B 19007 F Nummer 168 | Juni 2011 2. Quartal | 43. Jahrgang

MITTEILUNGEN DER KARL-MAY-GESELLSCHAFT Inhaltsverzeichnis

Johannes Zeilinger Karl Mays größter Anwalt 1 Claus Roxin zum Achtzigsten Rudi Schweikert Wunder in der Wüste 3 Old Shatterhand als Regenmacher Rolf J. G. Stadel- Millionen Acres namentlich an die Eisen- 9 mayer bahn verschleudert Quadratisch, praktisch – auch gut? Michael Hinter- Der Meierhof Jeanette in Karl Mays Die 16 mayer-Wellenberg Liebe des Ulanen Überlegungen zur Lage und Benennung Joachim Biermann ›Fragen und Antworten‹ 24 Aus den Leserbriefspalten des ›Guten Kame- raden‹ (XII) Erwin Müller Die Fundstelle (42) 38 Christoph Blau Ein Schwedenhappen zum Dessert 39 Noch ein Detail zur frühen Mayrezeption in Schweden Jürgen Seul Karl May im ›Simplicissimus‹ 44 Glossen, Gedichte, Witze und Erwähnun- gen in der berühmtesten Satire-Zeitschrift des deutschen Sprachraums – Teil II Jörg-M. Bönisch/ „Karl May’s echtestes Vorbild“ 56 Gerd Hardacker Winfried Didzoleit ›Les vertes lectures‹ 58 Eckehard Koch Mit Karl May von Amerika über China 62 und Afrika nach Norland Assoziationen zu Karl May 8: Norland

Unser Titelbild

›Paul Wegener, Ehrenhäuptling der Araukanas-Indianer‹. Zeichnung von Wilhelm Schulz aus der satirischen Zeitschrift ›Simplicissimus‹, 34. Jahrgang, Heft 18 (1929), S. 217. – Zu den May-Bezügen im ›Simpli- cissimus‹ vgl. auch den Aufsatz von Jürgen Seul in diesem Heft. Karl Mays größter Anwalt Claus Roxin zum Achtzigsten

irklich große Männer sind W stets bescheiden. Als Karl May diese Worte schrieb, konnte er nicht ahnen, dass sie einst auch jenen Mann charakterisieren wür- den, der Jahrzehnte später sein bedeutendster Anwalt wurde und eine literarische Gesellschaft mit- begründete, leitete und prägte, die bis heute seinen Namen trägt. Doch diese Eigenschaft allein, dies wusste auch May, verleiht noch keine menschliche Größe. Profes- sor Dr. Dr. h. c. mult. Claus Roxin, der im letzten Monat seinen acht- zigsten Geburtstag feiern durfte, ist trotz zahlloser Ehrungen aus Weise gepackt, die mich nie wieder dem In- und Ausland ein be- losgelassen hat.“ Während die Welt scheidener Mensch im May’schen der Abenteuer seine Phantasie do- Sinne geblieben. In ihm jedoch minierte, war es die Vernunft, die verbinden sich aufs Glücklichste ihn zum Studium der Rechtswis- fachliche Autorität mit Klugheit, senschaften bewegte – eine glück- Charisma und Freundlichkeit zu liche Entscheidung, oder, nach einer faszinierenden Persönlich- seinen Worten, ein exemplarisches keit, zu einem großen Mann, dem Beispiel, wie „die Praktizierung ei- die Karl-May-Gesellschaft zutiefst ner Vernunftehe zur Liebe führen“ zu Dank verpflichtet ist. kann. 1962 bereits habilitierte sich der bereits promovierte Jurist in Claus Roxin wurde am 15. Mai seiner Heimatstadt und wurde ein 1931 in Hamburg geboren. Zu Jahr später – da zählte er erst 32 den prägenden Leseeindrücken Lebensjahre – zum Ordinarius für seiner Kindheit und frühesten Ju- Strafrecht, Strafprozessrecht und gend gehörte Karl May: „Ich habe allgemeine Rechtslehre an die Ge- eigentlich bei Karl May zum ers- org-August-Universität Göttingen ten Mal gelernt, richtige Bücher berufen. 1971 nahm er den Ruf an zu lesen. Dass sich die Welt der die Ludwig-Maximilian-Universi- Buchstaben mir auf diese Weise tät München an, wurde dort 1974 erschlossen hat, hat mich in einer Geschäftsführender Direktor des

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 1 Instituts für die gesamten Straf- sitzenden, führte die Gesellschaft rechtswissenschaften. Sein Wirken durch eine bewegte Kindheit und aber blieb nicht auf die akademi- Jugend und formte schließlich ihr sche Lehre beschränkt; ab 1966 erwachsenes Bild, ihren Geist und beteiligte er sich an der Erstellung ihr Selbstverständnis. eines Alternativentwurfs für den Allgemeinen Teil des deutschen Die Basis jedes Engagements Strafgesetzbuches, und dieser li- in der KMG ist und bleibt, wie berale und innovative Entwurf Roxin immer wieder betonte, die prägte das bundesdeutsche Straf- unentgeltliche und ehrenamtli- recht maßgeblich. Die lebenslange che Mitarbeit, die jedoch einen Beschäftigung mit dem Strafrecht eigenen Lohn bietet: „Die besten brachte auch eine fachliche Ver- Mitarbeiter sind die, die aus Freu- bindung zu Karl May, „denn er de an der Sache und nicht um des war ja fast der berühmteste Krimi- Geldes willen mitwirken. Sie er- nelle in unserer Literaturgeschich- ledigen keinen Job, sondern tun te. Er hat ja immerhin acht Jahre etwas, was ihnen Herzenssache hinter Gittern gesessen. Diese ist. Niemand soll mit der KMG Zusammenhänge zwischen den ein Geschäft machen! Das ist ein Straftaten und der literarischen Grundsatz, an dem ich unver- Produktion sind an sich schon ein brüchlich festhalte.“ interessantes Forschungsgebiet. All diese Motive fließen in meinem Obwohl Vorsitzender einer lite- Engagement zusammen.“ rarischen Gesellschaft, forderte Roxin schon früh, dass der For- Neben der wissenschaftlichen schungsgegenstand May nicht Karriere blieb die Lektüre Karl rein literaturwissenschaftlich, son- Mays sein persönliches Korrektiv, dern interdisziplinär behandelt mit dem er sein unausgelebtes werden solle, schließlich sei May ›Abenteuerblut‹ zu kompensieren „keine ausschließlich literarische vermochte. Dazu kam ein eigenes Erscheinung, sondern ein umfas- literarisches Interesse: „Ich dachte senderes Kulturphänomen“. Diese mir, die Goethe-Forschung oder Önung in ganz unterschiedliche die Thomas-Mann-Forschung Forschungsrichtungen hat bis bedürfen meiner nicht, aber für heute der Beschäftigung mit May Karl May müsste sehr wohl etwas ein ganz eigenes, ganzheitliches gemacht werden.“ So verwun- Profil gegeben, der Schriftsteller dert es nicht, dass Claus Roxin ist Teil unserer Kulturgeschichte zu den elf Personen gehörte, die geworden und legitimes und be- am 22. März 1969 die Karl-May- liebtes Objekt wissenschaftlicher Gesellschaft begründeten – auch Beschäftigung. Trotzdem betonte nicht, dass er quasi aus dem Stand Roxin ganz grundsätzlich: „Aber heraus zum stellvertretenden Vor- die Karl-May-Forschung ist eine sitzenden gewählt wurde und kurz Wissenschaft für alle!“ So erhielten darauf das erste Jahrbuch der jun- in der Karl-May-Gesellschaft nicht gen Gesellschaft herausgab. Der nur professionelle Wissenschaftler, Band war kaum erschienen, da sondern auch engagierte Laien wurde der Stellvertreter zum Vor- und wissenschaftliche Amateure

2 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 ein Forum für ihre Forschungser- blick und so auch ein Moment gebnisse – auch dies ist Teil ihres großer Gefühle: Wehmut mischte unverwechselbaren Profils gewor- sich mit Dankbarkeit und jeder den. Wer auch immer mit einem Anwesende erahnte, welch einen Anliegen an Roxin herantrat, er- Glücksfall Claus Roxin für die hielt Hilfestellung, Ratschlag und Karl-May-Gesellschaft bedeutete. Ermunterung, er war und bleibt Inspirator wie Motivator mit im- Nun hat er am 15. Mai 2011 sein mer oenem Ohr und wachem achtzigstes Lebensjahr vollendet Verstand. Zahllos und sorgsam und blickt auf ein erfülltes und gehütet sind all seine Briefe, die großes Leben zurück. Er war vie- er, ähnlich wie sein Klient May, len ein Lehrer und manchem ein in sauberer Handschrift verfasste, Freund, allen aber ein Vorbild. Als und unvergessen sind viele Gesprä- Professor für Strafrecht hat er im che mit ihm. In seinen Reden und In- und Ausland mehr akademi- Vorträgen aber dokumentierte er sche Ehren in seiner Person erfah- als Aufklärer und Wissenschaftler ren, als so manche ehrwürdige Fa- seine große Gabe, komplexe Sach- kultät über Generationen sammeln verhalte in fachlicher und sprach- konnte. So hat er Spuren hinter- licher Souveränität verständlich zu lassen, im Großen wie im Kleinen, machen. Ähnlich wie viele seiner in der Wissenschaft der Jurispru- juristischen Arbeiten zu nationalen denz wie in der May-Forschung – oder gar internationalen Standard- vor allem aber in den Herzen der werken wurden, so sind seine glän- Menschen, die das Glück hatten, zend geschriebenen Essays zu May ihn erleben zu dürfen. – etwa ›Vorläufige Bemerkungen über die Straftaten Karl Mays‹ – zu Die Karl-May-Gesellschaft gratu- klassischen, zeitlosen Texten über liert ihrem Ehrenvorsitzenden zu den schwierigen Lebensweg des seinem Geburtstag und wünscht sächsischen Erzählers geworden. ihm weiterhin Gesundheit, Schaf- fenskraft und Lebensfreude. Wie 28 Jahre blieb Claus Roxin im heißt es doch bei Karl May: Das Amt als Vorsitzender der KMG Leben des Menschen ist nicht bloß und war in dieser Zeit in nimmer- das, als was es von dem Durch- müdem Engagement der große schnittsmanne betrachtet wird. Anwalt Mays, den der Schriftstel- Es ist etwas ganz Anderes. Es ist ler zu Lebzeiten so bitter vermiss- mehr, viel mehr als bloß ein Existie- te. Im September 1999 tagte die ren auf der Erde, welches mit der Gesellschaft schließlich im Ge- Geburt seinen Anfang und mit burtsort Mays, und nun konnte dem Tode sein Ende nimmt. Ja, Roxin die Verantwortung für die es ist sogar auch mehr als bloß ein Geschicke der Gesellschaft in die Irgendwoherkommen zu der Erde Hände einer anderen Generati- und dann ein Irgendwohingehen on legen. Ein letztes Mal legte er von der Erde! Es hat nämlich ei- Rechenschaft über seine Tätigkeit nen Zweck! In diesem Sinne: Ad ab und atemlos lauschte das Au- multos annos, lieber Claus Roxin! ditorium seinen Ausführungen. Es war ein historischer Augen- Johannes Zeilinger

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 3 Rudi Schweikert Wunder in der Wüste Old Shatterhand als Regenmacher

weimal rettet Old Shatter- den Leute das Schilf und alles sonstige Zhand Menschen, die durch ausgedorrte Gesträuch in Brand, und den Llano Estacado ziehen, vor siehe da, der Regen kommt. Ich selbst dem Verdursten, indem er durch hatte dies zweimal beobachtet, und wer einigermaßen mit den Gesetzen, Kräf- Verbrennen von Kaktus Gewitter ten und Erscheinungen der Natur ver- mit Regen erzeugt (in Deadly dust traut ist, kann sich den Vorgang ganz und im Geist der Llano estakata). gewiß erklären, ohne eine wissenschaft- Beim ersten Mal gibt er auch an, liche Erörterung zu verlangen. wie er darauf gekommen ist: Hieran dachte ich in diesem Augen- So war ich wohl eine Meile weit vor- blick; kaum war’s gedacht, kniete ich angekommen, als ich einige vereinzelt auch bereits bei den Pflanzen, um mir stehende Cactusstauden bemerkte, die mit dem Messer die nöthigen Zünd- so vollständig abgedorrt waren, daß sie fasern abzuschleißen. Einige Minuten eine beinahe gelbe Farbe angenommen später flackerte ein lustiges Feuer em- hatten. Nach und nach standen sie in por, welches erst langsam und dann einzelnen Gruppen, welche allmälig immer schneller weiter um sich gri, immer häufiger wurden, bis sie endlich bis ich endlich vor der Fronte eines eine unabsehbare und geschlossene Stre- Gluthmeeres stand, dessen Grenzen 2 cke bildeten, welche sich weit bis über nicht abzusehen waren. die Linie des Horizontes hinüberzog. Also zweimal will der Erzähler in Natürlich ging die von mir verfolgte Florida dieses Wetterphänomen, Fährte nicht in die gefährlichen Ge- das er jetzt zu erzeugen gedenkt, wächse hinein; sie führte um dieselben gesehen haben. Von seinem er- herum, und ich folgte ihr, doch nicht schöpften, dem Tode durch Ver- lange, denn plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich sofort mit neuen dursten nahen Begleiter Sans-ear Kräften erfüllte. bekommt der Erzähler, als er ihm von seinem Tun berichtet, lapidar Wenn in den glühenden Niederungen zu hören, dass er verrückt sei. der Halbinsel Florida die jedes Wasser verzehrende Hitze so groß wird, daß »Zounds, Charley, was ist denn eigent- Mensch und Thier verschmachten will, lich da vorn los? Erst dachte ich, wir und dennoch die Erde bleibt wie »flüs- hätten ein Erdbeben, jetzt aber glaube siges Blei und der Himmel wie glühen- ich zum Beispiel, daß dieser höllische des Erz,«1 ohne die kleinste Wolke sehen Sand gar noch in Brand gerathen ist.« zu lassen, so stecken die verschmachten- »Der Sand nicht, Sam, aber der Cac- tus, welcher dort in Menge steht.« 1 Vgl. dazu 3. Mose 26,19, wo Gott spricht (Luther-Übersetzung): Ich „will euren Himmel wie Eisen und 2 Karl May: Deadly dust. In: Deutscher eure Erde wie Erz machen.“ (Anm. Hausschatz, 6. Jg. (1879/80), S. 484; R. S.) Reprint KMG 1997, S. 164.

4 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 »Wie fängt der Feuer? Ich glaube doch das Ding in Florida gesehen und es nicht, daß Du ihn angezündet hast.« hier einfach nachgemacht, weil ich denke, daß uns eine Handvoll Regen »Warum nicht?« nicht sehr viel schaden wird. Schau, da »Wahrhaftig, er ist’s gewesen! Aber sage hast Du bereits die Wolke! Sobald der doch, Mensch, zu welchem Zwecke!« Cactus niedergebrannt ist, geht es los. Und wenn Du es nicht glauben willst, »Um Regen zu bekommen.« so sieh nur Deine Tony an, wie sie mit »Regen? Nimm es mir nicht übel, Char- dem Schwanzstummel wirbelt und die ley, aber ich glaube, Du bist zum Zeit- Nüstern aufwirft! Auch mein Mus- vertreibe ein wenig übergeschnappt!« tang riecht bereits Regen, der sich al- lerdings nicht viel weiter als über die »Weißt Du nicht, daß bei manchen Brandstrecke verbreiten wird. Kommt Wilden die Uebergeschnappten für sehr vorwärts, daß er uns auch richtig er- gescheidte Leute gelten?« wischen kann!«3 »Ich hoe nicht, daß Du behaupten willst, etwas Gescheidtes angefangen ›Nachgemacht‹ hat unser Clever- zu haben! Die Hitze ist ja vielmehr le also ein Wetterphänomen, ein doppelt so groß geworden als vorher.« ›Ding‹, das er ›gesehen‹ habe. »Die Hitze ist gestiegen, und mit ihr wird sich die Elektricität entwickeln.« ›Gelesen‹ wäre, wie üblich, ehrli- cher, aber weniger eindrucksvoll »Bleibe mir zum Beispiel mit Deiner gewesen. Worauf der Erzähler Elektricität vom Leibe! Ich kann sie nicht essen; ich kann sie nicht trinken; anspielt und was er für sich um- ich weiß überhaupt gar nicht, was für zusetzen in Anspruch nimmt, ist eine fremde Creatur ich unter ihr zu ein Bericht des Surveyors George verstehen habe.« Mackay, eines Oziers der Uni- »Du wirst sie bald zu hören bekommen, ons-Armee, der 1845 in Flori- denn in kurzer Zeit werden wir das da während der regenlosen Zeit schönste Gewitter haben und vielleicht zwischen April und Juni mit Ver- auch ein wenig Donner dabei.« messungen beschäftigt war. Weil ihm und seinen Helfern die aus- »Nun halte auf! Armer Charley, Du bist wirklich vollständig überge- gedehnten Schilfgras-Weiher im schnappt!« Wege waren und das Hindurch- schneiden bei der glühenden Er blickte mich so besorgt an, daß ich Hitze zu mühsam, ließ er das tro- erkennen mußte, er spasse nicht. Ich ckene Schilfgras von zwei Seiten deutete empor. aus anzünden. Nach einiger Zeit »Siehst Du diese Dünste, welche sich be- erhob sich eine angenehme Brise, reits zusammenballen?« die Luft kühlte ab, und es folgte »Alle Wetter, Charley, am Ende bist ein erfrischender Regenschauer. Du nicht ganz so sehr verrückt, wie ich gedacht habe!« Einer der bedeutendsten amerika- »Sie werden eine Wolke bilden, die sich nischen Meteorologen, James Pol- mit Heftigkeit entladen muß.« lard Espy (1785–1860), vertrat die Theorie der Wolkenbildung durch »Charley, wenn dies wirklich so ist, aufsteigende Luftströme (in ›The dann bin ich ein Esel und Du bist der klügste Kerl in den Vereinigten-Staa- Philosophy of Storms‹, 1841), ten und auch etwas darüber hinaus.«

»Ist nicht so schlimm, Sam. Ich habe 3 Ebd., S. 486; Reprint KMG, S. 165.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 5 was nun ein Mitarbeiter Mackays, cond and third Report on Mete- Captain Alexander Mackay, durch orology‹ (1851) wiedergab. Der wiederholtes Abbrennen von grö- deutsche Mathematiker, Physiker ßeren Schilfgrasflächen zu belegen und Meteorologe Theodor Reye suchte. Mit Erfolg. (1838–1919) gri 1864 in einem Aufsatz Mackays Bericht zusam- George Mackay teilte das Ge- menfassend auf.4 Von da an wur- schehen ausführlich Espy mit, der dessen Bericht in seinem ›Se- 4 Vgl. Theodor Reye: Ueber vertica- le Luftströme in der Atmosphäre. In:

6 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Abb. 1. George Mackays Er- zählung vom Regenmachen in Florida (aus Theodor Reyes ›Die Wirbelstür- me, Tornados und Wettersäu- len‹, wie Anm. 6, S. 13 und 14) de in thematisch einschlägigen In Theodor Reyes Buch ›Die Wir- deutschsprachigen Veröentli- belstürme, Tornados und Wetter- chungen das floridanische Regen- säulen in der Erd-Atmosphäre‹ machen, das dann auch von dort (1872) findet sich Mackays Be- ansässigen, aber keineswegs ver- schmachtenden Farmern zwecks Jahres-Bericht der k. k. Ober-Real- besserer Keimung ihrer Saat an- schule am Schottenfelde in Wien für das Studien-Jahr 1864–65. Wien: gewendet wurde, immer wieder Kaiserlich-königliche Hof- und Staats- nach Reye zitiert.5 druckerei 1865, S. 1–31; hier S. 13f. Oder: [H. Hirzel und H. Gretschel]: Wirbelstürme. In: Jahrbuch der Er- Zeitschrift für Mathematik und Physik, findungen und Fortschritte auf den 9. Jg. (1864), S. 250–276; hier S. 253. Gebieten der Physik und Chemie, 5 Siehe beispielsweise Julius Hann: Die der Technologie und Mechanik, der Entstehung der Gewitter im Zusam- Astronomie und Meteorologie, 9. Jg. menhange mit der Witterung. In: (1873), S. 149–184; hier S. 167f.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 7 Abb. 2. Vier Wirbelformen richt auf Deutsch am ausführlichs- 1879, kurz vor der Niederschrift über brennendem ten wieder.6 Reyes resümierender von Deadly dust, kam von Her- Schilfrohr (Fron- tispiz aus Theo- Kommentar nach Aufzählung mann Kopp (1817–1892), der dor Reyes ›Die unterschiedlicher Wirbel-Phäno- durch seine Werke zur Geschichte Wirbelstürme, mene: „Auch kommt es vor, dass der Chemie bekannt war, ›Einiges Tornados und die im Wirbelwinde mitgerisse- über Witterungsangaben‹ heraus, Wettersäulen‹, wie Anm. 6) nen Wasserdämpfe (zu denen bei und die darin enthaltene Wie- Mackay’s Schilfbränden die mit- dergabe der Espy-Mackay-Story verbrannten grünen Gräser sicher nach Reyes Buch von 1872 dürfte ihren Theil beigetragen haben) Mays Quelle gewesen sein.8 sich über der Rauchsäule verdich- ten zu Wolken, aus denen es regnet Wer einigermaßen mit den Geset- und wohl gar blitzt und donnert.“7 zen, Kräften und Erscheinungen Ohne Wasser geht nichts. Das ist der Natur vertraut ist, dem ist nun mal Naturgesetz. Und in der natürlich klar, dass etwas, das im Wüste gibt es bekanntlich nicht feuchten Florida klappt, in der ausreichend viel davon. Wüste nicht funktionieren kann. Es sei denn, man lebt in der Welt der Fantasie mit ihren realitätsfer- 6 Vgl. Theodor Reye: Die Wirbelstür- nen anderen Maßstäben. me, Tornados und Wettersäulen in der Erd-Atmosphäre mit Berücksich- tigung der Stürme in der Sonnen-At- mosphäre. Hannover: Rümpler 1872, 8 Vgl. Hermann Kopp: Einiges über S. 12–14. Witterungsangaben. Braunschweig: 7 Ebd., S. 15. Vieweg 1879, S. 117f.

8 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Rolf J. G. Stadelmayer Millionen Acres nament- lich an die Eisenbahnen verschleudert Quadratisch, praktisch – auch gut?

um Heimstättengesetz Außerdem wurden Millionen Acres schrieb ich im Jahre 2009 in namentlich an die Eisenbahnen ver- Z 3 den ›Mitteilungen‹: „In Der Oel- schleudert. prinz geht Karl May hierauf nä- her ein.“1 Und zwar erklärt May Die Ursache der Zahl von in dieser 1892/93 geschriebe- 160 Acres ist im nach Gründung nen und Ende der 60er-Jahre des der USA von Thomas Jeer- 19. Jahrhunderts spielenden Ju- son initiierten ›Land Ordinance genderzählung, auf welche Weise Act‹ von 1785 zu finden. Hierin sich die Weißen in den Besitz von wurde festgelegt, dass vor einer Ländereien zu setzen pflegten.2 Landvergabe eine Vermessung erfolgen muss. Diese hatte so ausgeführt zu werden, dass das Land Ordinance Act und öentliche Land fast des ganzen Homestead Act Westens mit Townships, Qua- draten von sechs Meilen Seiten- länge, zu überziehen war. Jede May schreibt zu solchen Inbesitz- dieser Gebietseinheiten wurde in nahmen: 36 bustrophedon nummerierte quadratische Sections von einer Nach dem sogenannten Heimstätten- Meile (rd. 1,6 km) Seitenlänge gesetz kann nämlich jedes Familien- und 640 Acres (2,56 km) Fläche oberhaupt und jeder einundzwanzig- parzelliert. Durch weitere Teilun- jährige Mann, welcher entweder Bür- gen entstanden Untersektionen. ger ist oder Bürger werden zu wollen erklärt, eine noch unbesetzte Parzelle Hierauf nimmt das nächste gro- Land von 160 Acres ohne alle Bezah- ße Gesetzeswerk zur Landpolitik, lung erwerben; nur muß er sie fünf der Homestead Act (das Heim- Jahre lang bewohnen und bebauen. stättengesetz) vom 20. Mai 1862, Bezug. Die auch von May genann- 1 Rolf J. G. Stadelmayer: Der Oklaho- te Parzelle Land von 160 Acres ma Panhandle. In: M-KMG 160/Juni bildet nämlich eine ›Quarter Sec- 2009, S. 2f. 2 Karl May: Der Oelprinz. In: Der tion‹ – gleich 64 Hektar. Texas Gute Kamerad. Illustrierte Knaben- Zeitung. 8. Jg. 1893/94, Nr. 30, S. 412b. 3 Ebd.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 9 führte dieses System nicht ein, te-Gesetz. Ein Bürger, oder Jemand, denn es hatte auch nach Eintritt welcher erklärt, es werden zu wollen, in die Vereinigten Staaten die kann 160 Acker Heimstätte-Land er- volle Kontrolle über sein öentli- halten, wenn er […] das Land fünf Jahre bewohnt.“ ches Land behalten, unterlag also diesbezüglich nicht dem Bundes- recht. Um bei der Quellenforschung nicht zu übertreiben: Beide Texte Karl May hatte früh von Amerika- geben lediglich den Gesetzesin- Rückkehrern – erst von denen im halt des Heimstättengesetzes wie- Kegelschub, später von Ferdinand der. Hier warteten in Amerika 40 Pfeerkorn – und von den Bur- Millionen Acker Land auf Siedler: tons vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten gehört, Abb. 1a. musste seine Auswande- Faltblatt aus rung im Jahre 1869 nach Karl Mays eigener Aussage jedoch Bibliothek, Titelblatt in Bremen abbrechen. Auch wenn er bei diesem Auswanderungsversuch wohl nicht an Ackerland interessiert war, bewahr- te er später in seiner Bi- bliothek doch mehrere Werbefaltblätter, dar- unter eines der Nord- Pacific-Eisenbahn-Com- pagnie (Northern Pacific Railroad, N.P.R.R.) vom 20. Dezember 1884 auf (Abb. 1a und 1b). In diesem Traktat wird nach der Frage: „Wie erhält man Regierungs-Lände- reien?“ in der Antwort ein ähnlicher Text, wie er in Der Oelprinz steht, gegeben:

„Die Gesetze der Ver. Staa- ten bestimmen, daß Bür- ger der Ver. Staaten, oder Personen, die ihre Absicht erklärt haben, es werden zu wollen, und Familienvä- ter oder über 21 Jahre alt sind, Land unter folgenden Bedingungen erhalten kön- nen: Unter dem Heimstät-

10 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 War kein Surveyor (Landmesser) zusagenden Strecke Landes zu gelten, zur Hand, was beim im Wilden dasselbe nur dadurch als das seinige zu Westen gelegenen Gloomy-water, bezeichnen, daß er mit der Axt einige dem angeblichen Petroleumsee Bäume anhieb, eine Hütte baute und etwas Getreide säete.4 in Arizona, plausibel ist, war ein improvisiertes Verfahren üblich. Hierzu schreibt May in Der Oel- Obwohl auch von ›Tomahawk prinz weiter: Rights‹ gesprochen wurde, gab es für die Tomahawk Improvements Und was die Tomahawk-Improve- keine gesetzliche Grundlage. Die Abb. 1b. ments betrit, so brauchte nach ihnen Faltblatt aus jemand, um als Eigentümer einer ihm Karl Mays 4 Ebd. Bibliothek, S. 13–14.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 11 Gefahr beim Tomahawk Improve- Überlappungen führten und grö- ment – von Mokaschi als Räuber- ßer als erlaubt waren. Tomahawk und Diebeswort5 bezeichnet – war Improvements dienten deshalb nämlich, dass solche ohne Vermes- – bis zur staatlichen Vermessung sung, spontan und ohne Planung und Landzuteilung – auch nur ausgeführten Landbesitznahmen zur örtlichen Markierung des oft zu Grenzstreitigkeiten und Grundstücks und der Anmeldung des Eigentumsanspruchs daran. Bei Ölprinz Grinleys Dokument 5 Ebd.

Abb. 2. „Millions of Acres“

12 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 zum Tomahawk Improvement, Das Werbeplakat sagt nichts da- das Bankier Rollins im sicheren rüber aus, wie die Eisenbahnge- Brownsville, Arkansas, hat über- sellschaft das Eigentumsrecht an prüfen lassen, kann es sich also den „Millions of Acres“ erhalten nur um das Anmeldedokument hat. Und auch May beantwortet handeln. May schreibt deshalb – im Anschluss an seine Erklä- auch ganz richtig um als Eigen- rungen zum Heimstättengesetz: tümer […] zu gelten. Auch nach Außerdem wurden Millionen Abtretung auf Rollins würde nach Acres namentlich an die Eisenbah- den Vereinigten-Staatengesetzen nen verschleudert – das Wie und erst die bestätigende Vermessung Warum nicht. Die Acres wurden zu Rollins rechtlichem Eigentum nämlich nicht etwa (sinnlos) ver- am ›Düsteren Wasser‹ führen. schleudert, sondern wiederum an May war dies bekannt, denn in Siedler verkauft. Der Erlös diente Der Schatz im Silbersee vergisst er den Bahnen, neben Aktienverkauf nicht zu erwähnen, dass zum Lan- und staatlichen Prämien pro ver- derwerb der Timbabatschen eine legter Meile, zur Finanzierung Vermessung Voraussetzung sei. des Bahnbaus. Wie im Faltblatt zu lesen ist, betrieben die Eisen- Staatliche Landzuteilungen an bahngesellschaften unter Hinweis Siedler waren immer mit Erfül- auf das Heimstättengesetz auch lung von Leistungen verbun- Werbung für den Verkauf von den: „Building a cabin, clearing a Regierungsland. Dies und auch few acres, and planting a crop of Mays abschließende Bemerkung corn.“6 Das entspricht zwar dem, im Absatz zum Heimstättenge- was May schreibt, aber die ge- setz könnte vermuten lassen, die plante Ausbeutung der Ölquelle Zuteilungen an die Eisenbahnen stimmt dann nicht mehr mit den wären nach dem Heimstättenge- Bedingungen des Heimstätten- setz geschehen. Dem war aber gesetzes überein, denn Landwirt- nicht so, denn die Gesellschaften schaft war dort ja nicht beabsich- erhielten ihre Landlose nach ver- tigt. schiedenen Eisenbahngesetzen.

In diesen Railroad Acts wurden Railroad Acts und Home- u. a. auch die Landzuteilungen stead Act (Land grants) genau geregelt. So wurden z. B. den Eisenbahn- gesellschaften ›Central Pacific‹ Auch auf einem Werbeplakat der und ›Union Pacific‹, die die erste ›Burlington & Missouri River transkontinentale Eisenbahn bau- Railroad Company‹ von 1872 ist ten, aufgrund des nach dem am von Millionen Acres zu lesen (vgl. 1. Juli 1862 von Präsident Ab- Abb. 2). raham Lincoln unterzeichneten ›Pacific Railroad Act‹, eine im- mense Anzahl am Schienenstrang 6 Henry Tatter: The prereferential treatments of the actual settler in the anliegender Sektionen geschenkt. primary disposition of the vacant land Doch nicht etwa zusammenhän- in the United States to 1841. USA gend, sondern, zwecks Verhinde- 1979, S. 39.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 13 rung einer Monopolstellung, nur hier in der Inbetriebnahme der die Hälfte und zwar diejenigen Bahnlinie. Siedler konnten dann Sektionen mit ungerader Num- – und hier kommt nun doch mer, sodass innerhalb der beid- noch das Heimstättengesetz zum seitigen Schenkungsgrenzen von (Achtung: Wortspiel!) Zuge – je- 10 Meilen, die 1864 auf 20 Mei- weils bis zu einem Viertel einer len erweitert wurden, ein Schach- Sektion erhalten. Regierungsland brettmuster des Grundbesitzes war teilweise zur Finanzierung entstand: öentlicher Belange reserviert, z. B. diente der Verkaufser- lös von Sektion Nr. 16 dem Schulbau. Wertlosere Stü- cke wurden Indianern als Reservation zugeteilt.

Handelte es sich ab 1850 zunächst um geringe Land- zuteilungen an Eisenbahn- gesellschaften, so wuchs die Fläche durch die erste trans- kontinentale Eisenbahn sprungartig um 19 Millio- nen Acres und summierte sich bereits bis zum Jahre 1870 auf 129 Millionen Acres, das sind 7 % der Flä- che der USA. Später wur- den die Schenkungsgren- zen teilweise auf 40 Meilen erweitert. Die Landzutei- lungen an Eisenbahnge- sellschaften bis 1920 zeigt die Karte auf der folgenden Seite (Abb. 4).

Indian Gaming Regu- latory Act

Ein Beispiel für nach dem Schachbrett-System an In- Abb. 3. Little dianer als Reservat zurück- Rock & Fort Die Gesellschaften wurden erst gegebenes Land findet sich in Smith Railway Company, Arkan- Eigentümer, wenn die Schienen und um Palm Springs. Dort be- sas 1893 lagen, denn die bei solcher Zu- sitzt der aus drei- bis vierhundert teilung öentlichen Landes zu Personen bestehende Stamm der erfüllende Gegenleistung bestand Agua Caliente (Heißes Wasser)

14 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Abb. 4. Native Indians Flächen in Größe Abbildungsnachweis Eisenbahn- von 200 Sektionen. Ein Fünftel Landzuteilungen der Fläche liegt im Stadtgebiet. Abb. 1: Faltblatt der ›North- 1850–1920 Der Stamm ist dort nicht nur ern Pacific Railroad‹, Dezember der größte Grundeigentümer, 1884. Titelblatt, S. 13 und 14. sondern besitzt im historischen Reproduktion aus dem Exemplar Stadtzentrum auch eine reiche des Karl-May-Museums, Rade- kalifornische Bonanza. Denn da beul. Dafür Hans Grunert recht in den USA nach dem ›Indian herzlichen Dank. Gaming Regulatory Act‹ von 1988 auf Indianerland Glücks- Abb. 2 und 4: The Library of spiel betrieben werden darf, steht Congress: Rise of Industrial auf dem früheren Wüstenland America, 1876–1900. Railroad einer Sechzehntel-Sektion heute Land Grants. http://www.mem- ein Hotel mit Spielcasino, ›Spa ory.loc.gov/learn/features/time- Resort Casino‹ genannt. Das hei- line/reiseind/railroad/grants. ße Wasser sprudelt dort nun aus html. den Wasserhähnen des Hotels – und aus den Slot-Machines des Abb. 3: Henry George School of Casinos sprudeln die Dollars. Social Science: Land and Free- dom. U. S. History Lessons. Rail- road Land grants. http://www. landandfreedom.org/ushistory/ us13.htm.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 15 Michael Hintermayer-Wellenberg Der Meierhof Jeanette in Karl Mays Die Liebe des Ulanen

Überlegungen zur Lage und Benennung

s war immer schon und bleibt Dies soll im Folgenden anhand Eweiterhin ein anziehendes einer Örtlichkeit versucht wer- Unternehmen, die Orte, die Karl den, an der und in deren Umge- May in seinen Werken erwähnt bung Karl May einen Teil seines und zum Teil als Schauplätze Romans Die Liebe des Ulanen1 der Geschehnisse wählt, auf der spielen lässt, des Meierhofes Landkarte aufzusuchen und auf Jeanette. Bekanntlich ist Loth- diese Weise, den Spuren seiner ringen ein wichtiger Schauplatz Figuren mit dem Finger folgend, dieses 1883–1885 in Fortsetzun- dem Autor, der dies ja ebenso ge- gen erschienenen Romans. Ein tan hat, in einem gewissermaßen Teil handelt in der Gegend von metaphysischen Sinn näher zu Metz, nämlich in Diedenhofen/ kommen. Dies gelingt im Falle Thionville und auf Schloss Ortry.2 von Orten, die es unter dem an- Schaut man sich in der Gegend gegebenen Namen tatsächlich von Metz weiter um, dann stößt gibt oder zumindest gegeben hat, man etwa 13 km nordwestlich naturgemäß einfach. Schwierig, von Metz auf den Ort Roncourt. zugleich wegen dieser Erschwer- In die nähere Umgebung von nis ein besonderer Anreiz ist die Roncourt lokalisiert Karl May topographische Spurensuche bei den Meierhof Jeanette.3 Handlungsorten, die sich auf kei- ner Karte und auch sonst nicht Roncourt sollte jedoch nicht in nachweisen lassen. Der Versuch, die Schauplätze mit sichtlich er- 1 Die Liebe des Ulanen. Original-Ro- fundenem Namen doch realen man aus der Zeit des deutsch-französi- Orten zuzuordnen und womög- schen Krieges von Karl May. Bd. I–V. lich die Motivation für die Na- Historisch-kritische Ausgabe. Abtei- mengebung herauszufinden, ist lung II, Bd. 9–13. Hg. von Hermann Wiedenroth u. Hans Wollschläger. umso mehr reizvoll, als er ein Weg Bücherhaus Bargfeld 1994. in die Gedankenwelt Karl Mays 2 Vgl. Horst Felsinger: Existiert Schloß ist, eine Reise mit dem Ziel, seine Ortry?. In: M-KMG 140/2004, S. 36– assoziativen Verknüpfungen unter 49; Ders.: Schloss Ortry – neue Quel- lenfunde?. In: M-KMG 165/2010, Beachtung seiner bekannten Lust S. 24–32. am Versteck- und Verwirrspiel 3 HKA II.10, S. 552: »Ah, Roncourt! aufzuspüren und zu begreifen. Liegt der Meierhof nahe bei dem Orte?« / »Nicht sehr fern.«

16 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Die Umgebung von Sedan (Skizze, Maßstab 1:200.000) der Umgebung von Metz lie- dessen Gegend weist eindeutig gen, sondern, wie ausdrücklich auf diesen Ort Raucourt hin. Sie gesagt wird4, in der Gegend von sollen im Folgenden kurz in Erin- Sedan. Hier gibt es jedoch kein nerung gerufen werden.5 Roncourt. Hingegen liegt südlich von Sedan ein Ort Raucourt, und Margot Richemonte, Verlobte des das in einer Entfernung von rund preußischen Leutnants Hugo von 10 km (was etwas großzügig zwei Königsau, reist mit ihrer Mutter Gehstunden entsprechen würde). von Paris zum Meierhof Jeanette, Die Erzählung der Ereignisse auf der einer Verwandten, der Ba- dem Meierhof Jeanette und in ronin de Sainte-Marie, gehört, um den Nachstellungen des Ba- 4 Ebd., S. 514f.: Roncourt liegt unge- fähr zwei volle Wegstunden im Süden von Sedan. 5 Ebd., S. 513–650.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 17 rons de Reillac zu entgehen, der Margots Wunde notdürftig ver- sich dazu der Hilfe von Margots bunden ist, auf den Weg nach Jea- Halbbruder, des französichen nette machen. Napoleon lädt sich Gardekapitäns Albin Richemon- mit seinen Marschällen auf dem te, bedient. Einige Tage vor der Meierhof ein, wo bereits General Schlacht von Waterloo (18. Juni Drouet wohnt, während sein Stab 1815) will Hugo Margot auf Jea- in Roncourt liegt.8 Auf Jeanette nette besuchen, erfährt aber vom ist Hugo in der Lage, die Bespre- jungen Baron de Sainte-Marie, chungen und Pläne Napoleons zu dass seine Mutter mit den Da- belauschen, und hört auch mit an, men Richemonte eine Fahrt nach wie die Avancen Napoleons von Vouziers unternommen habe.6 Margot zurückgewiesen werden, Er befürchtet in Anbetracht der die Hugos Liebe dem Antrag des Unsicherheit der Straßen einen Kaisers der Franzosen vorzieht. Raubüberfall auf ihrem Rückweg und reitet ihnen entgegen, wo- Anhand der von Karl May ange- bei ihn sein Weg Richtung Vou- gebenen Orte Le Chêne9 und ziers über Le Chêne führt.7 Bald Vouziers, die südwestlich von danach trit er auf die gesuchte Sedan liegen, lässt sich der Weg Kutsche, die gerade überfallen rekonstruieren, den die Kutsche wird, und tötet die Angreifer. Als der Baronin de Sainte-Marie nach auf dem Kampfplatz drei Kut- Vouziers genommen hat. Über- schen eintreen, stellt sich her- dies gibt Karl May einen weiteren aus, dass es Kaiser Napoleon I. wichtigen Hinweis: »Sie sind über ist, der sich mit den Marschällen Le Chêne und Boule aux Bois ge- Ney und Grouchy auf dem Weg fahren.«, sagt der Baron de Sainte- Richtung Sedan und Laon be- Marie zu Hugo von Königsau. findet. Während Hugo zurück- »Und sie kehren auf demselben Weg bleibt, werden die drei Damen zurück?« »Ganz sicher! […]«10 eingeladen, in je einer Kutsche Platz zu nehmen – im Falle Na- Dieser Ort, Boult-aux-Bois11, poleons ist es Margot –, weil die liegt wenige Kilometer östlich eigene zunächst nicht fahrbereit ist. Die Fahrt wird fortgesetzt, 8 Ebd., S. 514: Dieser General [Drou- und nach Le Chêne erfolgt ein et] […] verzichtete darauf, in Se- zweiter Überfall. Hugo, der nach dan selbst zu wohnen, und hatte sein einiger Zeit hinzukommt, rettet Standquartier hinaus nach Roncourt verlegt, jenem Orte, bei welchem der ein weiteres Mal in höchster Not Meierhof Jeanette lag. Diesen Meierhof und sogar das Leben des Kaisers hatte Drouet für sich selbst in Beschlag vor einer Kugel, die stattdessen genommen, während sein Stab in Ron- Margot trit. Napoleon, der sich court lag. 9 Ebd., S. 523: Le Chêne popouleux, in Margot verliebt hat, verbietet sonst Le Chêne. Die Schreibweise des aus Eifersucht seinem Lebens- Ortes schwankt auf zeitgenössischen retter Hugo die Mitfahrt in einer Karten zwischen Le Chêne und Le der Kutschen, die sich, nachdem Chesne, wie er heute heißt. 10 Ebd., S. 520. 11 Da der Ort auf allen einschlägigen 6 Ebd., S. 519. Karten der Zeit so geschrieben wird, 7 Ebd., S. 535: Nach einer halben Stun- ist ein Irrtum des Setzers anzuneh- de erreichte er Le Chêne. men.

18 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 von Vouziers. Die Hauptstraße gefügte Skizze gibt die Fahrtrou- von Le Chesne nach Vouziers, die te wieder. Den bisherigen Aus- heutige D 977, verläuft über Qua- führungen entsprechend, haben tre-Champs, nicht über Boult- wir mit Raucourt jedenfalls das aux-Bois. Es gibt jedoch auch Roncourt Karl Mays vor uns. Er eine Nebenstraße, die als Rue de quartiert wie gesagt den Stab des Châtillon bei Le Chesne nach Generals Drouet im Juni 1815 Südosten abzweigt und tatsäch- in Roncourt ein (und Napole- lich (über Châtillon-sur-Bar und on I. und Drouet selbst im nahen Belleville) nach Boult-aux-Bois Meierhof Jeanette). Belegt ist, führt. Von hier gelangt man über dass sich Napoleons Nee, Napo- die Straße D 947 nach Vouziers. leon III., am 28. August 1870 mit Es muss daher diese Nebenstraße Marschall MacMahon und dessen sein, die Karl May gemeint hat – Stab in Raucourt aufhält, bevor er beschreibt sie als schmale, von sich beide nach Sedan begeben, hohen Bäumen eingefaßte Wald- was Karl May, der sich über die straße.12 Das zeigt deutlich, dass Ereignisse und Schauplätze des er die Kutsche ganz bewusst den Deutsch-Französischen Krieges Weg über Boult-aux-Bois nehmen von 1870/71 als gut informiert lässt13, der eng ist und bald nach erweist, sicher bekannt war. Es ist Le Chesne heute noch durch ei- dies zwar ein wichtiges Glied in nen Wald führt, wie geschaen der Assoziationskette, und es wird als Schauplatz eines Überfalls.14 darauf später noch zurückzukom- In umgekehrter Richtung fährt men sein, aber es ist nicht allein man heute von Le Chesne auf der ein Austausch von Onkel und Straße D 30 und biegt dann bei Nee. Das würde der Finesse Karl La Bagnolle auf die D 6, die über Mays nicht gerecht werden, und Raucourt nach Sedan führt. Die es erklärt auch manches nicht. Entfernung von Raucourt nach Vouziers beträgt rund 30 km So die Tatsache, dass das Haus Luftlinie, auf der angegebenen Christéa, in dem MacMahon in Route etwa 50 km. Das entspricht Raucourt wohnte, ebenso wie die ungefähr einer sechsstündigen Mairie, in der wohl Napoleon III. Fahrt mit der Kutsche.15 Die bei- abstieg, im Ort selbst liegt und nicht in dessen Nähe. Warum 12 Ebd., S. 543. lokalisiert Karl May das Haus, in 13 Die Straße ist z. B. eingezeichnet dem er Napoleon I. wohnen lässt, auf der Karte ›Géographie du dépar- tement des Ardennes avec une carte stattdessen außerhalb des Ortes, coloriée et 11 gravures‹ par Adolphe und wie kommt er überhaupt auf Joanne. Paris: Hachette, 1881 (Staats- einen in der Nähe des Ortes ge- bibliothek zu Berlin-Stiftung Preußi- legenen schlossartigen Gutshof, scher Kulturbesitz). 14 Die Bearbeiter der Bamberger Ausga- der ebenso erfunden ist wie sein be ›Der Weg nach Waterloo‹, S. 213 Name? Es gibt in der Gegend von ersetzen Boule aux Bois gegen Karl Raucourt kein Schloss. Mays Intentionen durch Quatre- Champs. 15 HKA II.10, S. 519: »[…] Es sind von Zudem heißt der Ort bei Karl Vouziers bis hierher [d. i. Jeanette] volle May eben nicht Raucourt, son- sechs Stunden zu fahren«, gibt König- dern Roncourt. Er konnte sich sau dem Baron zu bedenken.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 19 auf der Karte leicht davon über- Sucht man überdies in der Umge- zeugen, dass der passende Ort bung von Roncourt nach einem Raucourt heißt, er hat ja auch Schloss17, und zwar innerhalb ei- die kleinen Orte Le Chêne und nes Radius von rund 2 km (dies Boult-aux-Bois gefunden. Warum würde im normalen Sprachge- also dem Ort ausgerechnet den brauch der Angabe nicht sehr Namen des realen, 85 km südöst- fern entsprechen), so wird man lich liegenden Roncourt geben? tatsächlich fündig. Südöstlich von Roncourt in einer Entfernung Diese Fragen lassen sich nur mit von knapp 2 km zeigt die Karte Hilfe von Landkarten beantwor- eine Örtlichkeit namens Jaumont, ten, die vor 1883/85, der Abfas- und neben dem Namen steht der sungszeit der Liebe des Ulanen, abgekürzte Hinweis „Ch.au“ für veröentlicht wurden und daher Château, also Schloss (dies auch Karl May zur Verfügung gewe- auf der Karte Nr. 12, die die sen sein können. Passend von der Stellungen bei der Schlacht von Zeit her sind die Karten, die dem Gravelotte-St. Privat wiedergibt, Werk ›Der Deutsch-Französische die am 18. August 1870 in un- Krieg 1870–71‹16 beigefügt und mittelbarer Nähe von Roncourt 1880 erschienen sind. stattfand).

Sehen wir uns auf der in Map- Da Roncourt innerhalb des De- pe I enthaltenen mehrfarbigen partements Moselle zum Can- Übersichtskarte der Umgebung ton Marange-Silvange gehört, von Metz (Karte Nr. 8, Maßstab ersuchte ich im gleichnamigen 1:100.000, 75x92 cm) in der Hauptort um nähere Information Gegend des nordwestlich von über dieses Schloss von Jaumont Metz gelegenen Roncourt um. und erhielt eine auf den ersten Mit dieser Region hat sich Karl Blick ernüchternde Mitteilung: May ja im Zuge seiner Erzählung In Jaumont hat nie ein Schloss der Ereignisse rund um Schloss existiert. Ortry schon befassen müssen und ist bei dieser Gelegenheit An der angegebenen Stelle be- oenbar auf den 12 km südlich fanden sich nur eine große von Diedenhofen gelegenen Ort Werks kantine für die Arbeiter Richemont gestoßen, der für die der nahen, für seinen besonders eine zentrale Rolle spielende Fa- gefärbten Stein bekannten Stein- milie Richemonte namengebend brüche (carrières de Jaumont), wurde. Weiters springt ins Auge, Pferdeställe und andere Gebäu- dass ungefähr 2 km südwestlich de. Der ganze Komplex, den es von Roncourt ein Ort namens heute nicht mehr gibt, wurde Sainte-Marie(-aux-Chênes) liegt. im lokalen Jargon spöttisch „das Schloss“ genannt. Diese Bezeich- 16 Redigiert von der kriegsgeschichtli- nung hat oenbar sogar Eingang chen Abteilung des Großen Gene- in ozielle Landkarten gefun- ralstabes in 2 Bänden (Berlin: Mitt- ler, 1874–81), dazu 3 Bände Karten (Mappen I–III) 1880 und 2 Bände 17 Vgl. HKA II.10, S. 553: »Man könnte Beilagen (1–3, 4–5) 1882 (Universi- ihn [den Meierhof Jeanette] ein Schloß tätsbibliothek Salzburg). nennen […]«.

20 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 den – und das nicht nur in die nungsjahre der Exemplare von genannten Karten des General- 1895 und 1897 passen in den stabes. Denn ich erhielt auch den Zeitraum der zweiten Welle der Ausschnitt einer Karte mit dem Errichtung von Denkmälern um Titel ›Carte des monuments Metz, die 1895 zur 25-jährigen aux morts des champs de batail- Wiederkehr der Kriegsereignisse le des environs de Metz‹. Das ist eingesetzt hat.20 der übersetzte Originaltitel der ›Karte der Kriegerdenkmäler auf Demnach könnte(n) zur Zeit der den Schlachtfeldern um Metz‹, Beschäftigung Karl Mays mit den einer mehrfarbigen Karte, die Kriegsereignissen und -schau- von F. Schwabenland im Maß- plätzen um Metz (eine) frühere stab 1:50.000 entworfen und Auflage(n) der Karte von Schwa- gezeichnet wurde und im Verlag benland bereits vorgelegen sein. Paul Müller in Metz in mehreren Allerdings ist es bisher nicht ge- Auflagen erschienen ist. Im vor- lungen, Auflagen vor dem Jahr liegenden Fall handelt es sich um 1895 und ihre Erscheinungsjahre die 1914 herausgegebene 7. Auf- zu ermitteln. Daher muss einst- lage in den Maßen 64x49 cm.18 weilen auch oen bleiben, ob eine Und darauf findet sich bei Jau- Auflage schon vor 1883 erschie- mont der Hinweis „Schl.“ für nen und ob darauf ein Schloss bei Schloss. Jaumont verzeichnet ist.

Es ist möglich, dass die Erstaus- Sicher ist aber, dass außer der gabe dieser Karte schon in den bereits genannten Karte des Ge- ersten zehn Jahren nach dem neralstabes im fraglichen Zeitrah- Krieg erschienen ist, also im Rah- men zumindest drei weitere Kar- men des ersten Höhepunktes der ten erschienen sind, auf denen Einweihungstätigkeit entwor- jeweils mit dem Kürzel „Schl.“ fen wurde.19 Denn die Erschei- auf ein Schloss von Jaumont hin- gewiesen wird: Die ›Karte von 18 Je ein Exemplar dieser Auflage be- Elsass-Lothringen‹ in 38 Blättern findet sich in der Deutschen Natio- (hier : Blatt 5, Metz), ebenfalls nalbibliothek in Leipzig und in der Staatsbibliothek zu Berlin-SPK, wo vom preußischen Generalstab be- auch eines der 6. Aufl. (1910) und arbeitet und um 1879 vermutlich eines der 5. Aufl. (1906) liegt. Ein Exemplar (einer nicht-nummerierten Auflage) von 1897 mit den Maßen 58x80 cm befindet sich in der Fran- 20 In das Jahr 1895 fallen auch z. B. die zösischen Nationalbibliothek in Paris. 8. Auflage der ebenfalls mehrfarbigen Eine weitere Auflage stammt aus dem ›Karte der deutschen und französi- Jahr 1895 (Frdl. Mitteilung der Bib- schen Denkmäler und Kriegergräber liothèques-Médiathèques de Metz). auf den Schlachtfeldern um Metz‹ 19 Vgl. Annette Maas: Politische Iko- (Verlag G. Scriba, Metz), 61x44 cm nographie im deutsch-französischen (Universitäts- und Stadtbibliothek Spannungsfeld. Die Kriegerdenkmäler Köln) und die 9. Auflage der mehrfar- von 1870/71 auf den Schlachtfeldern bigen ›Topographische[n] Karte der um Metz. In: Reinhart Koselleck/Mi- Umgebung von Metz‹ von Johann chael Jeismann (Hg.), Der politische Ludwig Algermissen (Verlag G. Lang, Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Leipzig-Metz), 73x52 cm (Univer- Moderne. München 1994, S. 195– sitätsbibliothek Basel, Zentralbiblio- 222, hier: 200. thek Zürich).

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 21 in Berlin erschienen21, die ›To- die sich um den Meierhof Jeanet- pographische Karte des Kreises te gruppieren, lassen sich einer Metz‹, entworfen und gezeichnet Karte der Umgebung von Metz von Johann Ludwig Algermis- entnehmen, die zur Zeit der Ab- sen und 1877 in Metz (Deut- fassung des Romans bereits vor- sche Buchhandlung) publiziert22, lag: Richemont, Sainte-Marie, und die 1880 vom selben Verlag Roncourt; das nahe „Schloss“ veröentlichte ›Topographische Jaumont wurde für Karl May Karte der Umgebung von Metz: zum Meierhof Jeanette (Frage die Kriegsoperationen um Metz Napoleons: »Ist der Meierhof ein im Jahre 1870‹, ebenfalls von Al- bedeutendes Gebäude?« Antwort germissen.23 Welche Karte Karl der Baronin: »Man könnte ihn May auch immer benutzt haben ein Schloß nennen, Sire.«25). Die- mag – wichtig ist nur, dass er auf ser signifikante Komplex von Na- mindestens vier Landkarten, die men dürfte auch der Grund sein, zur Zeit der Verfassung der Liebe warum Karl May Raucourt nicht des Ulanen veröentlicht waren, durch einen erfundenen Namen in der Nähe von Roncourt ei- ersetzt hat, sondern durch das re- nen Ort mit dem Hinweis auf ein ale Roncourt: Es bildete mit Jau- Schloss finden konnte.24 mont eine perfekte halb durch- sichtige Kulisse, die er verschie- Daher stellt sich die zunächst ent- ben konnte, um die Realität zu täuschende Tatsache der Nicht- verschleiern ohne sie ganz zu ver- Existenz eines Schlosses bei Ron- decken. Gedanklich anknüpfend court bei näherer Betrachtung an den Aufenthalt Napoleons III. als nicht relevant heraus, denn in Raucourt und angeregt durch allein entscheidend ist, dass Karl die Namenähnlichkeit, versetzt May aufgrund der Karte da- Karl May das ihm von einer Kar- von überzeugt war, dass es ein te der Umgebung von Metz her Schloss von Jaumont gab. bekannte Roncourt samt dem na- hen Schloss aus der Gegend von Mit Jaumont ist das letzte Mo- Metz in die Gegend von Sedan, saikstück gefunden. Alle Namen, indem er quasi die eine Kulisse über die andere schiebt, und ver- 21 Einfarbig, Maßstab 1:80.000 (Öster- schmilzt es mit dem rund 85 km reichische Nationalbibliothek, Wien). nordwestlich liegenden Raucourt, 22 Karte in zwei Teilen, Gesamtgröße wodurch Jaumont zum nahen 90x72,4 cm, Mehrfarbendruck, Maß- stab 1:50.000 (Staatsbibliothek zu Jeanette wird. Berlin-SPK). 23 Mehrfarbige Karte 72x52 cm, Maß- Dieses Verfahren der Verschie- stab 1:50.000 (Stadtbibliothek Braun- bung von ganzen Namengruppen schweig, Universitätsbibliothek Sen- ckenberg, a. M.) in eine andere Gegend wendet 24 (Noch) keinen Hinweis auf ein Karl May übrigens auch im Fall Schloss bei Jaumont enthält hingegen der Familie von Königsau an. Er die 1875 publizierte, einfarbige ›To- versetzt den namengebenden, pographische Karte der Umgebung von Metz‹, ebenfalls von Johann Lud- zwischen Mosel und Mainz ge- wig Algermissen (Berlin: Deutsche Buchhandlung), 78x54 cm (Staats- 25 HKA II.10, S. 553; S. 860 ausdrück- bibliothek zu Berlin-SPK). lich Schloß Jeanette.

22 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 legenen Ort zusammen mit dem den Kaiser bereits eine schmerz- daneben liegenden Breitenheim liche Niederlage, diesmal ganz nach Preußen.26 persönlicher Art, erleiden lassen, indem sein Werben um Margot Aber warum wählt Karl May für Richemonte von ihr zurückgewie- den Meierhof gerade den Namen sen wurde. Dies könnte für Karl Jeanette? Lässt sich vielleicht statt May den Ausschlag gegeben ha- einem spontanen Einfall ein be- ben, dem Meierhof, auf dem diese wusstes Motiv für diese Namen- Niederlage stattfand, den Namen gebung erkennen? Jeanette zu geben, das weibliche Gegenstück zum Namen ›(Mont Wir kommen einer Antwort nä- Saint) Jean‹. Die Napoleon von her, wenn wir berücksichtigen, einer Frau zugefügte Niederlage, dass die Schlacht von Waterloo paraphrasiert als ebenfalls verlore- mit dem Geschehen auf dem ne ›Schlacht von Jeanette‹, wäre Meierhof Jeanette etwas Ent- das Pendant zur ›Schlacht von scheidendes gemeinsam hat: Es Mont Saint-Jean‹. ist die Niederlage Napoleons. Beachten wir dazu, dass im fran- Hinzu kommt vielleicht ein wei- zösischen Schrifttum die Schlacht terer Aspekt. Als Vorbild und Ent- bei Waterloo (Belle-Alliance) als sprechung des Meierhofes Jea- La Bataille de Mont Saint-Jean nette ist wie gesagt das ›Schloss‹ bezeichnet wird. Dass wir auf der von Jaumont anzusehen. So woll- richtigen Spur sind, verrät uns die te Karl May den Meierhof nicht Schreibweise des Namens Jeanette nennen, doch klingt dieser Name mit nur einem -n- (statt Jean nette, bei schlampiger Aussprache wie wie der weibliche französische ›Jean-mont‹. Vorname eigentlich lautet), denn so weist Karl May noch deutlicher Wenn diese Erklärung für die Be- auf die männliche Namensform nennung des Meierhofes als Jea- Jean hin. In der Gegenüberstel- nette zutrit, dann ließe sich der lung der beiden Vornamen und Name als durchaus mit Absicht der jeweils mit einem verknüpften gewählt und nicht spontan aus der Niederlage scheint das Motiv der Luft gegrien erweisen und auch Benennung des Meierhofes ge- das Motiv der Namengebung er- funden zu sein. kennen. Gerade bei der Suche nach dem Meierhof Jea nette und Wir erinnern uns, dass die Ereig- dem Motiv seiner Benennung nisse auf dem Meierhof wenige kommen jedenfalls m. E. das von Tage vor der Schlacht von Mont Karl May gern betriebene Spiel Saint-Jean spielen. Kurz vor dieser mit Namen und Begrien und die verlorenen Schlacht hat Karl May sinnvolle und geschickte Verbin- dung von Realem und Fiktiona- 26 Vgl. Rudi Schweikert: Reisen in Loth- lem gut zum Ausdruck. ringen und im Rheinisch-Pfälzischen (SoKMG 100/1994), bes. S. 8–13.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 23 Joachim Biermann ›Fragen und Antworten‹ Aus den Leserbriefspalten des ›Guten Kameraden‹ (XII)

achdem der 7. Jahrgang des ›Guten Kameraden‹ erstmals ohne NMay-Erzählung geblieben war, waren Redaktion wie Leserschaft gleichermaßen erfreut, als mit dem Beginn des 8. Jahrgangs endlich wieder ein May-Text zu erscheinen begann. Mit Der Oelprinz kehrte May zudem an den Schauplatz Wilder Westen zurück, mit dem er in der Vergangenheit so überwältigende Leserreaktionen erzielt hatte.

So schwoll die Anzahl der Leserbriefe, die sich direkt oder indirekt mit Mays neuer Erzählung beschäftigen, kurz nach Veröentlichungsbe- ginn deutlich an, und neben dem wie eh und je beim Publikum be- liebten Hobble-Frank standen auch die anderen komischen Gestalten, Sam Hawkens, der Kantor emeritus Hampel und Frau Rosalie Ebers- bach, im Zentrum des Leserinteresses.

Ruprecht Gammler, Bonn, bin ich zu besonderem Dank für wertvolle Hinweise und Kopien fehlender Seiten aus dem ›Guten Kameraden‹ verpflichtet.

›Der Gute Kamerad‹, 8. Jahrgang 1893/94 Rubrik ›Fragen und Antworten‹

Nr. 1, S. 14b Es gab also tatsächlich noch (neue) Le- ser der Zeitschrift, die das Domizil des Hobble-Frank noch nicht kannten …

24 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Nr. 6, S. 84a Da hatte der Redakteur wohl schon wieder vergessen, dass es sich bei diesem Pseud- onym um den Namen des Vaters des Ge- lächters aus Karl Mays Erzählung Die Skla- venkarawane im 4. Jahrgang des ›Guten Kameraden‹ handelte.

Nr. 7, S. 98a Kleiner Irrtum der Redaktion: Old Fire- hand, aus Der Schatz im Silbersee noch wohl- bekannt, trat im Oelprinz nicht auf. – Der zweite Hinweis bezieht sich auf den Her- kunftsort des Kantors Hampel.

Nr. 7, S. 98a

Nr. 7, S. 98a Rasch fragten die jungen Leser nach dem Hobble-Frank, auf dessen Auftritt im Oel- prinz sie allerdings noch bis zur Nr. 14 des ›Guten Kameraden‹ warten mussten.

Nr. 7, S. 98a

Nr 10, S. 140a (Ende November 1893) Zur Rubrik ›Vom Weihnachtsbüchertisch‹ vgl. Anhang I.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 25 Nr. 11, S. 154a

Nr. 11, S. 154a Diese Informationen lassen sich zwar auch aus Der Oelprinz entnehmen, doch mag, gerade angesichts der Nachfrage, ob Sam Hawkens mit dem Hobble-Frank identisch sei, die Redaktion auch May um diese Klar- stellung gebeten haben. (vgl. Anhang II).

Nr. 11, S. 154a Wie diese und viele der folgenden Notizen zeigen, wuchs auch wieder das Interesse, mit dem Autor Karl May Briefkontakt auf- zunehmen.

Nr. 12, S. 168a

Nr. 12, S. 168a

Nr. 14, S. 196a

Nr. 16, S. 224a Im zweiten Kapitel des Oelprinz, das in Nr. 14 beginnt, findet sich der erste Auf- tritt von Hobble-Frank und Tante Droll in dieser Erzählung, sehnlichst erwartet von vielen jungen Lesern.

26 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Nr. 16, S. 224a

Nr. 17, S. 238a Wen auch immer F. G. aus U. aus der Riege der May’schen Westmänner wohl gezeich- net hatte …

Nr. 17, S. 238a

Nr. 20, S. 280a (Februar 1894) Bei einer solchen Antwort können wir fast sicher sein, dass die Redaktion May selbst um die entsprechende Bestätigung gebeten hatte (vgl. auch Anhang II). Im Folgenden wird die Behauptung, dass die May’schen Westleute gelebt hätten resp. noch lebten, noch mehrfach wiederholt, dann vermut- lich von der Redaktion selbst im Vertrauen auf Mays Bestätigung. Ein weiteres Indiz für Mays Autorschaft an dieser Antwort ist die Verwendung der Formulierung „der rote Gentleman“, die aus dem vollständi- gen Titel der kurz zuvor (1893) erschiene- nen Winnetou-TrilogieWinnetou, der rote Gentleman stammte.

Nr, 21, S. 294a (Februar 1894) Sein Pseudonym konnte der junge Leser wohl nur aus dem im August 1893 erschie- nenen Band Winnetou II haben.

Nr. 23, S. 322a Die Frage hatte dem Hobble-Frank gegol- ten.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 27 Nr. 23, S. 322a

Nr. 24, S. 336a Vgl. oben die Anmerkung zu Nr. 6.

Nr. 25, S. 350a

Nr. 25, S. 350a

Nr. 25, S. 350a

Nr. 25, S. 350a

28 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Nr. 26, S. 364a

Nr. 26, S. 364a

Nr. 28, S. 392a

Nr. 28, S. 392a

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 29 Nr. 28, S. 392a

Nr. 29, S. 405a (Mitte April 1894) Im März 1894 hatte May mit der Nieder- schrift von Der schwarze Mustang begonnen und der Redaktion zugesagt, sie bis zum Sommer abzuschließen. Darauf gründete sich die in dieser Antwort veröentlichte Ankündigung. Tatsächlich verzögerte sich die Niederschrift des Mustang aber so sehr, dass die Veröentlichung schließlich erst im 11. Jahrgang erfolgte und der ›Gute Kame- rad‹ zwei Jahrgänge lang ohne May-Text blieb. Nr. 30, S. 420a Tatsächlich erschien die Buchausgabe von Der Schatz im Silbersee im Oktober 1894 und damit rechtzeitig vor Weihnachten.

30 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Nr. 31, S. 434a

Nr. 31, S. 434a Wie üblich, erschien auch diese Anzeige mehrfach. Den ursprünglichen Reihen- titel der May-Bände im Union-Verlag Die Helden des Westens hatte man nun endgültig als unpassend aufgegeben, doch hielt man – zumindest in den An- zeigen – die Zählung der Bände auf- recht.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 31 Nr. 33, S. 462a

Nr. 33, S. 462a Der mehrfachen Versicherung der Redak- tion, dass Mays Helden tatsächlich exis- tierten, schenkte sicherlich nicht nur dieser gute Kamerad Glauben.

Nr. 34, S. 476a

Nr, 36, S. 504a Ob es sich bei den drei Helden um Old Shatterhand, Winnetou und Hobble-Frank handelt? Der junge Leserbriefschreiber wollte es auf jeden Fall dem Kantor Ham- pel gleichtun und eine Heldenoper kom- ponieren.

32 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Nr. 37, S. 518a

Nr. 37, S. 518a Der (angebliche) Autograph des Hobble- Frank ist in Nr. 9 des 1. Jahrgangs faksimi- liert (vgl. M-KMG Nr. 160, S. 35).

Nr. 40, S. 560a

Nr. 42, S. 588a

Nr. 42, S. 588a (Mitte Juli 1893) In Nr. 29 hatte die Redaktion noch angege- ben, die Haupterzählung des 9. Jahrgangs werde „vermutlich“ von Karl May stammen. Nun ist man wesentlich vorsichtiger, da May wohl noch kaum genügend Text ge- liefert hatte – mit Recht. Bis zum 11. Jahr- gang musste man auf die nächste May-Er- zählung warten.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 33 Nr. 45, S. 630a

Nr. 46, S. 644a Sein Pseudonym wählte der junge Leser nach einer Gestalt aus Das Vermächtnis des Inka. Es ist damit die erste Leserreaktion auf diese Erzählung. Ob der Leser den vor- letzten (6.) Jahrgang verspätet gelesen hat- te oder – wahrscheinlicher – die Erzählung erstmals in der auch weiterhin erhältlichen Buchausgabe des ›Guten Kameraden‹ als „Knaben-Jahrbuch“ gelesen hatte, ist letzt- lich nicht mehr festzustellen.

Nr. 46, S. 644a Auch von Old Firehand, der einmalig im 5. Jahrgang in Der Schatz im Silbersee auf- getreten war, könnte der junge Leser aus Gotha durchaus erst in dessen Buchausga- be als „Knaben-Jahrbuch“ gelesen haben.

Nr. 47, S. 658a

Nr. 48, S. 672a

Nr. 48, S. 672a Auch dieser Kamerad (oder diese Kame- radin?) hatte oenbar vor, wie der Kantor emeritus Hampel (vgl. oben Nr. 36) eine große Oper zu komponieren, und dem (fiktiven) Setzerlehrling Peter Schnäuz- chen eine Rolle darin zugedacht.

34 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Nr. 49, S. 686a

Noch ein später Fan der May-Erzählung Das Vermächtnis des Inka, in der Fritz Kie- sewetter einer der lustigen Protagonisten ist.

Nr. 50, S. 700a

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 35 Anhang I

n einer der Leserbriefantworten in Nr. 10 im 8. Jahrgang des ›Gu- Iten Kameraden‹ wird auf die Rubrik ›Vom Weihnachtsbüchertisch‹ verwiesen, in der man die bereits in Buchform erschienenen May-Er- zählungen finden könne. Im Folgenden faksimilieren wir in Auszügen diese Rubrik (S. 139f.), die übrigens in der folgenden Nummer mit weiteren Literaturempfehlungen für den weihnachtlichen Gabentisch fortgesetzt wurde.

[…]

[…]

36 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Anhang II

er Union-Verlag pflegte seinen Autoren mit einem Formblatt Dgelegentlich Leseranfragen zur Beantwortung vorzulegen. Die frühesten im Rahmen des Spemann-Union-Briefwechsels erhaltenen dieser Schreiben an Karl May sind auf den 20.11.1893 und auf den 29.1.1894 datiert. Die Leserbriefantworten in Nr. 11 (Dezember 1893) und Nr. 20 (Februar 1894) könnten also durchaus die von May in Beantwortung dieser Schreiben zurückgesandten Reaktionen sein. Das zweite oben genannte Schreiben bringen wir unten im Faksimile. Dem Karl-May-Verlag danken wir für die Genehmigung des Abdrucks dieses Briefes aus dem Archiv der Verlegerfamilie Schmid.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 37 Erwin Müller

Die Fundstelle (42)

er Journalist und Schrift- Dsteller Jan Weiler (geb. 1967) ist einer der erfolg- reichsten Autoren der Gegen- wart. Bereits sein Debütroman ›Maria, ihm schmeckt’s nicht!‹, der das turbulente Leben einer italienischen Großfamilie schil- dert, in die Weile eingeheiratet hat, wurde ein (auch verfilm- ter) Bestseller und schon über 1,7 Millionen Mal verkauft. Ein heiteres Gegenprogramm Jan Weiler zum ersteren Lesesto bietet (www.janweiler. de/customize/ der Kolumnist Weiler in seiner file/pressefo- wöchentlichen Glosse ›Mein tos/Jan_Wei- Leben als Mensch‹ in der Zei- ler_4553_13.jpg) tung ›Welt am Sonntag‹. Unter diesem Titel ist auch ein Buch diese Verwirrung weitgehend gelegt. mit einer Auswahl der besten Ko- […] Frische Winnetou-Kenntnisse 1 lumnen erschienen. Eine der wit- galoppieren deswegen gerade durch zigsten entführt uns auch in den die öde Prärie meines Hirns: Ich literarischen Kosmos Karl Mays. weiß jetzt, wer Iltschi ist, nämlich das Pferd von Winnetou. Und: Iltschi ist „Es hat viele Jahre gedauert, bis ich der Bruder von Hatatitla. […] Von den Unterschied zwischen Winne- Hitlers Bruder Alois weiß man nicht tou und Winnie Puuh verinnerlicht viel mehr als von Hatatitlas Bruder hatte. Als Kind nannte ich Pierre Iltschi, und was bekannt ist, wird sich Brice immer Winnie Puuh und freu- wahrscheinlich nicht mehr verdop- te mich, wenn er am Dienstagabend peln. Übrigens hätte Hitler eigentlich um 19.30 Uhr nebst Silberbüchse auf wie sein Vater Schicklgruber heißen sein Pferd stieg und gemeinsam mit müssen. Das hätte eine Verwechslung Old Shatterhand für Ruhe im kro- des Diktators mit dem Pferd von Old atischen Reservat sorgte. Old Shat- Shatterhand quasi ausgeschlossen. terhands Pferd hieß bei mir Hitler, […] Wie hätte wohl Winnetous Da- denn ich konnte mir dessen richtigen ckel geheißen, wenn Karl May ihm Namen Hatatitla nicht merken und einen angedichtet hätte? Vielleicht wusste ohnehin nicht so genau, wer ja Schicklgruber. Winnetou lenkt Il- Hitler war. […] Inzwischen hat sich tschi mit sanftem Zügelzug und ruft »Komm, Schicklgruber, das Abenteu- er ist aus. Wir reiten in den Sonnen- 1 Jan Weiler: Mein Leben als Mensch. untergang von Paklenica. Schicklgru- Kindler-Verlag. Hamburg-Reinbek ber! Kommst Du! Drecksköter!«“ 2009.

38 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Christoph Blau Ein Schwedenhappen zum Dessert

Noch ein Detail zur frühen Mayrezeption in Schweden

achdem erst unlängst in reichster Jugenderzählung in eine Nden ›Mitteilungen der Karl- Fremdsprache erbracht, über die May-Gesellschaft‹ über „weitere zu berichten war.3 Hatte noch Mosaiksteine zur Bibliographie Steinmetz erklärt,4 worin ihm der schwedischen Mayüberset- später die ›Traumwelten‹-Autoren zungen“ berichtet wurde,1 ist es Hermesmeier/Schmatz oenbar nun angezeigt, etwas ausführli- gefolgt waren,5 der schwedische cher über eine der interessantes- Erstdruck von Mays wohl be- ten und frühesten schwedischen rühmtesten Roman sei in dem Editionen eines Maytexts zu re- Jahrgang 1894 von ›Kamraten‹ ferieren. erschienen und habe alle (52) Il- lustrationen der 1890/91 erfolg- Von Steinmetz vor Jahren knapp ten deutschen Originalveröent- vorgestellt,2 war der 1893/94 lichung aus ›Der Gute Kamerad‹ publizierte Erstdruck der ers- enthalten, so ergab sich aus dem ten Silbersee-Übersetzung in das Jahrgang 1894 von ›Kamraten‹, Schwedische unter dem Titel dass mit dem Abdruck des May- ›Skatten i Silfversjön‹ in der Kna- texts bereits im ersten Jahrgang benzeitschrift ›Kamraten. Illus- dieser Knabenzeitschrift aus dem trerad Tidning för Sveriges Un- Jahr 1893 begonnen worden und gdom‹ noch einmal zum Thema nur eine – wenn auch beträchtli- in den ›Mitteilungen der KMG‹ che – Auswahl der Originalillus- gemacht worden: Die Untersu- trationen von Ewald Thiel für chung eines dem Verfasser vor- den Abdruck in das schwedische liegenden zweiten Jahrgangs von 1894 hatte ergänzende Er- 3 Christoph Blau: „Schwedische Her- kenntnisse über diese allererste zen und Helden“. Einige Nachträge zur zeitgenössischen May-Rezeption Übertragung von Mays erfolg- in Schweden. In: M-KMG 144/2005, S. 15f.; vgl. auch die Abbildung in 1 Christoph Blau: Noch einmal: M-KMG 145/2005, S. 3. Karl May in Schweden. In: M- 4 Steinmetz, wie Anmerkung 2, S. 20. KMG 167/2011, S. 22–31. 5 Wolfgang Hermesmeier/Stefan 2 Hans-Dieter Steinmetz: Zeitgenös- Schmatz: Traumwelten. Bilder zum sische Karl-May-Übersetzungen. Werk Karl Mays. Band I. Illustratoren Eine Darstellung im Überblick I. In: und ihre Arbeiten bis 1912. Bamberg- M-KMG 77/1988, S. 15., 20f. Radebeul 2004, S. 263.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 39 war damit nicht möglich. Dies kann und soll nunmehr nachgeholt werden, da uns mittlerwei- le ein – wenn auch leider nicht ganz vollständiges – Ex- emplar auch des ersten Jahrgangs von ›Kamraten‹ mit dem Textanfang des Mayromans vor- liegt:

Skatten i Silfversjön. En förtäljning för de unga af Karl May. [im Inhaltsverzeichnis des Jahrgangs 1894 und ab dessen Nr. 7 lautet der Untertitel: En berättelse för de unga af Karl May.] In: Kamraten. Illustrerad Tidning för Sveriges Ungdom.6 Stockholm. Iduns Tryckeri Aktiebolag. 1893. [laut Impres- sum] (1. Jg.) 1893. ? Num- mern (Januar [?] 1893–Dezember 1893).7 4° Titelseite des Hef- tes Nr. 19/1893 Blatt übernommen worden war. (1. Oktober 6 Etwaiger weiterer Untertitel/Heraus- 1893) von ›Kam- Ein Jahrgang 1893 der schwedi- geberhinweis auf dem Jahrgangstitel – raten‹ mit dem schen Zeitschrift lag jedoch dem anders als beim 2. Jahrgang (s. dort) Textanfang des Verfasser seinerzeit nicht vor und – nicht bekannt, da im Belegstück des 1. Jahrgangs die Titelseite fehlt. schwedischen Sil- war auch nicht anderweitig greif- bersee-Erstdrucks. 7 Das uns vorliegende Exemplar des bar, so dass nicht mitgeteilt wer- Jahrgangs 1893 ist im ersten Teil den konnte, wann denn nun 1893 unvollständig und beginnt mit der mit dem Abdruck von ›Skatten i Doppelummer „7–8“ vom 1. und 15. April 1893. Ob es davor weitere Dop- Silfversjön‹ tatsächlich begonnen pelnummern gab, ist nicht bekannt. worden war. Eine abschließende Bei einem im Übrigen zu beobach- bibliographische Beschreibung tenden Turnus des Erscheinens von zwei Heften pro Monat wäre Heft 1

40 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Nr. 19 vom 1. Ok- tober 1893, S. 210– 213, 1 Illustr. Nr. 20 vom 15. Ok- tober 1893, S. 226– 229, 1 Illustr. Nr. 21 vom 1. November 1893, S. 242–244, 1 Illustr. Nr. 22 vom 15. November 1893, S. 258–260, 1 Illustr. Nr. 23 vom 1. De- zember 1893, S. 274–278, 1 Illustr. Nr. 24 vom 15. Dezember 1893, S. 291–295, 1 Illustr. (Fortsetzung in:) Kamraten. Illust- rerad Tidning för Sveriges Ungdom. Under Medverkan af flere framstående Författare utgifven af Frithiof Hellberg. Stockholm. Iduns Tryckeri Aktiebolag. 1894. 2. Jg. 1894. 24 Nummern zzgl. „Nr. 3½“ als Zugabe8 (Ja- nuar 1894–Dezem- ber 1894). 4° Nr. 1 vom 1. Januar Nr. 3½ vom 1. Februar 1894, S. II– 1894, S. 1–6, 1 Illustr. Zum Vergleich: XX, 5 Illustr. [Es handelt sich bei Titelseite des Nr. 2 vom 15. Januar 1894, S. 18– dieser gesondert in römischen Zif- Heftes Nr. 22, 1 Illustr. fern paginierten Nummer um einen 3½/1894 (1. Fe- Nach-/Sonderdruck, der ausschließ- bruar 1894) von Nr. 3 vom 1. Februar 1894, S. 34– lich den Textanfang des Schatz im ›Kamraten‹ mit 38, 1 Illustr. dem Sonderdruck Silbersee aus dem Jahrgang 1893 (Nachdruck) des enthält.] Textanfrangs für Neuabonnenten. Anfang Januar 1893 erschienen. Nr. 4 vom 15. Februar 1894, S. 49– 8 Nr. 3½ vom 1. Februar 1894 enthielt 53, 1 Illustr. als Sonderdruck den Textanfang Nr. 5 vom 1. März 1894, S. 65–69, des Schatz im Silbersee für die neuen Abonnenten (vgl. auch die Nachweise 1 Illustr. in Anmerkung 3).

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 41 Nr. 6 vom 15. März 1894, S. 81–85, reich und beliebt wie die Jugend- 1 Illustr. erzählungen des Verfassers bei der Leserschaft des deutschen Nr. 7 vom 1. April 1894, S. 97–102, 1 Illustr. Pendants ›Der Gute Kamerad‹. Die ›Kamraten‹-Redaktion stell- Nr. 8 vom 15. April 1894, S. 113– te dies in einer Vorschau für den 118, 1 Illustr. Jahrgang 18959 explizit fest, ab- Nr. 9 vom 1. Mai 1894, S. 130–134, gedruckte Leseranfragen bezo- 1 Illustr. gen sich auf den Mayroman oder 10 Nr. 10 vom 15. Mai 1894, S. 145– dessen Verfasser, jugendliche 149, 1 Illustr. Leser, welche sich an den Rub- riken ›Fragen‹ und ›Antworten‹ Nr. 11 vom 1. Juni 1894, S. 161– beteiligten, taten dies gerne unter 165, 1 Illustr. pseudonymen Maynamen11 wie Nr. 12 vom 15. Juni 1894, S. 178– Old Firehand, Winnetou, Old 182, 1 Illustr. Shatterhand, Nintropan, Långe Nr. 13 vom 10. Juli 1894, S. 193– Davy, und erkundigten sich dabei 197, 1 Illustr. z. B. nach weiteren Maytiteln in Nr. 14 vom 20. Juli 1894, S. 209– deutscher Sprache. (Die Antwort 213, 1 Illustr. hierauf führte an echten Maywer- ken allerdings nur den Methusa- Nr. 15 vom 1. August 1894, S. 225– lem auf, ansonsten aber einige der 229, 1 Illustr. fremden Machwerke des Verlages Nr. 16 vom 15. August 1894, S. 241– Bardtenschlager, die unter Mays 245, 1 Illustr. Namen veröentlicht worden Nr. 17 vom 1. September 1894, waren12 und sich daher später S. 257–261, 1 Illustr. auch in einem viel zitierten Nach- schlagewerk noch May zugeord- Nr. 18 vom 15. September 1894, 13 S. 274–278, 1 Illustr. net fanden. Die vom Verlag Bardtenschlager gegenüber May Nr. 19 vom 1. Oktober 1894, S. 289– 293, 1 Illustr. Nr. 20 vom 15. Oktober 1894, 9 Kamraten. Illustrerad Tidning för S. 306–309, 1 Illustr. Sveriges Ungdom. 1894. Nr. 24 vom 15.12.1994, S. 395. Nr. 21 vom 1. November 1894, 10 Etwa in Nr. 3 vom 1. Februar 1894, S. 322–326, 1 Illustr. wo mitgeteilt wird, May sei Deutscher und in Nr. 20 vom 15. Oktober 1894, Nr. 22 vom 15. November 1894, in der auf S. 320 einem Leser geant- S. 337–342, 1 Illustr. wortet wurde, dass ›Skatten i Silfvers- jön‹ im laufenden Jahr enden würde. Nr. 23 vom 1. Dezember 1894, 11 Etwa auf S. 110, 127, 142, 159, 206 S. 354–358, 1 Illustr. f., 222, 224, 239, 271, 286, 302 des 2. Jahrgangs, 1894. Erschienen: zwischen dem 1. Oktober 12 Vgl. dazu Roland Schmid: Nach- 1893 und dem 1. Dezember 1994 wort des Herausgebers. In: Der Waldläufer. Reprint Bamberg 1987, (Turnus: allmonatlich zwei Hefte) S. N38f. 13 Vgl. Wolfgang Hermesmeier/Stefan ›Skatten i Silfversjön‹ war oen- Schmatz: Der Waldläufer – Zweimal bar bei den jugendlichen Lesern bearbeitet von Karl May? Nicht ge- von ›Kamraten‹ ähnlich erfolg- sicherte Karl-May-Erzählungen (II). In: Karl May & Co. 93/2003, S. 53.

42 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Textanfang der ersten schwedi- schen Silbersee- Übersetzung aus Heft 19/1893 (1. Oktober 1893) vom ›Kamraten‹, der frühesten bislang bekannten Übertragung des Silbersee-Romans in eine Fremd- sprache. scheinheilig aufgestellte Behaup- Gute Kamerad‹ kann dann aber tung, unter dem Autor „Carl May“ doch überraschen. Möglicher- einiger Bardtenschlagerheftchen weise hatten hier die beiden be- werde „doch sicherlich Niemand reits zuvor in Schweden 1892 in den Herrn Dr. vermuthen“,14 Übersetzung erschienenen ersten wird damit bereits durch ein beiden Kamerad-Erzählungen, in zeitgenössisches Zeugnis wider- denen teilweise dasselbe Protago- legt. Dass sich an dem Echo in nistenpersonal agiert, den Boden den Leserbriefspalten das große bereitet. Einen Zusammenhang Leserinteresse an dem Verfasser zwischen diesen schwedischen und den Figuren seines Erzähl- Bucheditionen von Bärenjäger kosmos’ ablesen lässt, ist ähnlich und Geist – ›Björnjägarens Son‹ auch für die Leserschaft der deut- und ›Öknens Ande‹16 – und der schen Erstdrucke der May’schen Erstveröentlichung von ›Skatten Jugenderzählungen in ›Der Gute i Silfversjön‹ stellte jedenfalls auch Kamerad‹ bekannt.15 Dass bei der eine in ›Kamraten‹ abgedruckte lesenden Jugend Schwedens sehr Werbeanzeige des Verlegers Wil- schnell ein vergleichbarer Wi- helm Bille dar, in der die von ihm derhall erreicht wurde, wie bei publizierten genannten beiden der Stammleserschaft von ›Der Maybände als Vorgeschichte des Schatz im Silbersee angepriesen 17 14 Schreiben des Bardtenschlager-Ver- werden. lages an Karl May vom 22. August 1895, abgedruckt bei Schmid, wie 16 Vgl. zu diesen Editionen Axel Delor- Anmerkung 12, S. N38. me: Die Buchausgaben Karl Mays in 15 Vgl. hierzu zuletzt etwa Joachim Schweden. In: M-KMG 121/1999, Biermann: ›Fragen und Antworten‹. S. 18., 25. Aus den Leserbriefspalten des ›Gu- 17 Kamraten. Illustrerad Tidning för ten Kameraden‹ (XI). In: M-KMG Sveriges Ungdom. 1894. Nr. 24 vom 167/2011, S. 2–10. 15.12.1994, S. 396.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 43 Jürgen Seul Karl May im ›Simplicissimus‹

Glossen, Gedichte, Witze und Erwähnungen in der berühmtesten Satire-Zeitschrift des deutschen Sprachraums – Teil II

rstmalig in einer Ausgabe Evom 15. April 1929 wurde im ›Simplicissimus‹ auch ein Karl- Im Mittelpunkt des nächsten May-Witz veröentlicht. Der ver- Karl-May-Beitrages vom 29. Juli meintliche Humor hält sich dabei 1929 stand der Schauspieler Paul deutlich in Grenzen. Wegener1.

Simplicissimus Die Zeichnung stammt aus der Jg. 34, Heft 3 vom 15.04.1929, Feder von Wilhelm Schulz (1865– S. 33 1952) – einem der Mitarbeiter der ersten Stunde. Der Maler, Zeich- ner, Lithograph und Dichter stu- dierte in Hamburg, Berlin, Karlsru- he und München. Zwischen 1896 bis 1944 war er ständiger Mitarbei- ter des ›Simplicissimus‹; seit 1906 auch Mitinhaber der GmbH-Sim- plicissimus. Daneben zeichnete er auch aktuelle Blätter, vor allem aber romantische Städteansichten,

1 Vgl. Heide Schönemann: Paul Wege- ner. Frühe Moderne im Film. Stuttgart 2003. – In diesem Buch wird auch die Beziehung des Körpers zu seinem Schatten als Gegenstand künstlerischer Darstellung in Film, Photographie und Tanz erläutert. In diesem Zusammen- „Lieber Simplicissimus hang wird auf den Seiten 23 und 24 N.N. auch auf Sascha Schneiders Bild ›Der Chodem oder der Astralmensch‹ (auch ›Das Gewissen‹) hingewiesen. Der dar- Der Lehrer hatte vom guten Buch ge- gestellte Tanz mit dem eigenen Schat- sprochen. Als die Jungen in der Pause ten signalisiere die Verwandtschaft mit das Schulzimmer verlassen, muß er anthroposophischen Vorstellungen. zu seinem Staunen die Bemerkung Das Gemälde sei aus der Zusammen- hören: »Weißte, Fritz, die woll’n uns arbeit mit dem Schriftsteller Karl May und seinem Buch Im Banne des silber- bloß ’n Karl May verekeln!«“ nen Löwen [sic] entstanden. Das Ge- mälde ist auch abgebildet.

44 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Märchen und Stimmungsbilder, Paul Wegener, Ehrenhäuptling denen er oftmals eigene Gedichte der Araukanas-Indianer im Volksliedton beifügte. Wilhelm Schulz (Zeichner)

Simplicissimus Der Schauspieler und Regisseur Jg. 34, Heft 18 vom 29.07.1929, Paul Wegener (1874–1948) ge- S. 217 hört zu den ganz Großen der deutschen Theater- und frühen Filmgeschichte. Mit den Filmen ›Der Student von Prag‹ (1913) und ›Der Golem, wie er auf die Welt kam‹ (1920) schuf er erfolg- reiche Meilensteine der Filmkunst.

Der im ostpreußischen Jerren- towitz/Arnoldsdorf geborene Wegener studierte zunächst Jura, Philosophie und Kunstgeschich- te, bevor er ins Schauspielfach wechselte. Ersten Theaterenga- gements in Leipzig, Rostock, Hamburg und anderen kleineren

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 45 Theaterbühnen folgte 1906 der Ruf von Max Reinhardt an das Deutsche Theater nach Berlin, wo er zum Star avancierte. Zu seinen späteren Engagements gehören das Schillertheater mit dem Intendanten Heinrich Geor- ge und das Staatliche Schauspiel- haus unter dem Generalinten- danten Gustaf Gründgens. Zu seinen Glanzrollen dort gehören Richard III., Macbeth, Othello, Mephisto.

Im Bereich des Films war Wege- ner stets bestrebt, Filmkultur zu entwickeln und dabei die Tech- nik des Films für seinen Inhalt bedeutsam werden zu lassen. Lubitsch zusammen. Mit seiner 1923 gründete er seine eigene wuchtigen Statur, den hohen Produktionsfirma, die ›Paul- Wangenknochen und schmalen Wegener-Film AG‹, die aber Augenschlitzen wird Wegener nach der Produktion des Films schnell die ideale Besetzung für ›Lebende Buddhas‹ (1924) be- mysteriöse und unheimliche Cha- reits Konkurs anmelden musste. raktere. Sein bevorzugtes Genre 1928 und 1929 reiste Wegener bildete dabei der Phantasie- und zu Filmaufnahmen und Bühnen- Märchenfilm. auftritten sowohl nach Nord- als auch nach Südamerika. Vermut- Nach Kriegsende ließ der sow- lich auf diesen Zusammenhang jetische Oberkommandierende spielte die ›Karl-May-Persiflage‹ General Bersarin am Haus des des Zeichners Wilhelm Schulz Schaupielers in Berlin-Wilmers- an. dorf ein Schild zu dessen Schutz mit folgender Aufschrift aufstel- Nach seiner Rückkehr nach len: „Hier wohnt Paul Wegener, Deutschland stellte sich Paul der große Künstler! Geliebt und Wegener auch der nationalsozi- verehrt auf der ganzen Welt.“ alistischen Filmproduktion zur Verfügung. So spielte er z. B. in Wegener wurde Präsident der ›Der große König‹ und in dem ›Kammer der Kunstschaenden‹ Durchhaltefilm ›Kolberg‹ unter und übernahm die Hauptrolle in der Regie von Veit Harlan. ›Nathan der Weise‹, dessen Insze- nierung am 7. September 1945 in Insgesamt wirkte Paul Wegener Berlin Premiere feierte. Über 60- in etwa 30 Stummfilmen mit und mal spielt er das Stück noch, aber arbeitete mit den bedeutendsten von einem Schwächeanfall auf der Stars des frühen deutschen Ki- Bühne des Deutschen Theaters nos wie Asta Nielsen oder Ernst erholte er sich nicht mehr. Paul

46 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Wegener starb am 13. September Am 25. September 1932 folgte 1948 in Berlin. im ›Simplicissimus‹ ein Gedicht von Theodor Riegler. Riegler (Lebensdaten nicht bekannt) war u. a. auch Chefredakteur der von Am 22. Dezember 1930 publi- Georg Hirth und Fritz von Ostini zierte der ›Simplicissimus‹ den gegründeten Kunst- und Litera- nächsten ›Karl-May-Witz‹. turzeitschrift ›Die Jugend‹.

Simplicissimus Simplicissimus Jg. 35, Heft 39 vom 22.12.1930, Jg. 37, Heft 26 vom 25.09.1932, S. 463 S. 306

„Lieber Simplicissimus „Meinen Eltern ins Stammbuch N.N. Theodor Riegler

In den Schulen gewisser österreichi- Damals stand der Vater in der Tür, scher Länder, beispielsweise Steier- Und ich weinte über Winnetou. marks und Kärntens, herrscht die Unten gingen Türen auf und zu, hübsche Sitte, daß die Schüler all- Jemand spielte nebenan Klavier. jährlich zu Weihnachten ein Buch ge- schenkt bekommen, das sie sich unter Und der Vater ging an den Rand der Anzahl der zur Verteilung gelan- genden Bände auswählen dürfen. Meiner Träume, doch er kehrte um, Und das Zimmer war auf einmal stumm, »Herr Lehrer«, sagte ein Schüler, »ich Dunkel wurde jeder Gegenstand. möchte ein Buch von Karl May!« Und es war so schön, allein zu bleiben, »Nix da«, antwortete der Lehrer, Ferne Stimmen drangen an mein Ohr, »bischt in letzter Zeit so garschtig Jemand hustete im Korridor, gewesen, kriegscht ein patriotisches Und es glänzten matt die Fenster- Buch!«“ scheiben.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 47 Leise kam die Nacht mit ihren Ster- Simplicissimus nen, Jg. 37, Heft 27 vom 02.10.1932, Schwarz lag vor dem Haus der Lend- S. 318 kanal, In der Ecke hing ein Lineal, Und ich sollte noch für morgen ler- nen.

Doch ich dachte nicht an die Voka- beln, Draußen aber rauschte schon der Re- gen, Und ich sah die Zweige sich bewe- gen, Und die Muter klirrte mit den Ga- beln.

Schweigsam saßen wir auf unsern Stühlen, Doch die Mutter hatte selten Ruh, Später musste sie die Teller spülen, „Historische Reminiszenz Und ich sah ihr lange, lange zu …“ Arnold Weiß-Rüthel

„Als unsereins in die Schule kam, da glaubten die Pädagogen noch nicht an den pädagogischen Kram –, Von Arnold Weiß-Rüthel stammte wir waren zu ungezogen. das nächste Gedicht des ›Simpli- cissimus‹ mit Karl-May-Anspielun- Die Lehrer, die gingen damals noch gen. Arnold Weiß-Rüthel (1900– nicht 1949) war ein Münchner Satiriker, so glattrasiert wie heute; Dichter und langjähriger Schrift- sie hatten Matratzen im Gesicht leiter der Zeitschrift ›Die Jugend‹. und waren gefährliche Leute. Er verbrachte später während des Dritten Reiches sechs Jahre im Sie grollten mit Bässen von dumpfer Konzentrationslager. Nach dem Gewalt – Krieg war er als Redakteur bei Ra- man hörte das Schicksal grollen … dio München tätig. und wir verließen die Lehranstalt meist vorne und hinten geschwollen.

Da gab es noch keine Spielerei mit Gummi und ähnlichen Scherzen … wir mußten uns unser bißchen Karl May noch erkämpfen – mit zitternden Herzen.

48 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Die Zukunft, der diese Marter galt, „Ein Mann denkt an Karl May … verkörperten Ämter und Orden … Harry Schreck wir wurden älter, wir wurden alt, sonst sind wir nichts geworden.“ „Der leicht beleibte Herr im besten Alter ist unverkennbar leicht befan- gen, als man ihm mitteilt, daß sein Nee Wolfgang käme, und daß es Der Berliner Journalist und dabei unumgänglich nötig sei, daß er oheimhafter Sorgsamkeit sich um Schriftsteller Harry Schreck (mit den hergewehten Knaben Wolfgang bürgerlichem Namen Helmut kümmere. Rosenthal; Lebensdaten unbe- kannt) war im Zusammenhang mit Karl May kein Unbekannter. »Es ist nur darum …«, spricht der Für das Karl-May-Jahrbuch 1933 leicht beleibte Herr, indem er eilends (S. 445–449) veröentlichte er den Verdacht zerstückeln möchte, die Parodie ›Winnetou geht zum daß er sich nicht nach Gebühr zu Sechstagerennen‹, die im Jahr freuen schiene, »es ist nur deshalb, weil die Jungens heute doch ganz an- zuvor in ›Scherls Magazin‹ veröf- ders sind; man weiß doch gar nicht, fentlicht worden war. Speziell für wie man sich mit ihnen unterhalten den ›Simplicissimus‹ legte er am soll, nicht wahr? Gott mag da ahnen, 11. Juni 1933 eine amüsante Ge- auf was für Dinge solche Burschen schichte zur Unvergänglichkeit aus sind. Man spricht mit ihnen, gibt Karl Mays für die verschiedenen sich redliche Mühe und ist am Ende Generationen jugendlicher Leser doch nur lächerlich. Ich wäre unge- – zumindest der damaligen Zeit – mein vergnügt, wenn all der Hum- vor. bug sich vermeiden ließe. Ja, wenn die Kerlchen eben heute noch so wä- ren, wie wir gewesen sind. Doch so Simplicissimus – nun, ja …« Jg. 38, Heft 11 vom 11.06.1933, S. 127f. Man sagt dem leicht beleibten Herrn zum Trost, wie sich mit Wolfgang al- les leichter geben werde, als es das un- behagliche Gefühl wohl zu erhoen wage. Jedoch, als Wolfgang schon am nächsten Morgen kommen soll, rast wieder die bestürzte Frage durch das Gehirn des leicht beleibten Herrn:

»Und jetzt?!«

*

Der leicht beleibte Herr geht an ein Selbstgespräch:

»… ja, damals kam der Willy Dali- chow noch abends rasch mit Helmut

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 49 Marsch auf einen Augenblick her über; »He … «, spricht der leicht beleibte und während Helmut Marsch mit Herr am nächsten Morgen, als Wolf- schlecht gespieltem Gleichmut frug, gang vor ihm steht, mit jenem mun- wie viele Zeilen Cäsar wir zu morgen ter angelegentlichen Ton, den man übersetzen müßten, sprach Dalichow gebraucht, sofern man eigentlich mit grauen, aufgerissenen Augen: verlegen ist, »he, Wolfgang, weißt du schon, daß heute Nachmittag die Meisterschaft im Fußball ausgetragen ›Nun ist er also doch gestorben: der wird? Das muß doch prachtvoll sein, Rappe Rih ist tot –‹ da mitzuschaun.« –

Ein langes Schweigen stürzte in den »Gewiß«, spricht Wolfgang schlicht Raum … und freundlich.

Dies war ein Schlag, der sich kaum * überwinden ließ. Der leicht beleibte Herr denkt mitt- Nach ein paar Tagen lief man mit lerweile weiter. Werner Jacke durch den Stadtwald; und Werner Jacke bückte plötzlich »Ja, Helmut Marsch ist späterhin zur sich voll Eifer über einen Fußab- Post gegangen; und Werner Jacke druck, der halbgelöscht im schwarzen tost in Landwirtsstiefeln irgendwo in Boden krümelte. der Mark Brandenburg umher: von Robert Fenske hat man seither nichts gehört, und Dalichow soll Zahnarzt ›Howgh!‹, sagte Werner Jacke in be- sein; sie wandern alle ohne Henry- deutungsvollem Ton, ›die Fährte ist stutzen, ohne Kalumet und ohne noch nicht zwei Stunden alt – es muß Mokassins durch ihre Welten; und ein Bleichgesicht gewesen sein!‹ Ziesing ist ein Lehrer ohne Bärentö- ter in dem uckermärkischen Gefilde.« Wir sahen ernst gesammelt auf die Spuren … Der leicht beleibte Herr ist nun ein wenig traurig. Wir spürten dieser Fährte bis zum Waldesrande nach. Und als uns eine »Ein Lasso«, sinnt er, »wirbelt kaum Woche später dann Robert Fenske in Ziesings Händen; und welcher in seinen Wigwam einlud, den er mit Landwirt hot im Ernst darauf, sich Hermann Ziesing an der Gartenmauer mit Savannen zu befassen; welcher aufgerichtet hatte, da las Hans Schulz Zahnarzt will mit einem Tomahawk mit donnernder Begeisterung uns vor, die Kiefer seiner Kranken spalten; wie Scharlihs Freund Old Firehand auch Fenske, der aus aller Auge kam, trotz seiner Kugel in der Brust noch wird weder einen Mustang noch ein lebte. Und wir … wir schwenkten uns Dromedar besitzen; und Marsch, der entspannt zu unserer tongeschnitte- auf dem Postamt sitzt, nimmt kein nen Pfeife und riefen anerkennend: Paket ins Land der Skipetaren an.«

›U –‹ Dem leicht beleibten Herrn weht lei- se Schwermut zu. Das war vor fünfundzwanzig Jahren Wirklichkeit …!« »So ist das nun … wir alle, Fenske, Jacke, Ziesing, Marsch und Dali- *

50 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 chow und ich … wir alle sind nicht Der leicht beleibte Herr sieht sich mit mehr imstande, den Nächsten als Mißmut an. den weißen und den roten Bruder zu bezeichnen. Ach – alles ist seit fünf- »Wir sind nicht kühn geworden und undzwanzig Jahren still vergessen; nicht heldisch, wie es der ›Sidhi‹ aus wo sind die Skalps, die Bowiemesser, dem Frankenlande war – wir sind Bolas und Revolver hingekommen? nicht milde und gerecht in unsre Da- Wo ist ein Hadschi Halef, der uns seinsbahn hineingeschritten, wie der mit kauzig weisen Sprüchen tröstet ›Eendi‹, der seinen Feinden stets so …?« stolz vergeben konnte – wir haben uns nie so bewährt, wie unser Freund Der leicht beleibte Herr ist sich fast ›Old Shatterhand‹ vor jedem Pran- selber gram. kenschlag des Schicksals sich bewähr- te. Im Gegenteil – !« * Der leicht beleibte Herr gerät in eine Der leicht beleibte Herr vermerkt er- leichte Wut. schrocken, daß Wolfgang wartend ihn betrachtet: »Im Gegenteil, mit uns ist wenig Staat zu machen; man sollte uns die »He, Wolfgang, weißt du schon, harte, ja die derbste Bastonade da- daß wir auch eine neue Hochanten- für geben, daß wir als heuchlerische ne haben? Man hört damit Amerika; Burschen aus dem zahmen Westen jawohl, da staunst du ganz gewiß … oft mit zwei Zungen redeten und man hört damit Amerika … New uns in weibischem Entsetzen vor den York, Chicago und was es sonst noch Marterpfählen fürchteten. Es ist vor- geben soll; das muß doch prachtvoll bei mit uns – und das, was nach uns klingen!« – kommt, will lieber Fußballmeister- schaften und Antennen sehen!«

»Gewiß«, spricht Wolfgang schlicht Der leicht beleibte Herr geht Fuß- und freundlich. ballkarten holen.

* *

Der leicht beleibte Herr nickt Wolf- Als er zurückkommt und mit scherz- gang heiter zu – haft heiterem Geblinzel nach Wolf- gangs Aufenthalt zu fragen anhebt, »Ach nein«, spricht er bei sich, in- weiß niemand, wo sich Wolfgang fin- dem er fast ein wenig mißgestimmt den ließe; vor ein zwei Stunden hat beschließt, zwei Karten für die Fuß- man ihn zuletzt gesehn. ballmeisterschaft zu kaufen, »ach nein … wir haben alle nicht gehal- »Aha«, vermutet schon der leicht ten, was wir dem Leben einst ver- beleibte Herr, »die Hochantenne … sprachen, als wir in jenem wilden New York … Chicago! Ein Techni- abenteuerlichen Glück des Herzens ker, heh!« vor den befleckten, abgegrienen Seiten eines dicken, halb verbotenen Buches hockten und es verschlan- Jedoch die Hochantenne scheint des gen.« Hörers zu entraten; New York ist ein- sam, und Chicago trommelt unbe-

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 51 lauscht die letzten Börsenkurse in die verband sich mit ihrer Jugend- Luft des leeren Zimmers. lektüre für sie doch zugleich die Erinnerung an frühe Zeiten der »Das ist doch eigentümlich!«, denkt Unschuld und des Aufbruchs, der leicht beleibte Herr, indem er, freilich oft melancholisch gefärbt, seine Fußballkarten mit dem Finger weil sich die Honungen der Ju- knitternd, durch alle Räume seiner gend, […] dann doch nicht er- Wohnung streicht und plötzlich wie füllten. Manchmal, so scheint es, von ungefähr beinahe über ein ver- lassen sich diese Gefühle aus der queres Hindernis im Wege stolpert. Er ist ein bißchen überrascht, daß Jugendzeit, die in den Stürmen Wolfgang sich als dieses Hindernis des Erwachsenendaseins verweh- erweist und ihm mit grauen, hochge- ten, auch noch in späteren Jahren rissenen Augen das Wort entgegen- bei zufälliger Begegnung mit den strömt: ›alten Freunden‹, ausgelöst durch die Lektüre der eigenen oder an- »Nun ist er also doch gestorben – der derer Kinder, wieder beleben.“ Rappe Rih …«

Ein langes Schweigen stürzt in den ergrinen Raum. Eine letzte Zeichnung mit Karl- May-Bezug im ›Simplicissimus‹ »Ja«, sagt der Herr, der plötzlich we- veröentlichte der Zeichner niger beleibt scheint, »nun ist er also und Karikaturist Josef Sauer doch gestorben …!« (1893–1967) am 22. Juli 1934. Der gebürtige Bamberger hatte Er denkt nicht mehr daran, daß er an der Nürnberger Hochschule scherzhaft heiter blinzeln könnte; für Angewandte Kunst als Meis- und in der Tasche zerrupft die rechte terschüler bei Max Körner von Hand ganz langsam jene Fußballkar- 1923 bis 1927 studiert. Ab 1928 ten … zählte Sauer zum Kreis um Olaf Gulbransson und Thomas Theo- * dor Heine. Es folgten Veröent- lichungen in ›Die Jugend‹, ›Sim- Es scheint, daß Wolfgang sich beinah plicissimus‹ und ›Nebelspalter‹. verstanden fühlt.“ Ab 1955 erhielt er Unterstützung bei der letztlich wenig erfolgrei- Die Geschichte fand auch Ein- chen Neuherausgabe des ›Simp- gang in den bereits erwähnten licissimus‹, und publizierte häu- Sammelband von Dieter Sud- fig Nachdrucke seiner Arbeiten ho2 ›Die blaue Schlange‹. Sie im Spiegel. 1952 bekam er den drücke wie viele Geschichten Albrecht-Dürer-Preis der Stadt ähnlicher Art, so Sudho3, die Nürnberg, 1956 den Großer „innere Treue zu Karl May fast Preis/Gran Diploma d’Onore in alle der genannten Autoren [aus], Bordighera beim ›Salone Inter- nazionale dell’Umorismo‹ und 2 Harry Schreck: Ein Mann denkt an 1964 den Joseph-E.-Drexel-Preis Karl May … In: Sudho, wie Anm. in Nürnberg. 10, S. 150–154. 3 Ebd., Vorwort, S. 18.

52 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Simplicissimus Jg. 39, Heft 17 vom 22.07.1934, S. 167 Auch der Schriftsteller Anton Schnack (1892–1973) erwähnte Karl May in einem seiner Gedich- te.

In der ›Simplicissimus‹-Ausgabe vom 6. Januar 1935 veröent- lichte er mit einem May-Bezug das Gedicht ›Jugendlegende‹. Schnack hatte, nach verschiede- nen Tätigkeiten als Journalist u. a. in Halberstadt und Bozen, bis zu seiner Verwundung 1915/1916 am Ersten Weltkrieg teilgenom- men. Nach Kriegsende war er als Redakteur in tätig und begann auch mit ersten Gedicht- veröentlichungen. 1920 bis 1925 war er als Feuilletonredakteur und Theaterkritiker bei der ›Neuen Badischen Landes-Zeitung‹ in Heimgefunden . Anschließend begab Josef Sauer er sich auf ausgedehnte Auslands-

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 53 Frankfurt am Main. 1944 wurde Schnack noch einmal zur Wehr- macht eingezogen. Nach einer kurzen Gefangenschaft verbrachte er die letzten Lebensjahrzehnte in Kahl am Main. Schnack gilt als Meister der poetischen Miniatur mit einem Blick auf die Kleinigkei- ten und die Nebensächlichkeiten des Alltags, den er mit seiner Wort- kunst zu einem nahezu sinnlich wahrnehmbaren Leben erweckte. Anton Schnacks Werk ist wie das seines Bruders Friedrich Schnack (1888–1977) heute fast in Ver- gessenheit geraten. Seine Werke reisen, die ihn nach Frankreich, waren lange Zeit nur noch anti- Italien und Dalmatien führten. quarisch zu erhalten. Erst 2003 Nach einer erneuten Tätigkeit in erschien zum 30. Todestag eine Mannheim und mehreren Um- zweibändige Werkausgabe im El- zügen ließ er sich bis 1933 in fenbein-Verlag, die – auch das ein Berchtesgaden nieder. Er gehörte indirekter Karl-May-Bezug – von zu den 88 Schriftstellern, die im dem Paderborner Literaturwissen- Oktober 1933 das Gelöbnis treu- schaftler und Karl-May-Forscher ester Gefolgschaft für Hartmut Vollmer5 besorgt wurde. unterzeichnet hatten.4 Es folgte 1937 eine Übersiedelung nach Simplicissimus Jg. 39, Heft 41 vom 06.01.1935, S. 485 4 Das Gelöbnis treuester Gefolgschaft war ein Treuegelöbnis von 88 deut- schen Schriftstellern und Dichtern für Adolf Hitler, das am 26. Oktober 1933 in der Vossischen Zeitung abgedruckt und von der Preußischen Akademie der Künste in Berlin propagiert wor- den war. Sowohl die Frankfurter Zei- tung als auch andere Zeitungen ver- öentlichten das Gelöbnis zeitgleich, um eine möglichst weite Verbreitung des Bekenntnisses des bestehenden un- eingeschränkten Vertrauens der unter- zeichneten Dichter und Schriftsteller zum neuen deutschen Reichskanzler zu erreichen. Vorausgegangen waren dem der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 und der am 4. Oktober 1933 erfolgte Er- lass des Schriftleitergesetzes, das den Weg für die Gleichschaltung der ge- samten deutschen Presse erönete. Dieses Gesetz trat am 01.01.1934 in 5 Anton Schnack: »Werke in zwei Bän- Kraft, wodurch schätzungsweise 1300 den«. Hg. von Hartmut Vollmer. Ber- Journalisten ihre Arbeit verloren. lin 2003.

54 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 „Jugendlegende Dort war ich Indianer, dem Karl May Anton Schnack rumorte wie Gift und Schicksal im Blut, Ich habe meine Jugend in Hammel- Alle Wälder gehörten mir, alle Nüs- burg an der Fränkischen Saale zuge- se und Äpfel und in den Büschen die bracht. Vogelbrut. (1866 war dort zwischen Bayern und Preußen eine von uns Knaben nach- Und es säte die Nacht Sterne und geahmte Rückzugsschlacht.) Mond, und es regnete grau, und es schwoll Es zählt an die 3000 Einwohner, Krä- Der Fluß im Frühling an., daß sein mer, Beamte und Bauern Rauschen herauf bis in meine Ju- Und war eine alte Stadt mit Wachtür- gendschmerzen erscholl. men, Bastionen und Mauern. Da saß ich unter dem Dach und Ich denke der vielen Geheimnisse, die schrieb statt Griechisch mit roter mich damals betrafen: Schrift Ich wurde vor allem pubertätisch und Gedichte von meiner Qual, von konnte des Nachts nicht schlafen. Trümmern, Weibern, Dolchen und Betäubend quoll in den Frankensom- Gift. mern aus den Wäldern der Dunst von Harz. An einem gärenden Märzabend woll- Wie war ich glücklich, sah ich in der te ich der Demut der Kleinstadt ent- Maiandacht die Jungfrau Barbara fliehn, Schwarz! Um mit Rucksack und sieben Mark in rucklose Abenteuer zu ziehen. Im Urteil der Leute und Lehrer war ich entsetzlich dumm; Da sah ich den Vater mit bekümmer- Denn ich fiel zweimal durch auf dem tem Gesicht, versteinert, am Fenster kleinen Bauernbubengymnasium. stehn. Es schossen mir Tränen ins Auge, Da hab’ ich gewacht: denn am Mor- ich stockte und konnte nicht weiter- gen drohten Mathematik und Latein. gehn.“ Da hab’ ich geweint: denn im Sep- tember kamen vom Flusse herrliche Damit endeten die Veröentli- Wasserdünste herein. chungen mit Karl May-Bezug im Simplicissimus. Da hatte ich Herzklopfen, wenn es die Treppe zum Klassenzimmer hin- aufging Oder wenn mich auf einer Waldbank Maria mit Kuß und Röte schüchtern umfing.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 55 Jörg-M. Bönisch / Gerd Hardacker

„Karl May’s echtestes Vorbild“

ährend unserer Recher- se Erwähnungen auch ein Teil der Wchen in alten Zeitungen, Wirkungsgeschichte Karl Mays Zeitschriften, Magazinen, Ka- darstellen, möchten wir sie hier in lendern und Büchern haben wir loser Folge wiedergeben. viel Ernstes, Heiteres, Komisches und Ärgerliches in Verbindung Beginnen wollen wir mit einem mit dem Namen Karl May oder Indianer, dessen Foto das Maga- seinen Romanfiguren entdeckt. zin ›Fama‹ 1 mit folgendem kur- Und auch den einen oder ande- zen Begleittext vorstellte: ren „neuen“ (so die Zeitung) Karl May haben wir gefunden. Da die- „Der ehrenwerte große Häuptling »Weißer Pferdead- ler«, der Welt größter Häuptling, Karl May‘s echtestes Vorbild, wurde im Jahre 1822 geboren, ist also jetzt 107 Jahre als und trat in ungebrochener Kraft im Wintergarten in Berlin auf.“

1 Fama. Das Magazin für alle. Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst, Berlin. 6. Jg., Heft 23/1928/29, S. 1467. In den frü- heren Jahrgängen erschien das Magazin unter dem Namen ›Stopp‹ bzw. ›Das Magazin für alle‹. Im 5. Jahrgang finden sich zwei kleine Ge- schichten von Otto Eicke.

56 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Gefunden haben wir diesen In- dings ohne eine Erwähnung Karl dianer auch noch einmal in der Mays. Zeitung ›Die Grüne Post‹.2 Aller-

2 Die Grüne Post. Ullstein Verlag, Ber- lin. 3. Jg., Nr. 19/12. Mai 1929, S. 9.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 57 Winfried Didzoleit ›Les vertes lectures‹

m Jahr 2000 resignierte Rein- genen Jahrhunderts zahlreiche Ihold Wol. Der Romanist und Karl-May-Werke publizierte, ein Vorsitzender der Karl-May-Ge- schmales Bändchen mit dem Titel sellschaft konstatierte, ›sein‹ Karl ›Les vertes lectures‹. Diesen Titel May, der „am meisten gelesene übersetze ich sehr frei und voller deutsche Autor“ sei „auf dem Zweifel vorläufig so: „Genierliche französischen Buchmarkt nicht Lektüre“. vorhanden und spielt […] auch in den Phantasien französischer Ju- Versammelt hat Tournier in die- gendlicher und Erwachsener von sem Band eine Art biographisch- heute keine Rolle mehr.“ Sechs interpretatorischer Essays über Jahre später zitierten Christoph seiner Ansicht nach begnadete, Blau und Ulrich von Thüna in phantasiebegabte Erzähler, die einem Sonderheft der Karl-May- häufig als Jugendschriftsteller ab- Gesellschaft (›Karl May in Frank- getan werden und deren intensive reich‹) ihren inzwischen verstor- Lektüre in der Regel nicht gera- benen Vorsitzenden zustimmend. de als Ausweis hochliterarischer Bildung durchgeht. Der Kanon Doch ebenso, wie es zumindest dieser zweifelhaften Bildungs- immer ein kleines Dorf in Frank- heroen des Michel Tournier reich gegeben hat, ›Klein Bonum‹ reicht von Lewis Carroll über geheißen, das, geführt von Aste- Jules Verne, Jack London, Selma rix und Obelix, ehedem den rö- Lagerlöf, Rudyard Kipling bis hin mischen Usurpatoren widerstand, zu dem Erfinder von Tim und so gab es auch im Jahre 2006 Struppi, dem belgischen Comic- zumindest noch einen französi- Autor Hergé. Dass zu dieser schen Erwachsenen, der Karl den Sippschaft auch Karl May zählt, Deutschen öentlich rühmte, als verwundert nur insofern, als der „voleur, mythomane et conteur Autor ein Franzose ist, der 1967 de génie“. Und dieser Erwachse- schon für seinen ersten Roman, ne war nicht irgendwer. ›Vendre di ou les limbes du Paci- fique‹, den Grand Prix du roman Michel Tournier, laut wikipe- de l’Académie française kassierte dia.de „einer der bedeutendsten und 1970 für sein Werk ›Le Roi zeitgenössischen Schriftsteller des Aulnes‹ mit dem wichtigsten Frankreichs“, veröentlichte in französischen Literatur-Lorbeer, eben diesem Jahr 2006 im re- dem Prix Goncourt, geschmückt nommierten Verlag Flammarion, wurde. just jenem Unternehmen also, das zwischen den dreißiger und Bei aller Freude über die un- den achtziger Jahren des vergan- erwartete Wertschätzung Karl

58 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Mays durch eine französische der nach Deutschland. Vier Jahre Edelfeder: Der kurze, Mays Le- lebte er in Tübingen und studier- ben und Herkunft korrekt wi- te dort Philosophie. Mit hoher derspiegelnde Text enthält auch Wahrscheinlichkeit darf man also rätselhafte Passagen. Zunächst: annehmen, dass er May als Ju- Tournier hält Old Shatterhand gendlicher, spätestens aber als Er- abenteuerlicherweise für einen wachsener in deutscher Sprache Engländer. Auf Seite 86 von ›Les gelesen hat. vertes lectures‹ heißt es unmiss- verständlich: „Ses deux princi- Diese Hypothese wird durch die paux héros, l’Indien Winnetou et Tatsache erhärtet, dass Tournier l’Anglais Old Shatter hand […]“ ein Zitat aus Der schwarze Mus- tang zum Anlass für einige Re- Nun weisen schon Blau/von flexionen nimmt. Dieses von May Thüna darauf hin, dass die deut- eigens für die Jugend bestimm- schen Namen in einem Teil der te, im Union-Verlag erschiene- Übersetzungen ›französisiert‹ ne Werk aber ist laut der Biblio- worden sind. Generell haben die graphie von Blau/von Thüna in Übersetzer oenbar alle aufdring- ›Karl May in Frankreich‹ nie in lichen Betonungen der germani- französischer Sprache erschienen. schen und sächsischen Herkunft des Haupthelden und einiger sei- Indes geben dieses Zitat Mays ner Gefährten getilgt. In den mir und die daran geknüpften Erwä- vorliegenden zwei Flammarion- gungen Tourniers weitere Rätsel Bändchen aus dem Jahre 1948, auf. Eine zentrale Figur des Ro- die Episoden aus Winnetou III mans ist der Mestize Ik Senanda, enthalten, heißt der Autor Char- Enkel des Komantschen-Häupt- lie May, der Hauptheld, wenn er lings Tokvi-Kava und Nachkom- nicht mit seinem ›nom de guerre‹ me von dessen Tochter aus einer Old Shatterhand oder ›La main Verbindung mit einem Weißen. qui frappe‹ vorgestellt wird, heißt Ik Senanda hat sich unter dem in dem amerikanischen Umfeld Apatschen-Namen Yato Inda als des Wilden Westens schlicht nur Scout in ein Eisenbahner-Lager „Charlie“. eingeschlichen, um die beste Ge- legenheit für einen Komantschen- Doch dass sich Tournier, weil er Überfall auf das Camp auszuspi- nur französische Fassungen Mays onieren. Auf Seite 17 des HKA- zur Kenntnis genommen hätte, Bandes III.7 wird ›das Halbblut‹ derart vergaloppiert, ist schlech- erstmals vorgestellt und charakte- terdings nicht vorstellbar. Der risiert: Schriftsteller, Jahrgang 1924, ist Sohn eines Germanistenehepaa- An dem für Beamte und ›höhere res. Er sowie seine zwei Brüder Gentle men‹ bestimmten Tische saß eine und eine Schwester lernten schon einzelne Person, ein junger, vielleicht nicht ganz dreißig Jahre zählender frühzeitig Deutsch, verbrachten Mann, welcher wie ein weißer Jäger viele Ferien in Deutschland, und gekleidet war, aber der kaukasischen auch gleich nach dem Zweiten Rasse nicht angehörte, was sich aus Weltkrieg zog es Tournier wie- der Farbe seiner Haut und der Bil-

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 59 dung seines Gesichts schließen ließ. Er Karl Mays Werturteil über Mes- war jedenfalls ein Mestize, einer jener tizen in einem im letzten Jahr- Mischlinge, welche zwar die körperli- zehnt des 19. Jahrhunderts ver- chen Vorzüge, aber dazu leider auch fassten Roman ist zweifelsfrei die moralischen Fehler ihrer verschie- hanebüchener Unsinn. Vielleicht denfarbigen Eltern erben. wurden solche Vorurteile in im- perialistischen Zeiten gepflegt, Auf Seite 140 zeigt May/Old um die ›Fraternisation‹ zwischen Shat terhand seine Verachtung für Kolonialherren und unterdrück- Ik Senanda in direkter Rede noch ten Eingeborenen einzudämmen. deutlicher: Immerhin heißt es noch im ›Gro- ßen Meyer‹ von 1906 unter dem Deine Haut ist noch viel schlimmer als Stichwort „Farbige“, unter dem rot, Bursche! Man weiß ja ganz genau, auch sämtliche Mischlingsformen dass ihr halbblütigen Menschen nur abgehandelt werden: „Die Far- die schlimmen Eigenschaften eurer El- bigen genießen im Allgemeinen tern erbt, und du bist der beste Beweis nur geringe Achtung; vorzüglich dafür, dass dies kein Irrtum ist. gilt dies für die von Schwarzen (Negersklaven) abstammenden Tournier nimmt sich des ersten Mischlinge.“ Das galt zu Karl Belegs an: Mays Zeit und noch Jahrzehnte später mit Sicherheit ganz allge- „D’un personnage, issu d’un croise- mein auch für indianisch-stämmi- ment entre Anglais et Indienne, Karl ge Mestizen. May note: «Il rassemblait les quali- tés physiques et les défauts moraux Tourniers Umgang mit dem frag- de ses parents.» La formule est bien würdigen May-Zitat ist aber nicht remarquable. Elle laisse croire que nachvollziehbar. Napoleon war le métissage est profitable pour le corps, mais pernicieux pour l’âme. La Spross einer Familie aus niederem présence dans le même individu de korsischen Landadel, beide Eltern gênes diérentes en ferait une sorte Stalins waren Georgier und Hit- de surhomme. Celle de deux cultures, lers Vater und Mutter stammten un sous-homme. On rappellera peut- aus dem österreichischen Wald- être que Napoléon, Staline et Hit- viertel nahe der böhmischen ler étaient des métis culturels avant Grenze. Keiner der Genannten de devenir les bouchers de leur pays war also ein Mischling von einem d’adoption.“1 weißen und einem farbigen El- 1 „Über eine Person, die der Verbin- ternteil. Einzig die aber hatte Karl dung eines Engländers und einer Indi- Mays Unwerturteil im Visier. anerin entstammte, schreibt Karl May: »Er vereinte die körperlichen Vorzü- Um seine Erwägung überhaupt ge und die moralischen Fehler seiner Eltern in sich.« Die Formulierung ist tragfähig zu machen, wechselt bemerkenswert. Sie legt nahe, dass die Vermischung von Rassen von Vorteil für die Physis, aber von Schaden für termenschen. Man wird sich vielleicht die Seele ist. Das Vorhandensein un- erinnern, dass Napoleon, Stalin und terschiedlicher Gene in einem einzigen Hitler kulturell gesehen Mischlinge Individuum schüfe also physisch eine waren, bevor sie die Schlächter jener Art Übermensch, das Zusammenspiel Länder wurden, die sie adoptiert hat- zweier Kulturen dagegen einen Un- ten.“ (Übersetzung : W. D.)

60 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Tournier die Begrie und nennt im Sinne Tourniers. Denn seine Napoleon, Stalin und Hitler „kul- beiden Eltern ließ Karl May früh turelle Mischlinge“. Ob die kultu- sterben und der Komantschen- relle Dierenz zwischen Korsika Großvater Tokvi-Kava erzog den und ›la France métropolitaine‹, „halbwüchsigen Knaben“ oen- zwischen Georgien und Kern- bar im indianischen Milieu „in russland, zwischen dem Waldvier- strenger Feindschaft“ gegen die tel und dem Deutschen Reich es Bleichgesichter. Doch ganz ein- rechtfertigt, die drei Herren als deutig ist auch das nicht. Um das „kulturelle Mischlinge“ zu defi- Vertrauen der Eisenbahner zu ge- nieren, kann oen bleiben. Auf winnen und sie anschließend zu keinen Fall aber hat diese Erwä- übertölpeln, musste er die engli- gung etwas mit Karl Mays kruder sche Sprache wie auch die Sitten Mestizen-Theorie zu tun. und Gebräuche der Weißen per- fekt beherrschen. Diese Kenntnis- Ik Senanda war zweifelsohne se kann er sich kaum ohne einen das Ergebnis einer ›Rassen‹- längeren Aufenthalt in der weißen Mischung, aber möglicherwei- Gesellschaft erworben haben. se keines kultureller Mischling

Umfassend über die May-Rezeption in Frankreich und die französischen May-Ausgaben informiert das reichhaltig il- lustrierte Sonderheft Nr. 133:

Christoph Blau/Ulrich von Thüna: Karl May in Frank- reich. 80 S. 6,00 €.

Zu beziehen über die Zentrale Bestelladresse der KMG (s. hintere Umschlaginnenseite)

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 61 Eckehard Koch Mit Karl May von Amerika über China und Afrika nach Norland

Assoziationen zu Karl May 8: Norland

n Karl Mays drittem Versuch mit der Mondgöttin gleich – der Iauf dem Gebiet des Romans, Mond spielte bei den Zigeunern in Scepter und Hammer1, spie- eine zentrale Rolle3. len Zigeuner eine wichtige Rol- le2. Sie haben Indien verlassen, Und, nicht zu vergessen: Ida weil Bhowannie, die Göttin, es Pfeier, der der Bericht in den gebot (17). Bemerkenswert ist ›Assoziationen zu Karl May 7‹ im Mays Angabe, dass Bhowannie letzten Heft der ›Mitteilungen auf Nossindamba wohne, welches der KMG‹ gewidmet war, besuch- vom Volk der Christen Mada- te bei ihrer letzten Reise 1856 bis gaskar genannt wird […] Hoch 1858 Madagaskar und schilderte droben im Ambohitsmenegebirge die dortigen Verhältnisse. Wie an- steht ihr Thron, und tief unter derswo war sie die erste europäi- den Bergen von Befour schläft sie sche Frau, die als Forscherin und des Tages, um erst beim Beginn Weltreisende, genauer gesagt als des Abends zu erscheinen (214). Abenteuertouristin, den Boden Warum Madagaskar? Wegen der der Insel betrat, und immerhin Romantik? Aber die gab es nicht. gelang es ihr mit Hilfe anderer Die Einwohner führten Bürger- Europäer, an einem Empfang der kriege und versuchten, die Eu- grausamen Königin Ranavalona I. ropäer von ihrer Insel fernzuhal- teilzunehmen. Diese war damals ten. Diese hieß bei den Arabern schon 75 Jahre alt, aber noch Dschsira-el-Komr, d. h. Mond- sehr rüstig, und hatte oenbar insel, und Bhowannie setzt May Freude daran, ihre Untertanen zu quälen. Ida Pfeier geriet auch 1 Karl Mays Werke. Historisch-kriti- in die Vorbereitung einer politi- sche Ausgabe. Abt. II, Bd. 1: Scepter schen Verschwörung, die sie das und Hammer. Hg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschlä- Leben hätte kosten können; aber ger. Nördlingen 1987; der Roman nichts geschah, und sie wurde so- erschien erstmals 1879/80. Seiten- gar gebeten, der Königin auf dem angaben im Text beziehen sich auf Klavier vorzuspielen. Als dann diese Ausgabe. 2 Vgl. Eckehard Koch: Der Gitano ist doch noch eine Verschwörung ein gehetzter Hund. Karl May und die Zigeuner. In: JbKMG 1989, S. 178– 229. 3 Vgl. ebd., S. 208.

62 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 ausbrach, wurden erst alle Euro- eines Agrarlandes zu reduzie- päer festgesetzt, und als man sie ren. Tatsächlich hat der Plan die frei ließ, wäre Ida auf dem Weg amerikanische Besatzungspolitik an die Küste fast umgekommen. im Nachkriegsdeutschland nach- Sie schate es noch bis Wien, aber haltig beeinflusst – es gab sogar dort starb sie bald an Krankheit eine Direktive, JCS 1067, die auf und an den Folgen der Strapazen. manchen Gedanken des Planes Immerhin war Madagaskar auch fußte, wenn auch Roosevelt und dank ihr in aller Munde, und viel- Churchill ihre Unterschrift unter leicht hat ihr Bericht May doch den Plan vom 15.9.1944 schon inspiriert. am 22.9. nach heftigen Protesten in der Öentlichkeit und sogar in An dem Roman Scepter und Ham- der Regierung wieder zurückge- mer ist aber noch ein anderes De- zogen hatten. tail interessant und scheint eine wesentlich spätere histo- risch gewordene Überlegung in gewisser Weise vorwegzuneh- men. Bekannt- Präsident Frank- lich spielt die lin D. Roosevelt und Finanzmi- Handlung in nister Henry den fiktiven Morgenthau jr. Staaten Nor- 1940 (Foto: AP) land, das einen milden Herrscher hat, und Süder- Greiner relativiert auch vieles land, das katholisch ist und von an dem Plan, stellt seine Hin- einem Despoten regiert wird, also tergründe und die Diskussionen gewissermaßen in Nordland und über ihn dar und belegt, dass der Südland. Plan nicht so gefasst war, wie ihn die deutsche Propaganda unter Bernd Greiner beschreibt in sei- Goebbels hinstellte. Er schreibt: nem Artikel ›Die Morgenthau- „›Vorschlag für ein Deutschland- Legende‹4 den Morgenthau- Programm nach der Kapitulation‹ Plan, also den amerikanischen hieß das in aller Eile zusammen- Vorschlag am Ende des Zweiten gestellte Memorandum, das Mor- Weltkrieges, die Waenschmie- genthaus Mitarbeiter am 4. Sep- den an der Ruhr zu demontieren, tember 1944 vorlegten. Eingangs das Ruhrgebiet und die deut- erinnerten die Autoren an die Te- schen Wasserstraßen zu internati- heraner Vereinbarung zwischen onalisieren, Deutschland zu ent- Roosevelt, Churchill und Stalin, militarisieren und zu verkleinern, derzufolge das Ruhrgebiet und vielleicht sogar auf den Status die Saar zu ›internationalen Zo- nen‹ unter Kontrolle der UNO erklärt und aus Deutschland aus- 4 In: Die Zeit Nr. 42 vom 14.10.1994.

Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 63 gegliedert werden sollten. Des ner neuen, prä-demokratischen weiteren sollten Ostpreußen und Regierung, wie sie Christoph Oberschlesien an die UdSSR F. Lorenz nennt6. Und Deutsch- beziehungsweise Polen fallen. land hat nach dem Krieg ja auch Die übrigen deutschen Territo- einen demokratischen Weg einge- rien würden zwei unabhängigen schlagen, zuerst im Westen und Staaten, einem Nord- und einem seit 1989 schließlich als Ganzes. Südstaat, zugeschlagen werden.“5 Da kann man nur mit Karl May Der Nordstaat sollte protestan- die Aussage treen: Ich frage: Ist tisch sein, der Südstaat katho- das nicht interessant?7 lisch – Norland und Süderland! Hat May den Vorschlag intuitiv vorweggenommen, oder bot sich eine derartige Teilung geradezu an? Die Übereinstimmung ist je- danfalls frappierend. 6 Werkartikel zu Scepter und Hammer. In: Gert Ueding (Hg.): Karl-May- In Scepter und Hammer kommt Handbuch. 2. erweitete und bear- es am Schluss zu der Bildung ei- beitete Ausgabe. Würzburg 2001, S. 305–309; S. 307. 7 Karl May: Winnetou IV (GR XXXIII), 5 Ebd., S. 41. S. 623.

Bisher wenig unter- Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 143 | 2011 sucht wurde die Re- zeption des Slawischen und die Darstellung von Vertretern slawi- scher Völker bei Karl May. Die Slawisten Prof. Dr. Ludger Udolph und Prof. Dr. Holger Kuße schließen diese Lücke. Abgerundet wird das Heft durch eine the- matische Einführung Karel Hynek Shatterhand von Dr. Gudrun Kein- dorf und einen Aufsatz Slawisches bei Karl May des tschechischen Au- zwischen gut und böse tors Jan Skácel. Zu beziehen über die Zentrale Bestelladresse der KMG (s. gegen- überliegende Seite)

64 Mitteilungen der KMG Nr. 168/Juni 2011 Abkürzungsverzeichnis

GR XXI Karl May’s gesammelte Reiseromane [ab Bd. XVIII: Reise- erzählungen]. Freiburg 1892 . (Reprint, hg. von Roland Schmid. Bamberg 1982–1984) (hier: Band XXI) HKA III.1 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger, ab 1999 von Hermann Wiedenroth, ab 2008 von der Karl-May-Gesell- schaft. Nördlingen 1987 ., Zürich 1990 ., Bargfeld 1994 ., Bamberg/Radebeul 2008 . (hier: Abteilung III, Band 1) JbKMG Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1970 ., Hu- sum 1982 . KMG-N KMG-Nachrichten KMJb Karl-May-Jahrbuch. Breslau 1918, Radebeul 1919–1933 LuS Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg 1910 (Reprint, hg. von Hainer Plaul. Hildesheim, New York 1975; 31997) M-KMG Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft Reprint KMG Reprint, hg. von der Karl-May-Gesellschaft Reprint KMV Reprint, hg. vom Karl-May-Verlag SoKMG Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft

Original-Zitate und -Titel von Karl May sind stets durch Schrägschrift gekenn- zeichnet.

Unsere aktuellen Publikationen

Sonderhefte Nr. 142 Svenja Bach: Karl Mays Islambild und der Einfluss 7,50 € auf seine Leser. 112 S. Nr. 143 Karel Hynek Shatterhand. Slawisches bei Karl May im zwischen gut und böse. Mit Beiträgen von Jan Druck Skácel, Ludger Udolph und Holger Kuße sowie einer Einführung von Gudrun Keindorf. 88 S.

Materialien zum Werk Karl Mays Bd. 5 Jürgen Hillesheim/Ulrich Scheinhammer-Schmid 10,50 € (Hrsg.): Im Kampf für einen »Vielgeschmähten«. Die ›Augsburger Postzeitung‹ und Karl May – eine Dokumentation. 413 S.

Reprints Karl May: Der Waldkönig. Erzählungen aus den Jahren 12,00 € 1879 und 1880. 2. Auflage. 260 S.

Zentrale Bestelladresse: Ulrike Müller-Haarmann • Gothastr. 40 • 52125 Bonn • Tel.: 0228/252492 • Fax: 0228/2599652 • [email protected] Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft Impressum

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Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 29. April 2011