Briefe Aus Italien
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*«> THE LIBRARY OF THE UNIVERSITY OF CALIFORNIA LOS ANGELES EX LIBRIS GUSTAV GLÜCK Ubi o CARL JUSTI BRIEFE AUS ITALIEN 1922 VERLAG VON FRIEDRICH COHEN • BONN Carl Jusii 1868 CARL JUSTI BRIEFE AUS ITALIEN 1922 VERLAG VON FRIEDRICH COHEN • BONN Copyright 1922 by Friedrich Cohen, Bonn Art Library VORWORT WENN Carl Justi es unternommen hat, in Briefen an die Seinen Eindrücke bei seiner ersten Fahrt nach Italien, das er schon so lange sehnsüchtig mit der Seele gesucht hatte, zu schildern, so wird man erwarten können, daß die Fähigkeit, die ihn zum ersten Kunstkenner unserer Zeit gemacht hat, auch hier sich zeigen werde, die Fähigkeit, überall das Characteristische zu sehen und das Schöne zu empfinden. Und denkt man weiter an den Meister des Worts, als welcher er sich in seinen Büchern ge- zeigt hat, an die unglaubliche Vielseitigkeit seiner Kenntnisse in Geschichte und Literatur, so wird man nicht zweifeln, daß seine Berichte aus Italien durch ganz besondere Reize ausgezeichnet sein werden. Daher wurde mir dieErlaubniß der Schwester des großen Meisters, diese Briefe zu lesen, welche er von der Reise an Eltern vmd Ge- schwister gerichtet hat, zu einem werthvollen Geschenk. Und ich fand meine Erwartungen ganz erfüllt. Justi giebt nicht einen eigent- lichen Reisebericht, sondern er greift einzelne Scenen aus dem Er- lebten und Geschauten heraus; mag er über Kirnst sprechen, oder über Kirchen- und Volksfeste, Naturschildervmgen geben oder Menschen zeichnen, immer sind es in sich vollendete Skizzen, feine Vergleiche, geistvolle Bemerkungen, die oft einem selbst nur dunkel bewußt gewordene Empfindungen klar aussprechen. Die Leetüre wurde mir ein hoher Genuß, und da meinte ich, daß es vielen ebenso gehen werde, wie mir. Gerade in der jetzigen III Zeit, wo die Gegenwart so viel Leid und Elend zeigt, wo die Zu- kunft trübe vor uns liegt, da rettet man sich gern in die Welt der Schönheit in Kunst und Natur, man taucht in den Jungbrunnen des unvergänglich Edlen, aus dem man neue Kraft schöpft, die Gegenwart zu tragen und für die Zukunft zu hoffen. So habe ich Frl. Justi gebeten, die Briefe ihres Bruders auch andern zugänglich zu machen; ein solcher Schatz dürfe nicht ver- graben bleiben. Sie hat eingewilligt und mich mit der Herausgabe beauftragt. Ich zweifle nicht, daß sie allen Kennern und Freunden Italiens reichen Genuß gewähren werden. Aber die Briefe bringen noch mehr: sie geben tiefe Einblicke in das Wesen und Werden Justi's, dieses großen Menschen, der so still und nach außen verschlossen durch die Welt gegangen ist, und dessen inneres Leben doch so unendlich reich gewesen ist, wie seine Schriften, nicht zum wenigsten diese Briefe, zeigen. Mit Wehmut wird man lesen, daß er seine Kunstschätze, Kupferstiche, verkaufen mußte, um die Reise nach Italien zu ermöglichen, die ihm Sein oder Nichtsein bedeutete. Man wird mit ihm aufjubeln, wenn er aus seinem Fenster den Blick über das Forum schweifen lassen kann, und man wird es freudig mitempfinden, wenn er durch Venedigs Kunstschätze wandelnd vor Wonne über all die Schönheit wie tnmken vor sich hinlacht und mit sich selbst spricht. — Und wenn nach zwei Jahren solchen Wandels in Freiheit imd Schönheit, in erfolgreichem Kunstforschen, das Ende herarmaht, wird man mit ihm schmerzvoll den Druck fühlen, der sich auf seine Seele legt, daß das alles „gewesen" sein soll, daß er zurück- kehren muß in die Enge der kleinen Universitätsstadt, daß er sich nicht mehr Kunststudien hingeben kann, von denen er fühlt, daß sie sein Lebenselement sind, sondern über Philosophie lesen muß, an der er längst das Interesse verloren hat. So erhalten die letzten Briefe einen ganz anderen Character: vor den Augen und dem Geiste des Lesers spielt sich ein schwerer innerer Kampf ab, über IV den aber der Gedanke tröstet, daß Justi aus ihm als Sieger in jeder Beziehung hervorgegangen ist. Um den Freunden Justi's zu zeigen, wie bald er sich wie ein Adler über das trübe Gewölk hinaufgeschwungen hat, füge ich den Briefen einige Seiten aus seinem Reisetagebuch zu, die er am lo. April in Florenz geschrieben hat. Sie geben eine Characteristik von Rom und Florenz, und gehören zu dem Großartigsten, was wir Justi verdanken. So wird ein versöhnender Abschluß gewonnen, und das Ganze klingt wie in einem Hohenliede axis. Justi beabsichtigte mit den Briefen nichts weniger, als kunst- historische Abhandlungen; sie sollten nur den Angehörigen über sein Befinden und Empfinden Bericht geben. Sie sind nicht für die Oeffentlichkeit geschrieben; aber in einem Briefe ermächtigt Justi seine Schwester, sie auch andern zu zeigen, er macht sie zur „padrona" der Briefe. Diese kommen hier völlig unverändert zum Abdruck; nur ganz geringe Theile, die sich auf Familienverhältnisse und einzelne Per- sonen beziehen, sind im Einverständniß mit Frl. Justi fortgelassen. Die Zeit, aus welcher die Briefe stammen, war eine politisch sehr bewegte, die Zeit zwischen 1866 und 1870; die Weltgeschichte klingt in den Briefen oft durch. Justi's Heimat, Hessen, war da- mals eben preußisch geworden, gewiß nicht zur Freude aller Hessen. Italien hatte dank dem Siege Preußens über Oesterreich alte Träume verwirklichen können; aber Rom fehlte noch, die päbstliche Herr- schaft wurde durch die Franzosen geschützt, und der Versuch Garibaldis, den Kirchenstaat zu erobern, wurde durch die franzö- sischen Chassepots bei Mentana vereitelt. Erst der deutsche Krieg 1870 sollte Italien seine Hauptstadt bringen. Zum Verständniß der Briefe wird es beitragen, wenn ich noch einige Worte über das Leben Justi's vorausschicke. Justi ist am 2. August 1832 in Marburg geboren als ältester Sohn des Pfarrers an der protestantischen Kirche, der seine Amts- V Wohnung im Kämer i) hatte. Die folgenden Geschwister waren: Ferdinand, der bekannte Orientalist, Ludwig, der als Arzt in Mar- burg gewirkt hat, und endlich die Schwester Friederike, die Carl Justi während des letzten Vierteljahrhunderts seines Lebens ein behagliches Heim in Bonn bereiten sollte. Justi besuchte von 1 840 bis 1850 das Gymnasium in Marburg, welches damals unter der Leitung von Vilmar stand. Er gewann großen Einfluß auf Justi, imd durch ihn und eine alte Familientradition wurde Justi veran- laßt, sich dem Studium der Theologie zu widmen. Von seiner Studienzeit brachte er drei Semester in Berlin zu, Herbst 1851 bis Ostern 1853, die übrige Zeit in Marburg, trieb vornehmlich Theologie und Philosophie. Aber eine innere Stimme sagte ihm offenbar schon sehr früh, daß er sich nicht im rechten Fahrwasser befinde; so fühlte er sich unbefriedigt, suchte Hülfe in falscher Richtung und war einmal nahe daran, beeinflußt durch Thiersch, das Heil im Beitritt zur Secte der Irvingianer zu suchen. Und doch war er durch den Großvater Karl Wilhelm schon als Knabe in Berährung mit der Kunst gekommen. In einer kurzen Selbst- biographie aus dem Jahre 1902 schreibt Justi: „Hätte ich statt im Jahre 1850, 1860 die Universität bezogen, so würde ich mich wahrscheinlich schon als 18 -jähriger dem Stu- dium der Kunst zugewendet haben. Hierzu war ich damals vor- bereitet, wie wenige. Ich hatte mit Erfolg Zeichnen und Malen gelernt, mein Lehrer hatte sogar den Eltern ca. 1846 den Rat gegeben, mich Maler werden zu lassen. Besonders hatten mich die mittelalterlichen Denkmäler Marburgs zu einem begeisterten Ver- *) Der Name dieses alten Hauses stammt von Carnarium, Beinhaus, ein Gewölbe, in das die der geweihten Erde des Kirchhofs entnommenen alten Knochen geworfen wurden. Auf dieses Gewölbe wurde in Mar- burg später ein Stock aufgesetzt, der zu den Ratsversammlungen diente, und noch später wurde das Haus zur Amtswohnung des Pfarrers. Es wird in den Briefen mehrfach erwähnt. VI ehrer der Gothik gemacht, und ich hatte mich durch Reisen, Auf- nahmen von Kirchen mit ihren Systemen vertraut gemacht. Ich war fast täglich im Berliner Museum (1851), und hatte Monate lang in Dresden, Wien, später München, die Gallerien studirt." Die Reise nach Dresden und Wien hatte die Herbstferien 1852 gefüllt. In einem Bericht über seinen Studiengang, den Justi 1854 für das theologische Examen verfaßt hat, und der sich unter den Universitätsacten auf dem Marburger Staatsarchiv befindet, schreibt Justi: „Ich bereue es nicht, daß ich damals ein ganzes Vierteljahr Kunststudien lebte. Ganz abgesehen von dem Einfluß auf die Bil- dung des Schönheitssinnes wird niemand läugnen, daß die Be- schäftigung mit wahren Kunstwerken auch auf die Sittlichkeit wohl- thuend wirkt. Die Kunst befreit und bindet auch wieder, aber es sind Bande, die wir mit Freude tragen. Sie befreit von Rohheit und gemeinem Sinn, sie öffnet die Organe für das Gute und Große im Menschen, sie berührt mit sanfter Gewalt die dem Höheren zugekehrte Seite in unserm Innern, und überzeugt uns, daß auf dem Grunde unserer Natur die Liebe zu dem Idealen liegt. Wenn ich an jene Augenblicke zurückdenke, so komme ich mir vor wie ein Wanderer, der die Nacht hindurch im Nebel und dichteren Gründen umhergeirrt ist, wenn endlich gegen Morgen die Wolken verschwinden, und sein Blick an der reinsten Morgenröthe sich erquickt." — Ob wohl diese schönen Worte des 2 2 -Jährigen seine theologischen Examinatoren erfreut haben mögen? Leider blieb dies Versenken in die Kunst vorläufig nur eine Episode. Er setzte seine theologischen Studien fort und vollendete sie in Marburg, in dessen Nachbarschaft er auch gepredigt hat. Aber sobald er dies zuerst gesteckte Ziel erreicht, wandte sich Justi ganz von ihm ab, imd widmete sich der Philosophie und mehr noch der Kunstgeschichte. Im December 1859 machte er sein Doctor-Examen mit einer Arbeit über „die ästhetischen Ele- VII mente in der platonischen Philosophie", und habilitirte sich gleich- zeitig mit einer Antrittsvorlesung über Schopenhauer. — Im Fe- bruar 1867 wurde er zum Extraordinarius für Philosophie in Mar- burg ernannt, bekam gleichzeitig einen Lehrauftrag für Archäologie. Aber bevor er sein Amt antrat, erhielt er Urlaub zu seiner Reise nach Italien. Diese war ursprünglich auf ein Jahr berechnet, wurde dann um noch ein Jahr verlängert. Noch während der Abwesen- heit, im Januar 1869, wurde er Ordinarius für Philosophie, und kam in gleicher Eigenschaft im Herbst 1871 nach Kiel.