Dissertationen & Magisterarbeiten

Barbara Fritsch

Die linearbandkeramische Siedlung Hilzingen-Forsterbahnried und die altneolithische Besiedlung des Hegaus

Dissertation 1992 (Prof. Dr. Ch.Strahm)

Im Frühjahr und Sommer 1985 wurde unter Leitung der magerung ­ müssen keine Magerungsmittel künstlich Autorin in Hilzingen, Gewann "Forsterbahnried", Kreis zugesetzt sein. Die Gefäßform richtet sich nach der eine Ausgrabung in der bandkeramischen Funktion: kleine und große, offene und geschlossene, Siedlung durchgeführt. Das Material wurde in den Jah­ dick­ und dünnwandige Gefäße dienen offenbar unter­ ren 1985­88 im Landesdenkmalamt aufgenommen und schiedlichen Zwecken. Die Verzierung der Keramik be­ gezeichnet. steht aus Bauch­, Rand­ und Zwischenraumverzierung, Ziel der Arbeit ist es, das Leben in einer frühneoli­ die voneinander weitgehend unabhängige Muster ver­ thischen Siedlung im Rahmen ihrer Umwelt umfassend wenden. 38 Band­ (Bauchverzierung) und 26 Randver­ darzustellen. Dazu werden zunächst die einzelnen zierungstypen werden unterschieden. Für verzierte Ke­ Befund­ und Fundgattungen getrennt untersucht; erst ramik werden eine feinere Machart und kleinere For­ dann folgt die eigentliche Auswertung: chronologische men bevorzugt. Große und/oder grobe Gefäße sind mei­ Untersuchungen, Verteilungsmuster, Wirtschaftsweise, stens unverziert. Umweltrekonstruktion und Einordnung in die südwest­ Die Felsgesteingeräte unterscheiden sich ihrer Funk­ liche Bandkeramik. tion entsprechend auch in Bezug auf das Rohmaterial: Dechsel und Äxte werden aus harten Gesteinen herge­ Landschaftliche Gegensätze prägen den Hegau: mar­ stellt (Amphibolit und harter Schiefer), Klopfer über­ kante, im Tertiär entstandene Vulkankegel und Dek­ wiegend aus quarzitischen Gerollen, Mahlsteine aus­ kentuffberge kontrastieren mit sanften Hügeln, die schließlich aus abriebresistentem, hartem Sandstein. durch glaziale Überformungen entstanden. Im Herzen Das hauptsächliche Rohmaterial für Reib­ und Schleif­ dieser Landschaft siedeln sich etwa um 5.300 cal BC steine besteht aus wenig abriebresistentem feinkörni­ die ersten Bauern an. Die Siedlung Hilzingen­Forster­ gem Sandstein, andere Materialien kommen jedoch bahnried besteht bis etwa 4.800 cal BC. ebenfalls häufig vor. Im ausgegrabenen Teil der Siedlungsfläche können Die Knochen­ und Geweihindustrie beschränkt sich 15 Hausgrundrisse rekonstruiert werden, die sich zum auf neun Geräteklassen. Spitzen, meißelartige Geräte, Teil weiter klassifizieren lassen. Eine zeitliche Fixie­ Druckstäbe bestehen aus Knochen oder Geweih; Mes­ rung ist nicht möglich. Offenbar existiert in Hilzingen ser, Spatel und Stäbchen aus Knochen; durchlochte eine vom übrigen Verbreitungsgebiet unterschiedliche Hacken, "Zufallshacken" und Retuscheure aus Geweih. Bau­ und Siedlungsweise. Spitzen und meißelartige Geräte dienen vermutlich der Die Auswertung der Grubenmerkmale zur Größe, Textil­ und Lederbearbeitung, Druckstäbe und Retu­ Form, Verfüllung und Lage in der Siedlung läßt auf die scheure der Silexartefaktmodifikation. "Zufalls­" und Funktion des Befundes schließen. Funktionsgruben durchlochte Geweihhacken finden im landwirtschaftli­ können von Lehmentnahmegruben unterschieden wer­ chen Bereich Verwendung. den. Da im westlichen und im mittleren Teil der ausge­ Als Schmuck werden "Anhänger" aus Knochen, ge­ grabenen Fläche der Beckenton ansteht, konzentrieren rillte Tonarmringe und Steinarmringe bezeichnet, un­ sich hier die Gruben und Grubenkomplexe. Die Häuser abhängig von ihrer noch nicht eindeutig bestimmten werden überwiegend nordöstlich davon gebaut; hier Funktion. Spinnwirtel bilden einen Beleg für Textilher­ überlagern Kiese der Fulachterrasse den Beckenton. stellung. Aufgrund einer Untersuchung der Technologie und Eine Seriation der verzierten Keramik mit Hilfe der Machart der Gefäße kann Fein­ und Grobkeramik un­ Korrespondenzanalyse liefert eine weitgehend durch terschieden werden. Zwischen beiden Gruppen besteht stratigraphische Beobachtungen bestätigte relativchro­ ein gleitender Übergang, der dem prähistorischen Pro­ nologische Ordnung der Befunde. Über typologische duktionsprozess entspricht. Alle keramischen Gefäße Argumente wird die Abfolge in neun Stilphasen (I bis werden aus dem anstehenden Beckenton hergestellt. Bis IX) unterteilt, die der Spanne vom mittleren Flomborn auf wenige Ausnahmen ­ Kalk oder Keramikgrus­ bis zur jüngsten Bandkeramik entsprechen.

Archäologische Informationen 16/1, 1993, 120-121 Dissertationen & Magisterarbeiten

Eine Untersuchung der Keramikzusammensetzung weitgehend "egalitäre" Gesellschaft hin, in der Haus­ zeigt, daß in den größeren Grubenkomplexen die Inven­ halte eine Untereinheit bilden. tare z.T. vermischt vorliegen. Diese Störungen sind je­ doch so gering, daß die Seriation nicht angezweifelt Die Siedlung Hilzingen­Forsterbahnried kann mit ande­ werden muß. ren Fundorten zur "Hegau­Hochrhein­Gruppe" zusam­ mengefaßt werden. Diese wiederum bildet zusammen Die 14C­Daten spiegeln die Stilentwicklung nicht wie­ mit der Bandkeramik aus Württemberg, dem Elsaß und der. Vermutlich kann dafür die in diesem Bereich fla­ dem Breisgau/Kaiserstuhlgebiet aufgrund vieler stilisti­ che Kalibrationskurve verantwortlich gemacht werden. scher Gemeinsamkeiten die Stilprovinz der "südwestli­ Die chronologische Untersuchung der Befundvertei­ chen Bandkeramik". Die Stilphasen der einzelnen Re­ lung zeigt, daß am Anfang der Besiedlung Lehment­ gionalgruppen können mit der Hilzinger Entwicklung nahmegruben überwiegend in der Nähe von Häusern verglichen und weitgehend parallelisiert werden. angelegt werden. Ab der zweiten Stilphase wird der Stilistische Vergleiche lassen den Schluß zu, daß der große Grubenkomplex genutzt, vielleicht weil der Lehm Hegau von mittleren Neckargebiet aus besiedelt wird. hier bessere Eigenschaften besitzt. In den letzten Pha­ Die einheimischen Mesolithiker/innen ziehen sich in sen werden kaum noch Gruben gebraucht, der Sied­ andere Landschaftsräume zurück. Zwischen Hegau und lungsschutt landet überwiegend in den oberen Schich­ Oberelsaß bzw. Württemberg bestehen rege Kontakte. ten des Grubenkomplexes; die wenigen Gruben dienen Impulse zu neuen Keramikstilentwicklungen kommen überwiegend anderen Zwecken als der Lehmentnahme. sowohl vom Hegau als auch von den anderen Gebieten. Machart und Technologie der Keramik ändert sich Am Ende der Hilzinger Besiedlung mehren sich Kon­ nur unwesentlich im Verlauf der Stilphasen. Die Aus­ taktbelege zu weiter entfernt liegenden Gebieten. Diese prägung der Formen wandelt sich; die Funktion, defi­ geben vermutlich die Impulse zur Herausbildung der niert über Geschlossenheit, Größe und Wandstärke, "Hinkelstein­Stichbandkeramik­Gruppe" im Hegau. Die bleibt. Felsgestein­, Knochen­ und Geweihgeräte verän­ Entwicklung erfolgt kontinuierlich. Die stilistische Ver­ dern sich im Verlauf der Stilentwicklung nicht. To­ bindung mit der Großgartacher Gruppe bleibt weiteren narmringe existieren ab der Stilphase III, Steinarmringe Untersuchungen vorbehalten. Vermutlich besteht auch kommen offenbar nur in den letzten Phasen vor. hier eine weitgehende Siedlungskontinuität. Die Funde geraten meistens "zufällig" in die Gruben; d.h. unabsichtlich. Als Ausnahmen gelten Gruben mit flachem Boden, senkrechter Wandung und/oder ge­ Literatur schichteter Verfüllung; diese werden absichtlich mit Siedlungsschutt verfüllt, zumal sie meistens besonders AUFDERMAUER, J., DIECKMANN, B. und B. FRITSCH (1986) tief sind. Die Untersuchungen in der bandkeramischen Siedlung bei Hilzingen, Die Verteilung der Fundgattungen (Keramik, ver­ Kreis Konstanz. Archäologische Ausgrabungen in Baden­Württemberg 1985, 1986,31­46. ziegelter Lehm, Knochen, Silex, Felsgestein) in der Siedlung läßt auf die Art der Müllbeseitigung schlies­ AUFDERMAUER, J., DIECKMANN, B. und B. FRITSCH (1986) sen: unhygienische Essensund Schlachtabfälle, spitze Die Untersuchungen in einer bandkeramischen Siedlung bei am Hohentwiel, Kreis Konstanz. Archäologische Ausgrabungen in Silexartefakte und zerbrochene Mahlsteine werden Baden­Württemberg 1985, 1986,51­54. hauptsächlich in dem von den Häusern entfernt gelege­ nen Grubenkomplex «deponiert», während der «unge­ DIECKMANN, B. und B. FRITSCH (1990) Linearbandkeramische fährliche Müll», Scherben und verziegelter Lehm, of­ Siedlungsbefunde im Hegau. Archäologisches Korrespondenzblatt 20, 1990,25­39. fenbar nicht entsorgt wird. Die Verteilung der unter­ schiedlichen Magerungsmaterialien in den Gruben wird EHRMINGER B. (1988) Quartärgeologische Untersuchungen unter als Indiz dafür gewertet, daß jeder Haushalt seine eige­ besonderer Berücksichtigung holozäner Deckschichten zwischen Hilzingen und Singen (Südbaden). UnveröfF. Dipl. am Geologischen ne Keramik herstellt. Institut der Universität Freiburg i.Br.. Freiburg 1988.

Die Rekonstruktion der natürlichen Umwelt zeigt, daß FRITSCH, B. (1987) Zwei bandkeramische Siedlungen im Hegau. sich die ersten Siedler/innen den Standort ihres Dorfs Archäologische Nachrichten aus Baden 38/39, 1987,10­17. sehr sorgfältig nach klimatischen, topographischen und STIKA, H.­P. (1991) Die paläoethnobotanische Untersuchung der bodenkundlichen Kriterien auswählen. Sie sind selbst­ linearbandkeramischen Siedlung Hilzingen, Kreis Konstanz. versorgend; Getreide, in erster Linie Emmer und Ein­ Fundber. Bad.­Württ. 16, 1991,63­104. korn, und Erbse wird auf siedlungsnahen Äckern ange­ baut, Haustiere werden gehalten. Fischfang, Jagd und Sammeln von Wildfrüchten bereichert den Speisezettel. Barbara Fritsch Alle benötigten Rohstoffe finden sich in der näheren Albert Ludwigs-Universität Umgebung. Institut für Ur- und Frühgeschichte Indizien für eine soziale Differenzierung existieren Belfortstr. 22 nicht. Eher deuten mehrere Anhaltspunkte auf eine D-79098 Freiburg

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