Ein Wilder Ritt Distributionen
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09/2016 Besichtigungstour zu den skurrilsten Linux-Distributionen Titelthema Ein wilder Ritt Distributionen 28 Seit den frühen 90ern schießen die Linux-Distributionen wie Pilze aus dem Boden. Das Linux-Magazin blickt zurück auf ein paar besonders erstaunliche oder schräge Exemplare. Kristian Kißling www.linux-magazin.de © Antonio Oquias, 123RF Oquias, © Antonio Auch wenn die Syntax anderes vermu- samer Linux-Distributionen aufzustellen, Basis für Evil Entity denkt (Grün!), liegt ten lässt, steht der Name des klassischen denn in den zweieinhalb Jahrzehnten falsch. Tatsächlich basierte Evil Entity auf Linux-Tools »awk« nicht für Awkward kreuzte eine Menge von ihnen unseren Slackware und setzte auf einen eher düs- (zu Deutsch etwa „tolpatschig“), sondern Weg. Während einige davon noch putz- ter anmutenden Enlightenment-Desktop für die Namen seiner Autoren, nämlich munter in die Zukunft blicken, ist bei an- (Abbildung 3). Alfred Aho, Peter Weinberger und Brian deren nicht recht klar, welche Zielgruppe Als näher am Leben erwies sich der Fo- Kernighan. Kryptische Namen zu geben sie anpeilen oder ob sie überhaupt noch kus der Distribution, der auf dem Ab- sei eine lange etablierte Unix-Tradition, am Leben sind. spielen von Multimedia-Dateien lag – sie heißt es auf einer Seite des Debian-Wiki wollten doch nur Filme schauen. [1], die sich mit den Namen traditioneller Linux für Zombies Linux-Tools beschäftigt. Je kaputter, desto besser Denn, steht dort weiter, häufig halten Apropos untot: Die passende Linux- Entwickler die Namen ihrer Tools für Distribution für Zombies ließ sich recht Auch Void Linux [4], der Name steht selbsterklärend oder sie glauben, dass einfach ermitteln. Sie heißt Undead Linux je nach Übersetzung für „gleichgültig“ sie die User ohnehin nicht interessieren. aka Evil Entity [3] und hauchte 2003 oder „nichtig“, wurde einst von seinem Dieser Denkschule folgen offensichtlich trotzdem ihr Leben aus. Das heißt, die Hauptentwickler schon für tot erklärt. viele Macher der mehr als 500 Linux-Dis- zugehörigen Domains sind frei, mögli- Das Ganze stellte sich aber als April- tributionen weltweit (Abbildung 1, [2]). cherweise geistern im Bittorrent-Univer- scherz heraus [5], die totgeglaubte Dis- Bereits die frühen Vertreter trugen wahl- sum noch Kopien umher, auf der Suche tribution schaffte es kürzlich gar auf den weise kryptische Abkürzungen (LSD, LST, nach Gehirnen von Linux-Nutzern. Evil Titel der Ausgabe 04/16 der Linux-Ma- DLD) oder recht merkwürdige Namen wie Entity, das „böse Wesen“, ist übrigens gazin-Schwester „Linux User“. Yggdrasil (Abbildung 2). der Erzfeind der Comicfigur Scooby Hervorstechende Features der Rolling Re- Das Linux-Magazin nimmt das Jubiläum Doo und laut einem Wikia-Eintrag eine lease sind ein eigenes Buildsystem, ein „25 Jahre Linux“ zum Anlass, eine (zu- „schwebende Masse dunkelgrüner Ten- selbst entwickeltes Paketsystem namens gegeben unvollständige) Typologie selt- takel“. Wer sofort an Suse als perfekte Xpbs und der Verzicht auf Systemd. An 09/2016 Titelthema Distributionen 29 www.linux-magazin.de © GFDL, Andreas Lundqvist (initially), Muhammad Herdiansyah (continued) Muhammad Herdiansyah (initially), Lundqvist © GFDL, Andreas Abbildung 1: Nur ein kleiner Ausschnitt aus dem umfangreichen Stammbaum der LinuxDistributionen. Die Grafik wartet unter [http://futurist.se/gldt/]. dessen Stelle setzt Void-Linux, das darauf Schweißausbrüche auslösen – doch völ- nicht, beschwert sich gleich einer in den besteht, kein Fork einer anderen Distribu- lig unberechtigt. Im Gegenteil. Das einzig 666 (!) Kommentaren auf der About-Seite tion zu sein, auf Runit [6]. teuflische an der leichtgewichtigen Li- [12]: „Als spiritueller Satanist finde ich Einen absoluten Sonderfall bietet Damn nux-Distribution, die von CDs oder USB- [die Distribution] beleidigend. Wenn die Vulnerable Linux (DVL, [7]). Wie ein gu- Sticks bootet, ist der Verzicht auf eine Themes mehr in Richtung Satanismus ter Wein wird das infektiöse Linux selbst grafische Oberfläche (Abbildung 4). Das gingen und weniger in Richtung düstere nach seinem Ableben immer besser. macht aber nichts, dient sie doch erfahre- Bilder und Heavy Metal, wäre ich wo- Thorsten Schneider, ein Dozent der Uni nen Admins als Router- und Firewall-Sys- möglich interessierter.“ Neben verletzten Bielefeld, hatte 2007 Version 1.0 von DVL tem und inzwischen auch als dedizierter Gefühlen macht das Zitat die Stoßrich- als Admin-Albtraum voller Sicherheits- Server für Anwendungen. tung der Satanic Edition deutlich – sie lücken veröffentlicht, damit Sicherheits- Der Fokus liegt auf der Sicherheit: Die zielte auf Heavy-Metal-Fans. forscher mit ihr experimentieren. Seit meisten Binaries sind mit GCC Stack Auf der Webseite warten Wallpaper 2012 entwickelt offenbar niemand mehr Smashing Protection übersetzt, der mit Feuer, Totenköpfen und halbnack- das auf Debian und Damn Small Linux Kernel setzt auf GR-Security und Pax. ten Frauen in beliebiger Reihung sowie basierende DVL weiter, womit die Zahl Aktuell arbeiten die Macher ganz bo- Heavy-Metal-inspirierte Musiksamm- der nicht behobenen Sicherheitslücken denständig an Ver- naturgemäß wächst – in diesem Fall eine sion 1.8.0, Exorzisten klassische Win-Win-Situation. dürfen also zu Hause bleiben. Am Abgrund Höllen Suicide Linux [8] klingt zunächst wie spektakel eine ironiebegabte und aufstrebende Li- nux-Distribution mit optimistischer Aus- Dringt Devil-Linux nur richtung und Zukunftsplänen, entpuppt dem Namen nach in sich aber bei der Recherche als feuchter religiöse Gefilde vor, Traum für masochistisch veranlagte Sys- tauchen andere Distri- admins. Genau genommen handelt es butionen gleich rich- sich um ein Debian-Paket, das bei jedem tig ein. Denkt man falsch eingegeben Befehl mit Rootrechten zumindest sofort, ein »rm -rf /« absetzt und so sämtliche wenn die Rede auf 3.0 BY Daten auf der Festplatte löscht. Schwarze die Ubuntu Satanic Pädagogik [9] für Linux-Admins, wenn Edition (Abbildung 5, man so will. [11]) kommt. CC © Ralfk, Auch der Name Devil-Linux [10] dürfte Ein Linux für Teufels- Abbildung 2: Yggdrasil gehörte zu den frühen LinuxDistributionen und ließ bei zart besaiteten Usern höllische anbeter sei das aber sich von einer CD starten. 09/2016 Titelthema Sabily lautete der Name der in Frankreich produzierten Ubuntu Muslim Edition [14], die aber 2011 den Gebetsteppich einrollte. Wohl auch, weil sich die ein- zelnen Tools problemlos im Standard- Distributionen Ubuntu nachinstallieren lassen. Laut Wikipedia [15] installierte Sabily arabi- 30 sche Sprachpakete vor und brachte Pro- gramme für Koranstudien, einen islami- schen Kalender sowie eine Erinnerungs- software für Gebetszeiten mit. www.linux-magazin.de Weitere Versionen von Sabily waren ge- © www.abclinuxu.cz plant, faktisch ist aber Ubuntu 11.10 mit Unity-Desktop die letzte angebotene. Das erhält schon länger keinen Support mehr, weshalb Distrowatch die Distribution für tot erklärt. Mit Ojuba-Linux [16] exis- tiert ein leicht angestaubtes Pendant zu Sabily, das auf Fedora basiert. Die letzte Version dieser arabischen Distribution Abbildung 3: Ein tschechisches Blog erlaubt noch einen nachträglichen Eindruck von Evil Entity, das Enligh mit einigen islamischen Tools stammt tenment als Desktopumgebung nutzte, aber inzwischen nicht mehr unter uns weilt. vom März 2014. lungen, die Namen wie „Music for the Edition (Abbildung 6, [13]) als „schla- Wellness und Pasta Damned“ oder „Distro of the Beast“ tra- fend“ ein, immerhin erhält das zugrunde gen. Das Ganze war wohl nur zeitweise liegende Ubuntu 12.04 noch bis April Viele Deutsche halten Buddhismus ja witzig, übrig blieb auf der Webseite die 2017 Updates. für praktizierte Wellness, auch bei Bodhi Undead-Live-CD (Version 666.9) mit ei- Dans Guardian sorgt dafür, dass die Kin- Linux [17] wird nicht sofort klar, wie nem völlig veralteten Ubuntu 10.10 und der beim Surfen nicht aus Versehen beim viel Religion und wie viel Wellness in Gnome 2 als Desktop. Echt teuflisch! eben beschriebenen Teufelszeug landen, der Ubuntu-basierten Distribution steckt. an Bord sind christliche Tools wie Xiphos Religiös angehaucht sind vor allem die Himmel hilf! (Bibelstudien) und Open LP (Präsentati- Begriffe. Bodhi kann sich auf denselben onsplattform für Kirchen). Die meisten Wortstamm wie Buddha stützen und Christen haben es da etwas besser. Zwar Pilger zur Webseite kommen übrigens steht für den buddhistischen Erkennt- schätzt Distrowatch die Ubuntu Christian aus den USA, gefolgt von Polen. nisvorgang. Auch der Moksha-Desktop (Abbildung 7) deutet auf diese Richtung hin, das Wort steht in den indischen Re- ligionen ungefähr für Erlösung und Er- leuchtung. Auf der anderen Seite kommt mit Enlight- enment 17 auch ein „erleuchteter“ Desk- top zum Einsatz, womöglich ist Moksha also einfach eine Übersetzung des Wor- tes. Spezielle religiöse Software installiert Bodhi jedenfalls nicht vor, die aktuelle Version 3.2 ist im März 2016 erschienen, Buddha gefällt das. Mit weit weniger Wohlgefallen dürfte hingegen seine nudelige Gottheit, das fliegende Spaghetti-Monster [18], auf seine Anhänger und die Landschaft der Linux-Distributionen als solche schauen. Das Linux für Pastafaris, einst von Linux Format halb im Scherz angekündigt [19], bleibt wohl weiterhin ein parmesanbe- streuter Wunsch. Bislang hat sich kein Abbildung 4: Nicht nur beim Booten verzichtet DevilLinux auf eine grafische Oberfläche. siebtragender Entwickler oder Pirat ge- 09/2016 Titelthema funden, um die zentralen Glaubensin- halte auf einem Linux-Desktop zu ver- sammeln. Wäre das Ganze