- Oberfrick? Auch die nähere Umgebung, also das obere Fricktal, figuriert mit keinem Wort im Bericht. Die nächstgelegenen und im Bericht erwähnten Rechtsextremistenszenen finden sich im Raum Olten, im Suhren- und Wynental, in Maisprach/ BL sowie im Freiamt.

2. Hat der Bundesrat eine Erklärung dafür, warum der Bundes- polizei rechtsextremistische Vorfälle und Ereignisse aus Gipf- Oberfrick bekannt sein können, von denen die regionalen und kantonalen Polizeibehörden keine Kenntnis haben? Ist es nicht so, dass sich die Erkenntnisse der Bundespolizei über den ge-

Staatsschutzbericht 1999 177

Anhänge

walttätigen Extremismus in der Schweiz in erster Linie auf In- formationen der kantonalen Polizeikorps abstützen?

3. Kann die Bundespolizei ihre in besagtem TV-Bericht ge- machten Aussagen über das Dorf Gipf-Oberfrick belegen? Ge- gen wie viele Jugendliche aus Gipf-Oberfrick sind beispielsweise polizeiliche Ermittlungen gelaufen, und wie viele von ihnen gehören der gewalttätigen Skinhead-Szene an? Ist der Bundespolizei bekannt, dass sich die Gruppe, die sich einst «Böhse Patrioten» nannte, schon vor Jahresfrist aufgelöst hat?

4. Ist der Sprecher der Bundespolizei möglicherweise vom Fernsehen DRS dergestalt irregeführt worden, als man ihn ge- nerell über die Rechtsextremistenszene in der Nordwest- schweiz befragt hatte, seine Ausführungen dann aber im Filmbericht so wiedergab, als bezögen sie sich ausschliesslich auf das Dorf Gipf-Oberfrick? Wurde dem Sprecher der Bundes- polizei das Konzept des Beitrages, in dessen Zentrum aus- schliesslich ein Dorf und dessen Gemeinderat standen, in journalistisch korrekter Weise überhaupt vorgelegt?

5. Ist die Bundespolizei - zumindest im nachhinein - bereit, sich bei den zuständigen Instanzen (Kantonspolizei Aargau, Be- zirksamt Laufenburg) über die tatsächlichen Vorfälle und Erei- gnisse in Gipf-Oberfrick sachgerecht zu informieren und allfällige Falschaussagen zu korrigieren? Begründung Der Urheber verzichtet auf eine Begründung und wünscht eine schriftliche Antwort.

Antwort des Bundesrates 25. August 1999

Der Bundesrat beantwortet die vom Interpellanten gestellten Fragen wie folgt:

1. Der Staatsschutzbericht für das Jahr 1998 beruht auf den Erkenntnissen des Jahres 1998. Aktivitäten der kleinen rechts- extremen Skinhead-Gruppe «Böhse Patrioten Fricktal» (BPF) wurden bei der Bundespolizei erst Anfang 1999 bekannt. Ob diese Gruppe im Staatsschutzbericht für das Jahr 1999 Erwäh- nung finden wird, hängt von ihrer weiteren Entwicklung ab. Im übrigen ist darauf zu verweisen, dass auf Seite 32 des letzten Staatsschutzberichtes darauf hingewiesen wird, dass neben

178 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge den im Bericht erwähnten Gruppen überdies eine Anzahl von weiteren örtlichen Kleingruppen mit häufig wechselnden Grup- penbezeichnungen bestehen.

2. Der Kenntnisstand der Bundespolizei über rechtsextreme Ak- tivitäten der erwähnten Gruppe deckt sich mit demjenigen der lokalen und regionalen Polizeidienste, mit denen sie zu- sammenarbeitet. Zusätzlich sind der Bundespolizei Kontakte von Gruppenmitgliedern im Ausland und zur schweizerischen Hammerskins-Szene bekannt.

3. Selbstverständlich basieren alle Aussagen der Bundespolizei in der fraglichen Angelegenheit auf belegbaren Fakten. Gegen zwei Mitglieder der BPF erliess das Bezirksamt Laufenburg am 1. Juni 1999 Strafbefehl wegen Rassendiskriminierung. Im Strafbefehl werden sie als Mitglieder der BPF bezeichnet. Ein- zelne Mitglieder der Gruppe sind im Rahmen der präventiven Überwachung der gewaltbereiten Skinhead-Szene als Besu- cher rechtsextremer Veranstaltungen auf nationaler und inter- nationaler Ebene festgestellt worden. Es trifft nicht zu, dass sich die fragliche Gruppe vor Jahresfrist aufgelöst hat; in einem Polizeibericht der Kantonspolizei Aargau vom Januar 1999 wird u. a. aufgeführt, dass sich die BPF regelmässig an den Wo- chenenden besammle.

4. Die Aussagen des Mediensprechers der Bundesanwaltschaft bzw. der Bundespolizei sind vom Fernsehen DRS zwar teils gekürzt, aber insgesamt korrekt wiedergegeben worden. Von einer Irreführung kann nicht gesprochen werden.

5. Die Bundesanwaltschaft bzw. die Bundespolizei hat sachge- recht informiert. Für eine Korrektur von Falschinformationen besteht deshalb kein Anlass. Auf die Ausgestaltung der fragli- chen Fernsehsendung bzw. darauf, dass diese Medienbericht- erstattung über eine vornehmlich lokal aktive Gruppe von einzelnen Personen als überdimensioniert empfunden wurde, hatten die Behörden selbstverständlich keinen Einfluss. Zudem bezieht sich der vom Ombudsmann DRS festgestellte Verstoss gegen das Gebot der Sachgerechtigkeit auf die fragliche TV- Sendung und nicht auf die Aussagen des Mediensprechers.

Mitunterzeichnende: Keine

Staatsschutzbericht 1999 179

Anhänge

Einfache Anfragen

Nationalrat 98.1155 - EA Semadeni Silva Anita 6. Oktober 1998

Fall Dubois. Akteneinsicht Eingereichter Text Der Fall des 1957 auf tragische Weise gestorbenen Bundes- anwaltes René Dubois ist aufgrund neuer Forschungsergeb- nisse wieder aktuell geworden. Nachforschungen haben ergeben, dass Bundesanwalt Dubois damals u.a. gegen du- biose deutsche Geschäftsleute ermittelt hat. Dabei musste Du- bois auch gegen den Widerstand in den eigenen Reihen ankämpfen. Bislang unbekannte Belege werfen viele Fragen auf und rücken den Fall Dubois in ein neues Licht. Eine sorgfäl- tige historische Aufarbeitung und Klärung der Ereignisse ist aber wegen mangelnder Bereitschaft der Bundesanwaltschaft, Einsicht in die entsprechenden Dokumente zu gewähren, bis heute nicht möglich gewesen.

Ich bitte den Bundesrat um Beantwortung folgender Fragen:

1. Ist es nicht an der Zeit und liegt es nicht im öffentlichen In- teresse, dass der Fall Dubois, der damals so viel Staub aufwir- belte, aufgrund der neuesten Erkenntnisse, von der historischen Forschung wissenschaftlich aufgearbeitet werden kann?

2. Ist er auch der Auffassung, dass zur Klärung der Ereignisse im Fall Dubois, für wissenschaftliche Nachforschungen freie Ak- teneinsicht - insbesondere in den kriminaltechnischen Unter- suchungsbericht der Bundespolizei - sofort gewährleistet wer- den muss?

3. Kann er bestätigen, dass er im Hinblick auf die Inkraftset- zung des neuen Archivierungsgesetzes die notwendigen Vor- kehrungen getroffen hat, damit alle Verwaltungsstellen einschliesslich der Bundesanwaltschaft ihre vor 1970 erstellten Akten umfassend sichern, dem Bundesarchiv die nicht mehr benötigten Akten regelmässig übergeben und so der freien wis- senschaftlichen Forschung zugänglich machen? Durch welche Erlasse wird sichergestellt, dass dabei eine zuverlässige Nach-

180 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge vollziehbarkeit des Verwaltungshandelns auf Aktenbasis ge- währleistet ist? Wie wird der Vollzug dieser Erlasse gewähr- leistet?

Antwort des Bundesrates 24. Februar 1999

Anfangs 1957 erhielt der Vorsteher des Eidg. Justiz- und Poli- zeidepartements Kenntnis von einem unerlaubten Nachrichten- austausch zwischen Max Ulrich, Inspektor der Bundespolizei, und einem Attaché der französischen Botschaft in Bern. Bun- desanwalt Dubois wurde angewiesen, eine eingehende Abklä- rung durchzuführen. Im Ermittlungsverfahren behauptete der Attaché, Inspektor Ulrich sei unschuldig, und belastete statt dessen Bundesanwalt Dubois schwer. Dieser wählte kurze Zeit später den Freitod. 1958 verurteilte das Bundesgericht Inspek- tor Ulrich, der unbefugterweise dem französischen Agenten zwischen 1955 und anfangs 1957 vertrauliche Amtsakten aus- gehändigt hatte, wegen politischen Nachrichtendienstes und Amtsgeheimnisverletzung zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus. In seinem Bericht vom 23. August 1958 informierte der Bundesrat die Bundesversammlung ausführlich über die Angelegenheit Dubois/Ulrich (BBl 1958 II 676 ff.).

Akten zu dieser Angelegenheit sind sowohl im Bundesarchiv als auch beim Bundesgericht archiviert. Im April 1997 ersuchte eine Gesuchstellerin um Einsicht in die archivierten Akten Du- bois/Ulrich. Das von der Bundesanwaltschaft begrüsste Bun- desgericht lehnte die Einsicht in seine Archivakten mit der Begründung ab, für Prozessakten bestehe eine feste Sperrfrist von 50 Jahren und zudem seien die Prozessakten Ulrich als geheim klassifiziert. Die Bundesanwaltschaft stellte sich dar- aufhin gegenüber dem Bundesarchiv auf den Standpunkt, der ablehnende bundesgerichtliche Entscheid dürfe nicht dadurch unterlaufen werden, dass Einsicht in die - teilweise gleichen - Archivakten der Bundesanwaltschaft gewährt werde. Damit würden nämlich Rückschlüsse auf die gesperrten Archivakten des Bundesgerichts möglich. Ferner würde mit einer Einsichts- gewährung nur in die archivierten Teilakten der Bundesanwalt- schaft verfehlten Schlussfolgerungen Vorschub geleistet. Die Bundesanwaltschaft machte (und macht) jedoch ausdrücklich keine der Einsichtsgewährung entgegenstehende überwie- gende öffentliche oder private Interessen geltend. Im November 1997 wies das Bundesarchiv das Gesuch um Einsicht in die Ar-

Staatsschutzbericht 1999 181

Anhänge

chivakten der Bundesanwaltschaft unter Hinweis auf die Be- gründung der Bundesanwaltschaft ab.

Gegen diese Verfügung wurde beim Eidg. Departement des In- nern Beschwerde erhoben. Zwischen dem Eidg. Departement des Innern und dem Bundesgericht wurde daraufhin ein Mei- nungsaustausch eingeleitet, um verschiedene rechtliche Fra- gen im Zusammenhang mit einer möglichen Einsicht in die Akten Dubois/Ulrich zu klären. Ueber die Beschwerde ist noch nicht entschieden.

Zu den konkret gestellten Fragen äussert sich der Bundesrat wie folgt:

1. Sofern neue Erkenntnisse das nahe legen, würde der Bun- desrat eine neue historisch-wissenschaftliche Aufarbeitung der Angelegenheit Dubois begrüssen.

2. Bezüglich der Einsicht in die dem Bundesarchiv abgelieferten Akten zur Angelegenheit Dubois ist ein Beschwerdeverfahren hängig, dessen Ausgang abzuwarten ist.

3. Der Bundesrat kann bestätigen, dass mit dem vom Parla- ment verabschiedeten neuen Bundesgesetz über die Archivie- rung und der sich in Vorbereitung befindlichen Vollzugsverordnung alle notwendigen rechtlichen Massnahmen eingeleitet sind, um die Sicherung und Archivierung aller ar- chivwürdigen Unterlagen, die in Wahrnehmung einer Bundes- aufgabe entstehen, zu gewährleisten. Dies schliesst auch die Akten und Unterlagen der Schweizerischen Bundesanwalt- schaft mit ein. Das Schweizerische Bundesarchiv hat ausser- dem noch unter dem alten Archivreglement besondere Anstrengungen unternommen, um ältere Aktenbestände aus der Zeit vor 1970 zu sichern, damit die grundsätzlich frei zu- gänglichen Unterlagen im Archiv eingesehen werden können. Der Bundesrat will ausserdem mit Art. 22 RVOV (in Kraft seit 1.1.99) die Ueberlieferung und die Nachvollziehbarkeit bundes- staatlichen Handels sicherstellen. Entsprechende Weisungen und Arbeitshilfen sind in Erarbeitung. Im neuen Recht wird dar- auf verzichtet, dem Schweizerischen Bundesarchiv besondere Kontrollkompetenzen zuzuweisen. Der Bundesrat geht davon aus, dass die aktenführungs- und archivierungspflichtigen Stel- len diese Aufgaben verantwortungsvoll wahrnehmen.

182 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Nationalrat 99.1005 - EA Lauper Hubert 1. März 1999

Innere Sicherheit und Geiselnahme der PKK Eingereichter Text Die Schweiz ist ein traditionelles Aufnahme- und Asylland, das Ausländerinnen und Ausländer in grosser Zahl aufnimmt, die aus politischen Gründen in ihrem Heimatland verfolgt werden und die um ihr Leben und ihre Gesundheit fürchten müssen. Aus diesem Grund konnten zahlreiche Kurdinnen und Kurden in unserem Land Zuflucht und eine Arbeit finden. Dies ist nor- mal und auch richtig so.

Wenn jedoch die bei uns aufgenommenen Flüchtlinge Geiseln nehmen und illegal ausländische Vertretungen besetzen wie jüngst in Bern, Genf und Zürich nach der Verhaftung Öcalans, so sind unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger empört. Sie ak- zeptieren es nicht, dass unsere öffentliche Ordnung und die in- nere Sicherheit beeinträchtigt werden von Flüchtlingen, die wir aufgenommen haben und die Probleme in unser Land tragen, vor denen sie geflüchtet sind. Dieses Verhalten ist umso unan- nehmbarer, als sich die strafrechtliche Verfolgung dieser Ge- walttäter als schwierig erweist, da sie bei der Begehung der Taten oft vermummt waren.

Aus diesen Gründen stelle ich dem Bundesrat folgende Fragen: 1. Gedenkt der Bundesrat zu veranlassen, dass die Geisel- nehmer und die illegalen Besetzer der ausländischen Vertre- tungen im Rahmen der kurdischen Demonstrationen gegen die Verhaftung Öcalans strafrechtlich verfolgt werden? 2. Welche Massnahmen gedenkt der Bundesrat zu ergreifen, damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen, was ja zu Recht befürchtet werden muss, wenn Öcalan verurteilt wird? Antwort des Bundesrates 26. Mai 1999 Der Bundesrat hat bei der Beanwortung der Dringlichen Inter- pellationen Büttiker (99.3029; Öcalan, PKK und die innere Si- cherheit der Schweiz) im Ständerat und der Dringlichen Interpellationen der FDP-Fraktion (99.3028; Öcalan, PKK und die innere Sicherheit der Schweiz) und der SVP-Fraktion (99.3025; Aktionen von Kurden in der Schweiz) im Nationalrat

Staatsschutzbericht 1999 183

Anhänge

zu den jüngsten gewalttätigen Aktionen kurdischer Extremisten ausführlich Stellung genommen. Er ist dabei auch auf die bei- den im vorliegenden Vorstoss gestellten Fragen eingegangen und hielt dazu im wesentlichen folgendes fest:

1. Für den Bundesrat ist es klar, dass Gewalttätigkeiten der er- lebten Art in einem Rechtsstaat nicht geduldet werden dürfen. Es gibt keine politische oder sonstige Rechtfertigung für diese Gewaltakte. Der Rechtsstaat kann nur bestehen, wenn wider- rechtliche Handlungen konsequent geahndet werden. Es gilt namentlich, schnell, entschlossen, aber auch mit Augenmass die erforderlichen Strafuntersuchungen zu führen und ausge- sprochene Strafurteile zu vollziehen. Soweit Offizialdelikte vor- liegen bzw. soweit hinsichtlich anderer Delikte Strafanträge gestellt wurden, haben die Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen denn auch entsprechende gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren eingeleitet.

2. Weil weitere Aktionen kurdischer Extremisten nicht ausge- schlossen werden konnten, hat der Bundesrat bereits Mass- nahmen zum verbesserten Schutz bedrohter Objekte in Bundeszuständigkeit (Entlastung der Polizei durch Angehörige der Armee) sowie solche für einen verstärkten Staatsschutz beschlossen. Weiter hat der Vorsteher des EJPD die zuständi- gen Dienste des Bundes angewiesen bzw. die kantonalen Ju- stiz- und Polizeidirektoren schriftlich darum ersucht, die bestehenden gesetzlichen Grundlagen konsequent anzuwen- den. Ein Verbot der "Kurdischen Arbeiterpartei" (PKK) betrach- tete der Bundesrat zurzeit nicht als sinnvoll; sollten die getroffenen Massnahmen nicht zum Ziele führen, müsste es dennoch in Erwägung gezogen werden. Die jüngsten Erei- gnisse haben schliesslich gezeigt, dass die schweizerischen Polizeikorps bei der Bewältigung mehrerer zeitlich zusammen- fallender sicherheitspolizeilicher Grossereignisse an ihre Kapa- zitätsgrenzen stossen. Diesem Umstand muss mit einer Ueberprüfung des schweizerischen Systems der inneren Si- cherheit gemeinsam mit den Kantonen Rechnung getragen werden.

In der Zwischenzeit hat der Bundesrat am 31. März 1999 die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Unbekannt (Mitglieder und Sympathisanten der kurdischen Organisation PKK) wegen Geiselnahme zur Nötigung von Behörden des Bundes oder des Auslandes (Art. 185 i.V. mit Art. 340 Ziff. 1 StGB), eventuell

184 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge wegen Hausfriedensbruches und Sachbeschädigung gegen- über völkerrechtlich geschützten Personen und Einrichtungen (Art. 186 und Art. 144 i.V. mit Art. 340 Ziff. 1 StGB) erteilt. Am 6. April 1999 hat die Bundesanwaltschaft in dieser Strafsache die Strafverfolgung und die Beurteilung den Behörden der Kan- tone Zürich, Genf und Bern übertragen.

Empfehlungen

Ständerat 99.3014 Emp Merz Hans-Rudolf 1. März 1999

Umwandlung des "Jahr 2000 Delegierten" Eingereichter Text Der Bundesrat wird eingeladen, auf den 01.01.2000 die Stelle des "Jahr 2000 Delegierten" in einen "Information Assurance Delegierten" umzuwandeln bzw. zu erweitern.

Schweiz Unternehmen und Haushalte weisen einen hohen Stand an PC und Informatik auf. Die interaktiven Möglichkeiten und Netze werden zunehmend genutzt. Die Schweizer Wirt- schaft hängt stark von Informatik bezogenen Branchen (Ban- ken, Versicherungen, Maschinen) ab. Diese Abhängigkeiten bilden ein wachsendes Sicherheitsrisiko sowohl in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft (information assurance) als auch im Bereich militärtechnischer Entwicklungen (information warfare). Durch Zerstörung von Hardware, Störung von Software oder Manipulation von Inhalten können unermessliche, das ganze Land betreffende Schäden entstehen.

Im Bericht der Studienkommission für strategische Fragen vom Februar 1998 (Brunner-Bericht) wird mehrfach und in allgemei- ner Form auf diese Problematik hingewiesen und u.a. vorge- schlagen, einen umfassenden Nachrichtendienst sowie einen nationalen Sicherheitsrat zu schaffen. Die Forschungsstelle sowie für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse an der ETHZ ergänzt diese Anregungen um weitere flankierende Massnah- men wie die Schaffung eines permanenten Forums Wirt- schaftspolitik, eines sozialpolitisch orientierten "Netz Schweiz" oder eines "Info-Cross" Schweiz in Anspielung auf das Rote Kreuz.

Staatsschutzbericht 1999 185

Anhänge

Auch der Bericht über die Strategische Führungsübung 1997 (SFU 97) enthält Anträge und konkrete Massnahmen zur In- griffnahme von "information assurance" und "information war- fare" als sicherheitspolitische Bedrohungen der Zukunft. Es werden die Schaffung eines Krisenstabes "information assu- rance" als Vorläufer für einen interdepartementalen Sonderstab "Informationssicherheit" sowie die Bildung einer "information assurance Gruppe" vorgeschlagen. Gedacht ist ein Frühwarn- und Reaktionssystem.

In der Analyse stimmen die allgemeinen Linien der genannten und weiterer Fachgremien überein. Bezüglich der zu treffenden Massnahmen herrscht jedoch begreiflicherweise noch Unsi- cherheit, da das Gebiet neu und vielfach unbekannt ist. Bis zur Verankerung von neuen sicherheitspolitischen Organen wird es noch etliche Zeit dauern. Deshalb besteht überbrückender Handlungsbedarf. Es geht einerseits darum, im Krisenfall un- verzüglich ein handlungsfähiges Organ zu besitzen. Und an- derseits braucht der Bundesrat ein Planungsinstrument, das mithilft, Ordnung in die skizzierte Diskussion um Institutionen und Gremien zu bringen. Hier empfiehlt sich ein rascher und pragmatischer Weg.

Der Auftrag des "Jahr 2000 Delegierten" liegt in Richtung und Arbeitsmethodik nahe an den Bedürfnissen zu Handhabung von "information assurance" und "information warfare". Der Jahr 2000 Delegierte spielt nämlich Katalysator zugunsten von Wirtschaft, öffentlichen Institutionen und Verwaltung, nament- lich auch der zentralen Versorgungsbereiche unseres Landes. Er kennt deshalb die Schwachstellen und die Verwundbarkeiten in deren Informationsbereichen.

Er hat zudem zur Aufgabe: die Sensibilisierung für die Proble- matik, die Förderung des Erfahrungsaustausches und die Un- terstützung beim Handeln. ER verfügt sodann über ein Team zur Mitarbeit. Die Stelle ist ausserhalb der Bundesverwaltung angesiedelt, was von Vorteil ist. Mit der Auflösung der Stelle des Delegierten nach dem 01.01.2000 besteht die Gefahr des Wissens- und Erfahrungsabflusses in einem sensiblen Bereich unseres Landes.

186 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Stellungnahme des Bundesrates 26. Mai 1999

Der Bundesrat ist sich der Chancen und Risiken der Neuen In- formations- und Kommunikationstechnologien (NIKT) bewusst. Er hat sich deshalb am 18. Februar 1998 anlässlich der Verab- schiedung der "Strategie für eine Informationsgesellschaft in der Schweiz" für ein ganzheitliches und koordiniertes Vorgehen bei der Umsetzung dieser Strategie ausgesprochen. Die De- partemente und die Bundeskanzlei wurden beauftragt, die ent- sprechenden Umsetzungsmassnahmen an die Hand zu nehmen. Zur Abstimmung der verschiedenen Aktivitäten wurde eine interdepartementale "Koordinationsgruppe Informationsge- sellschaft" (KIG) unter der Leitung des BAKOM geschaffen.

Während das Jahr-2000-Problem im Kern eine technische Un- zulänglichkeit der verschiedenen Informatiksysteme darstellt und von beschränkter zeitlicher Dauer ist, handelt es sich beim Schutz der Informatik- und Telekommunikationsinfrastruktur der Informationsgesellschaft Schweiz um eine neue, vielschichtige Problemstellung von unbeschränkter Dauer. Die Definition ziel- führender Massnahmen setzt daher eine fundierte Problem- analyse unter Einbezug von Privatwirtschaft und Wissenschaft voraus. Aufgrund der Auswertung der "Strategischen Füh- rungsübung 97" (SFU 97) hat der Bundesrat daher die KIG am 1. Juli 1998 beauftragt, ihm bis Mitte 1999 ein Konzept (Ziele, Aufgaben, Prozesse, Instrumente, Strukturen) für den Bereich "Information Assurance" vorzulegen.

Der Bundesrat anerkennt damit die Bedeutung des Problems der "Information Assurance" und wird aufgrund der ihm ab Mitte 1999 vorliegenden Entscheidungsgrundlagen über das weitere Vorgehen entscheiden. Er möchte daher diesen Resultaten nicht vorgreifen.

Erklärung des Bundesrates 26. Mai 1999

Der Bundesrat beantragt, die Empfehlung abzulehnen.

Beschlüsse: 1.6.1999 - Zurückgezogen.

Staatsschutzbericht 1999 187

Anhänge

Anhang D ______

Bundespolizei auf dem Internet

Immer mehr Privatpersonen wünschten im Jahr 1999 Informatio- nen und Dokumente über das Internet. So hat sich das Elektro- nische Meldeformular an die Bundespolizei zu einem beliebten Instrument für Anfragen und Mitteilungen entwickelt. Ausserdem wurde das Informationsangebot laufend erweitert. Grössere Bro- schüren sowie Dokumentationen können auch im PDF-Format gelesen und ausgedruckt werden. Diese Dienstleistungen stehen unter der Internet-Adresse http://www.bupo.admin.ch uneinge- schränkt zur Verfügung. Aus folgenden Bereichen können Infor- mationen abgerufen werden:

! Aktuelles ! Pressemitteilungen ! Publikationen (wie u.a. der vorliegende Bericht) ! Aufgaben der Bundespolizei ! Kontrolle der Bundespolizei ! Links ! Mitteilungen per E-Mail

Auch in Zukunft möchten wir unser Web-Angebot laufend den aktuellen Bedürfnissen anpassen. Wir sind deshalb jederzeit für diesbezügliche Hinweise und Informationen dankbar. Diese nehmen wir auch per E-Mail entgegen.

188 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Anhang E ______

Abkürzungsverzeichnis

AHG Ad Hoc Group AIOS Abteilung Informations- und Objektsicherheit AIS Armée Islamique du Salut ALF Animal Liberation Front ASIS American Society for Industrial Security BBT Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BND Bundesnachrichtendienst BPF Böhse Patrioten Fricktal BR Brigate Rosse/Rote Brigaden BWIS Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit BWÜ B-Waffen-Übereinkommen CEN Comité Européen de Normalisation ChKV Chemikalienkontrollverordnung CIVPOL Civilian Police Monitors (Zivilpolizeibeobachter) COMINT Communications Intelligence CSE Communications Security Establishment CTBT Comprehensive Test Ban Treaty DABK Ostanatolisches Gebietskomitee DBI Deutsche Bürgerinitiative DHKP-C Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front DSD Defence Signals Directorate EAV Elektronische Aktenverwaltung ECHELON Abhörnetzwerk

Staatsschutzbericht 1999 189

Anhänge

ETA Baskenland und Freiheit FAPSI Föderale Agentur für Regierungsverbindung und Information beim Präsidenten der Russischen Föderation FBI Federal Bureau of Investigation FEYKA Kurdische Arbeiter- und Kulturvereine FIS Front Islamique du Salut FLNC Front de Libération National Corse FMCT Fissile Material Cut-off Treaty GCHQ Government Communications Headquarters GCSB Government Communications Security Bureau GIA Groupe Islamique Armé GKG Güterkontrollgesetz GKV Güterkontrollverordnung GSPC Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten GWK Grenzwachtkorps IAEA Internationale Atomenergie-Agentur ICAO International Civil Aviation Organization IMS International Monitoring System IPTF International Police Task Force IRA Irish Republican Army ISIS Staatsschutz-Informations-System IWF Internationaler Währungsfonds KFOR KGB Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der (ehe- maligen) UdSSR KMG Kriegsmaterialgesetz KMV Kriegsmaterialverordnung KPC Kosovo Protection Corps LDK Demokratische Liga Kosovas LfV Landesamt für Verfassungsschutz

190 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

LIDD Ligue islamique pour le Djihad et Dâawa LKCK Nationale Bewegung für die Befreiung Kosovas LPK Volksbewegung für die Republik Kosova LTTE Liberation Tigers of Tamil Eelam MfS Ministerium für Staatssicherheit MLKP Marxistisch-Leninistisch Kommunistischer Partei-Auf- bau NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikpakt) NIS Nationale Initiative Schweiz NSA National Security Agency OECD Organization for Economic Co-operation and Development OK Organisierte Kriminalität OPCW Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa PIRA Provisional IRA PKK Arbeiterpartei Kurdistans PMG Police Monitoring Group POF Patriotischer Ostflügel POF FL Patriotischer Ostflügel Fürstentum Liechtenstein PPDK Partei für den demokratischen Fortschritt des Kosovo PSPV Verordnung über die Personensicherheitsprüfungen RAF Rote Armee Fraktion RAZ Revolutionärer Aufbau Zürich seco Secrétariat d'Etat à économie SHS Schweizerische Hammerskins SIS Secret Intelligence Service SprstG Sprengstoffgesetz StB Staatssicherheitsdienst STOA Science and Technology Options Assessment Panel SUVA Schweizerische Unfallversicherungsanstalt

Staatsschutzbericht 1999 191

Anhänge

SVR Ziviler Auslandnachrichtendienst der Russischen Föderation THKP-C Türkische Volksbefreiungspartei/-front TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten UCK Befreiungsarmee von Kosova UGND Untergruppe Nachrichtendienst UKUSA United Kingdom / United States of America UNMIK United Nations Interim Administration Mission in Kosovo UNO United Nations Organization UNSCOM UN-Sonderkommission USBV Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen VEREX Verifikationsexpertengruppe WAP Wireless Application Protocoll WFD Wissenschaftlicher Forschungsdienst WG Waffengesetz WV Waffenverordnung WTO World Trade Organization ZSP Zentralstelle Sprengstoff und Pyrotechnik ZSW Zentralstelle Waffen

192 Staatsschutzbericht 1999

Anhänge

Anhang F ______

Verzeichnis der Organisationen und Gruppen

Aeroflot ...... 94 AIS...... 56, 57 ALF...... 30, 31 Arische Aktion Bern...... 17, 21 AUM ...... 88, 122, 124, 125 Berserker...... 19, 21 Blood & Honour ...... 16, 17, 21 BND...... 74 BPF ...... 19, 178, 179 BR ...... 11, 29 CIVPOL ...... 114, 115, 116, 132 CSE ...... 72 DABK...... 46 DBI ...... 110 Devrimci Sol ...... 45, 46, 47 DHKP-C...... 45, 46, 47, 48, 113 DSD...... 72 ETA ...... 10 FAPSI ...... 69, 74 FBI...... 123 FIS...... 56, 111 FLNC...... 10 Gamaa al Islamija...... 10, 56, 58 GCHQ...... 72 GCSB ...... 72 GIA ...... 11, 56, 57 Gruppe F ...... 80 GSPC ...... 56 InfoSurance ...... 118, 121 IPTF...... 114, 116 IRA/PIRA ...... 10 Islamischer Jihad...... 58 Kameradschaft Wynenthal-Surenthal...... 19 KFOR ...... 9 KGB...... 63, 78, 79, 80, 81 KPC...... 53

Staatsschutzbericht 1999 193

Anhänge

La Reinette Verte ...... 35 LDK ...... 53 LfV...... 65 LIDD ...... 57 LKCK...... 53 LPK ...... 53 LTTE ...... 61, 62, 113 Mabetex ...... 94 Mafia ...... 93, 94 MfS...... 80 MI 6 ...... 66 MLKP ...... 113 Morgenstern ...... 18, 20, 21 Mossad...... 64, 65 Nationale Offensive ...... 17, 21 NATO ...... 9, 12, 32, 49, 50, 51, 121, 160 NIS ...... 18 NSA...... 72, 74, 75 OPCW ...... 83, 89 Organisation Bern ...... 17 OSZE ...... 114, 115, 116, 132, 158, 160 PKK .... 9, 11, 36, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 111, 113, 146, 150, 151, 155, 156, 157, 158, 159, 161, 164, 167, 183, 184 PMG ...... 114, 116 POF...... 18, 19, 20 POF FL...... 18 PPDK ...... 53 RAF ...... 11 RAZ ...... 29, 30, 32, 33 Rechte Schweizer Jugend...... 19 Revolutionärer Aufbau Schweiz ...... 30 Scientology...... 65, 122, 124 SHS...... 15, 16, 17, 18, 20, 21 SIS ...... 66, 110 Sonnentempler...... 122 StB ...... 81 SVR...... 63, 111 THKP-C...... 45, 46, 47, 48 TKP/ML ...... 45, 46, 47 UCK...... 11, 49, 50, 52, 53, 54, 55, 113, 150 UKUSA-Allianz ...... 72, 74 UNMIK...... 114, 115 UNO ...... 40, 42, 107, 114, 132, 160, 166, 169 UNSCOM ...... 87 Vereinigte Jugend Schweiz ...... 19 Volkssturm Mittelland ...... 19 Widerstandsbewegung Schwarzer Adler...... 19 WTO...... 12, 28, 34, 35, 119

194 Staatsschutzbericht 1999