Ausgabe 1/2017

Das Magazin für Vernetztes Denken und Komplexitätsmanagement

Komplexität nutzen! Vernetztes Denken und Playonomics: Prof. Dr. oec. habil. Führen im Tango Wer spielt, gewinnt Fredmund Malik Peter Ripota Christian Schuldt S.6 S. 16 S. 10

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

weshalb eine weitere Zeitschrift auf dem Markt, werden Sie Während also einige von uns die Menschen noch als ‚Objekte‘ in sich vielleicht fragen? ihre Systemvorstellungen hinein modellieren und herausinterpre- Nun, der Herausgeber dieses neuen Magazins „komplex“ hat es tieren und möglicherweise sogar sich und andere entsprechend im sich als gemeinnütziger Verein zur Aufgabe gemacht, das Vernetzte Leben auch so behandeln, suchen andere bereits nach Wegen aus Denken in unserer Gesellschaft auf breiter Basis bekannt zu unserem Modell-Dilemma und möchten uns Menschen erlauben machen und zur Anwendung zu bringen. Wenn wir uns mit dem wieder ‚Subjekte‘ darzustellen und als solche zu leben. Thema „Komplexität“ näher befassen wollen, so können wir dies sinnvoll nur interdisziplinär, d.h. gemeinsam mit anderen angehen. Wir können und sollten deshalb alle voneinander profitieren, uns gegenseitig austauschen und aneinander reiben. Vernetzt zu denken, umsichtig zu entscheiden und zu handeln, möchte der GVDK e.V. möglichst vielen Menschen ermöglichen Unser Magazin möchte hierfür geradeso eine Gelegenheit bieten und dafür in unserer Gesellschaft bereits vorhandene praktische wie die daraus resultierende Chance neue Blickwinkel kennenzu- Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, nicht zuletzt von lernen – und so die Haltung eines ‚Subjekts‘ einzunehmen und Persönlichkeiten wie Frederic Vester, , Norbert nachhaltig zu leben. Wiener, , , , Dietrich Dörner u.v.a., in leicht verständlicher Form für Beruf Es grüßt Sie herzlichst und Alltag nutzbar machen. Ihr

Dazu möchte unser Verein ein Forum bieten, in dem sich interes- sierte Autoren und Gäste über Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit unseren Leserinnen und Lesern über dieses Magazin und auch eine ergänzende Internetplattform www.komplex-magazin.de aus- tauschen und praktikable Lösungen für die realen Herausforderun- Andreas Fornefett gen unserer Zeit präsentieren und diskutieren können. Vorstandsvorsitzender und V.i.S.d.P. Gesellschaft für Vernetztes Denken und Warum sollten wir Menschen uns im Vernetzten Denken und Komplexitätsmanagement e.V. (GVDK) im Komplexitätsmanagement fortentwickeln? Nun, wir meinen, dass unsere Mitmenschen keinesfalls weiter wie Truthähne (Bertrand Russell) leben, sondern sich viel mehr ge- genseitig auch im Umgang mit Ungewissheit und Trend- oder Entwicklungsbrüchen üben sollten. Während einige von uns noch einen Zugang zum bislang geforderten Systemdenken suchen, haben sich andere von uns bereits für das Denken in „komplexen“ Zusammenhängen und die Beobachtung „organisierter Systeme“ entschieden.

3 Inhalt

Geleitwort zur Erstausgabe Machen Nachhaken

Komplexität nutzen! Paradigmenwechsel in Wirtschaft und Gesellschaft Prof. Dr. oec. habil. Fredmund Malik S. 6

Staunen

Digitalisierung. Komplexität, Stress Menschgerecht – Wie wollen und Entscheidungsqualität wir leben? Lion Fornefett, GVDK, Andreas F. Philipp im Interview mit Dirk Schink und David Christ und Bernd Hohmann vom AFNB S. 24 S. 46

Problemlösung statt Symptombehandlung Stephanie Borgert S. 30

Playonomics: Risikomanagement: Wer spielt, gewinnt Wider die Komplexität Christian Schuldt Frank Romeike S. 10 S. 32

Vernetztes Denken und Im Dialog Führen im Tango vernetzen Peter Ripota Ulrich Kritzner und S. 16 Andreas Fornefett S. 36 Boxen macht Komplexität erlebbar Komplexität – Christoph Teege und Entropie Produktentwicklung in Zeiten S. 20 Leon Bleiweiss rascher Bedarfsveränderung S. 44 Peter Haack von we.CONECT interviewt Katrin Grothues von BMW Group S. 50

4 Inhalt

Aus der Szene Kalender

Zur Person: S. 70 Frederic Vester S. 52 Marktplatz

S. 73

Impressum

S. 74

Die 10 größten Irrtümer zum Vernetzten Denken Franc Grimm S. 54

Brandheiss: Klimawandel Themen Camps Lukas Brandscheid S. 60 zum vernetzten Denken

Campus Königstein GmbH Rossertstraße 16 D-65779 Kelkheim im Taunus

Campus im KTC: Ölmühlweg 65 D-61462 Königstein

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5 Geleitwort Komplexität nutzen! Paradigmenwechsel in Wirtschaft und Gesellschaft

Prof. Dr. oec. habil. Fredmund Malik

In wenigen Jahren wird fast alles neu und kömmlichen Telefonie durch die Smart- Fachleute der Informatik und Kybernetik, anders sein: Was wir tun, wie wir es tun phone-Technologie, sowie die auf Chemie wird inzwischen als modischer Allerwelts- und warum wir es tun; wie wir forschen basierende Fotografie durch die digitale begriff verwendet. Je häufiger der Begriff und innovieren, wie wir produzieren, Bilderzeugung. „Komplexität“ vorkommt, desto weniger transportieren, finanzieren und konsu- scheint er verstanden zu werden. Der Ein- mieren, wie wir helfen und heilen, wie Die aktuelle Transformation führt zu ladung des Chefredakteurs komme ich wir lehren und lernen, wie wir informie- Revolutionen – wie auch die früheren. daher gerne nach, für die Erstausgabe von ren, kommunizieren und kooperieren, Zwei sind besonders wichtig: Revolutionen „komplex“ – dem Magazin für Vernetztes wie wir arbeiten und leben. Und als durch neue Technologien und Wissen- Denken und Komplexitätsmanagement Folge ändert sich auch, wer wir sind. schaften und – vielleicht noch wichtiger – ein Geleitwort zu schreiben. Revolutionen in Organisation und Ma- Die Entstehung einer „Neuen Welt“ nagement. Diese sind nötig, damit die Eine Gesellschaft komplexer wissenschaftlich-technischen Revolutionen Organisationen Wir stehen mitten in einem der tiefgrei- sinnvolle Ergebnisse und gesellschaftlichen fendsten gesellschaftlichen Umwandlungs- Nutzen bringen können. Mein Fachgebiet ist seit mehr als 40 Jahren prozesse der Geschichte. Wir sind Zeit- das Management von und in komplexen zeugen der Entstehung einer Neuen Welt. Die fünf Triebkräfte der Organisationen. Wie funktionieren kom- Die Alte Welt, wie wir sie kannten, wird Grossen Transformation21 plexe Organisationen und wie wandeln sie verdrängt, und an ihre Stelle tritt eine Neue sich? Welche gehen unter und welche über- Welt, die wir erst ansatzweise kennen. Wodurch entsteht die „Grosse Transforma- leben – und warum? Insbesondere interes- tion21“? Sie wird getrieben durch fünf siert mich auch die Frage, wie Menschen Seit 1997, als ich zum ersten Mal in einem hochdynamische Kräfte: Es sind erstens in solchen Organisationen wirksam werden meiner Bücher über diesen bevorstehenden die Veränderungen in der Bevölkerungs- können, wie sie auf das Arbeiten in Or- Wandel schrieb, nenne ich diesen Umbruch struktur; zweitens die enormen und bra- ganisationen vorbereitet werden, wie sie „Die Grosse Transformation21“. Heute chialen Fortschritte in Wissenschaft und sich an deren ändernde Bedingungen ist dieser Wandel in vollem Gange. Um- Technologie; drittens die globalen ökolo- anpassen können, wie sie innovieren und brüche dieser Art sind zwar nichts Neues, gischen Herausforderungen und viertens wie sie ihre Aufgaben zweckentsprechend denn es hat sie geschichtlich regelmäßig in der Wirtschaft vor allem die weltweite, erfüllen können. gegeben. Aber sie treten selten auf und historisch größte Verschuldung. verschwinden im kollektiven Vergessen. Die Organisationen unserer hoch-kom- Ein Beispiel in großen Dimensionen ist Aus der Vernetzung und dem Zusammen- plexen Gesellschaft haben aufgrund ihrer die industrielle Revolution, die ab etwa wirken dieser vier Kräfte entsteht die fünfte individuell oft sehr unterschiedlichen 1750 innerhalb von rund 150 Jahren die Kraft: Die explosiv wachsende Komplexi- Zwecke und Spezialisierungen ihre je eige- agrarische Gesellschaft irreversibel ablöste. tät. Sie ist die größte Herausforderung für nen Herausforderungen. Viele dieser Or- Beispiele in kleineren Dimensionen sind die globalen Gesellschaften und für deren ganisationen funktionieren für sich allein die Verdrängung der Pferdekutsche durch Organisationen. Das Wort „Komplexität“, genommen recht gut. Oder besser – sie das Automobil, die Ablösung der her- noch bis vor kurzem ein Spezialbegriff für würden es tun, wenn sie nicht gleichzeitig

6 Geleitwort

auch noch Elemente übergeordneter Die neuen Nein-Sager und die nicht, weil es noch nicht richtig da ist, oder Systeme wären. Denn sie sind integriert Blockierung durch Erfahrung noch nicht reif genug, oder wir damit noch in dichte, ihrerseits immer komplexer nicht genügend vertraut sind. Und das werdende Netzwerke von gegenseitigen In Umbruchszeiten verlieren Menschen Neue entspricht nicht unseren bisherigen Beziehungen und Abhängigkeiten. Die ihre Orientierung, wenn sie keine Hilfe Erfahrungen, die bisher unsere beste Navi- Organisationen haben ihre gemeinsamen bekommen. Denn selbst die besten Erfah- gationshilfe waren. Herausforderungen als Teile von Gesamt- rungen aus der Alten Welt sind für den systemen. Und für diese Herausforderun- Umstieg in die Neue Welt nicht nur be- Derart große Umbrüche verursachen gen können wiederum nur gemeinsame deutungslos, sondern das größte Hinder- deshalb bei vielen Ängste, Widerstände, Lösungen funktionieren. nis. Als Kodak erkannte, dass digitales Orientierungslosigkeit, Feindseligkeit und Fotografieren die Zukunft sein wird, Hilflosigkeit. Aber sie eröffnen uns auch Systeme haben eine Anatomie und eine waren gerade die besten Fachleute und unvorstellbare Chancen für fast alles, Physiologie. Das ist die Sachebene ihrer vorherigen Innovationstreiber des Unter- für Innovationen und Wohlstand – falls Aktivitäten. Sie haben aber auch ein Ner- nehmens die größten Hindernisse für die wir die die dafür richtigen Denkweisen vensystem, die Steuerungsebene. Hier Transformations-Innovation. (nämlich vernetztes Denken), das richtige regieren die Gesetze der Kybernetik. In Wissen (jenes, über Komplexität) und neue sozialen Systemen sind das die Manage- Das vormals Wichtigste beginnt uns vieler- Umsetzungsmethoden (komplexitätsge- mentprozesse. Diese bringen das orts nun wegzubrechen – die Erfahrung. rechte Sozial-Technologien) anwenden. unserer Komplexitätsgesellschaft zum Daraus folgt das Phänomen der neuen Funktionieren. Nein-Sager, wie ich es nenne. Mehr denn Der Paradigmenwechsel: je treffe ich in fast allen Bereichen– selbst Von der Mechanik zur Evolution Je komplexer ein System ist, desto bessere auf hohen Führungsebenen – auf Men- für neue Organisationen Nervensysteme braucht es um zu funktio- schen, die mir erklären, was nicht geht. nieren; desto intelligenter kann es handeln Darunter sind immer öfter auch solche, die Die Grosse Transformation trifft die heuti- und desto besser kann Komplexität unter das früher nicht gemacht haben, sondern gen Organisationen in allen ihren Berei- Kontrolle gebracht und für die funktionelle immer auf der Suche nach Lösungen waren. chen – bis in ihre Kapillaren. Alle stehen in Überlegenheit eines genutzt wer- Es wäre aber falsch, darauf zu schließen, einem Wandel von noch nie dagewesener den. In unserer Komplexitätsgesellschaft dass diese Menschen nun unfähig seien. globaler Dynamik. Neue Organisationen sind deshalb neue Organisationen, neue brauchen unter anderem wegen ihrer Kom- Meta-Strukturen und Interfacing-Systeme Die neuen Nein-Sager sind anders als plexität auch eine neue Art von Manage- nötig und eine neue Art von Denken und die früheren. Sie sind auch meistens nicht ment, damit sie funktionieren können. Managementpraxis, die der Komplexität einfach „nur so“ dagegen, sondern sie Denn zurecht wird der herkömmliche Be- und Dynamik des vor sich gehenden Wan- haben triftige Gründe für ihre ablehnende griff „Management“ immer häufiger heftig dels entsprechen. Haltung. Zumeist haben sie damit sogar abgelehnt. Für immer mehr Menschen steht Recht, denn tatsächlich geht in der Alten dieser Begriff für einen mechanistischen, Welt vieles nicht mehr, weil diese zu Ende geldgetriebenen und oft als seelenlos und geht. Gleichzeitig geht aber das Neue noch unmenschlich angesehenen Materialismus.

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