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»Je höher man gejubelt wird, desto tiefer kann man fallen«

SPIEGEL-GESPRÄCH Nationalspieler Toni Kroos, 31, über Stärken und Schwächen der Nationalmannschaft und warum er selbst nach großen Siegen nicht ausgelassen feiern mag

SPIEGEL: Herr Kroos, Sie haben ge- wichtig wird sein, es als Mannschaft Kroos: Und andere bewundern mich rade eine Covid-19-Erkrankung über- hinzubekommen. Wir wollen das ent- für meine Gelassenheit. Natürlich standen. Hatten Sie die Sorge, die täuschende WM-Turnier 2018 verges- habe ich als Fußballer eine große Europa meisterschaft müsse diesmal sen machen. Wir wissen, dass das Motivation, zu gewinnen. Immer. ohne Sie stattfinden? eine schwierige Aufgabe ist. Aber ich bin eben nicht der Typ, der Kroos: Eigentlich nicht. Ich hatte zu- SPIEGEL: Bundestrainer Joachim auf dem Platz die Emotionen rauslas- nächst gar keine Symptome. Dann Löw will die Defensive stärken und sen muss. Mein Fußball basiert da- bekam ich Fieber, fühlte mich ein so zum Erfolg kommen. Ist das die rauf, alles ein bisschen strategischer paar Tage lang schlapp. Aber das richtige Variante? zu sehen, die Entscheidungen auf kann daran gelegen haben, dass ich Kroos: Er hat aber im gleichen Atem- dem Platz ein bisschen rationaler zu mich nicht wirklich ausgeruht habe, zug auch gesagt, dass wir offensiv treffen. weil auch meine Frau und meine Kin- stark sein müssen. Es muss immer SPIEGEL: Sind Sie auch vor großen der Corona hatten. Da rückt der ei- eine vernünftige Balance da sein, das Finalspielen nicht nervös? gene Zustand in den Hintergrund. Ich haben erfolgreiche Teams immer ge- Kroos: Nein, wirklich nicht. Ich emp- habe mich in erster Linie um meine zeigt. Als wir 2014 Weltmeister wur- finde da eher Vorfreude. Ich weiß Familie gekümmert. Inzwischen geht den, waren wir eine ziemlich eklig zu selbst nicht, wo ich diese Gelassen- es allen wieder gut. bespielende Mannschaft. Das müssen heit herhabe. Ein Punkt ist sicherlich, SPIEGEL: Sie sind deswegen verspä- wir wieder hinbekommen, dass der dass ich immer auf meine Fähigkeiten tet ins Vorbereitungstrainingslager Gegner sagt: Oh, die sind unange- vertraue. Das gibt mir eine große der Nationalmannschaft angereist. nehm. Dafür ist eine aggressive Ver- Ruhe. Klar verspüre ich vor einem Werden Sie das erste EM-Spiel gegen teidigung wichtig. Aber: Wir müssen großen Finale ein Kribbeln im Bauch. Frankreich verpassen? auch wissen, was wir mit dem Ball Aber ich mache mir wirklich keine Kroos: Mein Gefühl sagt mir, dass es anstellen wollen. Das eine baut auf negativen Gedanken. Ich male mir bis zu Beginn der EM hinhauen sollte. dem anderen auf. Damit haben wir eher aus, was ich mit so einem großen Ich habe zwar insgesamt neun Tage uns zuletzt in dem einen oder ande- Spiel erreichen kann. lang nicht richtig trainiert. Aber ich ren Spiel schwergetan. SPIEGEL: Sie spielen immer in wei- bin ja grundsätzlich spielfit. Wir ha- SPIEGEL: Es gibt ein Überangebot ßen Lederschuhen. Glauben Sie, in ben eine lange Saison hinter uns; ich guter Mittelfeldspieler. Müssen auch bunten Schuhen nicht gewinnen zu fange nicht bei null an. Sie um Ihren Stammplatz fürchten? können? SPIEGEL: Wie sehen Sie die Chancen Kroos: Gefürchtet habe ich mich im Kroos: O ja, da bin ich wirklich ein bei der EM? Fußball noch nie. Ich bin es gewohnt, Seriensieger bisschen speziell und werde auch von Kroos: Wir sind nicht Favorit des Tur- in Mannschaften zu spielen, in denen einigen dafür belächelt. Aber: Ich bin niers. Aber das ist nicht schlimm. Das es extrem viele gute Mittelfeldspieler Die Profikarriere von zu 100 Prozent sicher, wenn ich in Toni Kroos macht uns nicht ungefährlich. Wir gibt. Ich versuche aber, meinen Fuß- den vergangenen Jahren nicht mit wissen, dass wir sehr starke Gegner ball, meine Qualitäten anzubieten. 2007 bis 2009 diesem Schuh gespielt hätte, hätte ich Bayern München haben. Wir müssen von Beginn auf Das habe ich bei Bayern München nicht erreicht, was ich erreicht habe. Topniveau starten, damit es nicht gemacht, das mache ich bei Real Ma- 2009 bis 2010 (Leihe) Üblich ist es unter Profispielern ja, schnell wieder zu Ende ist. drid so und auch seit vielen Jahren Bayer Leverkusen alle zwei, drei Monate in einem neu- SPIEGEL: Das klingt sehr vorsichtig. bei der Nationalmannschaft. Und am 2010 bis 2014 en Modell zu spielen, mal blau, mal Kroos: Wir hatten zuletzt Rückschlä- Ende der Tage habe ich mich nie Bayern München grün, mal rosa, mal gelb. Diesen Weg ge dabei, das 0:6 gegen Spanien, das selbst aufgestellt. seit 2014 wollte ich nicht mitgehen, weil sich 1:2 gegen Nordmazedonien. Man hat SPIEGEL: Sind Sie generell ein furcht- Real Madrid mein Fuß dann nicht wohlgefühlt hät- gesehen, was alles nicht funktioniert. loser Mensch? te. Mein Schuh muss weiß sein, und Jetzt ist es wichtig, dass wir uns gut Kroos: Im Privatleben habe ich defi- Die größten Erfolge er muss aus Leder sein. vorbereiten. Ich glaube schon, dass nitiv meine Ängste. Weil es da um 3 x Deutscher Meister SPIEGEL: Sie produzieren sich nicht unser Kader eine absolut hohe Qua- wichtigere Dinge geht. Jeder Familien - 3 x DFB-Pokal-Sieger als Superstar. Wie haben Sie es ge- lität hat. Es gibt wenige Mannschaf- papa weiß, wovon ich spreche. Wenn 2 x Spanischer schafft, in dem glamourösen Fußball- ten, die das an guten Einzelspielern ich aber auf dem Platz stehe, verspü- Meister geschäft auf dem Boden zu bleiben? vorbringen können wie wir. Aber re ich eine große Ruhe. Es geht doch 4 x Champions- Kroos: Das ist wohl meine Erziehung. auch nur um ein Fußballspiel. League-Sieger Mir wurde schon als Kind gesagt, * Das Gespräch führten die Redakteure Marc SPIEGEL: Kritiker werfen Ihnen mit- 1 x Weltmeister dass ich besser bin als die anderen.

Hujer und Gerhard Pfeil in Seefeld, Österreich. unter mangelnde Leidenschaft vor. S !Grafik Ich bekam jede Menge Auszeichnun-

100 DER SPIEGEL Nr. !" / #. $. !%!& S P O R T S E R U T C I P

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Nr. !" / #. $. !%!& DER SPIEGEL 101 S P O R T gen. Trotzdem haben meine Eltern immer gewisse Sachen noch mal viel freier als ich Kroos: Dazu ist ganz wichtig, wie man darauf geachtet, dass ich mich nicht als etwas sprechen kann. Aber wenn er dann zitiert Freundschaft definiert. Wenn Freundschaft Besonderes sehe. Das hat mich bis heute ge- wird, steht da nur »Kroos«, und alle denken, ist, dass man sich die wichtigsten Dinge auch prägt. Ich finde einfach nicht, dass ich wichti- ich hätte das gesagt. im Privaten erzählt, dass man gemeinsam in ger bin als andere. SPIEGEL: Können Sie ein Beispiel nennen? den Urlaub fährt, gibt es da bei mir keine. SPIEGEL: Nach dem WM-Sieg in Rio de Kroos: Ja, es ging mal um den Weltfußballer- Definiert man Freundschaft so, dass man ein Janeiro entstand in der Kabine ein Foto, auf titel. Wer ist das aktuell? guter Mannschaftskollege ist und sich einfach dem die Mannschaft mit Kanzlerin Angela SPIEGEL: . gut versteht und sich freut, tagtäglich mit- Merkel und dem damaligen Bundespräsi - Kroos: … so wichtig ist mir das. Aber darum einander zu arbeiten, dann gibt es da schon denten Joachim Gauck feierte, Sie sah man geht’s mir gar nicht, sondern um . deutlich mehr. im Hintergrund auf einer Bank sitzen. Sie Der war Dritter geworden. Mit Barcelona hat SPIEGEL: Sie sind jemand, der Kontrolle be- saßen abseits, gerade so, als gehörten Sie er im vergangenen Jahr keinen Titel gewon- wahren will. Wären Sie in einem Einzelsport nicht dazu. nen, und da hat mein Bruder im Podcast nicht besser aufgehoben als in einem Mann- Kroos: Ich muss nicht im Mittelpunkt stehen gesagt, Messi hätte bei der Wahl nichts zu schaftssport? und in diesem Moment der Kanzlerin in den suchen unter den Top drei. In manchen Me- Kroos: Gute Frage. Was den Fußball betrifft, Armen liegen. Ich finde, das Foto beschreibt dien wurde daraus: »Kroos: Messi hat unter bin ich unglaublich gern Mannschaftspieler, mich schon ziemlich gut. Ich spiele auf dem den Top drei nichts zu suchen«. Ich als Real- weil ich glaube, dass ich mit meinen Qualitä- Platz gern eine Hauptrolle, beim Feiern trete Spieler war da natürlich befangener als mein ten allein nichts gewinnen könnte. Ich glaube, ich dann einen Schritt zurück. Bruder. Aber mein Gott, dann ist es am Ende dass meine Qualitäten sehr wichtig sind, aber SPIEGEL: Mit Ihrem Bruder Felix nehmen des Tages so. eine Mannschaft allein mit meinen Qua litäten Sie einen wöchentlichen Podcast auf, in dem SPIEGEL: Ist der Fußball Schlangengrube nie ein Spiel gewinnen würde, weil ich weder Sie über Fußball plaudern. Haben Sie nicht oder Wohlfühloase? derjenige bin, der die Tore macht, noch der- Angst, zu viel von sich preiszugeben? Kroos: Wenn man Arbeitsaufwand und Be- jenige, der die Tore verhindert. Mit elf Toni Kroos: Nee, habe ich eigentlich nicht. Die zahlung ins Verhältnis setzt, ist Fußball eine Kroos würden wir vielleicht viel den Ball ha- Leute sollen einen Einblick bekommen, was absolute Wohlfühloase. In meinem Fall so- ben, aber würden nix gewinnen. Aber es gibt wir als Fußballprofis machen, wie gewisse wieso, auf meinem Niveau, aber auch einen auch Momente, wo ich sage, ich wäre gern Dinge ablaufen. Mir ist natürlich bewusst, Tick drunter. Wir alle konnten unser Hobby ein Einzelspieler geworden. dass da auch Sätze und Halbsätze fallen, die zum Beruf machen – schöner geht es nicht. SPIEGEL: Sie haben eine Fußball-App entwi- so oder so interpretiert und aus denen dann Aber natürlich hat der Fußball auch Schat- ckelt, in der Sie Übungen zum Nachspielen große Überschriften werden. Ich will das aber tenseiten. Je höher man gejubelt wird, desto zeigen. Gibt es da jetzt Ihre Tipps für alle? nicht verhindern. Der Podcast kommt am tiefer kann man auch fallen. Eine gewisse Fall- Kroos: Im Lockdown im vergangenen März Mittwoch raus, wir nehmen ihn meistens höhe wird oft nur geschaffen, von den Me- habe ich »Toni’s Home Challenge« veranstal- montags auf, wir hätten also theoretisch die dien, auf Social Media. Und es schafft natür- tet, für die ich jeden Tag eine Übung zum Chance, zwei Tage lang uns den Podcast an- lich auch nur ein ganz kleiner Prozentsatz, Nachmachen gezeigt habe, und Leute haben zuhören und jeden Halbsatz rauszunehmen, sich nicht davon leiten zu lassen, was andere ihre Videos eingeschickt. Das hat mich echt bei dem wir das Gefühl hätten: Oh, der birgt Leute über einen sagen. Das kann mental viel überrascht, wie viele da weltweit mitgemacht ’ne Gefahr. Aber genau das wollen wir nicht. mit einem Menschen machen, der vielleicht haben. Aus dieser Idee habe ich die Toni Wir reden frei und locker. Und von den nur Fußball spielen wollte, aber irgendwann Kroos Academy entwickelt, die Trainings- 40 Podcast-Folgen, die bisher gelaufen sind, auf dem Niveau angekommen ist, wo er öf- tipps gibt, für jedes Niveau – vom Anfänger haben wir uns nur den ersten vorab zur Kon- fentlich bewertet wird. Und da gibt es heute zum Juniorennationalspieler. Die Übungen trolle angehört. Wir reden, und dann raus da- nur noch richtig gut und richtig schlecht, und suche ich selbst aus, ich zeige sie, erkläre mit. Ich habe eine Meinung zu gewissen The- die Mitte, die oftmals richtig ist, ist ein biss- sie, untermalt von echten Spielszenen aus men, und was daraus gemacht wird, kann ich chen verloren gegangen. meinen Profijahren. Und dann will ich auch nicht kontrollieren. Gerade wenn Felix was SPIEGEL: Kann man im Fußballgeschäft zeigen, wie mein Alltag aussieht, was mich sagt, kann das gefährlich sein, weil er über Freundschaften schließen? dahin gebracht hat, wo ich bin, welche Gefahren lauern, was meine Werte sind. Man kriegt fast täglich neue Videos. Der Clou ist eine Feedbackfunktion: User können ihre Trainingsvideos hochladen und dazu professionelles Feedback bekommen. Wir stehen kurz vor der Veröffentlichung. Am 8. August, kurz nach der EM, geht die App an den Start. SPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, dass auch Ihre Kinder mal Fußballprofis werden? Kroos: Schwere Frage. Erst mal ist es wichtig, dass die Kinder es sich mehr wünschen als die Eltern, dass die Eltern ihr Kind nicht als Statussymbol sehen. Mein ältester Sohn ist sieben und spielt in einer Mannschaft. Man merkt dann an sich, dass man emotionaler ist, als man es sein sollte. Ich will natürlich, O G

A dass mein Sohn in erster Linie Spaß hat, aber M I

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irgendwann soll er es auch vernünftig ma- r e l l

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M SPIEGEL: Herr Kroos, wir danken Ihnen für Champions-League-Gewinner Kroos in Cardiff 2017: »Kribbeln im Bauch« dieses Gespräch. I

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