Übersetzung der Zusammenfassung des 8. ATP1A3-Symposiums in Reykjavik/Island 2019 (Original von Dr. Al George im Newsletter November 2019 von AHCF)

Die Konferenz wurde eröffnet mit der Vorführung eines Exzerptes des Films „Human Timebombs“.

Anschließend begrüßte der isländische Präsident Johannesson die Teilnehmer und erklärte, daß Island umfangreiche genealogische Aufzeichnungen über seine Bevölkerung geführt hat (350000 Menschen). Dies befähigte deCode Genetics eine solch umfangreiche populationsgenetische Resource aufzubauen, was zur Kartierung von Genen führte, die für hunderte von genetischen Merkmalen verantwortlich sind. Er betonte weiterhin die Bedeutsamkeit der Zusammenarbeit.

Es gab zwei Keynote-Präsentationen (Grundsätze/Leitgedanken).

Am ersten Tag der Konferenz sprach Dr. David Goldstein von der Columbia Universität über den „Weg zur Präzisionsmedizin“. Dr. Goldstein, der das Team leitete, welches zuerst Mutationen im ATP1A3-Gen bei AHC entdeckte, betonte den möglichen Erfolg des genetischen Ansatzes, wenn krankheitsverursachende Genmutationen entdeckt werden. So führt manchmal die Entdeckung eines krankheitsverursachenden Gens direkt zu einer kurativen (heilenden) Therapie, beispielsweise beim seltenen Brown-Vialetto-Van Laere-Syndrom, bei welchem die diätetische Supplementierung mit dem Vitamin Riboflavin dramatische Besserungen herbeiführte. Jedoch ist dies eher die Ausnahme als die Regel. Dr. Goldstein beleuchtete ebenfalls seine laufenden Studien zur Untersuchung der Neuronenfunktion bei einem der AHC-Mausmodelle und betonte die Bedeutung, Maus- und andere Krankheitsmodelle zuverlässiger und austauschbarer zu machen.

Ein weiterer Hauptgedanke wurde von Dr. Hreinin Stefansson von deCode Genetics formuliert. Dr. Stefansson, welcher die CNS-Abteilung bei deCode leitet, präsentierte einen Überblick zur Populationsgenetik in Island und die Bemühungen von deCode, zu entdecken, die sowohl für seltene als auch für häufige neurologische Erkrankungen verantwortlich sind. Diese Entdeckungen führten zu verschiedenen laufenden Medikamentenstudien.

Während des zweitätigen Meetings behandelten die Konferenzredner mehrere Themen, die die aktivsten Bereiche der laufenden ATP1A3-Forschung darstellten. Die folgende Zusammenfassung der Präsentationen orientiert sich an diesen Themen.

Verfeinerung der klinischen Merkmale der ATP1A3-Erkrankungen

Mehrere Vorträge konzentrierten sich auf die klinischen Merkmale und das Spektrum der ATP1A3- assoziierten Erkrankungen. Dr. Allison Brashear (Universität von Californien und Davis) diskutierte die neuen Erkenntnisse bei RDP (rapid onset dystonia parkinsonism) und betonte, daß es viele nicht- diagnostizierte ATP1A3 assoziierte Erkrankungen geben könnte, insbesondere bei älteren Menschen. Unter Bezugnahme auf einen kürzlich veröffentlichten Artikel ihrer früheren Arbeitsgruppe an der Wake Forest University (Haq, et all, Mov Disord. 2019 Jul 30) erörterte sie die Beobachtungen, daß nicht bei jedem Patienten die Symptome schlagartig auftreten und die parkinsontypischen Merkmale (z.B. der feinschlägige Tremor) nicht konstant vorhanden sein müssen. Darüber hinaus seien kognitive Probleme häufiger als ursprünglich gedacht.

Dr. Eleni Panagiotakaki ( Centre Hospitalier Universitaire de Lyon) stellte neue Daten von Abnormitäten bei MRT-Untersuchungen des Gehirns von 22 AHC Fällen mit ATP1A3 Mutationen vor. Unter den Studienteilnehmern, welche zwischen 27 Monaten und 31 Jahren alt waren, hatte fast die Hälfte normale MRTs, während die andere Hälfte variable Merkmale zeigte , einschließlich kortikaler Atrophie oder Kleinhirnatrophie. Es gab keine Korrelation zu spezifischen ATP1A3Mutationen und es wurde nicht dargestellt, ob das Alter zum Zeitpunkt der Untersuchung ein Faktor war.

Dr. Agathe Roubertie (Centre Hospitalier Universitaire de Montpellier) gab einen kurzen Beitrag über nicht-paroxysmale (also permanente oder anhaltende) Bewegungsstörungen in einer neuen Studie von 28 AHC-Patienten. Keiner der Studienteilnehmer hatte einen normalen Muskeltonus und etwa zwei Drittel zeigten entweder Dystonien oder andere abnormale Bewegungen (z.B. Chorea). Diejenigen mit Dystonien hatten bei Beginn ein jüngeres Alter, eine ausgeprägtere Hypotonie und schwerwiegendere neurologische Beeinträchtigungen. Einige Fälle in dieser Studie zeigten anhaltende neurologische Defizite nach einer akuten Episode.

Zwei weitere kurze Presentationen bezeugten zum einen die Herausforderungen bei der Diagnosestellung der AHC und wurde gehalten von Dr. Yr Sigurdardottir aus Island und zum anderen bei der Pflege und Betreuung eines AHC-Kindes aus Elternperspektive, dargestellt von Laura Heimgarten (USA).

Dr. Hendrik Rosewich (Georg August Universttät, Göttingen, Deutschland) leitete die Diskussion über die Lebensqualität von Menschen mit AHC und stellte sein Ziel vor, eine Datenbank mit Antworten auf häufig gestellte Fragen zu entwickeln. Diese Datenbank wurde am Ende der Konferenz weiter besprochen und die Idee traf auf allgemeine Begeisterung. Dr. Rosewich wird dieses Unternehmen leiten. Es gab ebenfalls eine rege Diskussion darüber, wie man am besten eine kommentierte und kuratierte Datenbank mit Patientenvideos aufbauen könnte, um die klinischen Zeichen der AHC als Resource für Familien und Ärzte zu illustrieren. Es wurde vorgeschlagen, eine Website zu erstellen, die auf vorhandene Online-Videos verweist und Expertenbeschreibungen der klinischen Befunde enthält.

Neue Informationen über andere AHC-Gene

Obwohl bei der Mehrheit der AHC-Patienten ATP1A3Mutationen gefunden wurden, bleiben auch einige übrig, bei denen der genetische Test nicht positiv ist. Dr Arn van den Maagdenberg (Universität Leiden) gab ein Update zu den Bemühungen, welche es um die Feststellung von anderen, für die AHC verantwortlichen Genen gibt. Er fasste ein Studiendesign mit 40 Patienten zusammen, welche keine ATP1A3Mutationen hatten. Es gibt 3 Gene, die mit AHC assoziiert zu sein scheinen: RHOBTB2, ATP1A2 und SCN2A. Die genetische Evidenz scheint hoch zu sein für RHOBTB2 in drei Familien. Wie evident ATP1A2 und SCN2A (präsentiert von Dr. Al George) als potentielle AHC-Gene zu betrachten sind wird aktuell diskutiert. Die meisten der Familien in dieser Studie haben noch immer keine genetische Diagnose.

Struktur und Funktion von ATP1A3

Das Verstehen der Struktur des ATP1A3- ist das Kernstück der Arbeit von Dr. Poul Nissen (Aarhus Universität, Dänemark). Er beschrieb die Bemühungen seiner Arbeitsgruppe, durch die Verwendung der Röntgen-Kristallographie und des Kryo-Elektronen-Mikroskopes auf atomarer Ebene die Struktur verschiedener P-Typ-ATPasen, einschließlich des ATP1A3-Proteins aufzulösen. Sie haben einen Ansatz gefunden, um große Mengen gereinigten ATP1A3-Proteins zu produzieren und einen funktionellen Test entwickelt, um spezifische Mutationen zu untersuchen. Sie beginnen jetzt gerade, Daten zu sammeln, die die Bestimmung der Struktur des Proteins erlaubt. Dr. Lorenzo Antonini (Sapienza Universität, Rom) beschrieb seinen komplementären Ansatz, um die Struktur und Funktion von ATP1A3 mithilfe einer Methode namens Molekulardynamik zu verstehen. Diese Methode nutzt Hochleistungscomputer, um jedes Atom im zu stimulieren, was zu mikroskopischen kleinen, aber darstellbaren Bewegungen während der Funktionsausführung führt. Unter Nutzung dieses Ansatzes untersuchten sie die strukturelle Mobilität von ATP1A3 in verschiedenen Funktionsstadien und den Einfluss von zwei Mutationen (D801N, E815K) auf diese Eigenschaften. In ihren Vorstudien verhalten sich die beiden Mutationen auf atomarer Ebene unterschiedlich.

Die Funktion von ATP1A3 in den Neuronen kann von anderen Proteinen, einschließlich Enzymen, welche Phosphatgruppen hinzufügen, beeinflußt werden. Dr. Marisol Castaneda (Francis Crick Institut, London) untersucht ein solches Enzym, welches GAK-Kinase (auch als Auxillin-2 bezeichnet) genannt wird. Es wurde gezeigt, dass dieses Protein eine Verbindung zur Parkinsonerkrankung hat. Dr. Castaneda erklärte ihre biochemischen Studien, welche zeigen, dass GAK-Kinase spezifische Aminosäuren im ATP1A3-Protein modifizieren und dessen funktionelle Aktivität daher beeinflussen kann. Sie hat diese Arbeit auf Mäuse ausgeweitet, um die Bedeutsamkeit dieser Proteinmodifikation für die Neuronenaktivität zu zeigen. Dr. Elena Arystarkhova (Massachusetts General Hospital) stellte in ihrer Arbeit dar, wie bestimmte Mutationen eine Fehlfaltung von ATP1A3 verursachen und die Einbindung des Proteins an die richtige Position in den Zellen beeinträchtigen. Sie hob einen bestimmten Prozess in den Zellen hervor, den man unfolded protein response (UPR- entfaltete- Proteinantwort) nennt, was dem Löschen nicht ordnungsgemäß gefalteter Proteine dient und bedeutsam sein könnte für das Verständnis der Unterschiede der Auswirkungen von verschiedenen ATP1A3-Mutationen.

Zell- und Tiermodelle von ATP1A3-Mutationen

Verschiedene zelluläre und Tiermodelle wurden bisher genutzt um zu verstehen, wie ATP1A3- Mutationen Gehirn und die Neuronenfunktion beeinträchtigen. Eveny Akkuratov (Royal Institute of Technology, Stockholm) berichtet über seine Untersuchungen an einem neuentwickeltem RDP- Mausmodell mit der ATP1A3-Mutation T613M. die Mäuse hatten beträchtliche Abnormalitäten in quasi allen Aktivitäten, der Bewegung und der Koordination mit seltenen spontanen Attacken von Schwäche oder Dystonie. John Snow (Vanderbilt Universität) präsentierte seine Arbeit an patientenstämmigen induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC), welche er zur Generation von AHC-Neuronen im Labor nutzt. Seine Arbeit vergleicht die elektrische Aktivität verschiedener Neuronentypen, welche von diesen Zellen generiert wurden, mit dem Ziel herauszufinden, welche neuronale Linie am meisten zur Pathogenese von AHC beiträgt. In zusätzlichen Experimenten werden die Neuronenkulturen Temperaturveränderungen ausgesetzt, um den Mechanismus der Trigger der AHC herauszufinden.

Strategien zum Finden neuer Therapien und zum Verständnis existierender Behandlungen

In mehreren Diskussionsbeiträgen wurden ergänzende Ansätze zur Entwicklung neuer Behandlungsstrategien erörtert. Dr. Mohamed Mikati (Duke University) gab einen Überblick zum aktuellen Stand der Therapie der AHC (state-of-the-art) mit dem Schwerpunkt auf multidisziplinärer Evaluation und Behandlung. Er hob jüngste Publikationen seiner Arbeitsgruppe hervor zur Bedeutung der Physiotherapie (pediatrPhys Ther.) und neuropsychologischer Interventionen (Dev Med Child Neurol.). Dr. Mikati stellte ebenso einen Überblick der medikamentösen Therapieoptionen zur Verfügung von AHC, Dystonie, Verhaltensstörungen, Schlafproblemen und Epilepsie. Er betonte, daß das EEG zu Beginn der Erkrankung normal sein kann sich dann aber mit der Zeit verändern kann, und deshalb stationäres Video-EEG-Monitoring sehr hilfreich sein kann bei der Bestimmung, ob Anfälle hinzugekommen sind.

Dr. Steven Gray (University of Texas Southwestern) gab ein Update zum AAV-Gentherapie-Projekt. Er begann mit einem Überblick über die verschiedenen Typen von AAV Vektoren und stellte den Erfolg beim Einsatz des Verfahrens bei anderen genetisch bedingten neurologischen Erkrankungen dar. Der gezielte ATP1A3 AAV-Vector wird gerade präpariert und an AHC-Mausmodellen getestet. Er betonte daß im besten anzunehmenden Fall es in etwa 5 bis 6 Jahren soweit sein könnte, daß man vom Design des Vectors zu klinischen Tests übergehen könnte.

Zwei Referenten diskutierten Strategien zur Identifizierung neuer Medikamenten (drug)-Kandidaten. Dr. Peter Vangheluwe (Universität Leuven) presentierte seine Drug-screening-Plattform für P-type- ATPasen, welche erfolgreich angewendet werden konnte für ATP12A2 (ein Parkinson-Gen) und SERCA. Sie arbeiten derzeit nicht mit ATP1A3. Dr. Francesco Danilo Tiziano (Catholic University of Sacred Heart, Rome) berichtete über seine Arbeit mit einem menschlichen Neuroblastomzell-AHC- Modell, welches genutzt wird um nach Verbindungen zu suchen. Ein Probelauf von 551 Verbindungen wurde abgeschlossen und die Arbeitsgruppe plant, auf eine größere Sammlung zu erweitern.

Das weitverbreitetste Behandlungsverfahren der AHC ist die Medikation mit Flunarizin, aber der Mechanismus, wie das Medikament wirkt, ist nach wie vor unklar. Dr. Al George (Northwestern University) berichtete Ergebnisse einer Studie, bei der die Wirkungen von Flunarizin auf iPSC- Neuronen zweier Mädchen mit jeweils der gleichen ATP1A3-Mutation (G947R) verglichen wurden. Es zeigten sich jedoch unterschiedliche Reaktionen auf das Arzneimittel. In Vorstudien wurde beobachted, daß Flunarizin die Generierung eines Aktionspotentials in den Neuronen beider Patientinnen unterdrückt, aber die Zellen des Nonresponders zeigten eine weniger starke Wirkung des Arzneimittels. Diese Ergebnisse suggerieren, daß es intrinsische Unterschiede auf der zellulären Ebene gibt, die möglicherweise den Grad der Antwort auf Flunarizin bei AHC ausmachen.

Das 9. ATP1A3 in Disease Symposium wird in Stockholm, Schweden, 30.09.-2.10.2020 stattfinden.