DEZ.19/JAN.20

2019 EINSCHLAUFEN Betrifft: Goodbye Rhoda Impressum Nº 10.19 Wenn herausragende Persönlichkeiten aus Rund drei Wochen später folgte der zweite DER MUSIKZEITUNG LOOP 22. JAHRGANG dem Leben gehen, verdichtet sich die Zeit. Niederschlag, beim nächtlichen Herumstö- Nur Sekunden nach offizieller Bestätigung bern auf US-Nachrichtenseiten. Was hierzu- P.S./LOOP Verlag ihres Todes wird das kollektive Andenken lande kaum jemanden überhaupt interessier- Hohlstrasse 216, 8004 Zürich an die Berühmtheiten inventarisiert und so- te, war dort zumindest mit einer mittelgrossen Tel. 044 240 44 25 gleich in medial verwertbare Form gebracht. Schlagzeile versehen: Valerie Harper hat den www.loopzeitung.ch Das hastige Hantieren mit Floskeln und Fak- Kampf gegen ihre Krebserkrankung verloren. ten beginnt, in gut organisierten Redaktionen Die Schauspielerin war diesseits des Atlan- werden umsichtig vorproduzierte Nachrufe tiks nahezu unbekannt, da ihre Auftritte in Verlag, Layout: Thierry Frochaux noch kurz aktualisiert und dann umgehend der «Mary Tyler Moore Show» lediglich im [email protected] veröffentlicht, und noch einmal flackert der Nachtprogramm deutscher Privatfernseh- Glanz der Abgetretenen auf. Karl Lagerfeld, sender zu sehen waren. In der Serie aus den Administration, Inserate: Manfred Müller Niki Lauda, Bruno Ganz, Matti Nykänen, Seventies spielte sie die Rolle der Rhoda Mor- [email protected] Karel Gott oder Köbi Kühn – ihnen wurde genstern, der Freundin und Nachbarin der Ti- dieser Nachruhm heuer gewährt. telheldin. Während Letztere als karriereorien- Redaktion: Philippe Amrein (amp), Von gewissen Todesmeldungen wird man tierte, an eine Klassensprecherin gemahnende Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe bisweilen aber auch über andere Kanäle er- Fernsehfrau agierte, war Rhoda lebensklug, schüttert. Dieses Jahr begann es Anfang Au- hemdsärmelig und grossherzig. Die sieben Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden gust mit einem Tweet des eher mundfaulen Staffeln umfassende, preisgekrönte Sitcom (ash), Yves Baer (yba), Thomas Bohnet (tb), Dinosaur-Jr.-Chefdenkers J Mascis. Er pos- bot jede Menge Anschauungsmaterial für den Marcel Elsener, Roman Elsener, Christian Gasser (cg), tete eine etwas angejahrte Porträtaufnahme Kampf um Gleichberechtigung, das sich auch Michael Gasser, Hanspeter Künzler (hpk), eines jungen Mannes und schrieb: «Fucking heutzutage nutzen liesse. Vielleicht versehen Tony Lauber (tl), Philipp Niederberger, shit, come on man, this is bullshit.» Die Fol- mit der Fussnote, dass Joan Jett das Titel- Fabienne Schmuki, Martin Söhnlein, Miriam Suter lower antworteten vorerst in Zitaten, deren stück «Love Is All Around» später gecovert Lektüre einen kolossalen Verlust erahnen hat. Aber eben: Da sich kaum noch jemand Titelbild: Daniel Johnston liessen – der sich dann auch bestätigte: David an die Show erinnert, verabschiedete ich mich Berman war tot. Der brillanteste Liedtext- still und aus weiter Ferne von Rhoda, dieser Druck: Tagblatt Print, St. Gallen schreiber der Generation X, leblos aufge- Lichtgestalt der Siebzigerjahre. Noch bleiben funden in einer Wohnung in New York. Ich uns ein paar Wochen. Dann beginnen die Das nächste LOOP erscheint am 31.1.2020 schaltete das iPhone aus und schloss meine Zwanzigerjahre. Augen. Black Guido

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Hohlstrasse 216, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] DER LICHTAUSKNIPSER vier durchnummerierte Walker selber wurde zunehmend zum Mysterium. In den Scott Walker war ein Teenage-Schwarm. Soloalben, auf denen seine 70ern reformierte er zwar noch einmal seine Band, ver- Abkapselung vom klassi- suchte es auf seinem 80er-Jahre- «Climate of Hun- Ehe sich der Mann mit der tiefen Stimme schen Popbetrieb spür- und ter» mit freifliegendem Synth-Pop, ehe er bis zur Veröffent- nachvollziehbar wird. Man lichung von «Tilt» (auf der er die Zeilen «Oh, the Luzerner in ein Mysterium verwandelte. findet zwar noch die Über- Zeitung / The Luzerner Zeitung / Never sold out» unterge- bleibsel des sinfonischen bracht hat) für elf Jahre aus der Öffentlichkeit verschwand. Die Sonne scheint nicht, und sie wird auch niemals mehr Pop der Walker Brothers Nochmals elf Jahre später, 2006, war die Sonne in seiner scheinen, da kann die Musik noch so sorglos klingen und und die Jacques-Brel-Chan- Musik gänzlich ausgeknipst: Auf «The Drift» – veröffent- dank Streicherarrangements glorios glänzen. Denn die «lo- sons, die er mit Verve und licht auf 4AD – erschien Scott Walker als Todesengel, der neliness», diese schwer zu greifende Einsamkeit, die der der angemessenen Todes- von Mussolini und dem Massaker von Srebrenica erzählte. Sänger besingt, ist der Mantel, der das Lied umhüllt. sehnsucht so begeisternd Die Angst: Sie ist greifbar, der Horror spürbar, auch weil Und wenn man so will, ist die Zeile «Loneliness is the cloak singt, dass sie bis heute die Walker – dieser radikale Musiker – einen Perkussionisten you wear», mit der der Nummer-1-Hit «The Sun Ain’t Kraft der Originalversio- dazu brachte, auf einen Tierkadaver einzuprügeln, damit Gonna Shine Anymore» der Walker Brothers anhebt, auch nen ausstrahlen. der Sound auch wirklich physisch und furchterregend ge- eine mögliche Klammer für Leben und Werk von Scott Aber man hört auch einem nug klang. Walker: Seine Musik und weniger seine Biografie, über die Musiker mit Visionen zu, nur sehr wenig bekannt ist, erzählt ja von einem, der ei- der in seinen eigenen Songs JARVIS COCKER HÖRT MIT nes Tages kein Teenage-Schwarm mehr sein wollte – und nach neuen Räumen sucht: sich stattdessen aufmachte, Pop bis über seine Grenzen zu Die Arrangements sind Die Szene dieser drastischen Aufnahmesessions ist im Do- bringen, indem er sich selbst von allen Konventionen frei- psychedelisch durchweht, kumentarfilm «30 Century Man» zu sehen, einem Versuch, machte. etwa in «Montague Terra- dem Enigma Scott Walker auf die Spur zu kommen. Der «The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore» war einer der ce (in Blue)», einem seiner Film kam der Person und dem Künstler aber nicht unbe- kommerziellen Höhepunkte von Scott Walkers Band The grössten Songs. Oder Scott dingt dann am nächsten, wenn Walker in einem seiner sehr Walker Brothers und in gewissem Sinne die amerikanische Walker reduziert alles bis seltenen Interviews über seine Musik spricht. Sondern viel- Antwort auf die Beatlemania – mit einem orchestralen Pop, auf eine Gitarre, wenn er in mehr dann, wenn Popmusiker wie Jarvis Cocker oder Da- der selbst Lebensmüdes in grosse Gesten packte. einer parabelhaften Lied- mon Albarn die früheren, meisterhaft arrangierten Lieder miniatur den «30 Century hören. Man entdeckt gemeinsam mit den Prominenten eine EINS BIS VIER Man» erfindet. Stimme, die bei aller Einsamkeit auch eine Zärtlichkeit aus- Es sind vor allem diese vier strahlt, die seine Musik so verbindlich machte. Walker, der 1943 als Noel Scott Engel im amerikanischen ersten Soloplatten, auf die In seinen letzten Jahren wandte sich Walker vermehrt Hamilton geboren wurde und zunächst als Sessionmusiker sich so viele Künstler bezo- Soundtrack- und Balletmusikarbeiten zu – und spielte vor tätig war, entsprach mit seiner leicht linkischen Erschei- gen haben – von David Bo- fünf Jahren mit den Metal-Experimentalisten Sunn O))) nung auf der Bühne auch nicht dem klassischen Posterboy- wie, der immer wieder auf das Album «Soused» ein. Radikaler konnte man nicht al- Ideal, zumal er seine Songs mit einer Bariton-Stimme sang, Walkers Werk hingewiesen tern, radikaler alles Sonnenlicht ausknipsen auch nicht. die schwerromantischdunkel lockte und doch unerhört pa- hat, bis hin zu Radiohead Am 22. März ist Scott Walker seiner Krebserkrankung er- thetisch klingen konnte. oder dem Filmregisseur legen. Er wurde 76 Jahre alt – und der Himmel verdunkelte Mit dieser Stimme hatte der Sartre- und Kafka-Leser Wes Anderson –, und die sich spürbar. Walker aber bald mal anderes als das Dasein als Star im bis in die Gegenwart aus- Sinn: Zwischen 1967 und 1969 veröffentlichte er gleich strahlen. Benedikt Sartorius

scott walker PRÄSENTIERT LIVE SZENE POP ROCK STEREOPHONICS DO 06 FEB 2020 VOLKSHAUS, ZÜRICH

FOLK POP BOY & BEAR Das neue Album «Bewegung» DI 18 FEB 2020 ist jetzt erhältlich. PAPIERSAAL, ZÜRICH ELECTRO FOLK BROKEN BACK D0 27 FEB 2020 DYNAMO, ZÜRICH

SINGER SONGWRITER SAM FENDER SO 01 MÄR 2020 HALLE 622, ZÜRICH

CHAMBER POP AGNES OBEL DO 05 MÄR 2020 «Blindzeile sind Arte und nicht RTL.» SAMSUNG HALL, ZÜRICH Soundmag, Musikblog Fr 06.12. sugar candy mountain (usa), nordik chili (ch) Mi 22.01. «Vom Imperiengeschäft» Lesung mit Berthold Seliger BAROQUE POP « Sphärischer Pop mit sa 07.12 AUSVERKAUFT! klugen deutschen Texten.» Stereo Luchs (ZH), Support: Cobee (BE) FR 24.01 BAR (D) JONATHAN BREE SoundChecker.Koeln, Musikblog Fr 13.12. Blind Butcher (LU), Mike Ständer Band (ZH) Sa 15.02. Jeffrey Lewis & The Voltage (USA) & QUINCE (CH) DI 05 MAY 2020 MASCOTTE, ZÜRICH sa 21.12 Palko!Muski (CH), Šuma Čovjek (CH), Fr 06.03 Endseeker (D), Megaton Sword (Winti) «Alles andere als Fahrstuhlmusik.» Afterparty mit Trubaci Soundsistema JUSTBECAUSE.CH - STARTICKET.CH 33rpmPVC, Musikblog OOAM_10_2019_Verlosg_64x64.qxp_SMT_Verlosung_2 MYJUSTBECAUSE - JUSTBECAUSE.CH 0

Verlosung One Of A Million Festival, Baden 2 x 2 Tickets: Donnerstag, 6. Februar 2020 None Of Them (CH) Dives (AT) Chris Staples (US)

Teilnahme: Mail [email protected] Post Musikzeitung Loop, c/o M. Müller, Kirchweg 2, 8755 Ennenda Einsendeschluss: Donnerstag, 9. Jan. 2020, 23:55 h

Seestrasse 407 - 8038 Zürich - 044 481 62 42 - www.ziegelohlac.ch

Jetzt anmelden

Grundkurs Radiojournalismus Start: 11. Feb. 2020, Aarau

klippklang.ch ginger baker

RASTLOSER VIRTUOSE Fela Kuti zu jammen. In Händen und Füssen, setzte raffinierte Akzente und leg- Cream-Drummer Ginger Baker Lagos baute Baker ein te einen organischen Groove vor. Bakers Spiel swingte. modernes Tonstudio auf. Doch nie wieder, weder mit der Baker-Gurvitz-Army oder hat sich bereits früh zu Legendenstatus Gleichzeitig entdeckte er dem BBM-Trio (Bruce und Baker mit Gary Moore) in den seine Liebe zu den Pferden Neunzigern gelang es dem Ausnahmedrummer, seine afri- getrommelt. Sein Leben hingegen und dem Polo-Spiel, die ihn kanisch gefärbte Trommelsprache zu einer solchen Brillanz später mehrmals an den und Durchschlagskraft zu formen wie einst mit Cream. war geprägt von Drogen und Arroganz. Rand des Bankrotts brin- gen sollte. BIS BLUT FLIESST Von all den grossen britischen Drummern der Sixties – Aber blenden wir zurück: Phil Seamen, Jon Hiseman, Charlie Watts, Mitch Mitchell, Peter «Ginger» Baker wur- Im Mai 2005 kam es zur Cream-Reunion. Die vier Shows Keith Moon, Clem Cattini – war Ginger Baker wahr- de am 19. August 1939 in der Londoner Royal Albert Hall waren so erfolgreich, scheinlich der schillerndste. Als Persönlichkeit ganz sicher in Lewisham geboren. dass lukrative Offerten eintrafen, einige Monate später in der polarisierendste. Schon in seiner Schulklas- den USA zu spielen. Trotz Bedenken nahm die Band an. Schon bei ihrer ersten Begegnung bei Alexis Korner’s Blues se trommelte er ständig In den Staaten brachen die alten Spannungen dann wieder Incorporated wurde dem Bassisten Jack Bruce klar, dass er mit den Fingern auf der aus, die Tour endete im Eklat. Über seine besondere Bezie- mit Ginger Baker zusammenspielen wollte. Ab 1963 bil- Schulbank herum. Als er hung zwischen ihm und dem Trommel-Derwisch sagte Jack deten die beiden die Rhythmusgruppe der Graham Bond seiner Mutter erklärte, er Bruce 2006: «Bei uns steht die Stimmung oft auf Messers Organization, deren Bandleader mit Baker und Bruce die wünsche sich sehnlichst ein Schneide. Ginger ist nun mal Ginger. Aber er ist auch der Vorliebe für harte Drogen teilte. Die nicht zuletzt deswegen Schlagzeug, reagierte diese grösste Drummer, den dieses Land jemals hervorgebracht handgreiflich ausgetragenen Konflikte zwischen den Musi- perplex und besorgte ihm hat, wahrscheinlich sogar der grösste Drummer, den es je kern führten schliesslich zum Ende der Band. eine Trompete. Am liebs- im Rock gab – obwohl er sich wahrscheinlich niemals als 1966 rauften sich die Streithähne wieder zusammen, um ten hörte der junge Baker Rockmusiker bezeichnen würde.» mit dem Bluesgitarristen Eric Clapton das bahnbrechen- Bebop-Aufnahmen von Ginger Baker, der Getriebene. Seine Odyssee führte ihn de Power-Trio Cream zu gründen. Ginger Baker, der mit Charlie Parker und Dizzy nach Italien und Kalifornien, bis nach Südafrika. Dort be- seinen komplexen Beats das Fundament für Klassiker wie Gillespie. Sein Held aber suchte ihn der Filmemacher Jay Bulger. Dessen Doku «Be- «Sunshine of Your Love» oder «White Room» legte, avan- wurde der Jazz-Drummer ware of Mr. Baker» (2012) endet damit, dass ein wüten- cierte zum Rockstar. Das hohe Energielevel des Trios, die Max Roach. Die britische der Baker dem Interviewer mit einem Gehstock die Nase Lautstärke sowie die geradezu traumwandlerische Interak- Schlagzeug-Legende Phil blutig schlägt. Ginger Baker, der Berserker. Bis zuletzt tion schlugen die Brücke vom Blues über Psychedelic-Rock Seamen wiederum brachte blieb er ein rastloser, von gesundheitlichen und finanziel- bis zu den instrumentalen Exzessen des Progressive-Rock. ihm die Rhythmen Afrikas len Problemen gebeutelter Virtuose. Im Alter fand er zum Ausgelaugt vom Tourstress und den ständigen Reibereien näher und machte ihn mit Jazz zurück: Hörenswert waren seine Aufnahmen mit dem zwischen Bruce und Baker brachen Cream Ende 1968 aus- Heroin bekannt. Unter die- Trompeter Ron Miles, dem Gitarristen Bill Frisell und dem einander. ser Sucht hatte Baker sein Bassisten Charlie Haden. Ginger Bakers letztes Album Leben lang zu leiden. «Why?» erschien 2014. Zwei Jahre danach musste sich AFRIKA UND HEROIN In der Rockmusik galt der Musiker einer Herzoperation unterziehen, stürzte und Ginger Baker als einer der sagte zuletzt eine Tournee ab. Er litt an einer chronischen Der Schlagzeuger schloss sich der kurzlebigen Supergroup ersten, der gleichzeitig zwei Lungenerkrankung, ausserdem an degenerativer Arthrose. Blind Faith an (mit Clapton, Steve Winwood und Ric Bass-Drums bearbeitete. Am 25. September starb Ginger Baker im Alter von acht- Grech), gründete die Jazz-Rock-Formation Air Force (mit Unvergleichlich entspannt zig Jahren im Südosten Englands. Winwood, Grech und Graham Bond) und wanderte 1971 zauberte er seine rollenden nach Nigeria aus, um mit der Band des Afrobeat-Pioniers Rhythmen und Breaks aus Tony Lauber SZENE

KULTUR STIMME FÜR ALLE Das Monatsmagazin mit Kulturkalender Saisonpause jetzt abonnieren. www.null41.ch bis März 2020

De Blaui Dino D‘Schwarzzah- Nr. 34 Räuber-Party

Kindergeschichten CD und mp3

www.gschichtefritz.ch

JahreS- Ab0 CHF 40 DAS COMIC für MAGAZIN 4 Hefte STRAPAZIN.CH/ABO

Themen | Länder | Fiktion | Reportagen Essays | Kritiken | Ikonen | Nachwuchs Forum für veränderte Bewusstseinszustände lucys-magazin.com

DAS COMIC

STRAPAZIN.CH/ABO

Dezember 2019 // Daniel Day-Lewis – Was That Really It? / Nine (2009) KÖNIG DER AUSSENSEITER Daniel Johnston debütierte als Maler in Zürich. Später kam er mit seinen Liedern vorbei. Eine weitere Rückkehr bleibt ausgeschlossen.

Es ist eigentlich ganz einfach: «Man nimmt Papier und ei- nen Stift zur Hand, macht eine Linie und fragt sich dann: Was kommt als Nächstes?» So beschrieb Daniel Johnston seinen Arbeitsstil. «Ich zeichne einfach drauflos und versu- che, etwas im Gekritzel zu erkennen, einen Arm beispiels- weise. Dann zeichne ich einen weiteren Körperteil dazu und hoffe, dass es nicht schon wieder ein Teufel wird.» Der Teufel – mit diesem und anderen Dämonen kämpfte der Künstler sein Leben lang. Entsprechend lautete der Titel eines Dokumentarfilms über sein bisheriges Wirken auch «The Devil and Daniel Johnston» (2006). Leben und Schaffen des Daniel Dale Johnston waren in der Tat geprägt von filmreifer Tragik und dramatische Entwick- lungen. Aufgewachsen in der Abgeschiedenheit des US- Bundesstaates West Virginia, zeichnet er schon in jungen Jahren fast pausenlos, um sich gegen die Langeweile zu wehren. Nach der Highschool besucht er – eher mässig be- geistert – die Kunstschule, zieht nach Austin, Texas, und betätigt sich dort als Songwriter. Er verewigt seine Lieder auf unzähligen Kassetten, zeichnet einfache Bilder auf deren Hüllen und verkauft sie in loka- len Plattenläden. Andere Musiker hören die kleinen Meis- terwerke und empfehlen diese weiter. MTV wird auf ihn aufmerksam und bringt in der Sendung «Cutting Edge» einen längeren Beitrag. Johnston erlangt dadurch landes- weite Berühmtheit. Lieder wie «Speeding Motorcycle» und «True Love Will Find You» werden in eingeschworenen Zirkeln als Hits gehandelt, wobei «True Love» später dank Coverversionen von Beck und Wilco in den gehobenen Indiepop-Kanon aufsteigt. Als dann in den frühen Neunzigerjahren Kurt Cobain mehrmals mit einem Daniel-Johnston-T-Shirt auf Fotos zu sehen ist, wird das Major-Label Atlantic auf den zeichnen- den Songwriter aufmerksam und nimmt ihn unter Vertrag. daniel johnston Johnston erhält dadurch verstärkt öffentliche Aufmerk- samkeit – und zerbricht fast daran. Seine manisch-depres- siven Seiten treten immer stärker hervor, führen zu Ausset- ropatournee angekündigt wird, die ihn erstmals auch nach Doch zu jener Zeit hatten zern und Aufenthalten in psychiatrischen Anstalten. Zürich führt. Als Musiker, wohlgemerkt: Denn in Zürich ihn seine älteren Brüder fand Daniel Johnstons erste Einzelausstellung als Zeichner bereits als lukrative Ein- TEUFEL, HULK UND CAPTAIN AMERICA statt. Im Oktober 1991 war eine Auswahl seiner Werke in nahmequelle für sich ver- der damals noch existierenden Off-Galerie Kunsthaus Oer- einnahmt. Obschon Bruder In den frühen Neunzigerjahren zieht er wieder bei seinen likon ausgestellt. Dort hingen die Helgen des Antihelden in Daniel sie in einem seiner Eltern ein, bewohnt dort eine Garagenhälfte und hält sich jenem Jahr vom 9. bis zum 19. Oktober an den Wänden. besten Lieder schon vor für längere Zeit von der Öffentlichkeit fern. In dieser Zeit Jahrzehnten subtil und prä- entstehen unzählige Bilder, in denen das für Johnston ty- HERZLOSE BRÜDER ventiv dafür gegeisselt hat: pische Figurenkabinett auftaucht: Captain America, der «Every­one and friends and Teufel, Hulk sowie Frauen mit überdimensional grosser Johnstons Auftritt im El Lokal Ende Oktober 2008 war be- family / Saying: hey, get a Oberweite. Es sind Bilder von geradezu infantiler Einfach- wegend und verstörend zugleich. Der Musiker, aufgewühlt job / Why do you only do heit, die nicht zuletzt deshalb berühren, weil es Manifeste wie stets, aber in der frühen Spätphase seiner Bühnenkar- that only? / Why are you eines Aussenseiters sind, eines ewigen Adoleszenten, der riere auch müde, aufgedunsen und leicht verwirrt, manöv- so odd?» Das Stück heisst die Welt nach grundehrlichen, wenngleich naiven Parame- rierte durch seine Lieder, getragen von der vielschichtigen «The Story of an Artist» – tern bewertet. Sympathie seiner begeisterten Zuhörerschaft im knapp be- und es bricht einem beim Erst gegen Ende des letzten Jahrtausends kehrt Johnston messenen Publikumsraum. Während des kurzen Konzerts Anhören immer wieder das allmählich in die Öffentlichkeit zurück. Dank besseren wurde wohl auch zufällig anwesenden Zaungästen klar, Herz. Jenes Organ, das in Medikamenten hat er seine Schübe mittlerweile unter Kon- dass hier ein wahrer Künstler – zu dessen Bewunderern Daniel Johnstons Brust- trolle. Er tritt beim Festival La Batie in Genf auf, gibt ein neben Cobain auch Bands wie Sonic Youth und Yo La Ten- korb am 11. September Konzert in Berlin, doch noch immer umwölkt ihn die Aura go, REM-Sänger Michael Stipe oder «Simpsons»-Erfinder aufgehört hat zu schlagen. des schrulligen Eigenbrötlers, der die Öffentlichkeit mei- Matt Groening zählten – am Werk war. Ein paar Jahre spä- det. Entsprechend gross ist die Freude, als 2008 eine Eu- ter hätte Johnston noch einmal an der Sihl auftreten sollen. Philippe Amrein DAS TODESJAHR Peter Rüchel Mark Hollis 1937 – 2019 1955 – 2019

Was mit Erklingen der «Bevor du zwei Noten spielst, lerne zuerst einmal, eine Eurovisionsmelodie und Note zu spielen. Und dann denk darüber nach, ob es die- Albrecht Metzgers Anmo- se eine Note überhaupt braucht.» Was Mark Hollis am deration «German Televi- 22. Februar 1998 in einer dänischen Fernsehsendung sag- sion proudly presents…» te, war mehr als nur ein Tipp für junge Musikerinnen und begann, markierte im Som- Musiker. Es war sein Mantra, das seine Vollendung in dem mer 1977 eine Sternstunde Album fand, für das er damals Interviews gab. Es sollte sein der deutschen Fernsehge- einzig Solowerk bleiben. Ebenso betörend wie bedrohlich schichte. Europaweit live stürzt darauf auf den Zuhörer vor allem eines ein: Stille. im TV und Radio ausge- Doch ist es überhaupt Stille? Wer genau hinhört, bemerkt, strahlte Rockmusik, das wie sich zwischen behutsam gesetzten Klavier- und Holz- war damals neu. Mit dem blasinstrumentenklängen der Raum ausbreitet, förmlich «Rockpalast» hatte der atmend, das Knistern der Kleidung, das Quietschen des WDR-Fernsehredaktor Pe- Stuhles. Und dazwischen Hollis’ Stimme, nicht schön im ter Rüchel ein Format ge- eigentlichen Sinne, sondern immer leicht gequält. schaffen, das bis heute ein Mark Hollis wurde 1955 in London geboren. Bekannt Begriff ist. wurde er mit der Band Talk Talk, mit der ab 1984 – also Der gebürtige Berliner be- mit fast dreissig – grosse Erfolge feierte. «Such a Shame» gann seine Rundfunkkar- und «It’s My Life» sind annähernd perfekte und überaus riere beim Sender Freies energetische Popsongs – sie laufen heute noch oft im Ra- Berlin, wechselte dann zum dio. Doch Hollis interessierte sich bald nicht mehr für das ZDF, wo er das Jugend- Genre. «Wir haben früher nur so viele Synthesizer benutzt, magazin «Direkt» betreu- weil wir uns keine echten Instrumente leisten konnten», te. 1974 landete Rüchel als Leiter des Jugendprogramms sagte er später einmal. Bereits auf «The Colour of Spring», beim WDR. Zusammen mit dem Regisseur Christian Wag- dem dritten Album, brach die Band aus dem Format aus. ner entwickelte er die revolutionäre Idee, Rockkonzerte im «It’s Getting Late in the Evening» hiess die B-Side von Fernsehen zu zeigen, per Direktübertragung, unzensiert «Life’s What You Make It» und gab schon mal einen Vor- und ungeschnitten. Was der «Beat Club» in den Sechzigern geschmack darauf, wohin die Reise führen könnte. angeschoben und der «Musikladen» in den frühen Siebzi- Für «The Spirit of Eden» nahm sich die Band viel Zeit. gern weiterentwickelt hatte, realisierte nun der «Rockpa- Zu viel Zeit, wie die Verantwortlichen von Polydor fan- last». Was 1975 mit den ersten Live-Aufzeichnungen aus den. Wie die Aufnahmen denn so liefen?, wollten sie immer dem Kölner WDR Studio-L (als regional ausgestrahlte Sen- wieder wissen. Hervorragend, meinte Hollis, es werde ein dung) seine Anfänge nahm, entwickelte sich 1977 zur lan- hervorragendes Album. Damit hatte er absolut recht, doch gen Konzertnacht, die eine ganze Generation von Rockfans aus kommerzieller Sicht war es für Polydor ein Desaster. um den Schlaf brachte. Zweimal pro Jahr standen in der Talk Talk emanzipierten sich darauf vollständig. Wie die Essener Grugahalle internationale Top-Acts auf der Bühne: Beatles hatten sie die Studiozeit dazu genutzt, zu experi- Rory Gallagher, Little Feat, Ian Hunter, Joan Armatrading, mentieren und aus alten Instrumenten neue Klänge her- The J.Geils Band, The Who, Patti Smith, Johnny Winter, vorzubringen. Die Hammond-Orgel wurde zum zentralen The Police oder The Grateful Dead. Durch ihren sensa- Bestandteil ihres Sounds, doch auch durch Gitarrenverstär- tionellen «Rockpalast»-Gig wurden ZZ Top über Nacht ker gejagte Mundharmonika-Klänge eigneten sich dazu, in Europa bekannt. Später kam die Loreley als Open-Air- Plattenfirmenbosse nachhaltig zu verstören. Mit «The Location hinzu, wo Künstler wie Stevie Ray Vaughan, Red Hot Chili Peppers, George Clinton oder U2 auftraten. Im Musikvideo-Zeitalter der Achtzigerjahre wirkte die mu- sikalische Ausrichtung des «Rockpalast» dann allerdings etwas antiquiert. Das Publikumsinteresse bröckelte, 1986 gab es die 17. und vorerst letzte Rocknacht. Doch in den Neunzigerjahren nahm das Interesse an Livemusik wieder zu: Rüchel brachte sie unter dem Namen «Rocklife» zu- rück ins Programm, und seit 1995 ist der «Rockpalast» wieder da – mit starker Ausrichtung auf junge Talente. Durch das Bizarre Festival und Rock am Ring kamen neue Musikrichtungen und Bands dazu: Metallica, Rammstein, Foo Fighters, Radiohead, Limp Bizkit. Neu war auch, dass diese Konzerte nun live gestreamt wurden. Trotz des Er- folgs wurden die Sendeplätze für den «Rockpalast» im- mer knapper: Von den Rocknächten blieben am Ende nur noch 60-minütige Sendungen übrig, die Rüchel bis 2003 produzierte. Der Marke «Rockpalast» ist er treu geblie- ben, hat die Mediathek mit zahllosen Konzerten auf der «Rockpalast»-Website und DVD-Veröffentlichungen be- treut und Bücher veröffentlicht. Im Alter von 81 Jahren verstarb Peter Rüchel am 20. Februar. Tony Lauber Laughing Stock» beschritt die Band diesen Weg unbeirrt sonst lieber im Hintergrund hielt. Flints Adrenalin-befeu- weiter. Er habe das Gefühl, mit «The Spirit of Eden» dort erte, hyperaktive Präsenz passte gut zur musikalischen angelangt zu sein, wo er mit all den vorhergehenden Alben Entwicklung von The Prodigy, die sich von den frühen hin gewollt hätte. Die Band müsse sich nun neue Gebiete Rave-Tracks an härteren, lärmigeren und rockigeren Klän- erschliessen – oder dann halt aufhören. Doch für viele war gen zuwandten. «The Fat of the Land» verkaufte sich über «The Laughing Stock» ein Gamechanger. In gewisser Weise zehn Millionen mal, The Prodigy waren auf dem kom- nahm bereits «The Spirit of Eden» den Post-Rock vorweg. merziellen Höhepunkt, legten nun aber eine längere Auf- Und auch Bands wie Radiohead sind ohne diese beiden Al- nahmepause ein. Erst 2002 erschien die nächste, von Flint ben kaum vorstellbar. Mark Hollis schien mit seiner musi- mitgeschriebene Single «Baby’s Got a Temper», die wegen kalischen Entwicklung eine Zwiebel zu schälen. Entfernte des Bezugs auf das auch als Date-Rape-Droge bekannte von ihr jede überflüssiger Schicht, bis am Schluss davon gar Medikament Rohypnol für Kontroversen sorgte und zwei nichts mehr übrig war. Er wolle, dass seine Musik zeitlos Jahre später nicht auf dem Album «Always Outnumbered, bleibe – deshalb auch seine Vorliebe für akustische Instru- Never Outgunned» enthalten war, das Howlett ohne Flint mente, deren Klang zeitlich kaum mehr einzuordnen sei. und Maxim einspielte. Bei den folgenden drei Alben waren Nach seinem Soloalbum von 1998 wurde es tatsächlich dann beide wieder im Studio mit dabei. still um Mark Hollis. Unter einem Pseudonym spielte er ein Vor allem aber blieben The Prodigy ein überaus erfolgrei- letztes, extrem minimalistisches Stück ein, danach ist nicht cher Live-Act – nicht zuletzt dank Flint. «Seine Auftritte mehr viel über ihn bekannt. waren immer elektrifizierend», sagte Jimmy Page zum Er soll sich am Ende für Fussball interessiert haben. Mark Abschied. Flints Solo-Projekte hingegen fanden weniger Hollis starb am 25. Februar «nach kurzer, schwerer Krank- Resonanz, und in seiner Freizeit stieg er auch lieber aufs heit». Er wurde 64 Jahre alt. Motorrad. «Ich weiss nicht, ob ich extrovertiert bin», sagte Martin Söhnlein er 2009 dem «Guardian», «ich denke, ich bin ein wenig wi- dersprüchlich. Ich mag es, liebenswert und giftig zugleich zu sein.» Keith Flint starb 49-jährig am 4. März in seinem Haus in Essex. Bandkollege Howlett sprach von Suizid, Keith Flint wobei die Gerichtsmedizinerin zu keinem abschliessenden 1969 – 2019 Urteil kam: «Wir werden nie ganz genau wissen, was in seinem Kopf vor sich ging.» Er war der Firestarter: «I’m a firestarter, twisted firestar- Philipp Anz ter», sang oder besser spuckte Keith Flint mit seiner Punk- Rave-Teufelfrisur in einem stillgelegten Londoner U-Bahn- Tunnel im schwarz-weissen Video zu «Firestarter» von The Prodigy. Der Track stieg am 30. März 1996 von Null Hal Blaine auf Platz 1 der britischen Charts ein und wurde zum ersten 1929 – 2019 Nummer-1-Hit der Band aus Braintree, Essex. Ihre Singles waren zwar schon davor auf der Insel erfolgreich, doch Hal Blaine, einer der pro- nun und mit dem Album «The Fat of the Land» wurden filiertesten und einfluss- Prodigy weltweit zum Zeichen dafür, dass die elektroni- reichsten Schlagzeuger sei- sche Tanzmusik der Neunziger nicht nur in den Charts, ner Generation, starb am sondern auch auf den grossen Konzertbühnen angekom- 11. März 2019 im Alter men war. Und Keith Flint wurde mit seinen Tattoos, Pier- von 90 Jahren. Laut der cings, geschminkten Augen und seinen wilden, unermüdli- Rock and Roll Hall of Fame chen Tänzen zu ihrem überall sichtbaren und abgebildeten spielte er auf mehr Hits als Hauptdarsteller. jeder andere Drummer der Tänzer war eigentlich auch die Flint bei der Bandgründung Rock-Ära, darunter 40 1990 zugedachte Hauptrolle, nachdem er und Liam How- Number-One-Hits und 150 lett sich bei einem Rave kennengelernt hatten, während Top-Ten-Songs. Als Mit- Maxim als MC das Mikrofon übernahm. Beginnend mit glied der legendären Wre- «Firestarter» erhielt nun Flint mehr Vocalparts und wur- cking Crew war Blaine auf de zum eigentlichen Frontmann, was dem musikalischen unzähligen Hits zu hören. Mastermind Howlett nur recht war, der sich live und auch Gemäss eigener Schätzung nahm er in den Sechzigern annähernd 35 000 Platten auf – darunter Aufnah- men für Film-Soundtracks, TV-Serien und Jingles für Werbespots. Blaine wurde mit einem Grammy für sein Lebenswerk geehrt und spielte auf acht Songs, die als «Re- cord of the Year» ausgezeichnet wurden, darunter «Stran- gers in the Night» von Frank Sinatra und «Bridge Over Troubled Water» von Simon & Garfunkel. Der am 5. Februar 1929 als Harold Simon Belsky in Ho- lyoke, Massachusetts geborene Musiker war bereits mit 16 Berufsmusiker. Er verliess die Schule und ging zur Armee. Nach der Rückkehr aus Korea nahm Blaine Unterricht bei Roy Knapp, der auch den grossen Gene Krupa in die Ge- heimnisse des Schlagzeugs eingeweiht hatte. Zur Rockmu- sik kam er durch den Sänger Tommy Sands. Durch dessen Kontakte wurde Hal Blaine zum Sessionmusiker. Er spielte auf Elvis-Presley-Soundtracks und für den Produzenten Phil Spector. Blaines mächtiger Schlagzeug-Sound legte das Fundament zu Spectors «Wall of Sound». Man höre sich nur seine Aufnahmen mit The Ronettes («Be My Baby») bitte umblättern dien, um die er Kollegen beneidete. So schätzte er Henry DAS TODESJAHR Mancinis Soundtrack zu «Frühstück bei Tiffany» und En- nio Morricones «Spiel mir das Lied vom Tod». und The Crystals an. Blaine war Dreh- und Angelpunkt Für sein Schaffen wurden Böttcher das Bundesverdienst- der Wrecking Crew, damals in Los Angeles die Elite der kreuz und verschiedene andere Auszeichnungen verliehen. Sessionmusiker. Sein dynamischer Stil prägte die wichtigs- Als «Meister grossartiger Filmmusiken, die zeitlos sind» ten Aufnahmen der Beach Boys («Good Vibrations», «Pet würdigte ihn 2016 die Jury des Deutschen Musikautoren- Sounds»), von The Byrds («Mr. Tambourine Man») Nancy preises, als sie ihn für sein Lebenswerk ehrte. Wie Benny Sinatra («These Boots Are Made For Walking»). Er trom- Goodman und Frank Sinatra war Böttcher Ehrenmitglied melte für The Association, Herb Alpert, The 5th Dimensi- der amerikanischen Max Steiner Society. Seit einigen Jah- on («Up, Up and Away»), Sonny and Cher, The Carpen- ren lebte er mit seiner Frau in Westerrönfeld bei Rendsburg ters, Scott McKenzie («San Francisco»), Love («Forever (Schleswig-Holstein). Am 21. April 2019 starb Martin Changes»), Dean Martin Petula Clark und viele andere. Böttcher im Alter von 91 Jahren. Legendär war auch sein Drum-Kit, bestehend aus einer vierteiligen Ludwig-Grundausstattung, ergänzt mit acht Tony Lauber Konzert-Toms, die auf Rollstativen montiert waren. Damit läutete Blaine den Trend zu grösseren Schlagzeug-Sets ein. Seine Philosophie als Studiomusiker erklärte er so: «Jeder Song erzählt eine Story. Da es nicht um meinen Egotrip Jake Black geht, agiere ich lediglich als Begleiter. Wie ein Maler seine 1960 – 2019 Pinsel, benutze ich die Drumsticks, um Räume zu füllen und sie, je nach Story, anders auszumalen.»

Tony Lauber Martin Böttcher 1927 – 2019

Ohne seine hinreissende Musik wären Winnetou und Old Shatterhand wohl nur als halb so erfolgreiche Blutsbrüder in die Film- geschichte eingegangen. Martin Böttcher kompo- nierte den Soundtrack für zehn Karl-May-Kinofilme und gehörte zu den erfolg- reichsten Komponisten Deutschlands. 1962 stand seine «Old Shatterhand»- Melodie 17 Wochen an der Spitze der deutschen Die Nachricht, dass Jake Black am 21. Mai in einem Kran- Charts und wurde mehr als kenhaus verstarb, nachdem er sich nach einem Auftritt sei- 100 000-mal verkauft. Ge- ner Band Alabama 3 am Highpoint Festival in Lancashire lesen hat er dennoch kein plötzlich unwohl gefühlt hatte, wurde sogar von der deut- einziges Karl-May-Buch, schen Promi-Zeitschrift «Gala» vermeldet. Das hat damit wie er an seinem 90. Ge- zu tun, dass der Song «Woke Up This Morning» als Titellied burtstag verraten hat: «Ich der HBO-Serie «The Sopranos» Millionen von Zuschauern habe die Geschichten so oft im Ohr ist, ohne dass sie Alabama 3 genau kennen. Die gesehen, da brauchte ich Band wurde vom Schotten Black alias Very Reverend D sie nicht zu lesen.» Ehrenhäuptling wurde er auch so: Die Wayne Love und dem Waliser Rob Spragg alias Larry Love Karl-May-Spiele von Bad Segeberg verliehen ihm den Na- 1995 in London gegründet, nachdem sich beide bei einem men «Grosser Vater der Melodien». Wenn Apachenhäupt- Warehouse-Rave getroffen hatten, wo Spragg in einem Ne- ling Winnetou dort in das Freilichttheater am Kalkberg benraum aus dem Stegreif Lieder von Hank Williams sang einritt, dann nie ohne die berühmte Filmmelodie. Auch für und sie ihre gemeinsame Vorliebe für Techno ebenso wie einen RTL-Dreiteiler rund um den Winnetou-Stoff wurde für Country entdeckten. 2016 teilweise Böttchers Thema zitiert. In Brixton rekrutierten die beiden Sänger – wobei man Der Urenkel eines Weimarer Hofkapellmeisters wurde Blacks Mikrofondarbietungen eher als «Rant» bezeichnen 1927 in Berlin geboren. Seit einem Sturz in der Kindheit muss – eine Reihe von Mitmusikern und brachten 1997 hörte er nur noch auf einem Ohr. Kurz vor Kriegsende auf dem Debütalbum «Exile on Coldharbour Lane» ihre wurde er zur Luftwaffe eingezogen. In der Gefangenschaft Vorlieben in einem Mix aus Americana, Gospel, Acid, brachte sich Böttcher das Gitarrenspiel selbst bei. Nach Dance-Beats, Fiddle und Mundharmonika zusammen. dem Krieg ging er nach Hamburg, wo er beim Tanz- und Neben «Woke Up This Morning» sind «Ain’t Goin’ to Unterhaltungsorchester des Nordwestdeutschen Rund- Goa» und «U Don’t Dans 2 Tekno» auf diesem Album funks anheuerte. 1954 entschied sich Martin Böttcher end- wunderbare Beispiele für ihre «sweet pretty muthafuckin’ gültig fürs Komponieren. country acid house music», die damals ziemlich quer in der Seine erste Filmmusik schrieb er 1955 für «Der Haupt- elektronischen Club-Landschaft stand, aber genau deshalb mann und sein Held». Ein Erfolg wurde im folgenden Jahr nichts von ihrem Charme eingebüsst hat. Denn schwarzer «Die Halbstarken» mit Horst Buchholz. Danach vertonte Humor, soziale Gerechtigkeit und eine entsprechende Welt- Böttcher immer neue Geschichten. Dem Weg nach Holly- sicht waren Alabama 3 stets wichtig. «Alabama 3 is a pop wood folgte der Vielbeschäftigte nie, doch es gab Melo- band, a punk rock, blues and country techno situationist crypto-Marxist-Leninist electro band», heisst es auf ihrer behandelt wurde. Nach einem Ausbruchsversuch wurde er Website. «Wir versuchen, die Zerrbilder von Menschen zu wegen des Besitzes eines Marihuana-Joints verhaftet. Um überwinden, die Popkultur als eine Reihe von ‹Pop Idol›- der Gefängnisstrafe zu entgehen, liess sich Roky Erickson artigen Kreationen verkaufen», erklärten sie einmal dem für unzurechnungsfähig erklären und ging erneut in die Autor Irvine Welsh, der ebenso wie Will Self oder Stephen Klinik. Das war das Ende der 13th Floor Elevators. King zu ihren Fans gehört. Grossen Reibach machten Ala- Obwohl er die Zeit im Rusk Hospital in Houston später bama 3 damit nie, und auch für den «Sopranos»-Einsatz als produktiv bezeichnete, verstieg sich der Musiker immer ihres Songs erhielten sie bloss 40 000 Dollar. Aber als Kol- mehr in Wahnvorstellungen. Nach seiner Entlassung (1972) lektiv mit bis zu einem Dutzend Mitgliedern schufen sie nahm Roky eine von Doug Sahm produzierte Single auf sich mit bis anhin zwölf Alben und begeisternden Live- («Two Headed Dog») und gründete eine neue Band. 1980 Auftritten eine Kult-Anhängerschaft. Die sogenannten erschien das starke, zum Hardrock tendierende Comeback- «Bammies» versammelten «eine Familie aus Punks, Squat- Album «Roky Erickson and the Aliens». Mit viel Verve sang ters, Misfits und Outsidern», wie es «Louder Than War» Roky Songs wie «I Walked With a Zombie» oder «Creature beschrieb. Entsprechend fiel der Nachruf von Rob Spragg with the Atom Brain». Auch folgende Platten machten deut- auf seinen Freund und Bandkollegen Jake Black aus: «Er lich, dass die Höllenhunde und Dämonen, welche die Texte war ein Mann, der Rock’n’Roll liebte und nicht möchte, bevölkerten, längst vom Gehirn des Musikers Besitz ergrif- dass wir sentimental werden. Er würde sagen: ‹Get on that fen hatten. Wie erst später diagnostiziert wurde, waren sie fuckin’ bus and do it.›» Anzeichen paranoider Schizophrenie. Fortan galt der Texa- Philipp Anz ner als abgetauchte Kultfigur, aber auch als Beispiel für den traumatisierenden Zusammenhang zwischen Rock’n’Roll, exzessivem Drogenkonsum, psychischer Krankheit und fal- scher medizinischer Betreuung. Roky Erickson Durch das 1990 veröffentlichte Tributalbum «Where the 1947 – 2019 Pyramid Meets the Eye» erwachte das Interesse an Roky Erickson neu. Künstler wie Doug Sahm, R.E.M. oder ZZ Top coverten seine Songs. 1994 verhalfen Charlie Sexton und weitere Musiker aus Austin ihrem Idol zum entspann- ten Spätwerk «All That May Do My Rhyme». Ab 2001 ging es endlich aufwärts mit Ericksons Gesundheit. Er be- gann eine neue Therapie und trat ab 2005 wieder öffent- lich auf. Zusammen mit der Alt-Folkband Okkervil River nahm er 2010 sein letztes exzellentes Album «True Love Cast Out All Evil» auf. Vom britischen Musikmagazin «The Quietus» gefragt, mit welchen Gefühlen er 2009 auf den verhängnisvollen Strudel aus Drogen und Freiheitsent- zug zurückblicke, antwortete Roky Erickson: «Ich weiss nicht, was damals genau passiert ist. Aus irgendwelchen Gründen bin ich da durchgekommen. Ich bin okay.»

Tony Lauber Dr. John 1941 – 2019

Unzählige Bands beschrieben Ende der Sechzigerjahre ihre drogengeschwängerten Reisen an die Grenzen des Bewusst- seins. Zu den Pionieren der psychedelischen Musikrevolu- tion gehörten die 13th Floor Elevators aus Texas, deren Sänger Roky Erickson am 31. Mai im Alter von 71 Jahren verstorben ist. Mitte der Sechziger gingen die Elevators auf den Trip. Ihr mysteriöses Debütalbum «The Psychedelic Sounds of the Floor Elevators» (1966) zeigte den noch auf der Folkwelle reitenden Westcoast-Bands, welche Power der Soundtrack zum Wunderelixier des Schweizers Albert Hofmann aus- strahlte. Im Rampenlicht standen Bandleader Tommy Hall und Sänger Erickson. Der schrieb den Hit «You’re Gonna Miss Me», ein wild hingerotzter Ausdruck enttäuschter Teenagerliebe zu Surf-Gitarren und Blubbergeräuschen aus dem elektrisch verstärkten Tonkrug von Hall. Der Song schaffte es bis auf Platz 55 der Billboard-Charts. Vier Alben veröffentlichten die 13th Floor Elevators, ohne ein grosses Publikum zu erreichen. Heute gelten ihre Songs «Roller Coaster», «Fire Engine» oder «Slip Inside This House» als Klassiker des psychedelischen Garage-Rock. Roky Erickson absolvierte jeden Auftritt unter Einfluss Bereits in den Fünfzigerjahren fand der 1941 in New Or- von LSD oder anderen Drogen. Ab 1967 kam der Sänger leans geborene Mac Rebenack seine Berufung: Er kehrte auf den Horrortrip. Ihn quälten grässliche Visionen. Ärzte der Schule den Rücken, um Gitarrist und Songschreiber zu steckten Roky für vier Jahre in eine Klinik für kriminel- werden. Als Teenager tourte er mit Bands durch Louisiana, le Geisteskranke, wo er mit Thorazin und Elektroschocks schrieb Songs, spielte bei Sessions mit und schaute Produ- bitte umblättern DAS TODESJAHR

zenten wie Dave Bartholomew über die Schulter. Seinen ers- ten regionalen Hit verbuchte er als Autor von Jerry Byrnes «Lights Out» (1958). Im folgenden Jahr debütierte er unter seinem eigenen Namen mit dem Instrumental «Storm War- ning». In Cosimo Matassas J&M-Studio erlebte er auch die Blütezeit des Rhythm & Blues und des Rock & Roll im Süden mit. Matassas brillante Studioband begleitete Little Richard, Fats Domino, Irma Thomas, Smiley Lewis und andere. Als junger Gitarrist mischte Rebenack dort mit. Er war aber auch Produzent, Arrangeur und Talentsucher. Um seinen Drogenkonsum zu finanzieren, spielte er auch näch- telang in Striplokalen des French Quarter. Nach einer Haftstrafe zog der Musiker in den frühen Sech- zigern nach Kalifornien. Auf seinem Debütalbum «Gris Gris» schlüpfte Mac 1968 erstmals in die Rolle des exo- tischen, in bunte Gewänder gekleideten Voodoo-Priesters Dr. John. Musikalisch traf «Gris Gris» den Nerv der Hippie-Ära: Die faszinierende Fusion von Acid-Rock mit Beschwörungsformeln, karribischen Rhythmen, Gospel- chören, jazzigen Bläsern, Rhythm & Blues und kreolischer Folklore klang mysteriös und psychedelisch. Auf späteren An Heiligabend 1918 wurde Bartholomew in eine musi- Platten wie «Gumbo» (1971) bekannte sich Rebenack zu kalische Familie geboren. Schon als Teenager spielte er in seinen musikalischen Wurzeln – dem frühen New-Orleans- den Bands von Oscar Celestin, Joe Robichaux und Fats Rhythm & Blues und Rock & Roll. Die Zusammenarbeit Pinchon. Seinen Spitznamen verdankte er seiner Fähigkeit, mit dem Produzenten Allen Toussaint und dessen Studio- einen Ton lange zu halten. Während des Krieges lernte er band The Meters gilt bis heute als Sternstunde des New- in der Armee, eine Band zu führen und Arrangements zu Orleans-R&B. Auf den 1973/74 eingespielten Alben «In schreiben. Nach seiner Entlassung gründete er die Dew the Right Place» und «Destively Bonnaroo» präsentierte Droppers, ein hochklassiges R&B- und Jazz-Ensemble. 1949 sich Mac als gereifter Musiker, der sich einem leichtfüs- verpflichtete ihn Lew Chudd als A&R-Mann bei Imperial sigen Funk-Soul-Sound zuwandte. «In The Right Place» Records, wo er den jungen Pianisten und Sänger Antoine enthielt die Singles «Right Place, Wrong Time» (Dr. Johns «Fats» Domino kennenlernte. Bereits die erste gemeinsame einziger Top-Ten-Hit) und «Such a Night» (bekannt aus Aufnahme wurde zum Hit: Neben Fats’ hämmerndem Pia- The Bands Abschiedskonzert «The Last Waltz»). no wies «The Fat Man» einen lauten, leicht übersteuerten In den Neunzigern lief Dr. John noch einmal zu grosser Sound auf und schoss gleich in die Billboard R&B Charts. Form auf: Mit «Goin’ Back to New Orleans» nahm er ei- Es folgten Klassiker wie «I’m Walkin’» oder «Ain’t That a nes seiner betörendsten Alben auf, auf dem psychedelischen Shame». Im Laufe ihrer fruchtbaren Partnerschaft verkauf- «Anutha Zone» spannte er mit Musikern von Spiritualized ten Domino und Bartholomew rund 60 Millionen Platten. zusammen. 2005 zerstörte der Hurrikan Katrina die Le- In den Fünfzigern und frühen Sechzigern kreierte der Pro- bensgrundlage vieler Menschen in New Orleans. Was den duzent einen kraftvoll rollenden, erdigen Sound, der die Ju- Musiker am meisten schockierte, war die zögerlich geleis- gend ansprach. Little Richard kam nach New Orleans und tete Hilfe vor Ort. In seiner Heimatstadt beteiligte er sich nahm mit Bartholomews Studioband «Tutti Frutti» und an diversen Hilfsprojekten. 2008 veröffentlichte er «City «Long Tall Sally» auf. Weitere Produktionen für Imperial That Care Forgot», seine Abrechnung mit der Ignoranz der Records bildeten das Fundament des Rock’n’Roll: «Lawdy Bundesbehörden. Miss Clawdy», «Stagger Lee» (Lloyd Price), «I Hear You 2012 spannte Dr. John mit Dan Auerbach zusammen, um Knocking» (Smiley Lewis), «Let the Good Times Roll» «Locked Down» aufzunehmen, eine Rückbesinnung auf (Shirley and Lee) und andere. Viele dieser Songs wurden den lebendigen Hippie-Rock- und Funk auf LPs wie «In the später von Künstlern wie Elvis Presley, Ricky Nelson, Jimi Right Place». Am Morgen des 6. Juni 2019 ist der musikali- Hendrix, Dave Edmunds oder Paul McCartney gecovert. sche Botschafter seiner Heimatstadt in New Orleans an den Nach dem Verkauf von Imperial an Liberty Records war Folgen einer Herzattacke gestorben. Rebenack, der seit den Dave Bartholomew weiterhin in New Orleans als Mu- frühen Achtzigern in New York lebte, wurde 77 Jahre alt. sikproduzent tätig und spielte bis ins hohe Alter in einer traditionellen Dixieland-Jazzband. Seinen Freund Fats Do- Tony Lauber mino begleitete er als Bandleader rund um die Welt. 1991 wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen und 2014 mit einem Ehren-Grammy für sein Lebenswerk Dave Bartholomew ausgezeichnet. Ein halbes Jahr nachdem er seinen 100. Ge- 1918 – 2019 burtstag feiern konnte, ist Dave Bartholomew am 23. Juni 2019 in Metairie, Louisiana, an Herzversagen gestorben. Wäre Dave Bartholomews Leben anders verlaufen, würde er zumindest als «Leather Lungs» in Erinnerung bleiben, Tony Lauber als Trompete spielender Leader der heissesten Band von New Orleans. Doch Bartholomew wurde zum Architekten des Rock’n’Roll, der die Entwicklung der amerikanischen Populärmusik entscheidend beeinflusste. Als umtriebi- Johnny Clegg ger Talentsucher, Produzent, Komponist, Trompeter und 1953 – 2019 Bandleader definierte er den Sound der Crescent City und etablierte die Stadt als eine der grossen Musikmetropolen In einem YouTube-Video erzählt Johnny Clegg, wie er einst der USA. Bartholomew gründete die erste Studio-Session- als 14-Jähriger die schwarze Zulu-Musik in Südafrika auf band überhaupt, schrieb und produzierte Platten, welche der Strasse kennengelernt hatte. Später spielte er in seinem die Charts über ein Jahrzehnt lang dominierten, er entdeck- Zimmer auf der Gitarre die Tunes, die meist repetitiver Na- te und produzierte Fats Domino. tur waren. Seine Mutter, eine Jazzsängerin, war überrascht Art Neville 1937 – 2019

und meinte, für sie seien diese immer wiederkehrenden Klänge aus dem Jugendzimmer wie eine chinesische Was- serfolter. Was er denn da mache, die Songs würden ja gar nicht vom Fleck kommen, sondern auf der Stelle treten? Der Filius erklärte ihr, dass es bei diesen Songs eben nicht Art Neville, dieses Urgestein des New-Orleans-R&B, Soul ums Vorankommen gehe, sondern man selber gehe mit die- und Funk, war treibende Kraft zweier wichtiger Bands sei- sen Songs voran. ner Heimatstadt – The Meters und The Neville Brothers. Der im Sommer tragischerweise im Alter von 66 Jahren Die erste war in den Sechzigern und Siebzigern die bevor- verstorbene «weisse Zulu» Johnny Clegg ist einer der we- zugte Sessionband für Produzent/Komponist/Labelgrün- nigen weissen Musiker, die im Apartheidstaat von beiden der Allen Toussaint. Im Lauf der Jahre waren The Meters Seiten geschätzt wurden. Ein Kosmopolit, ein Sänger, der als Rhythmusgruppe so prägend wie Booker T. And The in mehreren Sprachen sang und sich immer gegen das un- M.G.’s oder Motowns Funk Brothers. menschliche Apartheidsystem seiner Heimat aussprach. Art, der älteste Neville-Bruder, wurde am 17. Dezember «Asimbonanga» («Wir haben ihn noch nie gesehen»), seine 1937 in einem Slum der Crescent City geboren. Mit 16 1988 entstandene Hymne für den damals bereits 25 Jahre wurde er Pianist der Hawketts, deren «Mardi Gras Mam- im Gefängnis einsitzenden schwarzen Politiker und Frei- bo» bis heute ein populärer Karnevalsong ist. In den späten heitskämpfer Nelson Mandela, ist sein bekanntester Song. Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren war Nevilles Stim- Heute scheint es unglaublich, aber ja, bis zum Ende des me auf etlichen Singles zu hören, darunter «Cha Dooky 20. Jahrhunderts gab es in Südafrika ein Regime der strik- Doo» oder «All These Things». Später wurde er Leader ten Rassentrennung, ein Unrechtsregime, das erst Anfang von Art Neville & The Neville Sounds, einer Band mit sei- der Neunziger allmählich überwunden wurde. nen Brüdern Aaron und Cyril. Johnny Clegg machte sich früh mit der schwarzen Kultur Allen Toussaint engagierte sie als Studiomusiker für Künst- bekannt. Schon 1969 trat der Ethnologiestudent, der bis ler wie Lee Dorsey, Benny Spellman oder Betty Harris. 1982 auch doziert hat, mit dem schwarzen Musiker Sipho Unter dem Namen The Meters nahmen sie ab 1968 her- Mchunu als Duo Johnny & Sipho auf. Ein schwieriges vorragende, treibende Singles und Alben auf, etliche da- Unterfangen, denn im Apartheidstaat ging das öffentlich von waren lokale Hits: «Hey Pocky A-Way», «Fire on the nicht. Sie durften nur auf Privatpartys oder in Kirchen Bayou» oder «Africa». Die unwiderstehlich groovenden auftreten. Mitte der Siebziger folgten die ersten Plattenauf- Funknummern «Sophisticated Cissy» und «Cissy Strut» nahmen mit der Band Juluka; Sounds zwischen Folk und schossen 1969 in die US-Charts und dienten – wie die Mu- Zulumusik. Obwohl zensiert und behindert, wurde Clegg sik eines James Brown oder George Clinton – als Blaupau- immer bekannter. Auftritte in Deutschland und Frankreich se für den modernen, kompakten Funk der Siebziger. Im Anfang der 80er-Jahre machten ihn international bekannt. Studio begleiteten sie Dr. John, Paul McCartney, Frankie Die Band Juluka wurde 1981 mit dem Album «Scatter- Miller, Robert Palmer und andere. lings» auch erfolgreich. Der Song «Scatterlings of Africa» 1976 brachte George Landry, Onkel der Nevilles, die fand seinen Weg zum Beispiel auf den Soundtrack des Os- zeitweise entfremdeten Brüder für ein Album der Wild car-prämierten Films «Rain Man». Tchoupitoulas, einer schwarzen Mardi-Gras-Indianer- Nach dem Ende von Juluka gründete Johnny Clegg 1985 Band, wieder zusammen. Die Solokarriere von Aaron, die Band Savuka («Wir sind erwacht»). Auch deren ex- dem Hünen mit der Engelsstimme, war längst Geschich- plosive Mixtur aus Rock und dem südafrikanischen Stil te, Saxophonist Charles, der 2018 starb, schlug sich in Mbaqanga – einem Gemisch aus afrikanischen Tunes, Reg- New York als Drogendealer durch. Gemeinsam mit dem gae, Soul und anderem – zündete. «Third World Child» jüngeren Bruder Cyril lancierten The Neville Brothers ihre hiess das 1987 erschienene erste Album, auf dem sich auch Karriere neu und feierten – nach mehreren kommerziellen das oben erwähnte «Asimbonanga» findet. Flops – mit «Yellow Moon» (1989) und dem Folgealbum Schon vor ein paar Jahren wurde bekannt, dass Johnny «Brother’s Keeper» (1990) weltweite Erfolge. Clegg an Bauchspeicheldrüsenkrebs litt. Am 16. Juli erlag Art Neville, der sich an diversen Meters-Reunions beteilig- er der teuflischen Krankheit im Alter von 66 Jahren in Jo- te, kündigte im Dezember 2018 seinen Abschied von der hannesburg. Südafrika hat damit einen seiner grössten Mu- Konzertbühne an. Am Morgen des 22. Juli 2019 starb der siker und einen internationalen Sympathieträger verloren. 81-jährige Musiker. Tony Lauber Thomas Bohnet bitte umblättern der am 15. September in New York 75-jährig verstorben ist. DAS TODESJAHR Der Schönheit und Langlebigkeit seiner Kompositionen tut dies keinen Abbruch. Heute klingen die Cars so klipp, klar und modern wie eh und je. Drive! Ric Ocasek Roman Elsener 1944 – 2019 David Berman 1967 – 2019

Im Video zu einem der grössten Hit der Cars, «Just What I Needed», ist Ric Ocasek kaum zu sehen. Die Kamera kon- zentriert sich auf den jungen blonden Sänger und Bassisten Ben Orr – er sieht göttlich lasziv aus, wie ein unehelicher Sohn von Brian Jones und Brigitte Bardot. Beim Solo fokus- Einen Moment lang dachte man an einen aberwitzigen Ver- siert das Bild dann auf den linkshändigen Gitarristen Elliot kaufstrick, als gelte es, David Bowies «Blackstar» und Leo- Easton und seine ausserordentliche Fingerfertigkeit. nard Cohens «You Want It Darker» zu übertrumpfen – und Und doch waren The Cars die Band des langen schlaksi- das eigene Testament zu überleben. Das Wiederauftauchen gen Rhythmusgitarristen am rechten Bildrand des Videos. von David Berman nach zehnjähriger Versenkung erschien «Ich war nie in der Gruppe von jemand anderem – ich war surreal genug: aus dem bleiernen Nichts diesen Frühling immer der Gründer», gab Ocasek 2011 zu Protokoll, als plötzlich dieses traumhaft schöne, unfassbar traurige und The Cars als erfolgreichste New-Wave-Band der USA in die trotzdem beschwingt schwebende Album «Purple Moun- Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen wurden und ihr tains». «Die Toten wissen, wohin sie gehen, wenn sie diesen letztes Album «Move Like This» veröffentlichten – leider Ort verlassen», singt er in «Nights That Won’t Happen». ohne Ben Orr, der bereits 2000 an Krebs verstorben war. Die Singles vorab, «All My Happiness Is Gone», im munte- Mit Orr hatte der junge Ocasek in den 70er-Jahren in ren Tonfall des New-Wave-Hits «I Melt with You» von Mo- Boston seinen engsten Verbündeten gefunden, die bei- dern English, gefolgt von «Darkness and Cold», das konnte den spielten in verschiedenen Bands, bevor sie 1976 The nur er, David Berman. «Dem Grössten seiner Generation» Cars gründeten. Dann landete ein Demo von «Just What I (Lloyd Cole) mit dem lakonischen Bariton traute man alles Needed» bei einem lokalen Radiosender und wurde rasch zu – sogar, dass er trotz der chronischen Depression seine zum gefragten Song. 40 Hitsingles folgten, und noch heute Cracksucht, eine Augenoperation, den Tod seiner Mutter dringt ihr Sound aus Lautsprechern in amerikanischen Bars und die Trennung von seiner Frau und Mitmusikerin Cassie und Clubs und – natürlich – Autos. Obwohl sich die Cars überwinden würde. Sowie die schwerste Last seines Lebens, immer auf Proto-Punks wie Velvet Underground oder die wie er bekannte: die grausame Lobbyarbeit seines Vaters Ri- Modern Lovers berufen haben, stiess die Band im Lager chard, in Washington berüchtigt als «Dr. Evil». der alternativen Musikpresse auf viel Kritik – Ocaseks Mu- Den neuen Bandnamen Purple Mountains anstelle der frü- sik wurde als Weichspül-New-Wave abgetan. Tatsächlich heren Silver Jews verstand er als zynische Hommage an drohte das Rezept des angulären Rocks mit eingängigen die inoffizielle Landeshymne «America the Beautiful», im Pop-Melodien schal zu werden, Rics zusehends komplexe Blick auf die violetten Berge die leise Hoffnung, dass das Texte wurden von den Kritikern kaum gewürdigt. gute Amerika der weit offenen Horizonte nicht verloren sei. Ocasek, inzwischen nach New York gezogen, gab 1988 die Am 7. August hat Berman sein Licht gelöscht, zwei Tage Auflösung der Band bekannt und etablierte sich als Produ- vor dem Finanzzuhälter Jeffrey Epstein, das hässliche Ame- zent von Bands wie Bad Brains, Bad Religion, Guided by rika droht zu gewinnen. Gegen die Dunkelheit aber bleiben Voices, Hole, No Doubt, Suicide oder Weezer. Bermans Songs eine Ermunterung, noch im Angesicht des Der lange Dürre, der als Bostons Antwort auf Joey Ramone Todes den Humor nicht zu verlieren. «Am letzten Tag deines durchgegangen wäre, blieb auch nach der Trennung der Cars Lebens, vergiss nicht zu sterben», sang er auf dem ersten Al- in den Schlagzeilen – weniger durch die Musik als durch die bum und verwandelte stets all seinen Schmerz über sich und Wahl seiner Lebenspartnerin: Als er 1989 das Supermodel die Welt in Empathie, Schönheit, Weisheit und Spott. Was Paulina Porizkova heiratete, stieg er schnell in die Top-Ten- bleibt, sind Nachrufe grosser Weggefährten wie Bill Calla- Liste der «Celebrities with Unattractive Partners» auf – wohl- han: «Die Welt ist und wird immer ein Gedicht von David gemerkt auf der Seite der Unattraktiven, in engem Kampf Berman sein.» Und rührende Hommagen wie das Gemälde mit Julia Roberts’ damaligem Freund Lyle Lovett um Platz 1 «SilverJewsLand» von Jeffrey Lewis mit 75 Songtiteln, die des Hässlichsten mit der Schönsten. Heute streiten sich Po- Landkarte einer anderen, beseelten USA. rizkova und die Nachkommen um das Erbe des Musikers, Marcel Elsener TOP TEN Markus Ganz Thomas Bohnet Angel Olsen: All Mirrors The Young Gods: Data Mirage Tangram PNL: Deux Frères Sasami: Sasami Linda Vogel: Maps To Others Cléa Vincent: Nuits sans sommeil Black Midi: Schlagenheim FKA Twigs: MAGDALENE L’Epée: Diabolique Solange: When I Get Home Solange: When I Get Home Robert Forster: Inferno Melissa Kassab: Rodeo Fennesz: Agora Angela Aux: In Love With the Demons Leonard Cohen: Thanks for the Dance Amyl & The Sniffers: Amyl & The Sniffers Benedikt Sartorius Nick Cave: Ghosteen Durand Jones & The Indications: American Various Artists: Fragments du Monde Flottant Angel Olsen: All Mirrors Love Call Helado Negro: This Is How You Smile Nits: Knot Altin Gün: Gece Aldous Harding: Designer Swans: leaving meaning Hochzeitskapelle: If I Think of Love Danny Brown: uknowwhatimsayin Dream Syndicate: These Times Equiknoxx: Eternal Children Tony Lauber Holly Herndon: Proto Chris Forsyth: All Time Present Jürg Odermatt Ernest Hood: Neighborhoods Reed Turchi & His Kudzu Choir: Midnight in Sleaford Mods: Eton Alive Panda Bear: Buoys Memphis Kneubühler: Living isch Easy (EP) Kali Malone: The Sacrificial Code The Delines: The Imperial Mama Jefferson: Jizzmag Deerhunter: Why Hasn’t Everything Already Endless Boogie: Vol. l/ll Klaus Johann Grobe: Downtown (Single) Disappeared? Luther Dickinson & Sisters of the Strawberry Bilderbuch: Vernissage My Heart Moon: Solstice Voodoo Jürgens: ’S klane Glücksspiel Hanspeter Künzler Christina LaRocca: These Are My Whiskey Grüze Pack: Hassmob Ost (EP) Richard Dawson: 2020 Dreams Richard Dawson: 2020 Lankum: The Livelong Day The Bevis Frond: We’re Your Friends, Man Robert Forster: Inferno Tropical Fuck Storm: Braindrops Curse of Lono: 4am and Counting Nick Cave: Ghosteen Vanishing Twin: The Age of Immunology Yola: Walk Through Fire One Sentence.Supervisor: Acedia Michael Kiwanuka: Kiwanuka Veit F. Stauffer Devendra Banhart: Ma Arno: Santeboutique Lana Del Rey: Norman Fucking Rockwell Michael Gasser Lou Doillon: Soliloqui Wilco: Ode to Joy Molly Tuttle: When You’re Ready Sharon Van Etten: Remind Me Tommorow Trupa Trupa: Of the Sun the bird and bee: Interpreting the Masters, Robert Forster: Inferno Fontaines D.C.: Dogrel Volume 2: A Tribute to Van Halen Fred Frith: All Is Always Now Fabienne DelSol: Four Aldous Harding: Designer Reto Aschwanden Arthur Russell: Iowa Dream Khruangbin: Con Todo El Mundo Angel Olsen: All Mirrors Jesca Hoop: Stonechild Knoedel: Still Sleater-Kinney: The Center Won’t Hold The Highwomen: The Highwomen Leyly McCalla: Capitalist Blues Sharon Van Etten: Remind Me Tomorrow Hayes Carll: What It Is Johnny Moped: Lurrigate Your Mind Gemma Ray: Psychogeology Jessica Pratt: Quiet Signs The Comet Is Coming: Trust in the Lifeforce of Patty Griffin: Patty Griffin Christian Pauli Deep Mystery Olden Yolk: Living Theatre Clipping: There Existed an Addiction to Blood Wolvennest: Vortex Die Goldenen Zitronen: More Than a Feeling Schammasch: Hearts of No Light Chrigel Fisch Kim Gordon: No Home Record Mark Lanegan: Somebody’s Knocking Schammasch: Hearts of No Light Nick Cave: Ghosteen Nick Cave: Ghosteen Mr. Ray: Interior Oren Ambarchi & Will Guthrie: Knotting ET Explore Me: Shine Sleaford Mods: Eton Alive Praed: Doomsday Survival Kit The Blinders: Live At The Ritz Stahlberger: Dini Zwei Wänd Philipp Anz Joan Shelley: Like the River Loves the Sea Swans: leavin meaning Fontaines D.C.: Dogrel Blood Incantation: Hidden History of the Tunes of Negation: Reach the Endless Sea Angel Olsen: All Mirrors Human Race Purple Mountains: Purple Mountains Naim: Lost in Permission Sam Mumenthaler Sharon Van Etten: Remind Me Tomorrow None Of Them: IIII Black Pumas: Black Pumas Fat White Family: Serfs Up Meister Lampe: Orb II Lana Del Rey: Norman Fucking Rockwell Cate Le Bon: Reward Michael Kiwanuka: Kiwanuka Congaking: Kurz vor dem Mond Robert Forster: Inferno Rhiannon Giddens & Francesco Turrisi: There Is Weyes Blood: Titanic Rising Philipp Niederberger No Other Little Simz: Grey Area The Hunches: Same New Thing Angel Olson: All Mirrors Maria Violenza: Scirocco Golden Pelicans: Grinding for Gruel Bob Dylan feat. Johnny Cash: Travelin’ Thru Talky Nerds: Dungeons & Drugs (Bootleg Series 13) Roman Elsener Les Grys Grys: Les Grys Grys Yoa: Walk Through Fire Doctors of Madness: Dark Times The Victims: The Victims The Raconteurs: Help Us Stranger Lloyd Cole: Guesswork Guitar Wolf: Love and Jett Emilie Zoé: The Very Start Nits: Knot Various Artists: Horst Klub Edwyn Collins: Badbea Stahlberger: Dini zwei Wänd Country Teasers: Toe Rag Sessions Fischer-Z: Swimming in Thunderstorms Vintage Crop: New Age Christa Helbling Jeff Lynn’s ELO: From Out of Nowhere Earth Girl Helen Brown: Center for Planetary Cate Le Bon: Reward Jeffrey Lewis and the Voltage: Bad Wiring Intelligence Helado Negro: This Is How You Smile Beck: Hyperspace Vagabon: Vagabon The Specials: Encore Jessica Pratt: Quiet Signs Robert Forster: Inferno Aldous Harding: Designer Inserat in der Loop vom 6.12.2019 SZENE Konzerte 6.12.2019 bis 31.01.2020 IG Rote Fabrik Seestrasse 395 8038 Zürich 䜀爀愀戀攀渀栀愀氀氀攀 [email protected] 7.12. 20Uhr20 Sa. 7.12.19 Clubraum 20:00 Tel. 044 485 58 58 Gessner-Allee 11 ACAPULCO 8001 Zurigo Isola SHAM 69 & HÜ SCHENKEL Fax. 044 485 58 59 www.ellokal.ch STAGE DIVERS ENDZEITGALA Samstag 14.12. 20Uhr20 Mit Punklegende Sham 69, Mr. Soul, sub. GIIGESTUBETE verb und natürlich HÜ SCHENKEL BUNTSPECHT + JODLEREI + KUPUS Sonntag, 15.12. / 05.01. Fr. 13.12.19 Aktionshalle 21:00 02.02. / 01.03. / 05.04. Woo-Hah! Dienstag 31.12. 21Uhr21 03.05. / 07.06. 18Uhr18 WENDELBO PLATTENTAUFE CHYNNA / PRIESTESS + MAX & THE MCFORELLES Dj Samstag 11.01. 20Uhr20 TICKETS: Erhältlich direkt Sa. 14.12.19 Aktionshalle 20:00 MARIA DOYLE am el Lokalen Sugarshit Sharp Tresen und auf KENNEDY & ticketino.com THE YOUNG GODS KIERAN KENNEDY Blind Butcher

Sa. 21.12.19 Aktionshalle 22:00 Enter the Dancehall WWW.GAREDELION.CH DAVID RODIGAN & SPECIAL GUEST SILOSTRASSE 10 GARE 9500 WIL Boss Hi-Fi Lieferschein LS3

Monat Mois Tag Datum Month Jour Date Day Date DE Vorverkauf: www.starticket.ch

Jahr Année LION Year Eintritt frei für Personen des Asylbereichs. Nur Zeit Ende Preis Vorverkauf solange verfügbar. Ausweis N/F vorweisen. Heure Fin Prix Prévente Time End Price Presale Spezifikation / Spécification / Specification KONZERT- Gare de Lion / www.garedelion.chHIGHLIGHTS / Silostrasse 10 / 9500 Wil

Lieferung / Livraison / Delivery SA 21.12. GREENFIELD FESTIVAL FOUNDATION: LOTRIFY, IRONY OF FATE & HELLVETICA HARDCORE, PUNK, THRASH METAL, MELODIC METAL SA 15.02. DAS EFX (USA) HIP-HOP SA 07.03. KID FRANCESCOLI (FRA) INDIE, ELECTRO FR 13.03. SUFFOCATION (USA), BELPHEGOR (AUT) 䐀椀⸀ ㌀㄀⸀ & HATE (POL) BLACK-, DEATH-METAL 䈀爀甀挀栀琀攀椀氀㨀 FR 27.03. TIM FREITAG INDIE 䬀愀爀愀漀欀攀 FR 03.04. KNÖPPEL & JACK STOIKER PUNK

吀椀氀氀 Mitteilung / Communication / Message SA 04.04. EIN KLEINES SONGWRITERID FESTIVAL: PATRICK JAMES (AUS), WORTH & DAVID 䐀攀愀琀栀 JACOBS-STRAIN (USA) 匀甀瀀瀀漀爀琀㨀 SINGER/SONGWRITER 吀栀攀 䌀愀琀愀氀礀猀琀 ⠀挀栀⤀ SO 12.04. MIAMI HORROR (AUS) ELECTRO, INDIE 最爀愀戀攀渀栀愀氀氀攀⸀挀栀 匀琀⸀䜀愀氀氀攀渀 椀渀 搀攀爀 匀挀栀眀攀椀稀 DER VOLLSTÄNDIGE FAHRPLAN: WWW.GAREDELION.CH

KONZERTE konzerte 6.12. EMILIE ZOÉ & ONE

7. DEZEMBER SENTENCE. SUPERVISOR PLAYMOB.IL FEAT. MOJO (WINTI) 10. DEZEMBER DICHTUNGSRING PRÄSENTIERT: INTERROBANG (CH) 7.12. BIT-TUNER PRESENTS «EXO» 12. DEZEMBER OGMH (CH) & TOO MAD (CH) 17. DEZEMBER PHIL HAYES & THE TREES (CH) 13.12. ROBERT FORSTER 21. DEZEMBER FERAL DOG: FILMMAKER (CO) & PRINCESS THAILAND (FR) 23. DEZEMBER 14.12. SARGNAGEL, RÖSINGER CHRISTMAS BASH: TEAM SONDER- MODELLE / FRONTSLAM / FNB (ALLE WINTI) Palace St.Gallen VORVERKAUF VIA TICKETINO.COM & BOURBON www.albani.ch 21.12. YIN YIN SCHLUSSRUNDE Seit Frühling 2018 führen unsere ### M: Wir hören ja beide Expert­innen auf dieser Seite einen nicht nur Musik, sondern sind auch jobmässig damit Dialog über Musik. Eine Babypause beschäftigt. Als Abschluss: Dein schönstes und dein unterbricht das Zwiegespräch seltsamtes Erlebnis mit Musiker*innen? der beiden Damen vorerst, also blicken F: Da muss ich etwas nach- denken... Mein schönstes sie zurück – und in die Zukunft. Erlebnis war/ist vermutlich, dass ich mit einem Musi- ker, den ich von der Arbeit Miriam: Das ist vorläufig unsere letzte Kolumne zusam- her kenne, eine wunderba- men. Drum gilt für diese Ausgabe komplette Anarchie. re Freundschaft eingehen Fabienne: Okay. Dann fang ich gleich mal an: mit FKA durfte – so wunderbar, dass Twigs. Da hab ich gelesen, dass sie im «Guardian» 2013 er der Götti meiner kleinen mit folgenden Worten beschrieben wurde: «britische Ver- Tochter wird! treterin eines ätherischen, schaurig weitläufigen R&B, ge- M: Ok, du gewinnst. Und sungen von hübschen hauchigen Frauen». das seltsamste? M: Oh, ich mag das Wort «hauchig». F: Das Erlebnis, das mich F: Mir gefällt das Wort «hübsch» in dem Kontext gar nicht. am wütendsten gemacht M: Stimmt, das geht irgendwie nicht… Eigentlich wollten hat, war einmal die Aus- wir FKA Twigs ja unsere ganze Kolumne widmen, bis wir sage eines Musikers (die gemerkt haben, dass es unsere letzte ist. nicht für mich bestimmt F: Genau! Und weil wir nun auf Anarchie machen, wechsle war, aber blöderweise wur- ich einfach abrupt das Thema: Was sind deine liebsten Al- de mir sein Mail weiterge- ben von Musikerinnen aus dem letzten Jahr? leitet, ohne den Inhalt zu M: Ganz weit vorne dabei ist definitiv «The Book of Traps löschen), dass ich einfach and Lessons» von Kate Tempest. Bei dir? «mit den Brüsten wackeln fka twigs F: Bei mir ebenfalls: Das hat eingeschlagen wie eine Bombe! solle», um seiner Band ei- Aber auch Big Thief und Aldous Harding haben mein Mu- nen Auftritt am Festival Ein eher seltsames Erlebnis war es wiederum, als der Sän- sikjahr mitbestimmt. Und was war 2019 dein Tiefpunkt XY zu verschaffen. Ich war ger der Lovebugs mich mal in Basel im Ausgang abschlep- betreffend Frauen und Musik? sprachlos, wütend und ver- pen wollte und dann angepisst war, dass ich unbeeindruckt M: Uff. Neben den Line-Ups von Schweizer Festivals? letzt und werde mit dieser war von seiner Band. Aber das ist gefühlte 100 Jahre her! F: Zum Beispiel... Mir kommt grad ganz aktuell die «Wer- Person nicht mehr zusam- F: Eine würdige Anekdote zum Abschluss: Wir haben mit bung» der Swiss Music Awards in den Sinn, die ich heute menarbeiten. Und bei Dir? FKA Twigs angefangen und sind am Ende bei den Lo- gesehen habe. Weisst du, wovon ich rede? M: Wow… Eins meiner vebugs gelandet... M: JA! Sorry, liebes SMA-Team, aber schliifts? Das ist so, Highlights war sicher das M: Liebe Fabienne, es war mir eine Freude und eine Ehre. so peinlich. Ok, boomer. Loop-Interview mit Endo Ich wünsche dir alles, alles Gute für die Zukunft! Dein Anaconda vor ein paar Jah- Nachfolger tritt in grosse Fussstapfen. (Ja, Spoiler: Nach- ### ren. Das war im Backstage folgER.) im KiFF, und ich war ziem- F: Das Vergnügen war ganz meinerseits! Ich freu mich M: Weiter in der Anarchie: Welche unserer Kolumne ist dir lich betrunken, weil ich so darauf, den Dialog (Mist, jetzt kann ich nicht mehr «Da- besonders in Erinnerung geblieben? nervös war – immerhin bin mendialog» sagen) künftig zu lesen, irgendwo zwischen F: Liz Phair. Weil sie eine Pionierin war, was Grrrl Pop an- ich mit Endos Musik aufge- Windel- und Wäschetürmen. Alles Gute dir und meinem geht, aber irgendwie doch nicht bis heute präsent geblieben wachsen. Es war trotzdem Nachfolger. Keep up the good work! ist. Und dir? – oder vielleicht deswegen M: Die über Nina Simone. Weil das die Zeit war, kurz – eins meiner besten Inter- Miriam Suter und nachdem mein Grosi gestorben war und ich es irgendwie views, finde ich. Fabienne Schmuki schön fand, das in die Kolumne einflechten zu können. Quasi als kleine Hommage. F: Stimmt. Gibt es für dich persönlich eine Musikheldin TOP TEN 2019? M: Oh ja. Aber Achtung: Das wäre in dem Fall ein Mann. Fabienne Schmuki Miriam Suter F: Auch gut! Wer denn? One Sentence. Supervisor: Acedia Kate Tempest: The Book of Traps M: Kevin Morby. Ich hab mich so krass in das neue Al- Kevin Morby: Oh My God and Lessons bum verliebt und auch wieder neu in die älteren. Wenn ich WIVES: So Removed Sharon van Etten: Remind Me Tomorrow Morby höre, denke ich an meinen Sommer 2019. Und ich Big Thief: U.F.O.F. LCD Soundsystem: Electric Lady Sessions war traurig, dass er sein Konzert in Zürich absagen musste, Blind Butcher: Piss Me a Rainbow Kevin Morby: Oh My God weil er krank war. Ich hab dann dafür Stahlberger gesehen, Kate Tempest: The Book of Traps Amanda Palmer: There Will Be das war auch nett. and Lessons No Intermission F: Da triffst du bei mir natürlich ins Schwarze! Ich vergöt- Helado Negro: This Is How You Smile Lizzo: Cuz I Love You tere Kevin Morby geradezu. Zum Glück hab ich ihn diesen Aldous Harding: Designer Sleater Kinney: The Center Won’t Hold Sommer am PALP gesehen. Das war mein Live-Highlight Organ Mug: Here And There (EP) Cigarettes After Sex: Cry Better 2019: Er hat vor der Burgruine gespielt, alleine. Ich hab Mr. Ray: Interior Oblivion Community Center: Dito gleichzeitig geheult und gelacht. Stahlberger: Dini zwei Wänd DIE NEUEN PLATTEN Sound Surprisen «Indian Summer» beispielsweise, einer der grossen Ever- greens von Beat Happening. Ein repetitives Gitarrenlick, ein holpriger Rhythmus im Hintergrund, darüber Calvin Johnsons unendlich tief knarzende und knarrende Stimme, die sich nicht entscheiden kann, ob sie singen oder spre- chen soll und sich schliesslich mit der Andeutung einer Me- lodie begnügt. «We’ll come back for indian summer and Maija Sofia Aziza Brahim Various Artists go in separate ways.» Ein Klassiker, und das reicht, um Bath Time Sahari Space Funk. Afro- dreissig Jahre in der Zeit zurückkatapultiert zu werden. (Trapped Animal Records) (Glitterbeat) Futurist Electro Funk Oder besser: In alle Altweibersommer, die man je erlebt In Space 1976-84 hat, ver- oder entliebt. Dass Irland eine blühende Aufgewachsen in einem (Soul Jazz Records) Beat Happening. Es ist gar nicht so einfach, die richtigen Musikszene und aufstre- Flüchtlingscamp in der Worte zu finden, um diese Band zu beschreiben. Zu un- bende Künstler beheima- algerischen Westsahara, Ein stampfender Groove, spektakulär, zu alltäglich; sie waren einfach da, eine selbst- tet, zeigen die diesjährigen enstammt Aziza Brahim ei- flirrende Synthesizer, eine verständliche Präsenz, die Band aus dem Übungsraum Alben von Fontaines D.C. ner Familie starker Frauen: Vocoderstimme und ein nebenan, der Beweis, dass man Popstar und normal oder oder The Murder Capital. Ihre Grossmutter war eine fröhlicher Nonsense-Kin- nerdig sein konnte. Doch Dublin verfügt nicht bekannte Lyrikerin und derreim: «Fee Fi Fo Fum» Calvin Johnson (Gesang, Gitarre), Heather Lewis (Drums, nur über neue Gitarren- ihre Mutter eine bekannte von LEO ist der stimmige Gesang) und Bret Lunsford (Gitarre, Drums) gründeten Bands und eine aktive Elek- Sängerin in Nordafrika. Opener von «Space Funk. Beat Happening 1982 in Olympia, Washington; 1985 tronik-Szene, sondern auch Auf ihrem Album «Saha- Afro-Futurist Electro Funk erschien ihr selbstbetiteltes Debüt, 1988 erlebten sie mit über ruhigere musikalische ri» geht es um die Flucht in Space 1976-84». Das «Jamboree» auf ihrem eigenen K Label den Durchbruch, Ecken und talentierte Sin- der vertriebenen Sahrawi britische Label Soul Jazz 1992 mit «You Turn Me On» ihren Höhepunkt, produ- ger/Songwriterinnen. Zu sowie generell um die Um- hat fünfzehn Funk-Tracks ziert von Stuart Moxham (Young Marble Giants), einem ihnen gehört Maija Sofia, stände der Flucht – gibt aus den Archiven gezogen, anderen Fachmann für eine minimalistische Pop-Ästhetik. die im ländlichen Galway es doch aktuell weltweit die sich mit «Computer Po- In sieben Jahren entstanden fünf Platten, die die Sound- aufgewachsen ist und mit 70 Millionen gewaltsam wer» und «Space Invaders» ästhetik, aber auch die DIY-Haltung des amerikanischen «Bath Time» ihr Debüt ver- vertriebene Menschen. auseinandersetzten, mit der Prä-Grunge-Undergrounds massgeblich prägten. Schlag- öffentlicht. Inspiriert vom Aziza selbst lebt im Exil in «Supersonic Space Lady» zeug, Gitarre, Gesang, kein Bass, keine Overdubs (ausser Protest gegen das Abtrei- Spanien, wo sie auch diese und dem «Fly Guy and im erstaunlichen, ungewöhnliche neun Minuten langen bungsverbot, das 2018 in Platte aufgenommen hat. the Unemployed» (klasse «Godsend»). Der Sound ist trocken, sehr understated, Irland abgeschafft wurde, Mitproduziert hat übrigens Titel!) – und was «Bionic unspektakulär. Klar in der Einfachheit und Direktheit des blickt Maija Sofa in vielen die wunderbare spanische Funk» ist, kann man im Punks verwurzelt, aber ohne dessen Aggressivität und mit ihrer Songs auf historische Musikerin Amparo San- gleichnamigen Track von einer unüberhörbaren Liebe zu den einfachen Melodien Frauenfiguren. «Edie Sedg- chez. Ihre Idee war es wohl Santiago nachhören. In ei- und simplen Lyrics der Sechzigerjahre und des britischen wick» ist Andy Warhols auch, so Aziza Brahim, ner Zeit entstanden, in der (insbesondere schottischen) Indie-Pops der frühen Achtzi- jung verstorbener Muse ge- verstärkt mit Elektronik zu Funk und Disco zusam- gerjahre. Freundliche Lieder über Liebe und Süssigkeiten widmet, «Elizabeth» einer arbeiten. «Sahari» ist ein menwuchsen, zeugen diese statt No Future. Diese Freundlichkeit und der offensichtli- anderen Muse im viktoria- spannendes Werk zwischen Tracks von einer grund- che Verzicht auf Macho- und Stargehabe war auch auf der nischen London, der Male- Tradition und Moderne. sätzlichen Zuversicht, sie Bühne offensichtlich – selbst da wirkten Beat Happening rin Elizabeth Saddel. «The Das kann auch mal ruhiger feiern die Verheissungen wie die Band aus dem Übungsraum nebenan. Wife of Michael Cleary» sein, wie im Schlüsselstück der Zukunft und das Le- Der Protest fand nicht in den Texten und nicht im Sound behandelt die Geschich- «Ard el hub», dem Hilferuf ben im All, das nicht erst statt, sondern in der unbestechlichen DIY-Haltung. Ihre te von Bridget Cleary, die eines ins Exil vertriebenen seit Sun Ra der afroame- resolute Unabhängigkeit wirkte nie ideologisch, sondern 1895 von ihrem Ehemann Flüchtlings. «Las huellas» rikanischen Identität eine selbstverständlich. Calvin Johnson gründete das K Label, im irischen Tipperary mit dagegen ist ein – spanischer Projektionsfläche bot. All das 1982 als Kassettenlabel begann und später neben Beat Öl übergossen und ange- – Reggae. Wieder andere das, Zukunft, Weltraum, Happening auch frühe Alben von Beck, Built to Spill oder zündet wurde, weil dieser Stücke sind dann stark von Funk, Disco und Afrozent- Modest Mouse veröffentlichte. glaubte, sie sei von Dämo- arabischen Tunes geprägt. rismus, kommt auf «Space Beat Happenings Einfluss reichte indes weit über die Lo-Fi- nen besessen. Die moder- Wie etwa der famose Ti- Funk» auf interessante, oft Szene hinaus – wie so viele andere Bands bezeichnete Kurt nen Folk-Balladen werden telsong. Das wichtigste In- verblüffende, nicht selten Cobain Beat Happening als einen grossen Einfluss auf Nir- von Sofias eindringlicher strument der Sahrawi, die amüsante Weise zusammen vana – bekanntlich fand ein grosser Teil seiner musikalischen Stimme, ihrer elektrischen Tabal-Trommel, kommt und macht den Sampler, Sozialisation in Olympia, WA statt. Sleater-Kinney waren Gitarre und wenigen weite- vor allem im Opener «Cu- auch wenn nicht alle Tracks bekennende Fans, R.E.M. coverten «Indian Summer». ren Instrumenten wie Cello atro Proverbios» zum Ein- musikalisch gleichermassen Und Beat Happening? Offiziell haben sie sich nie getrennt, und Synthesizern getragen. satz. Sehr schöne Platte. überzeugen, zum anregen- laut eigenen Angaben üben sie immer noch einmal monat- Mit «Bath Time» ist der den Artefakt. lich. Das passt. Was auch passt, ist das neue Vinyl-Box-Set jungen Irin so ein packen- tb. mit ihrem kompletten Output, das auf Domino Records des und atmosphärisch cg. (Vertrieb: Irascible) erscheint und hoffentlich das Interesse dichtes Geschichtsbuch ge- an der Band neu schürt. lungen.

Christian Gasser anz. DIE NEUEN PLATTEN

Sean O’Hagan Leonard Cohen El Khat Michael Josienne Clarke Radum Calls Thanks for the Dance Saadia Jefferson Kiwanuka In All Weather (Drag City) (Legacy) (Batov Records) Kiwanuka (Rough Trade) (Polydor/Universal) Viele MusikantInnen ha- Nein, «You Want It Dar- Ohne Zweifel: Eines der Fünf Alben lang gehörten ben sich von den Beach ker», das 19 Tage vor Co- faszinierendsten Alben des Nachdem es «Love & Hate» Josienne Clarke und Ben Boys im Allgemeinen und hens Tod 2016 erschien, ist Jahres. El Khat, die Band (2016) bis an die Spitze der Walker zum feinen Ton der «Pet Sounds» im Besonde- nicht sein letztes Album. des in Israel aufgewachse- britischen Charts schaffte, neueren britischen Folk- ren inspirieren lassen. Nie- Bei den Sessions nahm er nen Jemeniten Eyat el Wa- war der Erfolgsdruck für szene. Letztes Jahr trennte mand aber hat sich mit so weitere Lieder auf, die nun hab, taucht tief ein in die Michael Kiwanuka hoch. sich das Paar sowohl auf viel Gusto in die eigenarti- erscheinen. Leonards Sohn folkloristischen Traditionen Sein drittes, bisher ambitio- musikalischer als auch pri- gen Klänge der beiden Ins- Adam Cohen vollendete die seiner Eltern und Gross­ niertestes Album, geht einen vater Ebene, und Clarke trumentalstücke auf jenem Songs. Weder ist es eine ty- eltern und verwandelt je- Schritt weiter: Wir hören setzte sich von London auf Album gestürzt wie Sean pische Resteverwertung ge- menitische Folksongs durch vielschichtige Soulmusik mit die schottische Insel Bute O’Hagan. In seiner ersten worden, noch ein typischer ein Hin und Her zwischen Streichern, Bläsern, Chor ab. Seither ist sie fleissiger Band, den Anfang der 80er- Sohn-Tribut. «You Want It Dekonstruktion und Fusi- und einer Harfe. Den Instru- denn je. Nebst allerhand Jahre mit Cathal Coughlan Darker» ist gezeichnet von on in treibende, psychede- menten wird viel Raum ge- Kompositionen fürs The- formierten Microdisney, der Todesahnung, «Thanks lisch flirrende, rhythmisch lassen. Und wir hören einem ater und einem munteren war diese Vorliebe noch for the Dance» ist noch im und melodisch komplexe gereiften Künstler zu, der Album mit ihrer poppigen wenig zu spüren. Im Ver- Leben verhaftet, es ist Cohen und immer zwingende Pop- sein Meisterwerk abliefert. Band PicaPica erfreut sie lauf von etlichen unter dem durch und durch, erotisch, Stampfer von ungeheurer Michael Kiwanukas neue uns nun auch noch mit ei- Banner von High Llamas trüb- und tiefsinnig. Von Kraft und Vitalität. Nach Texte klingen selbstsiche- nem ersten Soloalbum. Wie veröffentlichten Alben ver- seiner Krebserkrankung ge- fünf Jahren als Cellist im rer und leidenschaftlicher, schon die letzten beiden tiefte er sich dann immer zeichnet, sass er am Stuben- Jerusalem Andalusian Or- die Musik zupackender. Werke mit Walker und Pi- tiefer in eine Klangwelt, tisch und sang in ein Mikro- chestra stellte Eyal die Als Beispiel nenne ich hier caPica erscheint auch dieses die mit ihren Harfen, Strei- fon. Sohn Adam holte sich vierköpfige Band El Khat «You Ain’t the Problem», wieder auf Rough Trade chern und Vibraphonen an Unterstützung aus Cohens zusammen, die ihre Energie eine Upbeat-Nummer mit Records und liefert einen Easy Listening gemahnen Band und von bekennenden nicht nur aus den unter- Partystimmung, Perkussion weiteren Beweis ab für den mochte, dem Sound aber Cohen-Jüngern wie Daniel schiedlichen Backgrounds und Fuzz-Gitarre, gefolgt exquisiten Geschmack von eine surreale Doppelbödig- Lanois oder Beck. Wissend der Musiker (Marocko, vom Funkrocktitel «Rol- Geoff Travis, dem Begrün- keit abgewann, die beim um seinen Tod, zieht Leo- Irak, Polen) zieht, sondern ling». Die Koordinaten lau- der und Direktor dieser näheren Hinhören niemals nard in «Happens to the auch aus den ungewöhnli- ten Marvin Gaye und Isley schönen Firma. Clarke sel- mit Liftmusik hätte ver- Heart» Bilanz: «Ich arbei- chen Sounds selbst gebauter Brothers. Mit «Piano Joint ber spielt diverse Gitarren wechselt werden können. tete immer hart und nann- Instrumente. In «Ala Jino (This Kind of Love)» schiebt mit und ohne Strom, dazu «Radum Calls» ist sein te es nie Kunst. Ich bekam Nuhayiykum» schwirrt eine Kiwanuka eine zärtliche Bal- Blockflöte und Sax. Be- erstes Soloalbum seit fast meinen Scheiss zusammen, Prise Ethiojazz mit, in der lade ein. Auf «Hero» singt gleitet wird sie dann und dreissig Jahren, entspre- Christus treffend und Marx Ballade «Balagh Al Ach- der Brite über seine kreative wann von elektrischem chend intim ist die Stim- lesend.» Im Titelsong singt baab» glaubt man, dezente Emanzipation. «I’ve Been Piano, Harfe und Drums. mung. Die wolkenhaften er sinngemäss, dass sein Le- westliche Melodiebögen Dazed» ist eine epische Gos- Die Tempi sind gemessen, Melodien wirken auf den ben die Hölle, ein Wellenritt auszumachen. Höhepunkt pelnummer. «Hard To Say der Ton ist abgeklärt, die ersten Blick simpel, sind und Spass war: «It was hell, ist der frenetische, polypho- Goodbye» schliesslich, mit Stimmung gelassen: man aber komplex wie ein Ve- it was swell, it was fun.» ne und polyrhythmische seinen Akkordwechseln, hat sich abgefunden damit, xierbild. Streicher, Harfe, Cohen, der grosse Poet, und doch fantastisch ein- der Morricone-Gitarre, dem dass es nun halt Herbst ist Posaune und Trompete der den Literaturnobelpreis gängige, von wilden Blä- Chor und der opulenten und die Beziehung in Scher- setzen dezente Akzente, mindestens so verdient ge- sern vorangetriebene und Orchestrierung, löst einen ben liegt. Im Vordergrund «On a Lonely Day (Ding habt hätte wie Bob Dylan, mit Elektroorgeltupfer und unwiderstehlichen Taumel steht immer die Stimme. Dong)» klingt verwirrend schöpfte lyrisch nochmals schmeichelndem Chorge- aus, der die Seelenpein des Scheinbar ohne irdische wie ein Wollknäuel, und aus dem Vollen, und er sang geschmückte Tanzbo- Pro­tagonisten illustriert. Fesseln gleitet sie durch die Cathal Coughlan (ja, der) tritt mit Stil und Schalk ab: denkracher «Ya Raiyat». «Kiwanuka» endet mit Melodien und ersingt sich singt ebenfalls mit. Eine «Thanks for the Dance» en- «Light», einem optimistisch spielend einen festen Platz Stimme wie keine andere. det mit dem Gedicht «Listen cg. stimmenden Song in harter im Olymp englischer Frau- to the Hummingbird», wor- Zeit. Produziert haben wie- enstimmen. hpk. in Cohen rät, dem Singvogel derum Danger Mouse und zu lauschen, anstatt ihm zu- Inflo. hpk. zuhören. tl. yba. DIE NEUEN PLATTEN Monster Remixed «Hallo Zürich, wir sind R.E.M. Es tut uns gut, wieder hier zu sein. Wir sind froh, wieder in der Schweiz zu spielen. Wie ihr wisst, ist die Schweiz ein besonderer Ort für uns.» So oder ähnlich (Bootlegs mögen die Erinnerung korrigieren) war 1999 Michael Stipes Begrüssung im Hallenstadion – vier Jahre nach Lausanne. Am 1. März 1995 erlitt Schlag- zeuger Bill Berry während des Konzerts der «Monster Tour» Robi Tom Combo Los Lobos in der Patinoire eine Gehirnblutung. Vier Jahre später stellte Traverse Thaw Llegó Navidad sich die zum Trio geschrumpfte Band in Zürich ihrem hel- (FRACA) (Breite Records) (Rhino) vetischen Monster. Rückblickend betrachtet waren die 90er- Jahre ein tolles Jahrzehnt, Topbands wie U2 und R.E.M. «Traverse» heisst das dritte Er ist Slampoet, Hörspielau- 47 Jahre warteten die Chi- knallten ihren Fans eine Kaskade von wie Atombomben Album dieser wunderbaren tor und Musical-Librettist. cano-Rock-Pioniere aus wirkenden Alben in den CD-Player, man nehme «Achtung Songwriterin, deren früher Aber auch Schriftsteller. In East Los Angeles, bis sie Baby» oder eben «Monster», das 1994 erschien. Song «On ne meurt plus dieser Funktion hat er un- ihr erstes Weihnachtalbum Nach dem Wechsel zum Majorlabel wurden R.E.M. An- d’amour» für mich nach längst den Roman «Inneres aufnahmen. «Llegó Na- fang der Neunziger mit den Alben «Green» und «Auto- wie vor eines der schönsten Lind» (Verbrecher Verlag) vidad» ist eine Kollektion matic for the People» und den Hits «Losing My Religion», Chansons der Zehnerjah- veröffentlicht. Nebenbei hat weihnächtlicher Mariachi-, «Drive», «Man on the Moon» und «Everybody Hurts» zu re ist. Chloe Robineau ist er sich in den vergangenen Salsa- und Son-Jarocho- Weltstars geworden. Auf beiden Alben erkundete die Band in Nizza geboren, in ver- Jahren das Cellospiel beige- Songs, aufgepeppt mit akustische Instrumente wie die Mandoline. Doch die ehe- schiedenen afrikanischen bracht, und es würde kaum Rock’n’Roll. Das erinnert maligen College-Rocker wollten wieder mehr elektrische Staaten und auf Réunion verwundern, wenn er auch an die Anfänge der Wölfe, Gitarren und verarbeiteten die Grunge-Explosion Anfang aufgewachsen. Mit 17 noch auf dem Gebiet der als sie Rock’n’Roll mit der des Jahrzehntes. Beschäftigte sich das Vorgängeralbum zog sie nach Paris. Beein- Bildhauerei oder als Feier- lateinamerikanischen Mu- «Automatic for the People» mit dem Tod, handelten Mi- flusst ist sie sowohl vom abend-Astronom tätig wäre. sik ihrer Eltern und Nach- chael Stipes Songs nun vom Ruhm und dessen Folgen. Sti- französischen Chanson Kurzum: Tom Combo ist barn zu mischen begannen. pe schlüpfte dabei in verschiedene Rollen, ohne über sich in der Tradition von Brel ein Renaissance-Mann des Neben den Covers, die selbst zu schreiben. Ausser bei «Let Me In». «Im Song bin und Barbara, als auch von 21. Jahrhunderts. sie animiert in ihrem ei- ich das mit Kurt Cobain am Telefon und versuche, ihn aus französischem Cold Wave Mit dem Album «Thaw» genen Stil interpretieren, seinen Gedanken, in denen er feststeckte, rauszukriegen.» und internationalem Post- fügt er seinem umfangrei- schrieben David Hidalgo Stipe und Cobain wollten zusammen das nächste Nirvana- Wave wie Joy Divison oder chen Oeuvre eine weitere und Louie Pérez extra für Album besprechen, doch kam es durch Cobains Suizid Suicide. Erschienen ist die Facette hinzu. Eine Samm- dieses Album die Ballade nicht mehr dazu. Platte übrigens auf dem lung von zwölf Songs, die «Christmas And You». Das «Monster» wurde von den Kritikern nach Veröffentli- neuen Label FRACA, das der Meister im Alleingang Spektrum der Songs deckt chung gut aufgenommen und erreichte sowohl in den USA die Songwriterin vor einem eingespielt hat. Zu hören traditionelle Weihnachts- als auch in England, aber auch in der Schweiz die Chart- Jahr mit ihren beiden Kol- sind hier lediglich Stim- themen ab – von der Ge- spitze. Dennoch hatte die Band später, Produzent Scott Litt leginnen Emilie Marsh und me und Cello, wobei das burt Jesu zum dekorierten schon von Beginn an, ambivalente Gefühle. So hat etwa Katel gegründet hatte. Die Streichinstrument auch Zweig («La Rama») bis Litt das Album immer als zu brutal abgemischt empfun- Themen Einsamkeit, Tod als Schlagzeug, Leadgitar- zum traurigen Umstand, den. Auf «Monster» sind die Gitarren laut, brachial, oft und unerhörte Liebe sind re, Mundharmonika oder das Fest fern der Liebsten verzerrt und in den Vordergrund gemischt, während Mi- nach wie vor zentral in Ro- Cowbell eingesetzt wird. allein verbringen zu müs- chel Stipes Stimme etwas in den Hintergrund gemischt ist. bis Werk, allerdings deutet Es ist verwegener Kammer- sen («Amarga Navidad»). Aber gerade das Brachiale macht das Album aus. ein Titel wie der flotte Song punk, bisweilen sinfonisch Und Los Lobos fördern Nun wurde «Monster» in einer 25-Jahre-Jubiläumsbox «C’est dire le bonheur» verziert und von leiser Me- erstaunliche Trouvaillen neu aufgelegt. Das Originalalbum wurde sanft remaste- auch Positives an, wie auch lancholie durchwirkt, die zutage, etwa den Tex-Mex- red. Auf der zweiten CD finden sich die Demoversionen der sehr ruhige Song «La an das Schaffen von John Rocker «It’s Christmas der Songs. Die vierte und fünfte CD enthalten ein Konzert bienvenue». Bei «Le soleil Darnielle (The Mountain Time in Texas» oder die in Chicago, Disc 6 ist eine Blue-Ray, worauf alle Video- helas» spricht sie ihre bei- Goats) gemahnt. «Thaw» Ulknummer «Dónde Está clips sind, die Hi-Res-Aufnahme des und der 1995 den Kinder an. «Traver- (ist der Titel ein Anagramm Santa Claus» von 1958. erschienene «Road Movie», der bei den letzten drei Kon- se» ist ein wunderschönes für «What» oder ein Im- Obwohl «La Murga de zerten der «Monster-Tour» entstand. Scott Litt nutzte die Werk zwischen Nouvelle perativ, der uns zum Auf- Panamá» von Willie Colón Möglichkeit und mischte das Album für die Box neu – so, Chanson und frankopho- tauen drängt?) wühlt auf, und Héctor Lavoe auf den wie er das Album schon hätte beim ersten Mal bearbeiten nem Indie-Pop, eher me- verstört, betört und ver- Karneval verweist, passt sollen. Er mischte Stipes Gesang stärker in den Vorder- lancholisch denn uplifting. söhnt. Und das wunderbare die aufgekratzte Stimmung grund und holte bei einigen Songs weitere Instrumente aus Eine herrliche Herbstplatte. Minigolf-Video zum Stück des Stückes auch in die dem Mix, die zuvor stumm gewesen waren. «Monster Re- «Unspoken» begeistert. Re- Weihnachtszeit. Das Beste mix» klingt nun mehr nach R.E.M., ist aber zahmer. Und tb. gie kann Combo also auch. heben sich Los Lobos bis wer möchte schon zahme Monster? Beeindruckend. zum Schluss auf: «Christ- mas And You», ein sehn- Yves Baer amp. suchtserfüllter Walzer, der das Format zum modernen R.E.M.: «Monster» (Universal) Live: 7.12., Widder, Winterthur; Klassiker hat. 15.12., Helsinki, Zürich tl. DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Wenn mir mein zufälliges Gegenüber erzählt, dass es Blues hört, verzerrt sich mein Gesicht, als hätte ich in eine Zit- rone gebissen – was ich dann aber gekonnt kaschiere und in eine respektvolle Miene verwandle. Dabei hat der Blues dieses Image aus Bierwerbung, gähnenden Gitarrensoli, angestrengten Gesichtern und Betty-Bossi-Rezept gar nicht The Neptune L’ Epée Mekonium verdient. An Bluesfestivals trifft man meist nur Leute mit Power Diabolique Bastard grauen Haaren, und umwerfende Künstler wie Reverend Federation (A Recordings) (Subversiv Records) John Wilkins erreichen kein jüngeres Publikum, wie es vor Memoirs wenigen Jahren R.L. Burnside und seinen Label-Gefährten of a Rat Queen Hinter dem Projekt L’Epée Mekonium, auch bekannt noch gelungen ist. Wer aber bisher noch keine Platten von (Cruz del Sur) («das Schwert») verbirgt als «Kindspech», ist der Slim Harpo, Howlin’ Wolf, Skip James oder Jimmy Reed sich die französische Schau- Darminhalt eines Unge- bei sich stehen hat, dem stehen freudige Entdeckungen be- Die Imperial Priestess Screa- spielerin und Sängerin Em- borenen, der in den ersten vor, welche die Tür öffnen in eine schier unendliches Par- ming Loz Sutch ist wieder manuelle Seigner, die schon Lebenstagen ausgeschieden allel-Blues-Universum, wo kleine Stern wie Doctor Ross, da und erzählt irre Ge- unter eigenen Namen und wird. Zudem dient der Be- Jessie Mae Hemphill oder Joe Hill Louis hell strahlen. Es schichten aus ihren vielen mit der Band Ultra Orange griff als Name einer Band, gibt aber keine Platte, die ich öfter gehört habe als «The Leben. Die Priestess inkar- gute Platten gemacht hat. die weder Scheisse noch Essential» von Little Walter. Er war dabei, als man die niert nämlich immer wieder Die Ehefrau von Roman für den Arsch ist. Meko- Harmonika elektrisch verstärkt zu spielen begann und ei- neu und hat deshalb schon Polanski hat sich nun mit nium aus Bern spielen seit ner der ersten, absichtlich Verzerrung in ihr Spiel einbrach- Abenteuer zur Zeit der Pest dem südfranzösichen Gara- bald 20 Jahren Heavy Me- ten. Aus Louisiana in Chicago angekommen, spielte er auf («Rat Queen»), während gen-Rock-Ehepaar The Li- tal, den sie selber als «Old den Aufnahmen von Muddy Waters, Jimmy Rogers, Bo der französischen Revolu- miñanas sowie den Kalifor- School Death’n’Roll» be- Diddley oder Baby Faced Leroy. 1952 startete seine Serie tion («Watch Our Masters niern vom Brian Jonestown zeichnen. «Bastard» ist erst mit 14 Top-Ten-Chart-Hits, was keiner seiner Chess/Che- Bleed») und auch mit einem Massacre zusammengetan das zweite Album, klingt cker-Labelkollegen je erreichte. Tragischerweise wurden Judas-Priest-Fan auf einem und begeistert mit «Diabo- aber trotzdem oder genau seine Aufnahmen 2008 beim Brand der Universal Studios Parkplatz («I’ll Make a lique». deshalb frischer, durch- zerstört. Trotzdem hat das hochgeschätze Label Jukebox Man Out of You») erlebt. Das Debüt dieser «In- dachter und zwingender als Jam einen Weg gefunden, ein alternative Version des 1959 Der Überraschungserfolg die-Supergroup» ist eine manche Veröffentlichung aufgenommenen «Mean Old Frisco» zu finden. Diese ihres Drittwerks «Neath A dreckige, psychedelische von Bands, die alle zwei, klingt auch nach 60 Jahren immer noch um einiges vita- Shin Ei Sun» brachte die Garagenrock-Platte, die drei Jahre Platten raus- ler als vieles, was derzeit Blues im Namen trägt. Auch El Band aus dem australischen gelegentlich ins Tarantino- hauen. Aufgenommen in Toro Records zieht eine EP mit der selten gehörten ersten Untergrund dieses Jahr Universum gleitet oder den Little Creek Studios, Version von «My Baby» als «Mercy Baby» aus dem Ärmel auf Europa-Tournee, die in die Untiefen von Cans agiert das Quartett zwi- und ergänzt diese mit den Klassikern «It Ain’t Right» und auch einen spektakulären Krautrock abdriftet. Beim schen Death- und Thrash- «Tell Me Mama». Wäre natürlich schön, bei der nächsten Auftritt im Winterthurer repetitiven Moment des Metal, allerdings ohne Unterhaltung mit einer Blues-Freundin diese unterschiedli- Gaswerk umfasste. Nach Stückes «La Brigade des die Groove-Parts, die ihr chen Aufnahmen zu diskutieren. diesem Popularitätsschub Maléfices» denkt man so- Produzent V.O. Pulver bei setzen die Space-Rocker fort an die Klasse von Can, seiner eigenen Band Gurd Philipp Niederberger nun noch stärker auf die In- das ausufernde «Ghost Ri- gern einbaut. Mekonium szenierung ihrer Frontfrau. der» ist dagegen ein Psych- schnetzeln mit «Lucifer» Das ist als Comic (den es Rock-Monument. Gesun- in einem Höllentempo los tatsächlich gibt) sinnvoll, gen wird überwiegend auf und exerzieren dann finger- aber auch musikalisch, Französisch, mit kurzen fertig das Einmaleins des denn die Sängerin erhebt Ausflügen ins Englische. Hartmetalls durch: Riffs, die Band über die Masse. Ein kleiner Hit ist der tolle Breaks, Hooks und jede Die Gesangsarrangements Song «Dreams», ein Anti- Menge rohe Energie. Die dürften ähnlich lange ge- Rape-Song, bei dem Seig- Songs bieten Abwechslung, dauert haben wie der Rest ner den sie bedrohenden bleiben aber kompakt, der Aufnahmen und offen- Mann lebendig verspeist. hier gibts kein Schaulau- baren eine Stimmgewalt, Ruhiger ist «Un rituel inha- fen, sondern auf die Fres- die an Grace Slick erinnert. bituel», bei dem die Lalala- se. Der Rausschmeisser Dienten stilistisch bisher Chöre auf einen Gitarren- «Modern Witchery» zitiert Motörhead und Hawkwind wall treffen. «On dansait Black Sabbath und streift als Referenzen, grüssen nun avec elle» hat ebenso den Grunge, bevor schliesslich auch T-Rex und aus der Fer- sexy Gainsbourg-Touch ein paar letzte grobe Gi- ne Queen. Alte Fans vermis- wie «Lou». tarrenbretter den Deckel sen vielleicht den Garagen- auf eine geile Metal-Platte geruch, doch bleiben The tb. machen. Neptune Power Federation eine Band, die Spass macht. ash. ash. Plattentaufe: 12.12., Rössli, Bern SZENE LIVE SALZHAUS 19/12 PEDESTRIANS CH Pop/Reggae/Summertime and the livin' is easy

28/12 LIVE 4 REFUGEES CH WOLFMAN | IKAN HYU MAMA JEFFERSON | NO ME COMAN Benefizkonzert

11/01 PHILIPP FANKHAUSER CH Blues

24/01 CHLYKLASS CH Rap/HipHop

10. One Of A Million Musikfestival Baden 31.01. – 08.02.2020 57 acts 28 venues ooam.ch NACHTSCHICHT

Verwirren mit Sham 69 Verweilen mit The Young Gods

«If the Kids Are United» sangen Sham 69 1978 und kreierten damit eine Es ist nichts weniger als die Rückkehr einer Legende. Im vierten Jahrzehnt Punkhymne. «United Kids» gilt allerdings weniger für die Band selber, denn ihrer Bandgeschichte besteigen die Young Gods einmal mehr die Bühnen- seit Mitte der 2000er-Jahre sind zwei verschiedene Sham-69-Gruppen mit bretter am Zürichsee, auf denen sie in der Vergangenheit immer wieder für wechselnden Besetzungen aktiv. Anlass dafür war – je nach Lesart und unvergessliche Momente gesorgt haben. Nach acht Jahren ohne reguläre Geschichtsschreibung – der Rausschmiss oder Abgang von Sänger Jimmy Veröffentlichung haben Franz Treichler, Bernard Trontin und Cesare Pizzi Pursey. Jedenfalls gibt es seither die «77 Line-up»-Version mit Pursey und im Februar das Album «Data Mirage Tangram» vorgelegt, auf dem sie die «Tim V»-Version um den gleichnamigen Sänger, zu der Ian Whitwood, in überraschend entspannter Manier den Lärm strukturieren. Zwischen der seit 1987 für die Band trommelt, und Gitarrist Al Campbell gehören, Funkgeräterauschen, knarzigen Beats, reduziertem Gesang und aufgerauh- der von 1992 bis 2004 auch für die UK Subs aktiv war. In der Schweiz ten Gitarren passen sie wunderbar meditative Synthieflächen ins Klangbild ist nun die «Tim V»-Gruppe unterwegs. Eine schnelle Abfolge von «One, ein und schaffen so ein weiteres Meisterwerk. Damit haben die Fribourger two, three, four» und eine geballte Punk-Ladung mit allen Heulern von «If bestimmt auch ihren grössten Fan – Faith-No-More-Sänger Mike Patton, the Kids» bis «Hersham Boys» darf man trotzdem erwarten. Unter dem auf dessen Ipecac-Label zwei frühere Young-Gods-Alben erschienen sind – Titel «Punk Kills Santa» bietet der Abend in Basel noch weitere Reizatta- einmal mehr verblüfft. Die Stücke auf «Data Mirage Tangram» sind lang cken mit The Psychonauts, Missling und The Goodbye Johnnys. In Zürich (unter sechs Minuten machen es die drei Herren nicht) und laden ein zum heisst der Event «Endzeitgala» und bringt zusätzlich den stets überraschen- assoziativen Verweilen – zuhause vor der Stereoanlage, unterwegs unter den Hü Schenkel, die Elektroniker Mr. Soul und die Züripunker Sub.verb Bluetooth-Kopfhörern oder mit einem Becher Bier in der Hand am Kon- auf die Bühne. Letztere kündigen ihre Konzerte gerne mit «Punk isch tot zerthallenrand. (amp) und mier bald au, forever young schubiduh» an. So sind die Kids dann irgendwie doch wieder united. (anz) 14.12., Rote Fabrik, Zürich; 20.12., Fri-Son, Fribourg; 21.12., Alhambra, Genf «Punk Kills Santa»: 6.12., Humbug, Basel; «Endzeitgala»: 7.12., Rote Fabrik, Zürich

Trinken mit The Düsseldorf Düsterboys Tote ausgraben mit Voodoo Jürgens

Es riecht nach Kaffee aus der Küche, und das ist immerhin der einzige An- «Immer kannst du nicht gewinnen, das ist schon klar,» singt David Öllerer sporn, den Tag jeweils in Angriff zu nehmen. Aber wenn die Troubles doch im ersten Song seines neuen Albums «’S klane Glücksspiel». Zumindest überhand nehmen, ruft man dann doch noch Mama an. So, wie das The ist dies so in der Welt, aus der die Erzählungen seines Alter Egos Voodoo Düsseldorf Düsterboys auf ihrem aktuellen Album «Nenn mich Musik» Jürgens stammen. Öllerers Heimat ist die halbseidene Wiener Unterwelt, machen. «Oh Mama, hol mich aus den Troubles raus», singen Peter Rubel in der der Glücksspielautomat Zuflucht und Hoffnung verspricht – und und Pedro Goncalves Crescenti da, während das Klavier und die Orgel doch nur Spielschulden einbringt. Aber deshalb Trübsal blasen? Na, lie- einen sehr sanften Drone-Blues spielen. Und so gehts weiter bei dieser Band ber noch einen freudigen Spelunkenblues anstimmen. Woher dieser sehr aus Essen, die quasi die Miniatur-Version von International Music sind: eigenartige Austropop-Erzähler ursprünglich herkommt, weiss man seit Man raucht Kippen, klagt über die harte Arbeit, trinkt – eben – Kaffee aus seinem Debüt «Ansa Woar». Voodoo Jürgens hat auf diesem geisterbahn- der Küche, haut den Nagel in die Wand, singt den Lieblingsfussballclub an haften Album zwar zum Leichenausgraben aufgerufen, aber er sang dann und trippt langsam durch diesen sich entspinnenden Alltag, weil die Düs- auch das bewegende Heimatlied «Tulln», in dem er beschrieben hat, wo terboys ihre Folk-Musik wunderbar psychedelisieren. «Nenn mich Musik» einer wie er aufgewachsen ist, nämlich «zwischen Zuckerbude und Kada- ist jedenfalls eines der schönen deutschsprachigen Alben des Jahres, und verfabrik». Und man hofft auch beim Hören von «’S klane Glücksspiel», die anstehenden Schweizer Konzerte geben Ansporn, das neue Jahr, so es dass das Glück eine ausserordentliche Figur wie diesen Voodoo Jürgens dann ansteht, zuversichtlich in Angriff zu nehmen. (bs) finden wird. (bs)

21.1., Helsinki, Zürich; 22.1., Bad Bonn, Düdingen 22.1., Bogen F, Zürich; 24.1., Bad Bonn, Düdingen SZENE Atlantis_2016_Version_3_Atlantis_2016 26.01.16 18:18 Seite 1

LP’s CD’s

seit 1983

ATLANTIS RECORDS.CH 079 938 99 65 Steinenbachgässlein 34 4051 BASEL An/Verkauf • Bestellungen • Old/New Vinyl

KIFF AARAU WE KEEP YOU IN THE LOOP www.kiff.ch

KoNzERTHaUS SChÜÜR tRIBSChENSTRASSE 1 6005 LUzeRN

Loud & Proud Since 1992