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SWR2 Musikstunde across the border (7)

Von Günther Huesmann

Sendung: Samstag, 4. Juli 2015 9.05 – 10.00 Uhr

Redaktion: Martin Roth

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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SWR2, 4. Juli 2015

9.05-10.00 Uhr

Manuskript: Günther Huesmann

Redaktion: Martin Roth

Signet SWR2 Musikstunde

Mit Günther Huesmann, guten Morgen! Willkommen zu Jazz across the border.

Signet SWR2 Musikstunde

Vinicius Cantuaria, der in New York lebende brasilianische Sänger und Gitarrist, verneigt sich auf seinem aktuellen Album ganz tief vor Antonio Carlos Jobim. Und fällt dort nicht, wie viele andere, die den Begründer des Bossa-Nova-Stils feiern, vornüber hin. Dass Cantuaria bei seinen Jobim-Interpretationen nicht abstürzt, liegt zum einen an seinem subtilen Gesang. Zum anderen aber auch daran, dass er auf zwei Tracks einen genuinen Helfer an seiner Seite hat: den Weltmeister des schwebenden Gitarrenspiels .

1) Só Danco Samba

Komponist: Antonio Carlos Jobim/Vinicius Moraes/arr. Vinicius Cantuaria

Interpret: Vinicius Cantuaria feat. Bill Frisell

Label: Sunnyside SSC 1428

CD: Vinicius canta Antonio Carlos Jobim

Track 4, 2:52

„Só Danca Samba“. Vinicius Cantuaria: ganz nah bleibt er meist in seinen Interpretationen beim Original, auf dem Album „Vincius canta Antonio Carlos Jobim“. Warum auch große konzeptionelle Verrenkungen machen? Seine eigene Stimme hat er ja schon: den warmen, melancholischen Bariton vom Amazonas.

Jazzstandards aus der Zeit von 1929 bis 1979 interpretieren die Sängerin Irit Dekel und der Akkordeonist und Multiinstrumentalist Eldad Zitrin auf ihrem aktuellen Album „Last of Songs“. Beide leben in Tel Aviv, eine Stadt, die sie in musikalischer Hinsicht als wahren Melting Pot dieser Welt erleben, wo sich in einer quirligen Musik- Szene Elektronisches mit Akustischem, Arabisches mit Orientalischem und Westlichem mischt.

Und auch wenn es etwas überproduziert ist, das Album „Last of Songs“. Die bewusst auf Retro-Farben heruntergedimmten Standards bekommen neues Leben, weil Irit Denkel und Eldad Zitrin sie in ein multikulturelles Licht tauchen. Wie zum Beispiel diesen Klassiker von Ann Ronell, den einst berühmt gemacht hat: „Willow Weep For Me“.

2) Willow Weep For Me

Komponist: Ann Ronell

Interpret: Irit Dekel&Eldad Zitrin

Label: Pinorrekk Records PRCD 3405053, LC 7679

CD: Last of Songs

Track 8, 4:47

„Willow Weep For Me“ die Sängerin Irit Dekel und der Multiinstrumentalist Eldad Zitrin.

Einer der ersten Jazzer, die in Frankreich den Kontakt zur Szene der Drum n’ Bass- und House-Musik fanden, ist der aus Tunesien stammende und in Paris lebende Elektroniker Jean-Pierre Smadja. Sein Künstlername: Smadj.

Der gelernte Tontechniker ist aber nicht nur ein Meister der Sampler und Drum Machines, sondern spielt auch die elektrische Oud. „Spleen“ heißt sein aktuelles Album, das ihn im Dialog mit Musikern aus Fado, , Tango, Flamenco und arabischer klassischer Musik präsentiert. Wobei die arabische Laute für DJ Smadj gleichsam in die Rolle einer kosmopolitischen Übersetzerin schlüpft. Und auch Ibrahim Maalouf, der Meister im Spiel der nahöstlichen Viertelton-Trompete, ist als Gast mit dabei: im Track „Smadjibe“.

3) Smadjibe

Komponist: Smadj

Interpret: Smadj feat. Ibrahim Maalouf

Label: Jazz Village JV570064

CD: Spleen

Track 2, 3:57

Ibrahim Maalouf und Smadj mit dem Track „Smadjibe“.

In der New Yorker Downtown-Szene gibt es einen aus Kuba stammenden Perkussionisten, der virtuos mitmischt in den bunten multitstilistischen Projekten von John Zorn und Mark Ribot: Roberto Rodriguez.

1972 kam er von Guantanamo nach Miami. Der Afro-Kubaner hat keine jüdischen Wurzeln, doch sein Vater spielte in Florida viel auf jüdischen Festen und Hochzeiten. Dort hat der junge Roberto die Sounds der osteuropäischen Ashkenazy-Musik genauso aufgesogen wie in Latin-Kreisen die Rhythmen des afro- kubanischen Santeria-Musik.

So haben im Laufe der Jahre seine karibisch gefärbten Sounds eine faszinierende Nähe zur Klezmer-Musik entwickelt. In seinen eigenen Projekten feiert er damit zwei Stil-Ebenen, die man nicht unbedingt sofort zusammendenkt: die tänzerischen Formen von Klezmer und Salsa. Roberto Rodriguez zeigt sie in seiner Musik: spannende Parallelen zwischen afro-kubanischer und jüdischer Musiktradition.

4) Timba Talmud

Komponist: Roberto Juan Rodriguez

Interpret: Roberto Rodriguez

Label: Tzadik TZ 8140

CD: Timba Talmud

Track 8, 5:46

„Timba Talmud“, der Perkussionist Roberto Rodriguez und seine Fusion von afro-kubanischen und Klezmer-Klängen.

Und was machen seine Söhne? Die spielen, obwohl der Vater schwört, sie nie dazu gedrängt zu haben, Latin-Jazz. Wobei die Betonung auf beiden Wörtern liegt: sowohl auf Latin wie auf Jazz.

Zuhause, im Wohnzimmer, stand immer Rodriguez‘ Schlagzeug herum, beide Kinder spielten darauf. „Unser Vater besaß Tonnen von Jazzschallplatten. Wir wuchsen zu den Klängen von , Buddy Rich, Count Basie und Duke Ellington auf.“ So seien sie zur improvisierten Musik gekommen. Michael Rodriguez spielte jahrelang Trompete im Lincoln Center Jazz Orchestra , Wynton Marsalis nannte ihn wegen seines einfühlsamen Tons „den Poeten“, und am Klavier sitzt Michaels‘ Bruder Robert. Gemeinsam leiten sie die „Rodriguez Brother“. Wie musikalisch flexibel sich heutige Latin-Musiker im Jazzkontext bewegen, das beweisen die „Rodriguez Brothers“ im Titelstück ihres Albums „Impromptu“.

5) Impromptu

Komponist: M. Rodriguez

Interpret: The Rodriguez Brothers

Label: Criss Cross 1331

CD: Impromptu

Track 1, 8:36

„The Rodriguez Brother“ mit dem Titelstück ihres vierten, gerade neu erschienenen Albums „Impromptu“. Und die Solisten waren: Michael Rodriguez, Trompete; Robert Rodriguez, Klavier; Carlos Henriques, Bass und Samuel Torres, Conga.

Gelernt hat Michael Rodriguez beim großen , dem ersten Pianisten der es in Castros Kuba schaffte, einen Plattenvertrag bei einem amerikanischen Major Label zu landen. 1989 war das. Heute ist Rubalcaba ein auf den großen Bühnen gefeierter Star. Den man eigentlich als musikalischen Pyrotechniker kennt; als gerne auch perkussiv aufspielenden Ultra-Virtuosen. Ganz anders zeigt er sich auf der aktuellen CD„Tokyo Adagio“, die er im Duo mit dem Basssisten Charlie Haden eingespielt hat. In stillen, konzentrierten Dialogen – als Meister des Subtilen und der Einfühlung.

6) En La Orilla Del Mundo (The Edge of the World)

Komponist: Rojas Martin

Interpret: Charlie Haden/Gonzalo Rubalcaba

Label: Impulse 0602547299260

CD: Tokyo Adagio

Track 1, 9:05

„En La Orilla Del Mondo“, der Charlie Haden im Dialog mit dem kubanischen Pianisten Gonzalo Rubalcaba. „Das Album Tokyo Adagio“ bringt Aufnahmen aus dem Tokioter Jazzclub „Blue Note“ von 2005.

Der mexikanische Schlagzeuger Antonio Sanchez hat mit seiner Filmmusik zu „Birdman“ fast genauso viel Aufsehen erregt wie der Film selbst. Ein Soundtrack, kühn geschichtet aus brillanten Rhythmen, gespielt allein von Sanchez selbst. Aber auch in der Band von und seinen eigenen Projekten hebt der Mexikaner das zeitgenössische Jazzschlagzeugspiel auf ein neues Plateau.

Jetzt gibt er einen Gastauftritt auf der Debut-CD der Sängerin Thana Alexa. Geboren wurde sie in New York. Aufgewachsen ist sie und zum Jazz gefunden hat sie in Kroatien. Mit 18 kehrte sie in den USA zurück. Und beweist sich dort als robuste und durchsetzungsstarke Stimme.

Sie möge es nicht, nur als Song-Interpretin gesehen zu werden, sagt sie. Sie liebe es, die Komfort-Zone der Jazzsängerin zu verlassen, und ihre Stimme immer wieder auch rein instrumental einzusetzen. Souverän lässt sich Thana Alexa von extrovertierten Solisten wie dem Tenorsaxofonisten Donny McCaslin unter kreativen Druck setzen, um sich als gleichwertige Stimme im instrumentalen Kontext zu behaupten.

7) Ode to Heroes

Komponist: Thana Alexa

Interpret: Thana Alexa

Label: Jazz Village JV 579002

CD: Ode to Heroes

Track 1, 6:22

„Ode to Heroes“ die Sängerin Thana Alexa und der Schlagzeuger Antonio Sanchez.

Wenn es darum geht, in der saxofon-fixierten New Yorker Szene zu zeigen, dass auch die Klarinette im zeitgenössischen Jazz ein gewichtiges Wort mitzureden hat, dann ist eine Musikerin aus Israel erste Wahl. Anat Cohen lebt seit 1999 in New York. Wie ihre beiden Brüder, der Trompeter Avishai und der Posaunist Yuval, prägt sie dort den aktuellen Jazz mit.

Das Besondere an Anat Cohen ist ihre pluralistische Ausrichtung. Das sei das tolle an New York, sagt sie: jeden Abend könne sie in einem andere Stil spielen: Samba, Free, Rock, von experimentell bis tänzerisch, von traditionell bis neu. Und das Gute daran: trotz aller stilistischen Vielfalt, unverkennbar bleibt ihr Spiel trotzdem.

So auch im Track „Putty Boy Strut“, einen Klassiker des Elektro-Rock, berühmt geworden durch Flying Lotus. Den übersetzt Anat Cohen souverän aus der Welt der Drum Machines ins akustische Quartett- Format der Improvisationsmusik.

Und damit endet die heutige Ausgabe von „Jazz across the border“ in der SWR2Musikstunde. Mein Name ist Günther Huesmann. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

8) Putty Boy Strut

Komponist: Flying Lotus (Steven Ellison)

Interpret: Anat Cohen

Label: Anzic Records ANZ-0050

CD: Luminosa Track 2, 4:40