MAGAZIN 10 Psychologie 16. April 2017 11

oger Federer macht wieder gender Sportler in der Öffentlich- winnt keine Games. Entscheidend Schlagzeilen. Sportlich – und keit derart gut ankommt, fasst der sind die Emotionen, die das eigene Rüberall dort, wo er auftritt. bekannte deutsche Sportwissen- Spiel befeuern. Die Sportpsycholo- Wie Anfang dieser Woche im Hal- schaftler Gunter Gebauer in einer gie spricht dabei von der «Zone» lenstadion Zürich mit dem Charity- simplen Formel zusammen: «Sport und meint damit den mentalen Spiel «Match for Africa» gegen die ist alles in einem. Sport ist Ästhetik, B­ereich optimaler Leistungsfähig- aktuelle Weltnummer 1, Andy Glamour, Erotik.» keit: den Umgang mit heftigen Murray (29). Die Medien loben die ­Erregungszuständen, mit höchst phänomenale Rückkehr des Welt- Keiner King Roger beherrscht das hohe emotionaler Anteilnahme. Hierin sportlers und sein überraschend C der mentalen Stärke liegt der Schlüssel mentaler Stärke. erfolgreiches Comeback nach der ist stärker In seiner Analyse des Volkshelden Wenn der Baselbieter in match- Verletzungspause. Vergessen ist die prägte der Zürcher Philosoph Lud- entscheidenden Momenten mit kollektive Sorge um sein nahes wig Hasler denn auch den Begriff ­seinem «C’mon» in den Karriereende. Die Erfolgsstory RF Er coacht Weltmeister und Olympiasieger: Sportpsychologe «Leistungserotiker». Er ortet das «Overdrive»-Modus schaltet, schei- hat einen weiteren Höhepunkt er- Hanspeter Gubelmann erklärt, was derart Genie im federleichten Spiel. Das tern viele seiner Konkurrenten an reicht: Die Schweiz, ja die ganze basiert nicht nur auf seiner filigra- ihren mentalen Schwächen – sie Tenniswelt huldigt ihrem King erfolgreich und einzigartig macht. nen Technik, der virtuosen Spielge- hadern, werden aggressiv oder ­Roger. staltung. RF ist in der Lage, unter wirken frustriert. Wer sich Federer nähern will, maximaler körperlicher Belastung Zufall oder nicht? Ich sass sieht sich mit einer Lichtgestalt mental gelöst und frei zu spielen. Sind mit dabei auf der Tour im Publikum an den konfrontiert. Wir lesen überall von Die nordamerikanische Sportpsy- und bieten RF abseits der Olympischen Spielen Courts Abwechslung und seiner sportlichen Perfektion, der chologie verwendet dazu den Be- Spass – und damit auch 2004 in Athen, als Leidenschaft und Leichtigkeit beim griff «Composure», Gelassenheit. Psychohygiene: Gattin Turnierfavorit Fede- Siegen und der Souveränität in der Federer beherrscht aber auch die ­Mirka und die vier Kinder. rer in der zweiten Niederlage. Vor den vielen positi- anderen «Cs» mentaler Stärke: Runde gegen den ven Attributen kapituliert jeglicher Auch in Sachen Selbstvertrauen ­damals noch unbekannten kritische Geist. Davon zeugt auch (Confidence), Konzentration (Con- Tomas Berdych (31) antrat­ die Aussage von Andy Roddick centration) und Leidenschaft – und verlor. Auffallend (34), als er in einem Interview (Commitment) punktet er major- bei jener Niederlage, wie nach einer neuerlichen Nieder­lage mässig. häufig RF seine Contenance verlor – insgesamt waren es 21 – gegen Diese mentalen Fähigkeiten und seine negativen Emotionen ihn sagte: «Ich würde ihn gern has- trennen im Spitzensport lautstark zeigte. Schon als Junior sen, aber er ist so ein netter Kerl. die Spreu vom Wei- war er als feuriger Hitzkopf ­Alles, was er macht, hat Klasse.» zen: «Da sein, ­bekannt. Damals holte er sich sportpsychologische Unterstüt- «Sport ist alles in einem. Sport zung bei einem Experten: eine ist Ästhetik, Glamour, Erotik» Dienstleistung, die Swiss Auch aus Sicht der Sportpsycholo- mittlerweile fest in die Nachwuchs- gie ist Federer ein Phänomen. Sie förderung integriert hat. beschreibt als wissenschaftliche Disziplin, wie sportliche Exzellenz Auch ein Betreuerteam muss entsteht, wächst und in Spitzen- Weltklasse sein leistung sichtbar wird. Sie stützt wenns zählt!» Im RF ausschliesslich aus individual- sich dabei auf Beobachtungen, Tennis bei jedem Punkt. psychologischem Blickwinkel zu ­Erfahrungen und Informationen, «Über einen Ball, der geschla- betrachten, wäre einfältig. Für den die wissenschaftliche Expertisen gen ist, darfst du niemals nach- längerfristigen Erfolg im Spitzen- reflektieren. Auchohne per- grübeln», schreibt der schwedische sport sind andere Faktoren mit sönlichen Kontakt zu Poet Lars Gustafsson in seinem ­entscheidend – vor allem die Ein­ RF zu haben, lassen Buch «Die Tennisspieler». «Er ist bettung in ein leistungsfähiges sich damit seine psy- fort, ob er nun gut oder schlecht ­soziales Umfeld. Swiss-Ski-Funk­ chologischen Merk- war, er ist wirklich fort. Es gibt nie- tionär Gary Furrer, der wohl wich- male beschreiben. Ausser- mals einen anderen Ball als den, tigste Wegbereiter der olympischen dem bringe ich 25 Jahre den du gerade vor dir hast.» Griffen im «Match for Africa»­ für Kinder in Not zum Racket: Erfolgsgeschichte von Simon Am- ­Erfahrung in angewandter Spitzenspieler investieren ent- Roger Federer und im Zürcher Hallenstadion. mann, brachte die Anforderungen Sportpsychologie und im Spit- sprechend viel in dieses «Inner an ein ideales Betreuungsteam wie zensport mit. Game of Tennis». Entscheidend folgt auf den Punkt: «Wenn wir von Roger Federer hat schon mit 36 darin ist die positive Gestaltung sei- Athleten Weltklasse erwarten, Jahren den Status einer lebenden Im Höhenflug: ner eigenen Aktionen zwischen den ration auf den nächsten Ballwech- (30) das Zelebrieren dann muss auch das Betreuerteam Legende, einer Ikone im Tennis Roger Federer Ballwechseln. Diese «16-Sekunden- sel. Daraus entsteht ein individuel- eines aufwendigen Rituals. Punkt Weltklasse repräsentieren – in ­erlangt. RF gilt als Markenzeichen nach seinem Kur» beinhaltet: die positive Verab- ler, automatisierter Handlungsab- für Punkt, Game für Game – men- fachlicher Hinsicht und im Zusam- Turniersieg in – für das Tun auf und neben dem Miami. schiedung vom gerade ­gespielten lauf: Bei Federer ein schnörkello- tale Vorbereitung. menspiel.» Court, für das bestvermarktete Punkt, die kurze Phase der Regene- ses, zielorientiertes Agieren, bei Grandioses Spiel setzt Disziplin Die Rede ist von einem «Winning

­Vorbild weltweit. Wieso ein überra- Zimmer Thomann, foto-net/Paul Sven Images, Getty Fotos: ration, Vorbereitung und Konzent- seinem spanischen Kontrahenten voraus. Aber: Disziplin allein ge- Mindset», dem gemeinsamen 

Zur Person Hanspeter Gubelmann (53) ist Dr. phil, eidg. machte er sich u. a. als langjähriger Betreuer Meier (32) einen Namen. Er arbeitet in einem der Schweiz und im Ausland. Gubelmann dipl. Turn- und Sportlehrer II, Trainer Spitzen- von Skisprung-Olympiasieger Simon Ammann Teilpensum an der ETH Zürich und unterrichtet ­publiziert auf www.die-sportpsychologen.ch Hanspeter sport Swiss Olympic und Fachpsychologe für (35), Ski-Abfahrtsweltmeister Bruno Kernen überdies als Experte und Dozent für Sport­ ­regelmässig Fachbeiträge zu aktuellen Themen Gubelmann Sportpsychologie FSP. In der Öffentlichkeit (44) und Eiskunstlauf-Europameisterin Sarah psychologie an verschiedenen Universitäten in der Sportpsychologie. 12 Psychologie

 Verständnis der Hochleistungs- ten. Familienmensch Federer fin- Auf der Suche nach eben jenen kultur. Das Entscheidende auch det es interessant, seinen Kindern ­Voraussetzungen, die eine lange hier: die emotionale Nähe zwi- die Welt zu zeigen. Abwechslung und erfolgreiche Karriere im Spit- schen Athlet und Betreuer. RF wür- und Spass lassen ihn Abstand vom zensport unterstützen, wurde der de wohl nie Trainertypen vom stressreichen Berufsalltag finden. Schweizer Sportpsychologe Ro- Schlage eines Brad Gilbert (Autor Die Rolle als Familienvater behagt bertino Engel in einer breit ange- von «Winning Ugly»), John McEn- ihm offensichtlich, seine Freizeit legten Studie fündig: Frühe Verlet- roe oder Boris Becker verpflichten. nutzt er damit auch im Sinne der zungen und psychische Probleme Er präferiert Trainer wie Peter Psychohygiene. Dieser Leichtigkeit im Nachwuchsalter scheinen den Carter – als dieser 2002 tödlich ver- des Seins folgt Gelassenheit auf Karriereverlauf von Sportlern unglückte, litt RF merklich und dem Tenniscourt. deutlich zu belasten. Federers spielte monatelang jenseits seiner Auch der Karriereverlauf erklärt ­Entwicklung im Nachwuchsalter Möglichkeiten. Mit der späteren Federers Ausnahmestellung. Ge- ­verlief vergleichsweise unspekta- Verpflichtung von messen am Durchschnitt im mo- kulär, kontinuierlich, verletzungs- (51) holte er sich sein Jugendidol dernen Spitzensport dauert seine frei, selbstbestimmt und in einem an seine Seite. Edberg war mehr stabilen familiären Mentor denn Coach. Für psychi- Umfeld. sche Stabilität und Kontinuität Mentale Fähigkeiten Roger Federer dürften auch seine Langzeitbe- trennen im Spitzen- macht uns aus sport- gleiter Pierre Paganini (Kon- psychologischer Sicht dition) und Severin Lüthi sport die Spreu in verschiedenerlei (Coaching) sorgen. Zudem Hinsicht Mut. Und reist der Baselbieter gerne vom Weizen. verdeutlicht, dass zusammen mit Freunden ­Karrieren auf Welt- und Familie auf der Tour. Karriere schon sehr lange klasse-Niveau auch im Schweizer – und das auf höchstem Spitzensport möglich sind. Dem Klima der Verbunden- Niveau. Es gab kaum Zä- Faktor Psyche kommt eine Schlüs- heit ist ihm wichtig suren, Leistungseinbrü- selrolle zu. Mentale Stärke ist nicht Wie wichtig für ihn das Kli- che waren selten und nur entscheidend für den sportli- ma des Verbundenseins ist, kurzzeitig. Einzig 2008 chen Erfolg im Tennis, sondern ist erschliesst sich aus seinen setzte ihm das Pfeiffersche Wegbegleiter aller erfolgreichen Aussagen zu seiner Freizeit- Drüsenfieber zu, Verletzun- Sportkarrieren – und selbst im gestaltung, die jüngst auch gen traten eigentlich erst im ­Leben von Sportmuffeln sehr hilf- die Berichterstattungen präg- Herbst seiner Karriere auf. reich. l Images Getty Fotos:

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