«Mysterium der Wirklichkeit» Biologe, Bildhauer, Erfinder: Igor Ustinov über seinen legendären Vater, das Hitler-Mordkomplott seines Grossvaters und wie er mit PET-Flaschen die Welt retten will. Urs Gehriger

as Dörfchen Rue im verschlafenen Frei- hat Ihr Vater über Sie geschrieben. Herr Usti- tails konzentrieren, können Sie nicht in meine burger Hinterland. Unter den lieb- nov, erkennen Sie sich in seinen Worten wieder? Welt eintreten. Meine Welt spricht über das, Dlichen Wiesen schlummert ein magi- Ustinov: Es stimmt, ich bin ein Träumer in was hinter unseren Handlungen steckt. Wenn sches Kraftfeld der Innovation und Inspiration. dem Sinne, dass ich Dinge in meinem Kopf kon- Sie mit meinen Skulpturen leben, werden Sie Von den nahen Schlosszinnen liess Flugpionier zipieren und erschaffen kann. Das ist, glaube diese Energie spüren. Ich möchte, dass meine Ferdinand Ferber 1898 seine Nichte mit einem ich, eine meiner grossen Qualitäten. Ich habe Skulpturen Optimismus versprühen und den selbstgebauten Segler in die Felder gleiten. jeden Tag eine neue Idee. Wenn ich an etwas Menschen Energie verleihen. Wenn Sie eine Sie überlebte. Und damit die Hoffnung, die denke, gebe ich ihm eine Form. Es ist wie ein Skulptur eines alten Mannes mit einem Stock Schwerkraft zu überwinden. Wo einst der Tüft- Spiel. Ich stelle eine Skulptur fast vollständig sehen, mit Falten, dann fühlen Sie sich so, ler seinen Prototypen landete, hat Igor Ustinov in meinem Kopf her, dann gehe ich hin und auch wenn es eine schöne Skulptur ist. Wenn sein Atelier aufgeschlagen. fertige sie. Diese Fähigkeit, Dinge in meinem ein alter Mann mit einem Stock eine meiner Mit Löwenmähne, getrimmtem Bart und Kopf zu schaffen, erlaubt es mir, auch viele an- Figuren voller Energie sieht, wird er vielleicht einem Gläschen Weissen in der Hand steht dere Sachen zu tun. Ich mag ein Träumer sein, sagen: «Das Leben ist nicht zu Ende. Ich kann er inmitten seiner Bronzeplastiken, einem und die Kunst ist es, die mich in dieser Welt immer noch etwas Grossartiges tun.» Das ist Skulpturenwald, strotzend vor roher Energie. verankert. Ich komme mir ein bisschen vor wie im Grunde die Energie, die ich auf andere Men- «Meine Skulpturen sollen Optimismus ver- schen übertragen möchte. sprühen und den Menschen Zuversicht ver- «Ich mag ein Träumer sein, Weltwoche: Ihr Atelier liegt in einer idylli- leihen.» Kein Wunder, ist Igor Ustinov, 64, und die Kunst ist es, die mich schen Landschaft, nur zwanzig Autominuten gesegnet mit dem Gen der Genialität. Seine von der Stadt Lausanne. Warum sind Sie nach weitverzweigte Familie brachte weit über fünf- in dieser Welt verankert.» zwei Jahrzehnten in der Pariser Kunstszene zig Künstler hervor. Nach Russland, England, hierhergezogen? Frankreich, Deutschland, Israel, Italien, in die dieser kleine Junge aus dem Märchen, der in der Ustinov: Mein Vater hatte schon viele Jahre in Schweiz und bis an den Kaiserhof von Äthiopien Welt herumläuft und hinter sich kleine Brot- der Schweiz gelebt, und er wurde langsam alt. reichen die ­Wurzeln des Clans. krumen fallenlässt. Ich lasse Bronzeskulpturen Also beschloss ich, hierherzukommen, um ihm Krönende Spitze der kosmopolitischen Usti- hinter mir zurück, und das schon seit einer gan- näher zu sein. Für mein Studio suchte ich einen nov-Brillanz war Igors Vater – – zen Weile. authentischen Ort. In diesem ländlichen Gebiet Universaltalent, Schriftsteller, Regisseur, Welt- Weltwoche: Viele Ihrer Skulpturen haben sind die Grundwerte der Schweiz verankert. Wir bürger, Unesco-Botschafter und zweifacher dynamische und schlanke Körper. Die Arme diskutieren hier nicht über dieselben Themen Oscar-Preisträger, strotzend vor Witz und in die Luft erhoben, die Brust herausgestreckt. wie unter Philosophen oder Künstlern, mit Selbstironie. Unvergesslich, wie er im epochalen Was symbolisieren sie? denen ich mich früher in Paris herumgetrieben Sandalenfilm «Quo Vadis» den vertrottelten Kai- Ustinov: Ich war wahrscheinlich noch in der habe, aber meine Nachbarn sind zutiefst gute ser Nero gab, der mit Piepsstimme das lodernde Schule, als ich diese Figur schuf. Ich nannte sie und ehrliche Menschen. Und wenn man bereit Rom besang und in affektiertem Selbstmitleid «Der Mathematiker». Sie wurde nach der Zahl ist, sich zu integrieren, wird man akzeptiert. seine Tränen in einem Kelch sammelte. eins geformt, die Grundlage unserer Identität Weltwoche: In den 1960er Jahren zog Ihr Aus dem Schatten dieses Denkmals zu tre- ist. Mein Ehrgeiz war es, die Morphologie der Vater in die Schweiz. Er lebte mit Ihrer Fami- ten, kostete «enorm viel Kraft», sagt Sohn Igor. Energie zu schaffen. Wenn wir uns zum Bei- lie in einer Hotelsuite in Montreux neben Vla- Längst hat er seinen Weg gefunden, und dies in spiel fortbewegen, wenn wir einen Fuss vor dimir Nabokov, den er verachtete, und führte typisch ustinovscher Vielseitigkeit und mit pfif- den anderen schieben, steht ein Wunsch und «ein entsetzliches Dasein, wie ein Exilkönig, figem Erfindergeist. «Ich kann kaum Schritt hal- ein Wille hinter dieser Handlung. Wir schaffen der geduldig auf ein Attentat wartete», wie er ten mit meinen Ideen», sagt der ambitiöse Wahl- unsere Energie durch unsere Motivation. Diese in seinen Memoiren schrieb. Später wurde er schweizer mit sanfter Stimme, die er mit Charme innere Energie fasziniert mich. Schweizer Staatsbürger und schien unseren gewinnend einzusetzen weiss. Mit seinem neus- Weltwoche: Die Köpfe Ihrer Figuren haben ­ruhigen Lebensstil zu mögen. Als er 2004 im ten Geniestreich will er nicht weniger als die Ver- keine Augen und keinen Mund. Sterben lag, hielten Sie seine Hand. War er trau- lierer dieser Welt aus ihrem Elend hieven. Ustinov: Um diese Energie auszudrücken, rig, dass er gehen musste? musste ich mich von den äusseren Eigen- Ustinov: Er war jemand, der sein ganzes Weltwoche: «Igor ist eher ein Träumer, der in schaften der Persönlichkeit wie Ohren, Nase, Leben lang von Millionen von Menschen um- seinen eigenen Abstraktionen zu Hause ist», Augen befreien. Wenn Sie sich auf diese De- geben war, die ihn mochten. Im Krankenhaus

34 Weltwoche Nr. 33.20 «Die negative Energie überwinden, die einen nach unten zieht»: Multitalent Igor Ustinov. war er völlig allein, und in gewisser Weise Ustinov: Es war extrem schwierig. Als ich ein- Weltwoche: Wie hat Ihr Vater reagiert, als er er- war er sauer, sterben zu müssen. Aber er ver- mal eine schlimme Phase durchmachte, sagte fuhr, dass Sie Künstler werden wollten? suchte immer noch, witzig zu sein und dem ein Arzt zu mir: «Wie können Sie, der Sohn Ustinov: Ich erinnere mich, ich war zwölf, unabwendbaren Lauf des Dramas ein Schnipp- eines Denkmals, Denkmäler schaffen? Sie müs- als der Direktor meiner Schule, des Institut chen zu schlagen. Er hatte Wasser auf der sen eine unglaubliche Energie haben.» In der Le Rosey in Rolle, meinen Vater in sein Büro Lunge, und wenn ich mich seinem Bett näher- Tat musste ich enorm viel Kraft aufbringen, aufbot. Er sagte ihm: «Ihr Sohn will Künstler te, gab er ein blubberndes Geräusch von sich um meinen eigenen Weg zu gehen. Ich prägte werden, machen Sie sich keine Sorgen?» Mein und zog ein Hundegesicht. meine Seele in die Materie der Welt ein. Die Er- Vater antwortete: «Ja, eigentlich bin ich sehr Weltwoche: Erinnern Sie sich an seine letz- zeugnisse davon stehen draussen in aller Welt, besorgt. Neulich sass ich mit dem Vater von ten Worte? in der Bronx, in Paris, in England, in Bulgarien. Picasso zusammen, der ebenfalls sehr besorgt Ustinov: Seine bedeutendsten letzten Worte Natürlich ist es schwierig, vom Kunstbetrieb war.» (Lacht) äusserte er in einem Interview mit der Sunday anerkannt zu werden, wenn man einen be- Weltwoche: Ihr Vater schien ein häufiger Times. Der Reporter sprach mit meinem Vater rühmten Namen hat. Aber nach all den Jahren Besucher im Büro des Schulleiters gewesen zu und mit mir getrennt. Ich schloss mit den Wor- habe ich alle Hindernisse überwunden. sein. ten: «Mehr als mein Vater ist er mein Freund.» Weltwoche: Selbst im britischen Königshaus Ustinov: Ja. Ein anderes Mal rief der Schul- Er endete auf genau dieselbe Weise: «Mehr schwärmt man von Ihnen. leiter meinen Vater herein und beschwerte als mein Sohn ist er mein Freund.» Man be- Ustinov: Bei einer Veranstaltung im Clarence sich: «Ihr Sohn bringt alle zum Lachen, und kommt von Kindern oft zu hören: «Du musst House – auf Einladung von Prinz Charles – kam niemand kann richtig lernen.» Mein Vater ant- das Bild deines Vaters töten, um du selbst zu Camilla auf mich zu. Wir sprachen über Bild- wortete: «Aber ich verdiene meinen Lebens- werden.» Ich musste nie jemanden töten. Ich hauerei, und sie gestand mir: «Ich wäre gerne unterhalt auf diese Weise, was soll ich ihm war immer ich selbst. Bildhauerin geworden.» Ich erklärte ihr: «Wenn bloss sagen?» Weltwoche: Dennoch standen Sie im Schat- man Bildhauerei betreibt, vergisst man alles, Weltwoche: Laut Ihrem alten Schulfreund, ten Ihres Vaters. Wie hart war es, der Sohn von und es ist wunderbar.» Dann schaute uns Prinz dem Spitzenhotelier Jean-Jacques Gauer, hat- «Nero» zu sein. Charles über die Schulter an und sagte: «Skulp- ten Sie die Gewohnheit, regelmässig aus der Ustinov: Sie werden zu einem Attribut. turen? Ja, natürlich, das Problem ist bloss, sie zu Schule auszubüxen. «Sohn von» ... einem berühmten Schauspieler, verkaufen, nicht wahr? Hahahaaa hahaha.» Ich Ustinov: Ja, das war vor fünfzig Jahren, als ich einem Schriftsteller, einer Weltberühmtheit. dachte, «du kannst gut lachen, ich muss meinen zum ersten Mal weggelaufen bin. Jean-Jacques Weltwoche: Wie sind Sie damit um- Lebensunterhalt selbst verdienen». Aber Sohn war damals einer der älteren Schüler. Der Di- gegangen? der Königin zu sein, ist auch nicht einfach. rektor bat ihn, mich zu suchen. Er fand mich

Weltwoche Nr. 33.20 35 Bild: Caspar Martig für die Weltwoche problemlos, und wir hatten eine gute Zeit. Spä- nonen für den verrückten Kaiser Theodor II., Ustinov: Als Spion muss man eine sehr ver- ter kam er zu mir und fragte: «Wann reissen wir der ihn an seine eigene Erfindung ketten liess, schwiegene Person sein. Mein Grossvater hatte wieder aus?» Ich sagte: «Ich habe keine Pläne.» damit er nicht entkommen und Waffen für viele geheime Freundinnen. Man nannte ihn Er schlug vor: «Nun, ich würde gerne meine andere bauen konnte». 1924 kam es zu einem «Klop». Klop bedeutet auf Russisch Bett- Freundin in Lausanne besuchen, also wenn es denkwürdigen Treffen mit Kaiser Haile Selas- wanze. Es war seine Frau, die ihn so nann- dir nichts ausmacht, warum läufst du nicht am sie, dem «Löwen von Juda», der mit zwanzig- te, weil er von einem Bett ins andere sprang. Freitag weg?» Das spielte sich so ein. Auf unse- köpfiger Delegation, inklusive Prinzessinnen, (Lacht) rer Flucht versteckten wir uns jeweils im Haus in der Privatwohnung der Ustinovs in Lon- Weltwoche: Sie war sich dessen offensicht- meines Vaters, das leer stand. Ganze Wochen- don dinierte. lich bewusst? enden amüsierten wir uns mit Mädchen aus an- Ustinov: Ja, dieses Geheimnisses war sie sich deren Schulen. Als wir am Montag in die Schule Weltwoche: Haben Sie noch Kontakt zu Mit- bewusst, und sie litt ein wenig darunter. Aber zurückkehrten, pflegte Jean-Jacques zu sagen: gliedern der äthiopischen Königsfamilie? sie hatte keine Ahnung, was er als Spion wirk- «Vergiss nicht, ein deprimiertes Gesicht auf­ Ustinov: Letztes Jahr wurde ich in das Royal lich tat. zusetzen, schliesslich haben sich deine Eltern Victoria and Albert Museum eingeladen, weil ja kürzlich scheiden lassen.» die Briten beschlossen haben, die Krone von Während des Ersten Weltkriegs kämpfte Jona Weltwoche: Sie haben früh Ihre eigene Kar- Kaiser Theodor II. an Äthiopien zurückzu- Freiherr von Ustinov als Pilot auf deutscher riere verfolgt. Sie liessen sich zum Opernsänger geben. Ich wurde eingeladen, weil die His- Seite. In den frühen 1930er Jahren wurde er ausbilden. toriker dachten, dass meine Verbindung zur Presseattaché an der deutschen Botschaft in Ustinov: Und ich war an der Kunstschule königlichen Familie Äthiopiens bemerkens- . Als er gebeten wurde, den «Arier- der Pariser Beaux-Arts, und ich habe Biologie wert eng war, immerhin war meine Ururgross- nachweis» abzuliefern, gab er seinen deut- an der Pariser Universität der Wissenschaften mutter eine Oromo-Prinzessin. An der Zeremo- schen Pass auf, warf sein Eisernes Kreuz auf studiert. nie nahmen auch viele Rastafaris aus Jamaika den Müll, wurde britischer Staatsbürger und Weltwoche: Alles zur gleichen Zeit? teil. Sie sahen mich ungläubig an: «Du bist mit kämpfte als Geheimagent für den MI5 gegen Ustinov: Ja. der kaiserlichen Familie verwandt, und du bist das Naziregime. Welche Rolle er genau spiel- Weltwoche: Wie war es möglich, sich simul- weiss und trinkst...», schienen sie sich zu wun- te, wurde erst 2002 enthüllt, als die britischen tan auf so unterschiedliche Themen zu kon- dern. Meine Erscheinung zerstörte ihre Auf- Archive Zugang zu Dokumenten dieser Zeit zentrieren? gewährten. Ustinov: Mein Vater hatte ein Segelboot «Ich versuche, die Dinge auf Lange vor dem Mordkomplott von Graf von und wir segelten oft an den Küsten entlang. einfache Art und Weise zu verbessern, Stauffenberg 1944 stand «Klop» Ustinov im Ich merkte, dass er das Land betrachtete und Mittelpunkt eines Plans, zu stür- sich wahrscheinlich vorstellte, was in den Häu- indem ich nach Lösungen suche.» zen und den Krieg zu verhindern. Schon Mo- sern geschah. Er war fasziniert von mensch- nate vor der Besetzung der Tschechoslowakei lichen Beziehungen. Ich hingegen schaute auf fassung von ­Religion und Tradition völlig. Und 1939 gab die deutsche Widerstandsgruppe um das Meer, in die Leere des Himmels und des sie waren verärgert, dass ich dem legendären Admiral Canaris und Oberstleutnant Oster Hit- Ozeans. Mein Hauptinteresse galt nicht den Kaiser Haile Selassie durch meine Familien- lers Geheimpläne an die Briten weiter. Sie hoff- Menschen. Ich war mehr von der Natur faszi- bande näherstand als sie. ten, die britische Regierung dazu bewegen zu niert, vom Unbekannten und Unkontrollier- Weltwoche: Kürzlich flammte die ethnische können, Deutschland mit einem militärischen baren. Ich glaube, ich habe nach dem Myste- Gewalt in Äthiopien auf. Mindestens zwei- Gegenschlag zu drohen. Mit Unterstützung rium der Wirklichkeit gesucht, als ich Biologie hundert Menschen wurden getötet. aus London wollten die Offiziere in Berlin den studierte. Und dasselbe suchte ich auch in der Ustinov: Die Massenmorde ereigneten sich Putsch riskieren. Bildhauerei. Bald merkte ich, dass ich nicht die nach der Ermordung eines populären Sän- Qualitäten eines Wissenschaftlers besitze, denn gers [Hachalu Hundessa, die Red.]. Die Opfer Weltwoche: Die Kontaktperson der deutschen in der Forschung muss man auf die Ergebnisse des Massakers waren Oromo, Leute also von Widerstandsoffiziere in der britischen Haupt- warten. Das Gute an der Bildhauerei ist, dass meinem Stamm, dem grössten in ganz Äthio- stadt war ein MI5-Spitzenagent mit dem Code- man selbst seine Ergebnisse schafft. pien, auf den ich sehr stolz bin. Eine Freundin namen Middleton-Peddelton. Hinter diesem Weltwoche: Wie würden Sie Ihren Charakter von mir in Genf, die eine Oromo-Prinzessin Codenamen stand Ihr Grossvater, Jona von in wenigen Worten zusammenfassen? ist, kam neulich auf mich zu. Sie ist besorgt, Ustinov. Ustinov: Mein Ziel ist es, die negative Ener- dass sich Äthiopien in ein neues Ruanda ver- Ustinov: Ein Filmteam des deutschen ARD- gie zu überwinden, die einen nach unten zieht. wandelt. [Ustinov greift zum Handy und liest eine Fernsehens, das für eine Dokumentation re- Ich versuche, die Dinge auf sehr einfache Art SMS]: «Bonjour, le peuple Oromo a besoin de cherchierte, enthüllte die entscheidende Rolle, und Weise zu verbessern, indem ich nach Lö- ton aide.» Sie will, dass ich für die Rechte der die mein Grossvater spielte. Als Presseattaché sungen suche. Oromo eintrete. der deutschen Botschaft sah er alle möglichen Weltwoche: Sie könnten neuer Stammes- Dokumente, welchen deutlich zu entnehmen Die Vorfahren der Familie Ustinov lassen sich führer der Oromo werden. war, dass Hitler einen Krieg vom Zaun brechen bis in die Schweiz und nach Äthiopien ver- Ustinov: (Lacht) Das wäre sehr amüsant. Und wollte. Wie sich herausstellte, arbeitete mein folgen. Igor Ustinovs Urgrossmutter Magda- was kommt als Nächstes? Grossvater eng mit einem deutschen Diplo- lena war die Tochter einer äthiopischen Hof- Weltwoche: In Ihrer Familie mangelt es nie maten namens Wolfgang Gans Edler Herr zu dame und eines Schweizer Missionars aus an Überraschungen. Vor ein paar Jahren wurde Putlitz, einem Aristokraten, zusammen. Sie be- Rheinfelden. «Da er Schweizer war, war er eine komplett verborgene Seite Ihres Gross- schlossen gemeinsam, deutsche Dokumente zu offenbar auch so etwas wie ein Ingenieur», vaters, Jona von Ustinov, enthüllt. stehlen, mit einer Minox, einer Subminiatur- schreibt Peter Ustinov in seinen Memoiren Ustinov: Ja, er war ein Spion. kamera, fotografische Kopien anzufertigen und «Dear Me», «und neben seinen anderen reli- Weltwoche: Kein gewöhnlicher Spion, wie sie den Briten zur Verfügung zu stellen. Als sie giösen Pflichten baute er unter anderem Ka- sich herausstellte. die Akten des Geheimdienstes öffnete, wurde

36 Weltwoche Nr. 33.20 den Traditionen der Länder von Afrika, Sibirien bis Asien oder wo immer Sie sie bauen? Ustinov: Ja. Das Geheimnis liegt in dem Design, das ich zusammen mit André Hoff- mann, Vizepräsident der Roche Holding AG, entwickelt und patentiert habe und das bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Unser modu- lares Bausystem kann an die meisten lokalen architektonischen und kulturellen Traditio- nen angepasst werden. Die Häuser werden mit INSIDE WASHINGTON einem Balkenlastsystem mit Zwischenteilen hergestellt, die ebenfalls aus recyceltem PET- Kriegsross Schaum bestehen. Die Idee war, den gesamten Abfall zu recyceln und ihn in der lokalen Kreis- und Tornado laufwirtschaft wiederaufzubereiten. Heute Nächste Woche wird der ehemalige Vize- macht Beton etwa 8 Prozent der CO2-Emissio- präsident Joe Biden zum Kandidaten der nen in der Welt aus. Das ist enorm. Um eine Demokratischen Partei für die Präsident- Tonne Beton herzustellen, benötigt man 520 schaftswahlen im Jahr 2020 erklärt, ausser Sohn von «Nero»: Igor (r.), Vater Peter Liter Wasser, und Wasser wird in vielen Teilen es kommt zu einem seltsamen Patzer, der und Mutter Suzanne, um 1960. der Welt sehr knapp und kostbar. Als ich 1956 in diesem seltsamsten aller Jahre immer geboren wurde, betrug die Weltbevölkerung möglich ist. Das 77-jährige Washington- etwa 2,4 Milliarden, heute sind es 7,9 Milliar- Kriegspferd galoppiert mit acht Punkten unserer Familie plötzlich klar, welch grossen den. Um der wachsenden Bevölkerung ein Vorsprung auf den amtierenden Präsiden- Beitrag er geleistet hatte und welche Risiken Heim zu bieten, bedarf es neuer Ideen. Häu- ten Donald Trump in die Nominierung. er für den Frieden und den Sieg der Alliierten ser aus Kunststoff herzustellen, ist viel öko- Biden liegt in den «Swing States» Florida, eingegangen war. logischer, es verbraucht viel weniger Strom Michigan, Pennsylvania und Wisconsin Weltwoche: Die Mission, das Leben der und Wasser. derzeit vor Trump – Staaten, die Trump Menschheit zu verbessern, liegt auch Ihrem Weltwoche: Und PET ist in vielen Ländern bei seinem überwältigenden Präsident- jüngsten Projekt zugrunde. Sie entwerfen Häu- ein Abfallprodukt. schaftssieg 2016 über Hillary Clinton auf ser aus Kunststoff. Wie sind Sie auf diese Idee Ustinov: Sie können zwei der weltweit seine Seite brachte. gekommen? grössten Probleme gleichzeitig bekämpfen: Doch bevor die Demokraten von Ustinov: Während meiner 21 Jahre an der den Mangel an angemessenen Wohnun- sonnengesprenkelten Rosengarten- Spitze der Peter-Ustinov-Stiftung bauten wir gen für die Armen und die weitverbreitete Pressekonferenzen und von prunkvoll in- ein Waisenhaus in St. Petersburg, eine Schu- Umweltverschmutzung durch weggeworfene szenierten Pariser Klimavereinbarungen le in Nepal und viele andere Projekte. Jedes Plastikflaschen. In Kenia zum Beispiel gibt es träumen, hat Rasmussen Reports über- Mal sagte ich mir: «Wenn wir nur ein besseres gebrauchte PET-Flaschen für 100 000 Plastik- raschende Daten. Laut dem Meinungs- Bausystem hätten, könnten wir zwei Schulen häuser. forschungsunternehmen, das die po- zum gleichen Preis bauen.» Ich fragte mich, Weltwoche: Aber würden sich Menschen, die pular vote 2016 um weniger als einen wie man effizienter bauen könnte. Wenn man bislang in Lehmhütten oder Holzhütten gelebt halben Prozentpunkt genau vorher- Holz verwendet, gibt es das Problem mit der haben, in Häusern aus Kunststoff wohlfühlen? sagte, befürworten 48 Prozent der wahr- Abholzung. Und bei Beton gibt es das Problem Ustinov: Warum nicht? Wenn sie wollen, scheinlichen Wähler den orange torna- der weltweiten Sandknappheit. Also dachte ich können sie Lehm draufkleben, damit sie tra- do. Ted Carroll, der Mehrheitsaktionär an Plastikflaschen. ditionell aussehen. Wir arbeiten nicht nur am von Rasmussen Reports, sagt zur Welt- Weltwoche: PET-Flaschen? Haus, sondern auch an der Heiztechnik. In den woche: «Das Rennen wird landesweit Ustinov: Ja, aber wie würde ich sie zu «Ziegel- Baumodulen können wir Leitungen für die knapper, und Trump holt bei schwar- steinen» formen, damit ich Mauern und Häu- Elektrizität verlegen. Man kann überall Ad- zen und anderen nichtweissen Wählern ser bauen kann? Ich war sehr ehrgeizig, ein biss- apter einbauen, dann kann man an der Wand auf.» Wenn Carrolls Zahlen stimmen chen wie mein Grossvater. Ich sagte mir: «Ich Fernseher integrieren. Wir können Häuser ent- – und sie stimmten 2016, 2018 und am werde die Flaschen neu gestalten, damit wir sie werfen, die ihren eigenen Strom produzieren, «Super Tuesday» 2020 – «und die Daten miteinander verbinden können.» damit die Kinder ihre Schulbücher lesen und der Minderheitswähler korrekt und trag- Weltwoche: Wie Lego-Steine? die Familien ihre Hypotheken abzahlen kön- fähig sind», so prognostiziert er, Trump Ustinov: Ja, ich habe versucht, Nestlé und nen. Es geht nicht nur darum, Lehmhäuser zu werde «problemlos in eine zweite Amts- Danone davon zu überzeugen, die Form ihrer ersetzen, sondern auch darum, den Menschen zeit gehen». Flaschen zu ändern. Doch dies hätte bedeutet, Zugang zum modernen Leben zu verschaffen. Das sind viele «Wenn», und in der ganze Fabriken neu zu bauen. Das erwies sich Wir können die Welt in das 21. Jahrhundert Politik kann alles passieren. Biden könnte als unmöglich. Also fand ich eine andere Me- führen. den Namen seiner Frau vergessen. Trump thode: Extrusion. Eine Extrusionsmaschine könnte verwirrt sein, welche seiner Frau- funktioniert ein bisschen wie eine Wurst- en welche ist. Und die politischen Rivalen maschine. Man fügt auf der einen Seite Plastik- Das erste Kunststoffhaus nach dem Ustinov Hoffmann begegnen sich erst noch auf der Debatten- paste ein, und auf der anderen Seite kommt sie Construction System (UHCS) wird 2021 im Wallis ein- bühne. Das Rennen um das Weisse Haus in einer gewünschten Form heraus. geweiht. Die nächste Ausstellung der Skulpturen Igor ist noch lange nicht vorbei. Ustinovs findet vom 11. September bis 30. Oktober in der Weltwoche: Können Sie Plastikhäuser in ver- Galerie Espace Schilling in Neuenburg statt. Amy Holmes schiedenen Formen entwerfen, entsprechend www.igorustinov.com

Weltwoche Nr. 33.20 37 Bild: AP Photo (Keystone); Illustration: Lev Kaplan