Beihefte Der Francia Bd. 42 1997
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April 195 5 in Bonn. »Die Verständigung mit Frankreich is t fü r Deutschland scho n ein alter Gedanke und wurde nicht erst nach dem Zusammen- bruch erfunden. Scho n 192 5 hat die Reichsregierung au f Grundlage eines von zwei Großindustriellen und von mir selbst ausgearbeiteten Vorschlags es versucht, zu ei- ner Zusammenarbeit mit Frankreich zu kommen. Leider ist nichts daraus geworden. Dann kam der Nationalsozialismus. Sie kennen meine Stellungnahme dazu, und Sie kennen auc h di e Einstellun g Hitler s z u Frankreich . Nac h de m Krie g ka m Her r Schuman mit seine m Vorschlag eine r Montangemeinschaft. I n eine m persönliche n Brief erklärte er mir, das Wesentliche an diesem Vorschlag sei die enge Zusammenar- beit zwischen Frankreich und Deutschland. Ich habe dann ohne erst die Industriel- len zu befragen, mich voll für diesen Gedanken eingesetzt.«1 Daß Adenaue r au s gan z unterschiedliche n Motive n z u de n große n Verfechter n des europäischen Integrationsgedanken s zählt 2 und damit di e Verständigung unter den Staate n insonderhei t Westeuropa s förderte , is t gemeinhi n bekannt . Wenige r deutlich wurde bisher, aufweiche methodischen Ansätze er bei seinen Überlegungen zur Verflechtung der deutschen und französischen Wirtschaf t zurückgrif f un d wel- che politischen Bedingunge n e r mit einer solchen Zusammenarbeit verknüpfte . I m folgenden solle n dies e beide n Aspekt e ebens o nähe r beleuchte t werde n wi e jen e komplizierten Vorgänge, die trotz mancher Widerstände in den fünfziger Jahren zur Gründung de r Europäische n Wirtschaftsgemeinschaf t un d zu m Scheiter n de r eu - ropäischen Freihandelszone mit Großbritannien führten . Adenauers Gedanken einer Wirtschaftsverflechtung mi t Frankreich wurzelten in Überlegungen zu r Beseitigun g de r französische n Besatzun g de s Ruhrgebiete s i m Dezember 1923 . In Verhandlungen mi t dem Präsidenten de r Hohen Interalliierte n Rheinlandkommission, Tirard, entwickelte Adenauer das Konzept für eine Verstän- digungspolitik mit Frankreich3. Es basierte auf vier Prämissen: (a) die singulare Stel- 1 Aufzeichnun g übe r die Besprechun g Adenauer-Pinay , 29.4.1955 , in : Bundesarchiv, Koblen z (BA) , Nachlaß (NL ) Herber t Blankenhor n 351/45b ; auch : Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus , Ba d Honnef-Rhöndorf (StBKAH) , NL Konrad Adenauer 111/97. 2 Hans-Pete r SCHWARZ , Adenauer un d Europa , in : Viertel)ahrshefte für Zeitgeschicht e 2 7 (1979 ) S. 471-523. 3 Niederschrif t übe r eine Besprechung mit Vertretern des besetzten Gebiets a m 9. Januar 1924, in: Di e Kabinette Marx I und II, 30. November 192 3 bis 3. Juni 1924. 3. Juni 1924 bis 15 . Janua r 1925, Bd. 1, November 192 3 bis Jun i 1924, Dokumente Nr. 1 bis 213, bearb. von Günter ABRAMOWSKI, Boppard am Rhei n 1973, S. 211-215. 64 Hanns Jürgen Küsters lung de s Deutsche n Reiche s gegenübe r Frankreic h au f de m Kontinent , d a di e Reichsregierung weder von den Vereinigten Staaten noch von England Hilfe zu er- warten hatte, (b) die innenpolitische Lag e in Deutschland, die Befürchtungen eine s Auseinanderbrechens des Reiches aufkommen ließ , wenn die Besatzungsfrage nich t einer Lösung zugeführt würde , (c) die spürbare Verschlechterung de r wirtschaftli - chen Verhältnisse im Rheinland, und (d) die Einbeziehung ernstzunehmender For - derungen Frankreichs nach Reparationen und zukünftigen Sicherheitsgarantien . Zwei Meinungsströmungen beherrschte n i n Adenauers Einschätzung di e dama- lige französische Politik : Die Auffassung, da ß die Sicherheit vor Deutschland nich t durch Verträge gewährleistet werde, weshalb die Oppressionspolitik bi s zum mög- lichen Auseinanderbreche n de s Reiche s fortzusetze n se i un d de r besetzt e Tei l Deutschlands als Pufferstaat erneut e Aggressionen besser abwehren könne. Die ge- genteilige Ansicht wolle e s zu diese m Bruch ers t ga r nicht kommen lassen . In der Abspaltung eine s Teil s vo n Deutschlan d läge n fü r Frankreic h vornehmlic h zwe i große Risiken : ein mehr oder weniger umfangreiche r Verzich t au f Reparationslei - stungen und die Stärkung nationalistischer und revisionistischer Kräft e al s natürliche Reaktion auf den Zerfall Deutschlands durch Abtrennung seines westlichen Teils, wo- bei die Anwendung von Waffengewalt zu r Wiederherstellung der Reichseinheit nicht ausgeschlossen sei4. Die Schaffun g eine s dauerhafte n Friedenszustande s wa r - wi e Adenauers Vor - schläge vom 12. Dezember 192 3 belegten5 - a n zwei Bedingungen gebunden: Einer- seits die Errichtung eines westdeutschen Bundesstaates innerhalb des Deutschen Rei- ches, der auf Grund seines größeren politischen Gewichtes einen verstärkten Einfluß auf die Entwicklung Deutschlands nehmen, einer Entwicklung des föderalistische n Denkens Vorschub leisten und eine politisch gleichberechtigte Rolle im Reichsver- bund gegenüber der Dominanz der Reichsregierung spielen könnte. Andererseits die deutsch-französische Industrieverflechtung ; mi t ihr wollte Adenauer hauptsächlic h drei Problem e lösen : zum eine n di e Reparationsfrage, inde m di e wirtschaftliche n Verhältnisse an Rhein und Ruhr in einer für all e Beteiligten tragbaren Form geord- net, Arbeitsplätz e geschaffe n un d de r Lebensstandar d de r Bevölkerun g gesicher t würden; zum anderen die Besatzungsfrage durc h Abzug der französischen Truppe n und schließlich die Beseitigung der interalliierten Kontrolle in Form der Rheinland- kommission. Diese r Bundesstaa t könnt e innerhalb de r vom Reic h vorgegebene n Bereiche ein e eigen e Gesetzgebun g betreiben , worunter Adenaue r vornehmlic h Zölle un d de n Postverkeh r rechnete . Di e Nutzun g de r rheinisch-westfälischen , lothringischen und luxemburgischen Industrien, die als einheitlicher wirtschaftliche r Organismus gewachse n seien, werde zu gegebene r Zeit au f der Basis der gegensei- tigen Vorteile gemeinsame Handels- und Wirtschaftsinteressen entwickeln . Die frie- denserhaltenden Effekte sa h Adenauer darin, daß weder Frankreich noch die Regie- rung un d Bevölkerun g de s westdeutschen Bundesstaate s ei n Interess e hätten , di e gesamte Region zu einem Kriegsschauplatz zu machen. 4 Ibid . S. 212. 5 Gegenvorschla g Adenauers zur Denkschrift Tirards , 12.12.1923, in: Karl Dietrich ERDMANN , Ade- nauer in der Rheinlandpolitik nac h dem ersten Weltkrieg (Historische Kommission bei der Bayeri- schen Akademie der Wissenschaften), Stuttgart 1966, S. 327-331. Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mit Frankreich 6 5 Der Kölner Oberbürgermeister wollt e aber nicht zuletzt durch die Etablierung eines Bundesstaates i n Westdeutschland di e Gefah r de s Reichszerfall s abwenden . Das konnte abe r nur gelingen , wenn da s deutsch-französische Verhältni s generel l bereinigt würde und de r au f Deutschlan d lastend e Druck vo n Reparation, Besat - zung und alliierte r Kontroll e beseitig t wäre . Mit de n Industrielle n Hug o Stinne s und Paul Silverberg, die den wirtschaftlichen Verflechtungsansat z mittrugen 6, ver- suchte Adenauer Reichskanzler Marx und Außenminister Stresemann für das Kon- zept z u gewinnen . Besondere n Wer t legt e Adenauer darauf , da s Reparationspro - blem statt auf der Schiene des Geldtransfers über Warenlieferungen z u lösen, für die einzelne Wirtschaftszweige au s Geldquellen des Reichs Vergütungen erhalten soll- ten. Es wäre zugleich ein e Art Konjunkturförderungsprogramm , da s in Deutsch- land Arbeit sicherte. Bei Kriegsende 1945 beurteilte Adenauer das deutsch-französische Verhältni s pes- simistischer denn je. I n einem Gespräch mit dem amerikanischen Offizier Just Lun- ning Ende März in Köln skizzierte er die Entwicklung des Deutschen Reiches, das auf zwe i historische n Wurzel n gründe : di e römisch e Kultu r un d da s preußisch e Deutschland, das ersterem seinen Willen aufgezwungen habe. Die Ideallösung einer künftigen Staatsgestaltun g sa h er wiederum i n der Errichtung eine s Bundesstaates, bestehend au s Österreich, Rest-Preußen, Westdeutschland mi t Westfalen un d de m Rheinland sowie Süddeutschland. Falls sich diese Föderation nicht bilden lasse, müs- se das Rheinland eine n separaten Staa t schaffen. Di e französische Besatzungsherr - schaft würde das Rheinland und dessen Kultur völlig zerstören, wenn es dazu Gele- genheit erhielte, nahm Adenauer an 7. Sei n Hauptziel war zuvorderst die Abwehr der Oppression als beherrschende s Instrumen t französische r Deutschlandpoliti k de r Nachkriegszeit. Er plädierte daher für eine britisch-amerikanische Vormachtstellung im Rheinland. Von August 194 5 an operierte Adenauer wieder mit dem Verflechtungskonzept i n der Absicht, die wirtschaftliche Ausbeutun g Deutschlands durch Frankreich mittel s Angebot einer weitgehenden Zusammenarbeit in Grenzen zu halten. In einem Memo- randum vom 1. September 1945 , da s über den Schweizer Diplomaten von Weiss fran- zösischen Offiziere n au s de m Stab e d e Gaulie s weitergereich t wurde , sprac h sic h Adenauer für die dauerhafte wirtschaftlich e Zusammenarbei t und Verflechtung, aber auch fü r ein e möglichs t eng e kulturelle und auc h politische Annäherun g zwische n Deutschland und Frankreich aus . Er knüpfte dara n die Bedingung, daß die Früchte der wirtschaftlichen Kooperatio n dem Rheinland nicht vorenthalten bleiben dürften .