Reinhard Kammler Domkapellmeister Augsburger Domsingknaben Im Gespräch Mit Maximilian Maier Maier
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Sendung vom 26.9.2016, 20.15 Uhr Reinhard Kammler Domkapellmeister Augsburger Domsingknaben im Gespräch mit Maximilian Maier Maier: Herzlich willkommen, verehrte Zuschauer, zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Reinhard Kammler, der Gründer und jetzige Leiter der Augsburger Domsingknaben. Herzlich willkommen, Herr Kammler. Kammler: Grüß Gott! Maier: Wenn man in der katholischen Kirche zu tun hat – Sie hatten auch eine katholische Mutter, Sie sind in einem sehr katholischen Haus aufgewachsen –, stellt sich mir die Frage: Wollten Sie als Kind Pfarrer werden? Kammler: Wir sind natürlich in der katholischen Welt groß geworden, aber die Musik, das Klavierspielen und so weiter, war bei mir immer der dominierende Faktor. Diese Frage hat sich somit eigentlich nicht ernsthaft gestellt. Maier: Ist denn bei Ihnen zu Hause viel musiziert worden? Haben Sie Hausmusik gemacht oder wie kam der Kontakt zum Instrument? Über die Orgel vielleicht? Kammler: Ja, es gab ein Klavier zu Hause. Ich habe sehr früh die Möglichkeit bekommen, privat Klavierunterricht zu nehmen. Ich bin dann in der Tat über das Ministrieren in einer großen Stadtpfarrei in Augsburg zur Orgel gekommen. Orgel und Klavier konnte man schon sehr gut kombinieren. So hat der Weg begonnen. Maier: Wann war es für Sie klar, dass Sie das auch wirklich professionell machen möchten, als Beruf? Kammler: In der Schulzeit. Ich hatte im Rahmen der katholischen Jugend eine kleine Knabenschola, die ich geleitet habe. So bin ich auch zum Gesang gekommen, zu Klavier und Orgel. Ich hatte mir auch eine Zeitlang überlegt, vielleicht Schulmusik zu studieren, und ich habe auch einmal über kurze Zeit Geige gelernt und in die Posaune geblasen. Es war aber dann sehr schnell klar, dass ich mich doch der Kirchenmusik widmen würde. Maier: Sie haben dann unter anderem in den siebziger, achtziger Jahren in München studiert. Was war das damals in München für eine Zeit – unter musikalischen Gesichtspunkten? Es waren große Dirigenten da, wie Carlos Kleiber, der oft an der Münchner Staatsoper gastierte, Sergiu Celibidache kam, Karl Richter, der große Bach-Papst kam. Wie haben Sie das damals wahrgenommen? Kammler: Zunächst einmal habe ich mich während meiner Gymnasialzeit in Augsburg am dortigen Konservatorium, einer Fachakademie für Musik, intensiv mit Musik beschäftigen können. Nach dem Abitur habe ich dort in zwei Jahren das sogenannte B-Examen gemacht und bin dann in der Tat an die Musikhochschule in München. Ich hatte aber schon – weil Sie Karl Richter ansprechen – als Schüler diesen großen Organisten Karl Richter verehrt. Ich kann mich erinnern, dass in den späten sechziger Jahren in Augsburg eine der ersten großen Schleifladenorgeln in der Barfüßerkirche eingeweiht wurde; da hat Richter mehrfach Bach-Abende gegeben, die waren überfüllt. Und ich habe es als Bub sogar einmal geschafft, mich auf die Empore durchzuschlagen, um ihm beim Spielen zusehen zu können. Für mich war das ein ganz faszinierendes Erlebnis, wie er die Orgel, die ja schon ein bisschen etwas Maschinelles an sich hat, so zum Schwingen und Singen brachte, wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Er spielte alles auswendig und konnte genial improvisieren. Das hat mich doch sehr fasziniert und beflügelt, weiterhin an der Orgel dranzubleiben, auch wenn ich natürlich dieses große Vorbild nie erreichen konnte. Später dann – wenn Sie die Zeit in München ansprechen – habe ich ihn auch bei seinen großen Oratorien erlebt, wo er mit dem Cembalo die großen Werke Bachs zum Leben erweckte. So hört man sie heute gar nicht mehr gerne. In der damaligen Zeit aber gab es die sogenannte historische Aufführungspraxis noch nicht. Darüber können wir vielleicht später noch ein bisschen reden. Er hat einfach genial musiziert – jetzt mal unabhängig von irgendwelchen musikwissenschaftlichen Erkenntnissen. Dieses Musizieren an der Orgel und sein Bach-Chor und Bach-Orchester waren für mich als Zuhörer schon sehr prägend. Als ich dann an die Musikhochschule München kam, war er leider schon emeritiert. Maier: Er hatte mit diesen beiden Klangkörpern natürlich auch Ensembles, mit denen er sehr verschmolzen war, die auf ihn eingeschworen waren. Das war ähnlich, wie es jetzt bei Ihnen mit den Augsburger Domsingknaben ist. Ich habe es schon gesagt, Sie sind nicht nur der Leiter, sondern auch der Gründer. 1976 ist dieser Knabenchor gegründet worden, also vor genau 40 Jahren mittlerweile schon. Es verwundert aber erst einmal, dass in Augsburg mit diesem Dom, dieser so bedeutenden Kirche in dieser so alten Stadt in Deutschland, erst in den 1970er Jahren eine solche Knabenschola, ein solcher Knabenchor entstanden ist. Kammler: Streng genommen gab es schon früher Knabenstimmen am Augsburger Dom, so wie an vielen Domkirchen oder Abteikirchen. Es handelt sich also um eine Wiedergründung. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es, glaube ich, Knabenstimmen am Augsburger Dom, die Schola Mariana genannt wurden, in Anlehnung an den Mariendom in Augsburg. Und Bischoff Josef Stimpfle hat mir, als jungem Studenten damals, das Vertrauen geschenkt, an diese Tradition wieder anzuknüpfen und für die Liturgie Knabenstimmen auszubilden. Das ist dann der Weg geworden, den wir bis heute gegangen sind. Das geschah natürlich auch aus der praktischen Überlegung heraus, dass der Domchor der Damen und Herren, die bis dato den umfangreichen liturgischen Dienst alleine versehen haben, entlastet werden. Der Knabenchor tritt mittlerweile mit zwei unabhängigen Ensembles auf. So wird die gesamte Kirchenmusik auf mehrere Schultern verteilt. Maier: Ich bin jetzt mal bewusst ein bisschen provokant, fast ketzerisch: Man hat dann aber nicht gesagt, dass man eine gemischte Kapelle macht, einen gemischten Chor? So weit ist man dann nicht gegangen? Kammler: Provokant hin oder her, das hat natürlich andere Gründe. Es gibt an vielen Domen auch eine Mädchenkantorei. Die können wir einmal gründen, wenn Zeit und die entsprechenden Kapazitäten da sind. Nein, der Knabenchor ist, musikhistorisch betrachtet, das Vokalensemble schlechthin, gerade für den gregorianischen Choral und die Musik bis zur frühen Wiener Klassik, mit Schwerpunkt auf der Renaissancemusik. Die wurde und wird immer noch authentisch von Knabenstimmen gesungen. Maier: Und es gibt auch einen klanglichen Unterschied. Eine Knabenstimme klingt anders als eine Mädchenstimme. Kammler: Ich sage immer etwas flapsig: Die Mädchenstimme ist vor der Pubertät eine Kinderstimme und die Knabenstimme ist eine Knabenstimme. Das hängt natürlich auch mit der spezifischen Anatomie des Kehlkopfaufbaus zusammen. Und die Obertöne, die man durch die Stimmbildung auch entsprechend formen kann, geben dann den speziellen Klanggrad im Obertonbereich für Orlando di Lasso, Giovanni Pierluigi da Palestrina, Hans Leo Haßler und solche Musik. Maier: Sie haben es schon erwähnt, das Hauptaugenmerk und sozusagen die Grundstütze ist die Gestaltung der Liturgie am Dom. Kammler: Ja. Maier: Wie waren die ersten Jahre nach dieser Neugründung? Wie ist das von den Knaben in Augsburg und Umgebung aufgenommen worden? Wie war die Infrastruktur? Denn da muss ja erst einmal viel geschaffen werden. Und wie war es um die musikalische Arbeit bestellt? Kammler: Dadurch, dass ich schon einen kleinen Knabenchor, eine kleine Knabenschola geleitet hatte, die mit mir dann an den Dom gekommen ist, fingen wir nicht bei null an. Zum anderen war und ist bis heute am Augsburger Dom eine sehr strukturierte, klare liturgische kirchenmusikalische Praxis vorhanden, mit gregorianischem Choral und altklassischer Polyphonie. Da sind die Buben sehr schnell hineingewachsen, zunächst natürlich mit schlichteren Kompositionen. Aber schon bald kamen dann auch die großen A-cappella-Werke ins Laufen. Man darf dabei nicht unterschätzen, dass neben der religiösen, kirchlich-substanziellen Arbeit die Beschäftigung mit der altklassischen Polyphonie eine musikpädagogisch hochwertige ist. Die Werke, die wir heute schon lange singen – von Bach, Mozart oder auch letztlich die Opernarbeit, das ganze Spektrum, das wir bedienen – haben ihren Ursprung, die Wurzeln – auch stimmbildnerisch – in der Beschäftigung mit dem gregorianischen Choral und mit der A-cappella-Musik der Renaissance. Wer die handwerklich, musikalisch beherrscht, singt Johann Sebastian Bach vom Blatt. Ich sage das mal etwas vorsichtig, aber es ist ein wahrer Kern enthalten. Meistens wird es umgedreht gemacht. Die strenge A-cappella-Schulung der Einzelstimme ergibt dann auch die Möglichkeit, das Spektrum der musikalischen Arbeit interessant und weit zu gestalten. Maier: Das Spektrum hat sich auch sehr schnell erweitert, hin zu den angesprochenen Tätigkeiten, zum Beispiel in der Oper. Am bekanntesten sind die drei Knaben in der Zauberflöte, die gerne mit Knabensolisten besetzt werden. Da waren und sind auch die Augsburger gefragt. Daneben stehen internationale Konzerte in vielen Ländern, mit großen Orchestern, mit berühmten Dirigenten. Sie treten aber auch in Unterhaltungssendungen im Fernsehen auf. Auch da haben Sie keine Scheu vor der Erweiterung des Repertoires. Was hat die Diözese Augsburg am Anfang dazu gesagt, als es auch in diese Richtung ging? Kammler: Die Diözese Augsburg hat mich in meiner Arbeit, auch inhaltlich, eigentlich immer unterstützt, weil man wusste und weiß, dass ich den Kern unserer Arbeit in der Liturgie sehe, und die zusätzlichen Dinge, die kommen, wie die Unterhaltungsmusik, noch ein besonderes Flair hereinbringen, auch für die Kinder, die Buben, die jungen Leute im Tenor und Bass. Sie sollen dann später auch mal eine Unterscheidung treffen können,