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„Nie wieder bei einer großen Plattenfirma“: Sängerin Eigentlich ein verdammt heißer Feger Aimee Mann könnte ein berühmter Star sein. Doch die amerikanische Musikerin hat sich entschieden, Popmusik für Erwachsene zu machen.

VON CHRISTOPH DALLACH der Musikindustrie: Erbittert kämpft Leben wohl kaum mehr zu lösen sie für gute Musik und künstlerische sein. „Lass die Finger von mir, ich in Freitagmorgen im Dezember, Freiheit im Allgemeinen und ihre ak- tauge nicht für die Liebe – das ist die der Himmel über Los Angeles ist tuelle CD „Bachelor No. 2“ im Be- Idee des Films, und sie stammt von Egrau, es nieselt, Aimee Mann sonderen. Aimee Mann“, sagt Anderson, der kauert in einer Limousine Richtung Das ist seit zwei Jahren fertig, ihre Lieder so tragend mit der Flughafen, und das Lebendigste an seit einem Jahr geistert es durchs In- Handlung verwob wie einst Regisseur ihr sind die Grippeviren, die gerade ternet, und nun ist es endlich auch in Mike Nichols die Songs von Simon das Immunsystem der Künstlerin zer- deutschen Läden angekommen, hier and Garfunkel in „Die Reifeprü- legen. Wäre sie ein Star, ihr Manager zu Lande beworben und betreut von fung“. In einer Schlüsselszene des hätte sie längst nach Hause ge- einer richtigen Plattenfirma. Eine Films lässt Anderson in einer Collage schickt; hätte sie eine fürsorgliche Ausnahme, wie die Musikerin klar- alle Darsteller den Aimee-Mann- Plattenfirma, läge sie vielleicht auf stellt: „Es bleibt dabei, dass ich in Song „Wise Up“ singen. „Ich war dem Sofa und würde sich Gedanken Amerika nie wieder einen Vertrag bei schockiert“, sagt die Künstlerin, „als über ihre nächste Platte machen. einer großen Firma unterzeichnen ich das zum ersten Mal sah. Es ist Aber Aimee Mann ist allein: Sie ist werde. Europa ist einfach zu weit sehr merkwürdig, wenn einen die ei- Plattenfirma und Produkt in einem weg, als dass ich mich angemessen gene Musik zum Weinen bringt.“ und noch kein Star, obwohl sie es um alles kümmern könnte, deshalb längst verdient hätte. Deshalb muss wage ich diesen letzten Versuch. Und er Oscar ging natürlich an Phil sie nun zum Flughafen, auf eine Win- ich bleibe skeptisch.“ Collins. Für einen Schlager in ter-Konzertreise, zu deren Beginn sie Dass sie sich überhaupt dazu durch- DDisneys „Tarzan“. Hollywood schon total am Ende ist: „Ein paar gerungen hat, ist Resultat eines neu- bleibt Hollywood: Märchen ja, Wun- Pillen, ein paar Tropfen und etwas en Selbstbewusstseins am Ende von der nie. Die Nominierte trug es mit Vorsicht, dann geht das schon. Viel ein paar triumphalen Monaten. Im Fassung: „Ich hatte noch nicht mal schlimmer wäre es, zu Hause zu blei- vergangenen Jahrzehnt noch wurde eine Dankesrede vorbereitet, dafür ben – das kann ich mir einfach nicht sie wie kaum eine andere Musikerin bin ich einfach zu realistisch.“ leisten!“, sagt die zähe blonde Frau von der Kritik bejubelt und im glei- Gelohnt hat sich der Oscar-Wirbel und hustet. chen Maße von Musikmanagern ge- trotzdem – so viel Werbung kann kei- Seit gut einem Jahr, wahrscheinlich demütigt, und nun plötzlich stand sie ne Plattenfirma bezahlen. Auf ein- länger, so genau hat sie darüber noch im Shrine Auditorium von Los Ange- mal liefen Aimee Manns Lieder im nicht nachgedacht, ist die Musikerin les auf der Bühne der Oscar-Verlei- Radio und auf MTV. Weit über schon auf Achse: mal mit ihrem Ehe- hung, um ihren nominierten Song 300 000-mal hat sich der „Magno- mann , wie sie ein Sin- „Save Me“ einem Millionenpubli- lia“-Soundtrack inzwischen verkauft, ger-Songwriter, dann wieder solo mit kum vorzuspielen – ein Märchen, das eine kleine Sensation für eine Künst- Band. Immer wieder kreuz und quer sich vielleicht nur in Hollywood er- lerin, die sich seit einer Ewigkeit an- durch die Vereinigten Staaten, kleine eignen kann. hören muss, dass ihre Musik vom Abstecher nach Europa inklusive. Ei- Dank dafür gebührt dem Filmema- kommerziellen Standpunkt her un- ne zunehmend atemlose Tour de cher , der sei- brauchbar sei. Natürlich hatte sie er- Force, auf der „eine der besten nen Film „“ um die Musik wartet, dass bald nach der Oscar-Ver- Songwriterinnen ihrer Generation“ von Aimee Mann inszenierte. Ein Ge- leihung die Abgesandten aller großen („New York Times Magazine“) sich fühl, das besonders Menschen über Konzerne mit tollen Angeboten bei selbst und der Welt beweisen will, 30 befällt: Die Liebe ist ein großes ihr vorsprechen würden. Und natür- dass sie nicht kleinzukriegen ist. Rätsel, sie wird immer rätselhafter, je lich hat ihr die Antwort erst richtig

FOTO: GEORGE MANNFOTO: / CORBIS OUTLINE / INTER-TOPICS Denn Aimee Mann ist im Krieg mit älter man wird, und es wird in diesem Spaß gemacht: „Schert euch zum

1/2001 kultur SPIEGEL 7 Teufel!“ „Ein grandio- ser Moment, und ich ha- be keinen Augenblick gezögert“, sagt sie. Aimee Mann, 1960 in Richmond (US-Staat Vir- ginia) auf die Welt ge- kommen, hat das Leben schon früh als etwas un- angenehm Chaotisches wahrgenommen. Sie war drei Jahre alt, als die Be- ziehung ihrer Eltern in die Brüche ging. Und vier, als ihre Mutter sie entführte und auf eine ausgedehnte Reise nach Europa mitnahm. „Mein Vater ließ ein Jahr mit Privatdetektiven nach mir suchen.“ Zurück in Amerika, arbeitete sie sich mit der Gitarre ih- res Bruders durch die gesammelten Werke von Elton John und Neil „Schert euch zum Teufel!“: Songwriter-Ehepaar Young. Nach der High Aimee Mann und Michael Penn School entschied sie sich für eine Musikhochschule in men können, ihre Texte erzählen mit und landete schließlich in ei- wundersamer Poesie von Resignation ner Punk-Band. Das passte zwar zu und Enttäuschung. Dass Aimee ihrer aufgewühlten Gefühlslage, wi- Manns Musik dabei aber nie zu tris- dersprach aber ihrer Sehnsucht nach tem Gejammer verkommt, sondern Harmonie und Melodien. Anfang der Charme und die Hoffnung auf mär- Achtziger startete sie die Elektro- chenhafte Rettung bewahrt, darin New-Wave-Band ’Til Tuesday. Sie sah steckt vielleicht die wahre Größe ih- aus wie eine Witzfigur aus einem rer Kunst. B-Movie: Sie trug grotesk nach oben „Immer wieder haben mich Manager geföhnte Haare, für die Aimee Mann taxiert und sich wohl gedacht: Die ist sich bis heute geniert, sorgte aber groß, blond und attraktiv – die müs- mit der von ihr mitverfassten Hit- sen wir nur anständig aufbrezeln, single „“ dafür, dass sich dann ist sie doch ein verdammt das Debütalbum der Band in Ameri- heißer Feger. Dass ich eher in die Ka- ka mehr als 500 000-mal verkaufte. tegorie einer gehöre, ist Dass sie trotzdem ziemlich schnell ihnen nie in den Sinn gekommen“, den Spaß an ihrer Clownsgarderobe sagt Aimee Mann. und an Synthesizern verlor, irritierte nicht nur das Publikum, sondern iese Aneinanderkettung von auch ihre Band und ganz besonders Missverständnis, Unglück und die Plattenfirma. Das war Ende der DUnfähigkeit hatte zur Folge, achtziger Jahre: Ihre Band löste sich dass vor dem „Magnolia“-Soundtrack auf, und der Streit mit der Platten- und „Bachelor No. 2“, die nahezu industrie begann – mit immer ande- parallell erschienen, in fast zehn Jah- ren Firmen und Gesichtern. ren nur zwei CDs von ihr auf den Natürlich weiß auch Aimee Mann, Markt kamen und, kommerziell gese- dass dieser Krieg kaum zu gewinnen hen, nur wenig beachtet wurden. ist. Aber er war wohl leider nötig, um „Aimee Mann schreibt Songs wie einige der schönsten Lieder der ver- einst die Beatles – das Problem ist gangenen Jahre unters Volk zu brin- nur, dass das heute anscheinend nie- gen: Ihre Songs sind kunstvoll arran- manden mehr interessiert“, schrieb gierte Balladen, die es an Finesse mit der britische Schriftsteller Nick dem Besten von Burt Bacharach, den Hornby, ein glühender Verehrer der

Beach Boys und den Beatles aufneh- Künstlerin. GEORGE LANGEFOTO: / CORBIS OUTLINE / INTER-TOPICS

8 kultur SPIEGEL 1/2001 Sie schreibt Songs wie einst die Beatles – das Problem ist nur, dass das heute niemanden mehr interessiert.

Natürlich haben die Profis der Plat- Sie nahm sich einen Anwalt, kaufte Mitleid aber muss niemand mit ihr tenindustrie die Marktchancen dieser die Aufnahmen für „Bachelor No. 2“ haben, denn was wie eine Kapitu- Popmusik für Erwachsene längst von der Firma Interscope zurück und lation erscheinen mag, ist eher ein durchgerechnet, und sie haben fest- vertreibt die Platte seitdem über ihre eindrucksvoller Erfolg: Mehr als gestellt, dass es sich eher lohnt, ihre Website oder bei ihren Konzerten 150 000 Exemplare des „Bachelor Dollar in die Suche nach der nächs- und über unabhängige Plattenver- No. 2“- wurden in den USA ten Britney Spears zu investieren, als triebe. Das hat Aimee Mann für viele bereits verkauft. Und da Aimee Mann in eine 40-jährige, schwermütige Musiker in ähnlichen Nöten zu einer den Gewinn daraus mit keiner Plat- Frau mit Gitarre. Und wahrschein- unbeugbaren Kreuzritterin der guten tenfirma teilen muss, verdient sie lich haben sie, was das Kaufmänni- Musik werden lassen. Superego Re- „mehr Geld als je zuvor“. sche angeht, sogar Recht. Es ist ein- cords hat sie ihre Firma genannt, Das Einzige, was zurzeit auf der fach eine schlechte Zeit für Musik, „“ heißt ein Pro- Strecke bleibt, ist das Songschreiben. die nicht an Teenager adressiert jekt, das sie mit ihrem Mann ge- Denn das setzt Ruhe voraus. „Ich ha- ist. Deshalb entschloss sich Aimee plant hat und das zur Anlaufstelle be in den vergangenen zwei Jahren Mann, nachdem die Aufnahmen für ähnlich gebeutelter Künstler wer- nur ein neues Lied geschrieben und „Bachelor No. 2“ bei der damals zu- den soll. aufgenommen. Für die europäische ständigen Plattenfirma auf wenig Ge- Version von ,Bachelor No. 2‘.“ Ir- genliebe stießen („Wir hören keine ür all das ist Aimee Mann auf gendwann in 2001 soll Pause sein. Single!“), ihre Karriere selbst in die Dauertournee. „Ich organisiere Hoffentlich. Aber jetzt muss Aimee Hand zu nehmen. „Ich wusste, dass Falles, zahle meine Pressebil- Mann erst mal zum Flughafen. Nach ich mich nicht mehr um die Regeln der, schreibe die Infos, entwerfe Seattle. Dann Portland. Und danach dieser Menschen kümmern möchte, die CD-Hüllen und Konzertplaka- weiter. Immer weiter. und begrub gleichzeitig den Traum, te und klebe die Briefmarke auf je- ...... dass sie mich eines Tages verstehen den Umschlag, der mein Büro ver- CDs: „Bachelor No. 2“ (V2/Zomba), würden.“ lässt!“ „Magnolia“ (Wea/Warner).