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SPIEGEL-GESPRÄCH „Mir haut niemand auf den Kopf“ über die Pubertät eines Tennisprofis, und den Generationswechsel

Hingis, 16, gilt als Gegenentwurf zu gescheiterten Talenten wie Jennifer Ca- priati. Ihre Mutter Melanie und ihr Manager Damir Keretic setzten – bislang erfolgreich – auf eine vergleichsweise be- hutsame und vielseitige Ausbildung des Jungstars. Hingis, die vor den in Melbourne auf Platz vier der Weltrangliste stand, lebt in Trübbach (Schweiz) und Rozˇnov (Tschechien).

SPIEGEL: Martina, die Tenniswelt erwartet für 1997 das Duell der Nummer eins Steffi Graf mit der Aufsteigerin Martina Hingis – Sie auch? HINGIS: Ja, klar, jedenfalls wünsche ich es mir. Es gibt im ja meistens ein Duell an der Spitze der Weltrangliste, nun könnte es ruhig Graf gegen Hingis heißen. Ich trainiere jetzt seit 14 Jahren für das Ziel, Nummer eins zu werden, und so lang- sam gibt es keinen Grund mehr, warum es nicht klappen sollte. SPIEGEL: Sie sind erst 16 Jahre alt, aber Sie werden ungeduldig? HINGIS: Werde ich nicht, nein. Ich habe nur die Chance, jede andere zu schlagen, und da wäre es einfach dumm, nicht an die Nummer eins zu denken. SPIEGEL: Woher nehmen Sie die Zuversicht, Steffi Graf schon ablösen zu können? Ge- wonnen haben Sie erst einmal gegen sie. HINGIS: Es wird schwerer für sie. Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich habe eine Hochachtung vor Steffis Erfolgen.Aber die Zukunft gehört eher mir als ihr. Ihre Knie und ihr Rücken zwicken. Die neue Be- rechnung der Weltrangliste ist nicht günstig für sie … SPIEGEL: … weil die Profis im Vorteil sind, die viele Turniere spielen … HINGIS: … und ihre Rückhand ist angreif- bar.Wer selbstbewußt gegen sie antritt und versucht, sie über den Platz zu scheuchen, hat gegen Steffi eine echte Chance. SPIEGEL: , die Nächstbeste, ha- ben Sie zuletzt gedemütigt. HINGIS: 6:2, 6:0. Ich bin frecher geworden und lasse mir von niemandem mehr auf den Kopf hauen. Monica hatte halt einfach keine Chance. SPIEGEL: Glauben Sie, daß Seles sich in Ihren Zweikampf mit Graf noch einmal einmischen wird? HINGIS: Ganz ehrlich? SPIEGEL: Wenn möglich. HINGIS: Ich glaube das nicht. Ich denke, daß sie es allen zeigen wollte, als sie nach REUTERS Das Gespräch führte Redakteur Klaus Brinkbäumer. Tennisprofi Hingis: „Ich will immer was Großes machen“

144 der spiegel 4/1997 AP Weltstars Seles, Graf*: „Schnell umziehen, schnell gewinnen, schnell duschen, schnell verschwinden“ dem Attentat zurückkam. Aber dann hat SPIEGEL: Sind Sie faul? ben mache und zufrieden bin. Sie meinte, sie ein paarmal verloren, und dann war HINGIS: Bequem. Ich will zwar immer was wenn ich schon Tennis spiele, dann bitte die Motivation weg. Sie war sicher mal eine Großes machen; wenn ich auf meinem schön richtig. Ich habe gelacht und sie nicht sehr gefährliche Spielerin, aber sie bringt Pferd sitze, mag ich auch nicht einfach her- ernst genommen. diese Leistung nicht mehr, weil sie ein paar umreiten, sondern muß über schwierige SPIEGEL: Aber in den vergangenen Mona- Kilo zuviel wiegt – und das Spiel ist schnell Hindernisse springen.Aber die Arbeit, die ten haben Sie drei Turniere gewonnen.War geworden. Monica ins Laufen zu bringen dafür nötig ist, stört mich. Siegen ist toll, die Krise also auch ein Neubeginn? ist nicht so schwierig. anfangen ist hart. HINGIS: Glaub’ schon. Spaß hatte ich ja SPIEGEL: Und was halten Sie von den an- SPIEGEL: Rebellieren Sie manchmal gegen selbst nicht, und dann habe ich irgendwann deren Koryphäen, Conchita Martínez oder die Trainingsmethoden Ihrer Mutter? wieder ernsthaft trainiert. Ich spiele ein- Arantxa Sánchez? HINGIS: Ich grinse über sie. Ich habe schon einhalb, manchmal zwei Stunden am Tag HINGIS: Sie sind alle sehr gut, ehrlich.Aber oft nein gesagt und gedacht: „Das können Tennis, und ich reite, wann immer es geht. sie werden älter. Die Sánchez spielt schon wir auch morgen noch machen.“ Aber Dazu kommt jeden Tag etwas anderes: Ve- ein bißchen zu langsam. Gegen ihre Vor- dann bin ich doch auf den Platz gegangen. lofahren, Rollerblading, Skifahren, Aero- hand kann man viel machen, sie hat keinen SPIEGEL: Warum? bic, Krafttraining. Und seit dem letzten richtigen Gewinnschlag. Gegen Conchita HINGIS: Aus Erfahrung. Wir sind ein Team, Jahr boxe ich. habe ich bisher zwar immer verloren; aber ich traue ihr, und wir sind weit gekommen. SPIEGEL: Gegen Menschen? schlägt die schon, und dann Und irgendwo tief drinnen habe ich natür- HINGIS: Nein, nein, das ist brutal, das mag müßte ich das auch schaffen. lich auch den Drang, die Beste zu werden. ich überhaupt nicht. Nur Training mit dem SPIEGEL: Im Damentennis steht also der Gegen meinen Willen würde gar nichts lau- Springseil und gegen Sandsäcke. Das Generationswechsel unmittelbar bevor? fen, das ist ganz klar. macht mich schneller und stärker. Und HINGIS: Ja, die Zeit ist reif dafür. Die Jün- SPIEGEL: Wann hatten Sie Ihre bislang größ- außerdem sind beim Boxen viele Jungs. geren kommen: Iva Majoli ist gefährlich, te Krise? SPIEGEL: Steffi Graf kritisiert öfters die spielt unheimlich HINGIS: Im Frühjahr 1996 hatte ich nicht mangelnde Fitneß vieler Spielerinnen. schnell, Anke Huber hat ihre Ruhe gefun- mehr soviel Lust. Können Sie das nachvollziehen? den. Und dann bin ich noch da. SPIEGEL: Sie wissen, was Pubertät ist? HINGIS: Es gibt viele, die mehr aus sich ma- SPIEGEL: Vor allen anderen. HINGIS: Ich habe davon gehört: Ausbrechen chen könnten, aber sie haben halt nicht HINGIS: Ja, zuletzt habe ich wirklich gegen wollen, nein sagen. Ich mochte damals ein- diesen Willen. Darum trainieren sie eben alle gewonnen. fach nicht mehr, habe gegen Spielerinnen auch nur auf dem Tennisplatz. SPIEGEL: Sie müßten nur abwarten, bis Stef- verloren, die schlechter sind als ich. Ich SPIEGEL: Haben Sie keine Angst, Ihren Kör- fi Graf ihre Karriere beendet. habe den Ball nicht mehr getroffen. per zu überfordern? Viele andere Teenager HINGIS: So läuft es nicht. Ich stand schon SPIEGEL: Weil es Sie zu den Gleichaltrigen mußten die Karriere beenden, bevor sie einmal lange auf Platz 20 herum, habe gut in Schule und Diskotheken zog? richtig begonnen hatte. damit gelebt und gedacht: „Bisher ging es HINGIS: Na ja, die Schule stand für mich nie HINGIS: Darum mache ich ja viele, ganz un- immer nach oben, nun wird es schon so so im Vordergrund. Ich habe die Situation terschiedliche Sportarten. Mein Leben ist weitergehen.“ Aber gar nichts passierte. gar nicht als so kritisch wahrgenommen, schön. Ich kann durch die Akropolis laufen Meine Mutter mußte mich immer ein ich wollte einfach gar nichts machen und und muß nicht warten, bis sie in den Schul- bißchen zur Arbeit zwingen. meine Ruhe haben. büchern drankommt.Wenn es geht, fahren SPIEGEL: Ihre Mutter hat Sie zum Weiter- wir zu Turnieren in Länder, wo ich noch nie * Bei der Verabschiedung der zurückgetretenen Argen- machen bewegt? war, und überall kann ich reiten. Oder es tinierin am 18. November 1996 in New HINGIS: Sie übt keinen Druck aus, sie will zieht mich magisch zum Einkaufen. Ich York. nur, daß ich irgend etwas aus meinem Le- habe nicht das Gefühl, daß ich leide.

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SPIEGEL: Weil Sie den Ruhm genießen? SPIEGEL: Wissen Sie, wofür Graf noch spielt? HINGIS: Mark Philipoussis, der Australier. Ich HINGIS: Es ist nicht so schlecht, berühmt zu HINGIS: Ich weiß es nicht, wir anderen Spie- mag dunkle Typen. sein, im Restaurant „Planet Hollywood“ lerinnen sehen sie kaum. Steffi ist immer SPIEGEL: Graf ist 27 Jahre alt, und Sie ha- von den Gästen erkannt zu werden. Es ist gestreßt und in Bewegung, sie muß immer ben die Rolle übernommen, die sie vor schön, und es macht mich stolz. Wenn ich irgend etwas machen. Wir haben keinen zehn Jahren als Herausforderin von Mar- nicht mehr mag, höre ich halt auf, und dann Kontakt, weil sie sich immer schnell um- tina Navratilova und hatte. Er- bin ich kein zerstörter Mensch, das ver- zieht, schnell gewinnt, schnell duscht und innern Sie sich noch an Ihre erste Begeg- spreche ich Ihnen. schnell verschwindet. nung mit Steffi ? SPIEGEL: Gescheiterte wie Jennifer HINGIS: Die war nicht so toll. Ich Capriati reisten mit ihrem Vater um war zehn Jahre alt, Schweizer Ju- die Welt. Spielt es eine Rolle, ob die gendmeisterin, und die Zeitung Mutter oder der Vater eine Spiele- blick hatte ein Treffen und einen rin trainiert? Fototermin organisiert. HINGIS: Bestimmt. Wir sind Freun- SPIEGEL: Aber? dinnen, die über alles reden. Der HINGIS: Steffi wollte nicht. Also hat Unterschied, auch zu Steffi oder Monica Seles das Bild mit mir ge- Monica, ist, daß ich mich früher ge- macht. O Gott, ich war nervös, habe wehrt habe. Zu ein paar Turnieren zu ihr hochgeschaut, sie war der werde ich bald auch allein fahren. große Star für mich. Ich konnte SPIEGEL: Wie reagiert Ihre Mutter noch überhaupt kein Englisch und auf Ihre Selbständigkeit? habe einfach nichts gesagt. HINGIS: Ich glaube, es ist okay. Sie SPIEGEL: Haben Sie seitdem ein be- weiß schon, daß sie nach meiner sonderes Verhältnis zu Seles? Karriere Kinder trainieren will. Und HINGIS: So etwas bleibt hängen. Als darum braucht sie mich nicht so, Monica zurückkehrte, sagte sie, Iva wie viele Väter ihre Töchter brau- Majoli und ich seien die einzigen, chen, wenn sie ihren Beruf aufge- die sich über ihr Comeback gefreut geben haben. hätten. SPIEGEL: Druck entsteht auch durch SPIEGEL: Profisport ist ein kaltes Ge- Sponsoren, durch Medien. schäft. HINGIS: Kann sein, aber ich will HINGIS: Ist das nicht traurig? Ich mein Leben so, wie es ist. Ich muß habe nicht mehr gemacht, als Mo- zwar im Winter wegen meiner Ver- nica ein paar nette Worte zu sagen träge nach Tokio fliegen, und da ist und ihr zu den ersten Siegen zu gra- es dann nicht so klasse – aber das ist tulieren. doch genauso auszuhalten wie zwei SPIEGEL: Hat sich das Verhalten der Tage Werbeaufnahmen oder ein anderen Ihnen gegenüber mit Ihren Spielchen mit Kindern. Erfolgen geändert? SPIEGEL: Fürchten Sie manchmal, HINGIS: Sehr. In Wimbledon etwa auf dem Platz zu versagen? spürt man das besonders. Da gibt es

HINGIS: Eben nicht. Meine Mutter M. NÖCKER / RINGIER eine spezielle Garderobe für die be- sagt immer: „Nur die Ungeschick- Talent Hingis, Vorbild Seles (1989): „Kein Wort gesagt“ sten 16, und da ist immer eine ko- ten fallen hin.“ Ich war immer ein mische Atmosphäre. Alle beobach- vorsichtiger Typ, aber gerade Sport ten sich gegenseitig, und inzwischen hat mich selbstbewußter und muti- beobachten alle mich. Ich werde re- ger gemacht. Wenn ich auf den spektiert und höflich behandelt, es Platz gehe, freue ich mich, daß ist für sie keine Schande mehr, gegen 10 000 Menschen da sind – aber mich zu verlieren. Sie haben mich in Angst habe ich nicht.Vielleicht ver- die Gesellschaft aufgenommen. liere ich, doch blamieren werde ich SPIEGEL: Und die Turnierveranstal- mich nie, weil ich einfach was kann. ter versorgen nun Sie mit den gün- SPIEGEL: Boris Becker hat mit 17 Jah- stigsten Spielansetzungen? ren Wimbledon gewonnen … HINGIS: Noch nicht, nein. Sie sagen HINGIS: … und das versuche ich in nur immer, daß sie die jungen diesem Jahr mit 16. Schauen Sie sich Mädchen schützen wollen, aber sie Boris an: Er ist eine Persönlichkeit tun es nicht. Beim Masters in New geworden in dem Rummel, es hat York … ihm nicht so wahnsinnig geschadet. SPIEGEL: … wo Sie im Finale in fünf

SPIEGEL: Bewundern Sie Becker? A. REISER / BILDERBERG Sätzen gegen Graf unterlagen … HINGIS: Vom Aussehen her mag ich Tochter Hingis, Mutter: „Wir sind Freundinnen“ HINGIS: … hatte ich den schlech- ihn nicht so, rote Haare gefallen testen aller Spielpläne: Montag, mir nicht besonders.Aber auf dem Platz ist SPIEGEL: Kann man das Steffi Graf vor- Freitag, Samstag, Sonntag. Steffi durfte er toll. werfen? Dienstag, Donnerstag, Samstag, Sonntag SPIEGEL: Sie sagten sehr früh sehr nüch- HINGIS: Ich meine nur, daß ich das anders spielen. tern, Sie würden wegen des Geldes spielen. machen will. Ich verbringe so viele Jahre SPIEGEL: Darum hatte sie im fünften Satz HINGIS: Wenn man auf Platz 30 steht, ist mit meinen Kolleginnen, da muß ich keinen noch Kraft und gewann 6:0? Geld wichtig für die Organisation, die Rei- Streit haben und keine Feindschaft. Ich will HINGIS: Ich sage nur: Wenn man das Duell sen, das Training. Da steht man unter Kontakte, ich will mit den anderen Mädchen Graf gegen Hingis wirklich will, muß man Druck. Aber wenn man oben ist, vergißt auf der Tribüne sitzen und diskutieren, wer auch etwas dafür tun. man das Geld. Man spielt für das Glücks- der schönste Mann auf der Tour ist. SPIEGEL: Martina, wir danken Ihnen für die- gefühl, ein großes Match zu gewinnen. SPIEGEL: Wer ist es? ses Gespräch.

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