Alan Gilbert und Augustin Hadelich

Donnerstag, 07.11.19 — 20 Uhr Sonntag, 10.11.19 — 11 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal ALAN GILBERT Dirigent AUGUSTIN HADELICH Violine (Associate Artist)

NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER

Einführungsveranstaltung mit Alan Gilbert und Julius Heile am 07.11. um 19 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie

Einführungsveranstaltung mit Harald Hodeige am 10.11. um 10 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie

Das Konzert am 10.11.19 ist live zu hören auf NDR Kultur. BÉLA BARTÓK (1881 – 1945) Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 Sz 112 Entstehung: 1937 – 38 | Uraufführung: Amsterdam, 24. April 1939 | Dauer: ca. 38 Min. I. Allegro non troppo II. Andante tranquillo III. Allegro molto

P a u s e

ANTON BRUCKNER (1824 – 1896) Sinfonie Nr. 7 E-Dur Entstehung: 1881 – 83 | Uraufführung: Leipzig, 30. Dezember 1884 | Dauer: ca. 70 Min. I. Allegro moderato II. Adagio. Sehr feierlich und sehr langsam III. Scherzo. Sehr schnell IV. Finale. Bewegt, doch nicht zu schnell

Dauer des Konzerts einschließlich Pause: ca. 2 ¼ Stunden

BÉLA BARTÓK Violinkonzert Nr. 2

Ein avantgardistischer Klassiker

Es beginnt so hübsch: In den ersten Takten von GEFÄLLIGE MUSIK? Béla Bartóks Zweitem Violinkonzert zupft die Harfe

im gleichmäßigen Viertelrhythmus reine H-Dur-Drei- Die ganze Sache strebt danach, klänge. Nach sechs Takten Vorlauf tritt die Violine mit zu gefallen, scharfe Rhythmen dem ersten Thema hinzu. Gebaut ist es aus Quarten und Dissonanzen waren wenig verstörend und hinterließen und Sekunden, vertraute Intervalle, die harmonische häufig einen guten Eindruck. Welt ist noch heil. Doch der Satz wird dichter, irritie- „Selbst mir hat das gefallen“, rende Nebennoten schleichen sich ein, die Violine konnte man in der Konzertpause hören. In neun von zehn Fällen zieht das Tempo an. Nach 42 Takten, auf dem ersten ist Zustimmung dieser Art Fortissimo-Höhepunkt, sind wir bereits mittendrin ein Zeichen für die Schwäche in der total chromatischen Tonwelt des Béla Bartók. des Komponisten.

Einmal kurz meldet sich die heile Welt des Anfangs Rezensent in „De Telegraaf“ noch zurück, „tranquillo“ (ruhig) schreibt der Kompo­ nach der Premiere von Bartóks nist hier vor, dann geht es „risoluto“ weiter. Das zweite Zweitem Violinkonzert mit Zoltán Székely und dem Con- Thema dieses rhapsodischen, von starken Tempo- certgebouworkest Amsterdam wechseln geprägten Satzes wagt schon einen Flirt mit unter Willem Mengelberg der neusten kompositorischen Errungenschaft der Zeit: Es ist ein Zwölftonthema, das zuerst von der Violine vorgestellt wird. Darauf lässt Bartók die zwölf Töne im Orchester unisono ausbuchstabieren, die Violine wiederholt ihr zwölftöniges Statement, und das Or- chester bekräftigt es erneut – es scheint, als wolle der Komponist seine Hörer mit der Nase auf die besondere Bedeutung dieser Stelle stoßen. Doch damit ist der Kühnheiten noch lange nicht genug. Kurz bevor die Violine zum Schaulaufen in der Solo-Kadenz antritt, sprengt Bartók den Rahmen des altvertrauten, wohl- temperierten Tonsystems. In der Stimme des Solisten

5 BÉLA BARTÓK Violinkonzert Nr. 2

sind nun Vierteltöne zu hören, die für die Ohren eines jeden, der mit Musik von Monteverdi bis Mahler auf- gewachsen ist, schmerzlich verstimmt klingen müssen.

Rein äußerlich betrachtet ist Bartóks Zweites Violin- konzert ein mustergültig klassisches Konzert mit drei Sätzen in der Abfolge schnell-langsam-schnell. So machte man das seit Vivaldis Zeiten. Doch inner- halb dieses klassischen Rahmens zog Bartók alle Béla Bartók (vorne) mit dem Geiger Zoltán Székely Register; die Musik spannt den Bogen von simplem Folklorismus bis zu kühner Avantgarde, ohne dass BÉLA BARTÓK man je einen Bruch empfinden würde. Alles davon ist echter Bartók. Und schaut man näher hin, so ist auch

Béla Bartók wurde am 25. März der formale Aufbau des Stückes weitaus origineller 1881 in Nagyszentmiklós, als es auf den ersten Blick erscheint. Den Auftrag zu Ungarn (heute Sinnicolau Mare, seinem Violinkonzert erhielt der Komponist von dem Rumänien) geboren. Seine musikalische Grundausbildung befreundeten Geiger Zoltán Székely. Seit Anfang der erhielt er von seiner Mutter. 1920er-Jahre waren Székely und der Pianist Bartók Duo­ Nach dem Abitur 1899 besuchte partner. Bartók hatte für sein Violinkonzert eigent­lich er die Meisterklassen für Kla- vier und Komposition an der einen einzigen Satz in Form von Variationen schreiben Budapester Musikhochschule. wollen, Székely aber bestand auf einem „richtigen“, Seit 1905 widmete sich Bartók dreisätzigen Konzert. Und der Komponist fand einen gemeinsam mit dem Freund Zoltán Kodály der Volkslied- Weg, es beiden recht zu machen. Das Zentrum des forschung. Er unternahm For- Werkes bildet das „Andante tranquillo“ mit einer Reihe schungsreisen durch Ungarn, von Variationen über ein Thema, das in unschuldigs- Rumänien, Transsilvanien, die Slowakei, die Türkei und tem G-Dur beginnt. Die beiden Außensätze, so ver- Nordafrika. Die Ergebnisse schieden ihr Charakter ist, erweisen sich bei näherem dieser Forschungen prägten Hinsehen als Varianten voneinander. Bartók nutzte Bartóks Stil und Denken als Komponist. In den Jahren 1920 dasselbe Material, um eine völlig neue Musik daraus bis 1940 unternahm Bartók als zu schaffen. Das erste Thema des Finales, das wieder Pianist zahlreiche Konzert­ von der Violine vorgestellt wird, beginnt exakt mit reisen. 1940 emigrierte er in die USA, dort betätigte er sich wis- denselben Noten, mit denen das erste Thema des ers- senschaftlich an der Columbia ten Satzes so harmlos begonnen hatte. Und auch das University New York. Am 26. Zwölftonthema sowie seine Bestätigungen durch das September 1945 starb er im Alter von 64 Jahren in New York Orchester, das unisono zwölf Töne abzählt, kehren an Leukämie. im dritten Satz wieder. Es ist dieselbe musikalische Substanz, in eine neue Form gebracht.

6 BÉLA BARTÓK Violinkonzert Nr. 2

Wenn ein „Klassiker“ zu sein bedeutet, dass ein Künst­ TONALE ZWÖLFTONMUSIK ler die starken, widerstrebenden Tendenzen seiner Zeit aufnehmen, verarbeiten und ins Werk setzen kann, Bartók versuchte herauszufinden, dann verdient Béla Bartók den Ehrentitel eines Klassi­ wie gut ich das Konzert aufg­ kers des 20. Jahrhunderts. Sein Zweites Violinkonzert efasst hatte und fragte mich speziell nach einer Passage im war von Anfang an ausgesprochen populär. Das Pub- ersten Satz. „Es ist recht chro­ likum liebte diese Musik – nicht zuletzt, weil der Star- matisch“, gab ich zur Antwort. geiger Yehudi Menuhin sich des Werkes annahm und „Ja, chromatisch“, sagte er. Aber dann wies er mich auf den es zunächst in den Konzertsälen der USA durchsetzte. Punkt hin, um den es ihm ging: Wie ein genauerer Blick unter die Oberfläche dieser „Siehst Du, wie oft das kommt?“ Musik zeigt, blieb Bartók aller populären Aspekte zum Es kommt sehr oft, (…) nie ganz identisch. „Nun, ich wollte Trotz voll auf der Höhe seines Anspruchs. Bevor er mit Schönberg zeigen, dass man alle der Komposition begann, hatte er sich die Partituren zwölf Töne benutzen und trotz­ der Violinkonzerte von Alban Berg, Kurt Weill und dem tonal bleiben kann (…), und jede dieser wiederholten Karol Szymanowski senden lassen. Dass er sich auch Sequenzen würde einem mit Schönbergs Reihentechnik auseinandergesetzt Zwölftöner Material für eine hatte, führt der Komponist geradezu demonstrativ vor. ganze Oper bieten.“

So ist das Violinkonzert das Werk eines ästhetisch – Erinnerungen von Yehudi wie politisch – hellwachen Zeitgenossen. Es entstand Menuhin an ein Gespräch mit in einer Zeit, in der am Horizont des Alten Europa Bartók in New York 1943 immer dunklere Wolken aufzogen und Bartók seine einzige Rettung in der Emigration sah. „Es ist die immanente Gefahr, dass sich auch Ungarn diesem Räuber- und Mördersystem ergibt. Die Frage ist nur, wann, wie? Ich hätte eigentlich die Pflicht auszuwan- dern.“ So schrieb er 1938 kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs und während der Arbeit an seinem Kon- zert. Sein in Wien ansässiger Verlag Universal Edition war für Bartók zum „Naziverlag“ geworden. Als der Verlag im April 1938 von ihm eine Taufurkunde – also faktisch einen Ariernachweis – verlangte, kam es zum Eklat. Im Jahr 1940, kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, wagte Bartók den lange ge­ planten „Sprung ins Ungewisse aus dem gewussten Unerträglichen“ und emigrierte in die USA.

Ilja Stephan

7 ANTON BRUCKNER Sinfonie Nr. 7 E-Dur

„Gleich der strahlend aufgehenden Sonne“

BRUCKNER-PIONIER In der Kunst spielen Altersunterschiede keine Rolle. Hier zählen Genie und Popularität, nicht unbedingt

Kaum hatten wir den ersten Satz der Respekt des Jüngeren vor dem Älteren. Gestandene der 7. gespielt, fing der sonst so Musiker verneigen sich ehrfürchtig etwa vor den ruhige und gesetzte Nikisch Feuer Sinfonien eines 16-jährigen Mozart – und umgekehrt und Flamme. In einem seligen Taumel wiederholten wir sogleich sind manch altehrwürdige Komponisten bei der Auf- den ganzen Satz. „Seit Beethoven führung ihrer Werke auf das Engagement und den ist nichts auch nur ähnliches Erfolg junger Publikumslieblinge angewiesen. Anton geschrieben worden. Was ist da Schumann! etc. etc.“ ging es in Bruckner, der in seiner Wirkungsstätte Wien bis ins einem fort. Kaum waren wir hohe Alter verkannte Sinfoniker, entwickelte im Laufe fertig, sagte Nikisch: „Ich gebe der Jahre eine geradezu beschämende Haltung der Ihnen hiermit mein heiligstes Ehrenwort, daß ich die Sympho­ Unterwürfigkeit jenen Personen gegenüber, die durch nie in sorgfältigster Weise zur ihren Einfluss etwas für die Anerkennung seiner Aufführung bringen werde˘... Musik tun konnten. Seinem schärfsten Gegner, dem Ich halte es für mich von nun an für meine Pflicht für Bruckner Wiener Kritiker-Papst und Wortgeber der feindlichen einzutreten.“ „Brahms-Partei“ Eduard Hanslick, begegnete er mit ausgesprochener Höflichkeit und ließ ihm ab und Josef Schalk an seinen Bruder Franz über das Treffen 1883 zu gar Geschenke zukommen. Die Ratschläge seiner bei Arthur Nikisch in Leipzig Schüler (!) wie etwa der Gebrüder Schalk zur „Verbesse­ rung“ durchgefallener Sinfonien übernahm er klein- laut in seine Partituren. Schließlich verdankte er sei- nen maßgeblichen Durchbruch als Komponist einem nicht einmal halb so alten, aufstrebenden Dirigenten aus Leipzig. „Hochwohlgeborner, hochverehrter Herr Kapellmeister! An Ihren beifälligen Äußerungen athme ich wieder auf und denke: ‚endlich hast du einen wirklichen Künstler gefunden’“, schrieb Bruckner 1884 an Arthur Nikisch, nachdem dieser ihm die Urauf­

8 ANTON BRUCKNER Sinfonie Nr. 7 E-Dur

führung seiner Siebten Sinfonie versprochen hatte. „Ich bitte Euer Hochwohlgeboren wollen mir gütigst Ihre Gewogenheit zuwenden und mich nicht verlassen. Sie sind jetzt ja doch der Einzige, der mich retten kann und Gott sei Dank auch retten will… Mit tiefster Bewunderung und wahrer Verehrung Euer Hochwohl- geb. dankschuldigster Diener A. Bruckner“. Wohlgemerkt: Dies sind die Worte eines 60-Jährigen an einen 28-Jährigen ... Anton Bruckner, Gemälde von Hermann Kaulbach (1885) Arthur Nikisch, damals Erster Kapellmeister am Leipzi­ ger Stadttheater, hatte seinerzeit bei der Uraufführung von Bruckners Zweiter Sinfonie als Geiger der Wiener Bruckner stellt vor Philharmoniker mitgespielt. Seit diesem Jugend-Erleb­ uns Tonbilder hin, nis hatte ihn die Bewunderung für die Musik Bruckners nicht losgelassen. Als Josef Schalk ihm 1883 bei seinem in denen die Gluth Leipziger Aufenthalt die neue Siebte Sin­fonie am Kla- der Farbe mit dem vier vortrug, war Nikisch sofort von dem Werk einge- nommen. Er setzte das Werk bereits im nächsten Jahr fortreißenden Feuer auf das Programm seiner Leipziger Kon­zerte mit dem der Einbildungs­ Gewandhausorchester. Das war umso mutiger, als Anton Bruckner in dieser Stadt bisher völlig unbekannt kraft wetteifert und war. Doch gerade diese Unvorbelastet­heit sollte sich als so den Hörer von Vorteil erweisen. Durch Nikischs eminente Wagner- Pflege war das Leipziger Publikum der zeitgenössi- Anfang bis Ende wie schen Musik durch­aus aufgeschlossen, ja man sehnte mit unsichtbaren sich hier regelrecht nach Werken „moderner Kunst- richtung“. Vor allem aber fehlte jene lähmende Rivali- Ketten festhält. tät zwischen Traditionalisten und Neudeutschen, die Bernhard Vogel in den Bruckner in Wien durch sein Bekenntnis zu Wagner „Leipziger Nachrichten“ das Leben schwer machte. Wahrscheinlich hätte er nach der Uraufführung sehr viel früher erkennen müssen, dass jede andere von Bruckners Siebter Stadt als Wien für die Premieren seiner Sinfonien besser geeignet war – so aber war erst die Siebte im hellen E-Dur sein Glücks­werk, mit dem sich endgültig der internationale Durchbruch einstellte. In der Folge ebnete sie auch seiner übrigen Musik den Weg.

9 ANTON BRUCKNER Sinfonie Nr. 7 E-Dur

Eigenhändige Partiturseite des 2. Satzes aus Bruckners Siebter Sinfonie

10 ANTON BRUCKNER Sinfonie Nr. 7 E-Dur

Auf die Frage, ob der Erfolg und die besondere Popula­ Den berauschends­ rität der Siebten auch rein musikalisch erklärbar sind, ten Jubelklängen hat der maßgebliche Bruckner-Biograf Ernst Kurth eine eher unzureichende Antwort gegeben: „Daß die folgen die erschüt­ Siebente Bruckners Ruhm begründete, liegt nebst der terndsten Trauer­ Schönheit und Gedankengröße wohl zum Teil darin, daß er in den äußeren Formaten gewisse Vereinfa- klänge ... manchmal chungen und sehr greifbare Annäherungen an die ge- überrieselt es Einen wohnten Bilder vornahm.“ Diese Einschätzung muss verwundern, scheint sie doch viel eher etwa auf die dabei wie Schauer Vierte, ja, in gewissem Sinne sogar auf die vorausge- der Gespenster­ gangene Sechste Sinfonie in ihrem knappen Format zuzutreffen. In Hinblick auf die Siebte wiederholte die furcht ... Kritik stattdessen jene Vorwürfe fehlender Einheit und Unbeschreib­lich Logik sowie allzu großer Ausdehnung der Gedanken, wie sie seit eh und je Bruckners Sinfonien getroffen sind auch die kolos­ hatten. Im Übrigen hatte Bruckner selbst die Vierte als salen Steigerungen, Einführungswerk in Leipzig vorgeschlagen, weil ihm die Siebte, „namentlich das Adagio zu schwer zum den Tonsatz aus Auffassen“ erschien. Nacht und Grauen Indes ist wohl gerade dieses Adagio, Bruckners hinauf in den hellen „berühmtester und meistbewunderter Satz“ (Wolfram Aether zu Licht Steinbeck), ausschlaggebend für die Bekanntheit der Siebten geworden. Und zwar weniger durch die Dis- und Glanz hebend. kussion um die Existenzberechtigung des – auf einem Der Wiener Musikkritiker eingeklebten Papierstreifen in die Partitur eingefüg- Theodor Helm über das ten – Beckenschlags am Kulminationspunkt des Satzes Adagio aus Anton Bruckners als vielmehr aufgrund der einzigartigen Coda. Die Siebter Sinfonie Legende will es, dass Bruckner diese Trauer-Musik des Wagnertuben-Quartetts „zum Andenken seines uner- reichbaren Ideals“ (August Göllerich) nach dem Tod Richard Wagners im Februar 1883 komponiert und an den fast fertigen Satz angehängt habe. Man sprach daher bisweilen von einem „inneren Bruch“ an dieser Stelle. Jüngere Forscher vermuten allerdings, dass zu- mindest das thematische Material für den in Wahrheit

11 ANTON BRUCKNER Sinfonie Nr. 7 E-Dur

formal völlig schlüssig integrierten Schluss bereits zuvor entworfen und nur der Einsatz der Wagnertuben die unmittelbare Reaktion auf die von Bruckner als „Katastrophe“ empfundene Todesnachricht war. In der Tat hat Bruckner die von Wagner erstmals für seinen „Ring des Nibelungen“ eingesetzten Tuben erst nachträglich in die Partitur der Siebten eingefügt: So war etwa das nun wesentlich vom dunklen Klang der Horn-Verwandten bestimmte Thema zu Beginn WAGNERTUBA des Adagios ursprünglich den Bratschen und tiefen Bläsern zugedacht. Dieses „Tuben-Thema“ sowie die

In der Siebten Sinfonie ver- nachfolgende, quasi zum Himmel aufsteigende Ton- langte Bruckner erstmals folge, die Bruckner auch in seinem „Te Deum“ ver- Wagnertuben in der Partitur. wendete, kehren im Verlauf des Satzes im Sinne von Die Wagnertuba verdankt ihren Namen dem Komponisten Durchführung und Reprise (mitsamt einer lautstarken Richard Wagner, der sich dieses Steigerung) wieder. Dann aber folgt der eigentliche, Instrument um 1870 eigens für innere Höhepunkt: Die Wagnertuben stimmen eine Aufführungen seiner Opern- Tetralogie „Der Ring des Nibe- mit „Siegfrieds Trauermarsch“ aus der „Götterdäm- lungen“ bauen ließ. Trotz der merung“ vergleichbare Klage an, die sich in einem etwas irreführenden Bezeich- „Jammer-Schrei“ der Hörner (so Bruckner selbst) ent- nung gehört die Wagnertuba zur Familie der Hörner, ist mit lädt. Zunächst unmerklich wird die Dur-Terz einge- demselben Mundstück wie fügt – am Ende verklingt der Satz in erlöstem Cis-Dur. ein Waldhorn ausgestattet und wird dementsprechend auch von den Hornisten des Orches- Außer im zentralen Adagio ist Bruckners Siebte zwei- ters gespielt. An die Tuba fellos auch in den übrigen Sätzen voll der erwähnten (bzw. das Tenorhorn) erinnert „Schönheit und Gedankengröße“. Schon das aus typi- lediglich die Bauform mit dem nach oben ausgerichteten schem Bruckner-Tremolo aufsteigende, über 21 Takte Schalltrichter. Eine Wagnertuba gespannte Thema des 1. Satzes ist von einnehmender klingt dunkler und voluminö- Weite und Klanglichkeit. „Gleich der strahlend auf­ ser als ein Horn und nähert sich dem Klang einer Posaune an. gehenden Sonne erhebt sich aus schattiger Tiefe der Neben Wagner und Bruckner unbeschreiblich schöne, wie von innen her leuchtende setzten etwa auch Richard erste Hauptgedanke“, so poetisch fasste das Walter Strauss und Igor Strawinsky das Instrument in ihren Abendroth 1940 in Worte. Auch Ernst Kurth erging sich Partituren ein. angesichts dieses Themas in wahrlich ekstatischen Wagnerschen Formulierungen: „Die Melodie in der neuen, erhabenen Größe ihrer Bogen muss jeden entwaffnen. Bruckners Züge leuchten überall heraus;

12 ANTON BRUCKNER Sinfonie Nr. 7 E-Dur

schon im Erstehen aus der Urerregung eines Tremolos, BRUCKNER 7 IN HAMBURG in der schöpferischen Ausbreitung der Klangatmo- sphäre, die das Werdewunder der tiefen Streicher­ Im Februar 1886 fand die melodie zitternd, stimmungsheiß umhüllt; dann in Hamburger Erstaufführung deren Aufsteigen aus den breitentfalteten Urtönen des von Bruckners Siebter Sinfonie statt. Josef Sittard , einer der Dreiklangs und im hochragenden Aufschwung; ganz einflussreichsten Kritiker der unverkennbar aber im ersten Abbiegen zu neuem An- Stadt, urteilte damals: satz: mitten aus dem ersten Erglänzen eine Wendung Man mag sich zu Bruckners des Erschauerns (7. Takt)…“ – Tatsächlich bildet der Kunstschaffen stellen, wie man Kopfsatz von Bruckners Siebter Sinfonie bei allen will, auch diejenigen, welche sich „berauschenden Jubelklängen“ (Theodor Helm) keines- nicht mit demselben befreunden können, werden zugeben müssen, wegs nur die Sonnenseiten des Lebens ab. So wird eine daß aus seiner siebenten Sym­ weitere solche „Wendung des Erschauerns“ von den phonie ein genialer Künstler zu meisten Kommentatoren achtlos übergangen: Wenn uns spricht ... Die Themen sind bei Bruckner in großem Zuge in der Coda, unmittelbar vor der letzten Steigerung, entworfen, alle erfüllt mit einem der zweite Teil des Hauptthemas als ferne Erinnerung bedeutenden Inhalt und von über einem Wirbel der Pauke noch einmal auftaucht hervorragender melodischer Schönheit. Es sind keine aus­ und darüber immer präsenter wird, um wie ein Wahn­ druckslosen, aus willkürlich zu­ bild wieder zu verblassen, so deutet dies bereits auf sammengeklaubten Intervallen moderne, durchaus cineastische Musikeffekte voraus. bestehenden Westentaschen­ motive, sondern große, kühne, gewaltige Gedanken, wie sie nur Zum 3. Satz gibt es eine äußerst böswillige Beschrei- dem Geiste eines bedeutenden bung des Hamburger Musikschriftstellers Walter Mannes entströmen können ... Stellen wir uns auf einen puris­ Niemann: „Es ist, als ob wir einer wilden Lustbarkeit tischen Standpunkt, dann fabelhafter Waldriesen zuschauen, die sich gelegent- können wir hinter Beethovens lich ja nicht scheuen sollen, mit mächtigen Felsstücken Werke ein Schlußpunktum setzen und sagen: bis hieher und kleine Scherze im Ballspielen zu treiben!“ Niemanns nicht weiter. Die Entwicklung Bild ist dabei im Grunde nichts anderes als eine ins des Geistes kennt aber keinen Negative gewendete Charakterisierung des typischen Stillstand und noch immer ist zur rechten Zeit ein genialer Bruckner-Scherzos: Ein durch die Punktierung spie­ Kopf erschienen, um der Kunst lerisch wirkendes Trompetenmotiv wird über gleich- neue Bahnen zu weisen. bleibendem Streicherpuls zum Ausgangspunkt riesiger orchestraler Klangentwicklungen. Das lyrische Trio wirkt dann wie eine Ruheinsel im unaufhaltsamen Getriebe der Rahmenteile. Es folgt ein Finale, das – erstaunlich angesichts der Weiträumigkeit der übri- gen Sätze und Themen – das kürzeste seiner Art

13 ANTON BRUCKNER Sinfonie Nr. 7 E-Dur

SPANNUNG VOR DER bei Bruckner ist. Ohne „Einschwingphase“ tritt das PREMIERE 1. Thema auf, das wie die kämpferisch entschlossene Variante der erhabenen Eröffnungsmelodie der Sin­ Die Leipziger Uraufführung von fonie daherkommt. Die Reprise beginnt dann später Bruckners Siebter verschob sich gleich mit dem choralartigen zweiten Gedanken, mehrmals. Sie war zunächst für Juni 1884 geplant, wurde während das 1. Thema freilich zur großen finalen dann aufgrund von Spielplan- Steigerung des Satzes wiederkehrt. zwängen auf September verlegt. Bruckner plädierte indes für eine weitere Aufschiebung bis „In Leipzig wurde zum Schlusse ¼ Stunde applaudiert“, November, damit auch die berichtete der gerührte Bruckner nach der Urauffüh- Studenten, die dann aus ihrer rung der Siebten Sinfonie am 30. Dezember 1884 im Semesterpause zurückgekehrt sein würden, dabei sein konn- Leipziger Neuen Theater. Sichtbar fiel es dem Kompo- ten. Weil dieser Termin mit nisten schwer, souverän mit so viel ungewohnter An- einer „Tristan“-Premiere kol­ erkennung umzugehen: „Da stand er nun in seinem lidierte, fand die Premiere schließlich am 30. Dezember bescheidenen Gewande vor der erregten Menge und statt. Bruckner war im Vorfeld verbeugte sich hilflos und linkisch einmal über das sehr aufgeregt und fragte den andere“, erinnerte sich der Rezensent des „Berliner „hochverehrten Herrn Kapell- meister“ immer wieder: „Waren Tageblatt“. Und noch als die Sinfonie ihren Weg durch schon Proben? Wie klingt die die großen Musik-Metropolen der Welt machte, in Sinfonie?“ Nikisch, der das Werk München, Köln, Hamburg, Graz, Wien, Amsterdam, aus dem Manuskript dirigieren musste, studierte das Werk aller­ wenig später sogar in New York, Chicago und Boston dings sorgfältig in Abstim- zur Aufführung kam, verließen Bruckner die grund- mung mit dem Komponisten sätzlichen Zweifel an seinem Schaffen nicht. Anstatt ein und bereitete das Publikum sogar durch Einführungsvor- mit Stolz und Selbstbewusstsein die eigene Leistung träge auf das Konzert vor. zu erkennen, führte er seinen Erfolg demütig stets auf Am Abend des 30. Dezember den Einsatz Nikischs zurück: „Du warst mein erster stand dann übrigens nicht nur Bruckners Siebte auf dem Apostel ... In Ewigkeit wird es Dir zum Ruhme ge­ Programm: Vor der Sinfonie reichen, daß Du Dein großes, hohes Genie für mich erklangen „Les Préludes“ von Verkannten und Verlassenen leuchten ließest!“ – Franz Liszt und Schuberts „Wanderer-Fantasie“, nach Wohl hat man Arthur Nikisch als Chefdirigenten des der Pause dann noch Liszts Leipziger Gewandhausorchesters und der Berliner „Don Juan“-Fantasie und Philharmoniker ein ehrendes Andenken bewahrt; Ausschnitte aus Wagners „Götterdämmerung“. Anton Bruckners Musik aber erfüllt bis heute die Konzertsäle der ganzen Welt.

Julius Heile

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Fotos: Marco Borggreve | XPeter Hunder | NDR | Fotolia ndr.de/eo DIRIGENT

Alan Gilbert

Seit Beginn dieser Saison ist Alan Gilbert neuer Chef- dirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, dem er bereits von 2004 bis 2015 als Erster Gastdirigent ver- bunden war. 2017 ging seine achtjährige Amtszeit als Music Director des Orchestra zu Ende, wo es dem gebürtigen New Yorker gelungen ist, den Ruf des Orchesters nochmals auszubauen und dessen führende Bedeutung in der kulturellen Land- schaft der USA zu unterstreichen. Gilbert ist außerdem HÖHEPUNKTE 2019/2020 Ehrendirigent des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, dessen Chef er acht Jahre lang war, Erster

• Zahlreiche Konzerte mit dem Gastdirigent des Tokyo Metropolitan Symphony Or- NDR Elbphilharmonie Orches- chestra und Gründer der Organisation „Musicians for ter, darunter das vergangene Unity“, die mit Unterstützung und Führung der Ver- Festival „Klingt nach Gilbert“, „My Fair Lady“ zum Jahres- einten Nationen Musiker aus aller Welt mit dem Ziel wechsel und u. a. Mahlers der Förderung von Frieden, Entwicklung und Men- Neunte Sinfonie im Rahmen schenrechten vereint. Als international gefragter Gast des Internationalen Musik- fests Hamburg ­dirigent kehrt Gilbert regelmäßig zu Orchestern wie • Veröffentlichung einer CD mit den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concert­ Bruckners Siebter Sinfonie gebouw Orchestra, Cleveland, Boston Symphony und mit dem NDR Elbphilharmo- nie Orchester , der Staatskapelle Dresden, • Rückkehr zum Cleveland dem Gewandhausorchester Leipzig oder dem Orches- Orchestra, Tokyo Metropo- tre Philharmonique de Radio France zurück. Er hat litan Symphony, London Symphony und Royal Stock- Opernproduktionen an der Mailänder Scala, der Metro­ holm Philharmonic Orchestra politan Opera New York, Los Angeles Opera, Königli- sowie zum Gewandhaus- chen Oper Stockholm, am Opernhaus Zürich und an orchester Leipzig und zur Staatskapelle Dresden der Santa Fe Opera geleitet, wo er 2003 erster Music • Puccinis Oper „La fanciulla Director wurde. Seine Diskografie umfasst u. a. die del West“ in Stockholm CD-Box „The Nielsen Project“ und eine Grammy-prä- • Veröffentlichung einer neuen Einspielung von Beethoven- mierte DVD mit John Adams’ „Doctor Atomic“ live aus Klavierkonzerten mit der der New Yorker Met. Der mit zahlreichen renommier- Academy of St Martin in the ten Preisen und Ehrungen ausgezeichnete Dirigent war Fields und Inon Barnatan. darüber hinaus Leiter des Bereichs für Dirigier- und Orchesterstudien an der New Yorker .

16 VIOLINE

Augustin Hadelich

Augustin Hadelich ist für drei Spielzeiten Associate Artist des NDR Elbphilharmonie Orchesters und wird in dieser Zeit regelmäßig mit dem Ensemble zusammen­ arbeiten. 1984 als Sohn deutscher Eltern in Italien ge- boren, ist Hadelich heute amerikanischer Staatsbürger und hat sich bereits als einer der großen Geiger seiner Generation etabliert. 2018 wurde er von der Zeitschrift „Musical America“ zum „Instrumentalist of the Year“ gewählt. Er studierte bei Joel Smirnoff an der New Yorker Juilliard School und gewann 2016 die Gold­ HÖHEPUNKTE 2019/2020 medaille beim Internationalen Violinwettbewerb von

Indianapolis. Seitdem konzertierte er mit allen be- • Konzerte mit über 25 nord- deutenden amerikanischen Orchestern und auf den amerikanischen Orchestern, Bühnen u. a. der Carnegie Hall, des , darunter das Boston Sym- phony, Cleveland, New York der Chicago Symphony Hall und des Kennedy Center. Philharmonic, Cincinnati Auch bei seinen immer zahlreicher werdenden Auf- Symphony, Pittsburgh Sym- tritten in Fernost, Südamerika, Neuseeland, Australien phony, Minnesota, Houston Symphony, Oregon Symphony, und Europa – etwa mit dem Symphonieorchester des , Montreal Bayerischen Rundfunks und dem City of Birmingham Symphony und Toronto Symphony Orchestra, in der Londoner Wigmore Hall Symphony Orchestra • Auftritte in Europa mit dem oder im Concertgebouw Amsterdam – eilt ihm ein phä­ Philharmonia Orchestra, nomenaler Ruf voraus. 2016 erhielt er einen Grammy Danish National Symphony, Award für seine Einspielung des Violinkonzerts „L’Arbre Oslo Philharmonic und Finnish Radio Symphony des songes“ von mit dem Seattle Orchestra sowie in Asien Symphony Orchestra. Kürzlich erschienen Paganinis u. a. mit dem Hong Kong 24 Capricen und die Violinkonzerte von Brahms und Philharmonic Orchestra Ligeti bei Warner Classics. Hadelichs Aufnahmekata- log umfasst außerdem Konzerte von Sibelius, Adès, Mendelssohn, Bartók und Haydn sowie Tschaikowskys Violinkonzert und Lalos „Symphonie espagnole“ mit dem London Philharmonic Orchestra. Er spielt die Stradivari „Ex-Kiesewetter“ anno 1723, eine Leihgabe von Clement und Karen Arrison über die Stradivari Society Chicago.

17 IMPRESSUM

Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall

NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping

Redaktion des Programmheftes Julius Heile

Die Einführungstexte von Dr. Ilja Stephan und Julius Heile sind Originalbeiträge für den NDR.

Fotos AKG-Images / De Agostini Picture Lib. / A. Dagli Orti (S. 6) AKG-Images (S. 9, 10) Chris Stock / Bridgeman Images (S. 12) Peter Hundert | NDR (S. 16) Suxiao Yang (S. 17)

NDR Markendesign Design: Factor, Realisation: Klasse 3b Druck: Eurodruck in der Printarena Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

18 Foto: Olaf Malzahn

„ Musizieren ist für mich maximale Passion, Leidenschaft und Intensität. MARTIN“ GRUBINGER

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