Der Zschokke-Nachlass im Staatsarchiv und in der Kantonsbibliothek in

enn im Folgenden die über 150-jährige Denkmal (Russendenkmal) in der Schöllenen und Geschichte des Nachlasses von Hein- weitere Dokumente, Briefe und Bildmaterial vor W rich Zschokke im Staatsarchiv und in allem von und über Heinrich Zschokke der Kantonsbibliothek, die bis jetzt nur ansatzwei- (NL.A0195). se erforscht worden ist, skizziert wird, ist mit zu Zschokkes Schweizer Bibliothek bedenken, dass Überlieferungsbildung zugleich ein Stück Rezeptionsgeschichte ist. Den Grundstock zu seinem Nachlass in Kantons- bibliothek und Staatsarchiv legte Heinrich Zusammensetzung des Nachlasses Zschokke selbst, als er aus Raumnot und Geldbe- Der Zschokke-Nachlass, wie er sich heute im darf 1847 seine „Schweizer Bibliothek“ um Staatsarchiv präsentiert, ist ein Familien- Fr. 1’000. an die Kantonsbibliothek verkaufte. nachlass, angereichert durch laufende Ankäufe der Sie umfasst eine reichhaltige Sammlung von Zeit- Kantonsbibliothek bzw. des Staatsarchivs, umfasst und Flugschriften aus der Zeit der Helvetik, Res- ca. 7 Laufmeter und bestreicht den Zeitraum von tauration und Regeneration und Publikationen zur 1771 bis 1975 (Signatur Staatsarchiv: NL.A0195 Zeitgeschichte inkl. Zschokkes eigene. Quellen- bis 0197). Das Herzstück ist der handschriftliche mässig ebenso bedeutend für die Zeitgeschichte Nachlass Heinrich Zschokkes im Umfang von drei ist die elfbändige amtliche eingehende und ausge- Laufmetern, enthaltend persönliche Dokumente, hende Korrespondenz und Aktensammlung, die Briefe, Kolleghefte, Materialien und Vorarbeiten Zschokke als Regierungskommissär des helveti- zu seinem Werk, Tage- und Reisetagebücher, amt- schen Kriegsministeriums für den Distrikt Stans, liche Akten aus der Zeit der Helvetik 17981801, dann in den Kantonen Waldstätte und Tessin Bildmaterial etc. (NL.A0196). 17991800 führte, ergänzt mit einer Aktensamm- lung über den Aufruhr der kleinen Kantone im September 1798 und über die Zustände im Tessin 17971801. Den Kern der „Schweizer Bibliothek“ bildet die hochinteressante Hand-, Zeit- und Flug- schriftensammlung zur Zürcher, Freiämter und Schweizer Geschichte und Zeitgeschichte von Fe- lix Lindinner von , Statthalter der Komturei Bubikon (17291807), die Zschokke von dessen Sohn angekauft hatte, wozu er Inhaltsverzeichnis- se u.ä.m. erstellte (Signatur: NL.A0108). Späterer Zuwachs In der Zeit danach pflegten Kantonsbibliothek und Staatsarchiv den Nachlass und das Andenken an Regal im Staatsarchiv des Kantons Aargau mit ei- Heinrich Zschokke mit dem Erwerb nicht nur von nem Ausschnitt des Zschokke-Nachlasses möglichst vielen Ausgaben und Auflagen seiner Fast ebenso umfangreich ist der Nachlass seines Schriften und von Werken über ihn, sondern auch Sohnes Theodor, des Arztes und Naturforschers von Briefen und Porträts: bis um 1960 z.B. 271 (18061866), mit persönlichen Dokumenten, Briefe an Heinrich und 46 an Nanny Zschokke. Briefen, Kollegheften, Materialien und Vorarbei- Der Familiennachlass erfuhr 1947 eine Bereiche- ten zu seinem Werk, Praxisunterlagen (u.a. Kran- rung durch die Schenkung des Teilnachlasses von kengeschichten), Protokollen als Bezirksarzt, Theodor Zschokke aus dem Besitz seiner Enkelin Zeichnungen etc. (NL.A0197). Der Familien- Martha Hunziker-Fleiner (18651944), der natür- nachlass ist ergänzt worden durch Schenkungen lich auch Henriciana enthielt, und 1954 überliess von Zschokke-Nachkommen wie etwa die Samm- die Zentralbibliothek Zürich der aargauischen Kantonsbibliothek Briefe an Theodor aus dem lung von Walther Zschokke (18701951) über Fo- Nachlass von Fritz Fleiner. to und Optik sowie die Dokumentation über das von Richard Zschokke errichtete Suworow-

1 Das Jahr 1960 bedeutete einen qualitativen radox, wenn man an seinen zum Klassiker zählen- Sprung in der Geschichte des Nachlasses in Kan- den „Zerbrochenen Krug“ denkt, der aus dem tonsbibliothek/Staatsarchiv: Der Bestand des sog. Wettbewerb mit Zschokke hervorgegangen ist, Zschokke-Stübchens, den die Nachkommen von während heutzutage Zschokkes literarische Pro- Emil Zschokke (18081889) der Stadt Aarau duktion eher zu den „Büchern aus der Krämerkis- 1894 als Geschenk übergeben hatten, mit Manu- te“ gezählt wird (Rudolf Schenda, Die Lesestoffe skripten, Briefen und Bibliothek, wurde in den der kleinen Leute, 1976). Auch der Brief Goethes damaligen Neubau von Kantonsbibliothek/Staats- mit vornehm zurückhaltender Kritik an dem ihm archiv über- und zusammengeführt, d.h. die Bib- von Zschokke zugestellten Artikel „Die farbigen liothek aus dem Stadtmuseum Alt-Aarau und der Schatten, ihr Entstehen und Gesetz“ vom 28. handschriftliche Nachlass aus dem Stadtarchiv März 1826 oder die Briefe von Wilhelm Behrend- Aarau. sen, dem Sohn von Heinrichs Jugendfreund Gott- Zschokkes Briefwechsel fried Behrendsen, gehören dazu: Das ist ein Hin- weis darauf, dass die Briefe unter Ernst Zschokke Der Bestand des Zschokke-Stübchens insgesamt nach auswärts ausgeliehen worden sind  und sind zeugt von der hingebungsvollen Pflege des An- alle wieder zurückgekommen? denkens an den „Stammvater“ Zschokke, dem sich vor allem der Sohn Emil und dessen Enkel Manuskripte, Notizhefte, Weinetiketten Ernst (18641937) widmeten. Emil sammelte Im handschriftlichen Nachlass befinden sich fer- Briefe seines Vaters wenn möglich im Original, ner persönliche Dokumente, Vorarbeiten zu oder er stellte Abschriften her bzw. liess sie her- Zschokkes Werk, Reisenotizen aus der Schweiz, stellen (394 Stück), so dass entgegen überliefe- Deutschland und Holland (18441847) und Noti- rungsgeschichtlicher Erwartung die Anzahl der zen zu den Sitzungen des Grossen Rats und des Briefe von Heinrich (852 Stück) und derjenigen Kirchenrats des Kantons Aargau (18191822). an ihn (887 Stück) sich ungefähr die Waage hiel- Geradezu anrührend wirken etwa die gesammel- ten, abgesehen von den zahlreichen in der Familie ten Etiketten, mit denen Zschokke die Weinfla- verschickten Briefen. Der Briefwechsel weist eine schen verzieren liess, die er seinem Schwiegerva- grosse Bandbreite auf, quantitativ, geographisch, ter Pfarrer Nüsperli als Dank für das von ihm an- sozial und inhaltlich. Die Briefe bedeutenderer gekaufte Bürgerrecht der Stadt Aarau 1823 Absender tragen den Stempel „Autographen- schenkte. Um 1900 wurden sogar Zschokkes Sammlung von Emil Zschokke in Aarau“, so etwa Schularbeiten in aus den Jahren die des bayerischen Ministers v. Abel, des Aka- 17841787 in zwei Bändchen gebunden, mit demieprofessors Amsler in München etc. Goldaufdruck versehen und in einen Schuber ge- steckt; der Besitzervermerk „Schokke“  so die ursprüngliche Laut- und Schreibform des Magde- burger Familiennamens  war zu „Zschocke“ kor- rigiert. Dieser handschriftliche Nachlass, beson- ders die Briefe, wurde nach dem 1943 erstellten Inventar von W. Pfister mit einer Kartei erschlos- sen, die seit jeher in der Kantonsbibliothek und dann im Staatsarchiv öffentlich zugänglich ist. Abstimmung mit der Kantonsbibliothek Emil und Ernst Zschokke hatten ausserdem die Werke des Vaters bzw. Urgrossvaters in Ausga- ben und Übersetzungen sowie die zugehörige Se- kundärliteratur gesammelt. Dieser Bibliotheksbe- stand von ca. 600 Einheiten ging 1960 als Depot- bibliothek der Stadt Aarau an die Kantonsbiblio- thek und ist seither vorbildlich auch elektronisch erschlossen (Signatur Kantonsbibliothek: ZSK). 1963 wurden die Sammlungen von Rudolf und Informationsdesk im neuen Staatsarchiv Walther Zschokke an Kantonsbibliothek/Staats- Mehrere Briefe an Zschokke haben den Stempel archiv geschenkt. Nach der Auflösung der Perso- „Zschokke-Stübchen Aarau“, so der erschütternde nalunion von Kantonsbibliothekar/Staatsarchivar Brief des existentiell zutiefst verunsicherten Hein- und der organisatorischen Trennung von Kan- rich v. Kleist vom 2. Januar 1802 aus Thun  pa- tonsbibliothek und Staatsarchiv 1967 ging der be-

2 stehende handschriftliche Familiennachlass in die Akten der Kulturgesellschaft Aarau, die Zschokke Obhut des Staatsarchivs über; in den Jahren 1975, mitbegründet hat. Das Staatsarchiv verwahrt sie 1980, 1990 wurde er weiter geäufnet durch Schen- als Depositum der Aargauischen Gemeinnützigen kungen von Gerold Hunziker, dem Sohn von Gesellschaft (Signatur: Dep001). Dazu kommen Martha Hunziker-Fleiner, enthaltend weitere Fa- die prozessgenerierten amtlichen Unterlagen im milienakten und Bildmaterial zur Familie Zschok- Staatsarchiv, in denen Zschokkes Tätigkeit in der ke-Nüsperli, Zschokke-Köchlin etc. Exekutive und Legislative des Kantons Aargau seit 1804 belegt wird und die seine zeitgeschicht- liche Einordnung ermöglichen.

Alter Karteikasten für den Zschokke-Nachlass Moderner Lesesaal im Staatsarchiv Anlässlich der Vorarbeiten zur Neuauflage des Repertoriums der handschriftlichen Nachlässe in Auf dem Platz Aarau sind vier wesentliche Insti- schweizerischen Bibliotheken und Archiven tutionen nah beieinander, die Heinrich Zschokkes (1992) fand eine letzte „Flurbereinigung“ zwi- umfassendes Wirken auch umfassend dokumen- schen Kantonsbibliothek und Staatsarchiv auch tieren: die Kantonsbibliothek mit den schriftstelle- beim Zschokke-Nachlass statt: Das Staatsarchiv rischen und historisch-politischen Werken, das übernahm 1991 Zschokkes helvetische Akten aus Staatsarchiv mit dem von der Familie und von der 1847 angekauften „Schweizer Bibliothek“ und ihm selbst gepflegten Nachlass und den amtlichen damit im Zusammenhang auch die kostbare hand- Unterlagen, das Firmenarchiv Sauerländer mit schriftliche Lindinner-Sammlung. Seither sind der Unterlagen zum schriftstellerisch-verlegerischen private und offizielle Nachlass Heinrich Zschok- Bereich und schliesslich das Stadtmuseum Alt- kes unter einem Dach vereint. Aarau mit der Zschokke-Stube, die das Leben der Neuerwerbungen des Staatsarchivs Familie vergegenständlicht. Das Staatsarchiv kaufte und kauft  wenn Markt- Piroska R. Máthé, preise es gestatten – kontinuierlich auf dem anti- Staatsarchiv des Kantons Aargau quarischen Markt Zschokke-Briefe an, vom spek- takulären Korrespondenzband zwischen Zschokke Findmittel: und Orelli bis hin etwa zum Brief an Karl Viktor Kartei zum Familiennachlass Zschokke; diverse v. Bonstetten über die politische Umwälzung im Inhaltsverzeichnisse. Aargau im Herbst 1830 (1999), der aber kaum Literatur: neue Information oder Beurteilung bringt (s. Ar- govia 112, 2000, S. 209). Des Weiteren hat das Nold Halder: Heinrich Zschokke’s „Schweizer- Staatsarchiv in Zusammenarbeit mit der Kantons- bibliothek“. Sonderausgabe aus dem Aargauer bibliothek mit Ausstellungen über Heinrich Tagblatt Nr. 52, 1952. Zschokke in zeitgeschichtlicher Einbettung auf Regula Treichler: Erschliessung des Zschokke- seine Bestände aufmerksam gemacht, so Staatsar- Stübchens in der Aargauischen Kantonsbiblio- chivar G. Boner 1971/72 anlässlich von Zschok- thek. Einführung und Arbeitsbericht. Diplom- kes 200. Geburtstag und die Schreibende 1992 in arbeit der Vereinigung Schweizerischer Biblio- Reutlingen und in Aarau. thekare, Aarau 1991 (Typoskript). Ein wichtiger und ergänzender Bestand zum Rechenschaftsberichte der Kantonsbibliothek Wirken Zschokkes sind die seit 1811 vorhandenen und des Staatsarchiv.

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