Anna Bahr-Mildenburg in Den Augen Gustav Mahlers (Mit Dem Sie Auch Eine Längere Liebesbeziehung Verband) Die
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Bahr-Mildenburg, Anna Mannes und in Inszenierungen von Max Reinhard) „Anna von Mildenburg war die erste, durch deren Künst- lerschaft Mahler die großen Frauengestalten des Musik- dramas in ihrer ganzen erschütternden Macht zeigen konnte: Brünnhilde und Isolde, Ortrud und Elisabeth, Fi- delio, Glucks Klytämnestra und die Donna Anna; und auch Amneris und Amelia, die Milada des Dalibor, Pfitz- ners Minneleide und die Santuzza. Das Leid der Frau ist von keiner Schauspielerin, auch von der Duse nicht, in solcher Größe gestaltet worden wie von dieser Sängerin, in der alle dunklen Gewalten der Tragödie lebendig ge- worden sind. Unsere Zeit hat keine größere tragische Künstlerin als sie.“ (Richard Specht. Gustav Mahler. Berlin 1913, zitiert nach Franz Willnauer. Gustav Mahler. „Mein lieber Trotzkopf, meine süße Mohnblume“. Briefe an Anna von Milden- burg. Wien: Zsolnay, 2006, S. 439 f.) Profil Aufgrund ihrer fulminanten Stimme (hochdramatischer Sopran), ihrer sängerischen und persönlichen Ausdrucks- kraft und ihrer darstellerischen Intelligenz war Anna Bahr-Mildenburg in den Augen Gustav Mahlers (mit dem sie auch eine längere Liebesbeziehung verband) die Die Sängerin Anna Bahr-Mildenburg, Rollenbild von Julius ideale „singende Tragödin“, die seine Forderung nach Weisz, o. J. emotionalem Tiefgang der musikdramatischen Interpre- tation erfüllte. Im Bayreuth der Ära Cosima Wagner bril- Anna Bahr-Mildenburg lierte sie als überzeugende Interpretin des von Richard Geburtsname: Marie Anna Wilhelmine Elisabeth Wagner übernommenen Ideals des „deutschen Belcan- Bellschan von Mildenburg to“. Großen Ruhm erwarb sie sich auch als Lehrerin mit der damals völlig neuen Methode, die übliche Gesangs- * 29. November 1872 in Wien, Österreich ausbildung durch musikdramatischen Unterricht zu er- † 27. Januar 1947 in Wien, Österreich gänzen und ihre Schüler zu wahrhaftiger Bühnendarstel- lung anzuhalten. Szenisch und musikalisch hat sie damit In „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, 2. Auflage, vieles von dem vorweg genommen, was sich nach 1951 wird als Geburtsname ‘Mildenburg von Bellschau’ ange- als Neubayreuther Stil auf der Szene wie in der Musik geben; dies ist aber mit Blick auf den Taufeintrag vom durchsetzte. Ihre Personenregie, die sie ihren Inszenie- 22. Dezember 1872, nach dem der Geburtsname der rungen zugrunde legte, war umstritten. Künstlerin ‘Bellschan von Mildenburg’ lautet, offensicht- Orte und Länder lich unrichtig. Nach ihrem sensationellen Debüt als Brünnhilde in Ri- Sängerin, Gesangslehrerin, Opernregisseurin, chard Wagners „Walküre“ 1895 am damaligen Hambur- Journalistin, Vortragsveranstalterin, ger Stadttheater (heute Hamburgische Staatsoper) unter Nachlassverwalterin (im Hinblick auf den Nachlass ihres der Leitung ihres Mentors Gustav Mahler feierte Anna Ehemannes Hermann Bahr), Krankenschwester (im Bahr-Mildenburg weiterhin große Erfolge (z.T. als Gast- Ersten Weltkrieg), Schauspielerin (in Werken ihres sängerin) in Bayreuth und Wien, ferner in London, Ams- terdam, Zürich, Berlin, Augsburg, Brüssel, Paris und – 1 – Bahr-Mildenburg, Anna Moskau. Als „Lehrerin für Darstellungskunst“ bzw. als rektor des damaligen Hamburger Stadttheaters (der heu- Professorin für Gesang und Operndarstellung sowie als tigen Hamburgischen Staatsoper), der so begeistert von Opernregisseurin wirkte sie in München, Berlin, Salz- ihrem Können war, dass er Staegemann telegraphierte, burg und Wien, als Schauspielerin bei den Salzburger ihm die Künstlerin abwarb und sie an der Hamburger Festspielen. Bühne ab dem 1. September 1895 für drei Jahre unter Vertrag nahm. Schon während der Unterrichtszeit bei Ro- Biografie sa Papier ließ sich Anna Bahr-Mildenburg nicht mehr Anna Bahr-Mildenburg, geboren am 29. November 1872, mit dem Familiennamen ‚Bellschan von Mildenburg‘ an- wurde in eine zunächst in Wien, später in Klagenfurt an- sprechen, sondern nur noch mit ‚von Mildenburg‘ – ein- sässige Offiziersfamilie hineingeboren. Auffallend musi- fach, weil ihre Lehrerin fand, dass dies leichter zu mer- kalisch, erhielt sie vom siebten Lebensjahr an Klavier-, ken sei. später auch Gesangsunterricht. Ihre Begabung soll sie vom Großvater mütterlicherseits geerbt haben, der in sei- Stimmlich gut ausgebildet, war Anna Bahr-Mildenburg ner Jugend ein berühmter Sänger war. In Anna Bahr-Mil- bei ihrem Start in Hamburg nach Meinung Gustav Mah- denburgs achtem Lebensjahr zog die Familie von Klagen- lers in Bezug auf die dramatische Rollendarstellung noch furt nach Görz (in der Nähe von Triest gelegen). Der Ges- längst nicht qualifiziert genug, jedenfalls gemessen an angsunterricht, den sie bereits in Klagenfurt von Karl seinen Ansprüchen und vor dem Hintergrund seiner ge- Weidt erhalten hatte, wurde in Görz durch Helene Rieck- planten operndramatischen Reformen. Dennoch, wie er hoff-Pessiack fortgesetzt. Aber erst mit der Unterstüt- später an Natalie Bauer-Lechner schrieb, „leuchtete ihr zung des Lustspieldichters Julius Rosen, einem Woh- musikalischer und dramatischer Genius schon aus allem nungsnachbarn, konnte sie ihren Wunsch, Sängerin zu heraus.“ Für diese sängerischen Fähigkeiten fand sie in werden, bei ihren Eltern durchsetzen. Auf Bitten ihrer Gustav Mahler einen idealen Förderer, mit dem sie auch Gesangslehrerin Helene Rieckhoff-Pessiack und wohl bald ein intensives Liebesverhältnis verband. Er über- auch aufgrund der guten Verbindungen ihres Vaters, ei- nahm auch ihre weitere bühnendramatische Ausbildung. nes k.u.k. Majors, erhielt Anna Bahr-Mildenburg einen Ob sie miteinander verlobt waren, ist aus der erhaltenen Anhörtermin bei dem damaligen Wiener Hofoperndirek- Korrespondenz nicht mit Sicherheit festzustellen (die tor Wilhelm Jahn, der sie zu Rosa Papier-Paumgartner Antwortbriefe der Sängerin wurden entweder von Mah- weiterempfahl. Nach einem Jahr Privatunterricht bei Ro- ler selbst oder von seiner späteren Ehefrau Alma Mahler sa Papier wurde diese Professorin am Wiener Konserva- vernichtet, erhalten sind nur diejenigen Briefe, die Anna torium und nahm einige ihrer Schülerinnen, auch Anna Bahr-Mildenburg an Mahler ab etwa Frühjahr 1902 in von Mildenburg, mit dorthin. Hier erhielt diese erstmals seiner Funktion als Operndirektor schrieb.) Aus den Brie- dramatischen Unterricht durch den Oberregisseur der fen Mahlers an Anna Bahr-Mildenburg ergibt sich, dass Hofoper, August Stoll. Doch fehlte ihr, wie sie in ihren Er- die Beziehung wieder abgekühlt war, noch bevor Mahler innerungen berichtet, jegliche Körperbeherrschung und 1897 sein Engagement als Hofoperndirektor in Wien Koordination zwischen Gesang und Bewegung. Dement- (der späteren Staatsoper) antrat. Dennoch wurde sie auf sprechend habe Stoll „verzweifelt und ratlos“ vor ihrer seine Fürsprache hin ab dem 1. Juni 1898 als Ensemble- „Ungeschicklichkeit“ gestanden (Anna Bahr-Mildenburg: mitglied ebenfalls nach Wien verpflichtet, auch wenn sie Erinnerungen. Wien, Berlin: Wiener Literarische An- damit „jeglichem persönlichen Verkehre“ mit Mahler stalt, 1921, S. 9). Die Probleme waren offenbar so groß, „entsagen“ musste, wie es in einem Brief Mahlers vom Ju- dass die Sängerin für „vollkommen bühnenunfähig“ ge- li 1897 an sie heißt, und er von der Briefanrede „Liebste halten und ihr geraten wurde, Konzertsängerin zu wer- Anna“ zum förmlichen „Sie“ der Anfangszeit zurückkehr- den (ebd., S. 79). Erst nach mehrjähriger Übung gelang te. Woran die Beziehung letztlich zerbrach, ist aus Man- es Bahr-Mildenburg, sich in dieser Hinsicht entschei- gel an Dokumenten nicht zu klären. Eben deshalb dürfte dend zu verbessern. Stimmlich entwickelte sie sich je- es auch unzulässig sein, hierüber nur zu spekulieren und doch so gut, dass sie schon am Ende des ersten Ausbil- Bahr-Mildenburg als „schwierigen Star“ hinzustellen dungsjahres zunächst von dem Leipziger Operndirektor (vgl. hierzu aber Parizek, S. 147 und Max Staegemann engagiert wurde. Durch Vermittlung Würdigung von Rosa Papier-Paumgartner konnte Anna Bahr-Milden- burg aber auch noch Bernhard Pollini vorsingen, dem Di- – 2 – Bahr-Mildenburg, Anna Als talentierte und intelligente Sängerin sowie aufgrund „die Mildenburg, von sich selbst und von ihrer Kunst völ- der Unterweisung von Gustav Mahler und Cosima Wag- lig in Anspruch genommen, nur ein oberflächliches Inter- ner erwarb sich Anna Bahr-Mildenburg hohe Anerken- esse am Werk ihres Geliebten hatte und wahrscheinlich nung nicht nur durch emotionalen Tiefgang ihrer musik- auch vom Stil seiner Musik verwirrt“ gewesen sei (zit. dramatischen Interpretationen, sondern auch durch ihre nach Willnauer, a.a.O., S. 430). Welche dieser Einschät- perfekten sängerischen Leistungen. Überdies trug sie in zungen zutrifft, kann nur genauere Forschung zeigen. ihrem musikdramatischen Unterricht dazu bei, dass sie Tatsache ist, dass Mahler ihr, wie erwähnt, genauestens und ihre Schüler sich - allen zeitgenössischen Aussagen über die Fortschritte an seiner dritten Sinfonie berichte- zu Folge - durch ihre wahrhaftige Bühnendarstellung te und dies sicher nicht getan hätte, wenn er nicht musi- von vielen anderen Wagnersängern ihrer Zeit abhoben. kalisches und künstlerisches Einfühlungsvermögen hätte Szenisch und musikalisch gab es auf lange Zeit keine voraussetzen können. Künstlerpersönlichkeit, der Anna Bahr-Mildenburgs Aus- nahmerang im Wagner-Fach auch nur annähernd gleich- Bemerkenswert ist, dass Anna Bahr-Mildenburg zeit ih- gekommen wäre. Ihr Darstellungsstil blieb auch für die res Lebens ihr Denken, Fühlen und Tun beobachtet und Wagner-Inszenierungen nach 1951 noch wegweisend. akribisch festgehalten hat. Zahlreiche Tagebücher befin- den