Kokoschkas Selbstbildnisse Aus Dem Jahr 1923
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Hans Delfs KOKOSCHKAS SELBSTBILDNISSE AUS DEM JAHR 1923 Eine Bildmonografie – und Detektivgeschichte 1 Hans Delfs KOKOSCHKAS SELBSTBILDNISSE AUS DEM JAHR 1923 Eine Bildmonografie – und Detektivgeschichte mit einem Vorwort von Klaus Gallwitz Sandstein Verlag Dresden 2 3 INHALT 6 Klaus Gallwitz: »Es passt über beide Ohren« 8 Einführung 9 Ein gefälschter Kokoschka 14 Zweifel an der Fälschungsthese 17 Erste naturwissenschaftliche Untersuchung 19 Eine Expertenrunde in Dresden 22 Dokument- und Archivrecherchen 26 Kokoschkas Zeit in Dresden – ein Exkurs 30 Die Bedeutung der Provenienz von Goldschmidt 32 Die Anerkennung durch die Werkverzeichnisautoren wird erwartet 34 Der Weg der Gelben Jacke zu Goldschmidt 38 Urteile von Kennern und Experten 44 Weitere technische Untersuchungen 48 Kokoschkas Erinnerung 51 Was bleibt am Ende? 52 Anmerkungen 54 Literatur 55 Dokumentarischer Anhang 56 Anlage 1 · Verzeichnis 1906–1927 62 Anlage 2 · Liste vom 9. 3. 1947 65 Anlage 3 · Brief von Olda Kokoschka vom 12. 11. 1975 (Abschrift) 66 Anlage 4 · Gutachten Dr. Katharina Erling vom 6. 12. 2005 72 Anlage 5 · Gutachten Mag. Erhard Stöbe vom 30. 1. 2009 75 Anlage 6 · Gutachten Prof. Marlies Giebe vom 28. 7. 2010 88 Anlage 7 · Gutachten Dr. Mario-Andreas von Lüttichau 98 Anlage 8 · Ergebnisse des Doerner Instituts, 11. 8. 2011 104 Impressum Klaus Gallwitz langer Dunkelheit wie eine zur Diskussion stehende Neuerwerbung an das helle Tageslicht. Ich wurde mit ihm vertraut und konnte bald entscheiden, es in den Galerieräumen unter »ES PASST ÜBER BEIDE OHREN« »seinesgleichen« vorzustellen. Es galt, Probe zu nehmen am Beispiel der Nachbarschaft mit der Malerei des 20. Jahrhunderts in der Sammlung. Und siehe: Die Qualität hielt stand. Ko koschkas Selbstbildnis behauptete mit großer Souveränität seinen ihm zugewiesenen Platz. Die weitere Geschichte des Bildes liest sich in dieser Monografie von Hans Delfs wie ein Krimi. Als sich durch Kokoschkas brieflichen Einspruch, begleitende Interventionen Zur Erinnerung an Herrn Werner Hagemann, Sprecher der Erbengemeinschaft der Galerie Feilchenfeldt in Zürich und Bedenken des Vorsitzenden der Städel-Adminis- zu meiner Zeit am Städel Museum (1974–1994), und an seine Frau Marianne, tration Hermann J. Abs das Bildnis nicht länger in den Galerieräumen halten ließ, wanderte im Gedenken an unseren jahrelangen freundschaftlichen Austausch. es wieder ins Depot, aus dem es mit dem Einverständnis der Erbengemeinschaft befreit worden war. Ich hatte damals diesen Wünschen noch nichts entgegenzusetzen als die Über- Den Zugang zum zentralen Bilderdepot des Städel Museums verschaffte mir Paul Eich. Er zeugung von der Qualität und Eigenhändigkeit des Bildes. hatte die Schlüssel und als mein Stellvertreter am Museum auch die Verantwortung. Beim Kokoschkas bisher einzige Ausstellung im Städel Museum fand im Sommer 1992 statt. Wiederaufbau nach dem Kriegsende fand das Depot mitten im Gebäude seinen neuen Platz Sie galt dem erstrebten Ankauf der lebensgroßen Aktdarstellung von Alma Mahler, die der – kompakt zwischen Alt- und Neubau unter der Haupttreppe gelegen, war es das Herzstück Künstler 1918 in Ölfarbe auf Papier als Vorlage für die legendäre Puppe angefertigt hatte. des Hauses. Der Einstieg ins Depot war immer wie ein Weg ins Bergwerk, über breite Ein großes Aufgebot an Leihgaben und ein schöner Katalog flankierten diese meine letzte Stahlstufen hinab ins eigentliche Magazin mit seinen elektrisch gesteuerten Hängewänden. Bemühung um Kokoschkas leibhaftige Präsenz im Städel Museeum. Mit dem Untertitel Hier sah ich zum ersten Mal das Selbstbildnis von Oskar Kokoschka. Es stand zusam- Die Puppe – Epilog einer Passion hatten wir Alma Mahler im Blick, ohne anfangs zu ahnen, men mit einigen anderen Leihgaben aus der Sammlung Hagemann, zu der es gehörte. Im dass diese Thematik auch einen Epilog auf meine Passion einschließen könnte. Die Sache hinteren Bereich und ohne Rahmen an die Wand gelehnt, wartete es auf seine Wiederent- zerschlug sich am Ende, wie manches Wunschbild, und wie es auch das Schicksal der his- deckung. Von der Existenz des Bildes hatte ich bis zum Herbst 1975 keine Kenntnis. Bis torischen Puppe war – zu verschwinden. Immerhin, Almas skizziertes Konterfei, in bräun- zu dieser unerwarteten Begegnung: Wir haben einen Kokoschka im Keller! Ein mit Öl auf lichen Tönen mit schwarzen Konturen, rötlichem offenen Haar und hellem Teint hatte Leinwand gemaltes Selbstbildnis der Dresdner Zeit. eine Weile aufs Beste paradiert: zwischen den Erwerbungen von Bacons Nurse und Giaco- Ich nahm diese Entdeckung ganz persönlich, denn noch 1966, neun Jahre zuvor, hatte mettis Annette, eine dritte »Jahrhundertfrau« im Städel. ich am Badischen Kunstverein in Karlsruhe eine mit 139 Gemälden, Aquarellen und Zeich- Ich sehe mich in diesem Augenblick des Schreibens zurückversetzt in eine Szene, die nungen bestückte Oskar-Kokoschka-Ausstellung machen können mit dem Titel: Das Por- mir in lebhaftester Erinnerung wieder vor Augen tritt. Schon damals, im »Jahr der Puppe«, trait. Zu sehen war auch das Selbstbildnis mit gekreuzten Armen von 1923, das sich heute in war es ein Vierteljahrhundert her, dass ich das erste und einzige Mal im Frühjahr 1966 den Kunstsammlungen Chemnitz betrachten lässt. In Karlsruhe sprach damals niemand Oskar und Olda Kokoschka in ihrem Haus in Villeneuve am Genfer See besuchte. Der von dem Frankfurter Schatz, er war aus seinem Lagerplatz noch nicht ans Licht getreten. Anlass war die Vorbereitung der besagten Portrait-Ausstellung für Karlsruhe. Im Garten Mir schoss durch den Kopf, dass die von den Nazis geplünderte Sammlung der Mo- blühten riesige Büschel von Schneeglöckchen. Es war alles Notwendige besprochen wor- derne im Städel Museum auch ihr einziges Porträt von Kokoschka eingebüßt hatte, das den, als mir vor dem Abschied der Maler noch einige Stücke aus seiner Sammlung vor- 1911 gemalte und bereits 1917 erworbene Bildnis Hermann Schwarzwald I. Es gehört heute führte, zuletzt einen blanken attischen Streithelm. Er nahm ihn erst in die Hände und war der Staatsgalerie Stuttgart, die es nach dem Krieg für sich erwerben konnte. Vielleicht ließe im Begriff, ihn sich aufzusetzen. Daran hinderte ihn unerwartet sein linkes Ohr. Es stellte sich dieser Verlust ein wenig ausgleichen durch jene glückliche Entdeckung aus der dem sich allen Bemühungen entgegen, lief nach und nach rot an und wollte partout nicht unter Städel Museum anvertrauten Sammlung von Carl Hagemann? den Helm. Kokoschka kapitulierte: »Wir sind nicht mehr in der Schlacht bei den Thermo- Unser Restaurator Peter Waldeis nahm das wieder aufgetauchte Selbstbildnis in Emp- pylen« und wünschte mir Glück auf die Reise. fang, reinigte es oberflächlich in seiner Werkstatt und stellte seinen einwandfreien Zustand Diesen Wunsch gebe ich heute den fleißigen, berufenen Rechercheuren weiter, das so fest. Heinrich Künstler, Schreiner und Hausmeister, zimmerte einen gediegenen Rahmen viele Jahre im Städel Museum beheimatete Selbstbildnis in das Œuvre des Malers zurück- dafür, und bald befand sich das Bild in meinem Arbeitszimmer und gewöhnte sich nach zuführen. Es gehört dahin und passt über beide Ohren. 6 7 EINFÜHRUNG EIN GEFÄLSCHTER KOKOSCHKA Kennern expressionistischer Kunst ist die ehemalige Sammlung Carl Hagemann in Frank- Wie aus Briefen von Ernst Gosebruch hervorgeht, plante Hagemann Ende der 1930er Jahre, furt ein Begriff. Carl Hagemann (1867–1940) war Chemiker. Nach anfänglichen Berufs- einige Stücke aus seiner Sammlung zu veräußern. Stattdessen wollte er Werke erwerben, jahren bei Bayer in Elberfeld und Leverkusen übernahm er 1920 die Leitung der Firma die seinem Verständnis nach die Sammlung konzentrieren sollten. Er beauftragte damit Cassella in Mainkur bei Frankfurt und wurde beim Zusammenschluss der chemischen den Kunsthändler Rudolf Probst. So standen bei Hagemanns plötzlichem Tod 1940 vier Industrie in der IG Farben 1925 Vorstandsmitglied dieses Konzerns. 1932 ging er in den Gemälde aus seiner Sammlung bei Probst zum Verkauf. Es handelte sich um zwei Bilder Ruhestand. von Schmidt-Rottluff, ein kleines Bild von Modersohn-Becker und eben das Selbstbildnis Hagemann hatte seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine umfangreiche und äußerst qua- von Kokoschka. litätvolle Sammlung von Gemälden, Papierarbeiten und Plastiken expressionistischer Nach Hagemanns Tod ließen die Erben 1941 diese Bilder von Probst an das Städel Künstler zusammengetragen. Beraten wurde er dabei von seinem Freund Ernst Gosebruch, Museum schicken. Dort kamen sie angeblich niemals an. Nach langer Korrespondenz zwi- dem Leiter des Museum Folkwang in Essen. Mit den meisten Künstlern stand Hagemann schen Hagemanns Erben und dem Städel wurden diese Bilder 1948 vor der Verteilung der in persönlichem Kontakt, so mit Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Mueller, später Sammlung unter die Erben als in den Kriegswirren verschollen aufgegeben. auch mit Ernst-Wilhelm Nay, vor allem aber mit Ernst Ludwig Kirchner, zu dessen wenigen In den 1960er Jahren jedoch fand man drei der vier vermissten Bilder im Keller des Freunden er sich zählen durfte. Städel auf, das Bild von Modersohn-Becker fehlt bis heute. Es gibt zum Wiederauftauchen Dass Hagemanns Sammlung das Dritte Reich und den Krieg ziemlich unbeschadet der Bilder nach bisheriger Kenntnis keine Aktennotiz oder irgendein sonstiges Dokument überstanden hat, ist Ernst Holzinger, dem früheren Leiter des Städel Museums in Frank- im Archiv des Städel. Die Hagemann-Erben wurden nicht benachrichtigt. Von dem aufge- furt, zu verdanken. Als Hagemann 1940 bei einem Unfall