«Mysterium Der Wirklichkeit»
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«Mysterium der Wirklichkeit» Biologe, Bildhauer, Erfinder: Igor Ustinov über seinen legendären Vater, das Hitler-Mordkomplott seines Grossvaters und wie er mit PET-Flaschen die Welt retten will. Urs Gehriger as Dörfchen Rue im verschlafenen Frei- hat Ihr Vater über Sie geschrieben. Herr Usti- tails konzentrieren, können Sie nicht in meine burger Hinterland. Unter den lieb- nov, erkennen Sie sich in seinen Worten wieder? Welt eintreten. Meine Welt spricht über das, Dlichen Wiesen schlummert ein magi- Ustinov: Es stimmt, ich bin ein Träumer in was hinter unseren Handlungen steckt. Wenn sches Kraftfeld der Innovation und Inspiration. dem Sinne, dass ich Dinge in meinem Kopf kon- Sie mit meinen Skulpturen leben, werden Sie Von den nahen Schlosszinnen liess Flugpionier zipieren und erschaffen kann. Das ist, glaube diese Energie spüren. Ich möchte, dass meine Ferdinand Ferber 1898 seine Nichte mit einem ich, eine meiner grossen Qualitäten. Ich habe Skulpturen Optimismus versprühen und den selbstgebauten Segler in die Felder gleiten. jeden Tag eine neue Idee. Wenn ich an etwas Menschen Energie verleihen. Wenn Sie eine Sie überlebte. Und damit die Hoffnung, die denke, gebe ich ihm eine Form. Es ist wie ein Skulptur eines alten Mannes mit einem Stock Schwerkraft zu überwinden. Wo einst der Tüft- Spiel. Ich stelle eine Skulptur fast vollständig sehen, mit Falten, dann fühlen Sie sich so, ler seinen Prototypen landete, hat Igor Ustinov in meinem Kopf her, dann gehe ich hin und auch wenn es eine schöne Skulptur ist. Wenn sein Atelier aufgeschlagen. fertige sie. Diese Fähigkeit, Dinge in meinem ein alter Mann mit einem Stock eine meiner Mit Löwenmähne, getrimmtem Bart und Kopf zu schaffen, erlaubt es mir, auch viele an- Figuren voller Energie sieht, wird er vielleicht einem Gläschen Weissen in der Hand steht dere Sachen zu tun. Ich mag ein Träumer sein, sagen: «Das Leben ist nicht zu Ende. Ich kann er inmitten seiner Bronzeplastiken, einem und die Kunst ist es, die mich in dieser Welt immer noch etwas Grossartiges tun.» Das ist Skulpturenwald, strotzend vor roher Energie. verankert. Ich komme mir ein bisschen vor wie im Grunde die Energie, die ich auf andere Men- «Meine Skulpturen sollen Optimismus ver- schen übertragen möchte. sprühen und den Menschen Zuversicht ver- «Ich mag ein Träumer sein, Weltwoche: Ihr Atelier liegt in einer idylli- leihen.» Kein Wunder, ist Igor Ustinov, 64, und die Kunst ist es, die mich schen Landschaft, nur zwanzig Autominuten gesegnet mit dem Gen der Genialität. Seine von der Stadt Lausanne. Warum sind Sie nach weitverzweigte Familie brachte weit über fünf- in dieser Welt verankert.» zwei Jahrzehnten in der Pariser Kunstszene zig Künstler hervor. Nach Russland, England, hierhergezogen? Frankreich, Deutschland, Israel, Italien, in die dieser kleine Junge aus dem Märchen, der in der Ustinov: Mein Vater hatte schon viele Jahre in Schweiz und bis an den Kaiserhof von Äthiopien Welt herumläuft und hinter sich kleine Brot- der Schweiz gelebt, und er wurde langsam alt. reichen die Wurzeln des Clans. krumen fallenlässt. Ich lasse Bronzeskulpturen Also beschloss ich, hierherzukommen, um ihm Krönende Spitze der kosmopolitischen Usti- hinter mir zurück, und das schon seit einer gan- näher zu sein. Für mein Studio suchte ich einen nov-Brillanz war Igors Vater – Peter Ustinov – zen Weile. authentischen Ort. In diesem ländlichen Gebiet Universaltalent, Schriftsteller, Regisseur, Welt- Weltwoche: Viele Ihrer Skulpturen haben sind die Grundwerte der Schweiz verankert. Wir bürger, Unesco-Botschafter und zweifacher dynamische und schlanke Körper. Die Arme diskutieren hier nicht über dieselben Themen Oscar-Preisträger, strotzend vor Witz und in die Luft erhoben, die Brust herausgestreckt. wie unter Philosophen oder Künstlern, mit Selbstironie. Unvergesslich, wie er im epochalen Was symbolisieren sie? denen ich mich früher in Paris herumgetrieben Sandalenfilm «Quo Vadis» den vertrottelten Kai- Ustinov: Ich war wahrscheinlich noch in der habe, aber meine Nachbarn sind zutiefst gute ser Nero gab, der mit Piepsstimme das lodernde Schule, als ich diese Figur schuf. Ich nannte sie und ehrliche Menschen. Und wenn man bereit Rom besang und in affektiertem Selbstmitleid «Der Mathematiker». Sie wurde nach der Zahl ist, sich zu integrieren, wird man akzeptiert. seine Tränen in einem Kelch sammelte. eins geformt, die Grundlage unserer Identität Weltwoche: In den 1960er Jahren zog Ihr Aus dem Schatten dieses Denkmals zu tre- ist. Mein Ehrgeiz war es, die Morphologie der Vater in die Schweiz. Er lebte mit Ihrer Fami- ten, kostete «enorm viel Kraft», sagt Sohn Igor. Energie zu schaffen. Wenn wir uns zum Bei- lie in einer Hotelsuite in Montreux neben Vla- Längst hat er seinen Weg gefunden, und dies in spiel fortbewegen, wenn wir einen Fuss vor dimir Nabokov, den er verachtete, und führte typisch ustinovscher Vielseitigkeit und mit pfif- den anderen schieben, steht ein Wunsch und «ein entsetzliches Dasein, wie ein Exilkönig, figem Erfindergeist. «Ich kann kaum Schritt hal- ein Wille hinter dieser Handlung. Wir schaffen der geduldig auf ein Attentat wartete», wie er ten mit meinen Ideen», sagt der ambitiöse Wahl- unsere Energie durch unsere Motivation. Diese in seinen Memoiren schrieb. Später wurde er schweizer mit sanfter Stimme, die er mit Charme innere Energie fasziniert mich. Schweizer Staatsbürger und schien unseren gewinnend einzusetzen weiss. Mit seinem neus- Weltwoche: Die Köpfe Ihrer Figuren haben ruhigen Lebensstil zu mögen. Als er 2004 im ten Geniestreich will er nicht weniger als die Ver- keine Augen und keinen Mund. Sterben lag, hielten Sie seine Hand. War er trau- lierer dieser Welt aus ihrem Elend hieven. Ustinov: Um diese Energie auszudrücken, rig, dass er gehen musste? musste ich mich von den äusseren Eigen- Ustinov: Er war jemand, der sein ganzes Weltwoche: «Igor ist eher ein Träumer, der in schaften der Persönlichkeit wie Ohren, Nase, Leben lang von Millionen von Menschen um- seinen eigenen Abstraktionen zu Hause ist», Augen befreien. Wenn Sie sich auf diese De- geben war, die ihn mochten. Im Krankenhaus 34 Weltwoche Nr. 33.20 «Die negative Energie überwinden, die einen nach unten zieht»: Multitalent Igor Ustinov. war er völlig allein, und in gewisser Weise Ustinov: Es war extrem schwierig. Als ich ein- Weltwoche: Wie hat Ihr Vater reagiert, als er er- war er sauer, sterben zu müssen. Aber er ver- mal eine schlimme Phase durchmachte, sagte fuhr, dass Sie Künstler werden wollten? suchte immer noch, witzig zu sein und dem ein Arzt zu mir: «Wie können Sie, der Sohn Ustinov: Ich erinnere mich, ich war zwölf, unabwendbaren Lauf des Dramas ein Schnipp- eines Denkmals, Denkmäler schaffen? Sie müs- als der Direktor meiner Schule, des Institut chen zu schlagen. Er hatte Wasser auf der sen eine unglaubliche Energie haben.» In der Le Rosey in Rolle, meinen Vater in sein Büro Lunge, und wenn ich mich seinem Bett näher- Tat musste ich enorm viel Kraft aufbringen, aufbot. Er sagte ihm: «Ihr Sohn will Künstler te, gab er ein blubberndes Geräusch von sich um meinen eigenen Weg zu gehen. Ich prägte werden, machen Sie sich keine Sorgen?» Mein und zog ein Hundegesicht. meine Seele in die Materie der Welt ein. Die Er- Vater antwortete: «Ja, eigentlich bin ich sehr Weltwoche: Erinnern Sie sich an seine letz- zeugnisse davon stehen draussen in aller Welt, besorgt. Neulich sass ich mit dem Vater von ten Worte? in der Bronx, in Paris, in England, in Bulgarien. Picasso zusammen, der ebenfalls sehr besorgt Ustinov: Seine bedeutendsten letzten Worte Natürlich ist es schwierig, vom Kunstbetrieb war.» (Lacht) äusserte er in einem Interview mit der Sunday anerkannt zu werden, wenn man einen be- Weltwoche: Ihr Vater schien ein häufiger Times. Der Reporter sprach mit meinem Vater rühmten Namen hat. Aber nach all den Jahren Besucher im Büro des Schulleiters gewesen zu und mit mir getrennt. Ich schloss mit den Wor- habe ich alle Hindernisse überwunden. sein. ten: «Mehr als mein Vater ist er mein Freund.» Weltwoche: Selbst im britischen Königshaus Ustinov: Ja. Ein anderes Mal rief der Schul- Er endete auf genau dieselbe Weise: «Mehr schwärmt man von Ihnen. leiter meinen Vater herein und beschwerte als mein Sohn ist er mein Freund.» Man be- Ustinov: Bei einer Veranstaltung im Clarence sich: «Ihr Sohn bringt alle zum Lachen, und kommt von Kindern oft zu hören: «Du musst House – auf Einladung von Prinz Charles – kam niemand kann richtig lernen.» Mein Vater ant- das Bild deines Vaters töten, um du selbst zu Camilla auf mich zu. Wir sprachen über Bild- wortete: «Aber ich verdiene meinen Lebens- werden.» Ich musste nie jemanden töten. Ich hauerei, und sie gestand mir: «Ich wäre gerne unterhalt auf diese Weise, was soll ich ihm war immer ich selbst. Bildhauerin geworden.» Ich erklärte ihr: «Wenn bloss sagen?» Weltwoche: Dennoch standen Sie im Schat- man Bildhauerei betreibt, vergisst man alles, Weltwoche: Laut Ihrem alten Schulfreund, ten Ihres Vaters. Wie hart war es, der Sohn von und es ist wunderbar.» Dann schaute uns Prinz dem Spitzenhotelier Jean-Jacques Gauer, hat- «Nero» zu sein. Charles über die Schulter an und sagte: «Skulp- ten Sie die Gewohnheit, regelmässig aus der Ustinov: Sie werden zu einem Attribut. turen? Ja, natürlich, das Problem ist bloss, sie zu Schule auszubüxen. «Sohn von» ... einem berühmten Schauspieler, verkaufen, nicht wahr? Hahahaaa hahaha.» Ich Ustinov: Ja, das war vor fünfzig Jahren, als ich einem Schriftsteller, einer Weltberühmtheit. dachte, «du kannst gut lachen, ich muss meinen zum ersten Mal weggelaufen bin. Jean-Jacques Weltwoche: Wie sind Sie damit um- Lebensunterhalt selbst verdienen». Aber Sohn war damals einer der älteren Schüler. Der Di- gegangen? der Königin zu sein, ist auch nicht einfach. rektor bat ihn, mich zu suchen. Er fand mich Weltwoche Nr. 33.20 35 Bild: Caspar Martig für die Weltwoche problemlos, und wir hatten eine gute Zeit. Spä- nonen für den verrückten Kaiser Theodor II., Ustinov: Als Spion muss man eine sehr ver- ter kam er zu mir und fragte: «Wann reissen wir der ihn an seine eigene Erfindung ketten liess, schwiegene Person sein.