Die Eurokrise Und Die Krise Des Ökonomischen Urteilsvermögens*
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[ Blickpunkt ] Die Eurokrise und die Krise des ökonomischen Urteilsvermögens* Eine Erklärung der Grundlagen der Währungsunion, der Bedeutung der Inflation und der Lohnstückkosten in Form eines Wirtschaftskrimis. Der Autor macht deutlich, dass Hauptursache für die Eurokrise nicht das Ausgabeverhalten der südlichen Länder, sondern die Sparpolitik Deutschlands ist. von Heiner Flassbeck Man muss den Dingen folgen, die nun mal Es gibt jetzt so ein paar Bewegungen auf vorliegen, das ist Ihr tägliches Geschäft. Ich der Ebene der europäischen Kommission, werde Sie bitten, ein Urteil zu fällen über die versuchen, durch Vorschläge für neue das, was im Euroraum passiert ist. Ich gebe Regulierungen dahin zu kommen, dass Ihnen ein paar Informationen, sozusagen die Dinge vernünftig laufen können. Aber als Sachverständiger vor Gericht, und Sie es ist noch nicht so weit, und es wird eine müssen dann urteilen. Ich will Ihnen aber extrem spannende Frage sein, ob die Zeit auch erst mal die Möglichkeit geben, Ihre ausreicht, die der Euro noch hat, um über Vorurteile abzuspeichern, damit Sie hinter- die nächsten Jahre zu kommen. Denn her überprüfen können, ob Ihre Vorurteile das Zeitfenster, das Window of Oppor- richtig oder falsch waren. Dazu habe ich tunity, schließt sich jetzt ganz schnell. In schon mal ein paar Verdächtige ausge- einem Monat wählt Spanien, da kommt Professor Dr. Heiner Flassbeck wählt, die schuld daran sein könnten, dass wahrscheinlich eine sehr instabile Situa- ist Wirtschaftswissenschaftler. Er es dem Euro schlecht geht. Dem Euro geht tion heraus – wie in Portugal gerade, wo war von 1998 bis 1999 beamteter es in der Tat sehr schlecht. Dabei ist die ein Staatspräsident verhindert, dass die Staatssekretär im Bundesministe- Krise in Athen vielleicht nicht das einzige Mehrheit die Regierung bildet. Ich will rium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt Problem. Es gibt ein viel tiefer liegendes darauf jetzt im Einzelnen nicht eingehen, (Chief of Macroeconomics and Problem, und das will ich heute Abend aber das sind solche Folgen: wie z. B. die Development) bei der UNO-Orga- mit Ihnen analysieren. Dazu muss man Eurogruppe in Griechenland verhindert nisation für Welthandel und Ent- sich Gedanken machen, was diese Wäh- hat, dass eine Regierung das tut, was sie wicklung (UNCTAD) in Genf, wo er rungsunion eigentlich ist, warum wir eine tun wollte. Jetzt wird schon einen Schritt aus Altersgründen ausschied. (Wikipedia) Währungsunion gemacht haben und wa- vorher verhindert, dass überhaupt eine rum diese Währung jetzt wirklich schwer Regierung gebildet wird, die etwas an- www.flassbeck.de angeschlagen ist – vielleicht sogar tödlich deres tun will als bisher vorgesehen war. verletzt, sodass sie die nächsten Jahre nicht Das sind sehr bedenkliche Zeichen, und überleben wird, und das auch im Zusam- wie gesagt: Das Window of Opportunity menhang mit dem großen Zustrom von schließt sich sehr schnell. Im Frühling Flüchtlingen, also extrem unruhigen Zei- 2017 wird in Frankreich eine Nationalver- ten. Wir können uns nur wünschen, dass sammlung gewählt und im Oktober 2017 wir dieses Problem, das ich heute Abend ein neuer Präsident – oder eine Präsiden- schildere, dieses eigentlich überschaubare tin, und dann haben wir in Europa mit Problem lösen können. Nur bisher gibt es Sicherheit ein ganz großes Problem, und wenig Ansätze dazu. dann ist Europa ganz schnell am Ende. * Vortrag beim 41. Richterratschlag am 30.11.2014 in Ismaning Betrifft JUSTIZ Nr. 124 | Dezember 2015 165165 [ Blickpunkt ] Wir müssen also nicht nur überhaupt be- gibt ja das Problem nicht mehr, das zur Zentralbank. Sie haben zentralisiert und greifen, sondern wir müssen ganz schnell Notwendigkeit der Abwertungen führte. haben die eigenen Zentralbanken aufge- begreifen – aber bisher sind die Erfolge geben, was diese Funktion angeht. sehr begrenzt. Also hat man sich zur Währungsunion entschlossen. Was ist eine Währungsuni- Nächste Frage: Woher kommt denn die In- Ich habe gerade gestern in einem Vortrag on? Das ist eine Union von Ländern, die flation? Wenn wir das wissen, wissen wir ein schönes Beispiel erwähnt: Japan war sich darauf geeinigt haben, eine gemein- auch, warum es die Probleme gegeben hat. vor etwa 25 Jahren in einer ähnlich defla- same Inflationsrate zu haben. Punkt. Das ist eine der großen ökonomischen Fra- tionären Situation wie Europa jetzt, und gen, scheinbar schwer zu beantworten oder wie lange haben die japanischen Regierun- Eine Währungsunion hat zum Beispiel unbeantwortet. Die meisten Ökonomen gen gebraucht, um zu erfassen, was passiert nichts damit zu tun, was Frau Merkel fest sagen, sie hängt an der Geldmenge. Wenn ist? Ziemlich genau 23 Jahre. Das ist kein glaubt: dass die Länder alle gleich viele zu viel Geld ins System kommt, dann gibt schlechter Recognition Lag. Und darum Urlaubstage haben müssen. Im Bundestag es Inflation. Die EZB pumpt Geld ins Sys- geht es auch heute Abend: Warum ist das hat sie neulich gesagt, dass die Griechen tem wie verrückt, was kommt hinten raus? so schwer zu begreifen? Dahinter stehen erheblich mehr Urlaubstage haben als Inflation. Komisch: Die Japaner haben so in den meisten Fällen ganz tief sitzende wir. Das ist vollkommen uninteressant. viel Geld ins System gepumpt, das kann Vorurteile, vor allem bei meinen Kollegen Auch das Renteneintrittsalter ist in Frank- man sich hier überhaupt nicht vorstellen. Ökonomen, die schwer zu knacken sind, reich niedriger als in Deutschland – auch Wenn Mario Draghi das hier machen wür- weil ein ganzes ökonomisches Gerüst dar- das ist vollkommen uninteressant. Auch de, würde er sofort zurück nach Italien auf steht. Und wenn man da einen Pfeiler dass manche Länder ärmer sind als ande- geschickt. Und was ist herausgekommen wegnimmt, dann kracht das Gerüst zusam- re, ist uninteressant. Dass sich die Leute in in Japan? Deflation. Das ist aber einer men. Deshalb wehren sie sich natürlich manchen Ländern lieber an den Straßen- der Bausteine des Mastricht-Vertrages: der mit Händen und Füßen dagegen. rand setzen und Rotwein trinken als in feste Glaube daran, dass die Geldpolitik Deutschland und nicht so gerne schuften, die Inflation bestimmt. Das nennt man Ich will Ihnen kurz erklären, was Wäh- ist unerheblich. All das ist für die Wäh- Monetarismus. Der Ökonom dahinter rungsunion bedeutet, damit wir sehen rungsunion uninteressant. Wenn wir das war Milton Friedman. Aber inzwischen können, was die Währungsunion uns schon mal begriffen hätten, wäre das ein haben wir festgestellt, dass dieser Mone- angetan hat. Wozu haben wir eine Wäh- kleiner Schritt zur Erkenntnis. Wenn wir tarismus vollkommen falsch ist. Und das rungsunion in Europa geschaffen? Vorher das schon mal kommunizieren würden bin nicht nur ich, der das festgestellt hat. gab es ein europäisches Währungssystem, in den großen deutschen Leitmedien – Alle großen Zentralbanken, die EZB, die wo zwischen den einzelnen Währungen Spiegel, Süddeutsche und so weiter, dann Federal Reserve in New York, die Bank of Wechselkurse geändert wurden. So hat wäre schon etwas gewonnen. Japan, die Bank of England, keiner glaubt zum Beispiel Italien, das weiß jeder Itali- mehr an den Monetarismus. Wir haben enurlauber, ab und zu abgewertet. Warum Damit die Länder eine gemeinsame In- also den entscheidenden Pfeiler, auf dem war das nötig? Damit sie wieder besser ex- flationsrate haben, haben sie dafür eine Maastricht steht, über Bord geworfen. Aber portieren können. Warum waren die Ex- Institution geschaffen: die Europäische wir haben ihn nicht aus dem Maastricht portmöglichkeiten eingebrochen? Weil die Inflationsrate zu hoch war, nämlich höher als die in Deutschland. In Italien gab es 7 oder 8 % Inflation, in Deutsch- Die wichtigste Regel land vielleicht nur 2 %. Und wenn das Inflation and ULC 1970-2013 in several countries ein paar Jahre so geht, hat das Land mit 8 R² = 0,9955 der hohen Inflationsrate ein Problem, Italy 7 weil seine Preise für den Export zu hoch UK Spain werden. Mit einer Abwertung der Lira war 6 man wieder konkurrenzfähig. Das ist im 5 Kern immer noch das Problem, um das France EMU (12 countries) es geht. Aber nun haben wir uns ja ent- 4 USA schlossen, keine nationalen Währungen Westdeutschland (1970-1991) 3 mehr zu haben. Das haben wir gemacht, Belgium (1980-2013) weil irgendwann die Länder – insbeson- 2 average % yearly change in ofULC average Japan Austria (1980-2013) dere Frankreich und Italien – sich ent- Netherlands (1980-2013) 1 schieden haben, wie Deutschland nur Germany (1991-2013) 2-3 % Inflation und nicht mehr zuzu- 0 lassen. Das ist in der Tat nicht besonders 0 1 2 3 4 5 6 7 8 average yearly change of the GDP deflator in % schwer. Und wenn man eine identische Sources: Ameco, OECD. Inflation hat, braucht man keine unter- schiedlichen Währungen mehr, denn es 166 Betrifft JUSTIZ Nr. 124 | Dezember 2015 [ Blickpunkt ] Vertrag entfernt. Man hätte den Vertrag ändern müssen, nachdem man eingese- hen hat, dass diese These falsch war. Das ist eines der Probleme, an denen wir ganz fundamental kranken. Nun will ich Ihnen zeigen, was wirklich zur Inflation führt. Die EZB hat ein In- flationsziel von 2 % festgelegt. Das ist das alte deutsche Ziel, und die andern haben sich daran angepasst. Und hier kommt jetzt das, was die Inflationsrate in allen Ländern der Welt bestimmt: Unit Labour Cost, ULC. In Deutschland sagt man Lohnstückkosten. Das sind die Löhne im Verhältnis zur Produktivität. Wenn also z. B. die Löhne um 5 % steigen und die Produktivität um 3 % ist die ULC 2. Was man also gemeint, hat, aber nicht so in den Maastricht-Vertrag hinein geschrie- ben hat, ist der Satz: blaue Kurve: Deutschland. Wir haben uns Land unter dem Strich vergisst. Die Wäh- Jeder hat sich bei der Steigerung der Löh- ebenfalls nicht an unsere eigene Produk- rungsunion insgesamt hat ja ihr 2 %-Ziel ne so an seine Produktivität anzupassen, tivitätsentwicklung angepasst, sondern erreicht. Nach 10 Jahren Währungsunion dass am Ende die Löhne 2 % über der ei- deutlich unter unseren Verhältnissen im Jahr 2010 hat man das gefeiert. Nur: genen Produktivität liegen. gelebt. Das kann auch gar nicht anders das war leider der Durchschnitt.