Spiele der Rockets anzuschauen ist inzwi - schen eine Gelegenheit für mich, auf ent - SPIEGEL-GESPRÄCH spannte Weise Energie zu tanken. Da ist der Druck weg, der Frust, aber auch die Aufregung. Die Sharks sind mein Job und „Kein Spaß, kein Gold“ meine Verantwortung. Shanghai ist meine Heimatstadt. SPIEGEL: Das können Sie über Houston Der frühere NBA-Star Yao Ming, 2,29 Meter, über nicht mehr sagen? in Shanghai und Houston, die Auswirkungen der Ein-Kind-Politik Yao: Auch Houston ist Heimat. Meine El - tern leben noch dort, alle vier bis acht auf den Teamsport in und die Kunst des Verlierens Wochen besuche ich sie. SPIEGEL: Warum sind Ihre Eltern eigentlich Der Basketballer Yao, 33, ist einer der er - jemanden rätseln zu lassen. Was die in den USA geblieben? folgreichsten Sportler Chinas und der Amerikaner lernen können, ist vielleicht Yao: Es ist wärmer. Sie haben mich wäh - wohl bekannteste Chinese in den USA. eine besondere Art der Disziplin. rend meiner amerikanischen Jahre beglei - 2002 wechselte er zu den Houston SPIEGEL: Disziplin als Arbeitsweise? Als tet, viele Freundschaften geschlossen, Rockets, wo er bis zum Ende seiner akti - Trainingsmethode? und sie tun sich schwer, sich nach zehn ven Karriere im Jahr 2011 spielte. 2009 Yao: Wir verstehen den Begriff unter - Jahren für das eine oder andere, für Chi - kaufte er seinen Heimatclub Shanghai schiedlich. Bei uns in China ist Disziplin na oder die USA, zu entscheiden. Sharks, um ihn vor der Pleite zu retten. ein Wegweiser, der dich durch den Tag SPIEGEL: Und darum sind Sie allein zurück - Inzwischen managt er den Club und führt: Wann verlässt du das Haus, wann gekommen? spielt eine zunehmend wichtige Rolle im bist du im Büro, wann verreist du, wann Yao: Ich habe hier in China viel zu tun. öffentlichen Leben Chinas. bist du wieder zurück. In Amerika be - Hier ist mehr möglich, lässt sich vieles deutet Disziplin Selbstdisziplin: Du bist entwickeln. Meine Karriere nach meiner SPIEGEL: Herr Yao, wenn die Nation China an deinem Arbeitsplatz, du bist ein er - Zeit als Spieler findet in Shanghai statt. ein Basketball-Team wäre, was wären die wachsener Mensch, du weißt, was du zu SPIEGEL: War es grausam, als Spieler auf - Stärken dieser Mannschaft? tun hast. Auf ihre Weise sind beide Na - zuhören? Yao: Zunächst einmal haben wir einen tionen diszipliniert – nur ihr Deutschen, Yao: Ich hasse Verletzungen. Ich hatte seit Vorteil, weil kaum jemand außer ihr kennt euch bekanntlich am allerbes - 2008 eine ernste Verletzung am linken uns auf dem Spielfeld Chinesisch spricht, ten aus mit Disziplin. Sprunggelenk. 2009 wurde ich operiert. weil niemand unsere Absprachen ver - SPIEGEL: Worüber haben Sie in den ver - Die Ärzte waren brillant, sie haben einige steht (lacht). Nein, Fleiß und Ausdauer gangenen Tagen lauter gejubelt: über den Knochen zertrümmert und wieder neu sind unsere größten Stärken. Ein gutes Sieg der Houston Rockets gegen die Bos - aufgebaut. Ich ging für ein Jahr in die Team! ton Celtics oder den der Reha, kam zurück, dann hatte ich die SPIEGEL: Und die Stärken der USA? gegen die Eagles? nächste Verletzung. Yao: Gute Organisation, Kreativität, Effi - Yao: Über den der Sharks natürlich, ich SPIEGEL: Konnten Ihre Füße die schweren zienz. bin ja schließlich der Manager hier. Mir Landungen eines 2,29-Meter-Körpers SPIEGEL: Sie haben fast zehn buchstäblich nicht mehr er - Jahre lang in der texanischen tragen? Stadt Houston gelebt und ge - Yao: So war es wohl, und ich spielt. Wie kommen Sie damit kann nicht sagen, dass ich auf zurecht, sich ausgerechnet das Ende vorbereitet gewesen zwischen diesen beiden Län - wäre, ich war ja erst 30. Aber dern, zwischen diesen beiden es war eher ein langsamer Ab - Kulturen hin und her zu be - schwung als ein plötzlicher wegen? Absturz. Yao: Die beiden sind in der Tat SPIEGEL: Haben Sie daran ge - so unterschiedlich, dass ich dacht, als Trainer zu arbeiten? manchmal, nein sogar oft ver - Yao: Gedacht habe ich dar an. wirrt bin. Mein Hirn kommt Aber dafür fehlt mir die Erfah - mir dann vor wie ein Radio, rung. Ein guter Coach kennt bei dem ich die jeweils andere sich nicht nur mit Basketball Frequenz einstellen muss. Und aus, sondern vor allem mit es passiert, dass ich auf dem Menschen. Es geht um Kom - falschen Kanal empfange. munikation, um Psychologie. SPIEGEL: Die USA und China – SPIEGEL: Und das trauen Sie für viele ist das der Wett - sich nicht zu? Sie sind der bes - bewerb des 21. Jahrhunderts, te Basketballer, den China her -

nicht nur im Sport. Positiv S vorgebracht hat, die Spieler E G

gewendet: Was können diese A würden Sie respektieren. M I

Y beiden Kulturen voneinander T Yao: Ich habe nicht genug ge - T E G lernen? lernt, um junge Spieler zu trai - /

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Yao: Nicht nur die Länder, B nieren. Hinzu kommt, dass ich N

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auch die Menschen sind sehr R eine Ausnahme bin. Wer ist E N D unterschiedlich. Was wir Chi - I schon 2,29 Meter groß? Vieles, W

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nesen von den Amerikanern K was für mich gilt, passt für an - C O lernen können, ist Klarheit – R dere nicht. Mein Hakenwurf ja oder nein zu sagen, anstatt Basketballer Yao 2006: „Auf das Ende nicht vorbereitet“ ist ein anderer. Es gibt erfah -

# $"  ! 4/2014 117 Sport rene Trainer, die nie in der NBA gespielt SPIEGEL: Präsident Xi Jinping hat das Wort haben mögen – doch sie haben eindeutig vom „Chinesischen Traum“ geprägt, von mehr gelernt als ich. der Wiedergeburt der chinesischen Na- SPIEGEL: Europäern mag das nicht bewusst tion. Was ist Ihr Chinesischer Traum? sein, doch in den beiden größten Volks - Yao: Dazu beizutragen, dass China Bas - wirtschaften der Welt sind Sie berühmt. ketball-Olympiasieger wird. In Texas saßen Sie kürzlich mit dem SPIEGEL: Wie realistisch ist dieses Ziel? früheren Präsidenten George Bush dem Yao: Es wird lange dauern und viel Arbeit Älteren zusammen, in Chicago mit Ba - machen. Ich werde meinen Teil dazu bei - rack Obamas ehemaligem Stabschef tragen. Rahm Emanuel. Was reden Sie mit diesen SPIEGEL: Wie in der Wirtschaft und der Po - Leuten? litik fürchten manche, China werde auch Yao: Mit Bush habe ich Wein verkostet im Sport früher oder später die Welt be - und Geld für seine Stiftung gesammelt. herrschen. Nach Chicago kam ich, weil ich Chinas Yao: Nehmen Sie mal die großen, populä - Vize-Premierministerin Liu Yandong be - ren Sportarten unserer Zeit: Fußball, Bas - gleitete und ihr die NBA erklärte. ketball, Tennis, Radfahren. Von diesen SPIEGEL: Wie der Schauspieler Jackie Sportarten dominiert China bislang keine Chan sind Sie Mitglied der Politischen einzige. Ja, wir haben gute Schwimmer, Konsultativkonferenz des Chinesischen wir haben Liu Xiang, den Hürdenläufer. Volkes. Was tun Sie dort? Darum haben wir uns zusammengesetzt Yao: Das ist ein Beratergremium, das sich und festgestellt: Erfolg im Sport bedeutet O G einmal im Jahr trifft und der Regierung A erst einmal Spaß. M I

/ Ideen schickt und Vorschläge macht. Da SPIEGEL: Eine erstaunliche Erkenntnis? A N I sitzen einige der hellsten Köpfe und H Yao: Für uns schon. In all diesen populären C E N durchsetzungsfähigsten, ehrgeizigsten I Sportarten gewinnst du kein Gold, wenn G A M Persönlichkeiten des Landes drin, Profes - I du nicht Spaß hast. soren, Geschäftsleute, Menschen, die eine Familienmensch Yao* SPIEGEL: Ist das der Grund, warum es viele bestimmte Gruppe vertreten können. „Kinder brauchen Geschwister“ gute chinesische Einzelsportler gibt, das SPIEGEL: Und Sie vertreten die Sportler? Land in den meisten Teamsportarten aber Yao: Ich bringe ein, womit ich mich aus - Yao: Die Leute, die unser Land re-gieren, nicht so stark ist? kenne: Sport und private Wohltätigkeit. darunter Präsident Xi Jinping und Pre - Yao: Teamsport ist komplexer, da geht es Auf diesem Gebiet stehen wir in China mier Li Keqiang, sind welterfahrene Men - um Abstimmung, um Führung, auch dar - noch am Anfang. schen, die mehr gesehen haben als nur um, einander Opfer zu bringen. Ich res - SPIEGEL: Verstehen Sie sich als Botschafter China. Das gilt auch für viele unserer ho - pektiere jeden Einzelsportler, doch Team - Ihres Landes, sehen Sie eine politische hen Beamten, unserer Professoren, auch sport ist etwas anderes. Das kannst du Rolle für sich? für Leute wie mich. Wir teilen vielleicht nicht allein lernen, das musst du zusam - Yao: Wenn damit gemeint ist, dass ich den nicht denselben Traum, doch wir können men mit anderen ausprobieren. Und du Leuten aus einem bestimmten Grund et - uns auf Richtungen einigen. Und wir wis - musst Spaß haben. Kein Spaß, kein Gold. was Bestimmtes mitteilen möchte, dann sen, dass die Zukunft der Welt auf Kom - Bislang kämpfen wir im Sport zu sehr um nicht. Ich bin in China aufgewachsen, ich promissen beruhen wird. Aber: Kompro - Gold und zu wenig um Spaß. bin voll von chinesischer Kultur und chi - misse verlangen beiden Seiten etwas ab. SPIEGEL: Sie haben sehr früh angefangen nesischem Charakter. So bin ich, so möch - Man kann ein Land von 9,6 Millionen zu trainieren. Hatten Sie Spaß daran? te ich mich benehmen. Darüber hinaus: Quadratkilometern und mehr als einer Yao: Nicht wirklich. Doch ich hatte auch keine Botschaft. Milliarde Menschen nicht vor der Tür ste - noch eine andere Motivation. Meine El - SPIEGEL: In den USA wie auch in anderen hen lassen. Wir wollen mitmachen, wir tern waren Basketballer, es lag also in der Ländern haben viele Leute geradezu wollen Teil der Weltgemeinschaft sein. Familie, und ich war stolz darauf, ihnen Angst vor dem aufstrebenden China. Ist nachzufolgen. Spaß hat es allerdings erst Ihnen das bewusst? gemacht, als ich 16, 17 Jahre alt war. Yao: Ich kann die Leute nicht daran hin - SPIEGEL: Die Geschichte Ihrer Herkunft ist dern, so zu denken, und ich freue mich, in China bekannt – wie haben sich Ihre wenn sie mich dennoch mögen. Doch Eltern eigentlich kennengelernt? ein Botschafter ist jemand, der etwas, Yao: Genau wie meine Frau, die auch Bas - was nicht ihm gehört, an einen ande- ketballerin ist, und ich einander kennen - ren übergibt – und das bin ich nicht. Was lernten. Du gehst zum Training, du triffst ich vertrete, ist meine Herkunft, bin dich in der Schule. Wie man sich halt ken - ich selbst. Im Übrigen trage ich inzwi - nenlernt. schen auch einiges an Texanertum mit SPIEGEL: Man wusste früh, dass Sie groß mir herum. werden würden, und die Sportbehörden L SPIEGEL: E Sie sprechen Englisch mit texani - G wollten, dass Sie Basketballer werden. E I P schem Akzent. S Yao: Ich erinnere mich, dass eines Tages

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Yao: D Chinesisch-texanisch. ein paar Leute zu uns nach Hause ka- /

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SPIEGEL: Verstehen Sie die Furcht vieler N men und mich vermaßen. Meine Eltern I N

Menschen vor einem riesigen und immer W kannten natürlich viele Leute, die sich O R B

noch wachsenden China? N nach Talenten umsahen. Keine Ahnung, A H T

A was genau die zu meinen Eltern sagten – N O J doch seit ich in den USA war, weiß ich, * Oben: mit Ehefrau Ye Li und Tochter Yao Qinlei 2011; unten: Klaus Brinkbäumer und Bernhard Zand in Yao, SPIEGEL-Redakteure* dass das dort ganz ähnlich läuft. Auch Shanghai. „Es geht um Psychologie“ dort hören viele Kinder: „Du bist groß,

118 # $"  ! 4/2014 du solltest Basketball spielen.“ Viele tun das, und ich habe es auch gemacht. Bin ich in diese Richtung gedrückt wor - den? Ja, zum Teil stimmt das. Und trotz - dem war das ein Glück für mich, denn es stellte sich heraus: Ich liebe diesen Sport. SPIEGEL: Und wie fanden Ihre Eltern das? Yao: Die wollten das nicht. Meine Eltern beschützten mich. Inzwischen bin ich 33 und verstehe sie gut. Auch ich möchte nicht, dass meine Tochter Basketballerin wird, wenn sie das nicht ausdrücklich will. SPIEGEL: Sie ist dreieinhalb. Und groß? Yao: Ein bisschen größer als die anderen, ja. 1,10 Meter. Dieser Sport ist in mancher Hinsicht schwieriger als andere: Du musst nach deiner aktiven Zeit ganz von vorn anfangen, und die Verletzungsgefahr ist groß. Das mag mich heute noch nicht be - treffen, aber was wird, wenn ich 50 oder 60 bin? SPIEGEL: Sie sind, wie fast alle Chinesen Ihres Alters, ein Einzelkind. Yao: Ich gehöre zur ersten Genera tion nach Einführung der Ein-Kind-Po litik . SPIEGEL: Heute, 35 Jahre später, lockert die Regierung die Ein-Kind-Politik. Fin - den Sie das richtig? Yao: Ja, Kinder brauchen Geschwister. SPIEGEL: War diese restriktive Familien - politik ein Nachteil für Ihre Generation? Yao: Wir mussten nicht teilen, aber es bil - det die Persönlichkeit, wenn man zu tei - len lernt. Das haben wir versäumt. Und auch daher kommt unsere Schwäche in Mannschaftssportarten: Man muss sich aufeinander verlassen, solidarisch sein, Vertrauen erlernen – Einzelkinder tun sich damit schwer. SPIEGEL: Was werden Sie Ihrer Tochter sa - gen, wenn sie Basketballerin werden möchte? Yao: Ich werde ihr sagen, dass es im Sport nicht nur ums Gewinnen geht, sondern ums Gewinnen und Verlieren – und am Ende darum, aus Siegen und Niederlagen seinen Charakter zu formen. SPIEGEL: Sind Chinesen gute Verlierer? Yao: Ich bin es nicht. Wie ist es mit den Deutschen? Mir fällt das Bild des Mannes ein, der Anfang der siebziger Jahre die - sen berühmten Kniefall machte … SPIEGEL: … Willy Brandt, der in Warschau der Opfer der Nazi-Herrschaft gedachte. Yao: Richtig. Man sollte die Stärke eines Charakters nie unterschätzen. SPIEGEL: Wie steht es also mit den Chine - sen und mit der Kunst des Verlierens? Yao: Da müssen wir noch trainieren. Ge - rade ist ein chinesischer Roboter auf dem Mond gelandet, auch mit unserem Brutto - inlandsprodukt kommen wir gut voran. So etwas motiviert die Menschen. Aber du kannst nicht immer nur die Bonbons kriegen. Das lernen wir gerade. SPIEGEL: Herr Yao, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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