G 6892 THEOLOGISCHES

Katholische Monatsschrift Begründet von Wilhelm Schamoni

Jahrgang 40, Nr. 05/06 Mai/Juni 2010

INHALT MANFRED HAUKE Manfred Hauke HEOLOGISCHES – 40 Jahre THEOLOGISCHES. Editorial ...... 130 40 Jahre T – Pressemitteilung der Fördergemeinschaft THEOLOGISCHES Editorial zum Rücktritt von David Berger als Herausgeber der Zeitschrift THEOLOGISCHES ...... 133

Walter Hoeres Die Zeitschrift THEOLOGISCHES begeht in diesem Jahr ihr Die Vitalität des Glaubens (Beitrag zum 40jährigen Jubiläum) ..... 135 40jähriges Jubiläum. Ihr Ursprung liegt in dem festen Willen Impressum ...... 138 katholischer Priester und Laien, inmitten der nachkonziliaren Glaubenskrise die Treue zur überlieferten Lehre der Kirche zu Reinhard Dörner fördern1. In einer Zeit der Krise ist es lebensnotwendig, den „Du bist Petrus“ (Mt 16,18) – Der Papst – Hirte und Lehrer der Völker ...... 139 Glauben zu verteidigen und zu vertiefen. Der Gründer unserer Zeitschrift, der aus dem Bistum Paderborn stammende Pfarrer Peter P. J. Beyerhaus Wilhelm Schamoni (1905-1991), wußte sich bei diesem Bemü- Zum 5jährigen Pontifikat von Papst Benedikt XVI...... 155 hen verankert im Mut machenden Glaubenszeugnis der Heili- Peter Mettler gen, deren Lebensgeschichte und Wunder er einer breiten Le- Warum die Kirche ihre Haltung zur Homosexualität nicht ändern serschaft bekannt machte. Auf sein zehnjähriges Wirken als kann ...... 173 Schriftleiter (1970-1980) folgte der Moraltheologe Monsignore Walter Hoeres Prof. Dr. Johannes Bökmann, der achtzehn Jahre lang (1980- Woher der Haß – Neue und alte antiklerikale Affekte ...... 193 1998) für die Zeitschrift verantwortlich war. In seine Zeit fällt Franz Norbert Otterbeck die Trennung der Zeitschrift von der „Offerten-Zeitung für die Dei neun Plagen der „Pastoral“ ...... 199 katholische Geistlichkeit Deutschlands“, der THEOLOGISCHES gra tis beigelegt wurde und über die Pfarrämter fast den gesam- Matthias Vonarburg ten Klerus erreichte. Seit 1993 ist unsere Zeitschrift selbstän- Fortsetzung oder Neuanfang! – Zu den vermeintlich aristoteli- dig; sie wird nicht nur von Priestern gelesen, sondern auch von schen Momenten thomasischer Rede von der Seele ...... 203 vielen engagierten Laien. Nach Prof. Bökmann war Monsigno- Manfred Hauke re Ulrich-Paul Lange Schriftleiter (1998-2003) sowie der Lai- Die Weihe an die Gottesmutter und die Zukunft Europas ...... 209 en theologe und Religionslehrer Dr. Dr. David Berger (2003- 2010), der im April von seinem Amt zurücktrat2. BUCHVORSTELLUNG Erik M. Mørstad Die neuen Verantwortlichen für die Zeitschrift – Gabriele Waste: „Personaler Glaube“ gegen Dialektik ...... 225 Die Mitgliederversammlung der Fördergemeinschaft THEO- LOGISCHES vom 2. Juni bestimmte den Unterzeichneten zum Herausgeber und Prof. Dr. Johannes Stöhr zum verantwortli- chen Redakteur im Sinne des Pressegesetzes von Nordrhein- Westfalen. Diese Lösung gilt nur bis auf Weiteres, da es auf län- gere Sicht hin wünschenswert ist, die Aufgaben von Herausge-

1 Vgl. dazu die Hinweise auf unserer Homepage www.theologisches.net, un- ter dem Stichwort „Information“. Darüber hinaus finden sich wertvolle An-

gaben bei W. HOERES, Zwischen Hingabe und Kampf. Fünfunddreißig Jahre PVSt, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, G6892 bezahlt, Entgelt AG, Post Deutsche PVSt, THEOLOGISCHES, in Theologisches 35 (1/2005) 2-9; DERS., Die Vitalität des Glaubens. Vierzig Jahre „Theologisches“, in der vorliegenden Ausgabe der Adressänderungen, Neu- und Abbestellungen bitte an: Zeitschrift. verlag nova & vetera e.K., Bataverweg 21, 53117 Bonn (i.A. des Hrsg.) 2 Siehe dazu die dem Editorial folgende Presseerklärung.

– 129 – – 130 – ber und Redakteur in einer einzigen Person zu verbinden. Die- kommen ist. Dr. Berger hat zweifellos seine Verdienste für das se Person suchen wir noch. Prof. Stöhr ist schon seit langen Studium des Thomismus und auch für unsere Zeitschrift, wofür Jahren Mitglied der Fördergemeinschaft, während ich selbst wir ihm danken. Durch sein Verhalten hat er freilich unser Ver- nach dem Tod von Leo Kardinal Scheffczyk (8.12.2005) dazu trauen mißbraucht. Da die in Bergers Gang an die Öffentlich- gebeten wurde und im Herbst 2007 die Aufgabe des Vorsitzen- keit ansich tige Verirrung leider für manche theologischen Mi- den übernommen habe3. Trotz meiner vielfältigen Aufgaben ha- lieus im deutschen Sprachraum nicht untypisch ist, haben wir be ich mich vorerst für die Tätigkeit als Herausgeber bereit er- für die vorliegende Ausgabe einen grundsätzlichen Beitrag zum klärt, weil die Zeitschrift THEOLOGISCHES eine wichtige Sen- Thema der Homosexualität erbeten. Der Verfasser, P. Dr. Peter dung zu erfüllen hat in der Profilierung des Katholischen Mett ler, ist bereits hervorgetreten durch eine Doktorarbeit zur gegenüber der fast allüberall dominierenden „Diktatur des Re- Frage, ob homosexuelle Kandidaten zu Priestern geweiht wer- lativismus“ (Benedikt XVI.). Prof. Stöhr hat eine langjährige den dürfen. Erfahrung als Professor für Dogmatik sowie als Verfasser zahl- reicher Publikationen4. Das fünfjährige Papstjubiläum von Benedikt XVI. In diesem Jahr feiert nicht nur THEOLOGISCHES sein 40jähri- Gründe für den Wechsel ges Jubiläum. Die Weltkirche beging am 19. April den fünften Die Zeitschrift THEOLOGISCHES feiert ihr 40jähriges Jubi- Jahrestag der Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger zum Nach- läum trotz einer schwierigen Situation in der Kirche. Die Krise folger des hl. Petrus. Als gläubige katholische Christen und als des Glaubens und der Moral bekundet sich leider auch in den Deutsche sind wir stolz auf das Wirken von Papst Benedikt Umständen des persönlichen Lebens von Dr. Berger, die zu sei- XVI., den wir in seinem von Christus gestifteten Amt mit all nem Rücktritt geführt haben. Unsere Presseerklärung vom 13. unseren Kräften unterstützen wollen. Diese Entschlossenheit April, die wir als nächsten Beitrag abdrucken, geht darauf ein. gilt zumal in der gegenwärtigen Situation, in der ideologisch Die Affinität Bergers zu einem homosexuellen Milieu war den geleitete Massenmedien und deren Helfershelfer innerhalb der Mitgliedern der Fördergemeinschaft bei seiner Berufung als Kirche zum Sturm auf den Felsen Petri blasen. Deren Kräfte Herausgeber der Zeitschrift im Jahre 2003 nicht bekannt. In der scheinen übermächtig: sie reichen bis hinein in die Theologi- „Frankfurter Rundschau“ (22. April) behauptete er hingegen, schen Fakultäten und wenig erbauliche Seilschaften in bischöf- „die wichtigsten Entscheider und Autoren der Zeitschrift“ (THEO - lichen Ordinariaten. Die schlimmste Verfolgung der Kirche LOGISCHES) hätten schon bei seiner Ernennung als Herausgeber kommt nicht von außen, sondern von innen, wie Papst Benedikt von seiner Situation gewußt. Diese Behauptung weist die För- XVI. auf seiner Reise nach Fatima betonte: „die Leiden der Kir- dergemeinschaft energisch zurück. che kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sün- In seinem Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ verlangt de, die in der Kirche existiert“6. Der von Christus begründete Berger von der Kirche, ihre „Bewertung der Homosexualität“ „Fels“ wird die Stürme überstehen, aber Gott nimmt auch die „komplett zu ändern“5. Noch 2009 hatte er vor drei Mitgliedern Mitwirkung von uns schwachen Menschen in seinen Dienst. der Fördergemeinschaft betont, dass er mit der offiziellen Leh- Dadurch tragen wir bei zum Triumpf der wahren Kirche, die ih- re der Kirche zur Homosexualität voll übereinstimme. Natür- re Verfolger überleben und bei der Wiederkunft Christi mit all lich wollen wir keine „Diskriminierung“ im Sinne einer unge- ihrem Glanz aufstrahlen wird. Bis dahin muss die Kirche durch rechten Benachteiligung von Menschen, die homophil empfin- den Schmelztiegel der Verfolgung gereinigt werden, und Gott den. Wohl aber geht es um die entschiedene Stellungnahme ge- wird die nicht im Stich lassen, die ihr inmitten der Angriffe des gen das Liebäugeln mit einem homosexuellen Milieu und um Teufels treu bleiben. eine Verteidigung des sechsten Gebotes, das nach der bibli- Die Bedeutung des Felsenamtes Petri wird in unserem Jubi- schen und kirchlichen Deutung auch von homosexuell empfin- läumsheft von zwei Beiträgen unterstrichen. Reinhard Dörner denden Menschen die Keuschheit verlangt. Bergers Äußerun- schildert die Ergebnisse der diesjährigen Osterakademie des gen in der „Frankfurter Rundschau“ hingegen erwecken den Kardinal-von-Galen-Kreises im niederrheinischen Marienwall- Eindruck einer Rechtfertigung homosexuellen Verhaltens, das fahrtsort Kevelaer. Dabei geht es aus verschiedenen einander von der Heiligen Schrift, der Überlieferung der Kirche und de- ergänzenden Blickwinkeln um die Bedeutung des Petrusamtes. ren Lehramt stets als schwer sündhaft zurückwiesen worden ist. Ausgehend vom Neuen Testament und der alten Kirche wird Eine Bemäntelung der Sünde können wir nicht unterstützen und die Situation der Gegenwart und das ökumenische Gespräch begrüßen darum den Rücktritt des ehemaligen Herausgebers, bezüglich des päpstlichen Leitungsamtes näher beleuchtet. der einer Trennung von unserer Seite aus nur zeitlich zuvorge- Eine Überraschung für viele Leser wird die ausführliche Würdigung der ersten fünf Jahre des Pontifikates von Papst Be- nedikt XVI. aus der Feder eines evangelischen Theologen dar- stellen. Prof. Dr. Peter Beyerhaus kennt den jetzigen Nachfolger Petri schon seit seiner Zeit als Theologieprofessor in Tübingen und ist mit ihm seitdem, so dürfen wir wohl sagen, freundschaft- 3 Mein Lebenslauf und meine wissenschaftlichen Publikationen können einge- lich verbunden. Er gehört auch zu den regelmäßigen Lesern un- sehen werden auf meiner Homepage www.manfred-hauke.de. serer Zeitschrift. Es zeigt sich hier, wie in entscheidenden Punk- 4 Vgl. seine Homepage mit zahlreichen interessanten Hinweisen www.teol.de. ten glaubenstreue katholische und evangelische Christen zu- W. NETHÖFEL – P. TIEDEMANN, Internet für Theologen. Eine praxisorientier- te Einführung, Darmstadt 1999, 87 bezeichnen diese Homepage als „tech- sammenarbeiten können. Natürlich gibt es in dem Aufsatz eini- nisch brillante und materialreiche Internet-Seite“, obwohl den Autoren deren ge Punkte, wo sich aus katholischer Sicht weiterführende Per- katholische Ausrichtung nicht behagt. spektiven anbieten, aber wir sind dankbar für die ökumenische 5 D. BERGER, Homosexualität in der Kirche. Ich darf nicht länger schweigen, in Frankfurter Rundschau, 22.4.2010, zugänglich via Internet, www.fr-online.de. Solidarität aus Tübingen. Der Heilige Vater erteilte seine Geneh - 6 Benedikt XVI., Pressekonferenz zwischen Rom und Lissabon, in www. migung für den Abdruck zweier Zitate aus persönlichen Briefen kath.net, 15. Mai 2010. an Peter Beyerhaus, wofür wir ihm ganz herzlich danken. – 131 – – 132 – Weitere Beiträge Als Vorsitzender der Fördergemeinschaft THEOLOGISCHES, Neben den beiden „großen“ Themen unseres Jubiläumshef- nach Absprache mit den übrigen Mitgliedern des Vorstandes, tes, dem 40jährigen Jahrestag von THEOLOGISCHES und dem weise ich diese Darstellungsweise zurück. Von dem Herausge- dankbaren Rückblick auf fünf Jahre des Pontifikates von Papst ber einer theologischen Zeitschrift, die sich dem katholischen Benedikt, werden auch weitere Gesichtspunkte den interessier- Glauben verpflichtet weiß, muss erwartet werden, dass er sich ten Lesern vorgeschlagen. Der Beitrag des langjährigen Mit- auch in seinem Privatleben um einen kirchlichen Lebenswandel gliedes unserer Fördergemeinschaft, des Professors für Philoso- bemüht. Die ersten kritischen Fragen in dieser Beziehung tauch- phie Walter Hoeres, stellt sich die Frage, woher denn der Haß ten im Jahre 2007 auf, als Berger gegen als homophob empfun- auf die Kirche stammt, den wir in den letzten Monaten bis zum dene Artikel in der anonymen Internetseite kreuz.net in einer Überdruß in den deutschsprachigen Massenmedien erleben anderen Internetseite Stellung bezog (kreuts.net), die dem ho- mußten. Der Beitrag eines engagierten Laien, des Juristen Nor- mosexuellen Milieu nahesteht. Schon damals wurden Stimmen bert Otterbeck, legt einige pointierte kritische Gedanken vor laut, welche die Entlassung Bergers als Herausgeber von THEO - über die Plagen, die heute die Seelsorge heimsuchen. Matthias LOGISCHES forderten. Nachdem Berger über seinen Internetauf- Vonarburg, Promovent in Philosophie, würdigt die Bedeutung tritt in kreuts.net sein Bedauern ausdrückte und im übrigen als der Seele in der Aristotelesrezeption des hl. Thomas von Aquin. Herausgeber eine beachtliche Leistung erbrachte, hat ihn die Dabei wird die Gleichgestimmtheit mit dem Werk Joseph Rat- Fördergemeinschaft in seiner Position belassen. Ein ähnliches zingers über die Eschatologie deutlich, worin die spezifisch Problem gab es im vergangenen Jahr 2009, als Berger in seinem christliche Bedeutung der Seele gegenüber einer „seelenlosen“ Internet-Artikel über den homosexuellen und pädophilen Dich- Theologie, Pastoral und Liturgie zur Geltung kommt. ter Roger Peyrefitte im „Biographisch-Bibliographischen Kir- chenlexikon“ dessen Verhalten als „mutig“ beschrieb. In einem Perspektiven der Zukunft Gespräch mit Vertretern des Vorstandes hat Berger nicht auf dieser Beschreibung bestanden und erklärt, der Artikel über Am Schluß unseres Heftes weise ich selbst auf einige Zu- Peyrefitte sei im Rahmen eines umfassenderen Werkes zu Papst kunftsperspektiven des Glaubens in Europa, die mit der Weihe Pius XII. zu verstehen und keine Verteidigung des Lebenswan- an die Gottesmutter verbunden sein können. Die Kirche in gro- dels von Peyrefitte. Angesichts des alten juristischen Prinzips ßen Teilen Europas ist zutiefst krank. Man könnte fast sagen: „in dubio pro reo“ („im Zweifel für den Angeklagten“) haben die Kirche hat in vielen ihrer Glieder eine geistige Immun- wir damals der Rechtfertigung Bergers geglaubt. Wir haben ihn schwäche gegenüber den Giftstoffen des moralischen Verfalls auch dann noch in Schutz genommen, als er 2009 die gegen den und der Aufweichung ihres Glaubens. Christus der Herr ist frei- Heiligen Vater gerichtete „Petition Vaticanum II“ unterschrieb, lich auch heute in seiner Kirche gegenwärtig und kann uns auf weil er nachträglich seine Unterschrift zurückzog und wir in die Fürsprache Mariens im Heiligen Geist einen neuen Auf- „Theologisches“ eine Stellungnahme veröffentlichten, welche bruch schenken. Auch für Deutschland gibt es aus dem Mund die Petition zurückweist. von Schwester Lucia, der Seherin von Fatima, einige Lichter für die Zukunft, die zu betrachten sich lohnt. Der vorausliegende Verdacht hat sich freilich auf dramati- sche Weise bestätigt, als ich am 25. März 2010 auf Bergers Internetauftritt bei Facebook stieß, der für alle registrierten Net- zer des sozialen Netzwerkes zugänglich ist (also für über 400 Millionen Personen). Die dort feststellbaren Einzelheiten be- kunden eindeutig das Verwurzeltsein in einem homosexuellen Pressemitteilung der Fördergemeinschaft Milieu. Der Vorstand hat darum Berger um ein klärendes Ge- THEOLOGISCHES zum Rücktritt von spräch gebeten, das er freilich verweigerte, offenbar weil des- David Berger als Herausgeber der sen Ergebnis voraussehbar war. Am Abend des 12. April emp- fingen wir stattdessen von Berger ein Email, das sich auszugs- Zeitschrift THEOLOGISCHES weise heute morgen auf kath. net findet. Darin gibt Berger zu, dass der Internetauftritt wirklich von ihm stammt und keine Die folgende Pressemitteilung wurde am 13. April 2010 ver- Manipulation von Dritten darstellt. Sein Rücktritt kommt des- sandt an die katholische Tageszeitung „Die Tagespost“ und das halb nur einem Hinauswurf von Seiten der Fördergemeinschaft Internetportal www.kath.net, die sich dann in eigenen Meldun- zuvor. Erstaunlich ist freilich die Unverfrorenheit, mit der er gen darauf bezogen, sowie an das Internetportal www.kath- selbst das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat und womit er uns news.de, das die Meldung am gleichen Tage vollständig veröf- als „bigotte Seelen“ anklagt. Wir hätten ihm sonst die Chance fentlichte. Weitere Informationen zum Vorgang finden sich im gegeben, nach einem Rücktritt diskret von dem Milieu Abstand obigen Editorial. zu nehmen, von dem sein Auftritt bei Facebook ein trauriges Zeugnis ablegt und sich auf seinen verantwortungsvollen Stand Lugano, 13. April 2010. Heute morgen brachte der „Katho- als habilitierter Theologe neu zu besinnen. Wir danken ihm für lische Nachrichtendienst kath.net“ die Meldung, dass Herr Dr. die in sieben Jahren geleistete Arbeit als Herausgeber, können Dr. David Berger mit sofortiger Wirkung sein Amt als Heraus- aber in keiner Weise die Verhaltensweisen billigen, die jetzt an geber der Monatszeitschrift THEOLOGISCHES niedergelegt hat. den Tag gekommen sind. In einer außerordentlichen Mitglie- Kath.net übernimmt dabei die Darstellung Bergers, wonach derversammlung im Juni wird die Fördergemeinschaft sich um „bigotte Seelen“ Anstoß genommen hätten an seinem Internet- die Berufung eines neuen Herausgebers bemühen. Bis dahin auftritt im sozialen Netzwerk Facebook. Als er daraufhin von werde ich mich persönlich um den Übergang kümmern. der Fördergemeinschaft um ein klärendes Gespräch gebeten Für den Vorstand der Fördergemeinschaft THEOLOGISCHES wurde, habe er sich „diese Einmischung“ in sein „Privatleben“ verbeten und die Herausgabe von THEOLOGISCHES niedergelegt. Prof. Dr. Manfred Hauke, Vorsitzender – 133 – – 134 – WALTER HOERES Die Vitalität des Glaubens Vierzig Jahre THEOLOGISCHES

Tu ne cede malis, sed contra audentior ito! zur Tradition und damit zu dem, was die Kirche immer gelehrt Weiche der Drangsal nicht, hat, bedeutet. Ja, man kann es in diesem Zusammenhang gera- trete ihr umso mutiger entgegen. dezu als ratio essendi unserer Zeitschrift bezeichnen, sich im- Vergil, Aeneis 6. 95 mer erneut gegen Versuche zu wenden, den Glauben „ganz neu auszusagen“: so als könne man Form und Inhalt einer Aussage Schon während des Konzils brachen die Auseinandersetzun- beliebig oder jedenfalls nach dem Zeitgeschmack variieren. gen um das rechte Verhältnis zur modernen Welt aus und seit- Wobei es sich versteht, daß dies weder hier noch in der Liturgie dem ist die Kirche nicht mehr zur Ruhe gekommen. Sie war ihr möglich ist. freilich in keiner Epoche vergönnt. Immer ist sie Zeichen des Deshalb erledigt sich auch der Vorwurf der Arroganz, der Widerspruchs gewesen und hat – gelegen oder ungelegen – ver- uns mit schöner Regelmäßigkeit ebenfalls seit nunmehr 40 Jah- kündet, was die Welt auf keinen Fall hören wollte. Und mehr ren entgegengeschleudert wird und offenbar meint, wir wollten noch! Zu keiner Zeit hat es im Inneren der Kirche an Querden- ex cathedra, die allerdings hier aus einem unbesoldeten Schleu- kern gefehlt, die nicht bereit waren, „Schrift und Überlieferung dersitz bestehen würde, bestimmen, was als katholisch zu gel- mit gleicher Kindesgesinnung und Achtung anzuerkennen und ten hat und was nicht. Natürlich ist genau das Gegenteil der zu verehren“, wie dies auch das II. Vatikanum in seiner Konsti- Fall! Ganz unoriginell wollen wir nur auf das aufmerksam ma- tution über die göttliche Offenbarung verlangt. chen, was die Kirche immer gelehrt hat, während die progressi- Dennoch kann man sagen, daß die Glaubenskämpfe der ve Gegenseite alle Seiltänzerkunststücke unternehmen muß, Nachkonzilszeit die Kirche in einem Maße erschüttert haben, um nach dem Abschied von der Scholastik die Glaubenswahr- wie das in den relativ goldenen Nachkriegsjahren ihres „Wie- heiten und das christliche Menschenbild mit Kant, Hegel, Fich- dererwachens in den Seelen“ kein Mensch für möglich gehalten te und vor allem Heidegger zu versöhnen. hätte. Und schon jetzt läßt sich ohne falsche Selbstüberschät- Daß ein derart widerständiges Organ eine so große Resonanz zung, die allerdings nur das andere Extrem jener falschen De- finden konnte und sich ihrer nach wie vor erfreut, dürfte vor al- mut ist, wie man sie in kirchlichen Kreisen mitunter findet, fest- lem drei Gründe haben. Der erste ist die gelungene Personal- stellen, daß THEOLOGISCHES in diesem Kampf eine wichtige struktur, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet hat und die Rolle gespielt hat, deren Bedeutung erst kommende Kirchenhi- Mahnung des Aristoteles auf ihre Weise beherzigt, daß die mitt- storiker gerecht ermessen können. Schon das ist Grund genug, lere Staats- und Gesellschaftsform regelmäßig die beste ist. an dieser Stelle des 40. Jubiläums der Zeitschrift zu gedenken, Die se Struktur wurde schon zur Zeit des unvergeßlichen Johan- das wir nunmehr begehen können und aus diesem Grunde die nes Bökmann entwickelt und hat unter der Stabführung eines Gedanken und Reflexionen zu ergänzen, die wir aus Anlaß des un ermüdlichen und zielbewußten Mitgliedes der Förderge mein - 1 35. Jubiläums vorgetragen haben. schaft eine auch organisatorisch und juristisch vollkommene Man hat immer wieder den Versuch gemacht, die Zeitschrift und endgültige Form gefunden. Danach bestimmt der jeweilige in die „konservative“, ja „rechte“ Ecke zu stellen, wobei glau- Herausgeber in eigener Regie das Gesicht von THEOLOGISCHES. benstreu, „konservativ“ und „rechts“ tückisch gleichgesetzt So wird eine kraftvolle und einheitliche Führung ermöglicht. werden: eine Verbindung, deren Absurdität wir schon in unse- Aber er ist selber noch einem Förderkreis verantwortlich, der rem Artikel: „Die Rechten und ihr Rosenkranz“ aufgezeigt ha- die Zeitschrift trägt und den Herausgeber bestimmt. Nachdem ben.2 Doch im Zeichen einer political correctness, die längst der Münsteraner Studiendirektor Rudolf Willeke lange Jahre über den politischen Bereich ausgedehnt worden ist und in al- den Vorsitz der Fördergemeinschaft innegehabt hatte, gelang es len Lebensbreichen die Gesinnung einfordert, die dem Zeitgeist ihr, 2007 Prof. Dr. theol. Manfred Hauke, Lugano, als ihren entspricht, ist die Abstempelung zum „Konservativen“ und neuen Vorsitzenden und damit einen weithin bekannten Dog- „Rechten“ längst zum probaten Mittel geworden, auch jene zu matiker von Rang zu gewinnen. Sein Name und seine Reputa- brandmarken, die nichts anderes im Sinn haben als dies, nach tion stehen für die Weiterführung der bisherigen Linie: auch wie vor unerschütterlich am überlieferten katholischen Glauben wenn durch das Ausscheiden von Dr. David Berger eine vor- festzuhalten. Dabei hat der als Totschlagwort oder doch zumin- übergehende Vakanz im Amt des Herausgebers entstanden ist. dest als Vorwurf gemeinte Begriff des Konservativismus inso- Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, daß so unterschiedli- fern eine gewisse formale Berechtigung, als natürlich dieses che Charaktere wie Wilhelm Schamoni, Msgr. Johannes Bök- unerschütterliche Festhalten am Glauben auch ein Bekenntnis mann, Msgr. Ulrich-Paul Lange und Dr. David Berger der Zeit- schrift doch ein allen Wechsel und alle individuellen Nuancen überdauerndes einheitliches Gesicht geben konnten. Nicht nur Bökmann, sondern auch Lange zeigten sich als unerschrockene Kritiker der innerkirchlichen Zustände. So scheuten sie sich keineswegs, einen derart enragierten Kritiker der Assisi-Theo- logie wie Prof. Johannes Dörmann immer wieder als Mitarbei- 1 Hingabe und Kampf: 35 Jahre THEOLOGISCHES. In: THEOLOGISCHES ter heranzuziehen und zu halten. Vor allem Bökmann gelang es, Januar 2005. 2 Zwischen Diagnose und Therapie (Respondeo 14), Siegburg 2001, mit seiner einzigartigen Mischung tiefen Glaubens, barocker ka - S. 276 ff. tholischer Weltfreude und unverwüstlichem Humor die Mitar-

– 135 – – 136 – beiter immer wieder zu motivieren, Krisen zu meistern und un- Person und Fehlhaltungen Martin Luthers nach dem Konzil ei- vermeidliche interne Spannungen auszugleichen. In Erinnerung ner Flut von Schmähungen ausgesetzt war! Unvergeßlich auch ist mir vor allem, wie er den späteren Kardinal Scheffczyk, der der aufrüttelnde Vortrag des Mainzer Kirchenrechtlers Georg mit der Zeit einer unserer wichtigsten Autoren wurde, einmal May, eines der ganz großen Kämpfer gegen die nachkonziliare besänftigte. Der immer entschieden, aber doch mit großer vor- Glaubenszerstörung, über das verlorene Sakrament der Beich- nehmer Zurückhaltung formulierende Prälat zeigte sich ein we- te! nig befremdet ob des Tones mancher meiner Beiträge und ver- Der dritte Faktor schließlich, der wesentlich zur Ausstrah- mißte die akademische Distanz. Bökmann beruhigte ihn mit lung von „Theologisches“ beigetragen hat und weiter beiträgt, dem Hinweis, es gebe halt auch in der Welt der Publizistik „sol- sind die Schriftenreihen, die im Zusammenhang mit der Zeit- che und solche, aber mehr solche als solche!“ schrift entstanden sind und buchstäblich zu allen Brennpunkten David Berger gelang es dann, auf der Grundlage seiner pro- der Weltanschauungskämpfe der Gegenwart Stellung nehmen: funden Thomas-Kenntnis immer wieder die umstürzenden Ten- Respondeo, Distinguo, Quaestiones Non Disputatae. Sie wer- denzen der nouvelle théologie und hier vor allem der Rahner- den vom Franz Schmitt Verlag in Siegburg betreut und wollen Schule zu entlarven. Auf einem anderen Blatt steht, ob man im immer wieder Antworten geben aus der authentischen Lehre nachhinein seinen engagierten Kampf gegen den „Vulgärtradi- der Kirche. tionalismus“ und auch gegen die Pius-Bruderschaft billigen Viele, die Theologisches stets nach Kräften unterstützt ha- soll. Zeigt sich doch die Krise der Kirche, von der schon Papst ben, sind schon dahingegangen. Zum engsten Berater- und För- Paul VI. gesagt hat, daß sie bis an die Grenzen der Selbstzerstö- dererkreis zählten lange Zeit die Prälaten Gerhard Fittkau, Jo- rung geht, gerade darin, daß die klassischen Formen der Fröm- hannes Overath, die Professoren Johannes Dörmann und Prälat migkeit und des geistlichen Lebens weithin und fast ersatzlos Hans Pfeil. Immer waren die Zusammenkünfte von der Sorge gestrichen worden sind: Herz-Jesu- und Marienverehrung, Sa- um die Kirche überschattet, aber durchaus auch von jener hei- kraments-Andachten, Wallfahrten und last not least die häufige teren Kollegialität und Gelassenheit geprägt, die aus der sieg- oder doch regelmäßige Beichte. Wo findet man das noch, wenn haften Gewißheit des Glaubens stammt. Und so soll es auch in nicht auf wenigen Inseln, die vom einfachen gläubigen Volk Zukunft bleiben. Videant consules! und – eben! – von den „Vulgärtraditionalisten“ gehalten wer- den! „Frühschichten“, Event-Gottesdienste, ökumenische und Walter Hoeres interreligiöse Aktivitäten können diese Kraftquellen geistlichen Schönbornstr. 47 Lebens und damit der Kirche nicht wirklich ersetzen. Und man 60431 Frankfurt/M.. muß kein Anhänger der Pius-Bruderschaft sein, um mit Staunen zu registrieren, mit welcher Andacht hier noch jene Frömmig- keitsformen gepflegt, die hl. Messe gefeiert und die Sakramen- te empfangen werden. Das alles ist m. E. Grund genug, vom neuen Herausgeber zu erwarten, daß er die so dankenswerten Bemühungen des Heiligen Vaters, die Bruderschaft wieder voll IMPRESSUM in die Kirche zu integrieren, nach Kräften unterstützt. Verleger: Ein gewisser Akzentunterschied zwischen den Herausgebern Fördergemeinschaft Theologisches e.V., Köln bestand auch darin, daß Msgr. Bökmann und Msgr. Lange den Herausgeber: Begriff einer theologischen Zeitschrift in einem weiteren Sinne Prof. Dr. Manfred Hauke, Via Roncaccio 7, CH-6900 Lugano nahmen als Dr. Berger und auch Beiträge zu Fragen aus dem E-mail: [email protected] vorpolitischen Raum akzeptierten. Vielleicht lag dies auch dar- Redakteur im Sinne des Pressegesetzes von Nordrhein-Westfalen: an, daß beide das bittere Schicksal der Heimatvertriebenen am Prof. Dr. Johannes Stöhr, Am Pantaleonsberg 5, D-50676 Köln eigenen Leibe erfahren mußten und so eine natürliche Affinität zu politischen Fragen nicht verleugnen wollten. Nicht alle Deutungen und Meinungsäußerungen in unserer Zeit- schrift entsprechen immer und in jedem Fall den Auffassungen Neben der geglückten und mutigen Redaktion waren es vor des Herausgebers. Briefe an den Herausgeber können leider nur allem die großen Theologischen Tagungen der 80er und noch in Aus nahmefällen beantwortet werden. der 90er Jahre, welche die Zeitschrift weit über den Rahmen der Erscheinungsweise: in der Regel mindestens zweimonatlich, sonst Leserschaft hinaus bekannt gemacht haben. Von Bökmann in- monatlich. spiriert und moderiert wurden sie vor allem durch die großzü- gige Hilfe des Düsseldorfer Wirtschaftsprüfers Klaus Weber er- Internetseite: www.theologisches.net möglicht, dem THEOLOGISCHES so viel verdankt. Anfangs in Produktion: Würzburg fanden sie später im glanzvollen Rahmen der Ful- Verlag nova & vetera e.K., Bataverweg 21, 53117 Bonn, daer Orangerie statt. Das war keineswegs selbstverständlich für Email: [email protected], Telefax: 0228 - 676209 manche „konservative“ Katholiken, die die dürftige Atmosphä- Konten der „Fördergemeinschaft Theologisches“ e.V. (gem. V.): re von Kolpings- und Pfarrsälen gewohnt waren und diese pa- Konto 258 980 10 l BLZ 370 601 93 (Pax Bank eG Köln) radoxerweise auch goutierten. Konto 297 611 509 l BLZ 370 100 50 (Postbank Köln) Glanzvoll war auch die Schar der Referenten: angefangen Für Auslandsüberweisungen: Postbank: IBAN DE18 3701 0050 0297 6115 09, BIC PBNKDEFF von dem späteren Kardinal Scheffczyk ein durchaus repräsen- Pax-Bank: IBAN DE51 3706 0193 0025 8980 10, BIC GENODEDIPAX tativer Auszug aus dem „Who is Who“ des glaubenstreuen ka- Wir sind angewiesen auf Ihre Jahresspende von mindestens 20,- € und tholischen Deutschlands. Unvergeßlich bis heute noch die Vor- danken im voraus herzlich dafür. träge des verstorbenen Freiburger Kirchenhistorikers Remigius ISSN 1612-6165 Bäumer, der wegen seiner mannhaft durchgehaltenen Kritik an

– 137 – – 138 – REINHARD DÖRNER „Du bist Petrus“ (Mt 16,18) – Der Papst – Hirte und Lehrer der Völker

Die Osterakademie des Kardinal-von-Galen-Kreises e.V. (7.- das Fundament?’ Wo Menschen (Mitchristen) als Fundament 10. April 2010) in Kevelaer stand ganz im Zeichen der gegen- an gegeben werden, stehen sie der Funktion nach nahe zu Gott/ wärtigen Anfeindungen gegen den Papst und die Kirche. Sie Christus (vgl. 1 Kor 3,11; Oden Salomos 22). In allen neutesta- war als allgemeine Informationstagung zu einem für die Kirche mentlichen Belegen nehmen diese Rolle Apostel ein oder sie fundamentalen Thema konzipiert, erhielt aber durch die aktuel- haben zumindest das Fundament gelegt …“. len Ereignisse der letzten Monate unversehens eine Brisanz, die Daher ist es nicht erstaunlich, dass Berger zu dem Schuss bei der Vorbereitung der Tagung nicht abzusehen war. Diese kommt: „Angesichts der weiten Verbreitung dieses Wortfeldes Aktualität zog sich wie „ein roter Faden“ durch alle Beiträge … gibt es nicht den geringsten Grund zu postulieren, ha- der Referenten, deren Engagement und Leistung kaum gerecht be es nicht kennen dürfen, und daher sei Mt 16,18 nicht von Je- gewürdigt werden kann. Besonders beeindruckt in diesem Zu- sus, da das Wortfeld erst nachösterlich und erkennbar kirch- sammenhang das bedingungslose Bekenntnis aller Referenten lichen Ursprungs sei. Vielmehr ist genau das Gegenteil der Fall. zum Papstamt und zu unserem regierenden Papst Benedikt XVI. – Und andererseits besagt die weite Verbreitung des Wortfeldes Dieser Bericht stützt sich bewusst mit wörtlichen Zitaten auf im frühen Christentum auch: Mt 16,18 ist kein privater Einfall die Beiträge der Referenten. Unterlag die Reihenfolge der Re - des Evangelisten Matthäus, sondern ist eingebettet in eine brei- fe rate bei der Osterakademie eher pragmatischen Aspekten – te Tradition, vom neuen Gottesvolk eben so und mit diesen Bil- Terminvorgaben durch die Referenten etc. –, stellt die nachfol- dern zu reden. Mt 16,18 wird damit aus der Sonderrolle befreit, gende Anordnung eher den Versuch einer Systematisierung dar. die Theologen dieser Stelle zugeteilt hatten, um sie daraufhin Jedem Leser wird unmittelbar einleuchten, dass eine kumu- zu köpfen.“ lierende Zusammenfassung der Gefahr des Missverständnisses Und gegen die ablehnende Meinung vieler Exegeten betont ausgesetzt ist. Daher ist auf den Berichtband der Osterakademie Berger: „Gegenüber der üblichen Verwendung im Wortfeld hat zu verweisen, der demnächst erscheint. Er enthält die Beiträge Mt 16,18 einige Besonderheiten. Die wichtigste ist: Nur hier ist der Referenten in voller Länge und ist allen Lehrenden in Schu- das Wortfeld in einem Jesuswort verwendet, und Jesus redet im len und Bildungseinrichtungen zu empfehlen sowie als Hilfe Ich-Stil (Ich will meine Kirche bauen). Das heißt zweifelsfrei: für die Verkündigung geeignet: Reinhard Dörner (Hrsg.), „Du Diese Kirche ist von Gott.“ bist Petrus“ (Mt 16,18) – Der Papst – Hirte und Lehrer der Auch der Aspekt der konfessionell unterschiedlichen Mei- Völ ker, Verlag Kardinal-von-Galen-Kreis e.V., Stadtlohn 2010; nungen bleibt nicht außer Betracht: „Die zwischen den Konfes- Veröffentlichung bei „Books on Demand“, Norderstedt; vor- sionen strittige Frage, ob mit Mt 16,18 nur auf Petrus oder auch aussichtlicher Preis ca. 18,- Euro; Vorbestellungen sind mög- auf Nachfolger zu beziehen sei, stellt die falsche Alternative lich beim Kardinal-von-Galen-Kreis, Postfach 1103, D-48692 auf. Denn das Bild des Fundaments meint etwas Einmaliges; je- Stadtlohn (Email [email protected]). des Haus kann nur ein Fundament haben. Auch an keiner der anderen Belegstellen des Wortfeldes geht es um ein ‘Amt mit Das Petrusamt im Neuen Testament Nachfolgern’. Doch zum Beispiel das Bild in 1 Kor 3 fordert, Für alle Teilnehmer gleichermaßen wichtig und bedeutend daß es sich um eine dauerhafte Funktion Jesu Christi handelt. waren die Ausführungen Prof. Dr. Klaus Bergers zu den über- Er ist das Fundament, und zwar jetzt und immer. – Das aber be- raschenden Erkenntnissen zum Petrusamt aus der Erforschung deutet: Mt 16,18 ist keine kirchenhistorische Aussage, nach der des Neuen Testamentes. Der Kern seiner Überlegungen stützt Petrus der Anfang einer hier nur nicht genannten Kette von sich auf „ein auf Kirche und Amt bezogenes urchristliches Nachfolgern sei. Es geht nicht um Baugeschichte, nicht um die Wortfeld“, ein Studienobjekt, das in der Exegese bisher in der Schilderung der Anfänge der Kirche. Im Blick steht mit Petrus Regel ausgeblendet wird, passt es doch strukturell nicht in die und den Aposteln nicht die historisch einmalige Vergangenheit, vorherrschende Exegese, die sich eher mit historisch-kritischen die hier quasi-archäologisch rekonstruiert würde, nach dem Überlegungen beschäftigt, aber den Inhalt der Heiligen Schrift Motto: Ja so war es damals, so liegt die Frühgeschichte der Kir- je nach historisch-kritischer Vorentscheidung unberücksichtigt che hinter uns.“ Daher resümiert Berger: „An keiner Stelle wird lässt. Wie wenig an der Sache orientiert eine solche Arbeitsme- der Fels/das Fundament auf den ‚Glauben’ gedeutet, so aber die thode ist, erläuterte Berger in seinem Referat sehr evident: „Zu häufigste nicht-katholische Deutung von Mt 16,18.“ Die letzte 1 dem in diesen Texten sich zeigenden Wortfeld gehören daher: Andeutung findet sich z.B. sehr dezidiert bei Luther . Fundament, bauen, Apostel, Haus (sc. Tempel), seltener: Heili- So bleibt als Kernergebnis – nicht als einziges! –: „Die neu- ge, kostbare Steine und Metalle, Fels, Kirche. Vor allem aber: testamentliche Rede von Kirche und Reich Gottes ist komple- Das angesprochene Bauwerk ist eine ‚Gemeinde’ von Men- mentär. Kein Zufall ist deswegen, daß in Mt 16,18b.19a Kirche schen. Das neue (!) Heiligtum ist als Heiligtum aus Menschen und Reich Gottes direkt hintereinander genannt werden, ohne gedacht. Eine solche religiös-kirchliche Metaphorik, bei der vor daß eine inhaltliche Differenz auszumachen wäre.“ allem zwischen Fundament und dem darauf errichteten Bau unterschieden wird, ist im gesamten Umfeld selten“. Thema dieses Wortfeldes ist die Struktur des Gottesvolkes, weshalb auch die „Heiligen“ eben im Unterschied zu den Men- 1 Siehe dazu Reinhard Dörner (Hrsg.), „Lehrer des Glaubens“? Lu- schen draußen genannt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei ther einmal anders, Verlag des Kardinal-von-Galen-Kreises, Stadt- aber nicht auf dieser Differenz, sondern auf der Frage: „‘Wer ist lohn 22005.

– 139 – – 140 – Das Petrusamt in der alten Kirche Der Kaiser glaubte sogar, sich des synodale Prinzip für sei- Wenn das Petrusamt so eindeutig auf Jesu Auftrag und Stif- ne machtpolitischen Interessen nutzbar machen zu können, tung zurückgeht, dann ist es folgerichtig, dass sich die Akade- stieß aber auf den erbitterten Widerstand des Papstes Liberius mie auch historischen Fragen zuwandte, eine Aufgabe, der sich I., der sich weder durch Geschenke noch durch Drohungen ge- Prof. Dr. Peter Bruns widmete. Gerade im interkonfessionellen fügig erwies; „für einen kurzen Moment sollte sich bewahrhei- Streit ist es wichtig zu untersuchen, wie das Petrusamt durch ten, daß der Papst ex sese, non e consensu episcoporum autori- die Nachfolger des hl. Petrus ausgeübt wurde. tativ sprechen konnte und auch mußte.“ Manche Historiker vertreten die Auffassung, dass die Kirche Die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen auf dem Hin- nach Konstantin in religiösen Fragen mehr von den Kaisern als ter grund der arianischen Spaltung der damaligen Kirche schei- von den Päpsten „regiert“ wurde. Daher war es notwendig, der nen sich heute in gewisser Weise zu wiederholen. Damals hieß Frage nachzugehen: „In gewisser Weise begann mit dem vierten der verfolgte Bischof Athanasius, heute heißt er vielleicht an- Jahrhundert eine grundlegende Auseinandersetzung zwischen ders. Immer aber geht es um Fragen des Glaubens und der dem imperium und dem sacerdotium, der kaiserlichen und der Treue zum kirchlichen Lehramt bzw. des kirchlichen Lehram- päpstlichen Gewalt. Denn für die Entwicklung des päpstlichen tes zu glaubenstreuen Bischöfen. Führungsanspruches mußte es von entscheidender Bedeutung Es darf niemanden verwundern, dass es im Wechsel der Ge- sein, wie sich das christlich gewordene Kaisertum dazu stellen schichte wiederholt zu Unstimmigkeiten zwischen dem Papst- würde, dem ebenfalls eine religiös begründete Sonderstellung in amt und den weltlichen Autoritäten gekommen ist; denn die der werdenden Reichskirche – vor allem aber im Orient – zuer- Personen, die ein kirchliches oder weltliches Amt bekleideten, kannt wurde. … Als der Kaiser im Jahre 312 den Westen unter- waren immer auch interessenbestimmt. Die historisch nach- worfen und in seinem Sinne befriedet hatte, lehnte er ein Jahr weisbaren Differenzen gingen aber von den Vertretern der welt- später den Antrag der Donatisten ab, ihren Streit mit Bischof lichen Macht aus, da sie eine Ausweitung ihrer Befugnisse an- Caecilian von Karthago durch ein weltliches Gericht schlichten strebten. Die Päpste dagegen hatten die Treue zu Offenbarung zu lassen, und überwies diese Aufgabe an ein bischöfliches Ge- und Glauben als Motiv. Der dem Papst zustehende moralische richt unter Leitung des römischen Papstes Miltiades (311-314). Leitungsanspruch findet sich daher im Decretum Gelasianum: Ein solcher Akt war kein unberechtigter Eingriff des Kaisers in „In diese päpstlichen Vorstellungen von einem römischen Vor- innerkirchliche Angelegenheiten, sondern schlicht die Berük- rang innerhalb der Gesamtkirche ist auch ein Text einzuordnen, ksichtigung eines bereits anerkannten Vorranges des römischen der sich im sog. Decretum Gelasianum findet und wohl auf ei- Stuhles in der lateinischen Kirche des Westens. Da jedoch der ner römischen Synode unter Damasus (382?) formuliert wurde, Spruch des bischöflichen Gerichtes von den Donatisten nicht an- aber in der jetzigen Ausformulierung wohl vom Ende des fünf- erkannt wurde, hielt sich der Kaiser im Interesse des Friedens für ten Jahrhunderts stammt. Hier werden die ‚petrinischen’ Bi- berechtigt, von sich aus, aber ohne jeden Widerspruch von kirch- schofssitze in der Reihenfolge Rom, Alexandrien, Antiochien licher Seite, eine Synode der Bischöfe seines Herrschaftsberei- aufgeführt, dabei wird aber betont, daß der römische Stuhl sei- ches nach Arles zu berufen (314), auf der Papst Silvester (314- nen primatus nicht etwa Synodalbeschlüssen, sondern dem 335) durch zwei Presbyter und zwei Diakone vertreten war.“ Herrenwort Mt 16,18 verdankt und daß dieser Rang noch be- Es muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, kräftigt wurde durch das Doppelmartyrium des Petrus und Pau- dass das Interesse des Kaisers nicht innerkirchlich zu verstehen lus in Rom. Dieses Dokument läßt sich unschwer als die Stel- ist, sondern dass es ihm darum ging, dass sein Reich befriedet lungnahme Roms zu dem stetig wachsenden Einfluß Konstan- war. Darum wollte er auch keinen Religions- oder Kirchenstreit tinopels sehen, und es erweist den Papst einmal mehr als ziel- dulden. Wenn also der Kaiser ökumenische Konzilien einberief, bewußten Verfechter eines bereits ausgeprägten römischen Pri- dann stand dies im Interesse des Reichsfriedens, nicht aber im matsanspruches, der durch ihn bisher nicht gekannte Formulie- kirchenpolitischen Interesse, wie der Referent ausführte. Doch rungen findet. … Er stellt unpersönlich fest, daß dies oder jenes konnte es auch für den Papst notwendig werden, sich den An- unstatthaft sei, daß man sich aus der Gemeinschaft mit dem sprüchen des Kaisers zu widersetzen und sich zur Verteidigung Apostolischen Stuhl ausschließe, wenn man sich nicht an das auf das moralische Ansehen seines Amtes zu stützen: „Mit dem halte, was Heilige Schrift, apostolische Disziplin und Tradition, Gewinn der Alleinherrschaft durch Konstantius (351) begann Überlieferungen der Väter und regula ecclesiastica festgesetzt auch für die lateinische Kirche ein Jahrzehnt, in dem die Kir- hätten. Grundsätzlich neue Entscheidungen oder Gesetze wer- chenfreiheit nicht nur eingeschränkt, sondern durch die despo- den nicht erlassen. Man wird daher in diesem Schreiben eine tische kaiserliche Willkür gewaltsam unterdrückt wurde. Kein Art Vorstufe der päpstlichen Dekretale sehen, die erst unter dem Bischof mußte das so bitter auskosten wie der Nachfolger Ju- nächsten Papst nach Inhalt und Form ausgebildet vorliegt.“ lius I., der bisherige römische Diakon Liberius (352-366), in Die weitere Entwicklung des Papstamtes zeigt eine vertiefte dem das Papsttum des vierten Jahrhunderts seine tiefste Demü- Sicht dieses Amtes: „Am Beginn des 5. Jh. steht die starke Per- tigung und damit einen starken Autoritätsverlust erfuhr. In den sönlichkeit Innozenz I. (402-417) …, der seine hohe Auffas- drei ersten Jahren seines Pontifikates trat er durchaus als ent- sung vom Primat des römischen Bischofs mit zielbewußter Ent- schiedener Verteidiger des nizänischen Glaubens und dessen schlossenheit zu realisieren suchte. Als besonders günstiger Be- Vorkämpfers Athanasius auf und wollte diesem Doppelanliegen reich für die Verwirklichung seiner als Pflicht empfundenen auf einer vom Kaiser erbetenen Synode in Aquileia zum Siege Führungsaufgabe bot sich das weite Feld der kirchlichen Diszi- verhelfen. Als Konstantius statt dessen 353 in Arles von den plin an, da diese zu mannigfachen Anfragen in Rom Anlaß gab gallischen Bischöfen und den Vertretern des Papstes die Verur- und es Innozenz möglich machte, das nun voll entwickelte und teilung des Athanasius erzwang, hat Liberius das Versagen sei- von ihm meisterhaft beherrschte Instrument der Dekretale an- ner Legaten und des gallischen Episkopates bitter beklagt und zuwenden.“ Er spricht „als erster mit … Eindeutigkeit die Über- beteuert, er wolle lieber sterben als Beschlüssen zustimmen, die zeugung aus, daß die Sedes Apostolica auch die höchste Lehrau- dem Evangelium widersprächen.“ torität besitze“. Dies zu betonen ist schon deswegen notwendig, – 141 – – 142 – weil z.B. Luther in seiner Schrift „Wider das Papsttum …“ be- Frei burger Wirtschaftshistoriker Clemens Bauer feststellt. Gei- hauptet, bis zu Gregor d. Gr. habe kein Papst die absolute Leh- stesgeschichtlicher Hintergrund dafür ist die Tatsache, dass die rautorität beansprucht. neuzeitliche Theorie der wertfreien und immer mehr auch reli- Leo d. Gr. (440-461) ergänzt den Gedanken der Funktion des gionslosen Gesellschaft bereits im 19. Jahrhundert durch das Petrusamtes: „So wie der Erbe in alle Rechte und Verpflichtun- Entstehen der ‘Sozialen Frage’ in eine fundamentale Krise ge- gen des von ihm Beerbten eintritt, so übernimmt der jeweilige raten war. Noch mehr war dies im 20. Jahrhundert der Fall, in Bischof von Rom als Erbe des Petrus dessen Funktion, Voll- dem die herrschenden politischen Ideologien zu zwei großen macht und Privilegien. Nicht des Petrus Wirken in Rom, nicht Weltkriegen geführt haben. Damit sind zugleich die drei we- der Besitz des Petrusgrabes, sondern die juristisch verstandene sentlichen Felder markiert, auf denen die Päpste ihre Sozialen- Sukzession des Erben läßt den römischen Bischof als Stellver- zykliken entfalten: die moderne Wirtschaftsgesellschaft in ih- treter des Petrus fungieren.“ rem Ringen um soziale Gerechtigkeit; die moderne politische Die Geschichte zeigt allerdings, dass der römische Primat in Gesellschaft bei ihrem schwierigen Weg zu Rechtsstaat, Sozial- der Ostkirche nicht bedingungslos anerkannt wurde. Streit- staat und Demokratie und die globale Gesellschaft auf der Su- punkt war aber mehr die Jurisdiktionsgewalt, nicht die Lehrau- che nach einer ‘wahren Entwicklung der Völker’ auf der Grund- torität. lage eines universalen Gemeinwohls.“ Dass die Päpste mit ihren Enzykliken gerade der Entwik- Der soziale Einsatz der Päpste klung des Gemeinwohls eine Priorität einräumen, ist gleich- Einen für die Kirche des 19. und der folgenden Jahrhunder- wohl in der offenbarten Lehre Jesu Christi begründet. Daher ha- te wichtigen Aspekt stellte Prof. Dr. Lothar Roos in den Mittel- ben sich Tendenzen, die Soziallehre der Kirche marxistisch- punkt der Überlegungen: Den Einsatz der Päpste für eine ge- kommunistisch zu vereinnahmen, als wirkungslos erwiesen. Ei- rechte Welt. ne gerechte Welt kann nicht mit sozialistischen Bestrebungen „Es gibt keine andere theologische Disziplin, in der päpstli- von Entmachtung oder Besitz-’umverteilung’ erreicht oder auf- che Enzykliken einen so hohen ‘Stellenwert’ haben wie in der gebaut werden, sondern nur in klarer, an der Lehre Jesu Christi Christlichen Gesellschaftslehre. Dafür lassen sich drei Ursa- orientierter Verantwortung. Allerdings kann man auch den Ka- chen ausmachen: Zum einen erweisen sich die Päpste seit der pitalismus nicht dem Sozialismus gegenübestellen: „Könne mit Leo XIII. und seiner Enzyklika Rerum novarum (RN) 1891 man nach dem Scheitern des Kommunismus den Ländern Ost- beginnenden Reihe der Sozialenzykliken sowohl hinsichtlich europas und der Dritten Welt als ‘Modell’ etwa den ‘Kapita- der wissenschaftlichen Profilierung dieser ‘neuen’ Disziplin im lismus’ anbieten? Der Papst antwortet: Es kommt ganz darauf theologischen Fächerkanon als auch hinsichtlich der prak- an, was man mit ‘Kapitalismus’ meint: ‘Wird mit ‚Kapitalis- tischen Wirksamkeit ihrer Sozialverkündigung als ausgespro- mus’ ein Wirtschaftssystem bezeichnet, das die grundlegende chen innovativ im Sinne einer Maßstäbe setzenden Führung der und positive Rolle des Unternehmens, des Marktes, des Privat- Kirche. Zum anderen konnten die auf Leo XIII. folgenden Päp- eigentums und der daraus folgenden Verantwortung für die Pro- ste auf dem von ihm errichteten Fundament sicher und erfolg- duktionsmittel sowie die freie Kreativität des Menschen im Be- reich weiterbauen. So spricht Pius XI. im ersten Kapitel seiner reich der Wirtschaft anerkennt, ist die Antwort sicher positiv’. Enzyklika Quadragesimo anno (QA) 1931 von den ‘segensrei- Sie ist jedoch negativ, wenn man unter ‘Kapitalismus’ eine chen Wirkungen’ von RN und bezeichnet die erste päpstliche rechtlich nicht geordnete, sozusagen wilde und wertfreie Sozialenzyklika als ‘die Magna Charta christlicher Sozialar- Marktwirtschaft versteht. Der Papst hält es allerdings nicht für beit’ (QA 39). Schließlich konnten die späteren Päpste auf das ganz glücklich, die von ihm geforderte soziale Marktwirtschaft von Leo XIII. grundgelegte erkenntnistheoretische Fundament mit dem anrüchigen Begriff ‘Kapitalismus’ zu verbinden: ‘Viel- zurückgreifen und so die neu auftauchenden sozialethischen leicht wäre es passender, von ‚Unternehmenswirtschaft’ oder Probleme mit methodischer Sicherheit analysieren und daraus ‚Marktwirtschaft’ oder einfach ‚freier Wirtschaft’ zu sprechen’ auch interdisziplinär vermittelbare sozialethische Konsequen- (CA 42). Johannes Paul II. bestätigt die bereits von Leo XIII. zen formulieren. Die Aussagen der Sozialenzykliken beruhen gewonnene Einsicht: Die vom Liberalismus vergessene, vom methodisch auf einer stringenten Verbindung von humanwis- Sozialismus kollektivistisch entfremdete Solidarität bildet zu- senschaftlicher Sachanalyse (Sozialwissenschaften), ethischer sammen mit der Freiheit die Grundlage einer menschenwürdi- Wertanalyse (Sozialethik) und theologischer Sinnanalyse (the- gen Wirtschaftsordnung. Die Idee der Freiheit kann mit der so- ologische Anthropologie).“ zialen Gerechtigkeit verbunden werden, nicht aber das kollek- Das hohe Ansehen der Sozialenzykliken basiert offensicht- tivistische System des Sozialismus mit der Freiheit. Der Libe- lich auf der Tatsache, dass es in der Welt von heute verstärkt um ralismus ist reformierbar, der Sozialismus nicht.“ soziale Probleme geht, wogegen das dogmatische Erfordernis Hier zeigt sich deutlich: Nicht der Wechsel des Wirtschafts- nicht als so notwendig angesehen wird, auch wenn man diese systems führt zu einer gerechte(re)n Welt, sondern die Ausrich- Folgerung als nicht zutreffend einstufen wird. In der öffent- tung nach sozialethischen Prinzipien, also nach dem Gemein- lichen Wahrnehmung – vor allem in der Darstellung durch die wohl: „Der Hauptbeitrag der Sozialenzykliken zur Ordnung Medien – genießen päpstliche Verlautbarungen kaum einen hö- und Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft besteht in ihrem heren Stellenwert, als wenn sie sich mit sozialen Problemen Eintreten für eine transzendente Verankerung der Würde und auseinandersetzen. „Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war die der Rechte der menschlichen Person.“ Katholische Kirche politisch und ökonomisch machtlos gewor- Die Bindung an die transzendente Ordnung bestätigt Bene- den und fand sich geistig am Rand der Gesellschaft. Es gelang dikt XVI. in seiner ersten Enzyklika: ihr jedoch, insbesondere durch die systematische Erneuerung „Die Vernunft bedürfe allerdings der ‘Reinigung’ durch den ihrer Soziallehre, ihre damalige politische und soziale ‘Stand- Glauben, um nicht einer ‘ethischen Erblindung durch das Ob- ortlosigkeit’ zu überwinden und wieder einen soziologisch ‘fe - siegen des Interesses und der Macht’ zu verfallen. So ‘erfüllt sten Platz’ in der modernen Gesellschaft zu erringen, wie der die Kirche ihre Pflicht, durch ethische Bildung ihren Beitrag zu

– 143 – – 144 – leisten, damit die Ansprüche der Gerechtigkeit einsichtig und gerte und definierte Wahrheit, also die konkrete Anwendung politisch durchsetzbar werden’.“ In seiner Enzyklika „Spe Sal- der göttlichen und natürlichen Offenbarung, gefordert.“ Wer vi“ ergänzt er: „Der Papst bringt uns Wahrheiten unseres Glau- das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes leugnet, schließt sich bens nahe, die fast in Vergessenheit gekommen sind. Wer hört ebenso aus der Kirche aus wie jemand, der etwa das für uns Ka- heute (noch) Predigten über ‘die letzten Dinge’, über Gericht, tholiken zentrale Dogma der Dreifaltigkeit Gottes oder die Auf- Himmel, Hölle, Fegefeuer? Wir dürfen hoffen, dass wir ‘im Au- erstehung Jesu bestreitet. genblick des Gerichts … das Übergewicht seiner Liebe über al- Die Unfehlbarkeit des Papstes ist also ein Wesenselement les Böse in der Welt und in uns erfahren werden’. Gerade die- des päpstlichen Lehramtes – und damit von Gegnern des Pap- ser Glaube habe durch Jahrhunderte das Weltverhalten der stes wie Relativisten des päpstlichen Lehramtes in der Kirche Christen geprägt. Die Welt wird nicht zuerst durch ‘Strukturen’ gleichermaßen verhasst. Die „ökumenischen“ Gespräche laufen besser, sondern durch Menschen, die aus Glaube Hoffnung und nicht selten darauf hinaus, dass die nichtkatholischen Gesprächs- Liebe leben.“ führer von den Vertretern der katholischen Kirche verlangen, dieses Dogma zu verneinen bei Androhung der Beendigung des Der Widerspruch zur „Diktatur des Relativismus“ Gespräches. Der sozialethische Beitrag verlangt nach der Vertiefung, auf welcher Basis das päpstliche Lehramt seine Bedeutung erlangt Die ethische Kompetenz des Lehramtes hat. Zunächst lenkt Pfarrer Dr. Peter Fabritz den Blick auf die Wie die gegenwärtige Diskussion zeigt, sind die Gegner der wahrzunehmende gesellschaftliche Realität: „Natürlich hat ge- Kirche u.U. bereit, die dogmatische Ausrichtung der Kirche zu rade unsere Zeit, die Gesellschaft, in der wir leben, ein beson- akzeptieren, aber in Fragen von Sitte und Moral gilt keinerlei deres Problem mit verbindlichen Aussagen. Sie hat überhaupt Toleranz für eine lehramtliche Kompetenz. So erklärt Domherr ein Problem mit Wahrheit und Unveränderlichem. Es herrscht Christoph Casetti aus Chur in der Schweiz: „Besonders heftig ein auf die Spitze getriebener Subjektivismus vor. Das, was ich sind die Stürme jedoch immer dann, wenn es um Fragen der als richtig empfinde, ist auch richtig und damit wahr. So wie ich Moral geht. Hat der Papst überhaupt die Kompetenz, in ethi- es fühle, ist es richtig. Da meine Gefühle aber morgen anders schen Fragen den Gläubigen Anweisungen zu geben? Viele leh- sein können, gilt morgen eben wieder eine andere Wahrheit. nen dies ab.“ Selbst die Liebe ist nicht mehr absolut. Sie ist einem Liebesge- Casetti führt dies zurück auf die Enzyklika Humanae Vitae fühl gewichen, das sich von einem Moment zum anderen än- Papst Paul VI.: „Was sollen sie (Menschen in der Entschei- dern kann.“ Das Ziel ist „die Durchsetzung eines radikalen dung) tun, wenn der Pfarrer erlaubt, was der Beichtvater verbie- Sub jektivismus, eine unantastbar werdende Autonomie des tet?“ Daher stellt sich die Frage: „Welche Kompetenz haben die Menschen. Die meisten Menschen verwenden dafür den harm- Ethik, die Moraltheologie, das Lehramt und das Gewissen?“ loseren Begriff der Selbstverwirklichung.“ Casetti geht von der Frage aus, was sittliches Handeln ist. Er Der Beitrag erwähnt den berühmten Ausspruch Papst Bene- führt dies auf das „Gut-Sein“ des Menschen zurück, doch: dikt XVI. zum Relativismus unserer Zeit und Gesellschaft und „Sittlich schlechte Handlungen beeinträchtigen oder verhindern erläutert: „Im epistemischen Relativismus, dem Relativismus die Erfüllung des eigenen Menschseins.“ Da aber jeder Mensch der Wahrheit, ist jegliche Erkenntnis abhängig von subjektiven eine unmittelbare moralische Kompetenz hat, handelt er, „ in- Faktoren wie psychologischen Dispositionen, sozialen Verhält- dem er moralische Richtlinien beachtet oder missachtet“. nissen, Kulturkontexten, ökonomischen Klassen- bzw. Interes- Welche Zuständigkeit kommt unter dieser Voraussetzung der senlagen. Der ethische Relativismus bestreitet die universelle wissenschaftlichen Ethik zu? Sie „durchdenkt sittliches Han- Gültigkeit moralischer Prinzipien z.B. durch ein Naturrecht.“ deln, einzelne Normen und ihre Begründungen, … kann Ent- Eine solch hartnäckige Auffassung kann natürlich keine ver- scheidungshilfen geben gerade in schwierigen Fragen“ und bindlichen Normen und Dogmen gelten lassen. „Nun bedeutet zeigt Grenzen des Handelns auf: „Der Mensch darf deshalb die Diktatur des Relativismus genau das Gegenteil von Tole- nicht alles, was er kann.“ ranz. Denn sie spricht jeglichem Wahrheitsanspruch das Exi- Die Moraltheologie geht einen Schritt weiter, sie „gründet stenzrecht ab. Außer einer relativistischen Sicht der Welt kann das Sollen auf Gott: auf das Hauptgebot der Gottes- und Näch- es für ihn keine Überzeugung geben. Damit wird der Relati- stenliebe“, stützt sich also auf die „geoffenbarte Moral“. Dabei vismus aber zum Paradoxon, denn er maßt sich einen Unfehl- bedenkt und begründet sie die Normen philosophisch. In der barkeitsanspruch an, den er anderen, vor allem der katholischen Negation philosophischer Überlegungen konkludieren Sade Kirche abspricht. … Der Befehl der relativistischen Diktatur und Nietzsche richtig: „Wenn Gott nicht existiert, ist alles er- lautet nicht: Jeder Geltungsanspruch ist gleichwertig und des- laubt.“ halb zu respektieren. Nein, diese Diktatur akzeptiert nur Hal- Weil philosophische Überlegungen nicht leicht zu vermitteln tungen, die sich von jeglicher Tradition gelöst haben und einen sind, „entscheiden sich manche Moraltheologen für den Utilita- eventuellen transzendenten Ursprung verneinen.“ rismus“. „Deshalb bevorzugt … rationale Ethik eine Moralbe- Nach der Darlegung der theologischen und historischen gründung, welche das jeweils Richtige durch Güterabwägung Grundlagen und der Geschehnisse und Abläufe beim Vatica- bestimmt. Unbedingt geltende Normen sind dabei von vornher- num I stellte der Referent die konkrete rechtliche Ausformung ein ausgeschlossen. Denn es gilt: Keine Regel ohne Ausnahme dieses Dogmas dar; denn jede Glaubenswahrheit bedarf einer bei entsprechend guten Gründen.“ Dies führt letztlich zu einem juridischen Praxis, wenn dagegen verstoßen wird. „Can. 750 „unbegrenzten Disput“, aber: „Die christliche Ethik formuliert unterschiedet in § 1 zwischen direkt geoffenbarter Wahrheit das Ziel so, dass das Resultat inhaltlich auf eine Moral mit aus- und in § 2 einschlussweise geoffenbarter Wahrheit. § 2 ist eine nahmslos geltenden Normen hinausläuft. … In der Tradition durch Papst Johannes Paul II. vorgenommene Erweiterung des der christlichen Ethik ist die direkte Tötung unschuldigen Le- Kirchenrechts. Hier wird die Glaubenszustimmung ausdrück- bens außerhalb jeder Güterabwägung zu stellen, d.h. uneinge- lich auch für die aus der Offenbarung durch die Kirche gefol- schränkt für unerlaubt zu halten. Deshalb sind Geiseltötung,

– 145 – – 146 – Folter, Abtreibung, die Anwendung von Waffen zur unter- gebildetes Gewissen handelt. Trotzdem gilt dies auch dann, schiedslosen Vernichtung der Zivilbevölkerung unbedingt ver- wenn sich das Gewissen ganz oder teilweise im Irrtum befindet. boten.“ Um Moraltheologie richtig verstehen zu können, ist sie Daraus folgt: Auch ein unüberwindlich irriges Gewissen behält „zuerst und vor allem Hermeneutik der Lehre Jesu und der seine Würde.“ Apostel … Um das neutestamentliche Ethos richtig zu interpre- tieren und zu entscheiden, was z.B. ein Rat, ein Gebot, ein Er- Die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums in der füllungsgebot oder ein Zielgebot ist, brauchen wir authentische kritischen Rezeption von Joseph Ratzinger Leitfäden der Auslegung. Solche Auslegungshilfen sind: die Wenden wir uns jetzt einem Thema zu, das Prof. Dr. Man- Tradition der christlichen Sittenlehre, die vergangene und fred Gerwing für die Teilnehmer anschaulich und verständlich gegenwärtige Verkündigung der lebendigen Kirche und nicht dargelegt hat. Es behandelt nicht unbedingt ein lehramtliches zuletzt auch das Leben und die Lehre der Heiligen.“ Problem, ist aber ein wichtiger Hinweis auf das spätere Wirken Welcher Stellenwert kommt hier dem kirchlichen Lehramt unseres heutigen Papstes Benedikt XVI., zeigt sich doch schon zu? Hierbei muss man bedenken, dass Glaube und Ethos inner- in seiner „Kritik an den Ausführungen über die Würde des lich zusammengehören. Die Zehn Gebote sind Ausdruck des Menschen in der Pastoralkonstitution“ (Gaudium et spes), Arti- Willens Jahwes für sein Volk. „Die einleitende Formel ‚Ich bin kel 12-18 und 22, seine spätere Haltung als Träger des Lehram- der Herr, dein Gott’ gibt den Zehn Geboten ein neues Gesicht.“ tes, wie sehr die theologie-wissenschaftliche Durchdringung al- „Die Christen haben“, obwohl sie als Verschwörergemeinschaft ler Grundfragen sein Denken und Arbeiten leitete. Die Schrif- angesehen und verfolgt wurden, „diesen Namen trotzdem be- ten, auf die sich Gerwing beruft, „referieren nicht nur den äu- wusst angenommen und getragen. Denn sie wollen den Lebens- ßeren Ablauf der Kirchenversammlung, sondern geben auch und Todesentscheid Jesu teilen und auf ihre Weise wiederho- Zeugnis vom Atmosphärischen, von den Befürchtungen und len.“ Die apostolische Mahnung, Christus nachzuahmen, ist Sorgen, aber auch vom Mut und der geistgetragenen Courage kein moralisierender Anhang, sondern gehört unmittelbar zum um den rechten Glauben, das ‘depositum fidei’.“ Mit Hilfe die- Zentrum des Glaubens. ser Schriften widerlegt Gerwing den gegen den Papst erhobe- Wo also ist der Ort des kirchlichen Lehramtes? Zunächst ist nen Vorwurf, er wolle hinter das II. Vaticanum zurückfallen. er die Fortsetzung der apostolischen Mahnung. „Die Praxis des Der Referent stellt kurz den Inhalt der angegebenen Artikel dar Glaubens hängt an der Wahrheit des Glaubens. Sie widerspricht und geht dann auf Ratzingers Kritik ein: daher von Grund auf einer Praxis, die zuerst Tatsachen schaffen „Erstens bezieht sich seine Kritik auf die Tatsache, dass das und dadurch Wahrheit herstellen will: Gegen diese totale Mani- christologische Zeugnis allererst zum Schluss der Ausführun- pulierbarkeit des Wirklichen verteidigt die Glaubenspraxis die gen über die Würde des Menschen zu Wort gebracht wird: ‘Die Schöpfung vom Schöpfer her.“ Weiter dient das kirchliche Auslassung der Christologie aus der Lehre von der Gotteben- Lehramt der Unterscheidung der Geister. „Das rechte Lehren bildlichkeit […] rächt sich […]; der Versuch, an die christliche spielt sich nicht automatisch ein. Es benötigt das ‘Ermahnen Anthropologie von außen heranzuführen und die Glaubensaus- und Zurechtweisen’ der verantwortlichen Hirten.“ sage von Christus dabei allmählich zugänglich zu machen, hat Das II. Vaticanum hält an der Tradition fest, dass das kirch- […] zu der falschen Konsequenz verleitet, das Eigentliche des liche „Lehramt in erster Linie durch die Bischöfe wahrgenom- christlichen Glaubens als das vermeintlich weniger Dialogfähi- men wird. … Da das Lehramt unter dem Beistand des Heiligen ge vorderhand beiseite zu lassen. In Wirklichkeit könnte doch Geistes den Glauben authentisch und verbindlich auslegt, sind der Ansatz des Textes nur dann Sinn haben, wenn er wirklich alle Katholiken um ihres Heiles willen verpflichtet, die verkün- stufenweise zum Kern der neutestamentlichen Botschaft vor- dete Wahrheit zu bejahen und sich nach ihr auszurichten.“ führte, also sie inmitten des Menschlichen aufdecken und damit Wie verhält sich dazu nun die Gewissensfreiheit, die immer zusehends die Perspektive auf Christus hin eröffnen würde, wieder gegen das Lehramt ausgespielt wird? „Robert Spae- nicht aber wenn man möglichst im Vorchristlichen verbleibt mann sagt: Das Gewissen ist ein Organ, kein Orakel. Es ist uns und Christus dann unvermittelt erst am Ende in Erscheinung gegeben; es gehört zu unserem Wesen; es ist nicht von außen treten lässt.’“ Ratzinger kritisiert hier also, was heute in Reli- gemacht. Aber als Organ muss es wachsen; es muss gebildet gionsunterricht und Katechese gang und gäbe ist: Die Aussagen und geübt werden.“ Dieses Gewissen zu pflegen, zu formen über unseren Glauben und seine Inhalte sind nicht Kern des RU und zu bilden ist Aufgabe des Menschen. „Deshalb kann man und der Katechese, sondern „Anhängsel“. auch nicht die Maxime ausgeben, jedermann müsse immer al- Zweitens kritisiert Ratzinger zu Recht, das „Konzil selbst … les tun dürfen, was ihm sein Gewissen erlaubt: Dann dürfte der habe wiederholt festgestellt, dass die Kirche zum Menschen ge- Gewissenlose alles.“ Das Lehramt steht gewissermaßen im höre und folglich diesem nicht einfach gegenübergestellt wer- Dienst der Gewissensbildung. „Das heißt für uns, dass das den könne. Bei einer in Philosophie und Theologie geteilten kirchliche Lehramt die Verantwortung rechter Formung der Ge- Anthropologie werde übersehen, dass hier im Grunde das spe- wissen trägt. Es appelliert an die innere Resonanz seines Wor- zifische Verhältnis von Glaube und Vernunft zur Debatte ste- tes im Prozess der Gewissensreifung. Es ist daher zu einfach, he.“ Hierin erkennen wir, zumindest im Ansatz, die von man- einer Aussage des Lehramtes das persönliche Gewissen ent- chen Theologen befürwortete „anthropologische Wende“. gegenzustellen. … Wenn ich glaube, dass die Kirche vom Herrn „Ein dritter Kritikpunkt, den Ratzinger in seinem Kommen- her kommt, dann hat das Amt der Kirche ein Recht darauf, als tar vorzubringen weiß, bezieht sich auf die doppelte Antwort, vorrangiger Faktor der Formung des Gewissens, seiner wahren die der 12. Artikel auf die Frage nach dem Wesen des Men- Bildung zu sich selbst, angenommen zu werden.“ schen gibt: dass er, der Mensch, wie dargelegt, ‘nach dem Bild Dem recht gebildeten Gewissen muss der Mensch nun Ge- Gottes’ geschaffen und ‘ein gesellschaftliches Wesen’ sei. Die- horsam leisten. „Der Erkenntnisakt des Gewissens ist so gear- se Antwort verbleibe, so der ehemalige Peritus, in jener Zwie- tet, dass er uns unmittelbar verpflichtet. … Dabei ist hier selbst- spältigkeit, die Folge der kritisch erwähnten ‘Ausklammerung verständlich vorausgesetzt, dass es sich um ein verantwortlich des Neuen Testaments’ sei. Die Konzilsdarstellung bleibe bei

– 147 – – 148 – der schöpfungstheologischen Auslegung des Gott-Ebenbild- ‘die Zone des bloß Richtigen’. Er verzichtet – womöglich aus Seins des Menschen.“ methodischen Gründen – auf die Wahrheit und leistet damit ‘das Der vierte Kritikpunkt bezieht sich auf den Artikel 17, in Unmenschlichste und Zerstörerischste […], was denkbar ist: der dem es um die menschliche Freiheit geht: „‘Der Abschnitt über Mensch wird grundsätzlich der Wahrheitsfähigkeit beraubt.’“ die Freiheit, mit dem die Konstitution’, so Ratzinger, ‘bewusst „Das Geheimnis des Todes, von dem das Konzil in Artikel ein Grundthema des modernen Denkens aufgreifen will, gehört 18 spricht, zeigt sich gerade dann, wenn das Selbstsein in Frei- zu den am wenigsten befriedigenden des ganzen Textes.’ Hier heit, die Würde und der Wert der Person in sittlicher Tugend be- werde die ‘ganze neutestamentliche Freiheitslehre’ ausgeblen- dacht werden. Die Konzilskonstitution sucht im biblischen det ‘und damit ein für den Christen einfach unrealistischer Bildwort vom ‘Samen der Ewigkeit’, den der Mensch in sich Standort bezogen: Die Auslassung der Christologie aus der trage, die klassische philosophische Unsterblichkeitslehre an- Lehre von der Gottebenbildlichkeit, mit der die Freiheitsidee zudeuten, versäumt es aber, wie Ratzinger mit Recht bemän- hier verknüpft wird, rächt sich an dieser Stelle noch einmal.’ So gelt, diese Aussage begreiflich zu machen. Sie passe nicht zu können die Ausführungen über die Freiheit des Menschen we- der ‘christologischen Heilslehre des zweiten Abschnitts’.“ der theologischer noch philosophischer Kritik standhalten.“ Der Referent fasst plausibel zusammen: „Es ist insgesamt „Und ein letzter Kritikpunkt sei erwähnt, den Ratzinger ge- auffallend: Der Kommentator Ratzinger fällt nicht etwa hinter gen die Argumentation des Konzils artikuliert: Er betrifft die den Konzilstext zurück, sondern kritisiert ihn gerade dann Ausführungen über das Gewissen des Menschen. Auch hier scharf, wenn die Ausführungen den Eindruck vorkritischen werde allzu optimistisch, ja geradezu naiv argumentiert. Zwar Denkens erwecken und sich ‘die Sache’, um die es geht, theo- werde gegenüber ‘einer bloß soziologischen oder tiefenpsycho- logisch zu einfach machen. Der Kommentator dieses ersten und logischen Deutung des Gewissens’ mit Recht ‘der Transzen- grundlegenden Artikels der letzten Konzilskonstitution bleibt denzcharakter’ des Gewissens herausgestellt, ja, das Gewissen nicht hinter dem Autor des Textes zurück. Der Kommentator des Einzelnen gar vorgestellt als der ‘heilige Ort, an dem der stellt seine Fragen an den Text und bringt gerade so den Autor, Mensch mit Gott allein ist und seine Stimme in seinem Innersten d.h. die Kirche, zum Sprechen, sichert damit dem Text seine hört.’ Doch werde zu wenig der erkenntnistheoretischen Frage bleibende Bedeutung und seine Wirkungsgeschichte: zum nachgegangen, wie denn überhaupt das Gewissen zu seinem Wohle des Menschen und unter Akzentuierung der Würde der Spruch und seinem Entscheid komme. Sofern ‘hier tatsächlich menschlichen Person in schwierigen Zeiten.“ unmittelbar Gottes Ruf zu hören’ sei, ergebe sich doch die Fra- ge, wie es dann überhaupt möglich sein könne, dass es so etwas Mit Papst Benedikt XVI. gegen die Selbstsäkularisierung wie ein irriges Gewissen gebe.“ Hier wäre anzumerken, dass der Kirche sich die deutschen Bischöfe in der trotz päpstlicher Aufforde- Die Osterakademie wäre eine Rumpfveranstaltung geblie- rung bis heute nicht revidierten Konigsteiner Erklärung mögli- ben, hätte sie nicht auch den pastoralen Aspekt ins Blickfeld ge- cherweise mehr an der Aussage des Konzils als am päpstlichen nommen. Dieser Aufgabe hat sich dankenswerter Weise Pfarrer Lehramt in der Enzyklika Humanae Vitae orientiert haben. Ob Dr. Gerhard Maria Wagner aus Windischgarsten angenommen, Ratzinger als junger Theologe das vorausgesehen hat? der ernannte Weihbischof von Linz, der unter dem Druck der Ratzinger hebt aber auch lobend hervor, dass „der Konzils- medialen Hetze, vielleicht gesteuert aus dem kollegialen Mi- text dort, wo der Mensch als ein ens sociale beschrieben werde, lieu, den Papst gebeten hat, seine Ernennung zurückzunehmen. deutlich genug den Versuch erkennen lasse, ‘die moderne In seinem Referat stoßen zwei Pole aufeinander: „Der Papst Philosophie der Person … in die Grundkonzeption vom Men- als ‘verbindliche’ Instanz einer Pfarrgemeinde“ und demgegen- schen einzubeziehen.’“ Auch sei als positiv zu bewerten, dass über die hierarchischen Kreise in der Kirche, deren Haltung auf von der Sünde des Menschen gesprochen werde, die man nicht das „gläubige Volk“ Auswirkung hat: „Die Weitergabe des verschweigen dürfe, wo vom Menschen die Rede sei. „Ratzin- Glaubens von der Elterngeneration zu den Jungen ist fast un- ger betont in seinem Kommentar zum 14. Artikel die hier arti- möglich geworden, und auch der Religionsunterricht ist so lan- kulierten konstruktiven Ansätze zu einer allererst zu entwik- ge mangelhaft, solange viele Religionslehrer gegenüber dem kelnden Theologie der Leiblichkeit, die, wie ich hinzufügen Glauben der katholischen Kirche starke Vorbehalte haben und möchte, Papst Johannes Paul II. (1978 – 2005) zeit seines Pon- sich im Widerstand gegen den Papst erproben.“ Das anfängli- tifikats, aber auch schon vorher – als Professor und Seelsorger che Situationsbild ist nicht als Lamentatio zu verstehen, son- Karol J. Wojtyła – in seiner besonderen Relevanz für das Heil dern als schonungslose Analyse. „Was zuletzt in der Kirche ge- des Menschen erkannte und systematisch zu entfalten suchte.“ schehen ist, wundert mich überhaupt nicht, wenn man bedenkt, „Da der Mensch eine Leib-Geist-Seele-Einheit ist und entspre- dass es keinen Glaubensgrundsatz gibt, der seit etwa vierzig chend seinem Sein, seinem Wesen, leben soll, ist menschliche Jahren nicht von Verantwortlichen in der Kirche hinterfragt, an- Sexualität nie als etwas bloß Körperliches, als ein vom ganzen gezweifelt, als unwichtig erklärt, umgedeutet oder schlichtweg Menschen abgetrennter Gebrauchsartikel zu betrachten oder bestritten wird. Nicht wenige, die zum Dienst in der Kirche be- gar zu handhaben. Dies wäre gegen das Wesen des Menschen, stellt sind, sind längst zur Speerspitze organisierter Proteste ge- wäre Verrat, d.h. Sünde.“ worden, um eine neue Kirche zu fordern und die Verweltli- Gerwing stellt die Bedeutung des Menschen als Geist-Seele- chung der Kirche voranzutreiben.“ Leib-Einheit heraus und bewertet unter diesem Gesichtspunkt Da der Sinn für das Katholische weithin verlorengegangen die aktuellen Fälle von Missbrauch, dem nach Lütz etwas Inze- ist, „sollen deshalb meine Überlegungen ganz katholisch sein, stuöses anhaftet, wenn sich Priester an Menschen vergehen, de- wo die Wahrheit dem ‘Katholischen’ seine besondere Erschei- nen sie in der Vaterrolle gegenüberstehen. Ratzinger „erkennt nungsweise verleiht. Ich gehe weiter auf dem Weg, den die ‘Ca- … in dem Satz von der ‘anima spiritualis’ auch die Absicht des tholica’ bisher auch gegangen ist. So wird es auch in Zukunft Konzils, die Wahrheitsfähigkeit des Menschen zu betonen. Wer gut sein: wir teilen den Glauben der Kirche, stehen zum Papst nur im Bereich des Konstatierbaren bleibt, überschreitet nicht und bezeugen ihn in Wort und Tat.“

– 149 – – 150 – Wagner lenkt zunächst den Blick auf das Kirchenbild, das ist nicht Herr, sondern Diener aller. Er darf nicht über Dinge für viele zur Ursache der Glaubenskrise geworden ist. Die mei- verfügen, über die allein Christus verfügen kann. Er ‘produ- sten vergessen: „Es ist Seine Kirche und nicht unsere Kirche, ziert’ nicht das Wort Gottes, sondern er gibt das, was er emp- über die wir nach Belieben verfügen können. All das, was nur fangen hat, weiter.“ Deshalb muss ein Papst, „der die Kirche in unsere Kirche ist, ist nicht im tiefen Sinn Kirche, es gehört zu der ‘forma Christi’ halten will, … einfach Ärgernis erregen, so- ihrem menschlichen und folglich auch vergänglichen Aspekt. gar innerhalb der Kirche. … wo der Papst den Mund auftut und … Wesentlich ist …, dass wir den Glauben, der die Gemein- die Lehre Christi verkündet, und zwar nicht nur unverbindlich schaft trägt, nicht einfach erfinden, sondern von der Kirche als eine Alternative unter vielen anderen, sondern verbindlich empfangen.“ Die Geist-Schöpfung der Kirche muss wieder in und als den einzigen Weg zum Heil, da wird er für die Medien den Blick kommen. „Wird die Kirche hingegen als ein mensch- und die Gesellschaft unbequem oder sogar unerträglich.“ liches Gebilde, als das Machwerk von Menschen angesehen, so Wie sieht nun die lebendige Pfarrgemeinde aus? „Besondere werden letztlich auch die Inhalte des Glaubens beliebig.“ Aufmerksamkeit verdient unter den kirchlichen Strukturen die „Wenn man sich die Frage stellt, was denn die Hauptaufga- Pfarrgemeinde, denn sie ist die erste Schule des Glaubens, des be der katholischen Kirche in der Gegenwart ist, dann müssen Gebets und des christlichen Lebens. Sie ist das erste Feld der wir das wiederholen, was immer wieder gesagt werden muss, kirchlichen Nächstenliebe und der erste und wichtigste Sitz der zuletzt aber immer weniger gesagt wurde: Das Allerwichtigste Katechese. Gelegentlich drohen der Pfarrgemeinde, ja erschüt- ist der Mut zur Unzeitgemäßheit. Die Kirche muss die Wahrheit tern sie schwere Krisen. Dennoch bleibt sie der normale Aus- anbieten, auch wenn die Menschen noch so sehr dagegen auf- druck des religiösen Lebens der Christen. Trotz der verschiede- heulen. … Nicht die Ideologie der Anpassung, die zur Säkula- nen Krisen ist sie eine Institution, die als normaler und primä- risierung der Kirche führt, rettet unseren christlichen Glauben, rer Ausdruck der Seelsorge erhalten werden muss. Sie ist die sondern allein der prophetische Mut, seine eigene Stimme in ei- Ortskirche im wahrsten Sinn des Wortes. … Eine der vorrangi- nem bestimmten Moment entschlossen zur Geltung zu bringen gen Sorgen der Hirten und der Gläubigen, die Verantwortung und in den Dienst der Wahrheit zu stellen. Tut das nicht unent- haben, gilt der Förderung der harmonischen Einheit der Pfarr- wegt Papst Benedikt XVI.?“ gemeinde. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Es ist beklemmend, wie Wagner die Krise der Kirche als ei- die Ortskirche im Hinblick sowohl auf die Getauften, die nicht ne Krise der Geistlichen beschreibt: „In das Zentrum der Krise an ihrem täglichen Leben teilnehmen, wie auf die ganze Gesell- der Kirche in unserer Zeit ist der Priester gerückt, und die Leh- schaft ein transparentes Zeichen der Gegenwart Christi dar- re vom katholischen Amtspriestertum gehört zu jenen quasi stellt. … Die versammelte Gemeinde muss selbst unaufhörlich ‚vergessenen’ Lehren, über die man in unseren Tagen nicht mehr evangelisiert werden: jeder Gläubige muss sich ständig von gerne spricht. Viele theologische Ansätze stellen nach dem 2. Christus ansprechen lassen, sich zum Hören des Wortes bekeh- Vatikanischen Konzil eine seinshafte Bestimmung des priester- ren, das große Anforderungen stellt, aber auch ein unschätzba- lichen Dienstamtes in Frage. … Nicht wenige Seelsorger neh- res Geschenk ist, denn es ist die Ankündigung des Heils, der men heute Maß an einer ‘anonymen’ Mehrheit von ‘Zurufern’, Versöhnung, des Sieges des Lebens über den Tod. So ist die die zweifellos einen nicht geringen Druck erzeugen, und sie Pfarrgemeinde der Hauptort für die Feier der Sakramente und orientieren sich nicht nach dem, was der Glaube der Kirche auf- insbesondere der Eucharistie in ihrer vollen Bedeutung für das trägt und die Kirche die Menschen lehrt.“ Vielen Priestern ist Zusammenwirken aller Menschen. Durch die Eucharistie ver- das Sendungsbewusstsein verlorengegangen. „Dass die Realität ankert die Pfarre ihre Wurzeln im Geheimnis des österlichen Kirche heute als Großinstitution erscheint, von der sich viele Christus und durch ihn in der Gemeinschaft der drei göttlichen entfremdet haben, hat den entscheidenden Grund dort, wenn der Personen.“ Der Pfarrgemeinde obliegt also die Aufgabe der Amtsträger sich gegen die Institution stellt, die er personalisie- Evangelisierung, des Zeugnisses für den Glauben an Christus. ren und in seiner Person vergegenwärtigen soll.“ „Es gibt ein Glaubensglück, und man muss es zu teilen wissen.“ Um die Erfordernisse der heutigen Pastoral zu konkretisie- Doch die Pfarrgemeinde kann ihren Auftrag nur in Einheit mit ren, verweist Wagner auf die durch das II. Vaticanum stark aus- dem Bischof, Priester, Diakon und den anderen kirchlichen geprägte Communio-Ekklesiologie: „Niemand ist Christ für Mitarbeitern wahrnehmen. „Eine Pfarre muss aber auch wirk- sich allein. Zu unserem Leben in der Nachfolge Christi gehört lich katholisch sein, d.h. das Leben und den Glauben der Ge- Gemeinschaft. … In der in Christus geeinten Pfarrgemeinde samtkirche aller Orte und aller Zeit in sich tragen, sich von tritt die ganze Kirche in Erscheinung. … Wenn sich heute im- dorther formen lassen. Wenn eine Pfarrgemeinde ihre Wurzeln mer mehr Menschen auch in unseren Pfarren voneinander ab- nicht in diesen gemeinsamen Grund hinabsenkt, bildet sich in grenzen, einander nur mehr kritisch begegnen, dann sind sie ihr ein ‚paralleles Lehramt’ aus, das den einfachen Gläubigen letztlich nicht eucharistiefähig.“ erfasst, und sie wird sektiererisch und sinnlos.“ Die Communio wird durch die Einheit mit dem Papst reali- Welcher Weg steht der Kirche in der Zukunft bevor? Die siert: „Gott hat der Kirche im Petrusamt einen Mittelpunkt der Kirche – und damit die einzelne Pfarrgemeinde – kann nur exi- Einheit in der Wahrheit und in der Liebe geschenkt. Die Stärke stieren, wenn sie den Weg der Reform beschreitet. „Wenn man der Kirche ist die Einheit mit dem Papst.“ vom Einsatz für die Erneuerung des christlichen Lebens und die „… das Petrinische Prinzip (ist) durch einige besondere Reform der Kirche spricht, dann muss man an erster Stelle die Merkmale gekennzeichnet, die von den Menschen heute nicht Bedeutung der Pfarrgemeinden betonen. Die wahre Reform ist gern angenommen sind: nämlich durch Autorität, Vollmacht, jene, die sich um das verdeckte wahrhaft Katholische müht, geistlichen Vorrang, heilige Ordnung. Wenn die Kirche in der sich von ihm fordern und formen lässt; die falsche Reform ist Tat unsere Kirche ist, wenn die Kirche nur wir sind, wenn ihre jene, die hinter dem Menschen herläuft, anstatt ihn zu führen. Strukturen nicht die von Christus gewollten sind, dann versteht … Reform ist dort, wo wir uns bemühen, das Unsere soweit wie man auch nicht mehr die Existenz einer vom Herrn selbst ein- möglich verschwinden zu lassen, damit das Seine, das Christus gesetzten Hierarchie als Dienst an den Gläubigen. … Der Papst Gehörende besser sichtbar wird. Wer heute dem Menschen das

– 151 – – 152 – Wort der Kirche und des Glaubens verkündet, der sagt nichts ein schweres Hindernis für viele Protestanten bilden, das Papst- Bequemes, und er muss mit Widerspruch rechnen. Wer noch nie amt anzuerkennen. Vorreformatoren wie Wyclif und Hus berei- Widerstand erfahren, hat noch nicht verkündet. … Es muss klar teten den Boden für das spätere Aufbegehren. Luther unterwarf gesagt werden, dass eine wirkliche Reform der Kirche eine ein- sich in seinen jüngeren Jahren ganz der Autorität des Papstes, deutige Abkehr von den Irrwegen nach dem Konzil voraussetzt, kam aber in seiner Auseinandersetzung um den Ablasshandel in deren katastrophale Folgen mittlerweile längst nicht mehr be- die totale Gegenposition. Leider nahm er auch einen Versöh- stritten werden können.“ nungsversuch Papst Hadrians VI. nicht an. „Nach der Phase des wahllosen ‘Sich-Öffnens’ ist es an der „In den Bekenntnisschriften der lutherischen Reformation fin- Zeit, dass sich der Christ wieder besinnt und sich bewusst wird, det sich eine Gleichsetzung von Papsttum und Antichrist explizit einer Minderheit anzugehören und oft zu dem in Kontrast zu in den von Luther verfaßten Schmalkaldischen Artikeln von 1537. stehen, was für jene Mentalität selbstverständlich, plausibel Der Papst, heißt es in Art. IV, sei als Antichrist zu bezeichnen, und natürlich ist, die das Neue Testament den ‘Geist der Welt’ weil er ‘sich über und gegen Christus gesetzt und erhöht hat’.“ nennt. Es ist an der Zeit, dass Priester und Laienchristen den „Die Reformatorischen Kirchen führten im 16. Jahrhundert Mut zum Nonkonformismus finden, die Fähigkeit, sich dem ihren Konflikt mit dem Papsttum als eine Auseinandersetzung Modernismus professionell entgegenzustellen.“ um die Wahrheit und die Freiheit des Evangeliums und erlebten Als Reformansatz ist der Kirche aufgetragen, missionarisch zu das Handeln des Papstamtes als Unterdrückung des Evangeli- sein. „die Katholiken (haben) auch heute allen Grund, auf ihren ums. So wurden die gängigen Vorstellungen vom Antichrist Glauben stolz zu sein, und immer wieder müssen wir sagen, dass vielfach akut kontextuell bestimmt. Sie ließen aber mehr oder wir stolz sein dürfen, katholisch zu sein. Erst recht ist jetzt viel weniger ausgeprägte Auslegungstraditionen entstehen, die sich Selbstbewusstsein gefordert, um den Glauben der Kirche über- mancherorts zäh bis in unsere Gegenwart behauptet haben.“ zeugend vertreten zu können. … Die Kirche muss sich mutig und In der späteren Zeit entwickelte sich die unterschiedliche ohne Scham zu ihrem Glauben bekennen, zu dem, was sie als das Sichtweise bei den außerkatholischen Christen: „Nach dem 16. Rettende weiß: dass sie mit Gott zu tun hat. Zum Glauben gehört Jahrhundert begegnen wir in der Lutherischen Orthodoxie ein- die Bereitschaft zu leiden, aber auch der Mut zum Kämpfen. Oft erseits der Übernahme des Antichrist-Verdikts, andererseits ge- ziehen sich die Menschen im Leben einer Pfarre feige zurück und mäßigten Stimmen.“ schweigen, wenn sie reden sollten. Es handelt sich um eine ‘Dik- Die verschiedenen protestantischen Denominationen vertra- tatur der Furcht’, vor der auch viele katholische Christen heutzu- ten je nach Führungsautorität oder politischer Situation eine tage in die Knie gehen. Schwierig wird es, wenn sich die Kirche mehr oder minder starke Ablehnung des Papsttums, so z.B. die den wirklichen Mächten und Sün den unserer Zeit widersetzt, Calvinisten oder Anglikaner, die vor allem durch die machtpo- wenn die Kirche die Zersetzung der Ehe, die Zerstörung der Fa- litischen Bestrebungen Heinrichs VIII. beeinflusst waren. „Der milie, die Tötung der ungeborenen Kinder, die Pervertierung der Hauptbegründer des lutherischen Pietismus, Philip Jakob Spe- Moral und die Verrenkungen des Glaubens anklagt.“ ner (1635-1705), kannte Luthers Auseinandersetzung mit Rom Wagner resümiert: „Dass die katholische Kirche in unserer und Papsttum gut. Er führt aber dessen Polemik nicht fort, wie säkularisierten Gesellschaft ins Abseits geraten ist, bleibt bis er überhaupt Andersgläubigen gegenüber eine mild-tolerante zum heutigen Tag eindeutig die Schuld jener Katholiken, die Haltung einnimmt.“ feige den Kopf in den Sand stecken. Katholiken müssen muti- Ein weiterer Höhepunkt in der Auseinandersetzung ist der ger auftreten. Wer sich immer nur schämt, sollte Kritik sein las- Kulturkampf unter Bismarck: „Im 19. Jhdt. erreicht die grund- sen. Die Kirche braucht einen neuen Aufbruch, und ohne Gehor- sätzlich antipäpstliche Haltung im deutschen Protestantismus sam, der vom Herzen kommt, werden die Menschen immer nur ihren Höhepunkt, und zwar sowohl in theologischer wie politi- das machen, was alle machen. … Ich fürchte mich nicht, denn in scher Hinsicht. Das Unfehlbarkeits-Dogma durch das I. Vatica- Gemeinschaft mit dem Papst, dem Bischof und den Gläubigen num (1870) führte die evangelische Seite zur Überzeugung, gehen wir in unserer Pfarre den geraden Weg unseres katholi- dass von nun an bei päpstlichen ex-cathedra-Entscheidungen schen Bekenntnisses. Auch wenn der Kirche in unserer Zeit ein keine Berufung auf die Bibel mehr möglich sei. Für Bismarck kalter Wind ins Gesicht bläst, lade ich alle in meiner Pfarre ein, war diese Verschärfung zugleich ein Anlass, seinen Kampf gegen beharrlich und standhaft als Katholiken zu leben. Der Papst ist den von der Zentrumspartei im Reichstag vertretenen ‚Ultramon- der Leuchtturm, der den Weg in einer wirren Zeit weist. So tanismus’ zu verschärfen. Er warf dem politischen Katholizismus bleibt unsere Pfarrgemeinde das, was sie ist: lebendig.“ mangelnde Loyalität gegenüber dem deutschen Staat vor; denn er ließe sich in seinen Zielen von Rom her fernsteuern. In dieser Ökumenische Aspekte Haltung durfte er sich der Unterstützung durch die protestanti- Herr Prof. Dr. Peter Beyerhaus unterzog sich bereitwillig der schen Theologen und Kirchenführer gewiss sein.“ Aufgabe, das Petrusamt in evangelischer Sicht zu beleuchten. Trotz Konfessionsgesprächen und Nürnberger Erklärung Dieser ökumenische Aspekt ist in der Zeit der interkonfessio- sitzt der antirömische Affekt tief: „Aufgrund dieser geschicht- nellen Gespräche bedeutsam und unverzichtbar. Dass diese lichen Entwicklung ist die Diskussion um das Papstamt in den Aufgabe schwierig war, erhellt aus der Tatsache, dass es keine evangelischen Kirchen bis heute auch emotional besetzt. Vielen geschlossene und einheitliche Sicht der evangelischen Brüder Protestanten erscheint schon die Frage nach einer Neubewer- und Schwestern gibt. Es gibt aber ein Gemeinsames: „Im öku- tung des Papstamtes als ein Anzeichen heimlichen Glaubens- menischen Dialog mit der Katholischen Kirche bildet für die verrats. Diese Negativhaltung macht man auch am äußeren Er- außerkatholische Christenheit der Papst von Rom und dessen scheinungsbild der Kurie fest. Die höfische Prachtentfaltung, Primatsanspruch das schwerste Hindernis“, was letztlich die mit der die Herrlichkeit eines geistlichen Imperiums zelebriert ge schichtliche Entwicklung dokumentiert. wird, ist, wie der zeitweilige Ratsvorsitzende der EKD, Präses Es kann nicht verwundern, dass persönliche Verfehlungen Manfred Kock, in einem Interview bemerkte, für evangelisches einzelner Päpste und kirchenpolitische Auseinandersetzungen Kirchenverständnis befremdlich.“

– 153 – – 154 – Es ist jedoch ein leichtes Umdenken festzustellen: „Die In- auf, über die Ausübung des Papstamtes nachzudenken. Ein itialzündung zu einem Umdenken ging von einem Manifest wich tiger Fortschritt ist die Rücknahme des Antichrist-Vor- „stimuli et clavi“ (= Spieße und Nägel) aus, das der lutherische wurfs gegen des Papst. Es gibt auch eine „Neuorientierung im Pastor Heinrich Hansen im vorletzten Kriegsjahr 1917 aus An- evangelischen Urteil über das Papstamt, das man als ekklesiale laß des 400jährigen Gedenkens von Luthers Thesenanschlag Notwendigkeit sieht. Es bleibt die Differenz in der Einschät- veröffentlichte. Er wandte sich darin sarkastisch gegen allen zung, ob das Papstamt soteriologisch notwendig ist“. nunmehr gründlich deplazierten Hurra-Protestantismus im Vor- „Führende Repräsentanten innerhalb der EKD nehmen An- bereiten des Jubiläums. Die europäische Katastrophe sei zu- stoß am Festhalten an der Einzigkeit der Ecclesia Romana, wie tiefst auch in der geschichtlichen Katastrophe der tragischen sie im Jahre 2000 in der päpstlich gebilligten Erklärung der Spaltung der katholischen Kirche im 16. Jahrhundert zu be- Glaubenskongregation ‚Dominus Iesus’ über die Einzigkeit und gründen. Die lutherische Kirche habe danach ihren eigenen die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche pointiert zum geistlichen Ansprüchen nicht Genüge getan und ihr geistliches Ausdruck kam. Denn in dieser wurde in Auslegung der Kirchen- Mandat ungetreu verwaltet. Das Endergebnis sei nun, daß Lu- konstitution des II. Vatikanischen Konzils ‚Lumen Gentium’ den thers gute Absichten bei seiner Wiederentdeckung des bibli- aus der Reformation hervorgegangen Kirchen aufgrund des Feh- schen Evangeliums pervertiert worden seien. Die Abkehr von lens der apostolischen Amtsnachfolge die ekklesiale Dignität der Katholizität habe schließlich zum Abfall von Christus, ja des Kircheseins aberkannt und ihnen lediglich der Status ‚kirch- von Gott selber geführt, sowohl in der protestantischen Intelli- licher Gemeinschaften’ zugesprochen. An diesem Urteil hat der genz als auch bei den Massen. Die fatale Weichenstellung am Verfasser von Dominus Jesus auch als nunmehriger Papst Bene- Anfang aber sei jener theologische Subjektivismus gewesen, dikt XVI. festgehalten und es 2007 noch einmal bekräftigt. Vie- welcher die Christen auf ihr eigenes Urteil verwies, unter dem le, vielleicht sogar die meisten evang. Christen fühlen sich durch die meisten von ihnen in die Irre gegangen seien. Hansen blieb solche Aberkennung ihres Kircheseins deklassiert. Sie erkennen nicht bei dieser erregenden Diagnose stehen. Vielmehr verwies nicht, dass hinter diesem ekklesiologischen Urteil des Konzils er zugleich auf die Therapie: es gelte für evangelische Christen, und der Päpste ja ein grundverschiedener Kirchenbegriff steht.“ nunmehr für die „eine katholische Kirche des Christentums“ zu Trotz dieses Dissenses „hat der positive Eindruck der neueren wirken. ‘Es gehört zum Wesentlichen der Ecclesia, daß sie ka- Päpste auf evangelische Christen dazu beigetragen, dass sich tholisch ist; ist sie das nicht, so hat sie keinen Anspruch darauf, bei vielen unter ihnen das herkömmliche Negativbild vom als wahre Kirche zu gelten.’“ Papsttum ins Positive verwandelt hat.“ Als Pioniere der Aussöhnung mit der katholischen Kirche, Das Bemühen der Päpste seit Pius XII. hat entscheidend da- vor allem mit dem Papstamt, gilt Richard Baumann, und von ei- zu beigetragen, dass sich das Verhältnis zu den nichtkatholi- nigen evangelischen Theologen wurde das II. Vaticanum be- schen Christen gebessert hat, dass aber das Bestreben nach Ein- grüßt: Oscar Cullmann, Karl Barth, Edmund Schlink oder auch heit derzeit (noch) nicht verwirklicht werden kann. Es bleibt die dem Begründer von Taizé Roger Schutz. schwierige Aufgabe der Überwindung der Lehrunterschiede. Eine wesentliche Hilfe für die Überwindung der Vorurteile In einer persönlichen Schussfolgerung weist der Referent war die Beschäftigung mit der Exegese und der Dogmatik. darauf hin, dass die neutestamentlichen Stellen, die ein Papst- Auch der geduldige katholisch-evangelische Dialog führte zu amt rechtfertigen, schwer zu widerlegen seien. Besonders ein- Ergebnissen, die in mancher Hinsicht einen Fortschritt in der drucksvoll wirkte sein Bekenntnis zum derzeitigen Papst auf Ökumene bedeuten. So kam und kommt auch das Papstamt zur die Teilnehmer. Sprache, das man nicht mehr nur als „Machtinstrument“ sieht, Allen Referenten sei herzlich für ihr Engagement für das Ge- sondern aufgrund der biblischen Grundlage als ein von Christus lingen der Osterakademie gedankt! eingesetztes Amt, das dem Evangelium dient. Reinhard Dörner Papst Johannes Paul II. rief in seiner Enzyklika „Ut unum Postfach 1103, 48692 Stadtlohn sint“ katholische, evangelische und orthodoxe Theologen dazu

PETER P. J. BEYERHAUS Zum 5jährigen Pontifikat von Papst Benedikt XVI. Eine Würdigung aus evangelischer Feder

I. Die große Überraschung breiteten Armen das begeisterte Kirchenvolk mit den demüti- Nach einem außerordentlich kurzen Konklave (18.-19. April gen Antrittsworten: 2005) wählte schon am zweiten Tage mit großer Mehrheit das „Liebe Schwestern und Brüder! Nach einem großen Papst Kardinalskollegium seinen Dekan Joseph Ratzinger zum Nach- Johannes Paul II. haben die Herrn Kardinäle mich gewählt, ei- folger des polnischen Papstes Johannes Paul II. Unmittelbar nen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des darauf trat der nunmehrige Benedikt XVI. auf den Balkon des Herrn. Mich tröstet die Tatsache, dass der Herr auch mit unge- Petersdoms und grüßte strahlend lächelnd und mit weit ausge- nügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß. Vor al- – 155 – – 156 – lem vertraue ich mich euren Gebeten an. In der Freude des auf- lichen Rest preisgeben konnte, wo es um das ideologische Ziel erstandenen Herrn und im Vertrauen auf seine immerwährende ging. Das alles ist an sich aufregend genug, aber zur unerbitt- Hilfe gehen wir voran. Der Herr wird uns helfen, und Maria, lichen Herausforderung an den Theologen wird es dann, wenn seine allerseligste Mutter, steht uns zur Seite. Danke.“ die Ideologie namens des Glaubens vorgetragen und die Kirche Die Überraschung war weltweit und perfekt. Die einen rea- als Instrument benutzt wird. … Die Lage war in der Evange- gierten verblüfft, andere, besonders in seinem Heimatland lisch-Theologischen Fakultät wesentlich dramatischer als in der Deutschland, jubelnd „Wir sind Papst!“ Dritte – ebenfalls gera- unsrigen. Aber wir saßen doch in einem Boot. Ich habe mich de solche in Deutschland – waren entsetzt, hatten ihm doch die damals mit zwei evangelischen Theologen, dem Patristiker Ul- 2 Medien im Einklang mit dem Urteil der „Kirche von unten“ das rich Wickert und dem Missionstheologen Beyerhaus zu einem Image eines unerbittlichen Zuchtmeisters und Großinquisitors Aktionsbündnis zusammengetan. Wir sahen, dass die bisheri- aufgeprägt. Aber schon nach wenigen Tagen, als der Neuge- gen konfessionellen Kontroversen geringeren Ranges waren wählte bei allen Erstvorstellungen und Verlautbarungen gewin- gegenüber der Herausforderung, vor der wir jetzt standen und nende menschliche Züge offenbarte, die so gar nicht mit dem in der wir gemeinsam den Glauben an den lebendigen Gott und Bild eines „Panzerkardinals“ („God’s Rottweiler“) übereinstimm - an Christus, das menschgewordene Wort, zu vertreten hatten. ten, erkannte man: Ratzinger/Benedikt ist anders als erwartet. Die Freundschaft mit diesen beiden Kollegen bleibt eines der Nun redeten dieselben Organe – zumindest eine Zeit lang – von unverlierbaren Erbstücke der Tübinger Jahre.“ dem „neuen Ratzinger“. Gewiss blieb er auch weiterhin in sei- Unsere Verbindung ist auch nach dem für uns schmerzlichen nem eher schüchternen, distanzierenden Naturell befangen, aus Fortgang Ratzingers 1970 nach Regensburg und in seinen spä- dem er jedoch besonders bei markanten Ereignissen glücklich teren Lebensphasen in München und Rom nie abgerissen, auch strahlend heraustritt, dann nämlich, wenn ihm offene Sympa- wenn sich unsere Korrespondenz dann einschränkte auf Weih- thie entgegenschlägt. So anlässlich des verheißungsvollen Auf- nachtsgrüße, allerdings auch auf Kontaktaufnahmen aus beson- taktes beim Weltjugendtag in Köln im Juli 2005, als ihn hun- deren Anlässen wie z. B. das weltweit kritische Echo auf seine derttausende von Jugendlichen aus aller Welt mit begeisterten Verlautbarung DOMINUS JESUS oder unsere Einberufung „Benedetto“ Rufen empfingen. Diese Sympathiewelle ist seit- öku menischer Bekenntnis-Kongresse. (siehe unten). her trotz des erschreckenden Umschlages der öffentlichen bzw. Im Unterschied zu vielen anderen kirchlichen Repräsentan- agitatorisch veröffentlichten Meinung nie völlig verebbt, wie ten auch auf protestantischer Seite schenkte Joseph Ratzinger bei all seinen Auslandsreisen – zuletzt im April 2010 nach Malta als Erzbischof und Kurienkardinal auch jenen bekennenden sowie im Mai bei seiner Pilgerfahrt zum Grabtuch von Turin – Gruppen Aufmerksamkeit, die sich unter Berufung auf Schrift deutlich wurde. und Bekenntnis liberalen Trends in der gegenwärtigen Chri- stenheit (etwa in der Frage der Abtreibung oder Homosexua- lität) entgegenstellten.3 Es lag in der Natur der Sache, dass die- II. Freudige Aufnahme bei bekennenden evangeli- se Gruppen ihrerseits Stellungnahmen des Präfekten der Glau- schen Theologen benskongregation (etwa zur Befreiungstheologie oder zu ethi- a) Verbündeter im Glaubenskampf schen Grundsatzfragen) positiv aufnahmen. Zu denjenigen, welche sich über die Wahl Joseph Ratzingers 4 besonders freuten, gehörten in Deutschland – und über seine b) Benedikt: Ein Geschenk auch an die evangelische Kirche Grenzen hinaus – jene konservativen bzw. bekennenden evan- Die Wahl Joseph Ratzingers wurde auch andern Vertretern gelischen Theologen, die sich angesichts seiner klaren Orientie- einer biblischen Theologie, welche sich dem Theologischen rung an das Zeugnis der Bibel und der Vätertradition in ihrem Konvent Bekennender Gemeinschaften nicht angeschlossen Widerstand gegen alle modernistischen Entstellungen innerlich hatten, ein Anlass zur Freude. So schrieb mir anlässlich meiner bestätigt und ihm verbunden fühlten. positiven Kommentierung im Informationsdienst der Evangeli- Ich darf bezeugen, dass das auch für mich selber gilt. Meine schen Allianz idea mein Kollege Peter Stuhlmacher: persönlichen freundschaftlichen Beziehungen zu Joseph Rat- „Ich freue mich zutiefst über die Wahl und habe die Hoff- zinger reichen zurück in die turbulenten Jahre der neo-marxisti- nung, daß die evangelische Kirche (der im Glauben Gutwilli- schen Rebellion an den Universitäten, die sich gerade auch in gen) am Beispiel und Widerstand Benedikts XVI zu der geist- den beiden theologischen Fakultäten, der evangelischen und lich-biblischen Orientierung zurückfindet, die ihr verloren zu der katholischen, in Tübingen austobte. Damals entstand durch gehen droht oder schon verloren gegangen ist.“ die Initiative des Neresheimer Benediktinerpaters Beda Müller Diese Hoffnung gründete sich darauf, dass Joseph Ratzinger († 2009) ein Kreis, den wir „Ökumenische Sammlung“ nann- sich in seinen theologischen Veröffentlichungen sowie seinen ten. In seiner Autobiographie1 hat mein zeitweiliger Kollege Rat zinger, der 1967, ein Jahr nach mir, nach Tübingen berufen wurde, das wie folgt beschrieben: „Ich habe das grausame Antlitz dieser atheistischen Fröm- migkeit unverhüllt gesehen, den Psychoterror, die Hemmungs- 2 losigkeit, mit der man jede moralische Überlegung als bürger- Ulrich Wickert, geb. am 4. März 1927, starb am 7. Januar 2009 in Stahnsdorf bei Potsdam. Er hatte bis zuletzt mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. korrespondiert, wobei es meist um mario- logische Fragen ging. 3 Vgl. dazu den Beitrag von Peter Beyerhaus, „Der Papstwechsel – bekenntnisökumenisch gesehen“, in DIAKRISIS Jg. 26, 2/2005, S. 1 Joseph Kardinal Ratzinger: Aus meinem Leben. Erinnerungen. DVA 105-117. Stuttgart 1998, S. 138-151, hier 150 f. Ähnlich berichtet er auch in 4 Siehe hierzu den so betitelten Artikel von Werner Neuer in DIAKRI- seinem Buch „Salz der Erde“. Ebd. 1996, S. 82f. SIS Jg. 26, Mai 2005, S. 117-119.

– 157 – – 158 – Predigten und Vorträgen als ein gläubiger, tief in der Heiligen theologischen Schwerpunkte, die er dabei setzt. Das zeigt sich Schrift gegründeter Christ und auch Kenner evangelischer Exe- in den neun „Moto proprio“ sowie in den mehr als 100 Anspra- gese erwies und in seiner gesamten theologischen und kirch- chen, Katechesen, Predigten, Briefen und Botschaften, die bis- lichen Laufbahn eine sympathische Verbundenheit auch mit her veröffentlicht wurden. Viele unter ihnen wurden auch auf Theologen pflegte, die ihm tiefen Einblick in evangelische evangelischer Seite beachtet. Ebenso besuchen auch zahlreiche Frömmigkeit und Kirchlichkeit gewährten. Das zeigte sich in Evangelische gern die großen Papstaudienzen, nicht nur, um seinem von bibeltreuer evangelischer Seite – auch bei sonst ihn live zu sehen (wie es bei seinem charismatisch faszinieren- dem Katholizismus eher kritisch gegenüber stehenden Evange- den Vorgänger war), sondern um ihn zu hören und geistliche likalen – einmütig positiv aufgenommenen Jesusbuch (Band I)5 Impulse mit heimzunehmen. sowie später in seiner Einladung an seine einstigen Tübinger Von noch größerer theologischer Gewichtigkeit sind die drei Kollegen Martin Hengel und Peter Stuhlmacher, bei einer der schon in diesen fünf Jahren erschienenen Enzykliken, vor allem Vorbereitung des zweiten Bandes dienenden Zusammenkunft das schon am Ende des ersten Jahres (25.12.2005) veröffent- seines Schülerkreises in Castel Gandolfo 2008 als Fachreferen- lichte und von Benedikt allein verfaßte Lehrschreiben, „Deus ten mitzuwirken. Das Anliegen Benedikts war es dabei, in caritas est“6. Diese Enzyklika fand bei gebildeten evangeli- Überwindung der die Einheit der neutestamentlichen Christolo- schen Christen besondere Aufmerksamkeit und Zustimmung. gie und Soteriologie auflösenden radikal historisch-kritischen Denn in ihr hob er die auf das klassische Buch des schwedi- Exegese die Identität des historischen Jesus und des Christus schen Theologen Anders Nygren zurückgehende und weithin des Glaubens der Gemeinde aufzuweisen. Damit erhebt er die akzeptierte dichotome Gegenüberstellung von Eros und Agape, Christologie zu neuer theologischer Geltung. Beachtlich ist, d. h. der den andern um seiner Liebenswürdigkeit willen begeh- dass er die neutestamentlichen Texte fast lutherisch – bzw. renden Liebe und der den anderen, unter Absehen von seinen evangelikal – als Einladung zu einer persönlichen Glaubensbe- Qualitäten, beschenkenden und erhebenden Liebe – bei teilwei- ziehung zu Jesus Christus auslegt. ser Zustimmung – letztlich auf. Er tat es, indem er auch in der Die Biblizität des Denkens Benedikts zeigte sich auch darin, kreatürlichen Liebe einen Ausfluß aus der Liebe Gottes zu sei- dass sich die erste der drei von ihm einberufenen Bischofssyno- nen Geschöpfen und der menschlichen Beziehung zu ihm er- den (2008) mit dem Wort Gottes beschäftigte. blickte. Gerade dadurch wehrte er zugleich den heutigen Entar- tungen des Eros in bloße Sexualität. Der Eros müsse nämlich c) Joseph Ratzingers beeindruckende theologische Ge- verfallen, wenn nicht die Agape hinzutritt. lehrsamkeit und Urteilskraft In der zweiten Enzyklika Spe salvi (27.11.2007), die er eben- Gewiss sympathisieren nicht alle protestantischen Theolo- falls allein verfasst hat, nahm er ein zentrales biblisches Thema gen und Christen mit den inhaltlichen Überzeugungen des neu- auf, die Lehre von den Letzten Dingen, die in der heutigen en Papstes. Dennoch mussten wache Beobachter seine außeror- Lehrverkündigung fast verschwunden ist. Dieses eschatologi- dentlich hohen geistigen Qualitäten anerkennen, wie sie z. B. in sche Defizit veranlaßte bald darauf auch die Internationale seiner öffentlichen Disputation am 19. Januar 2004 mit dem Konferenz Bekennender Gemeinschaften, die biblische Zu- Phi losophen Jürgen Habermas hervortrat. So bezeichnete die kunftserwartung zum Thema ihres im Oktober 2009 in Bad linksliberale Wochenzeitschrift Die ZEIT ihn nach seiner Wahl Gandersheim tagenden III. Ökumenischen Bekenntnis-Kon- als „einen der brillantesten Intellektuellen, den die Kirche im gresses zu machen und ihn unter das Leitwort zu stellen „Die 20. Jahrhundert hervorgebracht hat“. Auf katholischer (Kardi- eine Kirche Christi in Erwartung seiner Wiederkunft“7. nal Meisner) wie auf evangelischer Seite (ideaSpektrum) er- In der dritten Enzyklika Caritas in veritate (30.6.2009) er- kennt man ihn als den theologisch bedeutendsten Papst seit 100 kannten evangelische Leser mit Freuden, dass Benedikt in den Jahren und insofern als einen Glücksfall für die Christenheit. von ihm selbst verfassten Passagen seinen Ansatz zur Lösung Man schätzt in ihm, so stellte ich bei einer persönlichen Umfra- der sozialen Problematik nicht zuvörderst in sozialpolitischen ge fest, seine Verbindung von hoher gedanklicher Intensität, Strukturveränderungen suchte, sondern auch ihn in der glau- spiritueller Kraft und sprachlicher Eleganz sowie seine charak- benden Annahme und Weitergabe von Liebe Gottes fand. terliche Lauterkeit und Demut, in der er sich nie in polemischen Schlagabtausch einläßt, auch da, wo er öffentlich angegriffen e) Fundamentalkritik am zeitgenössischen Relativismus und seelisch verletzt wird. Zu den Gravamina, die Joseph Ratzinger in seinen Gegen- wartsanalysen vorträgt, gehört besonders seine Beanstandung d) Vielseitigkeit und Schwerpunkte der relativistischen Infragestellung aller mit Wahrheitsansprü- Wie schon zuvor so hat Benedikt XVI. während seines fünf- chen vertretenen Überzeugungen sowohl in philosophischer, re- jährigen Pontifikates die kirchliche und auch weltliche Öffent- ligiöser als auch ethischer Hinsicht. Das kam programmatisch lichkeit durch die Vielseitigkeit der von ihm aufgegriffenen in der Aufsehen erregenden Predigt zum Ausdruck, die er am Themen beeindruckt, Christen besonders durch die geistlich-

6 Anders Nygren: Eros und Agape. Gestaltwandlungen der christ- 5 Der Theologe Stadelmann (Dekan der evangelikalen Freien Theolo- lichen Liebe I; Studien des apologetischen Seminars 28; Gütersloh: gischen Hochschule Gießen) bescheinigt dem Jesusbuch des Pap- Bertelsmann, 1930; S. 45–137 (Berlin: Evangelische Verlags An- stes, „dass hier in erfreulicher Klarheit der biblische Jesus bezeugt stalt, 19552). wird“ (FTA-Freundesbrief, Juni 2007). Vgl. auch den Rezensionsar- 7 Siehe die als Ergebnis dieses Kongresses erschienene Eschatologi- tikel von Rainer Riesner. „Das Jesus-Buch des Papstes – ein ökume- sche Orientierungshilfe, veröffentlicht in der Sonderausgabe von nisches Ereignis“, in DIAKRISIS 28. Jg. 2/2007, S. 157-165. DIAKRISIS „Hoffnung oder Utopie“, April 2010, S. 5-44.

– 159 – – 160 – 18. April, dem Tage der Eröffnung des Konklave, im Petersdom ren eigenen religionstheologischen Erklärungen in Absage an vor den Kardinälen als Dekan ihres Kollegiums hielt und in der eine pluralistische Theologie der Religionen. Für uns bedeutete er sich entschieden gegen die „Diktatur des Relativismus“ das zugleich eine gewisse Distanzierung zu dem von Papst Jo- wandte. Sein Predigttext war Eph 4, 14, wo Paulus der Gemein- hannes Paul II. einberufenen Weltgebetstag der Religionen für de eindringlich ans Herz legt, „nicht unmündig“ zu sein und den Frieden am 27. Oktober 1986 in Assisi, über den ich im Vor- sich „nicht umhertreiben zu lassen von jeglichem Wind der Leh- feld mit Kardinal Ratzinger korrespondiert hatte, und an dem er re, die durch Täuschungen von Menschen zustande kommen, beachtlicher Weise nicht teilgenommen hat.9 Bei den späteren womit sie uns einfangen und verführen.“ Der Prediger aktuali- dann auch von ihm besuchten bzw. veranstalteten Gebetstagen sierte diesen Text in erregender Weise, indem er den „Glauben, wurde das uns damals anstößige Element eines Betens der Ver- der den Wellen der Mode und der letzten Neuheit folgt“ – sei es treter verschiedener Religionen zu ihren jeweiligen Gottheiten nun der Marxismus oder der Liberalismus, der Atheismus oder innerhalb einer gemeinsamen Zeremonie vermieden. eine vage religiöse Mystik, der Agnostizismus oder der Synkre- Weniger Zustimmung allerdings fand auch bzw. gerade bei tismus – kontrastierte mit dem reifen Glauben, „der zutiefst evangelikalen Christen der im letzten Kapitel der Erklärung verwurzelt ist in der Freundschaft mit Christus“, die uns klare ausgesprochene römische Anspruch, die Verwirklichung der im Kriterien gibt „zur Unterscheidung zwischen wahr und falsch, Credo bekannten einen Kirche Jesu Christi zu sein; denn da- zwischen Betrug und Wahrheit. „In diesem Glauben“, so umriß durch wurde ja den evangelischen Kirchen und Freikirchen die der angehende Pontifex maximus gleichsam sein „Regierungs- volle Ekklesialität aberkannt. Für deren Leitungen erschien da- programm“, „müssen wir die Herde Christi führen.“ mit jeder Fortschritt im der ökumenischen Bewegung unmög- Dieser Fanfarenstoß fand auch auf evangelischer Seite star- lich geworden zu sein. Im Wissen darum, dass Joseph Ratzin- ke Beachtung, – bei Befürwortern eines theologischen Plura- ger auch als nunmehriger Benedikt XVI. an dieser Schau fest- lismus in Ablehnung, bei bekennenden Christen in Zustim- halten würde, ließ sich die zeitweilige Ratsvorsitzende der mung. Der lutherische Philosoph Günter Rohrmoser († 2008) EKD Dr. Margot Käßmann Anfang 2010 dazu hinreißen, auf nahm dieses zeitkritische „Signalwort“ auf in seinem 2007 er- die an sie gerichtete Frage, was sie sich denn ökumenisch von schienenen Buch „Diktatur des Relativismus“ sowie auch im dem jetzigen Papst erwarte, zu antworten: „Ich erwarte nichts“. Jahre darauf in seinem Grundsatzreferat bei der Tagung der Was man auf evangelischer Seite bei solcher Reaktion über- Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern in sah, war der Umstand, dass die Unterscheidung zwischen „Kir- Riederau; sie stand unter dem Leitwort: „Was ist Wahrheit?“ che“ im Vollsinne und „kirchlichen Gemeinschaften“ im unter- Für Joseph Ratzinger bildet der Begriff Relativismus die po- geordneten Sinne schon auf das II. Vatikanische Konzil zurück - lemische Kehrseite seines Leitmotivs „Die Freude an der Wahr- geht, und dass dieser Unterscheidung ein wesentlich anderer heit“, bei dem er das Wort des Paulus (1Kor 13,6b) aufnimmt Kirchenbegriff gegenüber dem reformatorischen zugrunde „Die Liebe freut sich der Wahrheit.“ Dementsprechend lautet liegt. (s. u.) sein selbst gewählter bischöflicher Wahlspruch: „Cooperatores veritatis – Mitarbeiter der Wahrheit“ (3Joh 8)8.– Damit stellt der kirchenleitende Theologe sich in Gegensatz zum „modernen III. Die ökumenische Haltung von Benedikt gegenüber Relativismus“, der jedes Festhalten an der objektiven unverän- den „evangelischen Freunden“ derlichen Wahrheit infragestellt und dieses sogar als „intole- Die Frage nach der Einstellung von Joseph Ratzinger bzw. rant“ und „fundamentalistisch“ verteufelt. Benedikt XVI. zu den evangelischen „kirchlichen Gemein- schaften“ kann nicht pauschal, sondern nur differenzierend be- f) Betonung der Heilsuniversalität des Evangeliums und antwortet werden. Er ist sich der durch die Reformation ent- der Kirche standenen theologischen Unterschiede zwischen den beiden Am 6. August 2000 erschien die von der Kongregation für Konfessionen bewusst, ihm ist die Trennung schmerzlich, und die Glaubenslehre herausgegebene und von ihrem damaligen er bemüht sich zugleich aktiv um deren ökumenische Überwin- Präfekten Joseph Kardinal Ratzinger verfaßte Erklärung „DO- dung, auch wenn er sich hinsichtlich der verbliebenen Schwie- MINUS IESUS: Über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Je- rigkeiten auf dem Wege keinen Illusionen hingibt. su Christi und der Kirche“. Für viele Protestanten und auch Ka- tholiken wirkte die in ihr vollzogene Betonung der absoluten a) Theologische Grundlagenkritik an Martin Luther Geltung der Heilsbotschaft gegenüber den Offenbarungsan- Joseph Ratzinger hat sich stets darum bemüht, dem großen sprüchen anderer Hochreligionen zum einen, die der Römisch- christlichen Reichtum in Luthers Werk Gerechtigkeit und sym- katholischen Kirche zum andern wie ein unerwarteter Felsein- pathisches Verständnis entgegenzubringen. Grundlegende Un- schlag. Damit würden, so klagte man laut, alle bisherigen Be- ter schiede zwischen evangelischem und katholischem Chri- mühungen um den interreligiösen Dialog seit dem II. Vatikani- stentum erblickt Ratzinger jedoch an zwei Punkten: Zum einen schen Konzil zunichte, ebenso wie auch die ökumenischen Be- befürchtet er mit Paul Hacker10 bei Luther einen anthropozen- strebungen zu einer Wiedervereinigung der getrennten Kirchen. Vonseiten der evangelischen Bekennenden Gemeinschaften wurde die Betonung der Einzigartigkeit der biblischen Heilsof- fenbarung uneingeschränkt begrüßt; denn sie entsprach auch ih-

9 Vgl. P. Beyerhaus: „Der Anstoß von Assisi“ in: DIAKRISIS 7. Jg. Nr. 4/1986, S. 92-100. sowie ders.: „Der Papstwechsel in bekennt- nis-ökumenischer Perspektive“, in: DIAKRISIS 26. Jg. Mai 2005, bes. S. 106-109. 8 Siehe auch sein 1990 im Echter Verlag Würzburg erschienenes 10 Als Professor in Münster schrieb Ratzinger das Vorwort zu dem Buch: „Mitarbeiter der Wahrheit“. Buch von Paul Hacker „Das Ich im Glauben bei Martin Luther“

– 161 – – 162 – trischen Ansatz, in dem der Glaube, statt sich ganz auf die ob- c) Verdienstvolles Engagement im lutherisch-katholi- jektive Wirklichkeit der Kirche, ihrer Lehre und ihrer Sakra- schen Dialog mente zu stützen, seine Festigkeit selbstreflektiv in der Gewiss- Im Gegensatz zu dem verbreitetem Vorurteil, die ökumeni- heit in der durch ihn ergriffenen Gottesbeziehung findet. schen Interessen des Papstes richteten sich ausschließlich – un- Zum andern sieht Benedikt, wie er in seiner Regensburger Re- ter Vernachlässigung der evangelischen Seite – auf die Ortho- de am 12. September 2006 ausführte, die Objektivität des Glau- doxie, pflegte Joseph Ratzinger in allen Phasen seiner akademi- bens auch dadurch gefährdet, „dass Luther und die Reformatoren schen und kirchlichen Laufbahn auch zu evangelischen Kreisen durch das Sola Scriptura-Prinzip den kirchlichen Glauben von und Persönlichkeiten Kontakte. Fast 20 Jahre lang (1964-81) der Metaphysik befreien wollten, was nach Benedikt dem kon- gehörte er dem Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und kreten Weg der christlichen Theologie in der Dogmengeschichte katholischer Theologen (Jaeger-Stählin-Kreis) an, dessen „kor- nicht gerecht wird und einer unzulässigen Entgegensetzung von respondierendes Mitglied“ er weitere 24 Jahre bis zum Amtsan- Glaube und Vernunft den Weg bereitet.“. Damit hätten Luther tritt als Papst blieb, und förderte alle Bestrebungen zu einer An- und die Reformatoren zugleich der später seit Immanuel Kant in näherung der beiden abendländischen Konfessionen. So bejah- der idealistischen Philosophie vollzogenen Trennung von Glau- te er in den 1970er Jahren den Vorschlag seines Schülers Vin- be und Vernunft überhaupt und so der modernen Emanzipie- zenz Pfnür, die Confessio Augustana als ökumenisches Be- rung der Wissenschaft von der Religion den Weg eröffnet. kenntnis auch römischerseits anzuerkennen13. Auch war es sei- nem persönlichen Einsatz als Präfekt der Glaubenskongrega- b) Zurückhaltung gegenüber ekklesiologischen Maxi - tion zu verdanken, dass die 10 Jahre lang vorbereitete „Ge- mal forderungen meinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (GER) – trotz In der Sicht von Joseph Ratzinger liegt der Erwartung „un- auftretender Widerstände auf beiden Seiten – schließlich doch serer lutherischen Freunde“ (wie er sich auszudrücken pflegt) – noch zustande kommen und am Reformationstag, dem 31. Okt- auf volle römisch-katholische Anerkennung ihres ebenbürtigen ober des Jahres 1999 im Augsburger Dom feierlich unterzeich- Kircheseins die widersprüchliche Vorstellung zugrunde, dass net werden konnte. Rom ihre Landeskirchen als Kirche auch im katholischen Sin- ne anerkennen solle. Das erscheint ihm jedoch rein logisch un- d) Sympathie mit Bestrebungen zu einer „christozentri- möglich11. Denn damit würde ja die ekklesiale Identität der schen Bekenntnis-Ökumene“ evangelischen und der katholischen – wie auch orthodoxen – Eine besonders wohlwollende Haltung hat Joseph Ratzinger Kirche postuliert, ungeachtet der Tatsache, dass ersterer eben den Bekennenden Evangelischen Gemeinschaften gegenüber das für den katholischen Kirchenbegriff konstitutive Wesens- eingenommen – und tut dies auch weiterhin –, welche durch ih- merkmal der apostolischen Amtnachfolge im Bischofsamt und re Verlautbarungen und Aktionen den Entstellungen christlichen damit der Weiheämter überhaupt wie auch der Gültigkeit ihrer Glaubens und christlicher Ethik entgegentreten und vor ihrem Sakramentsverwaltung fehlt. Von dieser Haltung wird, ja kann Eindringen in die Kirchen warnen wollen. Schon zu seiner Zeit er auch als Papst niemals abrücken. Dies ist das Wahrheitsmo- als Erzbischof von München hat er z.B. eine von der Konferenz ment in der Bemerkung Käßmanns – die insgesamt freilich zu- Bekennender Gemeinschaften herausgegebene Warnung vor der tiefst irreführend ist und Benedikts tatsächlichem ökumeni- Einführung gruppendynamischer Praktiken in die kirchliche Aus- schem Bemühen in keiner Weise gerecht wird – sie erwarte von bildungspraxis – die übrigens auch heute noch in Priestersemina- ihm ökumenisch nichts. ren gepflegt werden – in seiner Erzdiözese verbreiten lassen. Der Weg zu einer evangelisch-katholischen Wiedervereini- Ebenso begrüßte er die seit dem ersten Europäischen Bekennt- gung kann für ihn nur durch die Auffüllung des von ihm gese- nis-Kongress von uns in Angriff genommenen Bestrebungen zur henen ekklesiologischen Defizits der evangelischen kirchlichen Bildung einer ökumenischen Verbindung glaubenstreuer Chri- Gemeinschaften gehen. Sie müssten die bischöfliche Ämterord- sten und Gemeinschaften quer über die Grenzen von Konfessio- nung in apostolischer Sukzession übernehmen sowie den Pri- nen und Kirchen (bzw. geistlichen Gemeinschaften), die in Ab- mat des Bischofs von Rom als Träger eines gesamtkirchlichen wehr eines vom Genfer Weltkirchenrat her verbreiteten „Säkular - Petrusdienstes anerkennen. Eben das war die Voraussetzung da- ökumenismus“ sowie synkretistischer Formen in ter religiösen Di- für, dass Papst Benedikt im Jahre 2009 einer korporativen Inte- alogs eine glaubenstreue Alternative entgegenzusetzen suchen. gration anglikanischer Teilgemeinschaften in die Römisch-ka- Dieser Bestrebung gaben wir bei unserm VII. Europäischen Be- tholische Kirche zustimmte.12 kenntnis-Kongress im Oktober 2004 in Freudenstadt die Be- zeichnung „Christozentrische Bekenntnis-Ökumene“. An die Teilnehmer dieser in evangelischer und katholischer Trägerschaft veranstalteten Konferenz richtete Joseph Cardinal Ratzinger ein ermutigendes Grußwort14, dem ich folgendes Zitat entnehme: Münster 1966 und stimmte im Jahre 2002 als Kurienkardinal auch dem Wiederabdruck in der Neuauflage zu, die nun den Untertitel „Mit großer Freude hab ich vom 7. Europäischen Bekennt- trug „Der Ursprung der anthropozentrischen Religion“, verlag nova niskongress erfahren, auf dem Sie sich dem drängenden Thema & vetera, Bonn 2002, 32009. – Anerkennend bezieht sich Joseph ‚Der christliche Glaube und die Zukunft Europas’ stellen. Ratzinger auf Paul Hacker in dem Interview zum Thema „Luther und die Einheit der Kirchen“ in: Internationale katholische Zeit- schrift Nov. 1983 (6/83) S. 368-382 , hier S. 369. 11 Vgl. das FAZ-Interview (Nr. 221, 22.09.2000, S. 51f) „Es scheint mir absurd, was unsere evangelischen Freunde jetzt wollen“. 12 Siehe das vatikanische Dokument: Benedikt xvi. Apostolische Kon- 13 Siehe hierzu: J. Ratzinger: „Klarstellungen zur Frage der ’Anerken- stitution Anglicanorum coetibus über die Errichtung von Personal- nung’ der Confessio Augustana durch die katholische Kirche“, in: ordinariaten für Anglikaner, die in die volle Gemeinschaft mit der ders.: Theologische Prinzipienlehre. München 1982, S. 230-241. Katholischen Kirche eintreten, www.kath.net/detail.php?id=24488 14 Abgedruckt in DIAKRISIS 25. Jg. 4/2004, S. 211.

– 163 – – 164 – Wir stehen in einer Epoche, die versucht ist, den christlichen Wort melden. Allen voran richtete Mitte April 2010 sein Riva- Glauben an den Rand zu drängen, ja sogar die christlichen Wur- le Hans Küng einen Offenen Brief an die Bischöfe und forder- zeln europäischen Glaubens verleugnen oder abschneiden zu te sie zum Widerstand auf. Er begründet das mit der triumphie- wollen. Für uns gläubige Christen aber ist dies eine historische renden Aussage: „ Ratzingers Restaurationspolitik ist geschei- Stunde, die eine neue Verbundenheit und Zusammenarbeit über tert.“ Darum sollten die Bischöfe, statt Ergebenheitsadressen die Grenzen der Konfessionen hinweg gebietet. Das gemeinsa- nach Rom zu senden, den Papst zu überfälligen Reformen auf- me Zeugnis zum Glauben an Gott den Schöpfer und an den fordern. Auffällig war, dass die Punkte in Küngs vernichtender Herrn Jesus Christus, der allein der Weg zu Heil und Frieden Beanstandung angeblichen Scheiterns von Benedikts Pontifikat ist, wird so in neuer Weise herausgefordert. …“ fast wörtlich denen entsprachen, die gleichzeitig im SPIEGEL Auch in den folgenden ersten fünf Jahren seines Pontifikates vorgeführt wurden. Evangelischen Beobachtern bleibt es dabei hat Benedikt XVI. die Bemühungen der Internationalen Konfe- nicht verborgen, dass trotz pflichtschuldiger Beteuerung der renz Bekennender Gemeinschaften um die Bildung einer „Tri- Loyalität nur wenige katholische Professoren wie auch Bischö- nitarisch-christozentrischen Bekenntnis-Ökumene“ aufmerk- fe den Papst in einer ähnlichen Leidenschaftlichkeit in Schutz sam verfolgt. So war es mir eine Freude, bei einer ausgiebigen nehmen, wie sie ihm von weltlicher Seite her negativ entgegen- Privataudienz, die er mir anlässlich des Treffens seines Schüler- schlägt. kreises am 29. August 2009 auf seiner Sommerresidenz in Ca- stel Gandolfo gewährte, ihm über unsere Fortschritte und Pläne c) Die Unsachlichkeit und Unhaltbarkeit der Vorwürfe ausführlich berichten zu können. Das Sträfliche bei der monomanen Kritik an angeblichen Fehlern im Tun oder Unterlassen der päpstlichen Amtsführung ist der Umstand, dass die alten und neuen Gegner Benedikts IV. Beurteilung gegenwärtiger Angriffe auf Papst XVI. sich selten bemühen, deren Tatsächlichkeit wirklich zu und Kirche prüfen bzw. auf die innere Motivation seines Handelns einzuge- hen. Zwei Beispiele mögen genügen, um dies aufzuzeigen: a) Umschwung der öffentlichen Meinung Spätestens seit der Aufdeckung zahlreicher Fälle von sexuel- 1. Das Bemühen um die Pius-Bruderschaft lem Missbrauch an kirchlichen Erziehungsinstitutionen im Ja- Als besonders fatal wird dem Papst unentwegt angekreidet, nuar 2010, aber schon im Jahre zuvor, als Papst Benedikt die dass unter den von ihm wieder in die Sakramentsgemeinschaft Exkommunikation der vier unkanonisch geweihten Bischöfe aufgenommenen vier Pius-Bischöfen einer, nämlich der Eng- der Bruderschaft Pius X. aufhob, zeigt sich in großen Teilen der länder Richard Williamson (*1940), den Holocaust in Ausmaß Presse sowie im Fernsehen und Rundfunk eine sich ständig ver- und Gestalt abstreitet. Daraus wird generalisierend ein „Antise- schärfende Kritik an seiner Amtsführung. Der katholische Jour- mitismus“ der Priesterbruderschaft überhaupt konstruiert, der nalist Andreas Püttmann hat diese Kehrtwende in der Medien- unausweichlich wie ein Schatten auch auf die Haltung Bene- welt auf den Punkt gebracht in der Formel „Vom Hosianna zum dikts dem Judentum gegenüber fällt. – Bestätigt sieht man die- Kreuziget ihn!“ Diese links-liberale, z.T. sogar „konservative“ sen Vorwurf dadurch, dass Benedikt im Februar 2008 die in der Kritik steigert sich zu direkten Angriffen und trägt demagogi- Tridentinischen Messe enthaltene Karfreitagsfürbitte für die sche Züge, indem sie eine Stimmung von Verachtung und Hass Bekehrung der Juden trotz des Protests von jüdischer Seite her zu schüren sucht. Kurz vor Ostern erschienen im SPIEGEL, in neu formuliert hat, wenn auch in dem milderen Wortlaut einer der ZEIT und im STERN Artikel unter Überschriften wie „Die Erleuchtung des Volkes Israel. gescheiterte Mission des Joseph Ratzinger“15 oder „Bürger Zum ersteren ist widerlegend zu sagen, dass zu dem Zeit- rechnen mit Papst und Kirche ab“. Wesentlich unter diesem punkt, als der Papst die Exkommunikation der Pius-Bischöfe Einfluss kam es zu einem in denselben Organen fast schaden- auf hob, nicht von dem Interview mit Williamson in Zaitzkofen froh berichteten öffentlichen Vertrauensverlust von Katholi- vom September 2009 gewußt hatte, das erst nun vom schwedi- scher Kirche und Papst. Angeblich kam es – nachdem 2007 schen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Als er es dann hernach er- noch 70 % aller Deutschen die Arbeit Benedikts als gut bzw. fuhr, distanzierte er sich in aller Deutlichkeit von jeglicher Ver- sehr gut bewertet hatten – von Ende Januar bis Mitte März 2010 harmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden. zu einem Sinken im Ansehen der Kirche von 56 auf 34, des Noch unsinniger, ja böswilliger aber ist es, Benedikt XVI. ei- Papstes von 62 auf 39 %. Nur noch jeder 3. Deutsche findet nen offenen oder latenten Antisemitismus zu unterstellen. Im heute laut Forsa dessen Amtsführung gut bzw. sehr gut. Das Gegenteil hat Joseph Ratzinger zu allen Zeiten eine große Sym- vormalige Klischee vom reaktionären „Panzerkardinal“ Ratzin- pathie mit Israel gehegt und sich auch um eine bußfertige Ver- ger wurde nun aus seiner zeitweiligen Versenkung geholt und söhnung der Kirche mit den Juden bemüht. Das zeigten ergrei- flugs auch auf ihn als Papst übertragen. fend seine Besuche schon 2006 in Auschwitz, 2009 in Yad Vas- hem wie schließlich in der jüdischen Synagoge in Rom am 17. b) Das Wiedererstarken der innerkirchlichen Kritik Januar 2010. Bei diesem sprach sich Papst Benedikt XVI. für Besorgniserregender noch ist die Tatsache, dass bei dieser die weitere Aussöhnung zwischen Christen und Juden aus. In Umorientierung in der säkularen Presse sich auch innerkirch- seiner Ansprache verurteilte er jegliche Form der Judenfeind- lich früher aufgetretene Kritiker Joseph Ratzingers wieder zu lichkeit und entschuldigte sich für das Fehlverhalten von Chri- sten gegenüber jüdischen Mitbürgern. „Mögen die Wunden des Antisemitismus für immer heilen“, sagte das Kirchenoberhaupt in der römischen Synagoge. Auch bemüht er sich seit langem um einen lernbereiten the- ologischen Dialog. Ich erinnere mich an einen Vortrag, den Jo- 15 Der Covertitel der Nr. 14/2010 (3. 4. 2010) war: DER UNFEHLBA- seph Kardinal Ratzinger im Februar 1984 auf einer Konferenz RE – Die gescheiterte Mission des Joseph Ratzinger. christlicher und jüdischer Führer in Jerusalem hielt. Darin be-

– 165 – – 166 – zeugte er, wie sinnlos ihm schon in seiner Kindheit die Ankla- alttestamentlich begründete (v. a. Sacharja 12 und 14) Zeugnis ge erschienen sei, die Juden hätten Jesu Tod verschuldet, habe des Paulus von der endzeitlichen Errettung ganz Israels als Auf- dieser doch mit seinem Tod die Welt mit Gott versöhnt. Jene takt zur Aufrichtung des Gottesreiches durch den wiederkom- Konferenz war einberufen worden von dem Rabbiner David menden Christus. Wenn sich Benedikt XVI. als ein geistlicher Rosen, dem Vorsitzender des Internationalen Komitees für Wegbereiter dieses Geschehens erweisen sollte, wäre ihm ihre Interreligiöse Beratungen. Auch heute sieht dieser trotz der Vor- dankbare Anerkennung und Unterstützung gewiss. würfe von christlicher und z. T. auch von konservativ jüdischer Seite her den jüdisch-christlichen Dialog nicht in Gefahr; denn, 2. „Vertuschung“ von Missbrauch so nahm er seinen Bekannten in Schutz, „wer seine Schriften Hans Küng erzählt vielen Journalisten, Benedikt verfüge über kennt, wird das nicht ernsthaft annehmen“. ein System wie die Stasi. Seine Glaubenskongregation sei ein In Bezug auf die erneuerte Karfreitagsfürbitte für die Juden16 „Vertuschungssystem“, das den Missbrauch in der Kirche regel- ist biblisch-theologisch zu bedenken, dass diese ja fern jeder recht gesteuert habe. In Wahrheit zentralisierte er nach Auf - Diskriminierung ihre Begründung in der von dem Juden Paulus deckung der US-Skandale im Jahre 2001 die gemeldeten Miss- in Römer 11 entwickelten heilsgeschichtlichen Vision begrün- brauchsfälle in seinem Dikasterium und ließ Richtlinien erarbei- det liegt, dass am Ende in Vollendung der Evangelisierung der ten, um ihnen von der autoritativen vatikanischen Ebene her Völker auch das ersterwählte Volk Israel von dem es gegenwär- wirksamer begegnen zu können, als dies den Diözesanbischöfen tig bestimmenden „Geist der Betäubung“ (Zürcher Überset- möglich ist aufgrund persönlicher Rücksichtnahmen und örtli- zung) befreit sein werden wird und es dann als ganzes von Gott chem Meinungsdruck. Es mag sein, dass er dies selber als Erz- wieder angenommen und in seine vormalige Stellung eingesetzt bischof von München-Freising erfahren hatte, als er einen schul- werden wird. Paulus prophezeit (V. 26f): „Dann wird ganz Is- dig gewordenen Priester in der Hoffnung auf dessen Sinneswan- rael gerettet werden, wie es in der Schrift heißt: Der Retter wird del pastoral schonend zur therapeutischen Behandlung nach aus Zion kommen, / er wird alle Gottlosigkeit von Jakob entfer- München kommen ließ – der dann später von der Kirchenleitung nen. Das ist der Bund, den ich ihnen gewähre, / wenn ich ihre in einer anderen Gemeinde wieder eingesetzt wurde – statt ihn, Sünden wegnehme“ (Einheitsübersetzung). wie er das seit 2001 tun würde, sofort durch Amtsenthebung zu Diese Schau wird in der heutigen kirchlichen Theologie bei- disziplinieren. Seither hat er in einigen Fällen schärfer durchge- der Konfessionen ebenso wie auch im christlich-jüdischen Dia- griffen, als das bisher von Rom her geschehen war. log geflissentlich übersehen. An die Stelle des vormaligen Mü- Wie Benedikt XVI. nunmehr den Skandalen sexuellen Miß- hens um die Gewinnung der Juden für das Evangelium vom brauchs zu begegnen gedenkt, hat er in eindrucksvoller Weise Versöhnungstode Jesu Christi für „Juden und Heiden“ (Röm in seinem am 19. März 2010 unterzeichneten und weltweit ver- 1,16) ist nun das wie ein Dogma behandelte Theologem vom öffentlichten Hirtenbrief18 an die Katholiken in Irland gezeigt. „ungekündigten Bund“ Israels mit Gott getreten. Deswegen ist In diesem verbinden sich in vorbildlicher Weise tiefer Schmerz, die Judenmission völlig in Diskredit geraten, so sehr, dass man verstehende pastorale Liebe und zugleich kompromisslose sogar in der biblisch begründeten Fürbitte für die Erleuchtung Kampfansage gegen die Schändung der Gebote Gottes und die und Bekehrung der Juden einen Rückfall in einen kirchlichen Heiligkeit der Kirche Christi. Dieses päpstliche Pastoralschrei- Antisemitismus und einen indirekten Aufruf zur Missionierung ben hat nicht nur situationelle regionale Bedeutung; vielmehr Israels („geistige Verlängerung des Holocaust“) erblickt. ist es zugleich eine grundlegende Erklärung über den Umgang Die Wahl Joseph Ratzingers im Mai 2005 hat in katholischen des Nachfolgers Petri mit der Zerstörung der sittlichen Ordnung Kreisen die dem irischen Erzbischofs Malachias zugeschriebe- durch Amtsträger der Kirche überhaupt. Damit ist prinzipiell nen Prophezeiungen wieder ins Blickfeld rücken lassen.17 Er der ständig wiederholte Vorwurf des „Schweigens“ Benedikts soll im Jahr 1139 in Rom eine Vision gehabt haben, die ihm al- zu gleichartigen Skandalen anderswo wie besonders auch in le Päpste bis ans Ende der Zeit zeigte. Für den neuen Papst Be- seiner eigenen Heimatkirche in Deutschland entkräftet. nedikt XVI. hält Malachias den Leitspruch „Der Ruhm des Öl- baums“ (Gloria Olivae) bereit. Vor dem Konklave hatten dies d) Das eigentliche – antikirchliche und antichristliche – Beobachter als Hinweis auf das Judentum gedeutet, das vom Leitmotiv der Angriffe Apostel Paulus als „edler Ölbaum“ (Röm 11,24) bezeichnet Die Häme, die sich in den beständigen Vorhaltungen angeb- wird. – Evangelischen Christen ist die Malachias-Weissagung lichen Versagens des Papstes in gebetsmühlenartig wiederhol- kaum bekannt; aber um so ernster nehmen Bibelgläubige das ten Formulierungen kundtut, ist letztlich kein Ausdruck echter moralischer Empörung der weltlichen wie auch innerkirch- lichen Kritiker, zumal manche unter ihnen ähnliche Verletzun- gen der sittlichen Normen bei anderen tolerieren, ja sich ihrer selber als ideologische Befürworter von Pädophilie schuldig machten. Hinter den Vorhaltungen verbirgt sich etwas anderes, nämlich eine grundsätzliche Absage an das Lehramt der Kirche 16 Der neue Text lautet: „Wir wollen beten für die Juden. Dass unser sowie ihrer Morallehre überhaupt. Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erken- nen, den Heiland aller Menschen. Lasset uns beten. Beugen wir die Die Felsenhaftigkeit, mit der Benedikt XVI. die Lehrtradi- Knie. Erhebet Euch. Allmächtiger ewiger Gott, der Du willst, dass tion und die Ordnungen seiner Kirche gegenüber den Reform- alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit ge- forderungen „im Geist des Konzils“ wahrt und verteidigt, ist langen, gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. (oder: dass ganz Israel geret- tet werde, wenn die Fülle aller Völker in Deine Kirche eintritt). Durch Christus, unseren Herrn.“ 17 Hildebrand Troll: Die Papstweissagung des Heiligen Malachias. Eos Verlag St. Ottilien 2001. 18 Dieser Hirtenbrief erschien u. a. am 8. Mai in Welt Online.

– 167 – – 168 – denen ein Dorn im Auge, die wie die Anwälte einer „Kirche von logischer Übereinstimmung schon damals eine innere Reserve unten“ sich eine andere Kirche und einen dieser entsprechenden gegen alle millennialistischen Träume. Gewiss sucht auch er anderen Papst wünschen. Darum sprechen sie wie Hans Küng die junge Generation zum hoffnungsvollen Angreifen ihrer Be- und der SPIEGEL von Benedikt als dem „gescheiterten Papst“. rufung zum Dienst in Kirche und Gesellschaft zu ermutigen. In Diese Unfairness wird auch von evangelischen Kommentatoren, festlichen Augenblicken gelingt ihm das wohl; aber der Blick in ja sogar von prominenten Juden gebrandmarkt. So bemerkt Ed die Zukunft scheint eher von der biblischen Schau des doppel- Koch, der ehemalige jüdische Oberbürgermeister von New York: ten Ausgangs der Geschichte bestimmt, von dessen dunkler „Ich meine, dass die ständigen Medienangriffe auf die rö- Seite er schon beim Erleben der marxistischen Studentenrevo- misch-katholische Kirche und Papst Benedikt Ausdruck eines lution in seiner Tübinger Zeit eine Vorahnung gewann. Das Antikatholizismus sind. Viele von denen, die jetzt gegen die ka- zeichnet sich hin und wieder in einer gewissen Melancholie sei- tholische Kirche hämmern, tun dies mit innerer Genugtuung, ner Gesichtszüge ab – sogar bei der Feier der Osternacht. und einige sogar mit Böswilligkeit.“ b) Sein Wissen um die Ambivalenz von Kirche und Papsttum Dem „dominanten liberalen Fundamentalismus“ (J. Isensee) sind Wahrheitsanspruch und strenge Moralvorschriften der Kir- Joseph Ratzinger weiß um den geistlich-moralischen Nie- che ein Greuel. Empörung über Missbrauch artikuliert sich in dergang in seiner Kirche bzw. der Christenheit generell. Noch Tribunalen gegen die kirchliche Sexualmoral. Journalisten tun am Vormittag vor dem Wahlkonklave zeichnete er ein scho- es besonders gehässig, weil sie selber die grundlegenden katho- nungsloses Bild vom realen Zustand seiner Kirche. „Wie viel lischen Positionen zur Abtreibung, Ehescheidung, Verhütung Schmutz gibt es in ihr, gerade auch unter denen, die im Priester- und Homosexualität ablehnen. Viele der Kirche innerlich ent- tum dem himmlischen Herrn ganz angehören sollten?“ fragte er fremdete Katholiken nehmen die aufgedeckten Fälle von Miss- nicht etwa in rhetorischer Überspitzung. Er möchte einen Prozess brauch als Vorwand zur Begründung des eigenen Kirchenaus- der Reinigung und Erneuerung anstoßen, möchte, „dass das Wort tritts. Aus aktueller Teilkritik wird eine generelle antikirchliche Gottes in seiner Größe und Reinheit erhalten bleibt – gegen alle Kampagne. Die Kritik an Schwächen päpstlicher Amtsführung, Versuche der Anpassung und Verwässerung“. Übereinstimmende die z. T. schon zuvor in einer mangelnden Koordinierung vati- Sätze könnten auch von einem reformatorischen Prediger gesagt kanischer Bürokratie und Kommunikation begründet liegen, worden sein! Obwohl er die lutherische Formel des „simul justus gerät zur Ablehnung des von Christus selbst eingesetzten Pe- simul peccator“ auch im Blick auf die Kirche nicht gebrauchen trusamtes überhaupt. Man betrachtet den Papst als Funktionär, würde, hat er schon in seiner frühen Studie über das Neue Volk nicht als Vicarius Christi. Hans Küng vermag in seinem Brief Gottes die im Evangelium (Matth 16,23) selbst angedeutete an die Bischöfe den Begriff „Stellvertreter Christi“ nur als of- skandalöse Möglichkeit eines jähen Umschlages von Kirche in 21 fenbar absurde Vorstellung zu apostrophieren. Man will einen Antikirche, vom Felsen in Satan aufgewiesen . Papst als Exponenten demokratischer Mehrheitsmeinung. Ver- räterisch ist Küngs Begründung für seine Behauptung, Bene- c) Sein Bemühen um Wiedervereinigung der getrennten dikt XVI. sei „gescheitert“: „Alle seine Auftritte, Reisen und Kirchen Do kumente vermöchten die Auffassungen der meisten Katholi- Joseph Ratzinger ist lehrgetreuer Katholik auch in dem Sin- ken in kontroversen Fragen, besonders der Sexualmoral, nicht ne, dass er die im Credo bekannte eine heilige Kirche in der rö- im Sinne der römischen Doktrin zu verändern.“ misch katholischen schon verwirklicht sieht. Das betonte er in Als Problemanzeige mag diese Beobachtung weitgehend zu- der von ihm als Präfekten der Glaubenskongregation im Jahre treffen. Aber den gesuchten Beweis dafür, dass die katholische 2000 verfassten Erklärung DOMINUS JESUS und bestätigte es Sexualmoral, die doch im Wesentlichen die biblisch-christliche in der von seinem Nachfolger William Kardinal Levada am 29. ist, überholt ist, vermag sie nicht zu liefern. Nicht darauf kommt Juni 2007 veröffentlichten Erklärung „Antworten auf Fragen zu es an, dass wir für unsere Verkündigung mehrheitliche Zustim- einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“. mung finden, sondern allein darauf, dass sie sich in Überein- Aber die Wesensmerkmale der Kirche findet er auch in den stimmung mit Gottes offenbartem Wort in Gesetz und Evange- andern Konfessionen, zumal den orthodoxen Kirchen des lium befindet. In dieser Überzeugung dürfen sich dem Papst Ostens; denn mit ihnen „haben wir fast alles gemeinsam“. Ge- loyal bleibende Katholiken und bekennende evangelische The- mäß dem Ökumenismus-Dekret (Kap. 4) bejaht er geistliche ologen ganz in der Linie der biblischen Propheten wissen. Elemente – obwohl in minderem Maße – auch in den evangeli- schen kirchlichen Gemeinschaften, in denen er echte Glaubens- brüder und -schwestern persönlich kennt. Er leidet unter der V. Eine Zukunftsperspektive Getrenntheit der Christenheit und hat sich das Vorantreiben des a) Unterschied zum Geschichtsoptimismus von Johannes ökumenischen Einigungsprozesses zum Programm seines Pon- Paul II. Einer der bemerkenswerten Unterschiede zwischen der Grundausrichtung im Sendungsbewusstsein Benedikts XVI. und dem seines großen Vorgängers, wie er schon beim Ver- gleich ihrer körperlichen Gestalt, ihrer Mimik wie auch ihres 19 Vgl. meinen Artikel: „Der Papstwechsel – bekenntnisökumenisch öffentlichen Auftretens auffällt, ist die strahlende Zukunfts- gesehen“, in: DIAKRISIS 26. Jg., 2/2005, S. 105-116. 20 schau des polnischen Papstes, die bei seinem deutschen Nach- Apostolisches Schreiben TERTIO MILLENNIO ADVENIENTE von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, Priester und Gläubigen folger nur verhalten fortgesetzt wird.19 Johannes Paul II. sah in zur Vorbereitung auf das Jubeljahr 2000 – 10. November 1994 (Ver- der ersten und mittleren Phase seines Pontifikates mit hohen Er- lautbarungen des Apostolischen Stuhls 119). Herausgeber: Sekreta- 20 wartungen dem dritten Millennium entgegen , dessen Anbruch riat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn. in Gestalt einer „Zivilisation der Liebe“ er vorbereiten wollte. 21 Joseph Ratzinger: Das neue Volk Gottes, Patmos Verlag Düsseldorf Sein getreuer Paladin Ratzinger hegte trotz weitgehender theo- 1972, S. 80-84.

– 169 – – 170 – tifikats gemacht. Manches ist ihm in dieser Beziehung zu seiner In dieser Situation rücken auch bekennende evangelische Freude auch gelungen. Christen und glaubenstreue Katholiken näher aneinander. Sie Falls es zu einer erhofften evangelisch-katholischen Wie der- empfinden geistliche Solidarität mit dem Papst und verteidigen ver einigung kommen sollte, bedeutete das allerdings für die evan - ihn gegen ungerechte Angriffe. In dem Maße, wie sie in den Äu- gelische Seite, ihr ekklesiologisches Defizit zu erkennen und be- ßerungen und im Verhalten des Papstes Demut und Bußbereit- reit zu werden, es von katholischer Seite her auffüllen zu lassen. schaft vernehmen, werden sie auch dazu bereit, seinen Petrus- Hierzu finden sich auf evangelischer Seite gegensätzliche dienst auch für sich zu erkennen und dankbar anzunehmen. Denn Haltungen: Die Einen, d. h. die Kirchenleitungen und die große gerade die Buße für eigenes Versagen und die stellvertretende für Mehrheit des Kirchenvolkes, erkennen diese Bedingungen nicht die noch gravierenderen Sünden von anderen Verantwortungsträ- an. Sie erwarten weiterhin, dass Rom ihnen durch Anerkennung gern der Kirche, welche diese in den Augen der Zeitgenossen un- der Ämter und Zulassung zu den Sakramenten entgegenkommt. glaubwürdig erscheinen lassen, ist der einzige Weg, verlorenes Weil aber auch Benedikt wie alle seine Vorgänger dazu nicht be- Vertrauen Schritt für Schritt wiederzugewinnen. Das hat einst der reit ist (bzw. sein kann) – siehe Dominus Jesus – konnte Margot Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Reaktionen Käßmann sagen, sie erwarte ökumenisch von diesem Papst nichts. auf deren berühmtes Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 be- Eine Minderheit ökumenisch aufgeschlossener Lutheraner22 freiend erfahren. So sollten, meine ich, sich heute katholische wäre hingegen bereit, ein Petrusamt und die apostolische Amts- und evangelische Christen gemeinsam unter der Last offenbar nachfolge anzuerkennen und sich in die Katholische Kirche ein- gewordener Schuld beugen und damit dem Vorbild ihres gemein- gliedern zu lassen, unter gleichzeitiger Bewahrung ihres geistlich samen Herrn Jesus folgen, der zu Beginn seines messianischen legitimen evangelischen Erbes. Diesen Weg geht zur Zeit eine Wirkens als Beispiel stellvertretend für alle Sünder die Bußtaufe große Gruppe von Anglokatholiken, auf der Basis eines dafür er- des Johannes empfing (Matth 4,13-15). stellten vatikanischen Dokuments („Anglicanorum coetibus“). In diese Richtung weist ein Wort, dass Benedikt XVI. im Blick auf seinen bevorstehenden Besuch am 12. und 13. Mai d) Zustimmung zu einer „christozentrischen Bekenntnis- 2010 in Fatima aussprach: „Wir Christen haben auch in jüng- Ökumene“ ster Zeit das Wort ‚Buße’ vermieden, weil es uns zu hart er- Im Oktober 2004 richtete Joseph Kardinal Ratzinger eine schien. Aber angesichts der Angriffe der Welt, die von unseren (oben zitierte) Glückwunschadresse an den von mir geleiteten Sünden spricht, erkennen wir, dass es eine Gnade ist, Buße tun VII. Europäischen = I. Ökumenischen Bekenntnis-Kongress in zu können.“24 In ähnlicher Weise äußerte er sich dann auf dem Freudenstadt, den er interessiert beobachtete. In diesen Sätzen Fluge nach Portugal zu den mitreisenden Journalisten. Er brachte er genau das in lapidarer Weise zum Ausdruck, was wir schlug dabei eine Aufsehen erweckende Brücke zwischen den schon seit dem ersten Europäischen Bekenntnis-Kongress am dunklen Prophezeiungen von Fatima und dem Missbrauchskan- Himmelfahrtstag 1974 in Berlin in wachsender Verständigung dal: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von äuße- und Zusammenarbeit mit gleichgesonnenen katholischen und ren Feinden. Sie wurde von den Sünden innerhalb der Kirche orthodoxen Mitchristen und Amtsbrüdern unter dem Leitwort geboren. Darum müsse sie durch „Sühne, Gebet, Akzeptanz „Bekenntnis-Ökumene“ vertraten. und auch Vergebung einen Weg aus den Skandalen finden ….“25 In dieselbe Richtung zielte ein nachweihnachtlicher Gruß im f) Die Möglichkeit eines kommenden eigenen Leidensweges Jahre zuvor (Januar 2003), in dem er schrieb23: Joseph Ratzinger hat sich nach dem Papstamt nicht ge- „Gerade in dieser Woche [gemeint war hier die Gebetswo- drängt; im Gegenteil ahnte er, dass dies für dessen Inhaber ei- che für die Einheit der Christenheit] aber nicht nur in ihr, beten nen Leidensweg in der Nachfolge Christi bedeuten würde. wir gemeinsam darum, daß der Herr die getrennte Christenheit Schon vor 23 Jahren hat der damalige Erzbischof von Mün- zusammenführen und uns Einheit geben möge im Kampf mit chen, Kardinal Ratzinger, in einem Symposion in Rom darge- den Mächten der Finsternis, die bis mitten in die Kirche hinein- legt, daß der uns Protestanten so anmaßend erscheinende Titel wirken. In der Verbundenheit solchen Bekennens wünsche ich „Vicarius Christi“ zutiefst Berufung in die Kreuzesnachfolge Ihnen mit Ihrer Gattin Gottes Segen für das begonnene Jahr Ihr (vgl. Joh 21,18f.) bedeutet. + Joseph Cardinal Ratzinger.“ So sah er beim Verlauf des Konklaves die „Guillotine“ auf 26 Ähnlich schrieb er am 10. März 2004 an mich: sich zukommen , zunächst wohl im Sinne der Übernahme einer „Für mich ist es immer wieder ein ermutigendes Zeichen zu sehen, wie nahe wir in der Beurteilung der Situation von Kir- che und Welt wie in dem grundlegenden Akt des Glaubens ste- hen. Diese Erfahrung gehört zu den vielfältigen kleinen Zei- 22 Dies ist die Haltung des „Bundes für evangelisch-katholische Einheit“. chen, die mich neu spüren lassen, dass der Her mitten in den 23 Der Abdruck der beiden folgenden Zitate aus persönlichen Briefen Stürmen der Zeit im Boot der Kirche bleibt, auch wenn er zu von Kardinal Ratzinger an den Autor erfolgt mit dem freundlichen schlafen scheint … Aber ich bin doch gewiss, dass der Herr den Einverständnis des nunmehrigen Papstes Benedikt XVI. Petrusnachfolgern auch weiter zur Seite stehen wird. Die Ge- 24 Zitiert nach KIRCHE heute 17. Jg. Mai/2010, S. 6. schichte zeigt, dass da, wo alles zu zerbrechen scheint, vom 25 Zitiert nach Schwäbisches Tagblatt 12. Mai 2010 S. 1. Herrn her immer wieder die Erneuerung kam. So dürfen wir 26 „Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, daß getrosten Mutes weitergehen.“ sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu e) „Die wahre Stunde des Papstes ist jetzt gekommen“ haben und nun auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir vermutet Peter Seewald in einem Artikel in kath.net „Der dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Papst hat zu Beginn seines Pontifikates die Reinigung der Kirche Elan und mit ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe herantreten als wichtigste Aufgabe genannt. Jetzt ist sie ganz gekommen.“ können …“. (Auszug aus der Rede des neugewählten Papstes Bene-

– 171 – – 172 – übermenschlichen Last und unausweichlicher Anfeindungen so- trus Romanus“ („Peter der Römer“) werde von einer Moslem - wohl außerkirchlicher als auch innerkirchlicher Art. Beides ge- invasion zum Verlassen der Ewigen Stadt gezwungen werden schieht seit der Aufdeckung massenhafter Missbrauchsfälle in und im Exil einen qualvollen Tod sterben. katholischen Institutionen im Januar 2010 vor unsern Augen. Auch auf den heutigen Papst Benedikt könnten noch massive Da sich hinter dieser Kritik ein tief sitzender Hass gegen den äußere Bedrängnisse zukommen. Versuche in dieser Richtung christlichen Glauben mit dessen sittlichen Implikationen regt, werden derzeit in den USA und in Großbritannien unternommen. sind letztlich auch glaubenstreue evangelische Christen als an- So wollen Anwälte in Amerika den Papst persönlich für Miß- gebliche Fundamentalisten und geistige Friedenstörer davon bräuche durch katholische Priester verantwortlich machen und betroffen. seine Vorladung vor weltliche Gerichte durchsetzen. Noch wei- Mitunter regt sich bei bibeltreuen Christen, die ihre Auf- ter preschen die beiden atheistischen Schriftsteller Richard Daw - merksamkeit besonders auf die eschatologischen Prophezeiun- kins und Christopher Hitchens vor mit ihrer Forderung, ihn zu gen richten, der Eindruck, dass die gegenwärtigen Bedräng- verhaften, sobald er britischen Boden betritt. Das würde aktuell nisse schon der Auftakt zu ihrer endzeitlichen Verfolgung durch werden, wenn Benedikt XVI. im Herbst d. J. England besuchen den Antichristen sein könnten. Diese Vermutung wird auch von wird, um am 19. September John Henry Newman selig zu spre- konservativen Katholiken geteilt. Dabei denken Anhänger der chen. So irrealistisch dies vorläufig erscheint, so hat der Papst es Malachias-Weissagung daran, dass „Gloria Olivae“ der vor- jedenfalls hier mit einer massiven Einschüchterungskampagne letzte in dessen Liste genannte Papst ist. Der letzte Papst „Pe- zu tun, die seinen universalen Hirtendienst behindern soll. Hier könnte sich eine endzeitliche Situation anbahnen, in welcher standhafte Glieder aller Konfessionen angesichts ihrer gemeinsamen Bedrängnis näher zusammenrücken. So hat es der russische Religionsphilosoph Wladimir Solowjew (1853–1900) dikt XVI. am 25. April 2005, die im italienischen Original in „L’Os- in seiner „Kurzen Erzählung vom Antichrist“27 schon im Jahre servatore Romano“ am 27. April erschien.) 1899 vorhergesehen, und Joseph Ratzingers Aufmerksamkeit 27 Wladimir Solowjew: Kurze Erzählung vom Antichrist, hg. und auf diese ökumenische Vision28 lässt darauf schließen, dass er 9 kommentiert von Ludolf Müller, Wewel Verlag München 2006; 10. sich selber auf eine solche Verfolgung gefasst macht, in der sein Auflage: Donauwörth, 2009. Petrusdienst in die eigentliche Feuertaufe geraten könnte. 28 Für Joseph Ratzinger, als Papst Benedikt XVI., ist Wladimir Solow- jews „Erzählung vom „Antichrist“ ein zentraler Text. In seinem Buch Prof. Dr. Peter Beyerhaus „Jesus von Nazareth“ kommt er mehrmals auf das Werk zu sprechen. Schulstr. 1, D-72810 Gomaringen

PETER METTLER Warum die Kirche ihre Haltung zur Homosexualität nicht ändern kann

I. Einleitung II. Homosexualität und Bibel In einem Artikel in der Tagespost erinnert Guido Horst an ei- 1. Die Problematik der aktuellen Diskussion nen Satz aus der Didache, nach dem die Christen in, aber nicht Die Diskussion, um nicht zu sagen, der Streit um die Wei- von dieser Welt seien. „Sie sind einfach anders, sie tun nicht, sungen der Bibel zur Homosexualität machen exemplarisch was ‘man’ so tut. Nach mancher Euphorie, nach manchen hoff- deutlich, dass die Heilige Schrift für viele nur noch in der The- nungsfrohen Erwartungen, die Kirche könne auf gleicher Au- orie die Grundlage der Kirche ist. genhöhe in einen Dialog mit der modernen Gesellschaft treten und sei als Repräsentatin der geistigen Fundamente der west- lichen Welt allgemein anerkannt, muss man nach dem Medien- sturm der vergangenen Wochen fragen, ob die These von dieser Partnerschaft noch weiter zu halten ist.“1 Unter den Beispielen, die das Gegenteil vermuten lassen, li- 1 Horst, G.: „In dieser Welt, aber nicht von dieser Welt. Christen sind stet Horst die praktizierte Homosexualität auf, eine heute im anders – und das ist gut so! – Bei der Missbrauchsdebatte sind die Westen gesellschaftlich anerkannte Lebensform.2 Die katholi- Bruchstellen zwischen Kirche und moderner Gesellschaft deutlich ge- sche Kirche wird diesen Weg niemals mitgehen können. Auch worden“, in Die Tagespost 24.04.2010; zugänglich auch auf Internet, Homosexuelle haben in der Kirche ihren Platz und dürfen nicht http://www.die-tagespost.de/archiv/titel_anzeige.asp?ID=57176. 2 diskriminiert werden. „Niemals aber wird die katholische Leh- „Der deutsche Aussenminister reist mit seinem Lebensgefährten durch die Welt, Diskriminierung von Lesben und Schwulen gilt als Kapital- re dazu übergehen, dass praktizierte Homosexualität der von verbrechen, im Sexualkundeunterricht wird schon früh die Gleichwer- Gott gewollten Natur des Menschen entspricht. Hier ist das tigkeit von hetero- und homosexuellen Beziehungen herausgestellt und 3 Tischtuch zwischen Kirche und Welt zerschnitten.“ damit die Kinder auch zu Hause sehen, dass Schwulsein völlig normal Worauf gründet sich diese unnachgiebige Haltung, die auch ist, taucht in fast jeder Fernsehserie der Quoten-Homo auf.“ Ibidem. von vielen innerhalb der Kirche kritisiert wird? 3 Ibidem.

– 173 – – 174 – Nach Meinung vieler Exegeten rein „zeitbedingt“, werden bzw. Frau zu sein, bedürfen beide der Ergänzung durch das an- diese biblischen Aussagen eigenmächtig und „zeitgemäss“ dere Geschlecht, sind auf Ergänzung angelegt, entsprechen in (um)interpretiert, als wenn nicht auch die eigene Zeit in ihren dieser Ergänzung der Bestimmung des Menschseins und sind in Anschauungen „zeitbedingt“ wäre. Diese „Umdeutung“ miss- diesem Zueinander und liebenden Füreinander Abbild Gottes. achtet zunächst die Auslegungstradition der Kirche. Es ist be- Die Schöpfungserzählungen der Bibel bejahen die menschli- zeichnend, dass die meisten modernen exegetischen Kommenta- che Geschlechtlichkeit als von Anfang an gegeben, als ein von re, besonders in englischer und deutscher Sprache, die Kirchen- Gott gewolltes Merkmal des Menschen. Gott schuf den Men- väter vollkommen ignorieren.4 Weiterhin wird ein Prinzip der schen nicht als ungeschlechtlichen Geist, sondern als Mann und Schriftinterpretation, welches das Vaticanum II ausdrücklich be- Frau. Mann- und Frausein sind in den Augen Gottes „sehr gut“ tont und gelehrt hat, ausser Acht gelassen: „Die Aufgabe aber, (Gen, 1,31). Beide Schöpfungserzählungen lassen damit auch das Wort Gottes, sei es geschrieben oder überliefert, verbindlich keinen Raum für die Vorstellung von einem ursprünglich an- zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anver- drogynen Urmenschen, einem mann-weiblichen Zwitterwesen, traut, dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird.“5 einer heute wieder sehr modernen Vorstellung.6 Hinter diesen Versuchen und Tendenzen werden zur Ent- Durch die in Gen 3 beschriebene Sünde des Anfangs tritt ei- scheidung zwingende Fragen sichtbar: Was sind im Konfliktfall ne Störung der ursprünglichen in der Schöpfung grundgelegten die Quellen der Orientierung? Werden die Autorität der Bibel Beziehungen ein, bewirkt einen Umsturz der in der Schöpfung und die des Lehramts überhaupt noch als begründet angesehen? grundgelegten Ordnung. Neben dem Verhältnis des Menschen Gilt diese Autorität oder werden Aussagen der Bibel und des zu Gott, zu sich selbst und zu der ihm anvertrauten Schöpfung Lehramts entkräftet oder geleugnet, wenn sie dominierenden wird auch das Verhältnis von Mann und Frau, die ursprüngliche Trends in Kirche und Gesellschaft entgegenstehen? „communio personarum“7, empfindlich getroffen und aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Mensch, in ein disharmonisches 2. Prämissen für eine nüchtern-sachliche Exegese Ungleichgewicht seiner Kräfte geworfen, ist nicht mehr Herr Wenn die Auslegung der biblischen Aussagen zur Homose- über seine natürlichen Antriebe und Neigungen, so dass sie xualität sinnvoll und theologisch nachvollziehbar sein soll, Quelle der Selbstzerstörung und der Zerstörung durch den an- kann dies nur im Rahmen der Frage nach dem Sinn der mensch- deren und für den anderen werden können. lichen Sexualität überhaupt geschehen. Diese Frage zu stellen Das in Gen 1-3 Aufgezeigte ist von grundlegender Bedeu- heisst, die Frage nach der Natur des Menschen und seiner Be- tung und bei der Exegese der alt- und neutestamentlichen Stel- stimmung zu stellen, wobei sich ihre Beantwortung am geof- len, die sich auf die Homosexualität beziehen, stets im Blick zu fenbarten Wort Gottes, am Glauben und an der Tradition der haben. Kirche sowie an den Erklärungen des Lehramts orientieren muss. Geschieht dies nicht, braucht man sich um diese bibli- 3. Homosexualität im Alten Testament schen Aussagen gar nicht erst zu bemühen, da bei ihrer Ausle- Hinsichtlich der Erzählungen von Sodom und Gomorra (Gen gung nur herauskommen kann, was man zuvor gemäss der ei- 19,1-29) wird in den biblischen Kommentaren der letzten Jahr- genen Entscheidung in sie hineingelesen oder an sie herangetra- zehnte zunehmend die Ansicht vertreten, die Sünde der Sodo- gen hat. Exegese wird zur Eisegese. miter habe hauptsächlich, wenn nicht gar auschliesslich, im Als Abbild und Gleichnis Gottes geschaffen, hat der Mensch Bruch des Gastrechts gelegen.8 Die homosexuelle Komponente in der Schöpfung eine Sonderstellung: „Und Gott schuf den als solche wird heruntergespielt bzw. geleugnet. Das in beiden Menschen nach seinem Bild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Erzählungen verwendete Wort jadah ist ohne sexuelle Konno- Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27). Von Anfang an ist das tation im Sinn von „kennenlernen“ zu verstehen.9 Da erst die eine Abbild Gottes in seiner zweifachen Verschiedenheit ge- Autoren Josephus und Philo sowie das NT die „Sünde von So- schaffen. Gemeinsam ist ihnen ihre Ebenbildlichkeit mit Gott, dom“ als „unmoralische, unnatürliche Sinnlichkeit“ bezeichne- der Auftrag der Fruchtbarkeit und des Herrschens (Gen 1,28) ten, stützt sich die Verurteilung der Homosexualität in der und ihre unveräusserliche Personenwürde. Während die Schöp- christlichen Tradition somit auf eine falsche Interpretation der fungserzählung der Priesterschrift vor allem diese Gemeinsam- Ereignisse von Sodom und Gomorra.10 keit ausdrückt, ergänzt die Schöpfungserzählung des Jahwisten Gegen diese Auslegung der „revisionistischen“ Exegese diesen dadurch, dass er mehr die Verschiedenheit von Mann spricht zunächst die Tatsache, dass Lot seine jungfräulichen und Frau sowie ihre wechselseitige Ergänzung und Hinordnung aufeinander betont. Der Mensch „adam“ erkennt sich erst in dem Moment als Mann („isch“), in dem die Frau („ischa“) als sein Gegenüber erscheint. Aufeinander angewiesen, um Mann

6 Vgl. Mettler, Amt, 146. 7 Vgl. Johannes Paul II, Mulieris Dignitatem. n. 9. 8 Vgl. Moser, A.: O Enigma da Esfinge. A sexualidade, Petrópolis 2001, 239. Diese Auffassung vertritt auch McNeill, J. J.: The Church 4 Vgl. Hogan, L.: Homosexualität im Alten und Neuen Testament, in: and the Homosexual, New York 1976. Laun, A. (Hg.): Homosexualität aus katholischer Sicht, Eichstätt 9 Vgl. Desecar, A.: Die Bibel und Homosexualität. Kritik der revisio- 2001, 151-169, 151. Vgl auch: Mettler, P.: Die Berufung zum Amt nistischen Exegese (Schriften des Initiativkreises katholischer Laien im Konfliktfeld von Eignung und Neigung. Eine Studie aus pasto- und Priester in der Diözese Augsburg e.V. Heft 43), Augsburg 2002, raltheologischer und kirchenrechtlicher Perspektive, ob Homosexu- 6. Vgl. auch Scroggs, R.: The New Testament and Homosexuality. alität ein objektives Weihehindernis ist, Frankfurt am Main u.a. Contextual Background for Contemporary Debate, Philadelphia 2008, 134-208. 1983, 74. 5 Vaticanum II. Dogmatische Konstitution „Verbum Dei“ über die 10 Vgl. Bailey, D. S.: Homosexuality and the Western Christian Tradi- göttliche Offenbarung, nr. 10. tion, New York 1974, 155f.

– 175 – – 176 – Töchter ersatzweise für seine Gäste den Bewohnern Sodoms Art sein konnte, bezieht, es sich nur um eine kultische Reinheits- überlassen wollte. Dies weist deutlich darauf hin, dass die Ab- vorschrift und keineswegs um eine allgemeine ethische Ver- sichten der Sodomiter sexueller Natur waren. Die Erzählung pflichtung handelt,15 steht auf „tönernen“ Füssen, da sie wichtige beschreibt Lots Töchter ausserdem als Mädchen, die „noch kei- Sachverhalte übersieht bzw. nicht zur Kenntnis nimmt. Ein Ver- nen Mann erkannt hatten“. Hier wird das Verb jadah eindeutig bot sakraler Prostitution hätte in der nachexilischen Zeit keinen mit der Bedeutung „Geschlechtsverkehr haben“ gebraucht. Es Sinn gehabt, da die kanaanäischen Tempel nicht mehr existier- ist naheliegend, dass auch die Aufforderung an Lot, seine Gäste ten.16 Überhaupt ist es ein schwer nachvollziehbarer Gedanke, herauszugeben, um sie zu „erkennen“, dieselbe Bedeutung zu- dass ausgerechnet homosexuelle Prostitution einen Zusammen- grundeliegt. Und warum hatte Lot vor den Sodomitern Angst, hang mit Fruchtbarkeitskulten haben soll.17 wenn diese seine Gäste nur „kennenlernen“ wollten? Warum Das Heiligkeitsgesetz, in welches die beiden Verbote einge- sollte er sie bitten, nichts Böses zu tun, wenn diese nur friedli- bettet sind, ist Gottesrecht, das Israel nicht überschreiten durfte, che Absichten hatten? ohne sich selbst zu zerstören. Es handelt sich um lebensgewäh- Sodom und Gomorra sind sprichwörtlich geworden und ste- rende und lebenserhaltende Ordnungen: „Darum sollt ihr meine hen als Symbol für Sünde schlechthin. Wenn sich in propheti- Satzungen halten und meine Rechte. Denn der Mensch, der sie schen Texten des AT (etwa Jes 1,9f; 3,9; Ez 16,49ff) auch andere tut, wird durch sie leben; ich bin der HERR!“ (Lev 18,5). Prakti- Beschreibungen der Sünde Sodoms finden, und die Homosexua- zierte Homosexualität verletzt die von Gott mit der Schöpfung lität nicht ausdrücklich erwähnt wird, können diese Stellen aber gesetzte Ordnung, die dem Menschen zum Leben dient. Ausser- nicht zur Korrektur von Gen 19 in dem Sinn benutzt werden, Ho- dem ist auffällig, dass in der (von wörtlicher Übersetzung bis zur mosexualität als moralisches Vergehen daraus auszuschalten.11 freien Paraphrase reichenden) griechischen Version des AT im Solche Versuche verraten eine „unstatthafte Harmonisierungsten- hellenistischen Kontext, einer Nacktkultur, in der teilweise ho- denz, welche die Mannigfaltigkeit der in Israel kursierenden mosexuelle Elemente zur kulturellen Identität gehörten, dieses Überlieferungen verkennt. Die vom Kompilator von Richter 19- Verbot der Homosexualität keineswegs abgeschwächt wird.18 21 in Richter 19,22-24 eingefügte Erzählungsvariante … verrät Das alttestamentliche Verbot der Homosexualität, welches ebenfalls einem im Volksempfinden tief verwurzelten Abscheu die Schöpfungsordnung Gottes in Rechtsform zusammenfasst, gegen das homosexuelle Begehren. In der Weisheitsliteratur wird in der Geschichte des Judentums nicht relativiert. Es lässt spiegelt Hiob 36,14 schließlich die feste Verankerung dieser sich nicht einfach aus spezifisch zeit- oder religionsgeschicht- Verfemung des gleichgeschlechtlichen Verkehrs in der Ethik lichen Situationen erklären, sondern gehört zu den Weisungen des Spätjudentums.“12 Die Auffassung, wonach die Identifika- des AT, die für das Selbstverständnis des alt- und nachtesta- tion der Vergehen von Sodom mit homosexueller Praxis nicht mentlichen Judentums konstitutiv sind.19 biblisch grundgelegt, sondern vielmehr als folgenschwere, spä- Es gibt zunehmende Versuche, biblische Berichte über enge tere traditionsgeschichtliche Zutat betrachtet werden muss, ist freundschaftliche Beziehungen zweier Männer bzw. zweier nicht haltbar. Gen 19 hat im Gegenteil für die Beurteilung der Frauen als homosexuelle Verhältnisse zu interpretieren, etwa Homosexualität im AT eine exemplarische Bedeutung.13 die Beziehung zwischen David und Jonathan. Eine nüchterne In Verbotsform mit einer unübersehbaren, kategorischen Betrachtung lässt eine solche Interpretation aber nicht zu. Sie ist Härte spricht das Buch Levitikus an zwei Stellen (18,22 und nicht nur „problematisch“,20 sondern „vollkommen aus der Luft 20,13) von Homosexualität: Mit einem Mann zu schlafen, wie gegriffen“.21 Bei der Beschreibung der Beziehung zwischen Da- man mit einer Frau schläft, ist ein „Greuel“. A. Moser bemerkt vid und Jonathan wird das Wort Liebe (ahaba) verwendet, und zu diesen Bibelstellen: „Auf der einen Seite kann nicht bestrit- eben nicht der Begriff für eine sexuelle Beziehung (jadah).22 ten werden, dass der Raum, der dieser Frage gewidmet ist, stark Letztlich verbietet die eindeutig ablehnende Haltung des AT begrenzt ist: es handelt sich nur um zwei Stellen unter unzähli- gegenüber homosexueller Praxis die Interpretation der Bezie- gen Gesetzen, auch von solchen, in denen es sich um andere se- hung von David und Jonathan als homosexuell. Es ist nicht xuelle Sünden handelt. Auf der anderen Seite ist aber auch die nachvollziehbar, ausgerechnet JHWH zum Zeugen und Garan- Härte dieser beiden Stellen unübersehbar. Sie sind einfach ka- ten eines Bundes zu machen, wenn dieser mit einer Art von se- tegorisch: Mit einem Mann zu schlafen, wie man mit einer Frau xueller Beziehung verbunden wäre, für deren Bejahung jedes schläft, ist ein ‚Greuel’.“14 positive Zeugnis innerhalb der JHWH-Religion fehlt, deren Ab- Die religionsgeschichtliche Interpretation, nach der sich die- lehnung aber eindeutig und eigentlich unmissverständlich ist. ses Verbot nur auf die in Kanaan geläufige kultische Tempel- prostituion, die sowohl heterosexueller wie auch homosexueller

15 Schoeps, H. J.: Überlegungen zum Problem der Homosexualität, in: Ders. u.a.: Der homosexuelle Nächste. Ein Symposium, Hamburg 1963, 74-114. 11 Vgl. Strecker, G.: Homosexualität in biblischer Sicht, in: Kerygma 16 Desecar, Homosexualität, 9. und Dogma 28 (1982) 127-141, 129; Veeser, W.: Homosexueller 17 Haacker, K.: Exegetische Schwerpunkte zum Thema Homosexua- Verhalten und biblische Normen, in: Dieterich, M. (Hg.): Homose- lität, in: Theologische Beiträge 25 (1994) 173-180, 176, FN 12. xualität und Seelsorge. Hochschulschriften aus dem Institut für 18 De Young, J.B.: The Contribution of the Septuagint to Biblical Sanc- Psychologie und Seelsorge der Theologischen Hochschule Frieden- tions against Homosexuality, in: Journal of the Evangelical Theo- sau, Stuttgart 1996, 93-124, 105. logical Society 34 (1991) 157-177. 12 Eichroth, W.: Homosexualität – Andersartigkeit oder Perversion?, 19 Strecker, Homosexualität, 132. in: Bockmühl, K. u.a.: Homosexualität in evangelischer Sicht, Wup- 20 Zuccaro, C.: Moral sexual: Novo Manual de Teologia Moral, São pertal 1965, 7-25, 13. Paulo 2004, 89. 13 Strecker, Homosexualität, 128. 21 Chiavacci, E.: Omosessualitá e morale cristiana: cercare ancora, in: 14 Moser, Enigma, 239f. Vivens homo (2000) 423-457, 434.

– 177 – – 178 – 4. Homosexualität im Neuen Testament oder zu eliminieren versucht. Nach R. J. Ridderbos verurteilt Röm 1,26f gehört zum geschlossenen Abschnitt 1,18-3,20, Paulus in Röm 1,26f nur die gleichgeschlechtliche Tempelpro- 27 in dem Paulus die universale Sündhaftigkeit des Menschen und stitution, nicht aber generell die Homosexualität. Dagegen die Notwendigkeit der Rechtfertigung durch Gottes Gerechtig- stellt H. Tiedemann fest, dass Paulus hier „ein generelles ho- keit, die im Evangelium offenbart wird, behandelt. Röm 1,18- moerotisches füreinander ‚Entflammen’ verdammt“. „Von einer 32 besteht aus einer dreifachen Verurteilung von Sünden, wo- rituellen Funktion, der die inkriminierten Frauen und Männer 28 bei jede Untereinheit mit den Worten „Gott lieferte sie aus“ ein- nachgehen würden, berichtet Paulus nichts.“ Außerdem gibt geleitet wird: Die erste Untereinheit (1,24f) bezieht sich auf den es für eine sakrale Tempelprostitution in der römischen Ära kei- 29 Götzendienst allgemein; die zweite (1,26f) beschreibt ein kon- ne historisch eindeutigen Zeugnisse. kretes sexuelles Laster und die dritte (1,28-32) enthält eine gan- Nicht zuletzt gibt es Versuche, die Unterscheidung zwischen ze Liste von Lastern, die sich zerstörerisch auf menschliche Be- „echter Homosexualität“ und „Pseudohomosexualität“ in die ziehungen auswirken. Es zeigt sich ein innerer Zusammenhang Diskussion einzubringen. Die „echte Homosexualität“, die ent- von drei Dingen: dem Götzendienst als der Lüge bezüglich der weder angeboren oder erworben sein kann, beruht auf der se- Beziehung zum Schöpfer; der sexuellen Unmoral – vor allem xuellen Neigung zum gleichen Geschlecht, der „pseudosexuel- der Homosexualität – als der Lüge bezüglich zum eigenen le Mensch“, Mann oder Frau, ist zum heterosexuellen Ge- Selbst; und dem Mord als der Lüge bezüglich der Beziehung zu schlechtsverkehr fähig. Für den „echten Homosexuellen“ ist anderen Menschen.23 der heterosexuelle Geschlechtsverkehr gegen seine Natur, wäh- 30 Paulus greift die Homosexualität heraus, weil er ein greifba- rend der homosexuelle dagegen gemäß seiner Natur ist. Das res Bild für die Ur-Ablehnung sucht, mit dem der Mensch die negative Urteil des Paulus betreffe nur die „Pseudohomose- Herrschaft Gottes, des Schöpfers, ablehnt. Mit anderen Worten: xuellen“, nicht aber die „echten Homosexuellen“, die „homose- Der erste Beweis dafür, dass Menschen etwas anderes als den xuell Veranlagten“, weil für diese homosexueller Geschlechts- wahren Gott anbeten, besteht darin, dass sie ihr eigenes wahres verkehr eben nicht widernatürlich ist. Menschsein aufgeben. Homosexuelle Praxis ist widernatürlich Eine solche Interpretation nimmt „den Paulustext in seiner (para physin), weil ein Aufstand, etwas (wörtlich gemeint) Aussageabsicht nicht ernst und gelangt dadurch zu einer mit dem „Verdrehtes“ in dem Sinn, dass es die „Verdrehung“ der Schöp- heutigen Zeitgeist leichter vereinbaren Sicht, welcher nicht mehr fung und damit ein Aufstand gegen die Ordnung des Schöpfers heilsame Provokation bedeutet, sondern nachträgliche Bestäti- ist. „Für Paulus ist in Röm 1 Homoerotik eine Sünde gegen die gung dessen, was sich menschlicher Autonomismus auch im se- 31 von Gott in der Schöpfung erstellte soziale Ordnung, und nicht xuellen Bereich gegenüber dem Gebot Gottes herausnimmt.“ nur eine Privatsünde gegen das System von privater Moralität, Außerdem wird mit solchen Überlegungen „in die Exegese wie zeitgenössische Christen und Christinnen es verstehen mö- des paulinischen Textes ein hermeneutisches Axiom einge- gen. Jene, die sich nicht selbst auf die von Natur aus gegebenen bracht, das außerbiblisch ist und aus der gegenwärtigen human- und von Gott abgesegneten Geschlechtsgrenzen beschränken, wissenschaftlichen Literatur stammt, obwohl es schon in der lösen die notwendige Geschlechterpolarität und die Geschlech- Antike Meinungen gab, die eine homosexuelle Veranlagung be- 32 terunterscheidungen auf …“24 jahten.“ Nach Hartfeld muss Paulus mit den damaligen Entste- Für Paulus beruht Homosexualität auf einer Beziehungsstö- hungstheorien der Homosexualität vertraut gewesen sein, da rung, nämlich der Störung der alle anderen Beziehungen um- seine Kenntnisse der klassischen griechischen Literatur enorm 33 greifenden Beziehung zu Gott, die sich dementsprechend als waren. „Paulus war zweifellos mit den Humanwissenschaften Beziehungsstörung im Verhältnis der Geschlechter zueinander seiner Zeit recht gut vertraut und muß auch Kenntnisse von der niederschlägt. „Es ist immer die Störung des Gottesverhältnis- Lehre des Aristoteles über die konstitutionell bedingte Homo- ses, die sich – auf unterschiedlichste Weise – in den Störungen sexualität gehabt haben … Jedoch war für Paulus auch diese des gemeinsamen Lebens von Mann und Frau zeigt. In der ge- möglicherweise nicht wegzudiskutierende Disposition keine botenen Ausschließlichkeit der Liebe steht nicht weniger als Rechtfertigung für homosexuelles Verhalten gewesen … Die das Schöpfungsgeschenk der Ganzheit der Liebe auf dem paulinische Theologie hat zwar Raum für kulturelle Anpassung, Spiel.“25 Auch wenn Paulus die Schöpfungserzählungen der Ge- ‚um auf jeden Fall etliche zu retten’ (1 Kor 9,22), sie zieht aber nesis nicht wörtlich zitiert, so hatte er sie doch als Orientie- rungsbild für die menschliche Natur vor Augen.26 Für die revisionistische Exegese ist Röm 1,26f der „text of horror“, den man durch Uminterpretierungen zu entschärfen

27 Vgl. Ridderbos, S. J.: Bibel und Homosexualität, in: Schoeps, H. J. u.a.: Der homosexuelle Nächste. Ein Symposium, Hamburg 1963, 50-73, 59. 28 Tiedemann, H.: Die Erfahrung des Fleisches. Paulus und die Last der Lust, Stuttgart 1998, 245. 22 Bräumer, W.: Liebe wagen. Neuhausen-Stuttgart 1986, 172. 29 Vgl. Brooten, J. B.: Love between Women. Early Christian Re- 23 Novak, D.: Before Revelation: The Rabbi’s, Paul and Karl Barth, in: sponses to Female Homoeroticism, Chicago 1995, 253. Journal of Religion 71 (1991) 50-66, 62. 30 Vgl. Ridderbos, Homosexualität, 60ff; Kähler, Exegese, 31 24 Brooten, B. J.: Liebe zwischen Frauen im frühen Christentum, in: 31 Spindelböck, J.: Die sittliche Beurteilung der Homosexualität. Mo- Zeitschrift für Neues Testament 2 (1999) 31-39, 35. ralhistorische Anmerkungen zum christlichen Standpunkt, in: Laun, 25 Wolff, H.W.: Anthropologie des Alten Testaments. München 1984, A. (Hg.): Homosexualität aus katholischer Sicht, Eichstätt ²2001, 258. 161-178, 166. 26 Springett, R.M.: Homosexuality in History and the Scriptures. Some 32 Desecar, Homosexualität, 14f. Historical and Biblical Perspectives on Homosexuality, Washington 33 Hartfeld, H.: Homosexualität im Kontext von Bibel, Theologie und 1988, 52ff. Seelsorge. Wuppertal, Zürich 1991, 85f.

– 179 – – 180 – gegen ein kulturelles Umfeld zu Felde, das den Libertinismus Chrysostomos in der Sünde selbst, in der Abkehr von der rech- gutheißt (vgl. 1 Kor 6,9-20).“34 ten Ordnung, die den Sündern in ihrer Verblendung oft gar nicht Nach der Einleitungsfrage: „Oder wisst ihr nicht … ?“, mit mehr bewusst ist.45 der Paulus an den elementaren Unterricht im christlichen Glau- Augustinus zählt homosexuelles Verhalten zu jenen Sünden, ben erinnert, folgt in 1 Kor 6,9-11 ein „Lasterkatalog“. Darin die besonders zum Himmel schreien. Er sieht das Charakteristi- zieht Paulus mit zehn Stichworten die Grenze, welche den Ein- sche der Homosexualität in einem schweren Verstoß gegen die lass und die Zugehörigkeit zum Reich Gottes markiert. Die Natur des Menschen. „Genauso sind auch die Sünden wider die Glieder des Katalogs ergeben sich aus Gottes unbedingt gelten- Natur, wie etwa die Sünde der Sodomiter, an allen Orten und zu dem Recht und beruhen auf den Forderungen Gottes im AT. Es allen Zeiten verabscheuungswürdig und strafbar. Auch wenn al- werden vor allem sexuelle Sünden genannt: der griechische le Völker dieser Sünde verfallen wären, sie würden alle in Text verwendet die Begriffe: „pornoi“ / Unzüchtige,35 „mala- gleicher Weise vor Gottes Gesetz sündig, jenem Gesetz, das koi“ / Lustknaben / passive Homosexuelle36 und „arsenokoitai“ / nun einmal die Menschen nicht so schuf, daß sie in dieser Knabenschänder / aktive Homosexuelle/Männerliebhaber.37 Weise miteinander verkehren könnten. Denn es geht hier ja um Normgerechtes Sexualverhalten findet hier sein Gegenüber. nichts Geringeres als um das Band, das uns mit Gott verbindet Paulus hat homosexuelle Praktiken als solche verurteilt, und und das verletzt wird, wenn sich die Natur, seine eigene Schöp- zwar rundheraus und unterschiedslos.38 fung, durch verkehrte Lust verunreinigt.“46

III. Homosexualität in der Geschichte der Theologie 2. Bußbücher 1. Kirchenväter Die mittelalterlichen Bußbücher, die zur Grundausstattung der Kirchengemeinden zählten, befassen sich in vielfältiger In ihren Schriften weisen die Kirchenväter immer wieder auf Weise mit homosexueller Praxis.47 Statistisch gesehen umfasst die Sündhaftigkeit homosexuellen Verhaltens hin. Während Ju- der Anteil, der sich dort auf homosexuelle Delikte bezieht, zwi- stin Homosexualität als spezifisch heidnisches Laster verurteilt,39 schen 5 und 10%,48 was nach P. Payer ein großes Interesse der ist homosexuelles Verhalten für Laktanz eine besonders schwe- Bußbücher am Thema Homosexualität zeigt.49 40 re Sünde und gilt als Erfindung des Teufels. Auch Cyprian von Homosexuelle Praxis wird mit Hinweis auf die entsprechen- Karthago verurteilt homosexuelle Praxis entschieden als Sün- den biblischen Weisungen des Alten und des Neuen Testaments 41 42 de, hält sie aber im Gegensatz zu Tertullian für vergebbar. scharf verurteilt, oft als menschenunwürdig, ja als tierisch ein- Nach Clemens von Alexandrien muss man die Unzucht mit gestuft. Ihr Grundübel besteht darin, dass sich die Beteiligten Männern, die unfruchtbaren Begattungen, die Päderastie und über die göttliche Schöpfungsordnung hinwegzusetzen suchen: die von Natur unmöglichen Verbindungen der Androgynen ver- Gott hat die Natur so geschaffen, dass allein das von ihm für- meiden, „gehorsam der Natur, die selbst solches durch den Bau einander Bestimmte auch wirklich zusammenpasst. Auch kön- der Glieder verbietet, indem sie dem männlichen Geschlecht nen sie der Verpflichtung zur Kinderzeugung als dem von Gott die Manneskraft verliehen hat, nicht daß es den Samen in sich allein zugestandenen Zweck der sexuellen Vereinigung nicht 43 aufnehme, sondern daß es ihn von sich vergieße.“ nachkommen. Die Schwere der Verfehlung muss durch eine Johannes Chrysostomos wandte sich am umfassendsten ge- drastische Buße ausgeglichen werden, die sich meist über einen gen die Homosexualität sowohl bei den Heiden, wie auch unter Zeitraum von sieben bis zehn Jahren erstreckte.50 Nur so kann 44 den Christen. In seinem Kommentar zum Römerbrief qualifi- die sonst drohende Zerstörung der individuellen Seele durch ziert er homosexuelles Verhalten als den schlimmsten aller Fre- Gott verhindert werden; nur unter dieser Voraussetzung kann vel und begründet dies mit der krassen Widernatürlichkeit der das von der Verfehlung mitbetroffene Gemeinwesen einer Ver- Homosexualität. Die unmittelbare Strafe liegt nach Johannes nichtung, wie sie Gott im Alten Testament der Stadt Sodom zu- gefügt hat, entgehen.51

3. Petrus Damiani Der Brieftraktat des heiligen Petrus Damiani an Papst Leo 34 Ibidem, 86. IX. (1048-1054), später Liber Gomorrhianus genannt, ist der 35 Tiedemann, Paulus, 194. „einzige Traktat des Mittelalters, der sich ausschließlich mit 36 Bailey, D.S.: Homosexuality ans the Western Cristian Tradition, New York 1974, 38. 37 Wright, D. F.: Homosexual or Prostitutes? The Meaning of AR- SENOKOITAI (1 Cor 6:9; 1 Tim 1:10), in: Vigiliae Christinae 38 (1984) 125-153; Ders.: Translating arsenokoitai (1 Cor 6:9; 1 Tim 1:10), in: Vigiliae Christianae 41 (1987) 393-398. 38 Sanders, E.P.: Paulus. Göttingen 1985, 147. 45 Vgl. Chrysostomos, Johannes: Kommentar zum Römerbrief 5. Homi - 39 Vgl. Justin der Märtyrer: Dialog mit dem Juden Tryphon, in: Biblio- lie, in: Bibliothek der Kirchenväter. Bd. 5, München u.a., 1922, 51-60. thek der Kirchenväter. Bd. 33, München-Kempten o. J., 95, 1. 46 Augustinus: Bekenntnisse, Frankfurt 1987, 120f. 40 Vgl. Lactantius: Divinae Institutiones, in: PL 7, 111-822, lib. VI, 47 Vgl. Lutterbach, H.: Sexualität im Mittelalter. Eine Kulturstudie an- cap. 23, 8. hand von Bußbüchern des 6. bis 12. Jahrhunderts (Beihefte zum Ar- 41 Vgl. Cyprian von Karthago: An Donatus, in: Bibliothek der Kir- chiv für Kulturgeschichte. Heft 43), Köln u.a. 1999, 147. chenväter. Bd. 34, München-Kempten 1918, 8f. 48 Vgl. Bullough, V. L.: Sexual Variance in Society and History, Chica- 42 Vgl. Tertullian: De Corona. Vom Kranze des Soldaten, in: Bibliothek go, 1976, 360f. der Kirchenväter. Bd. 24, München-Kempten o. J., 230-263, 6, 2. 49 Vgl. P. Payer. Sex and the Penitentials. The Development of a Sex- 43 Clemens von Alexandrien: Der Erzieher. Buch 2, in: Bibliothek der ual Code 550-1150, u.a. 1983, 40. Kirchenväter. Zweite Reihe. Bd. 8. München 1934, 87, 3. 50 Vgl. Lutterbach, Sexualität, 153. 44 Vgl. Hoheisel, Homosexualität, 351f. 51 Vgl. ibidem, 161.

– 181 – – 182 – Homosexualität, genauer mit männlicher Homosexualität be- kundlichen Fragen über menschliche Sexualität befasst. Nach schäftigt … Dabei wird (männliche) Homosexualität in der S. Limbeck findet eine bemerkenswerte Verschränkung dieser mittelalterlichen Theologie gewöhnlich im Zusammenhang mit beiden Bereiche in bezug auf Homosexualität in Alberts Kom- anderen, meist sexuellen Sünden und nicht gesondert bespro- mentar zum Lukasevangelium statt. Anlässlich der Beschrei- chen. Der Liber Gomorrhianus besitzt, was die alleinige The- bung der Endzeit (Lk 17,29), die sich u.a. auf die Zerstörung matisierung der Homosexualität angeht, kein Vorbild und hat – Sodoms bezieht, äußert er sich über die Sünde der Sodomie: das ist bezeichnend für seine Einzigartigkeit – bis weit in die „Der vierte Grund [für die Abscheulichkeit der Sodomie] ist, Neuzeit keine Nachfolge gefunden. Der Liber Gomorrhianus daß es sich um eine ansteckende Krankheit [morbus contagio- als eigenständiger Traktat stellt inhaltlich ein literarisches Aus- sus] handelt, die sich von einem auf den anderen überträgt.“56 nahmephänomen dar, fern jeder Tradition.“52 Im medizinischen Kontext gesprochen handelt es sich um eine Petrus Damiani berichtet dem Papst von einem „sehr greu- Beschreibung der Homosexualität als Krankheit, doch legt der lichen und schimpflichen Laster“: „Der Krebs des sodomiti- theologische Kontext nahe, dass Albert die im Mittelalter ge- schen Schmutzes breitet sich schleichend im Klerikerorden läufige Analogisierung von Sünde und Krankheit hier als Meta- aus.“ Begegnet diesem nicht schnellstens „die Hand allseitigen pher gebraucht.57 Strafens“, droht „das Schwert des göttlichen Zorns, was die Die Sexualsünden behandelt Albert unter dem Begriff luxu- Vernichtung vieler Menschen nach sich ziehen wird.“53 ria, die er als das ungeordnete Begehren nach Geschlechtslust Petrus Damiani will den Papst zum sofortigen Einschreiten bzw. nach dem Erlebnis derselben definiert. „Sexuallust ist ein gegen das homosexuelle Verhalten von Klerikern bewegen, die eng begrenzter und streng lokalisierter Begriff. Es ist jene, die umgehend aus ihrem Stand zu entfernen sind sowie zu Reue, mit den Sexualorganen verbunden ist. Luxuria im eigentlichen Umkehr und Buße geführt werden sollen. Statt dessen entlasten Sinn ist gegeben bei vollendeter Geschlechtslust.“58 Nach L. sie sich selbst von ihrer Schuld, womit sie ihre Schuld nur ver- Brandl äußert sich Albert nur kurz und mangelhaft über die ver- mehren, indem sie sich gegenseitig beichten und sich unautori- schiedenen Arten der vollendeten Sexualsünden.59 Das schwer- sierter Bestimmungen aus den Bußbüchern bedienen, die zu ste Sexualvergehen ist für Albert den Großen die Homosexua- niedrige Strafen vorschreiben. Durch diese Entlastungsprakti- lität; sie verstößt „contra gratiam, rationem et naturam.“6 ken kann sich die sodomitische Sünde ungehindert in der Kir- che ausbreiten. Schuldige Kleriker sollen sich der gerechten 5. Thomas von Aquin Strafe stellen, um größeres Unglück für sich und die Kirche ab- Nach Thomas von Aquin ergibt sich das erste Hauptgebot zuwenden. Denn das göttliche Strafgericht droht auch der „dar- der materialen Sexualethik, ihr Kernstück, unmittelbar aus der niederliegenden Kirche“, weil es in ihren Reihen eine wachsen- Grundnorm: Der Zeugungsakt in sich muss in einer Weise voll- de Zahl von „Sodomitern“ gibt. Ihre Präsenz gefährdet die zogen werden, die sinngemäß auf Zeugung hingeordnet zu wer- Weiterexistenz der Kirche als Institution. „In seinem Denken den vermag. Wenn aus dem Akt als solchem nicht die Zeugung bilden nämlich alle Geistlichen eine Gesamtheit, für die jeder folgen kann, so ist er ungeordnet. Ein solcher Akt entspricht einzelne … Verantwortung trägt. Wenn sich einzelne aus dem nicht dem rechten Verständnis der Natur: „Er steht im Wider- geistlichen Stand innerlich von der Gesamtheit entfernen, dann spruch zur rechten Vernunft.“61 Nicht nur die Vernunft, sondern hat das Folgen für die gesamte Kirche. Individuelles Schicksal die Natur im engeren Sinn selbst stellt dieses erste Sexualgebot 54 und Schicksal der Kirche hängen untrennbar zusammen.“ Die auf. Im Menschen liegt, ebenso wie im Tier, die angeborene Nei- sodomitische Sünde ist für die gesamte Kirche wie für den ein- gung zum natürlichen Geschlechtsverkehr zwischen Mann und zelnen Sünder eine „tödliche Wunde“, die schnelles Handeln Frau. Ein anders gearteter Sexualakt ist eine Sünde gegen die unumgänglich macht. Es besteht darin, sich von den kranken Natur, der eine tiefere und ursprünglichere Bosheit innewohnt, Gliedern zu trennen. Zwar können diese volle Vergebung erlan- „da sie dem ‚ordo prior et stabilior’ entgegensteht, die unmittel- gen, aber keineswegs sollen sie in den geistlichen Stand aufge- bar von Gott stammt und darum die Grundlage für jegliche wei- nommen oder darin gehalten werden. Nur so kann die Integrität tere, dem Menschen eigene Sexualordnung bildet. Gegenüber 55 der Kirche und des geistlichen Standes gewahrt werden. anderen Sünden der Unkeuschheit besagt sie einen besonderen Petrus Damiani hat den Boden für eine systematische Sün- ‚excessus’. Insofern in ihr der Mensch sogar ‚von der tierischen dendarstellung mit vorbereitet, wie sie Theologen im 12. und Ordnung abweicht’, zieht er sich eine besondere Schmach zu.“62 13.Jahrhundert vornahmen.

4. Albert der Große In seinem umfangreichen Werk hat sich der heilige Albert der Große sowohl mit ethisch-theologischen als auch mit natur-

56 Vgl. Limbeck, S.: Phlegmatiker, Kinäaden und Sodomiten. Bemer- kungen zur Homosexualität im medizinisch-naturkundlichen Fach- schrifttum des Mittelalters, in: Forum. Homosexualität und Literatur 21 (1994) 21-44, 33. 57 Vgl. ibidem, 33. 52 Puff, H.: Die Sünde und ihre Metaphern. Zum Liber Gomorrhianus 58 Brandl, L.: Die Sexualethik des Heiligen Albertus Magnus (Studien des Petrus Damiani, in: Forum. Homosexualität und Literatur 21 zur Geschichte der kath. Moraltheologie. Herausgegeben von Mi- (1994) 45-77, 55. chael Müller. 2. Band), Regensburg 1955, 238. 53 Reindel, K. (Hg.): Die Briefe des Petrus Damiani. Teil 1 (MGH. Die 59 Ibidem, 242. Briefe der deutschen Kaiserzeit 4), München 1983, Nr. 31, 284-330, 60 Ibidem, 244. 287, 1-4. 61 Zitiert nach: Fuchs, J.: Die Sexualethik des Heiligen Thomas von 54 Puff, Sünde, 71. Aquin, Köln 1949, 151. 55 Vgl. Reindel, Briefe, 290, 6-23 und Puff, Sünde, 71-74. 62 Ibidem, 152f.

– 183 – – 184 – Thomas nennt, die allgemeine Doktrin kurz zusammenfas- ten und andere ebenso dazu antreiben konnten. So lesen wir send, vier Grundarten des vitium contra naturam: „Erstens den nämlich beim Propheten Ezechiel: Die Schuld deiner Schwester Sexualakt ‚absque omni concubitu’, auch ‚immunditia’ oder Sodom war, daß sie und ihre Töchter hochmütig waren, dass sie ‚mollities’ bezeichnet; zweitens ‚bestialitas’ als ‚concubitus ad in Überfluß zu essen hatten und in sorgloser Ruhe dahinlebten, rem non ejusdem species’; drittens ‚peccatum Sodomiticum’ ohne den Elenden und Armen zu helfen.“68 oder ‚(concubitus) masculi ad masculum vel feminae ad femi- nam’; viertens den widernatürlichen Verkehr zwischen Mann 7. Martin Luther und Frau ‚aut quantum ad instrumentum non debitum, aut quan- Luther zeigt in seinem Traktat vom ehelichen Leben die Ehe 63 tum ad alios monstruosos et bestiales concumbendi modos’.“ als gottgewolltes und in der Schöpfungsordnung begründetes Hinsichtlich der Schwere der verschiedenen Sünden gegen Heilmittel gegen jede Art von sexueller Zügellosigkeit und Per- die Natur urteilt Thomas nach dem Prinzip: „Je unnatürlicher, version auf, wie sie nach seiner Auffassung auch die homose- um so schwerer.“ Immunditia unterlässt nur die geschuldete Zu- xuellen Akte darstellen.69 Am deutlichsten wird Luther in seiner wendung zu einem Partner; die widernatürliche Sünde in der Vorlesung zum Buch Genesis. Das homosexuelle Ansinnen der Ehe, soweit sie im eigentlichen Sinn contra naturam ist, wahrt Bewohner Sodoms, in der er die descriptio horribilis peccati nicht die rechte Art und Weise des Verkehrs, die homosexuelle sieht, deren letzter Ursprung das a timore Dei deflexum ist, wer- Sünde weicht vom geschuldeten Geschlecht ab; die Bestialität tet er als contra naturam sowie als perversitas.70 „Luther hat 64 vernachlässigt sogar die menschliche Art. das – im Unterschied zu modernen Kommentatoren der Gene- In der theologischen und kirchenrechtlichen Diskussion des sis – mit Recht ausdrücklich hervorgehoben.“71 Damit fällt er späten Mittelalters kann „ein Trend zur Aufwertung der, sodo- ein klares Urteil, „das der Wertung katholischer Theologen sei- mitischen Sünde’ als schlimmste aller Unzuchtssünden, ja als ner Zeit in nichts nachsteht.“72 die größte aller Verfehlungen überhaupt beobachtet werden. Sodomie wird seit dem 13. Jahrhundert als Angriff auf die von 8. Alfons von Liguori Gott geschaffene Naturordnung, auf die Heiligkeit des Eheban- Alfons von Liguori, dessen Moraltheologie am Evangelium des und auf die Grundlagen von Staat und Gesellschaft unter orientiert ist, sich aber auch der rechtlich-kasuistischen Kateg- Androhung der Höchststrafe verfolgt.“65 orien seiner Zeit bedient, behandelt die Homosexualität in sei- nem Werk Homo Apostolicus unter dem Punkt De actibus turpi- 6. Petrus Canisius bus consummatis contra naturam.73 Die besondere Hässlichkeit In seinem Katechismus Summa Doctrinae Christianae, der der Homosexualität74 bestand nach seiner Meinung im Verkehr 1555 in erster Auflage erschien, reiht der heilige Petrus Cani- mit dem ungebührenden Geschlecht.75 Es besteht ein Unterschied, sius die Homosexualität unter die peccata in coelum clamantia ob jemand die aktive oder die passive Rolle übernimmt.76 ein.66 Es sind jene Sünden, „die mehr als andere eine klar er- kennbare und offensichtliche Unredlichkeit zeigen, die den 9. Bernhard Häring göttlichen Zorn und die Rache auf jene ziehen, die sie bege- In seinem dreibändigen Lehrbuch Das Gesetz Christi führt hen“: absichtliche Tötung eines Menschen, Homosexualität, B. Häring die Homosexualität unter den sexuellen Perversitäten Unterdrückung der Armen und Verweigerung des geschuldeten auf. Sie ist „vielfach die Folge der Verführung und völliger se- Lohnes für geleistete Arbeit.67 xueller Verwilderung; sie kann aber auch eine schlimme, krank- Auf die Frage „Was steht über die Sünde der Homosexualität hafte Anlage sein. Ihr Tun ist die Sodomie.“77 Nach seiner Mei- und deren Strafe geschrieben?“ antwortet der Katechismus: „Die Leute von Sodom aber, sagt die Schrift, waren sehr böse und sün- dige Menschen vor dem Herrn. Und wiederum: Das Klagege- schrei über Sodom und Gomorrha, ja, das ist laut geworden und ihre Sünde, ja, die ist schwer. Deshalb sagten die Engel zum ge- rechten Loth: Wir wollen nämlich diesen Ort vernichten, sagten 68 Ibidem, 221f. sie, denn schwer ist die Klage, die über die Leute zum Herrn ge- 69 Vgl. Steinhäuser, M.: Homosexualität als Schöpfungserfahrung. Ein drungen ist. Der Herr hat uns geschickt, die Stadt zu vernichten. Beitrag zur theologischen Urteilsbegründung. Suttgart 1988, 381ff. Deshalb ließ der Herr über Sodom und Gomorrha Schwefel und 70 Luther, M.: Genesis-Vorlesung, in Ders.: Gesammelte Werke. Band Feuer vom Himmel herab regnen und zerstörte diese Städte und 34, Weimar 1912, 57. die ganze Region. Auch verschweigt die Schrift die Gründe 71 Führer, W.: „Irregeleitete Kirche.“ Eine exegetisch-theologische nicht, welche die Sodomiter zu dieser schändlichen Sünde führ- Überprüfung der Synodalbeschlüsse zur Segnung homosexueller Partnerschaften in Gliedkirchen der EKD, in: Idea-Dokumentation 3, „Irregeleitete Kirche“. Wetzlar 2003, 1-23, 7. 72 Spindelböck, J.: Die sittliche Beurteilung der Homosexualität. Mo- ralhistorische Anmerkungen zum christlichen Standpunkt, in: Laun, A. (Hg.): Homosexualität aus katholischer Sicht. Eichstätt 2001, 161-178, 171. 63 Ibidem,154. 73 Vgl. Des heiligen Alphons M. v. Liguori praktische Unterweisungen 64 Vgl. ibidem, 158f. für Beichtväter. Oder: Homo apostolicus in deutscher Übersetzung. 65 Hergemöller, B.-U.: Einführung in die Historiographie der Homose- Herausgegeben von der Versammlung des allerheiligsten Erlösers. xualitäten. Tübingen 1999, 73. Erster Band. Regensburg 1854, 439f. 66 Vgl. Petrus Canisius: Der Große Katechismus. Summa Doctrinae 74 Homo Apostolicus, 439. Christianae (1555). Ins Deutsche übertragen und kommentiert von 75 Ibidem., 440. Hubert Filser und Stephan Leimgruber (Jesuitica. Band 6), Regens- 76 Ibidem. burg 2003, 220f. 77 Häring, B.: Das Gesetz Christi. Moraltheologie. Dargestellt für Prie- 67 Petrus Canisius, Katechismus, 220f. ster und Laien. Dritter Band, Freiburg/Breisgau 1961, 311.

– 185 – – 186 – nung ist den Bestrebungen aus den Kreisen der Homosexuellen am 11.10. des gleichen Jahres durch die Apostolische Kon- auf generelle Straffreiheit energisch entgegenzutreten, „zumal stitution Fidei Depositum anordnete, wird die Haltung der Kirche sie in ihren Begründungen das Laster als etwas Natürliches hin- zur Homosexualität in den nn. 2357-2359 zusammengefasst.83 zustellen versuchen. Bei vielen sexuellen Vergehen liegt über- In seiner Enzyklika Veritatis Splendor vom 05.10.1993 be- haupt keine wesentliche Herabminderung der Verantwortlich- kräftigt Papst Johannes Paul II. die sittliche Unzulässigkeit der keit durch verkehrte Veranlagung vor.“78 Homosexualität.84 Der Päpstliche Rat für die Familie veröffentlichte am 08.12. IV. Homosexualität in den Erklärungen des Magi- 1995 ein Dokument mit dem Titel „Menschliche Sexualität: steriums Wahrheit und Bedeutung. Orientierungshilfe für die Erziehung in der Familie“, das sich in n. 104 zur Homosexualität äußert.85 1. Dokumente Den vorläufigen Schlusspunkt bildet wiederum ein von Die Kirche hat sich in der jüngsten Vergangenheit bemüht, Papst Johannes Paul II. approbiertes Dokument der Kongrega- ihre Haltung zur Homosexualität zu erklären und Wege einer tion für die Glaubenslehre, das unter dem Titel „Erwägungen zu angemessenen pastoralen Praxis aufzuzeigen. Zeichen dieses den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensge- Bemühens sind nicht weniger als 8 Dokumente, in welchen sich meinschaften zwischen homosexuellen Personen“ am 03.06. das Lehramt zwischen 1975 und 2003 zum Thema Homosexu- 2003 veröffentlicht wurde.86 alität und den damit verbundenen Aspekten und Problemen autoritativ geäußert hat. 2. Inhaltliche Schwerpunkte Am Beginn dieser Reihe steht die Erklärung zu einigen Fra- Die Absicht der Dokumente ist eindeutig erkennbar: Die gen der Sexualethik Persona Humana, welche die Heilige Kon- konstante Lehre der Kirche zur Homosexualität, die sich auf die gregation für die Glaubenslehre nach Billigung durch Papst Bibel und die Tradition sowie das sittliche Empfinden des Paul VI. am 29.12.1975 veröffentlichte.79 Bezugnehmend auf christlichen Volkes stützt, soll bestätigt werden. diese Erklärung äußerte sich die Kongregation für das Katholi- Sie wenden sich daher ausdrücklich gegen diejenigen, die sche Bildungswesen im Rahmen einer Orientierung zur Erzie- „unter Berufung auf Beobachtung psychologischer Natur“ da- hung in der menschlichen Liebe. Hinweise zur geschlechtlichen mit begonnen haben, „die homosexuellen Beziehungen gewis- Erziehung, die am 01.11.1983 veröffentlicht wurde.80 ser Leute mit Nachsicht zu beurteilen, ja sie sogar völlig zu ent- Am 30.10.1986 wurde ein Schreiben der Kongregation für schuldigen.“ Die homosexuellen Handlungen sind nach der ob- die Glaubenslehre an die Bischöfe der katholischen Kirche über jektiven sittlichen Ordnung Handlungen, „die ihrer wesent- die Seelsorge für homosexuelle Personen veröffentlicht; Papst lichen und unerläßlichen Regelung beraubt sind“, sie sind in Johannes Paul II. hatte es zuvor gebilligt und seine Publikation sich „nicht in Ordnung“ und können keinesfalls in irgendeiner angeordnet.81 Weise gut- geheißen werden,87 da der Sinn der Sexualität auf Ein Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die dem Spiel steht.88 „Einzig und allein in der Ehe kann der Ge- Bischöfe der USA über die Nicht-Diskriminierung von Homo- brauch der Geschlechtskraft moralisch gut sein. Deshalb han- sexuellen, das Ende Juni 1992 zunächst den eigentlichen Adres- delt eine Person, die sich homosexuell verhält, unmoralisch.“89 saten über den Pro-Nuntius zuging, dann aber durch die Medien in Auszügen bekannt wurde, wurde anschließend in Rom in leicht veränderter Fassung am 23.07.1992 veröffentlicht.82 Im Katechismus der Katholischen Kirche, den Papst Johannes Paul II. am 25.06.1992 approbierte und seine Veröffentlichung

83 Vgl. KKK, 596. 84 Ioannes Paulus PP II.: Carta Enciclica Veritatis Splendor, in: AAS 85 (1993) 1159-1223, nn. 47-49. 85 Päpstlicher Rat für die Familie. Menschliche Sexualität: Wahrheit 78 Ibidem, 311. und Bedeutung. Orientierungshilfen für die Erziehung in der Fami- 79 Erklärung zu einigen Fragen der Sexualethik. Text und Kommenta- lie, unter: www.heiliggeist-seminar.de/vatikan3.1.htm. Das Doku- re zum Vatikan-Dokument „Persona Humana.“ Vorwort von Joseph ment enthält keine päpstliche Bestätigung. Kardinal Höffner, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. 86 Kongregation für die Glaubenslehre: Erwägungen zu den Entwürfen Würzburg o. J., XI-XXIII. einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen 80 Kongregation für das Katholische Bildungswesen: Orientierung zur homosexuellen Personen, unter: www.vatican.va/roman_…/rc_ Erziehung in der menschlichen Liebe. Hinweise zur geschlecht- con_cfaith_doc_20030731_homosexual-unions_ge.htm. Anlass des lichen Erziehung. Nr. 101-103, unter: www.heilig-geist.de/vatikan Dokuments ist die Tatsache, dass einige Länder den homosexuellen 25.htm. Das Dokument enthält keine päpstliche Bestätigung. Lebensgemeinschaften eine rechtliche Anerkennung, die in einigen 81 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautba- Fällen auch die Befähigung zur Adoption von Kindern einschließt, rungen des Apostolischen Stuhls 72. Schreiben der Kongregation für gewährt haben oder gewähren wollen. die Glaubenslehre an die Bischöfe der katholischen Kirche über die 87 Persona Humana, n. 8. Seelsorge für homosexuelle Personen, Bonn 1986. 88 „Sich einen Partner gleichen Geschlechts für das sexuelle Tun aus- 82 Kongregation für die Glaubenslehre: Schreiben an die Bischöfe der zuwählen, heißt die reiche Symbolik verungültigen, die Bedeutung, USA über die Nicht-Diskriminierung von Homosexuellen, in: L´Os- um nicht von den Zielen zu sprechen, des Plans des Schöpfers be- servatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache vom 14. züglich der Geschlechtlichkeit des Menschen. Homosexuelles Tun 08.1992, 8. Anlass dieses Schreibens waren Gesetzesvorhaben in führt ja nicht zu einer komplementären Vereinigung, die in der Lage den USA, durch die den Benachteiligungen und Diskriminierungen wäre, das Leben weiterzugeben und widerspricht darum dem Ruf von homosexuell empfindenden Menschen entgegengewirkt werden nach einem Leben solcher Selbsthingabe, von der das Evangelium sollte. In dieser Situation will die Glaubenskongregation auf allge- sagt, daß darin das Wesen christlicher Liebe bestehe.“ Seelsorge für meine und zu berücksichtigende Grundsätze und Unterscheidungen homosexuelle Menschen, n. 7. hinweisen. 89 Ibidem.

– 187 – – 188 – Die wahren Fortschritte der Humanwissenschaften werden und es gibt viele, die bezüglich der kirchlichen Position Verwir- begrüßt. So unterstreichen die Dokumente die Gültigkeit der rung zu stiften trachten, um dann die entstandene Verwirrung zu Unterscheidung zwischen homosexuellen Tendenzen,90 Hand- ihren eigenen Zwecken auszunutzen.“99 lungen und den Personen, die sie praktizieren;91 zwischen vor- Die klare und wirksame Verkündigung der kirchlichen Leh- übergehenden und tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen.92 re hängt dabei von der korrekten Unterweisung sowie der Gläu- In den Dokumenten wird auch die Sorge deutlich, homose- bigkeit der Seelsorger ab. „Den Bischöfen kommt die be- xuell empfindende Personen nicht zu Opfern eines „morali- sonders schwere Verantwortung zu, dafür Sorge zu tragen, daß schen Infantilismus“ zu machen, der sie von jeglicher Verant- ihre Mitarbeiter, allen voran die Priester, in rechter Weise infor- wortung für ihr Handeln freispricht. Das wäre nicht nur eine un- miert und persönlich dazu ausgerüstet sind, die Lehre der Kir- begründete, sondern auch eine für sie demütigende Annahme.93 che einem jeden vollständig zu verkündigen.“100 Die Pastoral hat sich dieser Menschen, die oft auch großzü- gig sind und sich selbstlos verhalten,94 mit Verständnis anzu- V. Auswertung und Ausblick nehmen; ihre Schuldhaftigkeit muss mit Klugheit beurteilt wer- Die Kirche kann ihre Haltung zur Homossexualität nicht än- den.95 In keiner Weise dürfen sie ungerecht zurückgesetzt wer- dern, weil sie sich an die Autorität der Heiligen Schrift gebun- den.96 den weiss. Alle Versuche, das Verbot der praktizierten Homose- Scharf wenden sich die Dokumente gegen diejenigen, die im xualität innerhalb einer bibeltheologischen Perspektive zu loc- Bündnis mit Gruppen außerhalb der Kirche, aber auch inner- kern oder gar zu leugnen, können nicht auf biblisches Funda- halb der Kirche einen enormen Druck ausüben, damit diese die ment zurückgeführt werden. Nach dem gesamtbiblischen Zeug- homosexuelle Veranlagung und damit auch die homosexuellen nis ist praktizierte Homosexualität schöpfungswidrig. Sie Akte akzeptiert.97 widerspricht der von Gott gewollten und gesetzten Ordnung. In Der Versuch zwischen den homosexuellen Lebensgemein- diesem Sinn hat die gesamte jüdische und christliche Tradition schaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien die entsprechenden biblischen Texte verstanden. Die Unter- herzustellen, entbehrt jeglicher Basis.98 scheidung zwischen der Norm und dem davon abweichenden „Die kirchlichen Amtsträger müssen sicherstellen, daß ho- Verhalten kann die Kirche nicht aufgeben. An dieser Stelle liegt mosexuelle Personen, die ihrer Sorge anvertraut sind, durch für die Kirche die Grenze. Wer sie dazu drängt, ihre Lehre in diese Meinungen nicht irregeleitet werden, welche der Lehre dieser Frage zu ändern, muss wissen, dass er ihre Spaltung be- der Kirche zutiefst widersprechen. Die Gefahr ist jedoch groß, treibt. Die Situation, in der sich die aus der Reformation hervor- gegangenen Kirchengemeinschaften befinden, bestätigt dies mit aller Deutlichkeit. In Bezug auf die Bewertung der Homosexualität gab es im- mer wieder im Lauf der Geschichte der Theologie und der Kir- che zeitbedingte Elemente und auch echte Diskriminierung, 90 Diese sind „zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine mehr Verfolgung und Bestrafung homosexuell empfindender Men- oder weniger starke Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlech- tes Verhalten ausgerichtet ist. Aus diesem Grund muß die Neigung schen. Strafrechtliche Exzesse früherer Zeiten sind für den selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden.“ Ibidem, n. 3. Menschen von heute unverständlich. Wenn es so etwas wie ei- 91 Vgl. ibidem. ne Entschuldigung für früheres Unrecht gibt, das kirchliche und 92 Vgl. KKK, n. 2358. staatliche Amtsträger begangen haben, ist eine solche auch ho- 93 „Einige vertreten die Ansicht, homosexuelle Neigung sei in be- mosexuell empfindenden Menschen gegenüber angebracht. Mit stimmten Fällen nicht das Ergebnis einer freien Entscheidung; die einer moralischen Anerkennung der Homosexualität hat dies homosexuellen Personen hätten keine andere Wahl, sondern müßten allerdings nichts zu tun. sich homosexuell verhalten. Daher handle eine solche Person, selbst Bei der praktizierten Homosexualität handelt es sich objek- wenn sie sich auf homosexuelles Tun einlasse, wegen fehlender tiv um eine Disharmonie und Unordnung: es wird nicht nur der Freiheit nicht schuldhaft. Hier ist es nötig, sich an die Weisheit der moralischen Überlieferung der Kirche zu halten, die vor Verallge- Sinnhorizont der Prokreation, mit der menschliche Sexualität meinerungen im Urteil aller Einzelfälle warnt. In der Tat können in verknüpft ist, annulliert, sondern die Bedeutung der Komple- einem bestimmten Fall Umstände auftreten oder in der Vergangen- mentarität von Mann und Frau wird geleugnet.101 Die heterose- heit aufgetreten sein, welche die Schuldhaftigkeit des einzelnen ver- xuelle Orientierung des Menschen erscheint in der Bibel als mindern oder geradezu aufheben, während andere Umstände sie einzige Bestimmung der Sexualität im Einklang mit dem Plan wiederum vermehren können. Was auf jeden Fall vermieden werden Gottes.102 muß, ist die ebenso unbegründete wie demütigende Annahme, das Wer fordert, Homosexualität als gleichwertige Schöpfungs- geschlechtliche Verhalten homosexueller Partner sei immer und variante neben der Heterosexualität anzuerkennen, zielt fak- vollständig dem Zwang unterworfen und daher frei von Schuld. In tisch auf ein anderes, von der biblischen Botschaft abweichen- Wirklichkeit muß auch bei den Personen mit homosexueller Nei- gung jene grundlegende Freiheit anerkannt werden, welche die menschliche Person als solche charakterisiert und ihr eine besonde- re Würde verleiht. Wie bei jeder Umkehr vom Bösen kann, dank dieser Freiheit, das von der göttlichen Gnade erleuchtete und ge- stärkte Mühen es jenen Personen gestatten, homosexuelles Tun zu lassen.“ Seelsorge für homosexuelle Menschen, n. 11. 99 Erwägungen zu den Lebensgemeinschaften zwischen homosexuel- 94 Vgl. ibidem, n. 7. len Personen, n. 8. 95 Vgl. Persona Humana, n. 8. 100 Seelsorge für homosexuelle Menschen, n. 13. 96 Vgl. KKK, n. 2358. 101 Vgl. Screggia, A.: Manuale de bioética 2. Aspetti medico-sociali. 97 Vgl. Seelsorge für homosexuelle Menschen, nn. 8 und 9. Milano 1991, 142. 98 Vgl. Erwägungen zu den Lebensgemeinschaften zwischen homose- 102 Vgl. Bonnin, E.: Ética Matrimonial, familiar e sexual. São Paulo xuellen Personen, n. 4. 2003, 287f.

– 189 – – 190 – des Menschenbild. Solche Forderungen zielen ins Herz der Schöpfungsordnung einfordert. Da geht es in der Tat um den Schöpfung und richten sich, ob bewusst oder unbewusst, gegen Glauben an den Schöpfer und das Hören auf die Sprache der den Schöpfer selbst. Der Mensch lehnt sich gegen seine eigene Schöpfung, die zu missachten Selbstzerstörung des Menschen Natur auf, erfindet sich selbst neu, kämpft gegen seinen Schöp- und so Zerstörung von Gottes eigenem Werk sein würde.“108 fer, dessen Ebenbild er nicht mehr sein will, sondern sein eige- P. Dr. Peter Mettler, MSF ner Schöpfer und Herr. Deshalb kann durchaus von einer Art Rua Padre Rossini Cândido, 157 „Anti-Genesis“, von einem „Gegen-Entwurf“ zu der von Gott Coração Eucarístico ersonnenen und gewollten „Grammatik des Lebens“ gespro- 30535-500 Belo Horizonte - MG chen werden.103 Brasil Ein beredtes Beispiel dieser „Anti-Genesis“ ist das Buch des Jesuiten James Empereur aus den USA.104 Er beginnt und schliesst sein Werk mit der Behauptung, dass die Homosexua- Zum Weiterlesen empfehlen wir die theologische Doktorar- lität eine der bedeutendsten Gaben Gottes für die Menschheit beit des Verfassers: Peter Mettler, Die Berufung zum Amt im sei. „Schwul oder lesbisch sein bedeutet, einen speziellen Se- Kon fliktfeld von Eignung und Neigung. Eine Studie aus pasto- gen Gottes empfangen zu haben. Alle Menschen erhalten von raltheologischer und kirchenrechtlicher Perspektive, ob Homo- Gott besondere Gnadengaben, aber er hat einige als Schwule sexualität ein objektives Weihehindernis ist, Verlag B. Lang, und Lesben auserwählt, um dadurch etwas von Seiner Identität Frankfurt am Main u.a. 2008; siehe dazu auch die Buchbespre- zu offenbaren, etwas, das Heterosexuelle nicht offenbaren.“105 chung von A. Desecar in Theologisches 38 (11-12/2008) 406- Der Autor macht sich ausdrücklich die Auffassung von John 409. Eine geraffte Zusammenfassung der wesentlichen Argu- McNeill zu eigen, nach der die Präsenz von Schwulen und Les- mente findet sich vom gleichen Verfasser in einem Aufsatz: ben in der Gesellschaft wesentlich für die menschliche Ent- „Un bequeme Wahrheiten – Warum Homosexualität ein objekti- wicklung ist. „Die Schwulen sind das Öl, das die gesamte Ma- ves Weihehindernis ist“: Forum Katholische Theologie 25 schine mühelos am Laufen hält. Das ist so wahr, dass die (2/2009)110-138 (erhältlich bei Schneider Druck, Postfach Menschheit in ernster Gefahr wäre, wenn es plötzliche keine 1324, D.-91535 Rothenburg/ Tbr., Email [email protected]). Schwulen mehr gäbe.“106 Für eine kurze Zusammenfassung der Lehre der Kirche zum Die von der Heiligen Schrift vorgegebene Grundlinie hielt Thema der Homosexualität weist der Verfasser auf den Kate- sich in der Geschichte der Theologie immer durch und wurde in chismus der Katholischen Kirche, Nr. 2357-2359, dessen Aus- den vergangenen Jahren mehrfach durch Erklärungen des Lehr- führungen wir an dieser Stelle in Erinnerung rufen wollen: amtes bekräftigt. Die eindringlichen und wiederholten Mah- nungen in diesen Erklärungen vor allem an die Bischöfe, ihrer Keuschheit und Homosexualität Verantwortung für die vollständige Verkündigung der kirch- 2357 Homosexuell sind Beziehungen von Männern oder lichen Lehre hinsichtlich der Sexualmoral gerecht zu werden, Frauen, die sich in geschlechtlicher Hinsicht ausschließlich enthalten unausgesprochen die Feststellung, dass Bischöfe es oder vorwiegend zu Menschen gleichen Geschlechtes hingezo- dabei an der nötigen Entschiedenheit fehlen lassen, mit schwer- gen fühlen. Homosexualität tritt in verschiedenen Zeiten und wiegenden negativen Konsequenzen für die Kirche. Kulturen in sehr wechselhaften Formen auf. Ihre psychische In seiner Weihnachtsansprache an die römische Kurie hat Entstehung ist noch weitgehend ungeklärt. Gestützt auf die sich Papst Benedikt XVI am 22. Dezember 2008 mit dankens- Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet [Vgl. werter Klarheit geäussert: „Der Mensch will sich nur selber ma- Gen 19, 1—29; Röm 1,24—27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10], hat die chen und sein Eigenes immer nur selbst bestimmen. Aber so kirchliche Überlieferung stets erklärt, „daß die homosexuellen lebt er gegen die Wahrheit, lebt gegen den Schöpfergeist. Die Handlungen in sich nicht in Ordnung sind“ (CDF, Erkl. „Perso- Regenwälder verdienen unseren Schutz, ja, aber nicht weniger na humana“ 8). Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, der Mensch als Geschöpf, dem eine Botschaft eingeschrieben denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ist, die nicht Gegensatz zu unserer Freiheit, sondern ihre Bedin- ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven gung bedeutet.“107 Die Kirche muss nicht nur die Erde, das Was- und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in kei- ser und die Luft als Schöpfungsgaben verteidigen, die allen ge- nem Fall zu billigen. hören, sondern sie muss auch den Menschen gegen die Zerstö- 2358 Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen rung seiner selbst schützen. „Es muss so etwas wie eine Ökolo- haben tiefsitzende homosexuelle Tendenzen. Diese Neigung, gie des Menschen im recht verstandenen Sinn geben. Es ist die objektiv ungeordnet ist, stellt für die meisten von ihnen ei- nicht überholte Metaphysik, wenn die Kirche von der Natur des ne Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu be- Menschen als Mann und Frau redet und das Achten dieser gegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zu- rückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Le- ben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Verfaßtheit erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen. 2359 Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. 103 Vgl. „Kreuzweg 2006“, unter: www.kath.net/detail.php?id=13380. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren 104 Vgl. Empereur, J.L.: Spiritual direction and the gay person. Contin- Freiheit erziehen, können und sollen sie sich — vielleicht auch uum International Publishing Group 1998. mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft —‚ durch das Gebet 105 Ibidem, 1, 222. und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschie- 106 McNeill, J.: Freedom, Glorious Freddom. Boston 1995, 81. den der christlichen Vollkommenheit annähern. 107 Papst Benedikt XVI an die römische Kurie, unter: www.zenit.org/ article-16725?!=german. Zitiert aus: Katechismus der Katholischen Kirche. Neuüber- 108 Ibidem. setzung aufgrund der editio typica latina, München u.a. 2007.

– 191 – – 192 – WALTER HOERES Woher der Haß – Neue und alte antiklerikale Affekte

Necessitatem ferre, non flere decet. an in einem ungeheuren Wust gleichgültigen Wissens erstickt, Ein notvolles Schicksal das es dennoch zu verinnerlichen gilt: will er im Kampf ums soll man ertragen, nicht beweinen. Dasein einigermaßen anständig überleben. Um das zu realisie- Publilius Syrus, Sententiae ren, braucht man nicht Frank Schirrmacher zu lesen, der sich mit dieser geisttötenden Umklammerung der technisch immer Der verstorbene Herausgeber von THEOLOGISCHES Msgr. perfekteren Informationsgesellschaft neuerdings expressis ver- Bökmann pflegte oft zu fragen, was der Grund sei für den bis beschäftigt hat. wahnsinnigen Haß, dem die Kirche heute begegnet. Die Frage Schon in den dreißiger Jahren kritisierte Karl Jaspers in sei- ist aktueller denn je, nachdem erst die Aufhebung der Exkom- nem berühmten kleinen Werk über „die geistige Situation der munikation der vier Pius-Bischöfe und nunmehr die Miß- Zeit“, das auch heute noch als bestechende Diagnose der Ge- brauchsfälle die Medien zu maßlosen Angriffen, zu Hohn und gen wart gelten kann,2 die uferlose Diskussion über Erziehung Spott über die Kirche und das Priestertum in seiner überliefer- und Bildung, das „endlose pädagogische Probieren ohne Ein- ten Gestalt animiert haben. Daß die hämischen und auf allen heit einer Idee“. Was soll auch eine Gesellschaft von Agnosti- Kanälen verbreiteten Angriffe und Unterstellungen durch den kern heute noch über die lohnenden Ziele von Erziehung und auch diesmal einsetzenden Paroxysmus der Entschuldigungen Bildung sagen! Und wie soll ausgerechnet sie zu dem Schluß von kirchlicher Seite noch gesteigert wurden, steht auf einem kommen, daß der Mensch von Natur aus über Gott und sein anderen Blatt! Verhältnis zur Welt Bescheid wissen will? Wir wollen hier kein Psychogramm dieses Hasses vorlegen. Zum Entschwinden der Inhalte, dem im theologischen Be- Wer uns kennt, weiß von unserer Abneigung gegen den allge- reich die „Verdunstung“ des Glaubens entspricht, die freilich genwärtigen Psychologismus und damit die Methode, sich un- auch hier kein unabwendbares Naturgesetz ist, wie der Name geniert und in quickem Bescheidwissen im Seelenleben der an- suggeriert, gesellt sich die neue Form des Denkens, die ebenfalls deren umzutun, als sei es das eigene und so ihre Gewissenser- der metaphysischen Bestimmung des Menschen und mehr noch forschung statt die eigene zu betreiben. Unentwegt spricht man seiner Sehnsucht nach dem Heil denkbar abträglich ist. Schon heute von Hermeneutik, der hohen Kunst des Verstehens und mit dem Rationalismus des siebzehnten Jahrhunderts wird die vergißt dabei doch allzu leicht, daß „Verstehen“ alles andere ist Vernunft zum bloßen Denkapparat degradiert, wie ihn Kant dann als „sich in den anderen hinein zu versetzen“ und in seinem See- mit erledigender Endgültigkeit konzipierte. Der Intellekt wird zur lenleben zu nassauern und zu schmarotzen! Ganz im Gegen teil Ratio verkürzt, und diese Entwicklung schlägt sich in einer Er- ist auch das Verstehen ein Erkenntnisakt und damit von der kenntnistheorie nieder, die alles, was nicht in ihre Kategorien und Distanz geprägt, die den Erkennenden von seinem Gegenüber ihr Ideal der planen Durchsichtigkeit paßt, der Irrationalität und unterscheidet. Das eben ist das Problem, wie ich den anderen dem Irrationalismus überantwortet. „Seit dem siebzehnten Jahr- und seine geistigen Emanationen über alle Distanzen hinweg hundert wird nur wissenschaftliches Denken als kognitiv be- doch verstehen kann: ein Problem, daß die Hermeneutik trotz ih- trachtet, andere Arten von Verstehen sind nur Gefühl“.3 Die Ent- res unaufhörlichen Geredes darüber bis heute nicht gelöst hat.1 wicklung führt zu einer gigantischen und immer noch fortschrei- Unsere Absicht kann es daher nur sein, eine kleine Ideenge- tenden Entzauberung der Welt, die ihrer Hintergründe beraubt schichte jenes Hasses zu versuchen. Denn wenn es stimmt, daß nur noch als berechenbares Beziehungsgefüge erscheint. Sie der Mensch als geistbestimmtes Wesen bis in die Tiefe seines setzt sich fort in die alltägliche Praxis und damit in die Art, wie Herzens von Ideen, von den geistigen Überzeugungen vom Sinn die seit der Aufklärung so sehr in den Himmel gehobene „Ver- des Daseins geprägt wird und die „Gesellschaft“ nur das Trans- nunft“ heute als bloßes Instrument gefordert und benutzt wird. portband ist, durch das sie an ihn herankommen, dann hat das An die Stelle der Einsicht in das Sein und Wesen der Dinge, auch von jenem Haß und damit von den Gründen für die wüten- wie es sich in ihrer Erscheinungsweise offenbart, ist die kalku- de Abwendung vom Glauben zu gelten, die ihm zugrunde liegen. lierende Vernunft getreten, die unaufhörlich Beziehungen auf- spürt und die ganze Welt in ein übersichtliches Netzwerk von Der Einzelne und sein Ressentiment Mitteln und ihrerseits wieder dem weiteren Nutzen dienenden Gehen wir in unserer Analyse vom abendländischen Bild des Zwecken einteilt. Gefragt ist nicht mehr das Röntgenauge des Menschen aus, das schon Aristoteles grundgelegt hat, wenn er Geistes, das die Dinge bis in ihre Wesenstiefe zu durchdringen den Menschen als geistbestimmtes Sinneswesen bezeichnet und dem auch noch Heidegger seine Reverenz zollt, wenn er ihn als Lichtung des Seins umschreibt! Dann müssen wir fest- stellen, daß ihm Neuzeit und Gegenwart mit zunehmender Ten- denz Steine statt Brot geben. Wenn alle Menschen schon „von 1 Natur aus“ und so mit ihrem ganzen Sein und Streben nach der Mit Recht sagt der große spanische Philosoph Jaime Balmes des- Erkenntnis der letzten Gründe der Wirklichkeit fragen, wie Ari- halb: „En el acto intelectual hay algo misterioso que el hombre pro- cura explicar de mil modos“. Filosofia Fundamental. Obras Com- stoteles lapidar zu Beginn seines Hauptwerkes feststellt, dann pletas. Ed BAC. 2.Bd. S. 442. wird dieses Verlangen nun schon seit langem grimmig ent- 2 Karl Jaspers: Die geistige Situation der Zeit. Sechster Abdruck der täuscht. Der Mensch als animal metaphysicum wird ständig vor im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage Slg. Göschen 1000. Ber- den Kopf gestoßen, und sein staunendes Nachfragen nach den lin 1965. Grundlagen seines Seins und Wesens wird in unserer unüber- 3 Morris Bermann: Wiederverzauberung der Welt. Am Ende des New- schaubaren Informationsgesellschaft schon von Kindesbeinen tonschen Zeitalters. München 1983 S. 137. – 193 – – 194 – sucht, sondern der spähende Blick, wie ihn Schopenhauer nann- eines Gottes, der sich nach getanem Werk aufs Altenteil zurück- te, der die Dinge auf ihre Verwendbarkeit und damit ihre Funk- zieht, in ihrem Widersinn zu durchschauen. Auf diese Weise tionalität in dem erwähnten Netzwerk abtaxiert. Einfacher gesagt sieht sich die Weigerung, die für unsere Zeit typisch ist, sich auf soll hier nur auf den abgrundtiefen Unterschied aufmerksam ge- die Existenz Gottes einzulassen, sich für ihn zu öffnen oder sich macht werden, der das Denken des Ingenieurs, des Steuerbera- gar, wie es nur konsequent wäre, ihm hinzugeben, ständig mit ters, des „Controllers“ oder Werbefachmannes von den Katego- ihrer eigenen Unwahrhaftigkeit konfrontiert. Sartre, sonst wahr - rien des Heiles unterscheidet, nach denen nicht erst der Theolo- lich kein uns sympathischer Denker, hat die Unwahrhaftigkeit ge, sondern auch schon der traditionelle Philosoph, ja ganz ein- in seinen meisterhaften phänomenologischen Analysen im Haupt- fach der unverbildete Menschenverstand fragt, dem es immer werk „Das Sein und das Nichts“ analysiert.4 Sie besteht darin, auch um den Sinn des Daseins und die letzten Dinge geht. daß man im Unterschied zur eigentlichen Lüge sich selbst be- Ergebnis ist ein Konflikt, in dem nur allzu oft das unausrott- lügt und folglich auch immer, wenn auch in subkutaner Weise bare metaphysische Fragen ebenso permanent mit einem Achsel- davon weiß. Aber es liegt auf der Hand, daß das Leben in die- zucken und schließlich als spinnerte Angewohnheit abgetan ser uneingestandenen und gerade darum um so eindringlicheren wird. So finden sie sich schließlich mit ihrer Ratlosigkeit ab und Unwahrhaftigkeit noch schwerer zu ertragen ist als jenes unge- lassen sie selber zur sakrosankten Ideologie werden, die nunmehr stillte metaphysische Bedürfnis nach Antwort, von dem wir alle, die noch fest glauben und an der unverbrüchlichen Wahrheit vorher sprachen! Und daß so erst recht der Groll gegen jene festhalten, als weltfremde Sonderlinge abtut. Schon hier ist der aufsteigt und zugleich immer schon als unvernünftig verbissen Nährboden für jenes Ressentiment, das Max Scheler im An- wird, die den Glauben an Gott ernst nehmen und dies dazu noch schluß an Nietzsche als unterschwelligen, verbissenen Groll der in der öffentlichen und verbindlichen Form kirchlichen Lebens. vom Schicksal Benachteiligten gegen „die da oben“, die vom Doch wenden wir uns von diesen philosophischen Betrach- Glück Begünstigten, die höheren und reicheren Naturen definier- tungen, die sich am geistbestimmten, metaphysischen Wesen te. Denn es besteht nicht der geringste Grund, dieses Ressenti- des Menschen und seiner natürlichen Erkenntnisfähigkeit ori - ment nur auf den Groll gegen die wirtschaftlich und gesellschaft- en tieren, den eigentlich theologischen Gründen für den Haß ge- lich Bessergestellten einzuschränken. Ganz im Gegenteil ist hier gen Glaube und Kirche zu! Hier wäre zunächst an die Wahrheit aller Grund zum Neid auf die, die sich auch heute noch im fest- von der anima naturaliter christiana zu erinnern. Es mag sein, en Glauben geborgen wissen und so den „Wechselfällen des Le- daß Karl Rahner und andere diesen Begriff bis zum Überdruß bens“ in ganz anderer Weise begegnen können als die ratlose Ge- strapaziert und mit ihrer ständigen Rede vom anonymen Chri- sellschaft, die geflissentlich alles, was an den Tod und damit an stentum sowohl die Grenzen von Natur und Übernatur wie auch 5 die letzten Dinge gemahnt, aus ihrer Mitte verbannt. Und dieser die von Kirche und Welt verwischt haben. Dennoch ist es wahr, Neid gewinnt seine Schärfe gerade dadurch, daß er verdrängt daß der Mensch eine natürliche Offenheit und Empfangsbereit- wird. Denn würde er sich eingestehen, daß er die anderen mit schaft für die Gnade besitzt und damit auch eine in ihr gründen- Recht beneidet, dann wäre es um seine Skepsis geschehen. de natürliche Sehnsucht nach dem Leben in Gott, wenn er auch Hinzu kommt, daß der ausgesprochene Atheismus heute eher dieses Ziel nicht aus eigener Kraft erreichen kann. Deshalb selten ist. Eine solche, wenn auch verquere Weltanschauung sprechen die Theologen auch von einem richtig zu verstehen- wäre ja auch schon wieder ein Zugeständnis an die Wahrheits- den desiderium naturale finis supernaturalis. Das Wort „deside- fähigkeit des menschlichen Geistes, von dem unsere müde rela- rium“ ist glücklich gewählt, denn Sehnsucht ist noch kein Ver- tivistische, agnostische bis vollends skeptische Gesellschaft weit langen nach dem, worauf wir Anspruch haben. Wir sehnen uns entfernt ist. Eher haben wir es mit einem Deismus zu tun, wie ja auch im Alltag schon nach besseren Lebensverhältnissen und ihn Collins, Reimarus, Rousseau, Shaftesbury, Voltaire schon in können uns durchaus vorstellen, uns bestens in ihnen einzurich- der ersten Aufklärung pflegten. Er akzeptiert noch die Existenz ten, ohne daß wir sie jemals aus eigener Kraft erreichen können eines höchsten Wesens oder besser gesagt er findet sich mit ihr oder gar irgendeinen Anspruch auf sie haben. ab. Aber er rechnet nicht mehr damit, daß Gott in die Welt ein- Aber es ist klar, daß die in dieser Sehnsucht liegende Hoff- greift oder sie gar regiert. Er wird nun zu einem blassen, fernen nung den liberalen Zeitgenossen nicht mehr gegeben ist. Doch Schemen am Rande der Welt, dessen man allenfalls noch bis weil sie in der menschlichen Natur verankert ist, werden in ih- zur Konfirmation gedenkt. Er kümmert sich nicht um uns und rem Lichte alle diesseitigen Erfüllungen unserer Konsumge- wir nicht um ihn. Allenfalls wird sein Name noch in der Kate- sellschaft als schal empfunden. Thomas von Kempis mit sei- gorialseelsorge etwa bei Hochzeiten und Beerdigungen ge- nem so ungeheuer eindringlichen Aufweis der Nichtigkeit aller braucht, um diese Höhe- und Endpunkte im menschlichen Da- irdischen Dinge behält so letzten Endes recht: auch wenn sie sein nicht ganz in Banalität versinken zu lassen. ihn nicht mehr kennen oder nichts mehr von ihm wissen wol- len. Hier zeigt sich der abgrundtiefe Unterschied großer, von Aber man sollte unsere Zeitgenossen – Erben des Rationa- Ideen und religiöser Inbrunst geprägter Kultur und den armse- lismus und der Aufklärung, die sie sind – nicht unterschätzen. ligen Errungenschaften einer rein diesseitig orientierten Gesell- Die Unlogik des Deismus liegt so sehr auf der Hand, daß sie schaft, die ihren Anhängern nichts anderes mehr zu bieten hat immer von neuem verdrängt werden muß. Wenn es einen Gott als die Annehmlichkeiten der technischen Zivilisation. Auch gibt, der die Welt aus Nichts erschaffen hat, dann kann er sich nicht einfach nach getanem Werk zurückziehen. Ist doch die Welt nach dieser Voraussetzung unfähig, aus eigener Kraft zu existieren. Sie bedarf daher des ständigen schöpferischen Ein- flusses Gottes, der ihr immer wieder von neuem ihr Sein 4 Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänome- schenkt, weil sie von sich aus „nichts“ ist. Aus diesem Grunde nologischen Ontologie. Hamburg 1952. sprechen die Theologen auch von der „creatio continua“, der 5 Vgl. dazu unsere kritische Besprechung der Ekklesiologie von Me- ständigen Schöpfung. Doch es bedarf, wie gesagt, gar nicht ihres dard Kehl SJ: „Ende der Vereinnahmung?“ In: Theologische Blüten- gelehrten und erleuchteten Scharfsinnes, um die groteske Idee lese (Respondeo 12) Siegburg 2001 S. 64 ff.

– 195 – – 196 – das ist wiederum Grund genug, ressentimentgeladen und mit Was sind nun die Inhalte dieser Zivilreligion, wie wir sie mit geheucheltem Befremden auf die zu schauen, die voll sieghaf- einem aus der Tradition der französischen Aufklärung stam- ter Zuversicht noch von der Verheißung des Apostels erfüllt menden Begriff bezeichneten? Oft wird der heutigen Gesell- sind: „Was sind die Leiden dieser Welt verglichen mit der zu- schaft von konservativen Katholiken vorgeworfen, sie sei in zü- künftigen Herrlichkeit!“. Die innerkirchliche Situation der gellosem Hedonismus befangen und habe – wenn schon nicht Gegenwart mit ihrem weichgespülten Christentum und seiner den Kult der Libido – so doch die Steigerung der Lust, des ani- krampfhaften Öffnung für die Welt von heute bringt es mit sich, malischen Wohlbefindens zu ihrem höchsten Ideal gemacht. daß dieses sich immer wieder zum wütenden Affekt steigernde Richtig daran ist, wie wir das schon in diesen Spalten ausführten, ressentimentgeladene Befremden der Kirche nicht nur von au- daß der Utilitarismus, der das größte (fühlbare) Wohlbefinden ßen, sondern auch von innen entgegengebracht wird und unter der größten Zahl zum obersten sittlichen Ziel erklärt, zur führen- dem Deckmantel des Kampfes gegen den Fundamentalismus den Ethik der westlichen Welt geworden ist. Und doch ist jener ihre überlieferte Gestalt so nicht nur von außen, sondern auch Vorwurf zu kurz gegriffen und trifft nicht den Nerv einer Gesell- von innen in Frage gestellt wird. schaft, die so stolz darauf ist, im Gegensatz zum Islam und ande- ren Kulturen Erbe der Aufklärung zu sein. Oberstes Ziel ist viel- Die intolerante Gesellschaft mehr die Emanzipation, die als permanente Forderung längst Bisher haben wir nur vom Einzelnen und seiner geistigen zum Selbstläufer geworden ist. Sie soll uns von all den Bindun- Verfassung gesprochen, die ihn zum Affekt gegen die Kirche gen und Rücksichten befreien, an denen die vermeintlich „ewig- motiviert. Dabei darf nicht vergessen werden, daß er heute in gestrigen“ Konservativen immer noch festhalten. Und erst im einer Gesellschaft lebt, die mit Recht als „hermetische“ be- Gefolge dieser leerlaufenden Emanzipation, die unbegreiflicher- zeichnet wird. Niemals zuvor in der Geschichte ist die alte weise stets mit Souveränität verwechselt wird, verliert der Wahrheit, daß der Mensch auch ein gesellschaftliches Wesen Mensch seine Herrschaft über die Triebe oder faßt es vielmehr als ist, so sehr travestiert und auf ungute Weise bestätigt worden solche auf, ihnen einfach nachzugeben. Denn in seiner absoluten wie in der Industriegesellschaft der Gegenwart. Sie ist gekenn- Emanzipation hat er ihnen nunmehr nichts mehr entgegenzuset- zeichnet durch eine physische Allgegenwart aller bei allen, ein zen. Das ist ein Zusammenhang, ein Syndrom, auf das wir auch penetrantes Zusammensein, gegen das die Enge der mittelalter- schon im Anschluß an Hegel hingewiesen haben. lichen Städte ein Kinderspiel war. „Ich sehe“, so prophezeit Os- Man versteht also, daß diese Wertschätzung der immer wei- wald Spengler schon am Anfang des 20 Jahrhunderts, „Stadtan- ter gehenden Emanzipation, die heute geradezu zur „Pflichtlek- lagen für zehn bis zwanzig Millionen Menschen, die sich über türe“ erhoben wird, ihre Verfechter so erbost auf eine Institution weite Landschaften verteilen, mit Bauten, gegen welche die wie die Kirche blicken läßt, die es hier und dazu noch von Amts größten der Gegenwart zwerghaft wirken und Verkehrsgedan- wegen wagt, unter Berufung auf Gott ihre Verbotstafeln aufzu- ken, die uns heute als Wahnsinn erscheinen würden“.6 Und richten. Das ist es, was die Vertreter des emanzipativen Lais- doch ist diese hermetische Urbanität nur der Rahmen für die sez-faire und des „anything goes“ so sehr echauffiert! Nicht der Angewiesenheit aller auf das Ganze, das immer unfaßlicher Eros, der Hedonismus, die Sexualität als solche ist es, die ihnen wird und von dessen undurchschaubarem Funktionieren und am Herzen liegt, sondern die totale Autonomie des Subjektes, Prosperieren alle Einzelnen mit Haut und Haaren abhängen. die sie schon seit zweihundert Jahren, nachdem Kant sie ausge- „Total“ kann diese Gesellschaft aber deswegen genannt wer- rufen hat, mit einer Intransigenz und Intoleranz fordern, die ge- den, weil sie ihre Subjekte immer mehr in das Prokrustesbett ei- nau dieser Autonomie ins Gesicht schlägt. Wir erinnern uns ner Meinungsdiktatur zwängt, die um so hermetischer ist, als noch an die Empörung, mit der die linksliberale „Frankfurter sie dem Einzelnen das Bewußtsein der Freiheit läßt, ja die Mei- Rundschau“ seinerzeit auf „Humanae Vitae“ reagierte und die nungsfreiheit und Toleranz zu ihren höchsten Gütern zählt. Forderung erhob, man solle die Leute wenigstens im Schlaf- zimmer in Ruhe lassen. Bezeichnend war jetzt auch das Inter- Im Klammergriff der allgegenwärtigen Medien werden uns view, das ein Kirchenfunkredakteur des Hessischen Rundfunks eine flache humanistische „Zivilreligion“ und entsprechende anläßlich der Diskussion um die Mißbauchsfälle der „Hessen- Verhaltensweisen aufoktroyiert, denen sich kaum noch jemand schau“ gab: die Kirche solle endlich von ihrem hohen Roß her- entziehen kann, der es in dieser Gesellschaft und vor allem in der absteigen! Es geht somit um den Anspruch, die Existenz einer längst zur Kulturindustrie herabgesunkenen geistigen Landschaft Institution, die mit gottgegebener Autorität und das in den zu etwas bringen will. Der Zwang zur heute so umstrittenen po- wichtigsten Lebensfragen sagt, ja gebietet, was recht und billig litical correctness und ihre Ausdehnung auf immer neue Mei- ist und die den Liberalen und auch dem Staat daher auch das nungsfelder wie den Feminismus und die Gender-Ideologie sind Recht bestreitet, den Kalendertag festzulegen, vor dem die Tö- nur die Folge dieser Ubiquität der Kommunikationsmittel, deren tung der Kinder im Mutterleib ohne Sanktionen bleibt. Gigantomachie in immer größeren Konzentrationen mündet. Wie von selbst geht die Diktatur der totalen Emanzipation in Spengler mag übertreiben und doch ist seine Diagnose gerade in die der absoluten Meinungsfreiheit über. Nach allem dürfen wir dieser Übertreibung von bestechend erhellender Kraft. „Wir le- von „Diktatur“ deshalb sprechen, weil die Intoleranz, in der wir ben heute so widerstandslos unter der Wirkung dieser geistigen heute leben, nicht auf nackter Gewalt beruht, sondern auf jenem Artillerie, daß kaum jemand den inneren Abstand gewinnt, um allgegenwärtigen Meinungskartell, von dem wir sprachen. Den sich das Ungeheuerliche dieses Schauspiels klarzumachen. Der Wille zur Macht in rein demokratischer Verkleidung hat sein Meisterstück damit vollendet, daß dem Freiheitsgefühl der Ob- jekte mit der vollkommensten Knechtung, die es je gegeben hat, sogar noch geschmeichelt wird. Der liberale Bürgersinn ist stolz auf die Abschaffung der Zensur … während die Diktatur der 6 Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Deutscher Ta- Presse … die Sklavenschar ihrer Leser unter der Peitsche ihrer schenbuch-Verlag (dtv) 8. Aufl. München 1986 S. 675. Leitartikel, Telegramme und Illustrationen hält.“7 7 A.a.O. S. 1138 f.

– 197 – – 198 – Zusammenhang von totaler Emanzipation und Meinungsfreiheit eine Einrichtung wie die katholische Kirche, die als Verkünde- hat schon Nietzsche hervorgehoben, wenn er gegen Kant, der rin der unfehlbaren göttlichen Offenbarung auftritt, in diese immerhin noch am Sittengesetz festhielt, geltend macht, daß des- Landschaft wie die Faust aufs Auge paßt. Wenn alles zur An- sen Existenz und Anspruch der totalen Autonomie wi derspricht. sichtssache erklärt wird, wenn „Demut“, wie sie der deutsche Nichts ist heute so unpopulär und verhaßt wie der An spruch ei- Protagonist des „Kritischen Rationalismus“ Hans Albert preist, ner Philosophie, die noch an einsichtig notwendigen und insofern darin besteht, von der Vorläufigkeit aller Wahrheit durchdrun- absoluten und allgemeingültigen Wahrheiten festhält. Ja, im Zei- gen zu sein, dann müssen natürlich alle die als rückwärtsge- chen des Kritischen Rationalismus von Karl R. Popper und Hans wandte und unerwünschte Störenfriede erscheinen, die noch Albert wird eine solche Philosophie gar als gemeingefährlich daran glauben, daß im Ergreifen der Wahrheit das Heil besteht. eingestuft und es kennzeichnet den Niedergang des kirchlichen Hegel hält Kant und dessen Lobpreis des Selbstdenkens und Lebens, daß so viele kirchliche Intellektuelle, ja Theologen diese der Mündigkeit der Vernunft entgegen, daß zur Bildung des Polemik mitmachen und sich in ihrem Zeichen von der philoso- Menschen auch das „substantielle Leben des objektiven Gei- phia perennis der Scholastik abgewandt haben. stes“ gehört. Gemeint ist, daß der Mensch nicht im luftleeren In seinem weit verbreiteten Werk über „die offene Gesell- Raum und im geistigen Vakuum zur Reife gelangen kann, son- schaft und ihre Feinde“, das ein ungeheures Echo gehabt hat, dern daß dazu auch die objektiven Mächte der Tradition, der weil es genau den Intentionen unserer permissiven Epoche ent- Familie, der Religion und damit all das gehören, was er als „ob- spricht, erläutert Popper die Gründe für diese angebliche Ge- jektiven Geist“ dem „subjektiven“ des Einzelnen entgegensetzt, fahr und besiegelt damit die Intoleranz einer Gesellschaft, die der isoliert genau so wenig gedeihen kann wie das Kind ohne sich soviel auf ihre Toleranz zugute hält. Wer an gültigen Wahr- die Muttermilch, auf die es ab ovo angewiesen ist. Doch nach heiten und das in den wichtigsten weltanschaulichen Fragen, so allem, was wir über die hermetische Gesellschaft und ihre Mei- heißt es da, festhält, fühlt sich gedrängt, sie auch anderen auf- nungsdiktatur sagten, gilt diese richtige Einsicht heute leider in zuzwingen und deshalb ist eine „geschlossene“ Philosophie der umgekehrten Richtung. Die nahezu völlig säkularisierte oder Weltanschauung eine Bedrohung für die pluralistische Ge- Mentalität läßt den Gläubigen heute als Sonderling und Außen- sellschaft, in der Meinungsvielfalt Trumpf ist. seiter erscheinen, als den „anderen“, der als solcher nicht recht Tatsächlich hat sich unser geistiges Leben im Zeichen dieses dazu gehört, sondern ganz im Gegenteil mit diesem seinem fest- bemühten Relativismus schon weitgehend in einen Austausch en Glauben zum Störfaktor wird, der die traute Übereinstimmung von Meinungen und Ansichten verwandelt. Und auf diese Wei- derer, die sich für immer im heimeligen Diesseits einrichten wol- se geht unser Kulturbetrieb wie von selbst in pure Unterhal- len, aufs äußerste irritiert. Und wir wissen ja aus der Geschichte, tungs industrie und in eine Serie gehobener Talkshows über. wie sehr zu allen Zeiten die „anderen“, die sich in Glaube und Denn es ist immer faszinierend, die Ansichten anderer Leute Habitus nicht einordnen wollten, verfolgt wurden. über bewegende Fragen zu hören und zwar gerade deshalb, Eine und vielleicht die wichtigste theologische Tiefendimen- weil sie weit mehr über die beteiligten Subjekte als über die Sa- sion des Problems aber haben wir bei unseren Analysen ausge- che selbst verraten. Im Zeichen dieser verordneten Meinungs- spart. Wenn es zutrifft, daß Gott allen Menschen und zumal den vielfalt, die uns als geistige Mündigkeit abverlangt wird, wel- Getauften hinreichende Gnade gibt, mit deren Hilfe sie das Heil che Kant als das eigentliche Ziel der Aufklärung bezeichnet erlangen können, dann muß auch damit gerechnet werden, daß hat,8 sollen wir zu allem und jedem unsere Meinung haben. Ein sich in den Tiefen ihrer Seele ein Kampf abgespielt hat, der Tor ist nicht der, welcher die Unwahrheit sagt, sondern der, der schließlich mit dem Abfall vom Glauben geendigt hat: auch keine eigene Meinung hat. Auch hier ist es leicht, zu sehen, daß wenn dieser zunächst nur keimhaft in ihnen angelegt war. Und nichts ist so virulent, wie das Ressentiment des Apostaten. Aber das sind Überlegungen, über die der Schleier eines letzten Ge- heimnisses gebreitet ist. 8 Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung. In: Walter Hoeres Berlinische Monatsschrift 1784. Schönbornstr. 47, 60431 Frankfurt/M.

FRANZ NORBERT OTTERBECK Die neun Plagen der „Pastoral“

(Köln, 25. März 2010.) „Frontal 21“ ist eine ephemere Fern- der nachkonziliaren Kirchenszene. Nur vermittelt durch Carl sehsendung, „Stuttgart 21“ ein Schwaben-Schildbürgerstreich Schmitt und Charles Maurras haben diese Gase, von Hegel im wilden Süden, aber was um Gottes Willen will die Pastoral kommend, auch „die Linke“ vernebelt.2 „Der Feind steht rechts“, hierzulande im 21. Jahrhundert erreichen? Außer Streik, Boykott, formulierte Reichskanzler Joseph Wirth 1921 treffend. Für das Vergreisung? Schon gelegentlich wurde hier Partei ergriffen ge- Christentum heute ist es vielerorts wahr. Man denke nur an die gen die „Ekklesiologie der Parteilichkeit“1, die Atmos phä re in elitären Freikirchen, nicht nur in Lateinamerika, die ihren An-

– 199 – – 200 – hängern persönliches Wohlergehen zu vermitteln behaupten, in veritate mit der Kultur der GRATUITÀ meinte. Spenden diese „Elite“ aber von jedem sozialen Denken fernhalten wollen. sammeln „wir“ doch immer schon. Und wenn der Schriften- Es besteht keine Gefahr, dass diese Sekten den ehemals katholi- stand mal wieder ein bisschen ins Defizit rutscht, trotz überhöh- schen Kontinent vollends der Kirche entfremden. Denn wer eli- ter Preise, da haben wir doch noch den „blauen Beutel“. (Die tär agitiert, der braucht ja die „dumpfe Masse“ als Ge gen bild, schwarze Seele liebt nunmal die schwarze Kasse.) Damit kann um die „gute Sache“ ihr gegenüber als pars sanior anzupreisen. freilich nur angedeutet werden, in welchem Ausmaß die Ver- Es kommt aber auf den Ruf Christi an; ‚vocation‘ ist noch mögensverwaltung schon zur Hauptsache deutscher Kirchen- mehr die Realität der Katholiken als Engagement. Denn der Herr Landschaften geworden ist. engagiert uns, nicht wir ihn. Der Wille des Höchsten geschehe; Das alles lockt als ‚neunte Sinfonie‘ die ägyptische Finsternis und der liegt nicht in unserer Macht. So einfach könnte man über das Land. Deren Vorspiel war wohl schon die schwelende li- schließen; und alle Arbeit dem Gebet anvertrauen, wären da nicht turgische Krise4; ihr öffentlicher Auftakt bei uns dürfte die „Af- die neun Plagen Ägyptens. Sie sind es, die Deutschland noch dar- färe Williamson“ 2009 mit ihren Folgen gewesen sein.5 Anläss- an hindern, dass die Pastoral 21 ihre „Ernte 23“ einfährt, im Jahr lich des Weltjugendtages 2005 konnte man noch an eine Morgen- 2023 also, sechzig Jahre nach Sacrosanctum Concilium. röte der ‚civiltà dell’amore‘ denken, auch im Lande der „Richter Der Nil blutet. Sofern die Heilige Schrift uns das Wasser des und Henker“. Aber die Plagen 1-8 wurden weder vor noch nach Lebens garantiert, verblutet der Glaube. Weil die Worte des 2005 bekämpft. Jetzt droht den Katholiken in Deutschland der Evangeliums zwar noch feierlich in der Liturgie vorgetragen blackout. Aber, Kulturpessimisten, zu früh gefreut! Hier erschallt werden, aber der Prediger sie sofort hinterfragt und dementiert, nicht die Trompete der Endzeitstimmung. Im Gegenteil. All das anstatt aufbereitet. – und noch mehr – ist gravierend, aber nicht schlimm. Auflehner Frösche im Nil. Setzen wir das Sprachbild fort: Die Frösche gegen den 1918, 1945 und 1968 dreimal abgedankten Glauben in der Exegese haben sozusagen eine „Wissenschaft“ verur- an die Autorität mussten wohl eine Weile unflätig schimpfen, al- sacht, die in den ehemals heiligsten Schriften Israels wie auch les umkrempeln und sich dann den Leidenschaften ergeben. Vom des Neuen Bundes überall Stellen sieht, denen keine Geltung Pathos der Religion blieb der Generation „Hans im Glück“ eine zukomme oder doch nur im symbolischen Sinn. Hand aufs flüchtige Morgenmeditation übrig; und ein verstohlener Blick Herz: Jesus wurde vom Satan in der Wüste in Versuchung ge- auf die schöne griechische Ikone am Sonntag.6 führt; und die Gottesmutter sang das Magnifikat. Wo kämen wir Le roi est mort, vive le roi: Fast gleichzeitig mit den Krawal- hin, wären das alles nur Froschkonzerte? len von Paris richtete Paul VI. ein Gipfelkreuz neuer geistlicher Mückenplagen. Unsere Medien repetieren, wie ferngesteuert, alles Jesus abträgliche und lassen das Ihm und Seiner Braut, der Heiligen Kirche, zuträgliche weg. Oder wie der aktuelle BROCK - HAUS „Religionen“ lehrt, zu Mose: „Historisch ist seine Gestalt nicht fassbar …“ (S. 447); zu Mohammed: „Das Leben und Wir- ken Mohammeds ist demnach relativ gut bezeugt …“ (S. 439). In Wahrheit ist nichts besser „bezeugt“ als die Bibel und damit auch 1 Verf., THEOLOGISCHES 2009, Sp. 70, 163, 334 und öfter. der Frühkatholizismus der Apostel Petrus und Paulus. 2 Henri de Lubac sagt in: Meine Schriften im Rückblick (dt. 1996; frz. Fliegen. Nennen wir da das Echo der kranken Medien in der 1986): „Als ich (damals siebenundzwanzig-jährig) Jersey verließ, rezenten Kirchenpresse: „Christ“ in der Gegenwart, die „Prali- wo noch der suarezianische Geist wehte, hatte man mich mit Stren- ne“ der Dicken und Hässlichen? Nein.3 Derlei ist nur noch eine ge als Thomist vermerkt (…), was damals bedeutete, ‚sich nicht an psychologisierende „Apotheken-Umschau“ für Klerikalsenio- die Lehren der Gesellschaft [= S.J.] halten‘. Diese grundlegende ren (auch im Laienstande). Orientierung habe ich nie aufgegeben. (…) Mehrmals ist mir ein ‚Thomismus‘ aufgefallen, der nurmehr ein Instrument zur Herr- Viehseuche. Mit Verlaub. Da fallen uns zuerst die Kirchen- schaft war, das Erkennungszeichen einer Partei, das Losungswort ei- verwaltungen ein, die im heiligen Deutschland wegen ihrer Be- ner Gruppe von Strebern oder eben die leere Schale eines gedanken- schäftigtenzahlen den Bischöfen immer noch das gute Gefühl losen Konformismus, (…)“ (S. 473 f.). Auf S. 480 f. antwortet er geben, als könnten sie wie kleine Fürsten, wohlmeinend frei- seinen Kritikern von „links“: „dass ich mich früher unter noch ganz lich, ihre Personalbestände regieren. Währenddessen rafft der anderen Umständen geweigert habe, das Knie vor den aufeinander pragmatische Atheismus die Herde hinweg. Lumen gentium sah folgenden Baalen zu beugen, die sich Maurassismus, Hitlerismus, die Kirche anders. Integralismus nannten; doch jetzt sehe ich andere Baale, die ins Hei- Geschwüre. Hier sind Gedanken an alle Plagen contra sex- ligtum einfallen, die dieselbe Anbetung fordern und durch ihre Die- tum kaum zu vermeiden. Ein weites Feld, leider auch inmitten ner in gleicher Weise vorgehen, wie sie bereits den alten Integra- lismus, mit umgekehrten Vorzeichen, schon vor 1914 gekennzeich- „neuer geistlicher Bewegungen“. Auch da finden sich viel zu net hat.“ (In der Fn. 17 dazu verweist er auf Presse-Beispiele; er sei wenig heilige Ehepaare zusammen. Die mediale Missbrauchs- als „Hoftheologe“ beschimpft worden, dazu da, „Paul VI. verrückt kampagne wird übrigens ihre Ziele verfehlen. Denn diese wirft zu machen“.) nunmal die Frage nach der Keuschheit auf, wider die Wollust. 3 Der engagierte Katholik Stefan Vesper vom ZdK verstieg sich dazu, Anders als in den Jahreskampagnen gegen Papst Benedikt anlässlich einer Veranstaltung der „Generation Benedikt“ in Bonn, 2007, 2008 und 2009 kann die DBK diesmal gottlob nicht wie- en passant die Kirchenjugend als die der Dicken und Hässlichen zu der ihre zarten Hände in deutschnationaler Unschuld waschen denunzieren. Das sei empirisch belegt. (War die Funktionärselite ge- und den antirömischen Affekt genießen. meint? Oder doch die jungen Beter?). 4 Hagel. Das ist das Eis von oben, die alltägliche Kommandier- Diese ist älter als die liturgische Bewegung; vgl. Verf., THEOLOGI- SCHES 2009, Sp. 69-74. sucht. Der liebe Pfarrer von nebenan setzt zwar heute häufiger ein 5 Man darf, ein Jahr „danach“, aber feststellen, dass die berüchtigte nettes Grinsen auf als früher. Aber wehe man kommt ihm in die Diagnose von Peter Hünermann, Herder-Korrespondenz 2009, S. Quere. Dann ist er plötzlich alleinzuständig (und -kompetent). 119-25, voll daneben lag. Es ist zwar viel zu tun; aber exakt in der Heuschrecken. Ja, die Heuschrecken. „It’s the economy, stu- Gegenrichtung. pid!“ In Kirchenkreisen versteht man noch nicht, was Caritas 6 Vgl.: Hans Küng, Was ich glaube (2009), S. 250.

– 201 – – 202 – Autorität auf. Überall da wo HUMANAE VITAE freiwillig ge- Trotz alledem gilt sogar hier: Der Feind steht „rechts“! Aber lebt wird, da hat die Wiedergeburt der Kirche nach den Ankün- was heißt das für Theologie und Kirche? Der Feind ist da, wo digungen des Konzils ihre Chance. VERITAS VINCIT. Nur die etablierte Macht ist. Das können auch linke Bürokraten Geduld also? Ja. Aber minimieren könnte man die epochalen sein, etwa in den Bildungs- und Schulministerien. Der Bil- Dummheiten à la „Würzburg“ (1971-1975; die Ex-Synode ist dungsnotstand bestand nicht darin, dass man Hartmut von Hen- seit 1990 sowieso ungültig, weil die Ex-DDR-Bischöfe nie be- tig zu wenig Lustknaben zugeführt hat. Wir brauchen Latein teiligt waren) doch etwas energischer, wollte man nur: und Mathematik, nicht als Selbstzweck, als Gegengift gegen Der kirchliche Stellenplan müsste beispielsweise auf den das Internet. „Rock gegen rechts“ ist eine profitable Sache. Umfang vom 8. Dezember 1965 zurückgeführt werden, über- Aber wetten dass die Profiteure der Musikindustrie auch ihre dies nach Maßgabe des Verhältnisses des Gesamtzahl der Be- Konten in Steueroasen haben? Wir brauchen Oasen der Chari- schäftigten zur Gesamtzahl der Beter, d.h. bereinigt auf ein té; „ma seule étoile“; also foyers de la Charité. Fünftel des Wertes am Tag des Konzilsschlusses. Das würde Henri de Lubac blickte vor fast 25 Jahren auf seine Schrif- auch ‚McKinsey‘ bestätigen: Alles andere ist ein Offizierskasi- ten zurück. Da findet sich manches, das bisher nicht hinrei- no ohne Mannschaftsräume. Da kommen die (Damen und) Her- chend beachtet wurde. Ich zitiere hier nicht seine zu parteiische ren Offiziere natürlich auf perverse Gedanken. Ehrenrettung für Teilhard, sondern nur einen Hinweis an den Die gängigen „Unterrichtswerke“ für die Staatsbürgerkunde Freibeuter Vorgrimler: „Ich habe gewisse Kritiken, die ich für (vulgo „Religionsunterricht“) gehören an sich auf den Index. ungerechtfertigt ansehe, niemals für ‚dumm’ oder ‚böswillig’ Für theologische Fakultäten besteht kein Bedarf, wenn die gehalten, da sie von Männern erhoben wurden, die ich achte Zahl der Studierenden im Hauptfach beispielsweise in Bonn, und verehre; ich bin es dem Andenken meines Generaloberen Ratzingers erster Fakultät, deutlich geringer ist als in Heiligen- schuldig, zu sagen, dass er, soweit er es nur vermochte, mir kreuz, d.h. an der Hochschule „Benedikt XVI.“ gegenüber eine große Güte an den Tag legte. Endlich ist mir der Der Abschaffung des Index folgte in den Köpfen mancher Gedanke, wenn er so ungeschützt hingestellt wird, ganz fremd, Professoren die klammheimliche Einrichtung eines verschlage- dass ‚Anfeindungen und Unterdrückung in der Kirche‘ nicht nen Anti-Index. Verboten sind einfach alle theologischen Werke, ausgehalten werden sollten (…). Eine solche Behauptung ent- die älter sind als 30 Jahre. „Trau keiner über 30!“ (Keiner Publi- fernt sich von dem, was immer meine Überzeugung war, eben- kation.) Das wird allerdings bald auch für Karl Rahner kritisch. so sehr, wie sie mir dem Wesen der Kirche zu widersprechen Lest doch zur Abwechslung mal Scheeben oder wenigstens scheint, und nicht minder der gesamten Überlieferung, wie sie Newman oder notfalls Guardini. Das ist keine Schweinskopf- sich seit den ersten Zeiten, ja schon in den Schriften des Neuen sülze, sondern Lektüre. Testamentes bezeugt findet.“7 Nur Geduld? Ja. Aufstand? Nur gegen das Unrecht; nie wider den Heiligen Geist! Dr. Franz Norbert Otterbeck Thusneldastraße 38 7 Vgl. o. Fn. 2, S. 487 f. 50679 Köln-Deutz

MATTHIAS VONARBURG Fortsetzung oder Neuanfang? Zu den vermeintlich aristotelischen Momenten thomasischer Rede von der Seele

Die thomasische Psychologie wird gerne im Kontext des von spricht davon, dass die aristotelische Seelenlehre „[i]m Mittel- Aristoteles geprägten Koordinatensystems gelesen. Dies hat alter […] durch Vermittlung arabischer Philosophen […] in die sich auch nach der Ausarbeitung der Unterschiede dieser beiden christliche Theologie und Philosophie übernommen [wurde], Konzeptionen, welche bei Thomas schliesslich zu einer „voll- und […] noch heute in der Dogmatik der katholischen Kirche ständige[n] Umwandlung des Aristotelismus“1 geführt haben, durch Joseph Ratzinger in Eschatologie – Tod und ewiges Le- ben (Kleine Katholische Dogmatik, Bd. 9) nicht geändert. Dass Thomas einer gänzlich anderen Welt bzw. einem anderen Raum des Denkens angehört als Aristoteles und diese andere Herkunft sich auch in den jeweiligen Konzeptionen niederschlägt, wird leider auch heute noch oftmals nicht genügend beachtet. Ein jüngeres Beispiel hierfür stellt die Monographie Seele und 1 Ratzinger, Joseph: Eschatologie – Tod und ewiges Leben, Friedrich Geist – früher und heute von Karl-Heinz Wollscheid dar. Er Pustet, Regensburg 61990, 125.

– 203 – – 204 – […] anzutreffen [sei].“2 Weil es aber nicht die aristotelische nistisch durch die Lupe des Aquinaten liest. Doch ist es zuläs- Lehre von der Seele als solche ist, welche Bestandteil der dog- sig, wenn man den Stagiriten über Thomas zu verstehen ver- matischen Lehre ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden, dass sucht? Insbesondere Siger von Brabant11 und Konsorten haben Thomas die aristotelischen Vorgaben nicht nur weiterdenkt, bereits zu Lebzeiten des Thomas aufgezeigt, dass Aristoteles sondern einen Neuanfang vorgenommen hat. Dazu soll auf I. von Thomas tendenziös in die christliche Umwelt übersetzt die aristotelische Lehre II. jene des Thomas kurz dargestellt wurde. So beantwortet Siger die Frage, „[u]trum intellectus sit werden, um III. ein Fazit ziehen zu können. in qualibet parte corporis“ denn auch dahin gehend, dass er da- von spricht, dass der Intellekt zwar jeden Teil durchforme, Die aristotelische Lehre von der Seele allerdings ist er „nicht in Bezug auf den Akt, der das Denken 12 Aristoteles behandelt die Lehre von der Seele insbesondere3 ist, in jedem Teil des Körpers […].“ Aber auch Brentano hat in seiner Schrift PERI YUCHS. In dieser Schrift vertritt er die darauf hingewiesen, dass der NOUS POIHTIKOS (bzw. intel- Auffassung, dass die Seele Form des Leibes ist.4 Anders als die lectus agens) des Stagiriten in gewisser Weise ein von den kör- moderne Psychologie behandelt er darin das Leben(sprinzip) perlichen Grundlagen unabhängiges Eigenleben führt, schreibt überhaupt und nicht nur das, was wir Heutigen unter der Seele er doch völlig zu Recht, dass es einen Teil „unserer Seele gibt, 13 im Allgemeinen, bzw. dem menschlichen Seelenleben im Be- an der unser Leib keinen Theil hat“. Dabei ist lediglich diese 14 sonderen verstehen, „denn [eine] Seele haben, heisst für die Al- göttliche Seele – welche der tätige Verstand ist – unsterblich 15 ten soviel wie Leben haben“5. Seele und Körper verhalten sich und sogar ungeschaffen. Daraus folgt, dass der passive Ver- nach seiner Auffassung zueinander wie Form und Materie. Be- stand, der ebenfalls Teil der anima humana ist, vergänglich ist. kanntlich definiert der Stagirite die Seele deshalb „die erste Hier wird Thomas, wie wir gleich sehen werden, einen anderen Vollendung eines natürlichen, organischen Körpers“6. Weil aber Weg einschlagen. die Seele Form des Körpers ist, kann sie ohne Verwiesenheit Die thomasische Konzeption auf denselben nicht sinnvoll gedacht werden. Der Körper aber ist auf seine Seele hin geschaffen.7 Das heisst, dass der Körper Im Unterschied zu Aristoteles geht Thomas nämlich davon in Bezug auf seine Seele dynamisch, diese aber in Bezug auf je- aus, dass die substantielle Form von Gott in einem eigenen 16 nen statisch8 zu denken ist. Sobald die Seele ihren Körper (und Schöpfungsakt auf ihren Körper hin geschaffen wird, wobei das als alleiniges Prinzip) durchformen kann, ist sie aktual ins dieselbe Hinordnung ausgleichend17 und durchaus wechselsei- Sein gebracht (man spricht in diesem Zusammenhang vom er- tig gedacht werden kann. Diese Seele ist – zumindest was den sten Akt).9 Hirschberger spricht davon, dass dabei die „Zwei- zweiten Akt betrifft – insofern dynamisch zu denken, als der heit“ verschwinde und sich „Leib und Seele zu einer unio sub- Mensch zur Gemeinschaft mit Gott (also: auf ihn hin) berufen stantialis“ verschmelzen würden. Dabei sei die Seele „als Gan- ist. Im Unterschied zu Aristoteles, der die Seele vom Körper, zes im ganzen Körper, und der Mensch […] eine aus Leib und wie wir ihn („hier“) vor uns haben, her konzipiert, denkt Tho- Seele zusammengesetzte einheitliche Substanz.“10 Mir scheint mas die Geistseele also von einem Jenseitigen Moment her, jedoch, dass Hirschberger die aristotelische Lehre hier anachro- denn die Seele (und mit ihr der ganze Mensch) ist zur Gemein- schaft mit Gott berufen. Dabei wird der Körper in dieselbe mit aufgenommen, womit die Seele selbst nur in ihrer Verwiesen- heit bzw. Abhängigkeit von ihrem Körper her verstanden wird.18 Andererseits aber ist auch jeder Körper in Bezug auf seine See- le geschaffen.19

2 Wollscheid, Karl-Heinz: Seele und Geist – früher und heute. Die Bemerkungen platonische und die aristotelische Seelentheorie, ihre Entwicklung in Bereits aus diesen wenigen Momenten geht deutlich hervor, der Theologie- und Philosophiegeschichte, heutige Theorien über dass die Konzeption des Stagiriten von derjenigen des Thomas Seele, Geist und Gehirn, Rhombos, Berlin 2009, 13. etwa so verschieden ist wie Fisch und Mensch: Zwar mag es 3 Seine Überlegungen zu den Gefühlen und Affekten findet sich in seiner Rhetorik. Nach: Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie, Bd. 1, Komet (Lizenzausgabe) s.a., 209. 4 In jungen Jahren vertrat er einen platonischen Dualismus, wonach sich Seele und Leib „wie zwei getrennte und feindliche Substanzen“ zueinander verhalten. Dabei sind dieselben lediglich „äusserlich [miteinander] verbunden“. Vgl. Hirschberger, 211. 5 Hirschberger, 209. 6 De an., 412b5-6. (Nach der von Seidl bearbeiteten Übersetzung 11 Cf. Siger von Brabant: Über die Lehre vom Intellekt nach Aristote- Theilers.) les, lat.-dt., hrsg., übers., eingeleitet und mit Anmerkungen versehen 7 De part. an., 645b14ff. von Matthias Perkams, Herder, Freiburg i.Br. et al. 2007 (Herders 8 Selbstverständlich will mit dieser Statik nicht eine Unbeweglichkeit Bibliothek der Philosophie des Mittelalters, Bd. 12). im engeren Sinne ausgesagt werden. Vielmehr soll dieser Ausdruck 12 Nach der Übersetzung von Perkams. aussagen, dass die Seele im Besitz ihres Körpers ist, denselben also 13 Brentano, Franz: Die Psychologie des Aristoteles insbesondere seine nicht in einem harten Kampf allererst noch erobern muss. Dieser Lehre vom NOUS POIHTIKOS, WBG, Darmstadt 1967 [unveränder- Sachverhalt wird insbesondere durch die aristotelische Lehre des ter reprograf. Nachdruck der Ausgabe Mainz am Rhein 1867], 205. Formenmonismus’ gestützt. 14 De an., 430a23. 9 Bei Aristoteles ist die Teleologie des ersten Aktes auf den Körper 15 De an., 430a23. bezogen, jene des zweiten Aktes dagegen wird von der Seele prädi- 16 Cf. ScG II 87. ziert. Im Unterschied dazu sind bei Thomas – wie wir später sehen 17 Vgl. Fuetscher, Lorenz: Akt und Potenz, 1933, 250. werden – beide Momente letztlich von Gott ausgesagt. 18 Dies gilt sogar für die von ihrem Körper getrennte Seele. Cf. ScG IV 81. 10 Hirschberger, 211. Hervorhebung M.V. 19 Cf. ScG IV 91.

– 205 – – 206 – zwischen ihnen gewisse Gemeinsamkeiten geben, allein die bindung mit ihrer Seele und durch die Durchformung durch Unterschiede wiegen so schwer, dass wir mit Letzterem etwas dieselbe realisiert wird. Somit aber stellt die thomasische Leh- ganz Neues vor uns haben. Pannenberg geht deshalb zu wenig re von der Seele nicht lediglich eine Spielart aristotelischer Vor- weit, wenn er von der „aristotelische[n] Scholastik des 13. Jahr- gaben unter christlichem Vorzeichen, sondern eine gänzlich ei- hunderts“20 schreibt, dass die thomasische Lehre „eine christ- gene Konzeption dar. Spenglers in Der Untergang des Abend- lich motivierte Umformung der aristotelischen Lehre dar[stel- landes (1917, Neubearbeitung 192225) vorgetragenen These, len würde]“.21 Flasch dagegen weist zu Recht darauf hin, dass wonach das faustische Seelentum ein gänzlich anderes als das es „unzureichend [sei], sein [Thomasens, M.V.] Denken als apollinische sei, ist zumindest diesbezüglich zuzustimmen. ‚christlichen Aristotelismus’ zu charakterisieren“22. Darin ist Die Differenz der jeweiligen Seelenauffassungen ist Aus- ihm unbedingt zu zustimmen, denn auch wenn es zwischen bei- druck des unterschiedlichen Grundgefühls der Welt gegenüber den Ansätzen gewisse formelle Übereinstimmungen gibt, so und lässt sich auf die unterschiedlichen Seelen zurückführen: darf darob eine eklatante Verschiedenheit in inhaltlicher Hin- So ist das Naturbild der apollinischen Seele „statisch … [und sicht doch nicht übersehen werden. Von der thomasischen Kon- daher] in jedem einzelnen Augenblick in sich selbst abgeschlos- zeption unterscheidet sich die aristotelische insbesondere in sen.“26 Sowohl die aristotelische als auch die thomasische Kon- folgenden beiden Punkten: Erstens ist die Seele (bzw. der intel- zeption bringen ein epochales Weltgefühl zum Ausdruck, denn lectus agens) nicht ungeschaffen und zweitens ist sie stets im „die faustische Tragödie ist biographisch, die apollinische [da- Kontext ihres Körpers zu bedenken. gegen] ist anekdotisch [konzipiert], das heisst, jene umfasst das Diese (und weitere) Differenzen sind insbesondere auf den Gerichtetsein eines ganzen Lebens, diese den für sich stehen- unterschiedlichen Ausgangspunkt, welcher dem jeweiligen Mo- den Augenblick.“27 Auf die Lehre von der Seele übertragen dell zu Grunde liegt, zurückzuführen: Während der Stagirite könnte das in etwa heissen, dass das Ziel der abendländischen den tätigen Verstand zwar als göttlich versteht, denkt Thomas Seele der Überstieg über die innerweltlichen Gegebenheiten die Seele als von Gott und zu Gott hin Geschaffene. Weil aber hinweg sein könnte, wobei der Unterschied zwischen thomasi- der Mensch wesentlich aus Leib und Seele besteht,23 wird diese scher und aristotelischer Lehre im Begriff der Gnade zu sehen Seele, um ihr Ziel erreichen zu können, (wenn auch acciden- ist: Wo das Lebensprinzip bei Aristoteles seine Vollendung in tiell) auf ihren Körper hin geschaffen. Dabei wird die Seele – sich selbst findet (Verwirklichung der ihr immanenten Mög- wenn man so will – auch hier von ihrem Körper her gedacht. lichkeiten, welche potentiell bereits angelegt sind), tritt bei Allerdings ist diese Relation lediglich sekundär bzw. nachfol- Thomas ein anderes Grundverständnis des menschlichen Le- gend aufzufassen. Trotzdem denkt Thomas die Einheit von See- bens; die Fülle ist ihm nicht aktiv mitgegeben, wohl aber die le und ihrem Leib radikaler als dies bei Aristoteles der Fall war. Grundlage dazu. So strebt der Mensch von Natur aus zu Gott Es überrascht daher nicht, dass Thomas „die Stellung des gei- hin – kann zu ihm jedoch nur durch die göttliche Gnade gelan- stigen und leiblichen Theiles des Menschen zu einander nicht gen: Gratia supponit naturam. ganz in derselben Weise […][denkt], wie Aristoteles sie be- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Thomas im Unter- stimmt hatte. So lässt er den geistigen Theil im ganzen Leibe schied zu Aristoteles (explizit) von einer numerisch individuel- gegenwärtig sein und den sensitiven und vegetativen Theil der len, persönlichen Seele spricht, die als solche Form des Körpers Seele mit dem intellectiven nach dem Tode fortbestehen, so wie und unsterblich ist. Ausserdem wird sie einzeln von Gott auf ih- er auch die ganze Seele und nicht blos, wie Aristoteles, die nie- ren Körper hin geschaffen. Diese Einsichten, welche für die deren Theile derselben Form des Leibes nennt.“24 Auch wenn Dogmatik von grosser Bedeutung sind,28 haben wir Thomas zu sich Thomas an aristotelischen Vorgaben (insbesondere was die verdanken. Aus dem eben Dargestellten ergibt sich, dass es Terminologie betrifft) orientiert, so könnte die jeweilige Aus- dringend geboten ist, die jeweiligen Konzeptionen des Stagiri- gangslage unterschiedlicher nicht sein. Dies wird insbesondere ten und des Aquinaten als unterschiedlich zu betrachten und in der unterschiedlichen Bewertung des körperlichen Momen- letztere als eigenständige Lehre zu würdigen, denn der thoma- tes im Menschen deutlich: Während Aristoteles die Materie pri- sische „Begriff von Seele ist etwas völlig Neues gegenüber al- mär als unrelationales Moment und daher in sich (bzw. inner- len antiken Auffassungen der Psyche; er ist ein Produkt des weltlich) abgeschlossen denkt, nimmt Thomas dieselbe in die christlichen Glaubens und seiner Ansprüche an das Denken – Gemeinschaft mit Gott auf. Auch wenn die Position des Stagi- nur blanke historische Unkenntnis kann das leugnen.“29 riten den Eigenwert der Materie stärker betont, so hat Thomas Matthias Vonarburg, MTh, doch eine edlere Auffassung von ihr, wobei es zu bedenken gilt, Assistenz für Philosophie dass diese Materie ihren Wert nicht etwa (erst) als durchgeistig- Theologische Fakultät te, sondern infolge der ihr genuin innewohnenden relationalen Universität Luzern Verwiesenheit auf Gott hin hat, wobei dieselbe durch ihre Ver- Postfach 7992 CH-6000 Luzern 7 Schweiz

20 Pannenberg, Wolfhart: Theologie und Philosophie. Ihr Verhältnis im Lichte ihrer gemeinsamen Geschichte, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, 66. 25 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer 21 Pannenberg, 82. Morphologie der Weltgeschichte, Albatros, Düsseldorf 2007. 22 Flasch, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augu- 26 Spengler, 499. stin zu Machiavelli, Reclam, Stuttgart 2006, 378. 27 Spengler, 408. 23 ScG IV 37. 28 Cf. DH 902. 1440. (Die Stellen verdanke ich Herrn Prof. M. Hauke) 24 Brentano, 227. 29 Ratzinger, 126.

– 207 – – 208 – MANFRED HAUKE Die Weihe an die Gottesmutter und die Zukunft Europas. Theologische Anmerkungen anlässlich des Besuches Papst Benedikts XVI. in Fatima1

1. Der Besuch des Heiligen Vaters in Fatima im Mai 2010 keine Kreuze zu sehen waren, wurden demonstrativ neue auf- gehängt4. Am 12. und 13. Mai besuchte der Heilige Vater, Papst Bene- Diese Reaktion, die man sich ähnlich auch nördlich der Al- dikt XVI., den portugiesischen Marienwallfahrtsort Fatima. pen wünschen sollte, zeigt: allen laizistischen Strömungen zum Den Anlass bildete das 10jährige Jubiläum der Seligsprechung Trotz ist die europäische Kultur, selbst derer, die nicht glauben, der beiden Seherkinder Francisco und Jacinta durch Johannes ohne das Christentum gar nicht denkbar. Schon im Jahre 1950 Paul II. im Jahre 2000. Ein Höhepunkt des päpstlichen Besu- meinte der liberale Politiker und erste deutsche Bundespräsi- ches war der Weiheakt an das Unbefleckte Herz Mariens in der dent Theodor Heuss bei der Einweihung einer neuen Schule: Dreifaltigkeitskirche am Abend des 12. Mai: im Blick auf das „Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang Priesterjahr weihte der Heilige Vater alle Priester der Welt dem genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen, das Capitol mütterlichen Herzen Mariens. Dabei betete er: „Fürsprecherin in Rom. Aus allen ist das Abendland geistig gewirkt, und man und Mittlerin der Gnaden, du bist ganz hineingenommen in die darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen“5. Golgatha steht einzige Mittlerschaft Christi, erflehe uns von Gott ein völlig für das Christentum, die Akropolis für die griechische Kultur neues Herz, das Gott mit all seiner Kraft liebt und der Mensch- mit ihrer philosophischen Rationalität und dem Ursprung der heit dient wie du“2. Demokratie, das Capitol für das römische Reich und die damit Die Weihe an die Gottesmutter gehört zum Kern der Bot- verbundene Rechtsstaatlichkeit6. schaft von Fatima und bildet eine entscheidende Hilfe für die Die Reaktion der Italiener kann uns Mut machen, uns mit Kirche, die Zukunft zu gestalten aus den vom Heiligen Geist mehr Schwung für eine christliche Zukunft Europas einzuset- geweckten Kräften des Reiches Gottes. Vor allem in Europa zen. Eine wichtige Rolle spielt dabei meines Erachtens die Wei- durchlebt die Kirche zur Zeit eine tiefe Krise. Welche Wege he an die Gottesmutter als Patronin Europas. Wie die Mutter führen aus diesem Tal heraus? gleichsam das Herz der Familie darstellt und die Kinder zum Vater hin führt, so hilft Maria den Völkern Europas, ihre ge- 2. Die Reaktion auf das Kreuz-Urteil des Europäischen schichtlichen Wurzeln wieder zu entdecken und zum himmli- Gerichtshofes schen Vater zurück zu finden. Im November 2009 gab es ein Urteil des Europäischen Ge- richtshofes für Menschenrechte, das in den Massenmedien ei- 3. Das 700jährige Jubiläum „Unserer Lieben Frau von nen breiten Widerhall gefunden hat: die Straßburger Richter ga- Eu ropa“ in ben einer Klägerin Recht, die sich gegen das Aufhängen von Wenn wir in der Geschichte nach einer ausdrücklichen Ver- Kreuzen in den öffentlichen Schulen Italiens ausgesprochen bindung zwischen Maria und Europa suchen, dann werden wir hatte3. Dagegen erhob sich in Italien – nicht nur in der Kirche, fündig (wie es scheint, zum ersten Mal) in Gibraltar, an der äu- sondern vor allem bei der Mehrzahl der politischen Strömungen ßersten südwestlichen Grenze unseres Kontinentes. Am 5. Mai – ein Sturm der Entrüstung: das Kreuz sei nicht nur ein religiö- 2009 beging das dortige Bistum die 700-Jahr-Feier der Weihe ses Zeichen, sondern ein Symbol für die Identität der italieni- des europäischen Kontinentes an die Gottesmutter durch den schen Nation; deren Kultur sei ohne die Prägung durch das spanischen König Ferdinand IV. im Jahre 13097. Im Jahre 711 Christentum nicht denkbar. Nach dem Urteil der Straßburger Richter hat sich in Italien die Zahl der öffentlich sichtbaren Kreuze deutlich vermehrt: in vielen Klassenzimmern, wo noch

4 Vgl. etwa M. Brambilla, „La molteplicazione dei crocifissi“: La Stampa, 13.11.2009, nachlesbar im Internet unter http://www.la- stampa.it/redazione/cmsSezioni/politica/200911articoli/49359gira- ta.asp#. 1 Der vorliegende Artikel geht zurück auf einen Vortrag vor dem In- 5 Theodor Heuss, Reden an die Jugend, Tübingen 1956, 32. stitutum Marianum Regensburg, 21.11.2009, der veröffentlicht wur- 6 Für eine historische Besinnung auf die christliche Prägung Europas de unter dem Titel „Die Weihe an die Gottesmutter und die Zukunft vgl. Winfried Becker, „Die christliche Identität Europas“: Manfred Europas“: Bote von Fatima 68 (2/2010) 14-15; (3/2010) 26-27; Hauke (Hrsg.), Maria als Patronin Europas. Geschichtliche Besin- (4/2010) 38-41; (5/2010) 51-53.56. Der Beitrag wurde unter dem nung und Vorschläge für die Zukunft (Mariologische Studien 20), Eindruck der Pilgerfahrt von Papst Benedikt XVI. in Fatima leicht Regensburg 2009, 15-43. überarbeitet. 7 Vgl. Notker Hiegl, „700-Jahr-Feier in Gibralter von weltkirchlicher 2 Deutsche Übersetzung nach www.zenit.org, 13.5.2010. Bedeutung“: Kirche heute 6/2009, 14-17. Inzwischen hat der Bi- 3 Der Text des Urteils, vom 3.11.2009, findet sich auf der Homepage schof von Gibraltar in zwei Sprachen eine Geschichte des Patronats des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: http://cmiskp. veröffentlicht: , History of Our Lady of , Li- echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=html&documentId=857731&p breria Editrice Vaticana, Città del Vaticano 2009; Historia de Nue- ortal=hbkm&source=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB stra Senora de Europa, Libreria Editrice Vaticana, Città del Vaticano 86142BF01C1166DEA398649. 2009.

– 209 – – 210 – waren die muslimischen Mauren über Gibraltar auf die iberi- im einzelnen entwickeln. Sie wurde bereits erstellt auf der sche Halbinsel geströmt und hatten bei den Felsen am südlich- Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa sten Ausläufer Europas eine Moschee errichtet. Den christ- im Jahre 1999. „Als letzte in der Reihe der in Vorbereitung auf lichen Spaniern gelang es erst nach einer jahrhunderlangen „re- das Große Jubiläum des Jahres 2000 abgehaltenen Synoden mit conquista“, das Felsenmassiv von Gibraltar zurückzuerobern. kontinentalem Charakter hatte sie zum Ziel, die Situation der König Ferdinand IV. wandelte die Moschee in eine christliche Kirche in Europa zu analysieren und Hinweise zur Förderung Kirche um und verlieh ihr den Titel „Unsere Liebe Frau von einer neuen Verkündigung des Evangeliums zu geben …“11. Europa“. Aus Dankbarkeit weihte er den europäischen Konti- Papst Johannes Paul II. nahm die Überlegungen der europäi- nent der Gottesmutter Maria. Im Jahre 1333 wurde Gibraltar schen Bischöfe auf und integrierte sie vier Jahre später (2003) zwar aufs neue von den Muslimen eingenommen, aber Hein- in sein Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Eu- rich IV., einem Nachfahren von König Ferdinand, gelang es ropa. Dabei umschrieb der Heilige Vater sein Thema folgender- 1462 endgültig, die Mauren nach Afrika zurückzutreiben. Da- maßen: „Jesus Christus, der in seiner Kirche lebt – Quelle der mals entstand das heute noch vorhandene Gnadenbild „Unserer Hoffnung für Europa“. Die Darlegungen gliedern sich in sechs Lieben Frau von Europa“. Papst Johannes Paul II. bestätigte Kapitel und werden abgeschlossen durch eine marianische 1979 diesen Titel der Gottesmutter als Hauptpatronin des Überlegung unter dem Titel: „Vertrauensvolle Übergabe an Ma- Bistums Gibraltar. Seitdem wird am sog. „Europatag“, am 5. ria“12. Die Weihe an Maria erscheint dabei als Schlüssel für die Mai, das Patrozinium als Hochfest gefeiert und durch ein Tri- Zukunft Europas. duum vorbereitet. Anläßlich der erneuten Weihe des Heiligtums Die sechs organisch miteinander verbundenen Kapitel und nach einer gründlichen Renovierung im Jahre 1997 schrieb der marianische Schluss des Apostolischen Schreibens finden Papst Johannes Paul II. eine Botschaft, in der es heißt: Dieses gleichsam einen roten Faden in dem fortlaufenden Bezug auf Heiligtum wird „Europa helfen, das christliche Erbe in Erinne- Texte der Offenbarung des Johannes, die am Beginn eines jeden rung zu rufen und die Beter zu ermutigen, die Zukunft Europas Kapitels als Leitwort zitiert werden. Das erste Kapitel („Jesus auf dieses solide Fundament zu stellen“8. Das Motiv „Our Lady Christus ist unsere Hoffnung“) beginnt etwa mit dem Schriftzi- of Europe“ findet sich auch auf den gegenwärtigen Marienmün- tat: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und zen der britischen Enklave9. Zum 700jährigen Jubiläum des ma- der Lebendige“ (Offb 1,17-18). Das zweite Kapitel über das der rianischen Heiligtums sandte Papst Benedikt XVI. Kardinal Jo- Kirche anvertraute Evangelium der Hoffnung erinnert an die sé Saraiva Martins als päpstlichen Legaten, der im Auftrag des Worte Christi an die Gemeinde von Sardes: „Werde wach und Heiligen Vaters die Weihe Europas an Maria erneuerte und die stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag“ (Offb sogenannte “Goldene Rose” überbrachte. 3,2). Der marianische Schluss nimmt schließlich Bezug auf das In unserer Besinnung geht es um die Weihe an die Gottes- zwölfte Kapitel der Apokalypse: „Dann erschien ein großes mutter und die Zukunft Europas. Dabei möchte ich eine doppel- Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet“ (Offb te These vertreten10: 12,1). Diese gehaltvolle Schriftstelle bietet sich an als Konzen- Der katholische Glaube in Europa hat eine Zukunft. trationspunkt für eine christliche Erneuerung Europas unter Diese Zukunft hängt ab von unserer Hingabe an Jesus Chri- dem Schutz der Gottesmutter. stus durch die Jungfrau und Gottesmutter Maria. Mit anderen Worten: das Christentum in unserem Kontinent kann neu auf- 5. Die apokalyptische Frau und die Sendung Europas blühen mit Maria als Schutzfrau Europas. Papst Johannes Paul II. gibt eine kurze Auslegung des bibli- schen Textes, welche die ekklesiologische Deutung der „Frau“ 4. Die Bischofssynode für Europa 1999 und die Offenba- mit deren marianischen Zügen verbindet13. „Die Frau, mit der rung des Johannes Sonne bekleidet, die sich in Geburtswehen windet (…), kann Die Prognose der Zukunft hängt ab von der Bestandsaufnah- als das Israel der Propheten gesehen werden, das den Messias me der Gegenwart. Eine solche Analyse brauchen wir hier nicht hervorbringt, ‚der über alle Völker mit eisernem Zepter herr- schen wird’ (…). Aber sie symbolisiert auch die Kirche, das Volk des Neuen Bundes, das der Verfolgung ausgeliefert und dennoch von Gott behütet ist. Der Drache ist ‚die alte Schlan- ge, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt’ (…). Es ist ein ungleicher Kampf: Der Drache scheint im Vor-

8 Frei übersetzt aus: Brief Johannes Pauls II. vom 10.5.1997 anläßlich der Einweihung des restaurierten Heiligtums: http://www.ourlady- ofeurope.net/History/Pope_%20John_%20Paul_%20II_letter.htm : „It is appropriate that there should be a which will help Eu- rope to recall its Christian heritage and inspire all who come to pray here to build the future of this Continent on that solid foundation”. 9 Vgl. http://www.answers.com/topic/coins_of_the_Gibraltar_point. 11 Papst Johannes Paul II., Ecclesia in Europa 2 (VAS 161, S. 8). Vgl. auch Anton Ziegenaus, „Der Patronatsgedanke auf europäi- 12 Ecclesia in Europa 122-125 (VAS 161, S. 101-104). schen Marienmünzen“: Hauke, Maria als Patronin Europas (2009) 13 Zur Berechtigung dieser Auslegung vgl. Anton Ziegenaus, Maria in 161-171 (hier 171). der Heilsgeschichte. Mariologie (Katholische Dogmatik V), Aachen 10 Die folgenden Ausführungen nehmen zum Teil wörtlich einen be- 1998, 133-136; Stefano M. Manelli, All generations shall call me reits veröffentlichten Beitrag auf: Manfred Hauke, „Maria und die blessed. Biblical , New Bedford/Mass. 2005, 394-414 Zukunft Europas. Eine marianische Aktualisierung des Nachsyno- (ital. Orig.: Mariologia biblica, Frigento 22005, 433-454); Manfred dalen Apostolischen Schreibens Johannes Pauls II. Ecclesia in Eu- Hauke, Introduzione alla Mariologia (Collana di Mariologia 2), ropa“: Hauke, Patronin Europas (2009) 262-274. Lugano 2008, 74-76.

– 211 – – 212 – teil zu sein, so groß ist seine Überheblichkeit gegenüber der paflagge untersucht und gedeutet hat, meint am Ende behut- wehrlosen, leidenden Frau. Der wirkliche Sieger aber wird das sam: „Dennoch kann das Datum der Ratifizierung der Europa- von der Frau geborene Kind sein. In diesem Kampf steht eines flagge 1955 am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis für das fest: Der große Drache ist bereits besiegt … Und auch wenn der gläubige Denken immerhin als ein verstohlener Hinweis der Drache noch seinen Widerstand fortsetzt, braucht man sich nicht Vorsehung Gottes dafür gewertet werden, dass die mariani- zu fürchten, denn seine Niederlage hat schon stattgefunden“14. schen Wurzeln der Europaflagge doch nicht als völlig bedeu- „Diese Gewissheit beseelt die Kirche auf ihrem Weg, wäh- tungslos und nebensächlich zu werten sind“20. rend sie in der Frau und im Drachen ihre immer gleiche Ge- In Maria können jedenfalls die europäischen Völker ihre ei- schichte erblickt. Die Frau, die den Sohn zur Welt bringt, er- gene Zukunft erkennen, wenn sie wieder zum katholischen innert uns auch an die Jungfrau Maria, vor allem in der Stun- Glauben zurück finden. Der Hinweis auf die zwölf Stämme Is- de, als sie, vom Leid durchdrungen, unter dem Kreuz den Sohn raels in der Offenbarung des Johannes entspricht der Sendung noch einmal hervorbringt – als Überwinder des Fürsten dieser der zwölf Apostel durch Jesus Christus: obwohl neuneinhalb Welt. Sie wird dem Johannes anvertraut, der seinerseits ihr an- der 12 Stämme längst im Strudel der Geschichte verschwunden vertraut wird (vgl. Joh 19,26-27), und sie wird so zur Mutter waren, zeigt die Bestimmung des Zwölferkreises den Anspruch der Kirche. Dank dieses Bandes, das Maria mit der Kirche und Jesu, die zerstreuten Kinder Israels wieder in ihre ursprüngliche die Kirche mit Maria verbindet, erklärt sich besser das Geheim- Einheit zurück und zur Vollendung zu führen. Was bereits vor nis der Frau: ‚Maria ist nämlich in der Kirche gegenwärtig als Jahrhunderten vernichtet worden war (nämlich durch die Zer- die Mutter des Erlösers, nimmt mütterlich teil an jenem ‚harten störung Samarias durch die Assyrer im Jahre 722 v.Chr.), wird Kampf gegen die Mächte der Finsternis’, der die ganze Ge- durch Christus auf eine völlig unerwartete Weise erneuert. Die schichte der Menschheit durchzieht. Durch diese ihre kirchliche Vollzahl Israels ersteht neu in der Kirche mit den zwölf Apo- Identifizierung mit der ‚Frau, mit der Sonne bekleidet’ (Offb steln als geistlichen Stammvätern. Nach den bildhaften prophe- 12,1), kann man sagen, dass ‚die Kirche in der seligen Jungfrau tischen Hinweisen des Johannes hat die Mauer des himmli- schon zur Vollendung gelangt ist, in der sie ohne Makel und schen Jerusalem „zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die Runzeln ist’“15. zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes“ (Offb 21,14). Ein Hinweis auf die sternenbekränzte Frau läßt sich auch mit Wenn durch Christus die Trümmer des alten Israel in die neue der Europaflagge verbinden, auf der zwölf Sterne mit blauem Synthese der Kirche eingehen – ist dann nicht eine ähnliche Grund zu sehen sind. Die offizielle Deutung der Flagge hat Hoffnung auch für die sterbenden christlichen Reste des alten nichts mit der Gottesmutter zu tun: „Gegen den blauen Himmel Europa möglich? der westlichen Welt stellen die Sterne die Völker Europas in ei- Der kräftigste Hinweis auf das zwölfte Kapitel der Apoka- nem Kreis, dem Zeichen der Einheit, dar. Die Zahl der Sterne lypse in der Geschichte der marianischen Prophetie findet sich ist unveränderlich auf 12 festgesetzt, diese Zahl versinnbildet zweifellos in den Erscheinungen der Gottesmutter vor der hei- die Vollkommenheit und die Vollständigkeit“ (der Völker Euro- ligen Katharina Labouré im Jahre 183021. Das darauf zurück ge- pas). So die amtliche Erklärung von Seiten des Europasrates im hende Bild der „wunderbaren Medaille“ zeigt Maria, ohne Sün- Jahre 195516. Gemäß den Forschungen eines französischen de empfangen, auf der Erdkugel, welche den gesamten Erdkreis Priesters, Pierre Caillon, die 1995 veröffentlicht wurden, hat darstellt, aber auch jede einzelne menschliche Seele. Sie er- sich der Künstler, Arsène Heitz, bei seinem Vorschlag von der weist sich als Siegerin über die Schlange, der sie die Kopf zer- Wunderbaren Medaille anregen lassen, auf der das Bild der tritt. Auf der Rückseite der Medaille findet sich das „M“ für Gottesmutter von den zwölf Sternen aus der Offenbarung des Maria unter dem Kreuz, aber auch das heiligste Herz Jesu mit Johannes umrahmt wird17. Dieses Motiv ist aber zumindest im der Dornenkrone und das unbefleckte Herz Mariens, durch- amtlich dokumentierten Werdegang nicht erkennbar18. Bemer- bohrt vom Schwert des Leidens. Mit den Erscheinungen der kenswert ist allerdings, dass die Entscheidung für den einschlä- Gottesmutter in der „Rue du Bac“ beginnt das so genannte gigen Vorschlag, die am 25. Oktober 1955 gefallen ist, am 8. „Marianische Zeitalter“, das nach den kulturellen Verwüstun- Dezember des gleichen Jahres von Seiten des Ministerrates ra- gen der Französischen Revolution und den antichristlichen tifiziert und damit formell rechtskräftig wurde19. Erst am 21. Strömungen der „Aufklärung“ einen gewaltigen Neuaufbruch April 1986 stimmte der Rat der Europäischen Gemeinschaften im Glauben hervorbringt22. Öde geistliche Landschaften begin- der Entschließung des Europaparlaments zu, den Kranz von nen wieder neu zu blühen. Dies zeigt sich etwa im Leben des zwölf goldenen Sternen auf blauem Grund zum Symbol Euro- heiligen Pfarrers von Ars, an den zu erinnern im „Priesterjahr“ pas zu wählen. Johannes Nebel, der den Werdegang der Euro-

20 Nebel, aaO., 189. 14 Ecclesia in Europa 122 (VAS 161, S. 101). 21 Vgl. Manfred Hauke, „Der prophetische Dienst Mariens. Inhaltliche 15 Ecclesia in Europa 123 (VAS 161, S. 101f). Schwerpunkte der marianischen Botschaften seit 1830“: Anton Zie- 16 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Europaflagge. genaus (Hrsg.), Marienerscheinungen. Ihre Echtheit und Bedeutung 17 Vgl. Johannes Nebel, „Die Europaflagge – ein marianisches Sym- im Leben der Kirche (Mariologische Studien 10), Regensburg 1995, bol? Versuch einer differenzierten Sichtweise“: Hauke, Maria als 29-62 (32-34. 47f). Patronin Europas (2009) 172-189 (hier 174f). 22 Vgl. Leo Scheffczyk, „Kennzeichen und Gestaltkräfte des ‚Mariani- 18 Vgl. Nebel, aaO., 175-188. schen Zeitalters’“: Anton Ziegenaus (Hrsg.), Das Marianische Zeit- 19 Vgl. Carole Lager, L’Europe en quéte de ses symboles, Bern u.a. alter. Entstehung – Gehalt – Bedeutung (Mariologische Studien 14), 1995, 68f; Nebel, aaO., 184. Regensburg 2002, 179-200.

– 213 – – 214 – besonders sinnvoll ist. Wenn schon damals die durch die Ver- wird genannt der „Verlust des christlichen Gedächtnisses und breitung der wunderbaren Medaille bezeugte Verehrung der Im- Erbes“: „viele Europäer“ leben „wie Erben, welche die ihnen maculata und ihres unbefleckten Herzens, ihrer gänzlich reinen von der Geschichte übergebene Erbschaft verschleudert haben. Hingabe an Gott, einen neuen Frühling der Kirche fördern Daher ist es nicht allzu verwunderlich, wenn versucht wird, Eu- konnte, warum sollte etwas Ähnliches heute nicht möglich ropa ein Gesicht zu geben, indem man unter Ausschluss seines sein? religiösen Erbes und besonders seiner tief christlichen Seele das Fundament legt für die Rechte der Völker, die Europa bilden, 6. Die Botschaft von Fatima und die Zukunft Europas ohne sie auf den Stamm aufzupfropfen, der vom Lebenssaft des 28 Unter dem Zeichen der apokalyptischen Frau lässt sich auch Christentums durchströmt wird“ . Offenkundig ist hier die An- die Botschaft von Fatima deuten. Dies geschieht in den Doku- spielung auf die unwürdigen Vorkommnisse bei der Diskussion menten des päpstlichen Lehramtes vor allem in der Apostoli- um die europäische Verfassung. Das neue Urteil der Straßbur- schen Ermahnung Signum Magnum Papst Pauls VI. vom 13. ger Richter über das Kreuz in den Schulen zeigt, dass sich an Mai 1967 anlässlich des fünfzigsten Jahrestages der Mariener- den Gründen für die Besorgnis Johannes Pauls II. und der euro- scheinungen in der Cova da Iria23. Der Heilige Vater betont hier päischen Bischofssynode nicht viel geändert hat. den „Zusammenhang zwischen der geistigen Mutterschaft Ma- Die Botschaft von Fatima gibt freilich auch Hoffnung für die riens für alle Erlösten und den Verpflichtungen der erlösten Zukunft Europas. Dazu gehört zweifellos die Ankündigung, Menschen ihr gegenüber“24. Er ruft alle Glieder der Kirche da- dass sich Russland bekehren wird. Diese Bekehrung ist sicher- zu auf, „sich persönlich dem unbefleckten Herzen der Mutter lich noch nicht durch Gorbatschow verwirklicht worden, wie der Kirche von neuem zu weihen“25. ein bekannter italienischer Mariologie meinte mit dem Hinweis Über die Darlegungen Pauls VI. hinaus lässt sich wohl auch auf den Sinngehalt von „Peristroika“, der „Umwandlung, Be- 29 auf das Sonnenwunder vom 13. Oktober 1917 weisen, dem Hö- kehrung“ bedeute . Ein französischer Kollege meint dagegen hepunkt der Mariophanie in Fatima: das größte sichtbare Zei- etwas sarkastisch: „Es gibt jetzt eine gute Anzahl von Taufen chen für die Glaubwürdigkeit der Erscheinungen darf sicherlich …, aber aufs Ganze gesehen hat sich Rußland eher zum Kapi- auch in seiner Verbindung gelesen werden mit der apokalypti- talismus, zum Sex und zur Droge bekehrt statt zum Christen- 30 schen Frau, die von der Sonne umkleidet ist. tum …“ . Die Botschaft von Fatima richtet sich an die ganze Welt, hat Die Bekehrung im Sinne von Fatima ist zweifellos im um- aber gleichzeitig eine besondere Bedeutung für Europa. Am äu- fassenden Sinne zu verstehen, als gläubige Hinwendung zu ßersten Westen des Kontinentes äußert sich die Mutter des Christus und zu der vom Nachfolger des hl. Petrus geleiteten Herrn über die Bedeutung Russlands in der Weltgeschichte und Kirche. Auf eine solche Bekehrung warten wir noch, aber die fördert dessen Bekehrung. Ost und West können durch den Ein- Botschaft von Fatima verheißt sie für die Zukunft. Diese Zu- satz der gemeinsamen himmlischen Mutter wieder zusammen kunft lässt sich sicher beschleunigen, wenn wirklich einmal ge- wachsen. In der „vierten Erinnerung“ von Lucia heißt es: „Der schehen würde, was nach der Aussage Lucias eine entscheiden- heilige Vater wird mir Russland weihen, das sich bekehren de Voraussetzung hierfür darstellt: die ausdrückliche Weihe wird, und eine Zeit des Friedens wird der Welt geschenkt wer- Russlands durch den Heiligen Vater, verbunden mit dem Bi- den“. Unmittelbar danach folgen die Worte, die im Text Lucias schöfen der Weltkirche, an das unbefleckte Herz Mariens. Die- von einem „usw.“ ergänzt werden: „In Portugal wird sich im- se Weihe ist in dieser Form noch nicht geschehen, auch wenn es mer das Dogma des Glaubens erhalten …“26. Wenn Portugal verschiedene Annäherungen daran gegeben hat, die sicher auch hier eigens erwähnt wird, dürfte sich hier ein indirekter Hin- ihre Wirkung gezeitigt haben. Verwirklicht ist sie in der ge- 31 weis auf die dramatische Krise des Glaubens verbergen, welche wünschten Form leider noch nicht . Vielleicht müssen erst die Kirche in der westlichen Welt heimsucht, vor allem aber in schlimme Katastrophen hereinbrechen, damit die Verantwort- Europa. lichen der Kirche sich an die vollständige Botschaft von Fatima Die Botschaft von Fatima lässt erkennen, dass es mit der Si- erinnern. Beten wir darum, dass dieses Aufwachen möglichst tuation des Glaubens in Europa in der Folgezeit nicht zum be- bald geschehe. sten bestellt ist. Zum gleichen Ergebnis kommt auch, ganz un- Die Verheißung der Gottesmutter von Fatima für Russland abhängig von Fatima, das nachsynodale Apostolische Schrei- ist in marianischen Kreisen allgemein bekannt. Weitgehend un- ben Ecclesia in Europa: das „kostbarste Gut“, das die Kirche Europa anzubieten hat, ist der Glaube an Jesus Christus, Quel- le der Hoffnung27. Als erstes der besorgniserregenden Zeichen

28 Ecclesia in Europa 7 (VAS 161, S. 13). 29 Vgl. Stefano de Fiores, „Fatima“: Ders., Maria. Nuovissimo Dizio- nario, Bd. I, Bologna 2006, 695-724 (703f). Die politische „peristro- 23 Vgl. die deutsche Übersetzung in Rudolf Graber – Anton Ziegenaus ika“ ist sicher wichtig auf dem Weg zu einer zukünftigen Bekeh- (Hrsg.), Die Marianischen Weltrundschreiben der Päpste von Pius rung, aber als „Bekehrung Russlands“ wird man sie doch wohl nicht IX. bis Johannes Paul II. (1849-1988), Regensburg 31997, Nr. 299- benennen können. 316. 30 René Laurentin, „Fatima“: Ders. – Patrick Sbalchiero (Hrsg.), Dic- 24 Signum Magnum (Graber – Ziegenaus, Nr. 300). tionnaire des „ apparitions“ de la Vierge Marie, Paris 2007, 316-346 25 Signum Magnum (Graber – Ziegenaus, Nr. 316). (334). 26 Schwester Lucia spricht über Fatima. Erinnerungen der Schwester 31 Vgl. Francois de Marie des Anges, Fatima. Joie intime événement Lucia, Fatima 31977, 153 (= IV. Erinnerung, II.5; 8. Dezember 1941). mondial. Abrégé de Toute la vérité sur Fatima, -Parres-lès- 27 Ecclesia in Europa 18 (VAS 161, S. 18). Vaudes 21993, 329-394; Laurentin, aaO., 331f.

– 215 – – 216 – bekannt ist freilich eine Prophezeiung Lucias über die Zukunft Glaube, vor allem in Frankreich, werde einen gewaltigen Nie- Deutschlands. Am 19. März 1940, dem Fest des hl. Josef, dergang erleiden, aber dank der Bekehrung eines großen Lan- schrieb Schwester Lucia folgende Zeilen an ihren Beichtvater, des im Norden Europas, dass zur Zeit protestantisch sei, werde P. J.B. Goncalves SJ: sich die ganze Welt bekehren. Es werde zu einer Zeit des Frie- „Während ich einige Stunden vor dem ausgesetzen Allerhei- dens kommen, die aber nur kurz andauern werde, weil ein Mon- ligsten verbrachte, betete ich in verschiedenen Anliegen und ster auftrete, um sie zu stören35. ganz besonders für Deutschland. Da geschah es in einigen Mo- Die Deutung dieser Ankündigungen ist umstritten. Sind die menten inniger Vereinigung, dass ich in meiner Seele spürte Seherkinder beeinflußt worden von gestörten Persönlichkeiten, und hörte: ‚Deutschland wird zu meiner Herde zurückkehren, die sie anregten, der heiligen Jungfrau Aussagen in den Mund aber dieser Moment dauert lange. Er nähert sich, – das ist si- zu legen, die sie in Wirklichkeit nicht mitgeteilt hat?36 Oder cher, – aber langsam, sehr langsam’“. handelt es sich um eine echte Prophezeiung?37 Ist das große pro- Schwester Lucia wandte sich daraufhin an Dr. Ludwig Fi- testantische Land in Nordeuropa England? scher, Professor für Kirchengeschichte in Bamberg und Grün- Von Maximin beeinflußt ist vielleicht eine der zahlreichen der der Zeitschrift „Bote von Fatima“32. Ludwig Fischer be- Weissagungen des hl. Pfarrers von Ars. Am 14. Mai 1858 emp- suchte 1929 als erster deutscher Priester Fatima, wo er auch fing er den Besuch des Bischofs von Birmingham, Ullathorne, später des Öfteren weilte. Offenbar hatte er der Seherin seine der ihm die Leiden der Kirche in seiner Heimat schilderte und große Besorgnis über sein Heimatland bekannt. Lucia schrieb ihm das Gebet für England ans Herz legte. Der Bischof berichtet: ihm am gleichen Tag ihres mystischen Erlebnisses einen Brief der Pfarrer von Ars „sagte … zu mir in einem festen, zuversicht- zur Ermutigung: lichen Ton, wie wenn er ein Glaubensbekenntnis ablegen würde: „In meinen schwachen Gebeten vergesse ich Deutschland ‚Aber, bischöfliche Gnaden, ich glaube, dass die Kirche von nicht; es wird noch zur Herde des Herrn zurückkehren. Dieser England zu ihrem alten Glanz zurückkehren wird’. Dass er fest Augenblick nähert sich sehr, sehr langsam, doch einmal wird er daran glaube, darüber habe ich keine Zweifel, wenn ich auch kommen. Und die Herzen Jesu und Mariens werden dort mit nicht weiß, woher ihm diese Überzeugung geworden ist“38. Glanz herrschen“33. Erwähnt seien die Weissagung des hl. Dominikus Savio und Vielleicht dürfen wir auch mit der gebotenen Vorsicht an ei- die Botschaft von La Salette im Blick auf ein neueres Ereignis, nige Prophezeiungen erinnern, die auf die Bekehrung Englands nämlich den Weg einer großen Zahl von anglikanischen Chri- hindeuten. Don Bosco informierte Papst Pius IX. über eine sten in die katholische Kirche; die Apostolische Konstitution Weissagung des hl. Dominikus Savio (1842-57), wonach Gott Benedikts XVI., „Anglicanorum Coetus“, vom 4. November für die Kirche in England einen großen Triumph vorbereite. In 2009, eröffnet hier die institutionelle Möglichkeit für eine zah- einer Vision hatte der jugendliche Heilige gesehen, wie Men- lenmäßig beachtliche Hinwendung getrennter Christen aus dem schen im Nebel einherwandeln, so als ob sie ihren Weg verlo- englischsprachigen Bereich von historischer Tragweite. Damit ren haben, und nicht wissen, wohin sie ihre Schritte lenken sol- ist Europa noch nicht wieder christlich, aber es könnte der An- len. Ihm wird bedeutet: Dies sei England. Daraufhin sieht der fang sein einer größeren Umwälzung zugunsten des katholi- Heilige Papst Pius IX. mit einer großen Lampe, die nach und schen Glaubens. Wenn der Heilige Vater im September England nach den Nebel vertreibt. „Diese Lampe“, so wird Domenico besucht und John Henry Newman seligsprechen wird, sollten Savio gesagt, „ist die katholische Religion, die England er- wir ihn im Gebet begleiten, auf dass die Hoffnungen auf eine leuchten soll“34. große Bekehrung sich verwirklichen mögen. Vor elf Jahren wurden im Archiv des Heiligen Offiziums die In der vorreformatorischen Zeit hat England geglänzt durch bislang unbekannt gebliebenen Texte entdeckt, welche die bei- großartige Beispiele marianischen Denkens und marianischer den Seherkinder von La Salette im Jahre 1851 niedergeschrie- Frömmigkeit. Das Dogma der Unbefleckten Empfängnis wurde ben hatten. Das von Maximin bekundete „Geheimnis“ weist auf vorbereitet durch die englischen Theologen Eadmer, Wilhelm schwere Heimsuchungen für die Kirche und die Welt. Der von Ware und vor allem Duns Scotus39. England galt als „Our Lady’s dowry“, als „Mitgift (Brautgabe) unserer Lieben Frau“40. Die Hoffnung einer Rückkehr Englands zum katholi-

32 Vgl. L. Böer, „Fischer, Ludwig“: Marienlexikon 2 (1989) 472f. 33 Die Texte wurden zitiert nach einem Gebetszettel zum 40jährigen Priesterjubiläum von Pfr. Rudolf Atzert, Seelsorger für deutschspra- 35 Vgl. die Texte bei Michel Corteville – René Laurentin, Découverte chige Pilger in Fatima (Fatima, 10. April 2005). Sie waren auch Bi- du secret du la Salette, Paris 2002, 46-49. schof Graber bekannt, der sie mehrfach im „Bote von Fatima“ zitier- 36 In diese Richtung geht die Deutung des Salettinerpaters Jean Stern, te; im Archiv des Bischofs befinden sie sich freilich nicht (Hinweis La Salette: documents authentiques, 3 Bde., Paris 1984-91; Ders., von Dr. Adolphine Treiber, der langjährigen Schriftleiterin des „Bo- La Salette I. Geschichte: Marienlexikon 4 (1992) 25-27 (26). te von Fatima“). 37 Vgl. Corteville – Laurentin, aaO.; René Laurentin – Michel Corte- 34 Übersetzt aus: G. Bosco, Vita del giovanetto Savio Domenico allie- ville, “La Salette”: René Laurentin – Patrick Sbalchiero (Hrsg.), Dic- vo dell’oratorio di San Francesco di Sales, Torino 1859, Kap. 19. Im tionnaire des „ apparitions“ de la Vierge Marie, Paris 2007, 505-511. italienischen Urtext zugänglich auf Internet: http://www.donboscos- 38 Francis Trochu, Der heilige Pfarrer von Ars Johannes-Maria-Baptist anto.eu/download/Don_Bosco-Vita_del_giovanetto_Savio_Dome- Vianney 1786-1859, Stuttgart-Degerloch 1952, 421. nico.pdf. Vgl. auch die deutsche Übersetzung: G. Bosco, Dominikus 39 Vgl. Hauke, Introduzione alla Mariologia 194-198. Savio, Schüler im Oratorium des hl. Franz von Sales in Turin, Wien 40 Vgl. Nancy M. de Flon, “Mary and Roman Catholicism in mid nine- 1956. teenth-century England: the poetry of Edward Caswall”: R.N.

– 217 – – 218 – schen Glauben wird im 19. Jh. eindrucksvoll geschildert in dem nicht durchaus Anzeichen, dass sich die Bekehrung Deutsch- Gedicht „The Easter Ship“ („Das Osterschiff“) von Edward lands nähert? Haben nicht der Heimgang von Papst Johannes Caswall, einem Konvertiten aus dem Anglikanismus und Ora- Paul II. und die Wahl eines deutschen Papstes einen Wandel des torianermitbruder John Henry Newmans41. Es entstand bald geistigen Klimas herbeigeführt, der sich auch in unserem Land nach der dogmatischen Definition der Unbefleckten Empfäng- kundtut? nis Mariens durch Papst Pius IX. im Jahre 185442. Die literari- Diese Wende füllt noch nicht unsere Kirchen. Sie setzt sich sche Form ist die Weissagung eines Zisterziensermönches, der auch nicht nahtlos fort, wie etwa die heftigen Reaktionen der zur Zeit König Heinrichs VIII. aus England fliehen mußte. Das deutschen Massenmedien und einflußreicher Politiker auf die „Schiff“ der Kirche in England wird von einem satanischen Maßnahmen Papst Benedikts gegenüber der Piusbruderschaft Sturm zum Kentern gebracht, aber sobald das oben am Mast be- zeigen. Bei manchen deutschen Bistümern haben kritische Be- festigte Kreuz das Wasser berührt, beginnt das Schiff sich wie- obachter den Eindruck, dass viele Verantwortliche für die der auf wundersame Weise aus dem Meer zu erheben. Die Be- Pastoral sich verhalten wie Architekten, die auf den Abbruch satzung des Schiffes besteht aus den englischen Heiligen, und und die Reduzierung von Bausubstanz spezialisiert sind. Es Maria befindet sich am Platz des Steuermanns43. entstehen riesige pastorale Einheiten, in denen die persönliche Vorbereitet wird diese hoffnungsvolle Schau von einem Seelsorge in einem überschaubaren Rahmen nicht mehr mög- Hymnus Frederick William Fabers (1814-1863), mit dem Titel lich ist. Da gibt es auf der einen Seite unter den Priestern „Faith of Our Fathers“ (1849), in dem die Bekehrung England „Supermanager“, die mit Verwaltungsangelegenheiten über- auf die Gebete der Gottesmutter zurückgeführt wird: schüttet werden, und auf der anderen Seite „Hilfsgeistliche“, „Faith of our fathers, Mary’s prayers die ihrer seelsorglichen Leitungsverantwortung beraubt werden Shall win our country back to Thee; und in einem bunt gemischten „Team“ mitwirken müssen. Die And through the truth that comes from God, religiöse Verödung und Versteppung früher blühender geist- England shall then indeed be free”44. licher Landschaften geht, so scheint es oft, ungehindert weiter. Es ließe sich jetzt noch eine ganze Klagelitanei anfügen. In dem 1849 entstandenen Gedicht John Henry Newmans Hilfreicher scheint es, sich auf einige Zukunftsperspektiven zu „The Pilgrim Queen“ verheißt Maria: konzentrieren, die das nachsynodale Schreiben Johannes Pauls II. andeutet. Die marianischen Elemente seien dabei eigens her- „’A moment’, she said, vorgehoben. Die Synode der europäischen Bischöfe und der ‘and the dead shall revive; Heilige Vater möchten die „Botschaft der Hoffnung einem Eu- The giants are failing, ropa verkünden, das sie verloren zu haben scheint“46. Um das the are alive; tief reichende Bedürfnis nach Hoffnung zu stillen, möchte die I am coming to rescue Synode eine Antwort geben „vom Geheimnis Christi und vom my home and my reign trinitarischen Geheimnis her“. Jesus Christus „offenbart den And Peter and Philip Gott der Liebe, der die Gemeinschaft der drei göttlichen Perso- are close in my train’”45. nen ist“47. Die „Versuchung, … die Stadt der Menschen ohne Gott oder gegen ihn aufzubauen“, hat verhängnisvolle Auswir- 7. Sorgen und Zukunftsperspektiven in Europa kungen. „Die Geheime Offenbarung enthält eine Ermutigung Gewiss werden die eben angedeuteten Hoffnungen und my- an die Gläubigen: Jenseits allen äußeren Anscheins und auch stischen Erfahrungen vielen Skeptikern begegnen. Aber gibt es wenn die Wirkungen noch nicht zu sehen sind, ist der Sieg Christi bereits eingetreten und endgültig“48. Das erste Kapitel stellt Jesus Christus als unsere Hoffnung in den Vordergrund49. Dabei werden zunächst Herausforderungen und Zeichen der Hoffnung für die Kirche in Europa genauer be- nannt50. Gesprochen wird, wie bereits erwähnt, vom Verlust des christlichen Erbes, aber auch von der Zukunftsangst. Dazu ge- hören „der dramatische Geburtenrückgang und die Abnahme Swanson (Hrsg.), The Church and Mary, Woodbrigde (U.K.) – der Priester- und Ordensberufe … sowie die Schwierigkeit, Rochester, NJ 2004, 308-318 (309). wenn nicht sogar die Weigerung, endgültige Lebensentschei- 41 Zu Caswall vgl. auch Johannes Artz, Newman-Lexikon, Mainz 1975, 172; Nancy M. de Flon, Edward Caswall: Newman’s Brother and Friend, Leominster 2005. Caswall (1814-78), ein anglikanischer Geistlicher, konvertierte 1847 nach dem Tod seiner Frau unter dem Einfluß Newmans zur katholischen Kirche und wurde Priester in der Gemeinschaft des Oratoriums. Der vollständige Text des genannten Gedichtes findet sich in Edward Caswall, The Masque of Mary and other poems, London 1858, 57-66 (das Buch ist gratis abspeichbar über die Internet-Suchmaschine von Google). 46 Ecclesia in Europa 2 (VAS 161, S. 8). 42 Vgl. De Flon (2004) 315. 47 EE (= Ecclesia in Europa) 4 (S. 10). Vgl. auch G. L. Müller, „Die 43 Vgl. De Flon (2004) 316f. Kirche für das neue Europa. Anmerkungen zum Nachsynodalen 44 Vgl. De Flon (2004) 309. Der vollständige Text und die später (nach Apostolischen Schreiben ‚Ecclesia in Europa’ von Papst Johannes dem Tode Fabers) hinzugefügte bekannte Melodie finden sich in Paul II.“: Manfred Hauke – Michael Stickelbroeck (Hrsg.), Donum http://www.cyberhymnal.org/htm/f/a/faithoof.htm. Veritatis. Theologie im Dienst an der Kirche. Festschrift zum 70. 45 J.H. Newman, Verses on Various Occasions, Nr. 160: Ders., Prayers, Geburtstag von Anton Ziegenaus, Regensburg 2006, 331-341. Verses and Devotions, San Francisco 2000, 660f. Vgl. auch De Flon 48 EE 5 (S. 11). (2004) 309. „Philip“ bezieht sich auf den hl. Philipp Neri, den Grün- 49 EE 6-22. der der Oratorianer, denen Newman angehörte. 50 EE 7-17.

– 219 – – 220 – dungen auch bezüglich der Ehe zu treffen“51. Zu den Herausfor- christlichen Werte zielt, ohne die Europa geschichtlich und kul- derungen gehören auch die Zersplitterung des Daseins mit dem turell undenkbar ist62. „Selbst die europäische Moderne, die der Schwinden einer Konzeption von Familie überhaupt, eine zu- Welt das demokratische Ideal und die Menschenrechte gegeben nehmende Schwächung der Solidarität, eine gottlose Anthropo- hat, schöpft die eigenen Werte aus seinem christlichen Erbe. logie, Nihilismus, Relativismus, Pragmatismus, Hedonismus, Eher als ein geographischer Begriff lässt sich Europa als ‚ein Agnostizismus und eine „Kultur des Todes“52. vorwiegend kultureller und historischer Begriff’ bestimmen Zu den Zeichen der Hoffnung hingegen zählen „die Wieder- …“63. Die europäische Union wird keinen Bestand haben, erlangung der Freiheit der Kirche im Osten Europas“, die Kon- „wenn sie nur auf geographische und ökonomische Dimensio- zentration der Kirche auf die geistliche Sendung, das stärkere nen beschränkt bliebe; vielleicht muss sie vor allem in einer Bewusstsein für die Sendung aller Getauften und „die erhöhte Übereinstimmung der Werte bestehen, die im Recht und im Le- Präsenz der Frau in den Strukturen und Aufgabenbereichen der ben ihren Ausdruck finden“64. Der Heilige Vater wendet sich christlichen Gemeinschaft“53. Eigens erwähnt werden dann un- „an die Begründer der künftigen europäischen Verfassung …, ter anderem der Beitrag der neuen kirchlichen Bewegungen so- auf dass darin ein Bezug auf das religiöse und insbesondere auf wie die Fortschritte in den ökumenischen Beziehungen54. das christliche Erbe Europas deutlich sein werde“. Genannt In der gegenwärtigen Situation dürfen wir dankbar des werden sodann konkrete Wünsche zur Sicherung der recht- 20jährigen Jubiläums des Falles der „Mauer“ in Berlin geden- lichen Situation der Kirchen und religiösen Einrichtungen65. Jo- ken (9. November 1989-2009). Dadurch ist Deutschland zwar hannes Paul II. formuliert schließlich einen Aufruf: „Europa, nicht christlicher geworden, sondern protestantischer und vor das du am Beginn des dritten Jahrtausends stehst: ‚Kehre du allem heidnischer. Trotzdem gibt es jetzt die Möglichkeit, un- selbst um! Sei du selbst! Entdecke wieder deine Ursprünge. Be- behelligt von staatlicher Verfolgung den Glauben zu verbreiten. lebe deine Wurzeln!“66 Das zweite Kapitel des Apostolischen Schreibens Ecclesia in Damit die Kirche die christlichen Ursprünge Europas wieder Europa behandelt die Aufgabe der Kirche für die Verbreitung beleben kann, möge sie ihren betrachtenden Blick auf Maria des Evangeliums der Hoffnung55. Hierbei findet sich ein erster richten. Dabei erinnert der Heilige Vater an die „vielen, über al- ausdrücklicher Hinweis auf die Gottesmutter: angesichts der le Nationen verstreuten Marienwallfahrtsstätten“, in denen „die „Versuchung des Aktivismus“ muss es „Gemeinschaften geben, Verehrung Marias unter den europäischen Völkern sehr leben- die in der Betrachtung und Nachahmung der Jungfrau Maria als dig und verbreitet ist“67. Gestalt und Vorbild der Kirche im Glauben und in der Heilig- keit den Sinngehalt des liturgischen Lebens und der Spiritua- 8. ULF von Fatima als Patronin Europas? lität bewahren. Sie sollen vor allem den Herrn loben, zu ihm be- Als Hilfe für eine christliche Erneuerung Europas empfiehlt ten, ihn anbeten und sein Wort hören. Nur so können sie sein Papst Johannes Paul II. eine marianische Spiritualität, die in der Geheimnis in sich aufnehmen, indem sie als Glieder seiner vertrauensvollen Übergabe an Maria ihren Höhepunkt findet. 56 treuen Braut völlig auf ihn bezogen leben“ . Diese Weihe wird formuliert in einem abschließenden Gebet68. Eigens gewürdigt wird die „Rolle der Frau“. Deren beleben- Konkret genant werden im nachsynodalen Schreiben außerdem der Beitrag wird erhofft angesichts einer verbreiteten wissen- die marianische Prägung religiöser Gemeinschaften, das Gebet schaftlich-technischen Geisteshaltung, „welche die emotionale des Rosenkranzes und die Verehrung der Gottesmutter an ihren Dimension und die Funktion der Gefühle in den Schatten stellt“ Wallfahrtsorten. und angesichts eines Mangels an Großherzigkeit bei dem Ge- All diese Anliegen könnten meines Erachtens ihren Aus- schenk des Lebens an neue Geschöpfe. Aufzuwerten ist auch druck finden in einer Konzentration der marianischen Anliegen „die Sendung der Frau als Gattin und Mutter und ihre Hingabe auf die Botschaft von Fatima, ohne damit natürlich andere Zu- 57 an das Familienleben“ . gänge auszuschließen. Die marianische Prophetie von Fatima Im dritten Kapitel geht es um die Verkündigung der Hoff- ermuntert zur Weihe an das Heiligste Herz Jesu und an das Un- 58 59 nung . Um deren Feier dreht sich das vierte Kapitel , in dem befleckte Herz Mariens69. Als herausragendes Mittel der Heili- auch die Volksfrömmigkeit und der Rosenkranz hervorgehoben gung erscheint das Gebet des Rosenkranzes. Am 13. Oktober 60 werden . Mit einem weiten Spektrum von Themen befasst sich 1917, nach dem Sonnenwunder, erscheint den Seherkindern 61 das fünfte Kapitel („Dem Evangelium der Hoffnung dienen“) , auch die Heilige Familie, welche die Welt segnet – ein Gegen- während das sechste und letzte Kapitel auf die Neubelebung der bild zum Schwinden des Familiengedankens in der modernen

51 EE 8 (S. 14). 52 EE 8-9. 53 EE 11 (S. 17). 62 EE 106-121. 54 EE 15-17. 63 EE 108 (S. 89f). 55 EE 23-45. 64 EE 110 (S. 91). 56 EE 27 (S. 32). 65 EE 114 (S. 95). 57 EE 42f (S. 42f). 66 EE 120 (S. 99). 58 EE 44-65. 67 EE 124 (S. 102). 59 EE 66-82. 68 EE 125. 60 EE 79. 69 Vgl. Hauke, Der prophetische Dienst Mariens, 53-57; Leo Scheff - 61 EE 66-82. czyk, Maria. Mutter und Gefährtin Christi, Augsburg 2003, 282-356.

– 221 – – 222 – Gesellschaft. Beim gleichen Anlass zeigt sich Maria als Ringparabel anschließt und die öffentliche Prägekraft des Glau- Schmerzensmutter, was auch mannigfache Prüfungen vorberei- bens zurückdrängen will. Sichtbar ist dies in „Louvain-la-Neu- ten mag, und als Maria vom Berge Karmel, als Vorbild für die ve“ sogar am Gebäude der Theologischen Fakultät: an dessen herausragendste Ausprägung der Mystik unter den religiösen Spitze thront kein Kreuz, sondern ein nach oben geöffneter Gemeinschaften. Halbmond als angebliches Zeichen der Transzendenz. Der Islam Alle diese Elemente, die noch näher ausgefaltet und um wei- kann sich nur deshalb so kräftig ausbreiten, weil die Christen ih- tere Aspekte ergänzt werden können, sprechen meines Erach- ren Eifer und ihren Missionsgeist weithin verloren haben. tens für eine Verbindung zwischen der Botschaft von Fatima Anstelle einer dezidiert anti-islamischen Ausrichtung, wie sie und der Verehrung Mariens als Patronin Europas. Dass die bei einer Ausdehnung des Festtages von Gibraltar am 5. Mai auf Volksfrömmigkeit dafür offen ist, zeigt etwa die seit 1979 statt- ganz Europa gegeben sein könnte, wäre vielleicht ein anderer findende Fatima-Schiffsprozession auf dem Bodensee im Drei- Weg vorzuziehen. Wie wäre es, den Gedenktag U.L.F. von Fati- ländereck: deren Anliegen bildet seit dem Jahre 2001 die Eini- ma, am 13. Mai, mit dem Gedanken der Patronin Europas zu ver- gung Europas im christlichen Geist. Dabei wird unter Beteili- binden? Dieses Datum im schönsten Monat Europas könnte die gung einer riesigen Menschenmenge, die praktisch die gesamte Hoffnung stärken, dass verwüstete geistige Landschaften in ei- Flotte des östlichen Bodenseeraums beansprucht, unter ande- nem christlichen Frühling neu erblühen. In Fatima, im äußersten rem die Eurovisionsmelodie abgespielt, aber vor allem Europa Südwesten Europas, spricht die Gottesmutter von der Notwen- feierlich dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht70. digkeit, sich für die Bekehrung Rußlands einzusetzen. Und sie, Die Gottesmutter als Patronin eines ganzen Kontinents zu die Prophetin schlechthin, kündigt diese Bekehrung an. verehren, ist nicht neu. Wir haben hier bereits das Beispiel Interessant war bei dem 700jährigen Jubiläum „Unserer Lie- U.L.F. von Guadalupe in Mexiko. Im Anschluss an die Erschei- ben Frau von Europa“ in Gibraltar im Mai 2009 der Freund- nung Mariens in Guadalupe geschah die größte Bekehrung von schaftsbund des dortigen Marienheiligtums mit zwei anderen Menschenmassen in der Weltgeschichte. Im Jahre 1945 ernann- Heiligtümern: die Kapelle „Maria, Mutter Europas“ in Gnaden- te Papst Pius XII. U.L.F. von Guadalupe zur Schutzheiligen weiler bei Beuron auf der Schwäbischen Alb, sowie eine der beider Amerikas; ihr Fest wird gefeiert am 12. Dezember71. „Mutter Europas“ zu weihende Kapelle in der nordöstlichsten Meines Erachtens gibt es zwei Möglichkeiten, das Patronat katholischen Pfarrei Europas in Beresniki, im russischen Ural. Mariens für Europa mit der Botschaft von Fatima zu verbinden. Dort ist als Gnadenbild „eine Fatima- geplant, die un- Eine Möglichkeit wäre die Ausdehnung des bereits bestehen- ter einem großen Kruzifix die Altarwand schmücken wird. den Festes „Unserer Lieben Frau von Europa“ von Gibraltar, Denn die Botschaft von Fatima ist zu einem großen Teil dem am 5. Mai, auf den ganzen europäischen Kontinent. Hier be- Schicksal Rußlands gewidmet und spannt in ähnlicher Weise steht allerdings freilich die Gefahr, den Blick bei der Einfüh- den Bogen über ganz Europa, vom äußersten Westen, wo sich rung eines solchen Festes allzu sehr auf die historischen Um- der Erscheinungsort selbst befindet, bis zum fernsten Osten“72. stände in Gibraltar zu richten und sich dabei auf die Abwehr der Islamisierung zu konzentrieren. Zweifellos ist das Vordringen 9. Eine exemplarische Weihe Europas an die Gottesmutter des militanten Islamismus eine gewaltige Gefahr, aber viel ge- In seinem Grußwort anläßlich des 700jährigen Jubiläums fährlicher sind die Massen der Gleichgültigen durch den Abfall des Heiligtums „Domina Nostra Europae“ (Unserer Lieben vom Christentum. Kennzeichnend ist etwa die Tatsache, dass Frau von Europa) in Gibraltar erinnert Papst Benedikt XVI. an die Vorsitzende des Straßburger Tribunals, das sich gegen das die Worte seines Vorgängers, Papst Johannes Pauls II., wonach Kreuz im öffentlichen Raum wendet, ehemals Professorin für die Gläubigen ihre himmlische Mutter anrufen mögen, auf dass Rechtswissenschaft an der sogenannten Katholischen Univer- ganz Europa seine christlichen Grundlagen auf gerechtere sität Löwen war. Dort wird das „Katholische“ weithin ersetzt Weise anerkenne73. Von Johannes Paul II. stammt auch eine durch eine Auffassung, die sich ideologisch an die Lessing’sche Weihegebet, mit dem er am 7. September 1986 auf dem Mont- blanc die Gottesmutter für ganz Europa anrief. Insbesondere bat er um die Wiederentdeckung der christlichen Wurzeln unse- res Kontinentes: „Ich erneuere diesen Appell am Vorabend des Tages, an dem 70 Vgl. Christoph Renzikowski, „Die erstaunliche Karriere der Schiffs- die Kirche das Fest der Geburt der Jungfrau Maria feiert. Maria prozession auf dem Bodensee“: www.kath.ch (Kipa-Meldung vom ist die Mutter der erlösten Menschheit, weil sie die Mutter Chri- 11.8.2003); Thomas Maria Rimmel, „Jubiläum auf dem Bodensee“: sti, des Erlösers, ist. Niemand vermag das gegenseitige Verständ- Kirche heute 8-9/2006, 24. nis und die innige Verbundenheit zwischen den Mitgliedern der 71 Für weitere Einzelheiten vgl. Imre von Gaal, „Unsere Liebe Frau von Guadalupe – Königin Mexikos – Emperatriz de América – Pa- Familie mehr zu fördern als die Mutter. Und Europa ist eine Fa- troness of America – ein Vorbild für eine Neuevangelisierung Euro- milie von Völkern, die durch die Bande der gemeinsamen religi- pas?”: Hauke, Maria als Patronin Europas (2009) 214-235. ösen Herkunft miteinander verbunden sind. An Maria richte ich 72 Hiegl, aaO., 16. darum mein Gebet, dass sie mit dem Blick des mütterlichen 73 Papst Benedikt XVI. bezieht sich hier vielleicht auf das Ende des Wohlwollens auf Europa schauen möge, auf diesen mit unzähli- Apostolischen Schreibens Ecclesia in Europa, 125, erwähnt in sei- gen ihr geweihten Heiligtümern übersäten Kontinent. Möge ihre nem Brief an den Bischof von Gibraltar zum diesjährigen Jubiläum Fürsprache für die heutigen Europäer den lebendigen Sinn für die (23.4.2008): http://www.ourladyofeurope.net/History/Pope_Bene- unzerstörbaren Werte erlangen, die die Bewunderung der Welt dict_XVI_letter.htm Vgl. den Brief Johannes Pauls II. vom 10.5. auf das Europa von gestern lenkten, und sein Vorankommen zu 1997 anläßlich der Einweihung des restaurierten Heiligtums: http://www.ourladyofeurope.net/History/Pope_%20John_%20Pau_ wertvollen Zielen der Kultur und des Wohlergehens fördern. %20II_letter.htm. Europa hat in dem Menschheitsgeschehen des dritten Jahr- 74 Johannes Paul II., auf dem Montblanc am 7.9.1986, Nr. 4 tausends seine Rolle zu spielen: Nachdem es während der ver- (Schwarz – Schulz [Anm. 1] 238). gangenen Jahrhunderte so viel zum menschlichen Fortschritt

– 223 – – 224 – beigetragen hat, wird es auch morgen noch ein strahlender sein, und stehe ihm bei, wenn es sich den Herausforderungen Leuchtturm der Kultur für die Welt sein können, wenn es ver- stellt, die ihm die Zukunft bereithält“74. steht, in friedlichem Einklang wieder aus seinen ursprünglichen Quellen zu schöpfen: dem besten klassischen Humanismus, er- Prof. Dr. Manfred Hauke höht und bereichert durch die christliche Offenbarung. Via Roncaccio 7 Seligste Jungfrau Maria, erste Blüte der erlösten Mensch- 6900 Lugano heit, hilf Europa, seiner geschichtlichen Aufgabe würdig zu Schweiz

B UCHVORSTELLUNG Gabriele Waste mit dem Ewigen? War dies eine Verweltlichung in Richtung auf „Personaler Glaube“ gegen Dialektik Ekhnaton und Aton? Der Glaube und die konkrete Glaubens- Martin Bubers Zwei Glaubensweisen im Spiegel der Kritik weise äußerten sich in der Theologie, im öffentlichen und im Josef Piepers privaten Kultus, und im praktischen Tun. JHWH sagt: „Ich bin der Herr, euer Gott! Ihr dürft nicht tun, was man in Ägypten tut, Norderstedt, Books on Demand 2008, Paperback wo ihr gewohnt habt, noch was man in Kanaan tut, wohin ich ISBN 978-3-9809748-8-2, 59 Seiten, Preis: 6,- EUR euch bringe. Ihr dürft nicht nach ihren Sitten leben“ (Lev 18,2b- 3). War somit die Glaubensweise des Königs Ahas, – „sogar Religionsphilosophische, theologische seinen Sohn ließ er durchs Feuer gehen und ahmte die Gräuel und zeitgeschichtliche Anmerkungen der Volker nach, die der Herr vor den Israeliten vertrieben hat- von Erik M. Mørstad te“ –, Ausdruck eines „personalen“ Glaubens (2 Kön 16,3)? Die Erwartung auf einen kommenden Messias erstarkte nach dem Das Buch Frau Dr. Wastes stellt ein immer aktuelles und gül- Exil, bis zur hellenistischen Zeit der Makkabäer (167 v. Chr.) tiges philosophisches und theologisches Problem dar. Das The- und zur Zerstörung des Tempels im Sommer 70 n. Chr. Wir ma ist zu ernst, als dass es in einem geschichtslosen Kontext ge- müssen Buber noch schärfer fragen: Unter welchen Bedingun- sehen werden kann. Es wird daher vom Rezensenten auf dem gen wäre der Messias ein Konkurrent zum Ewigen und unter Hintergrund seiner Erfahrungen innerhalb der lutherischen welchen wäre er sein wahrer Repräsentant? Für die Pharisäer Staatskirche Norwegens seit den 1930er Jahren und der nordeu- hatte bereits die Verheißung der kommenden Auferstehung den ropäischen liberalen Theologie seit Luther und dem Anfang der Rang einer Glaubenswahrheit aus den Heiligen Schriften, für Neuzeit bedacht. die Sadduzäer dagegen nicht (vgl. Apg 23,8; Josephus, Antiq. Bubers Definition des „(P)ersonalen Glaubens“ und seine 18,1,12-16). „(Z)wei Glaubensweisen“ hat im europäischem Raum natürlich Die Frage wurde jedoch nicht: Wird es eine Auferstehung mit dem Glauben und mit den Glaubensweisen der Juden und von den Toten geben (vgl. 1 Kor 15,12), sondern: Warum war der Christen, den der Katholiken wie den der Protestanten zu die Auferstehung mit Jesus von Nazaret geschehen? Wie hat er tun. Worin besteht ein „personaler“ Glaube? Christen glauben das tun können? Seit Anfang seines öffentlichen Auftretens hat verbaliter gewöhnlich an Jesus von Nazaret als den „Sohn Got- man über ihn gestritten. Die Gegner Jesu waren sich sicher, tes“, ein Glaube, dem Buber sich gedanklich nicht hat anschlie- dass sie den althergebrachten Glauben an den „König der Herr- ßen wollen, obwohl es viele Juden im Laufe der Geschichte ge- lichkeit“ (Ps 24,7-10) vertraten, JHWH, der die Toten aus ihren tan haben, wie Edith Stein; Jesus und seine zwölf Apostel wa- Gräbern hervorrufen werde. Die Behauptung des Apostel Pe- ren ja selbst Juden. Die Glaubensweisen sind schon zwischen trus, der Zwölf und später des Apostel Paulus war: Eben weil Katholiken und Protestanten verschieden, noch mehr zwischen Jesus selbst „der Herr der Herrlichkeit“ schon zu Lebzeiten Juden und Christen. Buber steht für das chassidische Judentum war (1 Kor 2,8 u.a.), ist dies mit ihm geschehen, hat er das tun ein und meint die gültige Glaubensweise zu vertreten, weniger können. Schon am ersten christlichen Pfingsttag empfingen Ju- im Verhältnis zur dialektischen des Protestantismus als im Kon - den aus Judäa und der Diaspora durch die Rede des Petrus den trast zur ontisch gedachten der katholischen Kirche. Glauben an den aus dem Grab auferstandenen Jesus als den Wir können Martin Buber fragen: War der Glaube Pharao Messias, ja, den Herrn (Apg 2,31-36.41.47). Ekhnatons „personal“? War das Objekt seines Glaubens, der Im Allgemeinen fand aber in der Frage bezüglich der Er- Schöpfergott Aton, die Sonnenscheibe, der Art, so dass man sei- kenntnis Gottes keine Aussöhnung statt zwischen Juden und der ne Glaubensweise als eine nicht „personale“ abqualifizieren einen katholischen und apostolischen Kirche während der kom- darf? War JHWH derart anders als Aton, so dass nur der Glau- menden zwanzig Jahrhunderte. Das Nein zu Jesus als Messias / be des Moses als „personal“ zu qualifizieren ist? Worin besteht Herr und das Ja schienen nicht vereinbar zu sein. Für die mei- die Identität des göttlichen Objekts, denn darum geht es hier, sten Juden, die Jesus ablehnten, führte also kein vom Ewigen ge- damit man den wahren, entsprechenden Glauben an diesem Ob- wollter folgerichtiger Weg von den Schriften – die weiteren Tex - jekt als „personal“ bezeichnen kann? te der Septuaginta mit eingenommen – zum Glauben an den tri- Buber geht es, so scheint es, wie Moses darum, die Wirklich- nitarischen einen Ewigen, über den die Konzile von Nikaia (325 keit des Ewigen, des Schöpfers des Himmels und der Erde an- n. Chr.), von Konstantinopel (381), von Ephesus (429), von zuerkennen. Darüber stritt man innerhalb des Volkes der zwölf Chalkedon (451) und wieder von Konstantinopel (553) spre- Stämme seit ihm. War die Einführung des Königtums ein Bruch chen. Warum dieses alte Nein zum Ewigen und seiner Selbstof- – 225 – – 226 – fenbarung? Warum dieses Nein zu Jesus? Warum das Nein zu Jene, die vor Jesus standen, erahnten, dass sie vor ein uner- seinen Aposteln? Warum das Nein zur katholischen Kirche und klärliches Geheimnis gestellt waren (Mk 1,27 u.a.). Die Strah- zum notwendigen Denken über Gott, das aus dem Auferste- len aus den heiligen Schriften vereinigten sich irgendwie in hungsereignis Jesu hergeleitet ist? Es ging um den e i n e n Gott ihm: „Denn er sprach und es geschah; er gebot und da war es (Dtn 6,4-5). Gott kann nicht, so denkt man, nicht „Fleisch“ wer- geschaffen“ (Ps 33,9). Man war zu einer eigenen, dem Näch- den, sei er der gerechteste Prophet (Dtn 18,15), der vollkom- sten gegenüber anders gearteten Freiheit des Sein und des Tun menste Messias (Ez 34,11-22.23-31; vgl. Joh 10,14-21). eingeladen. Man wurde Zeuge der göttlichen Liebe. Das Heil Nach den Hasstiraden und Drohungen Luthers in „Von den JHWHs war in und mit Jesus vorhanden, weil Er nicht allein Juden und ihren Lügen“ (1543; WA 53,541-542) war auf deut- das Wort Gottes sprach, sondern es im Vollsinn war (Joh schem Gebiet aus christlicher Sicht ein positives Gespräch mit 1,1.14.18; 20,28), „wahrer Gott“ und durch die , die dem Judentum über den Ewigen ausgeschlossen. Das lutheri- Gottesgebärerin (Ephesus 431) „wahrer Mensch“. Der an Jesus sche Wahrheitsverständnis – sola scriptura, sola gratia, sola fi- Glaubende war durch Gott, den Sohn, selbst ein Kind des Ewi- de – lag vier Jahrhunderte fest und äußerte sich als nieder- gen geworden (Gal 3,26-29). Einzig vor dem Ewigen ist der schmetternde Verurteilung des Judentums, das im Buchstaben- Glaube nicht dialektisch in die Sklaverei der These – Antithese glauben erstarrt sei, durch das Festhalten am Gesetz und der eingebunden. Der Glaube war durch den Heiligen Geist im Nichtannahme Jesu verblendet sei, wie die Kirche des Papstes Voll sinn des Wortes personal geworden (Gen 1,2b; 1 Kor 12,3). zu Rom mit ihrer antichristlichen Werkgerechtigkeit und wie Diese volltönende Wahrheit über die Trinität Gottes und die die Reformierten aus Genf mit ihrer legalistischen Heiligungs- Inkarnation des Sohnes war aber durch Luther und die ihm fol- theologie. Indem aber Luther die Werke Jesu als Hilfe zum Heil gende liberale Theologie seit der Aufklärung abgewiesen wor- disqualifizierte und so die Inkarnation des Logos und folgerich- den. Sehen wir uns das an, um Bubers philosophisch-theologi- tig seiner Fähigkeit zur Auferstehung leugnete („Denn die sche Position zu klären, ob sein Begriff des Glaubens voll „per- werck [vnnd wunderthatten Christi] hulffen myr nichts“, WA sonal“ sei oder aber mit Luther irrational sei. Auch die Theolo- DB 6,10,15-16.21-22), stand das Luthertum – meistens ohne es giegeschichte Norwegens soll hier zu Wort kommen. wissen zu wollen oder es zu erkennen – tatsächlich mit einem Seit 1906 galten in Norwegen folgende Wahrheiten: Es gab Jesus da, der aller Lobpreisung durch Luther zum Trotz – ver- keine „Jungfrauengeburt“ Jesu; die „Wunder“ sind Glorifizie- gleiche das Sonnenlied Ekhnatons für Aton – Vollbringer von rungen seitens der nach seinem Tod entstandenen Gemeinden; nur weltlichen Werken gewesen ist, unfähig den rettenden eine Kirche zu gründen lag nicht in seiner Absicht; die Zerstö- Glauben zu geben. Das Wichtige – Gottes erwiesene Herrschaft rung des Tempels und Jerusalems (70 n. Chr.) hat er nicht vor- über den kosmischen Tod durch das Werk der Auferstehung sei- ausschauen können; das Abendmahl ist eine später aufgekom- nes Sohnes – war durch Luther prinzipiell erledigt. Die Werke mene mysterienkultische Zusammenkunft; die Bedeutung sei- Gottes als Heilswerke waren ausradiert, weswegen das Werk nes Todes als Sühneopfer für die Sünden der Welt hat er sich so des Menschen damit kein wahrer Gottesdienst sein könnte, son- nicht vorgestellt; seine Auferstehung aus dem Grab hat nicht dern Funktionalität ohne ewigen Wert, sachgerecht über Zwi - stattgefunden, die Berichte darüber vermitteln historisierte my- schenformen – etwa Kant, Hegel, Feuerbach, Ferd. Chr. Baur, thische Glorifizierungen des Heros; die Evangelisten verfassten Marx – in den materialistischen Atheismus und eine Gott leug- ihre Werke bis Jahrzehnte nach der Zerstörung Jerusalems und nende Evolutionslehre hinein. des Tempels. Historisch Zuverlässiges aus dem Leben Jesu liegt Um diesen Sachverhalt und diesen Widerstand gegen Jesus als daher nur verstreut in den Evangelien vor. Der Professor für das wahren Gott zu erleuchten, lohnt es sich zunächst eine wichtige Neue Testament an der Universität zu Oslo, Lyder Brun, sagte in Belegstelle im Alten Testament für den einen Gott (Ex 3,14-15) den 1920er Jahren kristallklar: „Als historisch denkende evange- philologisch zu betrachten. Nach dem hebräischen Text Ex 3,14 lische Christen lehnen es liberale Theologen ab, den Glauben mit sagt Gott zu Moses: ähjäh àschär ähjäh, „Ich bin der ich bin“. einem bestimmten Komplex zeitgeschichtlich bedingter Sätze zu Die Septuaginta, LXX, gibt diese Worte so wieder: Ègô eìmi ho identifizieren“. Die fides quae creditur, das Objekt, woran man ôn, „Ich bin der Seiende“, die Vulgata sagt: ego sum qui sum, glaubt, lässt sich folglich nicht mit historischen Fakten identifi- „Ich bin der ich bin“. Gott benennt sich dann ähjäh, „Ich bin“, zieren, die fides qua creditur, der Glaube, womit man glaubt, LXX ho ôn, „der Seiende“, Vulgata qui est, „der ist“. Das äh- lässt sich nicht mit verbindlichen Sätzen geschichtlicher Art ver- jäh, „Ich bin“, dient (wie so oft in der Thora) offenkundig als al- einbaren. So existiert der christliche Glaube liberaltheologisch ter volksetymologischer, beziehungsweise theologischer Hin ter- prinzipiell ohne im historisch-faktischen Jesus des Neuen Testa- grund für die sonst bei den Verben hâjâh und hâwâh nicht vor- mentes und der kirchlichen Bekenntnisse verwurzelt zu sein. kommenden Kausativformen 3. Pers. Sg. *jahjäh und *jahwäh, Der Vater des Rezensenten war evangelisch-lutherischer „Er macht, das etwas wird“, als Deutung des Namens JHWH, Pfar rer im ländlichen Süd-Westen Norwegens. Dem materiali- Jahwäh: „Er lässt etwas werden, er schafft; der Schöpfer“ (vgl. stischen Atheismus und der breit und tief in der Bevölkerung Ps 33,6.9; Jes 43,1.13. Die Septuaginta gibt JHWH mit dem Wort entsprechenden liberalen Theologie zum Trotz, gehörten noch für den Herrscher wieder, (ho) Kúrios, die Vulgata mit Dominus, zu meiner Jugendzeit in den 1930 Jahren 98% der Bevölkerung im germanischen Sprachbereich: der „Herr“. Und dann muss ge- der Norwegischen Kirche an. Die Eltern wiesen die liberalthe- sagt werden: Die Wiedergabe der Sep tuaginta ho ôn, „der Seien- ologischen Jesusdeutungen ab, denn es ging ihnen um den ewi- de“, für ähjäh, „Ich bin“, bezeugt keinen griechisch-hel le - gen Heiland der Welt. Der Junge erfasste, dass viele Kollegen nistischen Bruch mit der Intention des hebräischen Verbums, nicht eins mit unseren Eltern dachten, auch nicht über Gott. son dern verleiht dem „Ich bin“ eben den Charakter des Im mer- Doch, wie froh wurden die Eltern beim Besuch eines alten dauernden am Schöpfer JHWH aus seiner Ewigkeit (Pss 90,2; Freundes, eines jüdischen Kleiderhändlers aus einer Kleinstadt, 93,2; Jes 43,13; 44,6-8; 45,5.23). Im Brief an die Hebräer kommt wo Vater vorher gedient hatte. Froh wurden sie nicht allein dieselbe Ontologie zum Ausdruck bei Jesus Christus: „Jesus wegen seines Angebots an Kleidern, sondern vor allem wegen Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“ (13,8). des Gedankenaustausches über Religion und Glauben. Ehr-

– 227 – – 228 – furchtsvoll fand das Gespräch unter ihnen statt. Der Junge er- und der arianischen Jesu-logie der liberalen Theologie. Zwi- fasste, es ging um die Wahrheitsfrage: Der Ewige im Kontrast schen diesen beiden einerseits und der katholischen Kirche mit zum minimalisierten „Jesus“. Nun: Während des Krieges wur- ihrem strengen Trinitätsglauben andererseits ging, falls der In- den 757 Juden nach Deutschland deportiert und verschwanden karnierte nicht verleugnet werden sollte, eine Kluft. Luther und in Gaskammern; nur wenige kamen zurück, nicht aber der Buber sind ihrer denkerischen und theologischen Verschieden- Freund und seine Familie. heit zum Trotz in ihrem Nein zum Jesus Christus der katholi- Meine Eltern waren seit ihrer Jugend auf die deutsche Kul- schen Kirche vereint, während sich für mich die Einheit zwi- tur eingestimmt gewesen. Und nun erhob sich nach dem Zwei- schen der jüdischen Bibel und dem ontischen Denken der Sep- ten Weltkrieg die Frage: Wie war der Völkermord möglich ge- tuaginta mehr und mehr erhellte. worden? Sie suchten weit zurück in der deutschen Geschichte, Zur Beleuchtung der „Zwei Glaubensweisen Bubers im nicht aber dachten sie an Martin Luther. Warum denn nicht? Sie Spiegel der Kritik Josef Piepers“ zieht Frau Dr. Waste Edith waren beide Lutheraner „alter Schule“: Luther war ihnen sacro- Stein zu Hilfe und definiert gegen Buber das Kriterium für den sanct. Dann erreichte sie nach dem Krieg aus Deutschland das mit Recht so zu benennenden „personalen Glauben“ und stellt Denken Martin Bubers. Sie wurden sich aufs Neue klar über fest, dass der Glaube Bubers und Martin Luthers irrationaler den ontologischen Unterschied in der Erfassung Gottes, des Natur sei. Waste klärt das gedankliche Defizit am Begriff des Ewigen, worüber sie mit ihrem jüdischen Freund gesprochen „personalen Glaubens“ Bubers durch dessen antihellenistische, hatten und worüber Dr. Waste mit ihrem Buch Rechenschaft ab- das heißt antiseptuagintische Haltung vor den Gottespräsenta- legt: Luther hat dem klassisch-kirchlichen Denken, wie es in tionen in Ex 3,14-15 und Dtn 6,4-5 auf. Die Unzulänglichkeit der Bekenntnistradition der Alten Kirche über die hl. Trinität tritt ans Licht eben in seinem Widerstand gegen die Ègô eìmi ho und über die Inkarnation vorliegt, seine Absage erteilt. ôn – und Ho ôn – Aktualisierungen des alten Glaubens an den Erst die Kenntnisnahme des Holocausts öffnete unter prote- einen Gott, welche im Laufe des Hellenismus aufkamen und stantischen Theologen und Kirchenrepräsentanten das Gewis- von der Septuaginta wie von Jesus aufgegriffen wurden (Joh sen für die von ihnen mitverschuldete philosophische und inter- 8,28.58). Der jüdische wie der christliche Glaube würden sonst religiöse Katastrophe. Auf einmal war nach Nazideutschland in der vom Seienden losgelösten Vergangenheit verkümmern die mit Scham beladene Begegnung mit dem Judentum ein und unpersonal werden. Es musste zu einem personalen Mitge- Muss, aber nunmehr so, dass die Wahrheitsfrage ausgeklam- hen mit dem Ewigen und Seienden kommen, der sich in Jesus mert war, damit keine Divergenzen das Gespräch stören sollten. Christus, dem ewigen Sohn rettend offenbart hat, wie seine Per- Jetzt wurde Buber philosophisch und theologisch für salonfähig son und seine Apostel bezeugen. erklärt und als eine intellektuell kraftvolle Herausforderung Wir müssen dazu noch sagen: Die Holocaustkatastrophe ist vorgestellt. Buber und Luther schienen nunmehr vereint in ih- zugleich mit ihrem zurück gebliebenen Theodizee-Problem als rem Kampf gegen den gemeinsamen Gegner, die katholische eine Folge der jahrhundertealten trinitarischen Verirrung inner- Kirche mit ihrem, wie man sagte, polytheistischen Gottesbild, halb der lutherischen Theologie im akademischen und universi- wo kein freier, echt personaler Glaube mehr möglich sei, aufge- tären Bereich zu sehen. Es führt kein Weg vorbei an dem onto- splittert wie jener Glaube sei mit Hinblick auf Maria, Engeln logischen Christus-Denken der Kirche, wenn man an der Of- und Heiligen. Nun hieß es: Die katholische Kirche sei mit ih- fenbarung JHWHs an Israel gedanklich festhalten will. Indem rem sich durch die Heilsgeschichte trinitarisch offenbarenden Buber nicht den Schritt Edith Steins zum Christusglauben einen Ewigen (Gen 1,1-2.26a; 18), den Vater, den Sohn Jesus, macht, bleibt sein Glaube, allen Unterschieden zum Trotz, pa- den Heiligen Geist, und mit ihrem im Sein des Ewigen zugrun- radoxerweise eine Parallele zum Glauben anderer Religionsfor- de liegenden, die Person auflösenden philosophischen und the- men, wo der Mensch als Person mehr oder weniger unberück- ologischen Denken in die Vielgötterei abgeglitten. sichtigt bleibt und im Gehorsam gegenüber dem Gesetz und un- Der Rezensent hat es selbst erlebt. An der Göttinger Univer- vernünftigen, den Menschen und dessen Glauben verfremden- sität durften sein deutscher Freund und er bei einer übervollen den Ritualen und Denkpositionen sklavisch (weil unfrei) und Vorlesung im Sommersemester 1956 den edlen Greis Martin deshalb dialektisch lebt – vor 4500 Jahren bis heute und immer Buber sehen und hören. Der Freund war Student der dortigen (Gal 5,1). Der Ewige erhält hier keine person-ontische Antwort evangelischen Theologie und in Luther, Calvin, Kierkegaard, auf die von Ihm geschenkte, auf Gegenseitigkeit ausgerichtete Barth – durch die Barmer Erklärung – und Bultmann verankert. göttliche Liebe: die Liebe des Ewigen als Wort, die Liebe des Er wurde sofort ein philosophischer und theologischer Verehrer an ihn Glaubenden als Antwort, die einzig wahrhafte „Ich - Du - Bubers. Der aus Norwegen kommende Alttestamentler war Existenz“. Erst dann ist der Glaube eines Menschen – sei er Ju- aber daran, sich dem Seinsdenken der Septuaginta anzunähern. de, sei er es nicht – wahrhaft „personal“. Von der theologischen Fakultät der Universität zu Oslo hatte er So hat Frau Waste mit Recht den Siegeskranz dem Denken als Hintergrund die liberale Theologie, wonach sogar das Nizä- Edith Steins im ontologischen Kampf gegen Buber zuerkannt nische Bekenntnis, das zweite offizielle Bekenntnis der lutheri- und ihren Glauben an den für sie gekreuzigten Gottmenschen schen Kirche, de facto als eine begriffliche und sachliche Ent- Jesus Christus als denkerisch einzig gültigen personalen Akt bis fremdung vom „biblischen“ Jesuszeugnis galt. Dasselbe galt zum Tod der Tochter Israels verteidigt: Die Liebe des trinita- dann natürlich auch für die darauf folgenden Bekenntnisse der risch Ewigen ist die Voraussetzung für den personalen Glauben. katholischen Kirche. Das ontische Denken, das durch die Sep- Waste behandelt das Thema glänzend. Ein höchst wichtiges tuaginta zu Wort kommt (Ex 3,14-15; Jes 7,14, LXX) und in Buch. Dank an Frau Dr. Gabriele Waste und an den Herausge- den altkirchlichen Trinitäts- und Christusbekenntnissen vor- ber, den Kardinal-von-Galen-Kreis, Münster. liegt, offenbarte mir die Trennung zwischen dem evangelisch- Erik M. Mørstad lutherischen liberaltheologischen Glauben und dem Glauben Vevelstadasen 13 jener alten Kirche. Durch Buber sah ich jetzt die philosophische N-1405 Langhus und theologische Einheit zwischen dem Denken des Judentums Norwegen

– 229 – – 230 – Zu Schlüsselfragen des Glaubens Antworten aus der authentischen Lehre der Kirche in den Schriftenreihen

Manfred Hauke Walter Hoeres Das Weihesakrament für die Frau – Wesenseinsicht und Transzendentalphilosophie H. van Straelen SVD eine Forderung der Zeit? Bd. V, 2001, 178 S., C 12,– Selbstfindung oder Hingabe Nr. 17, 128 S., C 9,– Zen und das Licht der christlichen Mystik G. Klein/M. Sinderhauf (Bearb.) Nr. 1, 4. erw. Aufl. 1997, 144 S., C 9,– Erzbischof Johannes Dyba „Unverschämt katholisch“ W. Schamoni Walter Hoeres Band VI, 592 S., 3. Auflage Kosmos, Erde, Mensch und Gott 16,5 x 23,5 cm, Festeinband, C 17,– Nr. 3, 64 S., C 6,– Gottesdienst als Gemeinschaftskult Nr. 1, 44 S., C 6,– Leo Kardinal Scheffczyk W. Hoeres F.-W. Schilling v. Canstatt Ökumene – Der steile Weg der Wahrheit Evolution und Geist Band VII, 368 S., C 15,– Nr. 4, 174 S., 2. wesentlich erweiterte Ökumene katholischer Vorleistungen Auflage 12,– C Nr. 2, 2. erw. Aufl., 46 S., C 6,– David Berger (Hrsg.), Karl Rahner: Kritische Annäherungen Ulrich Paul Lange J. Stöhr u. B. de Margerie SJ Band VIII, 512 S., C 19,– Das Licht der Augen des Gotteslammes Maria, die in der Kirche nach Chris- Nr. 5, 72 S., C 6,– tus den höchsten Platz einnimmt und Leo Kardinal Scheffczyk doch uns besonders nahe ist (Anspra- Der Einziggeborene L. Scheffczyk chen) · Nr. 3, 93 S., C 6,– Band IX, 232 S., C 12,– Zur Theologie der Ehe Nr. 6, 72 S., C 6,– Richard Giesen Leo Elders Können Frauen zum Diakonat zuge- Gespräche mit Thomas von Aquin A. Günthör OSB lassen werden? · Nr. 4, 122 S., C 8,– Band X, 304 S., C 14,– Meditationen über das Apostolische Walter Hoeres Glaubensbekenntnis, Vaterunser Joseph Overath Heimatlose Vernunft und Gegrüßet seist du, Maria Hoffnung auf das Morgen der Kirche Band XI, 320 S., C 14,– Nr. 7, 136 S., C 9,– Nr. 5, 76 S., C 6,– J. Dörmann Georg May Franz Prosinger Die eine Wahrheit und die vielen Kapitelsvikar Ferdinand Piontek Das Blut des Bundes – vergossen für viele? Religionen · Nr. 8, 184 S., C 9,– Nr. 6, 70 S., C 6,– Band XII, 133 S., C 10,– Klaus M. Becker J. Auer Joseph Overath Erfülltes Menschsein: der wahre Kult Theologie, die Freude macht Erst Deformation, dann Reforma- Band XIII, 103 S., C 9,– Nr. 9, 64 S., C 6,– tion? · Nr. 7, 208 S., C 10,– Georg May K. Wittkemper MSC W. Schamoni Drei Priestererzieher aus Schlesien Herz-Jesu-Verehrung Theologischer Rückblick Paul Ramatschi, Erich Puzik, Erich Hier und Heute · Nr. 10, 136 S., C 9,– 1980, 184 S., C 9,– Kleineidam · Nr. 8, 196 S., C 8,– Regina Hinrichs W. Schamoni Wolfgang F. Rothe Die seligen deutschen Ordensstifterinnen Ihr werdet sein wie Gott Pastoral ohne Pastor? Nr. 11, 2. Aufl., 112 S., C 9,– des 19. Jahrhunderts Ein kirchenrechtliches Plädoyer wider 1984, 88 S., C 6,– die Destruktion von Pfarrseelsorge, Walter Hoeres R. Baumann Pfarrer und Pfarrei · Nr. 9, 158 S., C 9,– Theologische Blütenlese Gottes wunderbarer Ratschluss Nr. 12, 180 S., C 10,– 1983, 192 S., C 9,– QUAESTIONES Walter Hoeres E. von Kühnelt-Leddihn Kirchensplitter · Nr. 13, 86 S., C 6,– NON Kirche kontra Zeitgeist DISPUTATAE 1997, 144 S., C 11,– Walter Hoeres G. May Joh. Overath/Kardinal Leo Scheffczyk Zwischen Diagnose und Therapie Die andere Hierarchie Nr. 14, 324 S., C 12,– Musica spiritus sancti numine sacra Bd. II, 3 unv. Aufl. 1998, 184 S., C 12,– Consociatio internationalis musicae sacrae Heinz-Lothar Barth Balduin Schwarz hrsg. von Dr. G. M. Steinschulte „Nichts soll dem Gottesdienst vorgezo- Ewige Philosophie 2001, 156 S., geb. C 5,– gen werden“ · Nr. 15, 199 S., C 10,– Bd. III, 2000, 144 S., C 11,– Alfred Müller-Armack David Berger Bernhard Poschmann Das Jahrhundert ohne Gott Was ist ein Sakrament? Die Lehre von der Kirche 2004, 191 S., C 12,– Thomas von Aquin und die Sakramente Bd. IV, 2000, Hrsg. von Prof. Dr. Herausgeber: David Berger im allgemeinen · Nr. 16, 116 S., C 8,– G. Fittkau 344 S., C 14,– In Zusammenarbeit mit der FG „Theologisches“ e.V. Bestellung an: Verlag Franz Schmitt, Postfach 1831, 53708 Siegburg, Fax 0 22 41–5 38 91 · E-mail: [email protected]

– 199 – – 200 –