Beihefte Der Francia Bd. 42 1997

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Beihefte Der Francia Bd. 42 1997 Beihefte der Francia Bd. 42 1997 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht- kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver- folgt werden. HANNS JÜRGEN KÜSTERS KONRAD ADENAUER UND DIE IDEE EINE R WIRTSCHAFTLICHEN VERFLECHTUN G MI T FRANKREIC H »Ich möchte Ihnen die psychologische Lage in Deutschland erläutern«, begann Bun- deskanzler Adenauer seine Unterredung mit dem französischen Außenminister An- toine Pinay a m 29. April 195 5 in Bonn. »Die Verständigung mit Frankreich is t fü r Deutschland scho n ein alter Gedanke und wurde nicht erst nach dem Zusammen- bruch erfunden. Scho n 192 5 hat die Reichsregierung au f Grundlage eines von zwei Großindustriellen und von mir selbst ausgearbeiteten Vorschlags es versucht, zu ei- ner Zusammenarbeit mit Frankreich zu kommen. Leider ist nichts daraus geworden. Dann kam der Nationalsozialismus. Sie kennen meine Stellungnahme dazu, und Sie kennen auc h di e Einstellun g Hitler s z u Frankreich . Nac h de m Krie g ka m Her r Schuman mit seine m Vorschlag eine r Montangemeinschaft. I n eine m persönliche n Brief erklärte er mir, das Wesentliche an diesem Vorschlag sei die enge Zusammenar- beit zwischen Frankreich und Deutschland. Ich habe dann ohne erst die Industriel- len zu befragen, mich voll für diesen Gedanken eingesetzt.«1 Daß Adenaue r au s gan z unterschiedliche n Motive n z u de n große n Verfechter n des europäischen Integrationsgedanken s zählt 2 und damit di e Verständigung unter den Staate n insonderhei t Westeuropa s förderte , is t gemeinhi n bekannt . Wenige r deutlich wurde bisher, aufweiche methodischen Ansätze er bei seinen Überlegungen zur Verflechtung der deutschen und französischen Wirtschaf t zurückgrif f un d wel- che politischen Bedingunge n e r mit einer solchen Zusammenarbeit verknüpfte . I m folgenden solle n dies e beide n Aspekt e ebens o nähe r beleuchte t werde n wi e jen e komplizierten Vorgänge, die trotz mancher Widerstände in den fünfziger Jahren zur Gründung de r Europäische n Wirtschaftsgemeinschaf t un d zu m Scheiter n de r eu - ropäischen Freihandelszone mit Großbritannien führten . Adenauers Gedanken einer Wirtschaftsverflechtung mi t Frankreich wurzelten in Überlegungen zu r Beseitigun g de r französische n Besatzun g de s Ruhrgebiete s i m Dezember 1923 . In Verhandlungen mi t dem Präsidenten de r Hohen Interalliierte n Rheinlandkommission, Tirard, entwickelte Adenauer das Konzept für eine Verstän- digungspolitik mit Frankreich3. Es basierte auf vier Prämissen: (a) die singulare Stel- 1 Aufzeichnun g übe r die Besprechun g Adenauer-Pinay , 29.4.1955 , in : Bundesarchiv, Koblen z (BA) , Nachlaß (NL ) Herber t Blankenhor n 351/45b ; auch : Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus , Ba d Honnef-Rhöndorf (StBKAH) , NL Konrad Adenauer 111/97. 2 Hans-Pete r SCHWARZ , Adenauer un d Europa , in : Viertel)ahrshefte für Zeitgeschicht e 2 7 (1979 ) S. 471-523. 3 Niederschrif t übe r eine Besprechung mit Vertretern des besetzten Gebiets a m 9. Januar 1924, in: Di e Kabinette Marx I und II, 30. November 192 3 bis 3. Juni 1924. 3. Juni 1924 bis 15 . Janua r 1925, Bd. 1, November 192 3 bis Jun i 1924, Dokumente Nr. 1 bis 213, bearb. von Günter ABRAMOWSKI, Boppard am Rhei n 1973, S. 211-215. 64 Hanns Jürgen Küsters lung de s Deutsche n Reiche s gegenübe r Frankreic h au f de m Kontinent , d a di e Reichsregierung weder von den Vereinigten Staaten noch von England Hilfe zu er- warten hatte, (b) die innenpolitische Lag e in Deutschland, die Befürchtungen eine s Auseinanderbrechens des Reiches aufkommen ließ , wenn die Besatzungsfrage nich t einer Lösung zugeführt würde , (c) die spürbare Verschlechterung de r wirtschaftli - chen Verhältnisse im Rheinland, und (d) die Einbeziehung ernstzunehmender For - derungen Frankreichs nach Reparationen und zukünftigen Sicherheitsgarantien . Zwei Meinungsströmungen beherrschte n i n Adenauers Einschätzung di e dama- lige französische Politik : Die Auffassung, da ß die Sicherheit vor Deutschland nich t durch Verträge gewährleistet werde, weshalb die Oppressionspolitik bi s zum mög- lichen Auseinanderbreche n de s Reiche s fortzusetze n se i un d de r besetzt e Tei l Deutschlands als Pufferstaat erneut e Aggressionen besser abwehren könne. Die ge- genteilige Ansicht wolle e s zu diese m Bruch ers t ga r nicht kommen lassen . In der Abspaltung eine s Teil s vo n Deutschlan d läge n fü r Frankreic h vornehmlic h zwe i große Risiken : ein mehr oder weniger umfangreiche r Verzich t au f Reparationslei - stungen und die Stärkung nationalistischer und revisionistischer Kräft e al s natürliche Reaktion auf den Zerfall Deutschlands durch Abtrennung seines westlichen Teils, wo- bei die Anwendung von Waffengewalt zu r Wiederherstellung der Reichseinheit nicht ausgeschlossen sei4. Die Schaffun g eine s dauerhafte n Friedenszustande s wa r - wi e Adenauers Vor - schläge vom 12. Dezember 192 3 belegten5 - a n zwei Bedingungen gebunden: Einer- seits die Errichtung eines westdeutschen Bundesstaates innerhalb des Deutschen Rei- ches, der auf Grund seines größeren politischen Gewichtes einen verstärkten Einfluß auf die Entwicklung Deutschlands nehmen, einer Entwicklung des föderalistische n Denkens Vorschub leisten und eine politisch gleichberechtigte Rolle im Reichsver- bund gegenüber der Dominanz der Reichsregierung spielen könnte. Andererseits die deutsch-französische Industrieverflechtung ; mi t ihr wollte Adenauer hauptsächlic h drei Problem e lösen : zum eine n di e Reparationsfrage, inde m di e wirtschaftliche n Verhältnisse an Rhein und Ruhr in einer für all e Beteiligten tragbaren Form geord- net, Arbeitsplätz e geschaffe n un d de r Lebensstandar d de r Bevölkerun g gesicher t würden; zum anderen die Besatzungsfrage durc h Abzug der französischen Truppe n und schließlich die Beseitigung der interalliierten Kontrolle in Form der Rheinland- kommission. Diese r Bundesstaa t könnt e innerhalb de r vom Reic h vorgegebene n Bereiche ein e eigen e Gesetzgebun g betreiben , worunter Adenaue r vornehmlic h Zölle un d de n Postverkeh r rechnete . Di e Nutzun g de r rheinisch-westfälischen , lothringischen und luxemburgischen Industrien, die als einheitlicher wirtschaftliche r Organismus gewachse n seien, werde zu gegebene r Zeit au f der Basis der gegensei- tigen Vorteile gemeinsame Handels- und Wirtschaftsinteressen entwickeln . Die frie- denserhaltenden Effekte sa h Adenauer darin, daß weder Frankreich noch die Regie- rung un d Bevölkerun g de s westdeutschen Bundesstaate s ei n Interess e hätten , di e gesamte Region zu einem Kriegsschauplatz zu machen. 4 Ibid . S. 212. 5 Gegenvorschla g Adenauers zur Denkschrift Tirards , 12.12.1923, in: Karl Dietrich ERDMANN , Ade- nauer in der Rheinlandpolitik nac h dem ersten Weltkrieg (Historische Kommission bei der Bayeri- schen Akademie der Wissenschaften), Stuttgart 1966, S. 327-331. Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mit Frankreich 6 5 Der Kölner Oberbürgermeister wollt e aber nicht zuletzt durch die Etablierung eines Bundesstaates i n Westdeutschland di e Gefah r de s Reichszerfall s abwenden . Das konnte abe r nur gelingen , wenn da s deutsch-französische Verhältni s generel l bereinigt würde und de r au f Deutschlan d lastend e Druck vo n Reparation, Besat - zung und alliierte r Kontroll e beseitig t wäre . Mit de n Industrielle n Hug o Stinne s und Paul Silverberg, die den wirtschaftlichen Verflechtungsansat z mittrugen 6, ver- suchte Adenauer Reichskanzler Marx und Außenminister Stresemann für das Kon- zept z u gewinnen . Besondere n Wer t legt e Adenauer darauf , da s Reparationspro - blem statt auf der Schiene des Geldtransfers über Warenlieferungen z u lösen, für die einzelne Wirtschaftszweige au s Geldquellen des Reichs Vergütungen erhalten soll- ten. Es wäre zugleich ein e Art Konjunkturförderungsprogramm , da s in Deutsch- land Arbeit sicherte. Bei Kriegsende 1945 beurteilte Adenauer das deutsch-französische Verhältni s pes- simistischer denn je. I n einem Gespräch mit dem amerikanischen Offizier Just Lun- ning Ende März in Köln skizzierte er die Entwicklung des Deutschen Reiches, das auf zwe i historische n Wurzel n gründe : di e römisch e Kultu r un d da s preußisch e Deutschland, das ersterem seinen Willen aufgezwungen habe. Die Ideallösung einer künftigen Staatsgestaltun g sa h er wiederum i n der Errichtung eine s Bundesstaates, bestehend au s Österreich, Rest-Preußen, Westdeutschland mi t Westfalen un d de m Rheinland sowie Süddeutschland. Falls sich diese Föderation nicht bilden lasse, müs- se das Rheinland eine n separaten Staa t schaffen. Di e französische Besatzungsherr - schaft würde das Rheinland und dessen Kultur völlig zerstören, wenn es dazu Gele- genheit erhielte, nahm Adenauer an 7. Sei n Hauptziel war zuvorderst die Abwehr der Oppression als beherrschende s Instrumen t französische r Deutschlandpoliti k de r Nachkriegszeit. Er plädierte daher für eine britisch-amerikanische Vormachtstellung im Rheinland. Von August 194 5 an operierte Adenauer wieder mit dem Verflechtungskonzept i n der Absicht, die wirtschaftliche Ausbeutun g Deutschlands durch Frankreich mittel s Angebot einer weitgehenden Zusammenarbeit in Grenzen zu halten. In einem Memo- randum vom 1. September 1945 , da s über den Schweizer Diplomaten von Weiss fran- zösischen Offiziere n au s de m Stab e d e Gaulie s weitergereich t wurde , sprac h sic h Adenauer für die dauerhafte wirtschaftlich e Zusammenarbei t und Verflechtung, aber auch fü r ein e möglichs t eng e kulturelle und auc h politische Annäherun g zwische n Deutschland und Frankreich aus . Er knüpfte dara n die Bedingung, daß die Früchte der wirtschaftlichen Kooperatio n dem Rheinland nicht vorenthalten bleiben dürften .
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