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Sendung vom 07.04.2008, 20.15 Uhr

Juliane Banse Sopranistin im Gespräch mit Dr. Wolf-Dieter Peter

Peter: Willkommen bei alpha-Forum, heute mit einem zweiten, merkwürdig wirkenden Satz: Schade, dass Sie uns nur beim Reden zuhören können. Ich habe nämlich einen Gast, der die schönste lyrische Sopranstimme Deutschlands besitzt. Das ist auch der Grund dafür, dass wir diese Stimme noch lieber singen als sprechen hören würden. Willkommen beim alpha- Forum, Juliane Banse. Schön, dass Sie da sind. Wo waren Sie denn in den letzten Monaten? Banse: Ich war natürlich viel unterwegs: Ich habe eine Opernproduktion in Lyon und eine in Wien gemacht. Dazwischen war ich mit Konzerten eigentlich in ganz Europa und in Amerika unterwegs. Insofern bin ich auch sehr froh, dass ich jetzt mal wieder hier bin. Peter: Eigentlich gehören Sie ja zu uns – was Ihren Wohnsitz betrifft: Sie wohnen in Dießen am Ammersee. Das ist wahrscheinlich nicht allein wegen Ihrer Familie ein besonderer Ort für Sie. Was bringt Ihnen dieser Ort außerdem, wenn man die Stationen, die Sie gerade aufgezählt haben, rekapituliert? Banse: Dieser Ort bringt mir ein absolutes Erholungsgefühl, Ruhe; er lässt mich ankommen und wieder auf den Boden kommen. Das steht natürlich alles im Zusammenhang mit meiner Familie, weil wir uns in Dießen sozusagen ein gemeinsames Zentrum geschaffen haben. Wir fühlen uns dort unglaublich wohl, weil die Gegend wunderschön und die Luft gut ist. Man schläft dort herrlich und wir haben einen großen Garten, in dem sich auch die Kinder wohlfühlen. Insofern ist es für uns sehr wichtig, dass wir dieses "Nest" für uns haben. Peter: Lassen Sie uns Ihren Weg dorthin vielleicht einmal Revue passieren. Geboren sind Sie in Tettnang. Wo liegt das? Banse: Tettnang liegt am Bodensee. Dass ich dort geboren wurde, war eher Zufall. Meine Großmutter lebte zu dieser Zeit in Friedrichshafen und mein Vater sang jedes Jahr im Bayreuther Festspielchor. Als für meine Mutter die Zeit der Niederkunft gekommen war, ging sie dafür zu ihrer Mutter. Deshalb bin ich in dieser Gegend geboren, habe dort aber nie gelebt. Dies wird oft mit Bedauern zur Kenntnis genommen, wenn ich in dieser Gegend auftrete und gesagt bekomme: "Sie sind doch von hier!" Dann muss ich den Stolz der Leute immer enttäuschen, weil ich zwei Wochen nach Beginn meines Lebens diese Gegend wieder verlassen habe. Peter: Als nächste Station steht in Ihrer Biografie Zürich. Wie sind Ihre Eltern dorthin gekommen? Banse: Mein Vater war wie gesagt Sänger und sang im Zürcher Opernchor. Er kam ursprünglich aus Düsseldorf und war dann mit dem Düsseldorfer Intendanten nach Zürich gewechselt. Er war bereits in Zürich engagiert, als ich geboren wurde, und deshalb habe ich meine ganze Kindheit in Zürich verbracht. Peter: Musik hat von Anfang an eine Rolle in Ihrem Leben gespielt. Banse: Absolut. Musik war bei uns ganz selbstverständlich und hat uns ständig umgeben. Meine beiden Eltern haben zu Hause Musikunterricht gegeben. Mein Vater hat von morgens bis abends vor sich hin gesummt. Das war uns als Jugendlichen manchmal peinlich, weil er auch auf der Straße die Stücke, die er gerade übte, vor sich hin summte. Dann zogen wir ihn immer am Rockzipfel und sagten zu ihm: "Jetzt sei doch mal still! Wir sind hier auf der Straße, das ist doch peinlich!" Insofern gehörte Musik einfach zu unserem täglichen Leben. Uns hat es eher gewundert, dass es nicht bei allen Leuten so war. Peter: Haben Sie dann gerne ein Instrument gelernt oder waren Sie bereits so von Musik erfüllt, dass Sie sagten: "Jetzt nicht auch noch üben!" Banse: Das Üben ist ja dann ein anderes Thema. Ich habe offenbar auf eigenen, dringenden Wunsch hin mit viereinhalb oder fünf Jahren mit dem Geigespielen angefangen und habe es dann auch sehr geliebt. Ich habe dann zwölf Jahre lang Geige gespielt. Interessanterweise war das aber nie mit einem Berufswunsch verbunden, ich habe also nie darüber nachgedacht, Geigerin zu werden. Vielleicht hatte ich es bereits damals in meinem Hinterkopf, dass ich dafür viel mehr hätte üben müssen, was mir jedoch nicht so lag. Es kann sein, dass ich dadurch letztendlich auch zum Singen gekommen bin, weil man da gar nicht so viel üben kann. Die Geige war aber sozusagen mein musikalischer Einstieg und ist sicherlich im Nachhinein eine sehr gute Schule gewesen, weil mir die dabei gelernten Grundlagen wie Intonation und Phrasierung beim Singen natürlich sehr viel brachten. Geigenstudenten wird immer gesagt: "Jetzt sing doch mal auf dem Instrument!" Uns Sängern wird dagegen immer gesagt: "Sei doch mal wie eine Flöte oder wie eine Geige." Ich glaube, dass man hier sehr voneinander profitieren kann. Peter: Ich sagte bereits, dass man Sie jetzt eigentlich singen hören müsste. Wir müssten eigentlich hier jetzt eine wunderbare Bühne haben, dann würden wir die Kamera auf Sie richten und diese in eine Großaufnahme fahren. Sie würden dann aufstehen und uns all das zeigen, was Sie damals mit Leidenschaft geübt haben. Und das war eben nicht die Geige. Was war es denn dann? Banse: Das wäre heute nur ein müder Abklatsch dessen, was ich früher gemacht habe. Ich war völlig fanatisch auf das klassische Ballett fixiert. Ich habe mit dem Balletttanzen mit sieben oder acht Jahren angefangen, woraufhin ich in dieses Metier dann eben so hineingerutscht bin. Das Ballett wurde mein Ein und Alles. Ich wollte damals eigentlich nichts anderes im Leben außer tanzen und habe in Zürich an der Ballettschule des Opernhauses eine vollständige Ballettausbildung gemacht. Peter: Und Sie bekamen dabei keine Probleme mit dem Rückgrat oder mit den Gelenken? Banse: Nein, das funktioniert alles – toi, toi, toi! – noch sehr gut. Durch das Tanzen hatte ich bereits auch erstmals die Gelegenheit, auf der Bühne zu stehen, weil wir Anfänger immer für kleinere Auftritte eingesetzt wurden. Ich trat etwa bei Balletteinlagen, die es oft in Opern gibt, auf. Über diese Tanzeinlagen haben die professionellen Ballettkompanien immer die Nase gerümpft und gesagt: "Das brauchen wir nicht auch noch. Wir haben genug zu tun." Dann durften wir tanzen, was für uns natürlich herrlich war. Peter: So sind Sie ganz selbstverständlich in die Welt des Theaters hineingewachsen. Das war für Sie einerseits ein Zauber … Banse: Auf der einen Seite war es für mich Zauber, aber auf der anderen Seite war es für mich auch ganz gesund und desillusionierend, weil gerade der Tänzeralltag unglaublich hart ist. Wenn man da die Kämpfe, die Tränen und die Schmerzen der Tänzerinnen und Tänzer miterlebt und mitbeobachtet, dann wird einem einiges klar. Beim Singen ist es nicht ganz so brutal, aber es ist doch auch ein wenig mit dem Tanzen vergleichbar. Wenn dann später tatsächlich der Berufswunsch kommt und die Entscheidung fällt, dann ist diese rosarote Brille, die Außenstehende oft tragen, bereits komplett weg und das ist auch gut so. Peter: Sie entschieden sich von den Füßen weg schließlich doch für die Stimme, es ging gewissermaßen hinauf in den Kehlkopf. Wie ist denn das passiert? Banse: Ich glaube, dass ich immer schon eine Singstimme hatte, was mir auch irgendwo bewusst war. Meine Eltern erzählen, dass ich unterm Flügel saß und zugehört habe, wenn sie zu Hause unterrichteten. Sobald der Schüler hinausgegangen war, habe ich mich an den Flügel gesetzt und alles imitiert, was ich zuvor gehört hatte. Insofern war das Singen für mich nichts, was ganz plötzlich gekommen wäre. Es war eher so, dass es sich mehr und mehr in den Vordergrund gedrängt hat. Ich war ganz normal im Schulchor und durfte dort bald kleine Soli übernehmen. Irgendwann sagte man mir immer öfter: "Nimm doch mal Unterricht! Du musst etwas machen, weil du eine so gute Stimme hast." Peter: Haben das die guten Musiklehrer auf der Schule zu Ihnen gesagt? Banse: Das haben sowohl Schulmusiklehrer als auch Kollegen meiner Eltern zu mir gesagt. Meine Eltern haben aber überhaupt nichts in diese Richtung angeschoben. Sie haben sich mir gegenüber aus Überzeugung eher passiv verhalten, weil sie nichts herausfordern wollten. Ich sollte nicht automatisch in das Sängerdasein hineinrutschen, nur weil das sowieso in der Familie schon so war. Peter: Sie hatten also nicht geplant, dass das hübsche junge Kind ein Star werden sollte. Banse: Sie wollten mich nicht vorführen und sagten nicht: "Jetzt sing oder spiel doch mal was vor!" So etwas kam natürlich schon ab und zu vor, wenn Gäste da waren, aber wir, meine Schwester und ich, sperrten uns erfolgreich dagegen. Dann habe ich mich aber irgendwann von selber dazu entschieden, ein bisschen Gesangsunterricht zu nehmen, weil das ja nicht schaden konnte. Ich habe dabei aber komplett negiert, dass dieser Unterricht etwas an meinem fest geplanten Tanzberuf ändern könnte. Mit der Zeit begannen sich für mich aber die Prioritäten zu verschieben. Ich merkte, dass mir das Singen doch sehr viel gibt und dass es zu mir passt. Außerdem spürte ich, dass sich die Stimme, die bereits da war, im Unterricht und bei der Arbeit entwickelte. Damals war es mir aber nicht klar, dass die Leute bereits aufhorchten und meine Stimme als etwas Besonderes empfanden. Peter: Man hört sich ja selber ganz anders, als andere einen hören. Banse: Außerdem kann man sich nicht mit anderen vergleichen. Man kann so etwas eher aus den Reaktionen von außen schließen. Etwa ein dreiviertel Jahr vor meiner Matura – dem Schweizer Abitur – ergab sich dann die Gelegenheit, dass ich vorsingen konnte. Sie hielt sich damals gerade wegen eines Lehramts in Zürich auf. Diese Verbindung war über eine Kollegin meiner damaligen Lehrerin zustande gekommen. Ich wurde sozusagen aus der Mathestunde an meiner Schule herausgeklingelt. "Deine Mutter ist schon mit den Noten unterwegs. Jetzt fährst du da hin und singst dort vor." Daraufhin bin ich zum Rektor gegangen, der auch mein Deutschlehrer und ein absoluter Theaterliebhaber war, und fragte ihn, ob ich jetzt gehen könnte, weil ich nun zum Vorsingen müsste. Er sagte: "Ja, aber nur unter einer Bedingung: Ich will der Erste sein, der erfährt, ob es geklappt hat." Er hat mich dabei also sehr unterstützt. Ich muss auch sagen, dass in diesen Jahren einige meiner Lehrer sämtliche Augen zugedrückt haben, weil ich natürlich durch meine Tanzerei öfters auch während der Schulzeit Proben hatte. Peter: Haben Sie an diesen Tagen mit Tanzproben bereits in der ersten Stunde gefehlt? Banse: In der ersten Stunde war ich noch da, weil die Proben ja erst um zehn Uhr begannen. Peter: Ich frage Sie das, weil ich dabei an Ihre Auftritte am Abend davor dachte. Banse: Nein, ich habe es meistens sogar geschafft, am nächsten Morgen rechtzeitig in der Schule zu sein. Aber dann wurde mir manchmal so um halb zehn "furchtbar übel". Abends traf ich dann den einen oder anderen Lehrer wieder in der Oper, was dann natürlich sehr peinlich war, aber sie haben mir in dieser Zeit dennoch sehr geholfen. Einige Lehrer waren selber Hobbymusiker, Opernfans und Theaterfreunde. Insofern habe ich sehr viel Glück gehabt. Wenn mir damals jemand übelgewollt hätte, hätte ich ihm eine große Angriffsfläche geboten. Dann bin ich eben zum Vorsingen gefahren, das in der Wohnung des großen Pianisten und Klavierbegleiters Irwin Gage stattfand, mit dem Brigitte Fassbaender damals probte. Als ich dort hinkam, hörte ich als erstes das breite Maunzen eines Siamkaters, der dann auch später mit mir mitsang, was sehr lustig war. Das sind Erlebnisse, die einem einfach bleiben. Peter: Offenbar hatten Sie keine Katzenhaarallergie? Banse: Nein. Ich habe gesungen und Frau Fassbaender fragte, was ich denn wolle, es wäre doch alles in Ordnung. Ich sagte zu ihr: "Soll ich nun Gesang studieren oder nicht?" Ich wollte einfach wissen, wie mein Gesangsniveau einzustufen ist. Sie hat sich aber sehr bedeckt gehalten. Ich habe es später noch oft bei ihr erlebt, dass sie einem eigentlich immer zuerst eher abrät und einen bremst. Wenn man dann etwas trotzdem unbedingt will, dann gibt sie aber auch nach. Peter: Sie gab erst nach, wenn der Antrieb wirklich von den jungen Menschen kam, und schob nichts selber an. Banse: Genau. Sie hat allen immer gesagt: "Wenn du in deinem Leben noch irgendetwas anderes hast, das dich erfüllt, dann mache lieber das. Wenn es aber für dich nichts anderes gibt und wenn es wirklich das Einzige ist, das du machen willst, dann mache es." So war es dann auch bei mir. Sie sagte zu mir: "Wenn du wirklich singen willst, dann mach in München die Aufnahmeprüfung und komm in meine Klasse!" Damit schob sie mich wirklich an und dieser Satz hat mich sehr zum Grübeln gebracht. So kam ich dann zu dem Schluss: "Wenn die das sagt, dann ist es wohl doch richtig, mit der Gesangsausbildung anzufangen." Peter: Jetzt möchte ich Ihnen eine Frage stellen, die mich – weil ich mich viel mit Sängern befasse – interessiert, die aber auch unsere Zuhörerinnen und Zuhörer interessieren dürfte. Das Ballett mit seinem Körper- und Muskeltraining sowie der Gesang mit seiner Sängerstütze und seiner Atmung: Widerspricht oder ergänzt sich das? Banse: Inzwischen ergänzt sich das. Ich glaube, wenn man den Balletttanz sehr extrem betrieben hat und später anfängt zu singen, dann muss man sich schon in Vielem umstellen oder sich zumindest die Unterschiede sehr bewusst machen, um zwischen diesen Bereichen hin- und herwechseln zu können. Um es einmal sehr vereinfacht auszudrücken: Im klassischen Ballett zieht sich alles nach oben. Man versucht, möglichst wenig Gewicht zu haben und sich schmal zu machen. Beim Singen geht es dagegen darum, eine breite Basis zu haben, die Luft also nach hinten, nach unten und überallhin zu atmen und eben nicht hochzuziehen. Ich versuche immer noch, nebenher etwas Ballett zu trainieren, wenn ich Zeit habe. Inzwischen ist es für mich kein Problem mehr, hin- und herzuschalten. Wenn man mit beiden Bereichen sehr vertraut ist, dann kann der Körper auch umschalten. Peter: Sie machen also keinen Trendsport wie Nordic Walking. Banse: Nordic Walking wäre mir viel zu langweilig. Aber auch Joggen finde ich so was von langweilig! Peter: Sie machen stattdessen lieber ein paar Ballettübungen. Banse: Ja, das bleibt einem einfach. Wenn man sich mit einer Sache einmal so intensiv beschäftigt hat wie ich mich mit dem Ballett, dann fehlt einem dieses Körpergefühl, wenn man das nicht mehr macht. Natürlich kann man sich auf Dauer nicht auf einem professionellen Level halten. Das ist überhaupt nicht möglich. Aber es ist schön, wenn man zumindest ein bisschen die Erinnerung an das Tanzen wach hält. Wann immer ich länger in einer Stadt bin, schlage ich eigentlich als erstes die Gelben Seiten auf, um dort ein Studio zu finden, wo ich zwischendurch Ballett trainieren kann. Peter: Dieses Training bringt Ihnen doch auch viel für Ihre Bewegung als Opernsängerin auf der Bühne. Banse: Absolut, und wenn ich zwischendurch in einem Studio trainiere, dann kann ich dabei wirklich komplett abschalten. Beim Training tanke ich auf, weil ich mich dabei anderthalb Stunden nur auf mich und meinen Körper konzentriere und alles andere komplett ausblende. Das ist wunderbar. Natürlich unterstützt das Tanzen die allgemeine Fitness und das Singen ist nun mal ebenfalls Leistungssport. Es hilft aber auch dabei, auf der Bühne nicht gar so schlaksig herumzugehen. Gerade dann, wenn man einen Regisseur hat, der einem nicht so hilft und keine genauen Anweisungen gibt, kann man auch verschiedene Darstellungsformen anbieten und charakterisieren, weil man eben ungefähr weiß, wie man einen gewissen Ausdruck mit seinem Spiel befördern kann. Peter: Sie haben einen Preis gewonnen und daraufhin Ihr erstes Engagement bekommen. Sie gerieten dabei an einen Regisseur, dem es sehr wichtig ist, dass man etwas auf der Bühne wirklich verkörpert. Sie kamen nämlich zu Harry Kupfer an die Komische Oper in Berlin. Für die Nicht-Opernfreunde: Das ist das Haus, an dem Walter Felsenstein einst das realistische Musiktheater entwickelt hatte und an dem Götz Friedrich, Harry Kupfer und Joachim Herz später ein Trio gebildet haben, das wirklich exzeptionell war und bei dem es auf Wahrhaftigkeit der Rollendarstellung ankam. Für die Umsetzung dieser Ansprüche waren natürlich auch die entsprechenden Bewegungen auf der Bühne gefordert. Erzählen Sie doch bitte einmal etwas von Ihrem Einstieg an diesem Theater. Banse: Der Einstieg war furchtbar aufregend. Die Berliner Mauer stand damals noch und ich hatte gerade mal zwei Semester in München studiert. Da kam ein Anruf von Brigitte Fassbaender, die gerade in Wien mit Harry Kupfer für die Rolle der Klytämnestra aus der Oper "Elektra" von Richard Strauss probte. Ich kam also eines Tages nach Hause in meine Studentenwohnung und sie war auf meinem Anrufbeantworter: "Ich habe hier etwas für dich angeleiert: Du kannst, wenn du willst, beim Kupfer in Berlin die Pamina machen. Ich rufe dich aber noch mal an." Als ich das hörte, stand ich völlig paralysiert vor diesem Gerät und fragte mich, was das jetzt wäre. Das war außerhalb von allem, was ich mir vorstellen konnte. Ich war aber sechs Wochen später tatsächlich in Berlin und probte dort. Das waren goldene Zeiten, als man noch für eine Neuaufnahme der "Zauberflöte" acht Wochen probte. Ich war nicht die Einzige, die da neu eingestiegen war: Es gab neben anderen Neuzugängen auch eine neue Königin der Nacht und einen neuen Sarastro. Ich wurde dann in diesen Betrieb hineingeworfen, bei dem es unglaublich genau, detailliert und gnadenlos darum ging, jede Farbe, jede Facette und jede Gefühlsregung in irgendwelchen Hinterstübchen dieser Figuren herauszuschälen. Das geschah unter Einsatz sämtlicher körperlicher und psychischer Kräfte. Ich war damals 20 Jahre alt, saß in diesem Ostberlin im Hotel "Unter den Linden", also in diesem Kaninchenstall dort an der Ecke und war eigentlich völlig überfordert. Ich hatte zwar das Gefühl, dass ich es schaffen könnte, weil ich ja auch nicht ganz ohne Ehrgeiz war. Ich sagte mir: "Wenn ihr meint, dass ich das machen soll, dann mache ich das jetzt auch." Die Rolle der Pamina hatte ich mir bereits angeeignet, aber diese Partie war auch nicht das Problem. Das Schwierige war vielmehr, dort zu sitzen und Herrn Kupfer, den ich unglaublich verehre und der mir fürs Leben ein wirkliches Rüstzeug mitgegeben hat, in mir herumbohren zu lassen. Damals sagte ich mindestens einmal pro Woche: "Wisst ihr was, Leute? Ich fahre jetzt nach Hause!" Peter: Grenzen kennenlernen, Grenzen überschreiten und etwas Neues aus sich herausholen – könnte man dem diese Überschrift geben? Banse: Ja. Letztendlich war es das Beste, was mir passieren konnte. Es war für mich ein absoluter Segen. Im Jahr nach der "Zauberflöte" sang ich ja für Kupfer noch die Ilia aus dem "" und die Susanna aus dem "Figaro". Bei diesen drei Stücken arbeitete ich jeweils ausführlich mit Harry Kupfer und mit seinen Assistenten. Das war unglaublich und das bleibt mir wirklich. Dadurch entwickelte ich einen großen Anspruch an Regisseure. Aber auch an mich selbst legte ich diese hohe Messlatte an, wirklich in die Figuren hineinzusteigen und sie nicht einfach nur irgendwie zu präsentieren. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich in diese Lehre gegangen bin. Einen solchen Einstieg hätte mir – was ich jetzt einfach mal behaupte – kein normaler Schauspielunterricht an einer Hochschule geben können. Peter: Das glaube ich auch. Das ist andererseits auch für uns Kritiker oft ein Bezugspunkt, weil wir sagen: "Wenn es schon Opern- oder Theaterauftritte gibt, dann sollen sie auch in der gebotenen Intensität und Tiefe dargeboten werden!" Banse: Selbst wenn Theaterleute das Gegenteil tun, berufen sich viele von ihnen auf die Schule Felsenstein und der nachfolgenden Generation. Sie hat einfach Maßstäbe gesetzt. Es ist schon sehr toll, dass ich das noch mitbekommen habe. Ich habe dann sogar noch eine Produktion mit Joachim Herz gemacht. In Produktionen von Götz Friedrich bin ich dagegen nur eingestiegen, als er selber bereits nicht mehr dabei war. Aber immerhin: Ich habe diese Zeit hautnah erlebt, worüber ich wahnsinnig froh bin. Peter: Wie war der Wechsel für Sie, als Sie als junge Künstlerin vom Westen kommend über die Friedrichstraße nach Ostberlin einreisten? Banse: Es gibt ja das Diplomatenvisum, das vieles erleichtert hat. Die ersten paar Mal wurde ich mit dem Trabbi am Flughafen abgeholt und wurde so über die Grenze geschleust. Wenn ich aber zwischendurch Verwandte oder Freunde in Westberlin besucht hatte und dann zurück nach Ostberlin wollte, bin ich natürlich über die Friedrichstraße eingereist. Dann bin ich jedes Mal durchsucht worden. Dinge wie Äpfel, die ich mir gekauft hatte, und Zeitschriften wurden mir abgenommen. Natürlich wurde ich von Ostberliner Kollegen manchmal gefragt, ob ich ihnen zum Beispiel einen "Tagesspiegel" mitbringen könnte, wenn ich mal in den Westen hinüberfahren würde. Dazu ließ man mir an der Grenze aber keine Chance, denn ich wurde jedes Mal durchsucht. Das ist ein wirklich prägendes Gefühl, das mir auch bis heute geblieben ist: das Gefühl, dass man der Willkür dieser Leute dermaßen ausgeliefert ist und überhaupt nichts dagegen tun kann. Das war schon gespenstisch, obwohl ich im Osten einen sehr privilegierten Stand hatte. Peter: Wir Opernbesucher, die wir nach Ostberlin hinübergegangen sind, um die Komische Oper zu besuchen, hatten dort natürlich keinen solchen Stand. Banse: Sie mussten spätestens um 24 Uhr zurück im Westen sein und ähnliche Dinge mehr. Peter: Dann ging es für Sie aber weiter. Ich bin Ihnen dann ein erstes Mal in einem Opernmekka begegnet: in Brüssel. Dort waren gerade Gérard Mortier und anschließend Bernard Foccroulle am Werk. Außerdem gab es dort einen künstlerischen Betriebsdirektor, der jetzt in Deutschland einen großen Namen hat: Bernd Loewe. Dieser hat immer wieder an kleinen Bühnen Nachwuchstalente gesucht. Damals sang eine neue, junge Pamina namens Juliane Banse in der "Zauberflöte". Ich war ganz begeistert und sagte das nach der Aufführung auch Bernd Loewe. Er sagte mir: "Sie wird bei uns auch noch die Despina aus 'Cosi fan tutte' singen". Wie waren die Erfahrungen in Brüssel für Sie? Sie arbeiteten ja auch dort mit exquisiten Regisseuren zusammen. Banse: Es war hochinteressant, weil man in Brüssel einen komplett anderen Ansatz hatte. Es war immer wieder spannend, dem Ehepaar Herrmann zuzusehen, wie sie sich gegenseitig zugearbeitet haben. Die Arbeit war für mich dort völlig anders als in Berlin und sie war zum Teil schwierig, weil man in das Ensemble dort sehr stark hineingezogen wurde. Man hatte eine Art Familie kreiert, die alles gemeinsam tun sollte. Man sollte am besten noch jede Mahlzeit gemeinsam einnehmen, zwischendurch zusammen spazieren gehen und alles immer wieder durchsprechen und über alles reden. Ich muss zugeben, dass mir so etwas schwerfällt. Ich muss abschalten und nach Hause gehen können, wenn die Probe beendet ist. Es war auch von der Inszenierung der "Zauberflöte" her eine komplett andere Atmosphäre, als ich sie kannte. Man zeichnete dabei ein völlig ungewöhnliches, spannendes Bild dieses Stücks, auch von der Figur der Pamina her. Ich habe die Pamina inzwischen in den unterschiedlichsten Konstellationen gesungen. Obwohl ich mich selber verändere und sich auch meine Stimme verändert, singe ich trotzdem immer wieder die Pamina, was natürlich ebenfalls spannend ist. In Brüssel begann es für mich im Grunde, dass das Bild, das ich von der Rolle durch meine Arbeit mit Harry Kupfer hatte, zum ersten Mal in Frage gestellt wurde. Peter: Können Sie das einmal an einem inhaltlichen Punkt veranschaulichen? Banse: Es war so – und das ist auch später immer wieder bei den unterschiedlichsten Regisseuren zur Sprache gekommen –, dass im Grunde die Pamina bei Kupfer eine starke junge Frau ist. Sie ist dort vor allem die Tochter ihrer Mutter: Sie setzt eine große Willenskraft ein und lehnt sich gegen diese ganzen Leute auf, die sie pausenlos beeinflussen und fremdsteuern wollen. Ein sehr starker Kern in diesem jungen Mädchen sagt: "Das lasse ich mit mir nicht machen!" Bei den Herrmanns in Brüssel war sie dagegen ganz passiv und weinte zwischendurch sehr viel. Peter: Sie wurde von der Männerwelt hin- und hergeschoben. Banse: Sin wurde hin- und hergeschoben und war völlig machtlos, sich dagegen zu wehren. Das war also eine ganz andere Interpretation des Stücks. Weil aber alle diese verschiedenen Aspekte in der Figur der Pamina vereint sind, ist es eben auch so spannend, all ihre Facetten in den verschiedenen Inszenierungen herauszuarbeiten. Wahrscheinlich ist es unmöglich, dass eine Inszenierung alle möglichen Facetten erfassen kann, weil gerade die Figuren von Mozart immer so vielschichtig sind. Das muss von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Es ist sehr spannend, wenn man plötzlich denkt: "Jetzt habe ich es verstanden." Aber dann sagt wieder jemand: "Das sehe ich völlig anders! Da steckt doch noch dieses und jenes in der Rolle drin, denn die Pamina sagt doch noch das und das und die Musik klingt doch so und so an dieser Stelle." Man ist dabei als Sängerin oder Sänger natürlich im Prinzip doch so sehr Objekt, dass man sich für eine gewisse Zeit komplett in den Dienst einer bestimmten Sichtweise stellen muss. Manchmal fällt es einem schwer, sich umzustellen, wenn man von etwas, das man vorher gemacht hat, sehr überzeugt war. Das ist aber nun mal unser "Job" und man ist dann auch dazu verpflichtet, diesen zu machen. Man ist auch dem Regisseur gegenüber verpflichtet, keine halben Sachen zu machen. Man muss sagen: "Du bist hier der Chef und siehst das so. Deshalb versuche ich es so gut wie möglich auf deine Art zu machen." Beim nächsten Mal macht man es dann vielleicht wieder ganz anders. Je toller die Rolle ist, desto besser geht das auch. Peter: Ist es andererseits nicht auch ein Glück, bereits in jungen Jahren mit einer derartigen Bandbreite von Meisterregisseuren gearbeitet zu haben? Banse: Absolut. Peter: Sie arbeiteten in Brüssel ja dann auch noch mit Luc Bondy bei der Inszenierung von "Cosi fan tutte". Banse: Wobei ich sagen muss, dass Luc Bondy selber nicht mit dabei war, weil es eine Wiederaufnahme des Stücks war, die sein Assistent übernahm. Insofern habe ich mit Bondy nicht wirklich über die Rolle gesprochen. Der Kontakt war eher indirekt. Peter: Von nun an ging es für Sie bereits fast in die große Opernwelt hinaus. Lassen Sie mich Ihnen einmal das Wort "Entwurzelung" zuwerfen. Wie fühlt man sich als Endzwanzigerin, wenn man sechs Wochen hier ist, dann wieder zwei Konzerte dort gibt und danach wieder vier Wochen woanders singen muss? Banse: Die Konzerte waren für mich nicht das Problem, weil es sich dabei jeweils doch um einen sehr begrenzten Zeitraum handelt, in dem man abwesend ist. Man ist höchstens eine Woche weg, und wenn man auf Tournee ist, dann dauert es etwas länger. Das ist ja sehr übersichtlich. Man wird mit einem Ensemble, einem Dirigenten, einem Orchester und etlichen Kollegen zusammengewürfelt. Dabei versucht man, das Beste daraus zu machen und schnell etwas zu kreieren, um am Ende zu sagen: "Tschüss, das war aber nett! Auf Wiedersehen!" Was zum Teil wirklich schwierig ist – was aber natürlich auch sehr toll sein kann – sind diese Opernkonstrukte, bei denen man sechs oder sieben Wochen in einer Art Scheinfamilie lebt, in der es allen gleich geht. Es ist noch einigermaßen einfach, wenn ein Theater kein Ensemble hat und alle Beteiligten von außen kommen, wenn also alle nicht am Spielort zu Hause sind und jeder in irgendeinem Apartment wohnt, in dem er sich ein paar Sachen an die Wände hängt und sich ein paar Kerzen kauft, damit es nicht so unpersönlich aussieht. Da geht es jedem gleich. Eine solche Konstellation ist im Grunde leichter, weil man sich dann zusammentut und gemeinsam kocht oder mal ins Kino geht. Jeder muss irgendwie über diese Zeit kommen. Richtig anstrengend ist es nur, wenn man als Außenstehender zu einem Ensemble kommt: Dann geht jeder nach der Probe nach Hause zu seiner Familie und man sitzt alleine im Hotel oder im Apartment. Dann denkt man sich tatsächlich manchmal, ob es wirklich sein muss, dass man nun weit weg von allem da sitzt und nur darauf wartet, dass man wieder arbeiten darf. Wenn es dann auch noch so ist, dass man sich mit der Produktion, dem Regisseur, dem Dirigenten, seiner Rolle oder was auch immer nicht wohlfühlt, dann ist es wirklich so, dass ich – ich gebe es zu – manchmal denke: "Muss das jetzt sein?" Aber es ist zum Glück bei mir bis jetzt so gewesen, dass solche Produktionen die Ausnahme waren. Peter: Wir sollten vielleicht auch auf einen Dirigenten zu sprechen kommen. Sie haben für irgendein exquisites Konzert geprobt. Bei diesen Proben stand ein fescher, großer Mann vorne, der Sie anherrschte: "So geht das überhaupt nicht! Sie müssen das so phrasieren!" Oder hat er Sie angeschaut und gesagt: "Wissen Sie, wir sollten das vielleicht nachher noch bei einem Glas Wein besprechen." Banse: (Lacht) Nein, so war das gar nicht! Wir sprechen von Christoph Poppen, der inzwischen seit zwölf Jahren mein Ehemann ist. Es war in Wirklichkeit ganz anders: Er war damals – also 1993 – noch hauptsächlich Geiger und spielte in seinem Streichquartett, dem "Cherubini-Quartett", das er 20 Jahre lang hatte. Er dirigierte in dieser Zeit bereits nebenbei, aber noch nicht ausschließlich. Wir lernten uns auf einem Kammermusikkonzert bei der "Schubertiade", die damals noch in Feldkirch war und heute in Schwarzenberg stattfindet, kennen. Man würfelte uns dort für ein Konzert zusammen. Es wurde eine Kirche eingeweiht und wir sollten eine Schubert- Messe singen und spielen. Dabei sollte eben ein Streichquartett das Orchester ersetzen und einige Sänger begleiten. Im Nachhinein haben wir herausgefunden, dass keiner von uns – weder das Quartett noch ich – auf dieses Konzert gesteigerte Lust hatte: Es war eher ein Anhängsel an unser sonstiges Programm und wir hätten beim Festival eigentlich andere Dinge zu tun gehabt. Peter: Bei der "Schubertiade" stehen ja große Liederabende im Zentrum. Banse: Genau. Wir sagten uns dann: "Na gut, dann singen wir halt noch diese Messe." Wir trafen uns also in dieser Kirche, begrüßten uns und beschlossen, das Stück probeweise einmal durchzuspielen. Es ergab sich dann, dass Christoph Poppen die Probe als Primanus des Streichquartetts im Prinzip leitete. Er sagte zum Beispiel Dinge wie: "Jetzt spielen wir noch mal von dieser Stelle an!" Aber es gab zwischen uns im Grunde keinen engeren Kontakt und wir gingen danach auch kein Glas Wein trinken, bei dem alles noch mal durchgesprochen worden wäre. Das Konzert war also vorbei und man verabschiedete sich artig: "Vielen Dank, es war sehr nett. Hoffentlich treffen wir uns mal wieder irgendwo." Dann kam eine ältere Dame in die Garderobe, die bereits damals ein großer Fan von Christoph Poppen war und die inzwischen auch ein Fan von mir geworden ist. Sie hat mich sozusagen mitadoptiert. Ich hatte – was ich noch anmerken muss – zuvor auf der Bühne einen weißen Blumenstrauß bekommen. Mit meinem wegen der Messe von mir getragenen schwarzen Kleid und diesem weißen Blumenstrauß stand ich nun also in der Garderobe und verabschiedete mich von Christoph Poppen, als diese Dame hereinkam und sagte: "Ja mei, ihr zwei seht aus wie ein Brautpaar! Soll ich euch einmal ein bisschen allein lassen?" Das war mir entsetzlich peinlich und ich fühlte mich ganz furchtbar. Ich kannte diese Dame auch nicht wirklich, sagte also Nein und habe mich dann relativ schnell verabschiedet. Ich hatte daraufhin noch ein Konzert vor Ort und auch das Quartett hatte ein paar Zwischentage zu füllen. So blieb auch Christoph Poppen noch einen Tag in Feldkirch. Der Zufall wollte es, dass wir am Nachmittag gemeinsam zu einer Aufführung von – wie ich glaube, mich zu entsinnen – Schuberts "Winterreise", gesungen von meinem sehr geschätzten Kollegen Andreas Schmidt, gingen. Peter: Wurden Sie dazu von Christoph Poppen aufgefordert? Banse: Nein. Wir hatten einfach beide vom Veranstalter eine Freikarte bekommen und saßen dann zufällig in diesem sehr schönen Konzert nebeneinander. Danach ging die ganze Meute zusammen essen und nun kam auch der erste Schubert'sche Romantikpunkt, an dem wir beide etwas gestutzt haben und daraufhin unsere Telefonnummern austauschten. Dann haben wir uns erst einmal sechs Wochen lang nicht mehr gesehen, weil das Quartett weiterreiste. Wir telefonierten und faxten uns in dieser Zeit verstärkt, beschlossen aber erst danach, dass es nicht ganz normal wäre, wenn wir so weitermachten. Deshalb wollten wir uns noch einmal wiedersehen, um zu sehen, ob wir uns dann mögen oder nicht mögen würden. Dabei haben wir festgestellt, dass wir uns doch mochten. Heute sind wir seit zwölf Jahren verheiratet und haben zwei wunderbare Kinder. Dem Veranstalter von Feldkirch sei ewig Dank. Peter: Gab es bei der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Christoph Poppen denn ab und zu künstlerische Spannungen? Banse: Nein. Das funktioniert sehr gut. Ihre Frage bekommen wir häufig gestellt, weil es doch öfter kracht, wenn privat verbundene Leute zusammenarbeiten. Bei uns kracht es aber interessanterweise nicht. Wir können sehr gut zusammenarbeiten. Es ist nicht so, dass wir das Private ausklammern. Es ist aber auch nicht so, dass wir private Dinge während der Probe austragen oder dann, wenn die Probe vorüber ist, diese Dinge zu Hause nachholen. Irgendwie funktioniert es bei uns wunderbar. Ich muss dazu sagen, dass wir nicht besonders viel zusammen machen. Das machen wir eigentlich auch ganz bewusst so. Wir freuen uns zwar wahnsinnig und genießen es sehr, wenn wir zusammen arbeiten können, aber wir möchten dieses Doppelpackgefühl absolut vermeiden. Es passiert bei einigen Künstlerpaaren ab und zu, dass sie dann nicht mehr ohne einander sein können, weshalb der Veranstalter sagen muss: "Wenn ich sie nehme, muss ich ihn auch nehmen." So etwas wollen wir auf gar keinen Fall. Ich hatte einmal einen Riesenschock hier in München: Mein Mann war ja elf Jahre Leiter des Münchner Kammerorchesters. Dort habe ich immer mal wieder gesungen und irgendwann stand dann in einer Kritik: "… die unvermeidliche Juliane Banse …" Daraufhin sagte ich mir: "Schluss, aus und stopp!" Ich habe dort zwei Jahre lang gar nichts mehr gemacht, weil ich diese Kritik so furchtbar fand. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass ich dort Dinge gesungen hätte, die an den Haaren herbeigezogen worden wären. Diese Kritik war für mich aber trotzdem ein kleiner Schock. Die Zusammenarbeit mit meinem Mann ergibt sich aber jetzt sowieso nicht mehr so oft, auch deswegen, weil wir versuchen, nicht beide gleichzeitig von den Kindern weg zu sein, was auch ein Nachteil des gemeinsamen Arbeitens ist. Deshalb wägen wir es jetzt noch stärker ab, ob es wirklich Sinn macht, zusammenzuarbeiten. Auch wenn eine Zusammenarbeit theoretisch möglich wäre, sagt oft einer von uns: "Weißt du was? Ich bleibe zu Hause." Peter: Sie sind Mutter zweier Kinder und nach wie vor schlank und rank wie eine Ballerina. Erzählen Sie doch mal, wie man in einer auf zwei Stimmbänder und auf einen weiblichen Hormonhaushalt bezogenen Karriere zwei Kinder unterbringt? Banse: Das war kein Problem. Das Kinderkriegen war an sich noch die leichteste Übung. Für das Leben mit den Kindern muss man sich aber doch sehr anpassen, beziehungsweise sich in wunderbarer Weise umstellen. Ich hatte zwei tolle, völlig komplikationslose Schwangerschaften und zwei völlig normale Geburten. In beiden Schwangerschaften habe ich bis nah an die Geburt heran gesungen und auch nach der Geburt nach zwei oder zweieinhalb Monaten wieder damit angefangen. Man ist nach der Geburt ja in einer Hochstimmung, in der man – natürlich auch durch die Hormone bedingt – unendlich viel Kraft und Energie hat und das Kind immer schnell zwischendurch in der Probe stillt. Das hat alles wirklich wunderbar geklappt und dafür bin ich auch sehr dankbar. Peter: Hat die Hormonumstellung Ihre Stimme nicht verändert, dass sie etwa plötzlich mehr in Richtung Mezzosopran gegangen wäre? Banse: Man fühlt sich dann natürlich zwischendurch so, als wäre die Stimme wesentlich schwerer und träger, aber ich glaube, dass das mehr auf den körperlichen Zustand zurückzuführen ist. Ich kann es aber auch am schlechtesten selber beurteilen, ob sich bei mir während oder nach meinen Schwangerschaften tatsächlich klanglich etwas verändert hat. Natürlich hat sich meine Stimme in den letzten Jahren entwickelt und ist reifer und breiter geworden. Aber da kann natürlich kein Mensch sagen, ob das nicht ohne die Schwangerschaften genauso passiert wäre. So etwas ist sehr schwer einzuschätzen. Ich habe keinen massiven Bruch oder Wechsel festgestellt, was bei anderen Sängerinnen durchaus vorkommen kann. Peter: Sie hatten es ja bereits angesprochen, dass sich Ihre Stimme entwickelt hat. Trotzdem waren Sie aber von Anfang an eine sehr vielseitige Künstlerin. So haben Sie Oper, Lied und ein bisschen Operette gemacht. Im Liederbereich haben Sie sich ein ansehnliches Randrepertoire erarbeitet und beispielsweise Lieder von Holliger und Widmann gesungen. Liegt Ihnen auch die Moderne? Da gibt es bei Sängern ja oft Grenzen. Banse: Ich glaube, dass die Grenzen immer dann kommen, wenn man das Gefühl hat, dass es der Stimme nicht mehr guttun würde oder auch dann, wenn sich ein Komponist mit der Stimme so wenig auskennt, dass er Dinge schreibt, die man – was zumindest auf mich zutrifft – einfach nicht singen kann. Es geht aber immer mehr, als man zu Beginn denkt. Bei mir hat sich das einfach so ergeben: Ich hatte Kontakt mit den Komponisten, weil sie mich zuvor irgendwo gehört hatten. Es spricht sich herum, dass man das absolute Gehör hat und deshalb ein willkommenes "Opfer" ist. Peter: Können Sie das absolute Gehör den Nicht-Musikkennern unter unseren Zuschauern erklären? Banse: Mit einem absoluten Gehör kann man sich eine Tonhöhe merken. Wenn ich ein Notenheft aufschlage, dann weiß ich, welche Tonhöhe das ist und kann es quasi so vom Blatt singen, ohne mir den passenden Ton vom Klavier holen zu müssen. Das ist für das Singen von moderner Musik eine unglaubliche Hilfe, weil es dort häufig komplizierte Melodieverläufe gibt, die manchmal keine Unterstützung aus der Begleitung des Orchesters haben. Deshalb kann ich mir Melodien sehr viel schneller einprägen als Leute, die kein absolutes Gehör haben. Insofern habe ich es leichter und kann dadurch auch den Komponisten besser helfen, wenn sie etwas schreiben, für dessen Einübung Sänger ohne absolutes Gehör unglaublich viel Zeit investieren müssten. Peter: Dabei geht es gelegentlich auch um Vierteltöne. Banse: Bei den Vierteltönen nützt es mir auch wieder nichts. Von Nachteil ist dieses absolute Gehör tatsächlich, wenn man mit historischen Instrumenten arbeitet. Wenn ich mit alten Instrumenten arbeite, dann habe ich wirklich Probleme. Peter: Nachdem wir das für die musikalisch nicht-gebildeten Zuschauerinnen und Zuschauer unter uns geklärt haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht ein großes Problem mit den vielen alten Ensembles, bei denen auf Originalinstrumenten gespielt wird, haben? Diese Instrumente haben oft eine andere Frequenz des Kammertons A, der sonst bei 440 Hertz liegt und bei diesen Instrumenten um einige Hertz nach oben oder unten variieren kann. Banse: Die Frequenz variiert zum Teil je nach Jahrzehnt der Entstehung des Instruments. Dabei muss ich mich tatsächlich sehr konzentrieren und umstellen. Interessanterweise passt sich das Ohr aber an. Wenn ich zum Beispiel eine Opernproduktion in alter Stimmung mache, bei der dann bereits für die Proben das Klavier heruntergestimmt wird und dergleichen mehr, dann justiert man sich irgendwie und stellt sich unbewusst darauf ein. Ich würde gerne einmal aus wissenschaftlicher Sicht erfahren, wie das funktioniert. Ist es tatsächlich das Kurzzeitgedächtnis, mit dessen Hilfe man sich auf die neue Tonhöhe einschießt? Wirkliche Probleme bereitet es einem, wenn man für ein Konzert nur drei Tage Zeit hat und sehr schnell proben muss. Dann singe ich tatsächlich zum Teil unsauber, weil ich mich eigentlich erst an diese andere Stimmung gewöhnen müsste. Um auf die moderne Musik zurückzukommen: Moderne Musik ist etwas, das mir abgesehen von Dingen wie den speziellen Tonhöhen unheimlich Spaß macht. Es ist toll, dabei zu sein, wenn etwas tatsächlich zum ersten Mal erklingt und der Komponist zum ersten Mal sein eigenes Stück hört. Es ist etwas unheimlich Spannendes, wenn man gemeinsam die Chance hat zu proben, etwas auszuprobieren oder Dinge vielleicht sogar noch zu verändern. Das extremste Beispiel war die Oper "Schneewittchen", die geschrieben hat. Das Stück wurde damals in Zürich uraufgeführt. Bei den Proben hat Holliger zwischendurch immer wieder Teile geändert und wir bekamen auch während der Proben noch neue Notenblätter nachgereicht: "Ich habe jetzt doch noch einen Epilog geschrieben." Uns standen bereits die Haare zu Berge. Es war irrsinnig schwer, weil man in der Oper ja auswendig singen muss, und gleichzeitig war es ein sehr tolles Erlebnis. Wir waren schon sehr stolz, als wir es dann geschafft hatten. Peter: Lassen Sie uns noch einen kleinen Blick in die Zukunft tun und mich einmal nachfragen: Da sitzen Sie mir so sonnig, lieblich und schön gegenüber. Wie sähe es denn bei Ihnen mit gebrochenen, abgründigen oder scheiternden Charakteren aus, wenn Sie einmal solche Rollen vor sich hätten? Für die Musikfreunde: Ich meine damit zum Beispiel Figuren wie Janáceks Katja Kabanowa. Banse: Wenn so etwas meine Stimme hergeben würde, würde ich es auch gerne singen. Es ist natürlich eine Tatsache, dass man Sehnsucht danach verspürt, sich sowohl stimmlich als auch darstellerisch weiterzuentwickeln. Es ist aber ebenfalls eine Tatsache, dass die Partien, die man in den ersten zehn bis 15 Jahren seiner lyrischen Sopranzeit singt, nicht die abgründigsten Charaktere sind. Deshalb kommt man natürlich in der Tat an einen Punkt, an dem man sagt, dass man nun auch einmal an die Abgründe, also an die gebrochenen und gescheiterten oder zumindest an die zweifelnden und kämpfenden Charaktere herangehen möchte. Das kommt jetzt aber bei mir und das ist ganz toll: Ich befinde mich wirklich in einer Übergangsphase, bei der es von den kleinen Schwestern zu den großen Schwestern oder von Susanna zur Gräfin geht. Ich habe im letzten Jahr in Frankfurt die Eva aus den "Meistersingern" ausprobiert, ich habe kürzlich die Fiordiligi aus "Cosi fan tutte" gesungen. Es kommt nächstes Jahr eine "Tatjana" von Franz Lehar. Es geht für mich hin zu den etwas breiteren, größeren Partien. "Schwerer" ist für mich in diesem Zusammenhang immer ein etwas schwieriges Wort, aber es entwickelt sich hin zu ein wenig erwachseneren Rollen. Ich freue mich sehr darüber, dass sich das so weiterentwickelt, wie sehr ich auch "Mädels" wie Susanna oder Zelina geliebt habe. Die Pamina ist eine Rolle, die mir wohl noch am längsten bleiben wird, weil sie eben von so vielen verschiedenen Seiten her angegangen werden kann. Das kann man mit 19 singen, man kann es aber auch noch viel später singen, weil es nicht so festgelegt ist. Auch Figuren wie die Sophie aus dem "Rosenkavalier" habe ich sehr geliebt, aber solche Rollen wird es für mich wohl nicht mehr geben. Jetzt warte ich noch etwas und dann kommt vielleicht irgendwann die Marschallin (lacht). Peter: Damit haben wir bereits einen interessanten Ausblick. Es ist schön, dass Sie heute und in diesem Stadium Ihrer Karriere hier bei uns zu Gast waren. Ich würde mich freuen, wenn wir vielleicht in etlichen Jahren diesen Wechsel und diese Erweiterung Ihrer Karriere noch einmal besprechen könnten. Herzlichen Dank, dass Sie bei alpha-Forum zu Gast waren, Juliane Banse. Ihnen, meine Damen und Herren, weiterhin anregende Sendungen bei BR-alpha.

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